Inhalt I Einleitung/ Literatur- & Quellenbericht ........................................................................ 1 A Einleitung.............................................................................................................. 1 B Quellen- und Literaturbericht .................................................................................. 3 II Historischer Rahmen................................................................................................ 10 A Deutschland 1848 ................................................................................................ 10 a) Revolution ....................................................................................................... 10 b)Frühsozialistische Ansätze in der Revolution von 1848 ....................................... 12 c) Reaktion .......................................................................................................... 14 B Wirtschaftliche, industrielle und gesellschaftliche Entwicklung .............................. 14 C Politische Landschaft 1848 - 1878......................................................................... 16 a) Politische Parteien und Organisationen 1848 - 1870er ........................................ 16 b) Die Soziale Frage: Theorie- und Politikansätze .................................................. 23 c) Arbeiterorganisationen ..................................................................................... 28 III Voraussetzungen zur pfälzischen Sozialdemokratie .................................................. 36 A Die Pfalz ............................................................................................................. 36 a) Gebietsgliederung bis zur bayerischen Zeit ........................................................ 36 b) Konfessionelle Durchmischung und politische Gruppierungen ........................... 36 c) Wirtschaftliche Entwicklung bis 1848 ............................................................... 37 B Die Pfalz 1848 ..................................................................................................... 39 a) Die Revolution in der Pfalz ............................................................................... 39 b) Die Rolle der Arbeitervereine in der Revolution................................................. 42 c) Zerschlagung und „Überwintern“ oppositioneller Strukturen .............................. 45 C Wirtschaftliches und gesellschaftliches Umfeld der frühen pfälzischen Sozialdemokratie..................................................................................................... 47 a) Voraussetzungen der pfälzischen Industrialisierung: Pauperisierung und Verkehr 47 b) Industrialisierung und Soziale Frage .................................................................. 49 c) Streikbewegung der 1870er Jahre...................................................................... 52 IV Die frühe pfälzische Sozialdemokratie ..................................................................... 55 A Die Partei ............................................................................................................ 55 a) Die frühe pfälzische Sozialdemokratie im überregionalen Kontext ...................... 55 b) Innerpfälzische Parteiorganisation ..................................................................... 57 c) Agitation ......................................................................................................... 61 B Das regionale Umfeld der pfälzischen Sozialdemokratie......................................... 65 a) Verhältnis zum Staat: Bayerische Innenpolitik ab 1848....................................... 65 b) Verhältnis zu liberalen Gruppierungen und bürgerlichen Kräften ........................ 67 c) Verhältnis zum katholischen Milieu .................................................................. 71 C Sozialdemokratie in den unterschiedlichen Landschaften........................................ 73 a) Wahlkreis 1: Ludwigshafen-Speyer................................................................... 73 b) Wahlkreis 2: Landau-Neustadt.......................................................................... 87 c) Wahlkreis 3: Bergzabern-Germersheim ............................................................. 98 d) Wahlkreis 4: Pirmasens-Zweibrücken ............................................................. 100 e) Wahlkreis 5: Homburg-Kusel ......................................................................... 110 f) Wahlkreis 6: Kaiserslautern-Kirchheimbolanden .............................................. 113 V Ausblick und Schlussbetrachtung ........................................................................... 123 VI Anhang.................................................................................................................... I VI.1 Tabellarischer Anhang ....................................................................................... I VI.2 Bildnachweis ................................................................................................XVI VII Literatur und Quellen ....................................................................................... XVII VII.1 Quellenverzeichnis .................................................................................... XVII VII.2 Sekundärliteratur .......................................................................................... XX I Einleitung/ Literatur- & Quellenbericht A Einleitung Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) ist die älteste noch bestehende Partei der Bundesrepublik und hat mehrere Regierungssysteme überlebt. Dieser Erfolg wurde nur möglich, da sich die Partei anfänglich eine effiziente Parteiorganisation neuartigen Typs gab, die stilprägend wurde für alle Parteien im parlamentarischen System. Später schaffte es die SPD immer wieder, sich unabhängig vom jeweils herrschenden, nicht selten feindlichen Regierungssystem auf einen harten Kern, in ihr Milieu, zurückzuziehen. Im Folgenden soll auf regionaler Ebene untersucht werden, wie sich die Entstehung dieser Partei und ihres Milieus zwischen 1869 und 1878 vollzog. Der zeitliche Rahmen ergibt sich aus den ersten bedeutenderen sozialdemokratischen Parteigründungen 1869 und dem Vollzug des Sozialistengesetzes 1878, da hier eine entscheidende Zäsur in der Parteigeschichte erfolgte. Für diesen Zeitraum sind Aktenbestände verfügbar, die einen relativ genauen Aufschluss über den Verbreitungsgrad sozialdemokratischer Organisationen zulassen. Als sozialmoralisches Milieu bezeichnet der Soziologe Rainer Lepsius ein „soziokulturelles Gebilde“1, welches sich aus verschiedenen strukturellen Bedingungen, wie Religion, regionaler Tradition und ökonomischer Lage ergibt. Das Parteiensystem in Deutschland war nach Lepsius bis in die 1920er Jahre mehr auf Aufrechterhaltung dieser autonomen Milieus ausgerichtet, denn auf die Herbeiführung eines gesamtgesellschaftlichen Konsenses, was für die Demokratie in Deutschland insgesamt dramatische Folgen hatte.2 Gerade die Stabilität der Milieus in Deutschland über einen sehr langen Zeitraum (1871-1928) war für Lepsius Beleg, dass sich im deutschen Parteienwesen strukturelle Konflikte widerspiegelten.3 Für eine parteigeschichtliche Untersuchung kann die Pfalz als „klassischer Fall politischer Landschaftsbildung in Deutschland“4 im Hinblick auf die nationale Entwicklung fast als repräsentatives Beispiel gelten. Konfessionell und wirtschaftlich, aber auch im Hinblick auf die Gleichzeitigkeit von abgeschnittenen ländlichen Gebieten und pulsierenden Industrieregionen vereint diese Region auf kleinem Raum fast die gesamte Bandbreite der von der historischen Parteien- und Wahlforschung ausgemachten Kriterien und Konfliktlinien, anhand derer sich die Parteienbildung in Deutschland vollzog. 