BUNDESFINANZHOF Die Quellensteuer auf Dividenden einer

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BUNDESFINANZHOF
Die Quellensteuer auf Dividenden einer deutschen
Kapitalgesellschaft ist nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a
DBA-Russland nur dann auf 5 v.H. der Dividende zu reduzieren,
wenn der Nominalwert der Beteiligung mindestens 160 000 DM
(81 806,70 €) beträgt.
DBA-Russland Art. 10 Abs. 1 Buchst. a
Urteil vom 26. Mai 2004
I R 54/03
Vorinstanz: FG Köln vom 7. Mai 2003
(EFG 2003, 1174)
2 K 2587/02
G r ü n d e
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob von einer deutschen GmbH
ausgeschüttete Dividenden nach dem Abkommen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern
vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Russland) einer
Quellenbesteuerung von 5 v.H. oder von 15 v.H. unterliegen.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine russische
Kapitalgesellschaft, war in den Streitjahren (1996 bis 1998)
an der deutschen R-GmbH beteiligt. Das Stammkapital der R-GmbH
belief sich auf 150 000 DM, der Anteil der Klägerin hieran auf
70 005 DM.
Die R-GmbH schüttete in den Jahren 1997 bis 1999 für die
Streitjahre ... DM (1996), ... DM (1997) und ... DM (1998) an
die Klägerin aus. Sie behielt von den Ausschüttungen jeweils
Kapitalertragsteuer ein und führte die Abzugsbeträge an das
zuständige Finanzamt ab.
Auf einen Antrag der Klägerin hin erließ der Beklagte und
Revisionsbeklagte (Bundesamt für Finanzen --BfF--) am
20. Januar 1998 einen Freistellungsbescheid für 1996, in dem
er u.a. davon ausging, dass die Ausschüttung der R-GmbH nur
mit 15 v.H. zu besteuern sei. Dies führte zu einer Erstattung
von ... DM Kapitalertragsteuer. Am 28. Januar 1998 erging ein
zweiter Bescheid, mit dem das BfF unter Hinweis auf eine
Änderung des DBA-Russland weitere ... DM von der Steuer
freistellte. Beide genannten Bescheide standen gemäß § 164
Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung. Ihnen entsprechend beantragte und erhielt die
- 2 -
- 2 Klägerin auch für 1997 und 1998 Freistellungsbescheide, in
denen die Kapitalertragsteuer auf 5 v.H. der
Ausschüttungsbeträge reduziert wurde.
Im Dezember 2000 teilten die steuerlichen Vertreter der R-GmbH
mit, dass nach ihrer Ansicht die Kapitalertragsteuer nur auf
15 v.H. der Ausschüttungsbeträge reduziert werden dürfe. Daraufhin erließ das BfF für alle Streitjahre geänderte
Freistellungsbescheide, in denen es von einer Besteuerung in
Höhe von 15 v.H. der Ausschüttungsbeträge ausging. Die gegen
die Änderungsbescheide gerichtete Klage hat das Finanzgericht
(FG) abgewiesen; sein Urteil ist in Entscheidungen der
Finanzgerichte 2003, 1174 abgedruckt.
Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine
Verletzung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland. Sie
beantragt, das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen
Änderungsbescheide aufzuheben.
Das BfF beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und war deshalb gemäß § 126
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG
hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die angefochtenen
Bescheide rechtmäßig sind.
1. Die Klägerin hat in den Streitjahren von einer deutschen
GmbH Dividenden bezogen. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht
unstreitig, dass sie damit inländische Kapitalerträge i.S. des
§ 43 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erzielt hat,
die der Kapitalertragsteuer unterlagen (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 und
Abs. 4 EStG). Die Kapitalertragsteuer beläuft sich auf 25 v.H.
- 3 -
- 3 der Ausschüttungsbeträge (§ 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG) und musste
von der R-GmbH unabhängig von den Regelungen des DBA-Russland
(§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG) in dieser Höhe einbehalten und
abgeführt werden (§ 44 Abs. 1 EStG).