1 Siehe Lepsius, M. Rainer: Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge, hrsg. v. W. Abel u.a., Stuttgart 1966, S. 371-393, hier S. 383. 2 Vgl. Lepsius, S. 388-393. 3 Vgl. Lepsius, S. 378/379. 4 Vgl. Bräunche, Ernst Otto: Parteien und Reichstagswahlen in der Rheinpfalz von der Reichsgründung 1871 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer, Bd. 68), Speyer 1982 (Zitiert als: Bräunche, Parteien), S. 1. 1 Nach dem Cleavage-Konzept, das auf die beiden Politikwissenschaftler Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan zurückgeht, gab es vier entscheidenden Konfliktfelder, anhand derer sich das Parteienwesen im 19. Jahrhundert ausdifferenzierte: Der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital, zwischen Kirche und Staat, 5 die unterschiedlichen Interessen von Landwirtschaft und Industrie sowie der Gegensatz von Zentrum und Peripherie. 6 Alle diese Konfliktfelder spielten für die Entstehung der pfälzischen Sozialdemokratie eine entscheidende Rolle. Um ein umfassendes Bild der Parteientstehung zu zeichnen, gilt es also, auch die Strukturen, die diesem Prozess zugrunde lagen, zu beleuchten. Entsprechend ist die regionale Untersuchung der Entstehungsgeschichte in dieser Arbeit zweigliedrig gestaltet. In einem ersten Schritt werden Bevölkerungsentwicklung, wirtschaftliche und soziale Situation sowie die konfessionelle Struktur nachgezeichnet. Daraus wird in einem zweiten Schritt die lokale Herausbildung sozialdemokratischer Organisationsformen erschlossen. Wie Karl Rohe bemerkt, ergab sich die Entstehung der Sozialdemokratie einerseits aus sozialen, andererseits aus kulturellen Motivationslagen. Erstere bezeichnet das Protestpotenzial, das sich aus wirtschaftlichen Gegensätzen ergab, während der kulturelle Zugang sich aus tradierten Protestformen speiste, die vor allem auf die Arbeiterbewegung von 1848 zurückzuführen sind.7 Da sich die Verbreitung der sozialdemokratischen Bewegung, aufgrund der mangelhaften Überlieferung von Mitgliederlisten wenn überhaupt am ehesten an Wahlergebnissen messen lässt, folgt diese Arbeit in ihrer Gliederung der Einteilung der verschiedenen Wahlbezirke in der Pfalz. Diese Vorgehensweise bringt den Vorteil mit sich, dass die statistischen Angaben der königlich bayerischen Verwaltung8 über Bevölkerungsentwicklung, Berufsstruktur und konfessionelle Aufteilung jeweils die Verwaltungsgliederung der Amtsbezirke abbilden, die deckungsgleich mit den Wahlkreisen waren. Gerade in der Frühzeit sozialdemokratischer Organisation ist die Trennung von sozialdemokratischer Parteiarbeit und gewerkschaftlicher Organisation schwierig. Genaue Mitgliederlisten sind nicht erhalten, die Verbreitung sozialistischer Denk- und Politikansätze lässt sich nur erahnen. Daher wurden auch gewerkschaftliche Organisationen in die Betrachtung 5 Gerade in Deutschland ist dieser Konflikt nicht als einen reiner Staat-Kirche-Konflikt zu verstehen, vielmehr spielt der konfessionelle Aspekt im heterogenen Reich unter protestantischer Führung eine Rolle. Es treten an dieser Stelle auch deutlich Elemente des Zentrum-Peripherie-Konflikts zu Tage, vgl. Rohe, Karl: Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland. Kulturelle Grundlagen deutscher Parteien und Parteiensysteme im 19. Und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1992, S. 24. 6 Vgl. Rohe, S. 23/24. 7 Vgl. Rohe, S. 89/90. 8 Königliches statistisches Bureau (Hrsg): Die Ergebnisse der Berufszählung im Königreich Bayern vom 5. Juni 1882, Teil 3. Die bayerische Bevölkerung nach ihrer gewerblichen Thätigkeit = Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern 50 (1886), aufgrund der Darstellung des Zahlenmaterials in der Originalquelle nach Berufsgruppen, nicht nach Bezirken, war die Zitationsweise anhand der Originalquelle nicht praktikabel. Daher verweist diese Arbeit an den entsprechenden Stellen auf die im Anhang wiedergegebene Statistik, (Zitiert als: Berufsstatistik, vgl. Anmerkung S. IV); Königliches statistisches Landesamt (Hrsg.): Das Heimat- und Armenwesen in Bayern. Statistische Unterlagen zur Reform der bayer. Heimat- u. Armengesetzgebung = Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern 83 (1911) (Zitiert als: Statistik Bayerns, Heimatwesen); Königliches statistisches Landesamt (Hrsg.): Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910und dem Gebietsstand vom 1. Juni 1911 = Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern 84 (1911) (Zitiert als: Statistik Bayerns, Gemeindeverzeichnis); Königliches statistisches Landesamt (Hrsg.): Bayern und seine Gemeinden unter dem Einfluß der Wanderungen während der letzten 50 Jahre = Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern 69 (1912) (Zitiert als: Statistik Bayerns, Wanderungen). 2 mit einbezogen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Sozialdemokratie im Untersuchungszeitraum (1869 - 1878) als im Werden begriffene politische Strömung zu verstehen ist, deren Abspaltungsprozess von bürgerlich-liberalen Organisationsformen noch nicht abgeschlossen war, werden, wo dies sinnvoll erscheint, auch liberale Organisationsansätze in der Betrachtung berücksichtigt. Aufgrund der tiefgreifenden Repressionen und Verbote, denen die frühe Sozialdemokratie ausgesetzt war, sowie des teilweise informellen Charakters, den die Parteibildung unter diesen Voraussetzungen haben musste, erscheint es ohnehin zu eng gefasst, sich auf die reine formale Organisationsgeschichte zu beschränken. Gerade um einen Einblick in die Entstehungsgeschichte eines schematisch nur oberflächlich greifbaren heterogenen Milieus zu gewinnen, ist es sinnvoll, unterschiedliche Aspekte zu beleuchten. Programmatisch hat sich die Sozialdemokratie im internationalen Vergleich sehr früh aus der liberalen Bewegung herausgelöst. In einem ersten Teil soll der historische Kontext, aus dem sich diese Spaltung ergab, dargestellt werden. Wichtig zum Verständnis dieses Prozesses ist die Revolution von 1848 (II A) und der wirtschaftlich-soziale Hintergrund (II B), um in einem weiteren Schritt den Ablösungsprozess, die programmatischen Differenzen und deren organisationsgeschichtliche Folgen darzustellen (II C). Es folgt eine genauere Untersuchung der pfälzischen historischen Gegebenheiten (III A) unter besonderer Berücksichtigung der Revolution (III