Die Klägerin kann jedoch eine Erstattung der von der R-GmbH
einbehaltenen und abgeführten Beträge verlangen, soweit ihre
Dividendeneinkünfte nach dem DBA-Russland in Deutschland nur
einem niedrigeren Steuersatz unterworfen werden dürfen (§ 50d
Abs. 1 Satz 2 EStG). Rechtsgrundlage für eine solche
Erstattung ist ein Freistellungsbescheid i.S. des § 155 Abs. 2
AO 1977 (Senatsurteil vom 11. Oktober 2000 I R 34/99, BFHE
193, 336, BStBl II 2001, 291, 292, m.w.N.), für dessen Erlass
das BfF zuständig ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die
Finanzverwaltung). Vor diesem Hintergrund streiten die
Beteiligten im vorliegenden Verfahren darüber, ob das BfF in
den angefochtenen Freistellungsbescheiden zu Recht davon
ausgegangen ist, dass die Ausschüttungen an die Klägerin nach
dem DBA-Russland in Deutschland mit 15 v.H. besteuert werden
dürfen.
2. Nach Art. 10 Abs. 1 DBA-Russland darf jeder Vertragsstaat
Dividenden, die eine in ihm ansässige Gesellschaft an eine im
anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, nach seinem
Recht besteuern. Die Steuer darf aber 5 v.H. des Bruttobetrags
der Dividende nicht übersteigen, wenn der Nutzungsberechtigte
eine Gesellschaft ist, die unmittelbar über mindestens 10 v.H.
des Grund- oder Stammkapitals der die Dividenden zahlenden
Gesellschaft verfügt, und dieser Kapitalanteil --nach der im
Streitfall maßgeblichen Fassung der Vorschrift-- mindestens
160 000 DM oder den entsprechenden Wert in Rubeln beträgt
(Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland). In allen anderen Fällen ist das Besteuerungsrecht dieses Staates (Quellenstaat)
- 4 -
- 4 auf 15 v.H. des Bruttobetrags der Dividende begrenzt (Art. 10
Abs. 1 Buchst. b DBA-Russland).
3. Der Klägerin steht hiernach nur eine Ermäßigung der
Kapitalertragsteuer auf 15 v.H. der Ausschüttungsbeträge zu.
Denn sie war zwar am Kapital der R-GmbH mit mehr als 10 v.H.
beteiligt. Ihr Kapitalanteil belief sich jedoch auf weniger
als 160 000 DM, so dass Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland
im Streitfall nicht eingreift.
a) Nach den Feststellungen des FG, die nicht mit zulässigen
und begründeten Revisionsrügen angefochten wurden und deshalb
im Revisionsverfahren bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), betrug
der Nominalwert der Beteiligung der Klägerin am Stammkapital
der R-GmbH 70 005 DM. Nur auf diesen Wert, und nicht auf einen
ggf. höheren Verkehrswert der Beteiligung, kommt es im
Zusammenhang mit Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland an.
aa) Der Begriff "Kapitalanteil" ist im DBA-Russland nicht
definiert. Das bedeutet jedoch entgegen der Ansicht der
Klägerin nicht, dass insoweit unmittelbar auf das deutsche
Handelsrecht und speziell auf die zu §§ 120 ff. und §§ 155 f.
des Handelsgesetzbuchs (HGB) entwickelten Begriffsbestimmungen
zurückzugreifen wäre. Vielmehr ist gemäß Art. 3 Abs. 2
DBA-Russland vorrangig auf den Sinnzusammenhang des Abkommens
abzustellen. Dabei sind u.a. die erkennbaren Vorstellungen der
Vertragsparteien sowie diejenigen Begriffsinhalte zu
berücksichtigen, die zu vergleichbaren anderen Abkommenstexten
entwickelt worden sind. Abgesehen davon sind die von der
Klägerin in Anspruch genommenen handelsrechtlichen
Vorschriften im Streitfall schon deshalb nicht einschlägig,
weil sie ausschließlich Anteile an Personengesellschaften
- 5 -
- 5 betreffen, während es hier um die Beteiligung an einer
Kapitalgesellschaft geht.
bb) Das FG hat zu Recht angenommen, dass der Wortlaut des
Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland für eine Maßgeblichkeit
des Nominalwerts der Beteiligung spricht. Denn wenn es dort
heißt, dass "dieser Kapitalanteil" mindestens 160 000 DM
betragen müsse, wird damit auf die zuvor verlangte Beteiligung
von 10 v.H. am Grund- oder Stammkapital Bezug genommen. Mit
der Beteiligung am "Grund- oder Stammkapital" ist aber, da
dieses Kapital sowohl nach deutschem (z.B. § 6 des
Aktiengesetzes; § 5 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften
mit beschränkter Haftung) als auch nach russischem Recht (vgl.
hierzu Wagner in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung,
Art. 10 DBA-Russland Rz. 12) mit dem Nennwert auszuweisen ist,
ersichtlich der Anteil an diesem Wert gemeint. Dafür spricht
zudem, dass der Kommentar zum OECD-Musterabkommen
(OECD-MustAbk) den Begriff "Kapital" i.S. des Kapitals im
gesellschaftsrechtlichen Sinne und ohne Berücksichtigung von
Reserven definiert (Nr. 15 OECD-MustAbk zu Art. 10). Gegenüber
dieser Definition haben weder Deutschland oder Russland
Vorbehalte angebracht. Wenn nunmehr das DBA-Russland im
Zusammenhang mit der betragsmäßigen Wertgrenze ohne weitere
Differenzierung auf den so definierten Kapitalanteil verweist,
spricht dies dafür, dass es insoweit ebenfalls auf den
Nominalwert der Beteiligung ankommen soll. Hätte Art. 10
Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland nur hinsichtlich der
prozentualen Beteiligung auf den Nennwert, bei der absoluten
Wertgrenze aber auf einen anderen Wert abstellen wollen, so
hätte diese Unterscheidung in irgendeiner Form zum Ausdruck
gebracht werden müssen.
- 6 -
- 6 cc) Hinzu kommt, dass die von der Klägerin befürwortete
Anknüpfung an den Verkehrswert in der praktischen Umsetzung zu
erheblichen Schwierigkeiten führen muss. Das gilt nicht nur
deshalb, weil der Verkehrswert einer Beteiligung häufig nur
schwer zu bestimmen ist. Er kann vielmehr im zeitlichen
Verlauf auch schwanken. Deshalb kann es in der Praxis
insbesondere vorkommen, dass der Verkehrswert zu bestimmten
Zeitpunkten unter, zu anderen hingegen über 160 000 DM liegt.
Angesichts dessen wäre es in hohem Maße unpraktikabel, wenn
der Umfang des Besteuerungsrechts davon abhinge, welchen
Verkehrswert die Beteiligung des Dividendenempfängers im
Zeitpunkt vor oder nach der Ausschüttung (§ 44 Abs. 1 Satz 2
EStG) hatte. Auch unter diesem Gesichtspunkt verbietet sich
die von der Klägerin vertretene Auslegung des Art. 10 Abs. 1
Buchst. a DBA-Russland. Demgegenüber bietet die Anknüpfung an
den Nominalwert der Beteiligung eine zuverlässige und leicht
handhabbare Beurteilungsgrundlage für den Umfang des dem
Quellenstaat zustehenden Besteuerungsrechts; sie ist gerade
unter diesem Gesichtspunkt vorzugswürdig.
dd) Der Klägerin ist zuzugeben, dass bei einer solchen Auslegung Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland immer dann nicht
eingreifen kann, wenn --wie im Streitfall-- das Grund- oder
Stammkapital der ausschüttenden Gesellschaft sich auf weniger
als 160 000 DM beläuft. Daraus lässt sich jedoch die von ihr
angestrebte Auslegung der Vorschrift nicht ableiten. Die Begrenzung auf Beteiligungen in Höhe von mindestens 160 000 DM
dient nämlich ersichtlich dem Ziel, das Schachtelprivileg nur
demjenigen Kapitalanleger zu gewähren, der sich in einer bestimmten Größenordnung in dem jeweils anderen Vertragsstaat
engagiert; Investitionen geringeren Umfangs gelten aus der
Sicht des Abkommens mithin nicht als besonders
förderungswürdig. Dabei kann es jedoch keinen Unterschied
- 7 -
- 7 machen, ob der Anleger einen unter 160 000 DM liegenden Betrag
in eine große Gesellschaft investiert und dafür nur einen Teil
der Gesellschaftsanteile erhält oder ob er für denselben
Betrag alle Anteile an einer kleinen Gesellschaft erwirbt. Es
entspricht mithin gerade dem Ziel der Abkommensregelung, auch
in dem letztgenannten Fall die Reduzierung der Quellensteuer
auf 5 v.H. zu versagen. Deshalb kann die Argumentation der
Klägerin weder die vom FG vertretene Auslegung des Art. 10
Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland erschüttern noch eine
Nichtanwendung jener Regelung auf den Streitfall
rechtfertigen.