B), um schließlich die weitere wirtschaftliche Entwicklung in den Blick zu nehmen (III C). Der Kernteil dieser Arbeit untersucht zunächst die Parteiorganisation der gesamten Pfalz (IV A), nimmt aber auch das politische Umfeld der Partei in den Blick (IV B). Es folgt die genaue Beschreibung der unterschiedlichen pfälzischen Regionen nach den oben aufgezeigten Kriterien (IV C). B Quellen- und Literaturbericht Es existieren unterschiedliche Studien über die Genese der SPD in allen Regionen der Pfalz, bis zu dieser Arbeit gab es allerdings keinen zusammenfassenden und vergleichenden Überblick auf aktuellem Forschungsstand. In der Hauptsache greift diese Arbeit auf diese Studien zurück unter punktueller Zuhilfenahme von Archivmaterial. Hierfür konnten die Wochenberichte der pfälzischen Regierungspräsidenten von 1869 bis 1874 ausgewertet werden. Darin finden sich vor allem mehr oder weniger detailreiche Berichte zur sozialdemokratischen Versammlungstätigkeit. Daneben wurde auch auf die Polizeiakten in München zurückgegriffen, wobei sich insbesondere die ausführlichen Aufzeichnung zur Umsetzung des Sozialistengesetzes 1878 als hilfreich erwiesen. Weiterhin wurden die im Speyrer Landesarchiv liegenden Akten der Landespolizei ausgewertet. Um mehr Details über lokale Entwicklungen herauszuarbeiten, wäre für die Zukunft die Rezeption der Polizeiakten einzelner Bezirke sowie der unterschiedlichen Stadtarchive der Pfalz 3 wünschenswert. Eine dahingehende Verbreiterung der Quellenbasis hätte allerdings den Rahmen dieser Arbeit deutlich gesprengt. Im Hinblick auf die lokale Parteigeschichte hat sich der Autor auf die zahlreichen Publikationen zu verschiedenen Ortsvereinen verlassen. Zu nennen wären noch verschiedene Erinnerungsbände aus den 1920er Jahren. Als besonders hilfreich erwiesen sich hier die Beiträge von Jean Feldmüller9 aus Pirmasens sowie von Josef Queva,10 der in der frühen vorderpfälzischen Bewegung eine tragende Rolle innehatte. Besonders zu beachten ist Erich Schneiders Dissertation11 über die Anfänge der sozialistischen Arbeiterbewegung in der Rheinpfalz von 1956, bis heute das umfassendste Werk über die Genese der pfälzischen Sozialdemokratie. Als Beitrag zu einer allgemeineren Parteiengeschichte im süddeutschen Raum gedacht, ein Unternehmen, dass zumindest für die Pfalz später von Ernst Otto Bräunche in Angriff genommen wurde,12 leistete Schneider Basisarbeit, an die alle späteren Werke zum Thema anknüpften. Von den Wochenberichten nach München, die Eingang in die vorliegende Arbeit gefunden haben, und den Wochenberichten der Bezirke nach Speyer, die zur Grundlage zukünftiger Forschung taugen könnten, einmal abgesehen, hat Schneider im Wesentlichen die wichtigsten Quellen zur Geschichte der pfälzischen Sozialdemokratie verarbeitet und damit die Grundlage der darauf folgenden Parteiengeschichte gelegt. Daneben gesondert hervorzuheben ist Willi Breunigs Studie über soziale Verhältnisse der Arbeiter und sozialdemokratische Organisation in Ludwigshafen. 13 Breunig legt den Schwerpunkt auch auf die Sozialgeschichte der frühen Industrialisierung, einen Aspekt, der bei Schneider insgesamt eher zu kurz kommt. Insbesondere zu den Lebens- und Arbeitsverhältnissen innerhalb der BASF verschafft Breunig, der umfangreiche Quellenbestände erschlossen hat, einen vertieften Einblick. Jedoch auch im Hinblick auf die lokale Organisationsgeschichte hat Breunig die bei Schneider niedergelegten Erkenntnisse mit vielen Quellen aus den Ludwigshafener Archiven erweitert. Weiterhin positiv hervorzuheben ist bei Breunig das umfangreich zusammengetragene Zahlenmaterial im Anhang. Zum 110-jährigen Bestehen der Neustädter SPD 1985 veröffentlichte Gerhard Wunder eine kompakte Geschichte des Ortsvereins.14 Dieser Band beschränkt sich weitestgehend auf die sozialdemokratische Organisationsgeschichte und behandelt sozialgeschichtliche Fragen nur am Rande. Gerade im Hinblick auf die Themensetzung der vorliegenden Arbeit 9 Feldmüller, Jean: Die Arbeiterbewegung in der Pirmasenser Schuhindustrie, in: Bei Uns Daheim 6 (1930), S. 21-134. Queva, Josef: Auf geht die Saat, in: Bei Uns Daheim 4 (1928), S. 13-64. Schneider, Erich: Die Anfänge der sozialistischen Arbeiterbewegung in der Rheinpfalz 1864-1899. Ein Beitrag zur süddeutschen Parteiengeschichte, Mainz 1956 (Zitiert als: Schneider, Arbeiterbewegung). 12 Bräunche, Parteien. 13 Breunig, Willi: Soziale Verhältnisse der Arbeiterschaft und sozialistische Arbeiterbewegung in Ludwigshafen am Rhein 1869-1919 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Ludwigshafen am Rhein, Bd. 5), Ludwigshafen 1990 (2.Auflage). 14 Wunder, Gerhard: Die Sozialdemokratie in Neustadt an der Weinstraße seit 1832. Zum hundertzehnjährigen Bestehen des Ortsvereins 1875 bis 1985, Neustadt 1985 (Zitiert als: Wunder, Neustadt). 10 11 4 erwies sich Wunders Ansatz, auch die Vorgeschichte der Sozialdemokratie in der Region zu behandeln, allerdings als äußerst hilfreich. Weitere umfassendere Werke zur Entstehung der Sozialdemokratie auf lokaler Ebene bieten Werner Dietrich,15 der den Fokus für den Raum Neustadt auch auf gewerkschaftliche Organisationen erweitert sowie Michael Ebenau und Alfred Kuffler mit ihrem Werk über Frankenthal.16 Dietrichs Verdienst liegt darin, dass er es schafft, die kommunenübergreifende Entwicklung im ländlichen Raum um Neustadt herum darzustellen. Seine Arbeit befasst sich gesondert mit der gewerkschaftlichen Organisationsgeschichte, die allerdings gerade in der Frühzeit eng an die der Partei angeschlossen war. Allerdings liegt bei Kuffler und Ebenau das Hauptaugenmerk auf einer späteren Phase der Parteigeschichte. Für die hier betrachtete frühe Periode bieten sie nur wenig neue Erkenntnisse. Beide Arbeiten machen jeweils in einem umfangreichen Anhang viele Quellen zugänglich. Etwas kompakter, nahe an wenigen, aber gut ausgewählten und anschaulich editierten Quellen ist Gerhard Herzogs Frühgeschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Kaiserslautern.17 Neben einem kurzen, aber instruktiven Exkurs zu den sozialen Zuständen in der damals noch größten Stadt der Pfalz bietet Herzog eine kompakte aber faktenreiche Schilderung der frühen sozialdemokratischen Organisationsgeschichte auf lokaler Ebene. In Anbetracht der Bedeutung der Partei für die Stadtgeschichte relativ bescheiden nimmt sich die Erschließung des Themas für Pirmasens aus. Neben den Lebenserinnerungen Jean Feldmüllers18 bietet lediglich eine Serie von Zeitungsartikeln aus den 1980er Jahren, basierend auf einem Vortrag von Erwin Stein, einen Einblick in die Frühgeschichte der Pirmasenser SPD.19 In jüngster Zeit erschien ein Sammelband zum Thema, herausgegeben von Gerhard Nestler und Manfred Geiß, der mit vielfältigen Beiträgen zur Geschichte der pfälzischen SPD aufwartet.20 Dabei handelt es sich allerdings meist um gekürzte Fassungen von anderweitig verfügbaren Beiträgen. Dennoch bietet dieses Werk einen umfassenden Einblick und weiß auch durch einige gänzlich neue Forschungen zu überzeugen. Insbesondere die ausführliche Bibliographie im Anhang dieses Bandes erwies sich als äußerst hilfreich, um den bisherigen Forschungsstand zu erschließen. 