ee) Der Senat vermag auch nicht der in der Literatur vertretenen Ansicht zu folgen, Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland
sei im Wege einer teleologischen Reduktion dahin auszulegen,
dass bei einer Beteiligung von mehr als 25 v.H. am Grund- oder
Stammkapital die Quellensteuer unabhängig vom Wert der
Beteiligung auf 5 v.H. zu begrenzen sei (Kramer,
Internationales Steuerrecht --IStR-- 2003, 159, 160 f.). Es
ist zwar richtig, dass eine solche Handhabung sowohl dem
OECD-MustAbk als auch den meisten von der Bundesrepublik
Deutschland geschlossenen Abkommen und in diesem Sinne einem
internationalen Standard entspricht. Jedoch enthält das
DBA-Russland insoweit gerade eine von diesem Standard
abweichende Regelung. Hätten die Vertragsparteien jede
Beteiligung von mehr als 25 v.H. begünstigen und lediglich
darüber hinaus bei Beteiligungen zwischen 10 v.H. und 25 v.H.
eine weitere Alternative für die Gewährung des Schachtelprivilegs zur Verfügung stellen wollen, so hätte dies im
Abkommenstext ohne Schwierigkeiten zum Ausdruck gebracht
werden können. Das ist nicht geschehen. Angesichts dessen muss
die getroffene Regelung als abschließend verstanden werden;
für eine Auslegung des Inhalts, dass auch in anderen Fällen
- 8 -
- 8 eine Begrenzung der Quellensteuer auf 5 v.H. in Betracht
komme, ist kein Raum (ebenso Wagner in Debatin/Wassermeyer,
a.a.O., Art. 10 DBA-Russland Rz. 13).
ff) Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die
Verständigungsvereinbarung zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Russischen Föderation, die im Schreiben
des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 18. Oktober 2001
(BStBl I 2001, 777) wiedergegeben ist. Dort heißt es zwar
u.a., dass die Mindestbeteiligung in Höhe von 160 000 DM bzw.
des entsprechenden Werts in Rubeln nur im Zeitpunkt der
Investition und nicht zusätzlich im Zeitpunkt der Ausschüttung
gegeben sein müsse (Nr. 1 des BMF-Schreibens). Diese
Vereinbarung bringt aber nicht zum Ausdruck, dass sich nach
dem übereinstimmenden Verständnis der russischen und der
deutschen Finanzverwaltung der Wert der Beteiligung nach dem
Zeitpunkt der Investition ändern kann (a.A. Kramer, IStR 2003,
159, 161). Sie zielt vielmehr darauf ab, einer möglichen
Schwankung der Wechselkurse Rechnung zu tragen; insbesondere
soll bei einer Abrechnung in Rubel das Schachtelprivileg nicht
dadurch verloren gehen können, dass im Anschluss an die
Investition der Kurs des Rubels gegenüber demjenigen der
deutschen Währung sinkt (Wagner in Debatin/Wassermeyer,
a.a.O., Art. 10 DBA-Russland Rz. 12). Die von der Klägerin
angestrebte Anknüpfung der Wertgrenze an den jeweiligen
Verkehrswert der Beteiligung vermag die
Verständigungsvereinbarung mithin nicht zu stützen.
b) Zu einer abweichenden Beurteilung führen nicht die
verschiedenen Staatsverträge, auf die sich die Klägerin zur
Stützung ihres Begehrens berufen hat.
- 9 -
- 9 aa) Das gilt zunächst für den Vertrag der Bundesrepublik
Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 13. Juni 1989 (BGBl II 1990, 343). Art. 3 Abs. 1 und
2 dieses Vertrages verpflichten zwar die Vertragsstaaten, Investoren aus dem jeweils anderen Vertragsstaat nicht weniger
günstig zu behandeln als Investoren aus dritten Staaten. Doch
bestimmt Art. 3 Abs. 3 ausdrücklich, dass sich dieses
Diskriminierungsverbot nicht auf Vorrechte und Vergünstigungen
bezieht, die im Zusammenhang mit einem gemeinsamen Markt,
einer Zoll- oder Wirtschaftsunion oder einer Freihandelszone
oder aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens oder sonstiger
Vereinbarungen über Steuerfragen gewährt werden. Angesichts
dessen lässt sich aus dem genannten Vertrag weder die von der
Klägerin begehrte Auslegung des Art. 10 DBA-Russland noch ein
Anspruch der Klägerin auf Gleichbehandlung mit Unternehmen aus
EU-Staaten ableiten. Dasselbe gilt im Hinblick auf den Vertrag
über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 9. November 1990 (BGBl II
1991, 703), der im Hinblick auf die gegenseitigen
Wirtschaftsbeziehungen keine konkreten Rechte für einzelne
Personen oder Unternehmen begründet.