15 Dietrich, Werner A.: In der Einigkeit liegt die Kraft. Geschichte der Arbeiterbewegung in der Region Neustadt/ Südpfalz 1832-1984, Neustadt 1991 (Zitiert als: Dietrich, Einigkeit). 16 Ebenau, Michael / Kuffler, Alfred: Es gilt den Kampf. Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Frankenthal 1832-1949, Kösching 1984. 17 Herzog, Gerhard: Die Anfänge der Arbeiterbewegung und die Gründung der SPD in Kaiserslautern. 1867-1905 (Schriften zur Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern, Bd. 13), Otterbach 1974. 18 Feldmüller. 19 Stein, Erwin: Aus dem Wahlverein wurde die SPD, in: Die Rheinpfalz, Ausgabe Pirmasens, Nr. 263 vom 10.11.1984. 20 Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999. 5 Weiterhin gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten zur Frühgeschichte einzelner Ortsvereine.21 Daneben existieren einige Jubiläumssbände mit sehr unterschiedlicher Qualität, meist von Ortsvereinen zu Jahrestagen ihrer Gründung herausgegeben.22 Insgesamt sind die wichtigsten Entwicklungen der frühen sozialdemokratischen Bewegung von der Forschung bereits abgebildet. Allerdings konnten insbesondere im Bezug auf die Sozialdemokratie der 1870er Jahre in Kirchheimbolanden, Pirmasens und Dürkheim im Rahmen dieser Arbeit einige Lücken durch die Auswertung archivalischer Bestände geschlossen werden. Joachim Kermann beklagte noch 1976 die unzureichende Würdigung sozialgeschichtlicher Fragestellungen im Zusammenhang mit der pfälzischen Frühindustrialisierung.23 In der Zwischenzeit hat er selbst einiges zur Behebung dieses Missstandes beigetragen.24 Die bereits erwähnte Arbeit Willi Breunigs über Arbeiterschaft und soziale Verhältnisse in Ludwigshafen leistete in diesem Themenfeld weitere Grundlagenforschung, für Speyer existiert ein instruktiver, wenngleich weniger umfassender Beitrag von Wolfgang Hartwich.25 Außerhalb des Teilbereichs der Sozialgeschichte ist die Industrialisierung in der Pfalz insgesamt von der wirtschaftshistorischen Literatur relativ gut erschlossen.26 Nur auf lokaler Ebene lässt die Literatur teilweise noch zu wünschen übrig. Für Kaiserslautern existiert aus der Feder von Werner Weidmann eine eingehende Untersuchung.27 Weniger umfangreich ist die Sekundärliteratur über dieses Themenfeld für die anderen pfälzischen Städte. Von Spezialstudien über die Pirmasenser Schuhindustrie28 einmal abgesehen, ba21 Bräunche, Ernst Otto: Landauer Parteien, in: Landau 1900- Landau 2000. Menschen, Divisionen, Visionen, hrsg. v. M. Martin, Edenkoben 2001, S. 59-68 (Zitiert als: Bräunche, Landau); Staudt, Michael: „Königstreu und reaktionär“. Soziale Frage und Arbeiterbewegung in Zweibrücke 1870-1914, in: Zweibrücken 1793 bis 1918. Ein langes Jahrhundert, hrsg. v. C. Glück-Christmann, Blieskastel 2002, S. 480-493 (Zitiert als: Staudt, Zweibrücken); Weber, Sascha: Die Geschichte der Sozialdemokratie in Germersheim. Von ihren Anfängen am Vorabend des Ersten Weltkrieges bis zu ihrem Untergang im NSStaat, in: MHVPf 109 (2011), S. 129-168. 22 Zu nennen wären hier: o.Verf.: 60 Jahre SPD-Ortsverein Homburg. Festschrift zu den Jubiläumstagen 3. Bis 10. Juni 1972, Homburg o. J. (1972) (Zitiert als: 60 Jahre SPD Homburg); Rehberger, Reinhold: Am Anfang waren es Neun. Über die Geschichte des SPD-Ortsvereins Rockenhausen und die politisch-wirtschaftliche Entwicklung der Nordpfalz (1850-1948), Rockenhausen 1976 (Zitiert als: Rehberger, Anfang); Theisohn, Hans: 110 Jahre Sozialdemokratie in Haßloch, Neustadt 1984; 125 Jahre Sozialdemokratie in Speyer. Beiträge zur Geschichte der SPD in Speyer, Speyer 1997 und 1898-1978. 80 Jahre SPD Bad Dürkheim, o. O., o. J. (1978). 23 Vgl. Kermann, Joachim: Vorschriften zur Einschränkung der industriellen Kinderarbeit in Bayern und ihre Handhabung in der Pfalz. Ein Beitrag zur Entwicklung der bayerischen Arbeitsschutzgesetzgebung im 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 2 (1976), S. 311-374 (Zitiert als: Kermann, Vorschriften), hier S. 313-315. 24 Kermann, Joachim: Wirtschaftliche und soziale Probleme in der bayerischen Pfalz an der Schwelle des Industriezeitalters, in: Sozialhistorische und produktionstechnische Probleme der Mechanisierung der Volkswirtschaft im 19. Und 20. Jahrhundert, in: Hefte zur Wirtschaftsgeschichte 4 (1991), S. 151-188 (Zitiert als: Kermann, Probleme) und Kermann, Joachim: Wirtschaft und Verkehr im 19. Jahrhundert, in: Pfälzische Geschichte Bd. 2, hrsg. v. K. Rothenberger u.a., Kaiserslautern 2001, S. 129-151 (Zitiert als: Kermann, Verkehr). 25 Hartwich, Wolfgang: Zur Sozialgeschichte Speyers unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts, in: MHVPf 77 (1979), S. 319-338. 26 Rothenberger, Karl-Heinz: Die Dampfmaschine in der Pfalz (1833-1996). Künstliche Energie und Industrialisierung, in: MHVPf 95 (1997), S. 293-344; Weidmann, Werner: Schul-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Pfalz Bd. 1, Otterbach 1999 (Zitiert als: Weidmann, Schulgeschichte); Wysocki, Josef: Die pfälzische Wirtschaft von den Gründerjahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Beiträge zur pfälzischen Wirtschaftsgeschichte (= Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer Bd. 58), Speyer 1968, S. 213-251. 27 Weidmann, Werner: Schwerpunkte wirtschaftlicher Entwicklung in Stadt und Landkreis Kaiserslautern seit 1818, in: Jahrbuch zur Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern 6 (1968), S. 17-45 (Zitiert als: Weidmann, Schwerpunkte). Zur Kaiserslauterer Wirtschaftsgeschichte vgl. auch Haan, Heiner: Die Wirtschaftsstruktur der Stadt und des Landkreises vor 150 Jahren, in: Jahrbuch zur Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern 6 (1968), S. 1-12. 28 Wagner, Michael: Die Entstehung der südwestdeutschen Industrieregion um Pirmasens (1790-1918), in: Vom Zukunfthandwerk zum modernen Industriebetrieb. Schuhe und Schuherstellung in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. v. W. Schächter und M. Wagner, Hauenstein 1998, S. 23-44. 6 siert der wirtschaftshistorische Teil dieser Arbeit vorwiegend aus mehr oder weniger umfassenden Teilen der allgemeineren heimatgeschichtlichen Literatur.29 In Bezug auf die pfälzische Revolution hält sich diese Arbeit weitestgehend an Hans Fenskes Darstellung der Ereignisse in der Pfalz von 1848/49.30 Im Hinblick auf das in dieser Zeit auflebende Vereinswesen erwies sich der Beitrag von Karsten Ruppert aus dem gleichen Sammelband als überaus hilfreich.31 Auch wenn Rupperts Einschätzungen, gerade was die Programmatik und Tragweite der frühen sozialistischen Ansätze innerhalb der Revolution angeht, deutlich zu wünschen übrig lassen, überzeugt der Beitrag durch akribische Auswertung und Darstellung weitreichender Quellen. Die Einordnung der sozialistischen Fraktion der pfälzischen Revolution in den breiteren Kontext einer Geschichte der Arbeiterbewegung ist bei Bernd Schwarzwälder32 und Kurt Baumann33 deutlich besser gelungen. In Anbetracht der Zielrichtung insbesondere auf den linken Neustädter Arbeiterverein von 1848/49 bei Schwarzwälder und bei Baumann auf die radikal dominierte Volkserhebung ist dies jedoch kaum verwunderlich. Ruppert hingegen bemüht sich um die Darstellung der gesamten Bandbreite des pfälzischen Vereinswesens, insofern ist die mangelhafte Einschätzung eines Teilbereichs in diesem Themengebiet durchaus verzeihlich. Für den breiten historischen Überblick wurde in dieser Arbeit auf Thomas Nipperdeys dreibändige deutsche Geschichte zurückgegriffen, 34 auch Nipperdeys Standartwerk zur Organisationsgeschichte des deutschen Parteienwesens35 erwies sich an vielen Stellen als Stütze. Eine abschließende Erschließung der Literatur über die frühe Sozialdemokratie auf überregionaler Ebene erweist sich in Anbetracht der schieren Menge als geradezu unmöglich und wäre zweifellos mehr als genug Stoff für eine Reihe akademischer Abschlussarbeiten. Wie Jonathan Sperber richtig anmerkt, ist über die Sozialdemokratie wahrscheinlich mehr geschrieben worden als über alle anderen politischen Parteien im deutschen Reich zusammen. 29 Fenske, Hans: Speyer im 19. Jahrhundert (1814-1918), in: Die Geschichte der Stadt Speyer Bd. 2, hrsg. v. Stadt Speyer, Stuttgart 1982, S. 115-290 (Zitiert als: Fenske, Speyer); Schlegel, Wolfgang/ Zink, Albert: 150 Jahre Landkreis Kusel. Beiträge zur Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte von 1818-1968, hrsg. v. Landkreis Kusel, Otterbach 1968; Zapp, Hans Ulrich: Die wirtschaftliche Entwicklung Neustadts seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts. Von den Anfängen der Industrialisierung bis zur Währungsreform 1948, in: Neustadt an der Weinstraße. Beiträge zur Geschichte einer pfälzischen Stadt, hrsg. v. der Stadt Neustadt an der Weinstraße, Neustadt 1975, S. 523-550. 30 Fenske, Hans: Deutschland 1848/49. Ereignisse und Probleme, in: Die Pfalz und die Revolution 1848/49 Bd. 1, hrsg. v. H. Fenske u.a., Kaiserslautern 2000, S. 9-54 (Zitiert als: Fenske, Deutschland 48/49). 31 Ruppert, Karsten: Die politischen Vereine der Pfalz in der Revolution 1848/49, in: Die Pfalz und die Revolution 1848/49 Bd. I, hrsg. v. H. Fenske u.a., Kaiserslautern 2000, S. 57-242. 32 Schwarzwälder, Bernd: Frühe „Arbeiterbewegung” in Neustadt an der Hardt, in: MHVPf 81 (1983), S. 371-405. 33 Baumann, Kurt: Volkserhebung und Konspiration in der pfälzischen Bewegung von 1848/49, in: MHVPf Bd. 68, Speyer 1970, S. 292-317 (Zitiert als: Baumann, Volkserhebung); Baumann, Kurt: Proletarische Strömungen in der pfälzischen Bewegung von 1848/49, in: Bei Uns daheim 5 (1929), S. 9-15, 22-23 (Zitiert als: Baumann, Proletarische Strömungen). 34 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1998 (Sonderausgabe) (Zitiert als: Nipperdey, 1800-1866); Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1890 Bd. 1. Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1998 (Sonderausgabe) (Nipperdey, 1866-1890 I); Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1890 Bd. 2. Machtstaat vor der Demokratie, München 1998 (Sonderausgabe) (Zitiert als: Nipperdey, 1866-1890 II). 35 Nipperdey, Thomas: Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 18), Düsseldorf 1961 (Zitiert als: Nipperdey, Parteien). 7 Das anhaltende Interesse am Forschungsgegenstand ergibt sich einerseits aus den dramatischen Bedingungen, unter denen sich die SPD gegen massive gesellschaftliche Widerstände als Partei der Ausgeschlossenen enorm stark entwickelte, und andererseits aus der weitreichenden Bedeutung der Partei für die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Allein die Spaltungstendenzen innerhalb der Arbeiterbewegung, die sich letztlich bis in die Spaltung Deutschlands in zwei Staaten fortwirkten, waren Gegenstand einer schier unüberschaubaren Masse historischer Literatur.36 Deswegen muss sich die Darstellung des Forschungsstands an dieser Stelle auf die hier genutzten Werke beschränken. Davon am oberflächlichsten nimmt sich die Biografie eine Partei von Franz Walter aus.37 Die Themenwahl dieser pointierten Darstellung erscheint mehr dem Zweck der unterhaltsamen Nacherzählung als ernsthaftem wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse geschuldet. Da es sich alles in allem mehr um ein journalistisches denn um ein wissenschaftliches Werk handelt, mag der historisch interessierte Leser darüber hinweggehen. Für einen profunden Einblick in die Frühgeschichte ist das Buch deutlich zu kurz. Inhaltlich deutlich ausgefeilter nimmt sich Helga Grebings Geschichte der Arbeiterbewegung38 aus. In chronologisch untergliederten Kapiteln widmet sich die Autorin immer jeweils zunächst dem ökonomisch-politischen Rahmen, stellt danach die ideengeschichtlichen Ansätze des jeweiligen Zeitalters dar, um in einem letzten Schritt auf die Organisationsgeschichte im Einzelnen zu kommen. Da es sich dabei mehr um ein Überblickswerk handelt, ist die Darstellung nicht immer in allen Einzelheiten befriedigend. Beispielsweise fällt die Bedeutung des Nationalvereins für die Entstehung des deutschen Parteienwesen gänzlich unter den Tisch — ein Mangel, der in Anbetracht der Kompaktheit des Werks und der Konzentration auf die genuine Arbeiterbewegung verzeihlich ist. Um in Kürze einen fundierten Einblick in die Thematik zu gewinnen, ist Grebings Geschichte der Arbeiterbewegung jedenfalls Franz Walters Biografie einer Partei vorzuziehen. Deutlich fundierter, aber auch um Längen umfänglicher sind die Werke von Shlomo Na’Aman 39 und Thomas Welskopp 40 zur Frühgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Dabei bietet Na’Aman eine eher klassische politische Geschichte mit Blick auf die handelnden Personen, während Welskopp eine sozialgeschichtliche Analyse betreibt. Dabei bedient sich Welskopp leider an vielen Stellen einer langatmigen und unnötig komplizierten Ausdrucksweise. Vgl. Sperber, Jonathan: The Kaiser’s voters. Electors and elections in Imperial Germany, Cambridge 1997, S. 35/36. Walter, Franz: Die SPD. Biographie einer Partei, Berlin 2011 (2. Aufl.). 38 Grebing, Helga: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Frankfurt 1975 (6. Aufl.) (Zitiert als: Grebing, Arbeiterbewegung). 39 Na’Aman, Shlomo: der deutsche Nationalverein. Die politische Konstituierung des deutschen bürgertums 1859-1867 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 81), Düsseldorf 1987 (Zitiert als: Na’Aman, Konstituierung); Na’Aman, Shlomo: Lassalle, Hannover 1970 (2. Auflage) (Zitiert als: Na’aman, Lassalle). 40 Welskopp, Thomas: Das Banner der Brüderlichkeit. Die deutsche Sozialdemokratie vom Vormärz bis zum Sozialistengesetz (Historisches Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 54), Bonn 2000. 36 37 8 Punktuell orientiert sich die vorliegende Arbeit weiterhin an Werner Conzes und Dieter Grohs Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung. 41 Um die nicht unbedeutende DDR-Historiographie zu diesem Thema nicht ganz außen vor zu lassen — darf die Geschichte der Arbeiterbewegung doch als Königsdisziplin der DDR-Geschichtsschreibung gelten — fanden auch Teile von Dieter Frickes Handbuch zur deutschen Arbeiterbewegung42 Eingang in diese Arbeit. Dabei erwies sich die saubere Quellenarbeit in diesem Werk als sehr hilfreich. Für Forscher jüngerer Generationen zunächst überraschend ist hier die einseitige Positionierung des Autors auf Seiten der Eisenacher sozialdemokratischen Richtung und die Ablehnung Lassalles. Eine Ansicht, die sich für die marxistischleninistische Geschichtswissenschaft wahrscheinlich aus der Nähe zwischen Karl Marx und Eisenacher Partei ergab. 