bb) Ebenso lässt sich die Position der Klägerin nicht auf das
Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit zur Gründung
einer Partnerschaft zwischen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen
Föderation andererseits vom 24. Juni 1994 (BGBl II 1997, 846)
stützen. Dieses Abkommen regelt die hier interessierende Frage
der Investitionsbedingungen im Allgemeinen in Titel IV
(Art. 23 ff.) und speziell die Niederlassungsmöglichkeiten von
Unternehmen in dessen Kapitel II (Art. 28 ff.). Art. 28 des
- 10 -
- 10 Abkommens enthält zwar verschiedene Meistbegünstigungsklauseln
(Abs. 1 und Abs. 2); doch beziehen sich diese ausdrücklich
weder auf Vorteile aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen
(Art. 49 Abs. 1) noch auf wohnsitzbedingte Differenzierungen
(Art. 49 Abs. 3). Folglich kann auch aus diesem Abkommen für
die Auslegung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland nichts
abgeleitet werden; allein der Umstand, dass Art. 58 Abs. 1 des
Abkommens u.a. von der Schaffung eines günstigen gegenseitigen
Investitionsklimas spricht, reicht entgegen der Ansicht der
Klägerin hierfür nicht aus.
Der Senat kann diese Frage selbst beurteilen und muss nicht
die von der Klägerin angestrebte Vorabentscheidung durch den
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) einholen.
Er ist als letztinstanzliches Gericht zwar nach Art. 234
Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft (EGV) im Grundsatz verpflichtet, Fragen zur
Auslegung europäischen Gemeinschaftsrechts dem EuGH
vorzulegen. Das gilt jedoch nicht, wenn über die richtige
Anwendung dieses Rechts kein vernünftiger Zweifel herrschen
kann (EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81
"C.I.L.F.I.T.", EuGHE 1982, 3415, Tz. 16). Diese Situation
liegt im Streitfall vor, da sich aus Wortlaut und Systematik
des maßgeblichen Abkommens klar ergibt, dass hieraus die von
der Klägerin angestrebte Rechtsfolge nicht abgeleitet werden
kann. Angesichts dessen kann im Streitfall offen bleiben, ob
Art. 234 Abs. 3 EGV auch im Zusammenhang mit von der
Europäischen Gemeinschaft (EG) abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen gilt, die nur von den einzelnen Mitgliedstaaten
erfüllt werden können (vgl. hierzu EuGH-Urteil vom
30. September 1987 Rs. 12/86 "Demirel", EuGHE 1987, 3719,
Tz. 7 ff.).
- 11 -
- 11 c) Schließlich verstößt die Erhebung der nach Art. 10 Abs. 1
Buchst. b DBA-Russland zulässigen deutschen Quellensteuer
nicht gegen die Regelungen des EGV.
aa) Das gilt zunächst im Hinblick auf die durch Art. 43 (bis
30. April 1999: Art. 52) EGV garantierte Niederlassungsfreiheit. Denn diese steht nur Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats sowie darüber hinaus den Staatsangehörigen der
Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums zu (vgl.
hierzu Bröhmer in Calliess/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag
und EG-Vertrag, 2. Aufl., Art. 43 Rz. 7). Für Gesellschaften
gilt dies in dem Sinne, dass sie sich dann auf die
Niederlassungsfreiheit berufen können, wenn sie nach dem Recht
eines der genannten Staaten gegründet worden sind oder in
einem jener Staaten ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre
Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung haben (Art. 48
Abs. 1 EGV; bis 30. April 1999: Art. 58 Abs. 1 EGV). Die
Klägerin erfüllt keine der genannten Voraussetzungen, so dass
ihr die gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsfreiheit nicht
zusteht.
bb) Im Ergebnis dasselbe gilt im Hinblick auf die durch
Art. 56 Abs. 1 (bis 30. April 1999: Art. 73b) EGV garantierte
Freiheit des Kapitalverkehrs. Diese schließt zwar
Beschränkungen des Kapitalverkehrs nicht nur im Verhältnis
zwischen Mitgliedstaaten aus; vielmehr wird auch der
Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und dritten Staaten
geschützt. Doch wird die hier in Rede stehende
Dividendenbesteuerung selbst dann, wenn sie dem Grunde nach
die Freiheit des Kapitalverkehrs berührt, jedenfalls durch
Art. 58 Abs. 1 Buchst. a (bis 30. April 1999: Art. 73d Abs. 1
Buchst. a) EGV gerechtfertigt.
- 12 -
- 12 aaa) Danach berührt Art. 56 Abs. 1 EGV nicht das Recht der
Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres
Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit
unterschiedlichem Wohnort unterschiedlich behandeln. Diese
Bestimmung ist im Streitfall einschlägig. Sie gilt zwar,
soweit der Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
betroffen ist, nur im Hinblick auf die am 31. Dezember 1993
bestehenden steuerrechtlichen Vorschriften (Erklärung Nr. 7
zum Vertrag über die Europäische Union). Im Hinblick auf den
Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und Drittländern
besteht jedoch keine entsprechende zeitliche Begrenzung
(Glaesner in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 58 EGV Rz. 2;
Ress/Ukrow in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union,
Art. 58 EGV Rz. 11). Mithin ist die genannte Regelung auch auf
das am 30. Dezember 1996 in Kraft getretene DBA-Russland
anwendbar.
bbb) Im Streitfall wird zwar die Klägerin im Hinblick auf die
Höhe der einzubehaltenden Kapitalertragsteuer ungünstiger behandelt als eine Person, die sich auf ein
Doppelbesteuerungsabkommen mit einer weiter gehenden
Begrenzung der Quellenbesteuerung berufen kann. Diese
unterschiedliche Behandlung ist aber ausschließlich darin
begründet, dass die Klägerin in Russland ansässig ist.
Angesichts dessen wird nach dem klaren Wortlaut des Art. 58
EGV die hier in Rede stehende Besteuerung durch Art. 56 Abs. 1
EGV nicht ausgeschlossen.
Dieser Beurteilung steht das EuGH-Urteil vom 21. November 2002
C-436/00 "X und Y" (EuGHE
2002, 10829) nicht entgegen. Zwar
hat der EuGH die dort überprüfte Vorschrift des schwedischen
Steuerrechts nicht nur im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit, sondern auch wegen eines Verstoßes gegen die Freiheit
- 13 -
- 13 des Kapitalverkehrs verworfen (Tz. 66 ff. des Urteils). Doch
ging es in jener Vorschrift darum, dass die Übertragung von
Gesellschaftsanteilen an eine ausländische Gesellschaft oder
an deren Tochtergesellschaft steuerlich ungünstiger behandelt
wurde als eine ansonsten vergleichbare Anteilsübertragung an
eine inländische (schwedische) Gesellschaft. Eine derartige
Regelung ist geeignet, eine willkürliche Diskriminierung oder
eine verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zu
bewirken, die durch den in Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EGV
angeordneten steuerrechtlichen Vorbehalt nicht abgedeckt wird
(Art. 58 Abs. 3 EGV; bis 30. April 1999: Art. 73d Abs. 3 EGV).
Im Streitfall scheidet eine solche jedoch schon deshalb aus,
weil die maßgebliche Bestimmung des DBA-Russland das Ergebnis
einer gegenseitigen Vereinbarung zwischen den beteiligten
Vertragsstaaten ist, in die deren jeweilige Interessen
eingeflossen und zum Ausgleich gebracht worden sind. Dabei ist
speziell die hier maßgebliche Formulierung in Art. 10 Abs. 1
Buchst. a DBA-Russland augenscheinlich von der russischen
Seite eingebracht worden, die als den maßgebenden Wert den
Nennwert der Beteiligung betrachtet (vgl. hierzu Wagner in
Debatin/ Wassermeyer, a.a.O., Art. 10 DBA-Russland Rz. 12).
Vor diesem Hintergrund ist die Annahme, dass eine
entsprechende Handhabung des DBA-Russland auf eine
willkürliche Diskriminierung russischer Unternehmen oder auf
eine verschleierte Beschränkung des Kapitalverkehrs mit
Russland hinauslaufe, offensichtlich fernliegend. Damit wird
die genannte Auslegung unter dem Gesichtspunkt des freien
Kapitalverkehrs von Art. 58 Abs. 1 EGV abgedeckt. Einer
Anrufung des EuGH bedarf es auch in diesem Zusammenhang nicht.