41 Conze, Werner / Groh, Dieter: Die Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung. Die deutsche Sozialdemokratie vor, während und nach der Reichsgründung (Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, hrsg. v. Werner Conze, Bd. 6), Stuttgart 1966. 42 Fricke, Dieter: Handbuch zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1869-1917, Berlin (Ost), 1987. 9 II Historischer Rahmen A Deutschland 1848 a) Revolution Eine Entstehungsgeschichte der SPD muss die gescheiterte Revolution von 1848 als Ausgangspunkt nehmen. Zweifellos sind die ersten sozialistischen Ansätze älter. Büchners hessischer Landbote und die christlich geprägte Vision einer kommunistischen Zukunft Weitlings aus den 1830er Jahren sind Beispiele aus dem zeitlich und örtlich näheren ideengeschichtlichen Kontext.43 Auch Handwerkertraditionen, die teilweise bis in Mittelalter zurückreichen, prägten die frühe Sozialdemokratie in erheblichem Maße. Das einschneidenste Ereignis für die Gründergeneration der deutschen Sozialdemokratie als Partei bleibt jedoch die gescheiterte Revolution von 1848. Die grundlegenden politischen Fragen, die im Zuge des Umbruchs 1848 in der Luft lagen, aber nicht gelöst wurden, drehten sich um drei Aspekte: nationale Einheit, verfassungsrechtliche Ausgestaltung persönlicher politischer Freiheit und damit einhergehend eine Demokratisierung sowie, zumindest bereits in Ansätzen, die Soziale Frage. Die durch Missernten und Kartoffelkrankheiten prekäre Ernährungssituation in den 1840er Jahren war allerdings nicht der Auslöser für die Ereignisse von 1848/49. Die soziale Situation stand keineswegs im Zentrum der revolutionären Forderungen, vielmehr waren die Fragen nach Einheit und Freiheit in Deutschland die wichtigsten Triebfedern der Bewegung. Diese hatten bereits seit Jahrzehnten die Bestrebungen bürgerlich-liberaler Politiker im Land angetrieben, als diese sich durch den Aufstand in Paris im Februar 1848 unverhofft in der Offensive wiederfanden. Die Ereignisse in Frankreich verdeutlichten, wie labil der obrigkeitsstaatliche Machtapparat der noch überwiegend adeligen Herrschaft geworden war. Für die Liberalen bot sich somit die Chance, durch eine parlamentarische Offensive ihre Projekte, nationale Einheit und freiheitliche Verfassung, voranzutreiben.44 Das progressive Lager im Deutschland jener Zeit umfasste zwei Strömungen, die oft mehr gegeneinander als miteinander agierten. Einerseits gab es die bürgerlichen Liberalen, die durchaus an einer Demokratisierung interessiert waren, diese jedoch nicht notwendigerweise auf wirtschaftlichem Gebiet und schon gar nicht auf revolutionäre und somit ungesetzliche Art und Weise erstrebten. Daneben erlebte im Frühjahr 1848 eine grundsätzlichere, radikalere Opposition einen enormen Aufschwung. Aufgrund ihrer feindseligen Haltung gegenüber den Regierungen waren diese politischen Aktivisten aber noch kaum in den bestehenden politischen Prozess integriert. Sie fanden weniger Resonanz in der bürgerlichen Öffentlichkeit und waren dementsprechend in den Repräsentationsorganen schwächer 43 44 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 25-28. Vgl. Fenske, Deutschland 48/49, S. 12/13. 10 vertreten. Sie suchten vermehrt den direkten Kontakt zum Volk über Versammlungen und Demonstrationen und hatten weniger Berührungsängste vor revolutionärem Handeln.45 Insbesondere nahe der französischen Grenze in Baden, fanden die Pariser Aufstände schnell ein Echo in Form von öffentlichen Versammlungen. Die erste größere Demonstration ereignete sich am 27. Februar 1848 in Mannheim, wo Forderungen nach einem nationalen Parlament, Volksbewaffnung, Pressefreiheit und der Einführung von Schwurgerichten formuliert wurden.46 Für die liberalen Reformer war die Drohung einer revolutionären Umwälzung mehr ein letztes Mittel, um Regierungen unter Druck zu setzen, als eine reale Option. Am 5. März 1848 forderten 51 Repräsentanten, die sich in Heidelberg versammelt hatten, begleitet von einer großen Menschenansammlung die Schaffung einer Nationalversammlung zur Ausarbeitung einer einheitlichen deutschen Nationalverfassung. Die Rechnung schien zunächst aufzugehen: Eingeschüchtert durch die Ereignisse in Frankreich und die zunehmenden Demonstrationen in ganz Europa machten die Herrscher des Dritten Deutschlands schnell weitgehende Zugeständnisse. Auch in Preußen und Österreich sah es zunächst danach aus, als hätten die Liberalen nun endgültig in der Regierung das Heft des Handelns in der Hand. So ließ sich in Wien der konservative Staatskanzler Graf von Metternich am 15. März zum Rücktritt bewegen, und in Berlin äußerte der preußische König Zustimmung zu einer einheitlichen Verfassung für alle deutschen Länder.47 Die verfassungsgebende Versammlung wurde schließlich im Mai gewählt und nahm in der Frankfurter Paulskirche ihre Tätigkeit auf. Daneben blühte im Frühjahr 1848 das politische Leben in Publizistik und Vereinen in ganz Deutschland auf. Wie Fenske aufrechnet, beteiligte sich wahrscheinlich jeder vierte Deutsche im Jahr 1848 an mindestens einer der ca. 30.000 Petitionen, die den Weg nach Frankfurt fanden. Aber auch Tumulte, Straßen- und Arbeitskämpfe, nicht selten Maschinenstürme, Übergriffe auf Grundherren und in einigen Fällen auf die jüdische Bevölkerung häuften sich im ganzen Land. Die Radikalen konnten durch eifrige politische Tätigkeit ihr Gewicht in Publizistik und politischen Vereinen vervielfachen. In einigen Regionen, unter anderen in der Pfalz, wurden sie zeitweise zur „relativ stärksten politischen Kraft.“ 48 In Südwestdeutschland und Österreich kam es allerdings schon im Sommer 1848 zu ersten gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Aufständischen und dem Militär. Insbesondere den radikalen revolutionären Kräften ging die nach zähen Verhandlungen fortschrittliche, aber dennoch monarchische Paulskirchenverfassung nicht weit genug. Sie wollten die Republik, wenn nötig durch einen Volksaufstand, fanden 45 Vgl. Fenske, Deutschland 48/49, S.15. Vgl. Ruppert, S. 61. 47 Vgl. Fenske, Deutschland 48/49, S. 16-18. 48 So zumindest Fenske, Deutschland 48/49, S. 22. Bei anderen Autoren findet sich gerade im Bezug auf die Pfalz allerdings auch eine gegenteilige Auffassung. Nach Baumanns Urteil blieb „die radikale Richtung ohne nennenswerten Einfluß.“ Siehe Baumann, Proletarische Strömungen, S. 14. 