4. Im Ergebnis kann die Klägerin mithin für alle Streitjahre
nur eine Begrenzung der Kapitalertragsteuer nach Maßgabe des
Art. 10 Abs. 1 Buchst. b DBA-Russland, also auf 15 v.H. der
- 14 -
- 14 Ausschüttungsbeträge, beanspruchen. Die angefochtenen Bescheide, die dem entsprechen, sind deshalb inhaltlich zutreffend.
Entgegen der Ansicht der Klägerin war das BfF auch nicht nach
Treu und Glauben am Erlass dieser Bescheide gehindert.
a) Durch die streitbefangenen Bescheide wurden voraufgegangene
Freistellungsbescheide geändert, die unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung standen. Die Änderungsbefugnis des BfF ergibt sich
deshalb aus § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977. Die Änderung scheiterte auch nicht am Ablauf der Festsetzungsfristen (§ 164
Abs. 4 Satz 1 AO 1977), da diese bei Erlass der Änderungsbescheide für alle Streitjahre noch andauerten. Das ist zwischen
den Beteiligten unstreitig.
b) Im Erlass der Freistellungsbescheide mit einer Begrenzung
der Quellensteuern auf 5 v.H. kann entgegen der Ansicht der
Klägerin keine verbindliche Zusage des Inhalts liegen, dass es
bei dieser Sachbehandlung endgültig bleiben werde. Dem steht
schon die Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung entgegen,
aus der sich für die Klägerin erkennbar ergab, dass das BfF
sich die Möglichkeit einer späteren Änderung der Bescheide offen halten wollte. Abgesehen davon fehlt es im Streitfall an
allen Merkmalen einer verbindlichen Zusage, namentlich an
einem entsprechenden Antrag der Klägerin und einer
behördlichen Erklärung, die sich auf einen erst in Zukunft zu
verwirklichenden Sachverhalt bezieht (vgl. hierzu
Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 204 Rz. 23, m.w.N.).
c) Schließlich war bei Erlass der angefochtenen Bescheide der
hier in Rede stehende Steueranspruch nicht verwirkt. Eine Verwirkung tritt nämlich nur dann ein, wenn die Finanzbehörde
über längere Zeit untätig geblieben ist und die verspätete
Rechtsausübung aufgrund besonderer Umstände als Verstoß gegen
- 15 -
- 15 Treu und Glauben erscheint (Senatsurteil vom 24. April 2002
I R 25/01, BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586, 589, m.w.N.).
Ein solcher Sachverhalt liegt entgegen der Ansicht der
Klägerin im Streitfall nicht schon deshalb vor, weil das BfF
die ursprünglichen Feststellungsbescheide ohne Veranlassung
seitens der Klägerin zu deren Gunsten geändert und dazu auf
eine Änderung des DBA-Russland hingewiesen hatte. Daraus mag
zwar abzuleiten sein, dass das BfF im Vorfeld jener Maßnahme
die Sach- und Rechtslage überprüft hatte. Auch insoweit muss
jedoch die Erwägung durchgreifen, dass es sich durch die
Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung eine erneute
Überprüfung vorbehalten hatte und dass dies für die Klägerin
erkennbar war. Wenn es später von dieser erklärtermaßen
vorbehaltenen Prüfungsmöglichkeit Gebrauch gemacht hat, stellt
dies keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar (vgl. hierzu
auch Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 28. August 2002
V B 71/02, BFH/NV 2003, 4, m.w.N.). Die Klägerin genießt
mithin im Ergebnis keinen Vertrauensschutz.
Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Klägerin durch das
Vorgehen des BfF ein Schaden entstanden ist. Diese Frage hat
das FG deshalb zu Recht offen gelassen. Falls das Vorgehen des
BfF für die Klägerin --wie diese vorträgt-- zum Verlust von
Steueranrechnungsmöglichkeiten in Russland geführt haben sollte, könnte dies allenfalls Anlass für eine Billigkeitsmaßnahme
nach § 163 oder nach § 227 AO 1977 sein. Darüber kann aber im
Steuerfestsetzungsverfahren (Klein/Rüsken, a.a.O., § 163
Rz. 2, m.w.N.) und damit auch im Freistellungsverfahren nicht
befunden werden.
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