46 11 damit aber keine ausreichende Resonanz innerhalb der Bevölkerung.49 Die Situation spitzte sich zu. In Wien ging die Regierung militärisch gegen die Aufstände vor. Insbesondere die rechtswidrige Erschießung Robert Blums im November 1848 erregte in der Folgezeit die liberal gesinnten Gemüter in Deutschland.50 Währenddessen debattierte das Parlament in Frankfurt bis März 1849. Die Fürsten, durch erfolgreiche militärische Operationen gegen die vereinzelten Aufstände gestärkt, sahen sich jedoch nicht mehr genötigt, die endlich fertiggestellte Verfassung anzunehmen. Das Parlament brach auseinander. Ein Teil der Abgeordneten zog sich ganz zurück, andere, darunter alle pfälzischen Abgeordneten, führten im Stuttgarter Rumpfparlament ihre Arbeit fort. Der Konflikt zwischen Revolution und Reaktion wurde fortan mit militärischen Mitteln ausgetragen. Ein ungleicher Kampf, den die disziplinierten und gut ausgerüsteten regulären Regierungstruppen der Fürsten leicht für sich entscheiden konnten. Lediglich in Baden war die revolutionäre Bewegung stark genug, um sich länger zu halten. Dort schlossen sich große Teile des Militärs der Revolution an, der Großherzog Leopold ging ins Exil. Auf der anderen Rheinseite, in der vom Mutterland getrennten bayerischen Pfalz hatte die Entwicklung Badens einen erheblichen Einfluss, die provisorische Regierung sagte sich von München los, es folgte der Anschluss an die badische Revolution. Doch die militärische Übermacht Bayerns, unterstützt durch preußische Truppen, war erdrückend. Bis Juni 1849 wurde der Aufstand niedergeschlagen.51 b)Frühsozialistische Ansätze in der Revolution von 1848 Der radikale Zweig der revolutionären Bewegung umfasste im Wesentlichen zwei Gruppen von politischen Akteuren. Erstens strömten die radikalen Vordenker der Revolution aus dem Exil zurück nach Deutschland, die die deutschen Staaten aufgrund des strikt obrigkeitsstaatlichen Klimas vor 1848 verlassen hatten. Im Exil hatten sie sich allerdings gesammelt und organisiert, Zentren dieser Gruppierungen waren die Weltstädte London und Paris, aber auch in der Schweiz fanden viele deutsche Oppositionelle politisches Asyl. Andererseits waren 1848 auch erste frühsozialistische Organisationsansätze von Arbeitern und Nichtprivilegierten zu beobachten. Um 1840 herum gab es 20.000 bis 30.000 deutsche Handwerksgesellen in der Schweiz und in Paris, jedoch waren nur einige hundert von ihnen in den frühsozialistischen Vereinen organisiert. Dennoch darf der Einfluss dieser auf Demokratie, Freiheit und soziale Gleichheit zielenden Vereinigungen auf die Handwerker nicht unterschätzt werden. 1835 verab- 49 Vgl. Fenske, Deutschland 48/49, S. 21/22. Vgl. Ziegler, Hans: Landau in der Vormärzzeit und im Jahre des pfälzischen Aufstandes 1849, in: MHVPf 61 (1963), S. 201-223 (Zitiert als: Ziegler, Landau), Landau, S. 212. 51 Vgl. Fenske, Deutschland 48/49, S. 36-45. 50 12 schiedete der Deutsche Bund gar ein Ausreiseverbot in die Schweiz und Frankreich, um die Verbreitung revolutionärer Ideen einzudämmen.52 Zu den heute bekanntesten und schon damals einflussreichsten Vereinen gehörte der 1835 in Paris gegründete Bund der Geächteten. Aus diesem ging 1847 in London der Bund der Kommunisten hervor, ideologisch maßgeblich geprägt von Karl Marx und Friedrich Engels, deren Einfluss auf die Bewegung als Ganze sich jedoch noch bescheiden ausnahm. Neben London und Paris war das schweizerische Genf schon Mitte des 19. Jahrhunderts eine wichtige Anlaufstelle für derartige Gruppierungen.53 Die oben genannten Geheimbünde konnten in der Revolution von 1848 in manchen Regionen eine beherrschende Stellung einnehmen, daneben hatten sich in der frühen 1840er Jahren in Hamburg, Sachsen und im Rheinland Vereine unter bürgerlicher Federführung gebildet, um der liberal-demokratischen Idee eine Massenbasis zu verschaffen. Die vereinsintern praktizierte Demokratie gewann an Eigenwert und wurde in diesen Gruppierungen schnell zum Modell für die Organisation der gesamten Gesellschaft.54 Daneben entstanden 1848, hauptsächlich von Handwerksgesellen getragen, weitere Arbeitervereine, die Arbeitsvermittlung und ein soziales Sicherungsnetz für ihre Mitglieder organisierten.55 Die Vernetzung dieser frühsozialistischen Vereine auf nationaler Ebene nahm 1848 konkrete Züge an. Eine Föderation der deutschen Arbeitervereine, zunächst als soziales Gegenparlament geplant, entstand die Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung mit Sitz in Leipzig.56 Die Organisation stellte sich 1849 hinter die Reichsverfassung und sympathisierte mit den Linken im Paulskirchenparlament. Gerhard Schildt beschreibt die Arbeiterverbrüderung als „janusköpfig“57, rückwärtsgewandt knüpfte sie an die Traditionen der Gesellenbruderschaften an, für die Zukunft nahm sie die Tätigkeit von Gewerkschaften und sozialdemokratischer Partei vorweg und wirkte auf ein sozialstaatlich ausgerichtetes, demokratisch organisiertes Gemeinwesen hin.58 Auch wenn sich hier qualifizierte Handwerker organisierten, die sich dem eigentlichen Lumpenproletariat durchaus überlegen fühlten, so erfolgte 1848 dennoch ein „Durchbruch“59 zu einem neuen politischen Selbstbewusstsein der Werktätigen. Auch der Dualismus zwischen dem revolutionären und dem revisionistischen Lager, der innerhalb der sozialistischen Bewegung auf lange Zeit ein wichtiger Faktor bleiben sollte, hat 1848 sei- 52 Vgl. Schildt, Gerhard: Die Arbeiterschaft im 19. Und 20. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 36), München 1996, S. 8. 53 Vgl. Welskopp, S. 29/30. 54 Vgl. Welskopp, S. 31. 55 Vgl. Schildt, S. 9. 56 Vgl. Welskopp, S. 31-33. 57 Siehe Schildt, S. 9. 58 Vgl. Schildt, S. 9. 59 Siehe Grebing, Arbeiterbewegung, S. 45. 13 nen Ursprung.60 Die Arbeiterverbrüderung und das Netz von 170 Arbeitervereinen in allen Ecken des deutschen Reichs waren die Blaupausen der Vorfeldorganisationen zur SPD ab den 1860er Jahren. 1849 wurde die Arbeiterverbrüderung Opfer des strikten Vereinsgesetzes im Zuge der Reaktion. Wenige Ortsvereine konnten sich noch bis 1854 halten, als das Verbot im gesamten deutschen Bund einheitlich rechtlich fixiert wurde.61 c) Reaktion Auch auf verfassungsrechtlicher Ebene folgte eine Reaktionsperiode. Koordiniert durch den Deutschen Bund, wurden die liberalen Elemente der Konstitutionen (Budgetrecht der Parlamente, Wahlrecht und Pressefreiheit) deutschlandweit in relativ einheitlicher Weise beschnitten. Lediglich Baden verfolgte einen etwas stärker auf Ausgleich ausgerichteten Kurs und verzichtete auf Verfassungsänderungen.62 Ein Großteil der Revolutionäre, die der Verfolgung und Inhaftierung entgangen waren, wanderte aus. Viele von ihnen fanden in den USA eine neue Heimat oder zogen sich in die europäischen Zentren der revolutionären Bewegungen in Paris, London und in der Schweiz zurück. Beispielhaft sei an dieser Stelle der aus Frankenthal stammende Johann Philipp Becker genannt, der bereits vor der Revolution im Schweizer Exil gelebt hatte und sich danach in Genf niederließ. Dabei blieb er allerdings immer in engem Kontakt zu den geistigen Vordenkern der politischen Linken im französischen und englischen Exil.63 Insgesamt zog sich die politische Linke in die vorrevolutionären geheimen Strukturen zurück. B Wirtschaftliche, industrielle und gesellschaftliche Entwicklung Die industrielle Entwicklung in Deutschland war 1848 noch kaum in Fahrt gekommen. Dennoch wurden schon in dieser Zeit einige Voraussetzungen für die starke Expansion der deutschen Industrie in der zweiten Jahrhunderthälfte augenscheinlich. Zu nennen wäre hier zunächst die rasante Bevölkerungsentwicklung, die das ganze 19. Jahrhundert hindurch steil nach oben ging. Bessere hygienische Einrichtungen und medizinische Betreuung sorgten für ein deutliches Absinken der Säuglings- und Kindersterblichkeit. Bauernbefreiung und Gewerbefreiheit hatten zusätzliche Eheschließungen und steigende Geburtenziffern zur Folge.64 Erst als die industrielle Entwicklung, in etwa ab 1850, langsam an Fahrt gewann, ergaben sich neue Arbeitsmöglichkeiten für die ländlichen Unterschichten. Insbesondere der rasante Ausbau der Eisenbahn ab 1850 schaffte weitreichende Arbeitsmöglichkeiten und die Industriezentren begannen zu wachsen. Ab den 1860er Jahren verstetigte sich allmählich eine 60 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 44-46. Vgl. Schildt, S. 9. 62 Vgl. Nipperdey, 1800-1866, S. 674/675. 63 Vgl. Schiffmann, Dieter: Johann Philipp Becker. Das revolutionäre Leben eines Frankenthaler Bürstenbinders, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 64-69. 64 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 20/21. 61 14 Wanderungsbewegung, hauptsächlich von dem ländlich geprägten Osten in die Industriegebiete des Westens.65 Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten Handwerk und Gewerbe eine fast mittelalterlich anmutende Struktur, nur langsam überlagert von einer industriellen Produktionsweise.66 Neben der verbesserten Infrastruktur war auch der zollpolitische Rahmen entscheidend für die Entwicklung von Handel und Industrie. Schrittweise wurde in Deutschland ein einheitlicher Wirtschaftsraum mit fast uneingeschränkter Verkehrsfreiheit nach innen und einheitlicher Zollpolitik nach außen geschaffen: 1833/34 schlossen sich 18 Staaten mit 23 Millionen Einwohnern zum deutschen Zollverein zusammen, dem bis 1854 immer mehr Staaten beitraten. Ein rechtlich einheitlicher Wirtschaftsraum wurde in Deutschland jedoch erst mit der Reichsgründung 1871 geschaffen. Damit waren die Voraussetzung zur Expansion der deutschen Industrieunternehmen, durch Zollgesetzgebung geschützt vor ausländischer Konkurrenz, an die Weltspitze endgültig geschaffen.67 Die Schwerindustrie, angewiesen auf Eisen und Kohle, hatte regional ihre Zentren im Ruhrgebiet und in Oberschlesien. Auch im Saarland nahm die Kohleproduktion nach einer Anlaufphase bis 1951 stetig zu. 68 Gute Transportanbindung und ein ausreichendes Reservoir an billigen Arbeitskräften waren die vergleichsweise einfacheren Bedingungen für den Ausbau der Textilindustrie. Entsprechend konnten sich hier die alten Standorte in Sachsen, Schlesien, Westfalen, Schwaben und am Niederrhein behaupten. Auch die Mittelindustrie, Maschinen- und Apparatebau, entwickelte sich vornehmlich in diesen Regionen.69 Ebenso heterogen wie die Struktur der Wirtschaftsunternehmen waren die Arbeitsbedingungen der und die Anforderungen an einfache Arbeitskräfte. 1863 lag der Wochenverdienst für die eintönige Tätigkeit eines Arbeiters in der sächsischen Textilindustrie bei 1 bis 2,5 Talern, ein Buchdrucker in Sachsen verdiente im selben Zeitraum 6 bis 7 Taler. Währenddessen konnte ein Maschinenbauer in Berlin bei Akkordarbeit zwischen 12 und 13 Taler verdienen. Gesicherte Zahlen über das quantitative Wachstum der Arbeiterschaft im Zeitraum zwischen 1850 und 1870 sind nicht verfügbar, die meisten Betriebe hatten in dieser Zeit eine mittlere Größe zwischen 30 und 100 Arbeitern.70 Es ist davon auszugehen, dass sich die industrielle Expansion in der Breite erst nach 1870 vollzog. Entsprechend führt Helga Grebing die ersten Ansätze zur politischen Formierung der Arbeiterschaft nicht auf das quantitative Anwachsen dieser Gruppe zurück. Vielmehr rechnet sie die Herausbil- 65 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 21. Vgl. Weidmann, Schwerpunkte, S. 18. 67 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 48. 68 Vgl. Eschner-Becker, Stienke: Die Grube Dudweiler und die Berginspektion IV (1816-1919). Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Staatsbergbaus an der Saar, Saabrücken 1988, S. 84/85. 69 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 48. 70 Zum Vergleich: Der Durchschnitt lag in England zum selben Zeitpunkt bei 100-500 Arbeitern, vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 49. 66 15 dung erster Arbeitervereine einer kleinen Minderheit qualifizierter Facharbeiter zu, geleitet von einer kleinen Gruppe politischer Anführer, meist kleinbürgerlicher Herkunft.71 C Politische Landschaft 1848 - 1878 a) Politische Parteien und Organisationen 1848 - 1870er aa) Der Deutsche Nationalverein Trotz ihres Scheiterns hatte die Revolution entscheidenden Einfluss auf die Ausrichtung der Politik der Folgejahre. Zwar stand eine Demokratisierung des politischen Systems nach dem Scheitern der Reichsverfassungskampagne zunächst nicht zur Debatte, die politische Einheit Deutschlands jedoch erschien zunehmend auch konservativen Kräften unvermeidbar. Im Zusammenhang mit der italienischen Einigung und der folgenden Welle nationaler Begeisterung auch in Deutschland kristallisierte sich spätestens ab 1859 heraus, dass sich die Vereinigung in einem Nationalstaat nicht mehr ewig hinauszögern lassen würde. Die deutsche nationale Frage wurde schließlich zum zentralen Feld der mitteleuropäischen Politik.72 Die politischen Organisationen, wie sie sich im Lauf der Revolution 1848 herausgebildet hatten, gingen in der Reaktionsperiode unter. Mit der Zeit entwickelten sich jedoch neue Formen der Organisation. Instruktiv für die Art und Weise der politischen Organisation in dieser Zeit ist das Beispiel des 1859 gegründeten Deutschen Nationalvereins. Dass sich die Mitglieder dieser liberal dominierten, aber im heutigen Wortsinn an sich überparteilichen Organisation selbst als „nationale Partei“ oder „deutsche Nationalpartei“73 bezeichneten, deutet bereits darauf hin, wie wenig konkret allein schon die Begrifflichkeiten Partei, Fraktion und Verein im Verständnis der Zeitgenossen ausdefiniert waren.74 Der Nationalverein war die erste deutschlandweite politische Organisation und bildete als solche, wie Shlomo Na’am es beschreibt „den Mutterboden […], aus dem drei politische Richtungen entstanden und denen auch bis zu einem gewissen Grade eine Klassenstruktur entsprach: die der Konservativ-Liberalen, die der Liberaldemokraten und die der Sozialdemokraten.“75 Im Nationalverein waren alle Mitglieder direkt einer zentralistischen Führung unterworfen, ein Novum innerhalb der politischen Organisationsgeschichte des deutschen Bürgertums, 71 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 49. Vgl. Fenske, Deutschland 48/49, S. 53. 73 Siehe Nipperdey, Parteien, S. 12. 74 Genauer dazu Nipperdey, Parteien, S. 9-11. 75 Siehe Na’am, Shlomo: der deutsche Nationalverein. Die politische Konstituierung des deutschen Bürgertums 1859-1867 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, hrsg. v. der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 81), Düsseldorf 1987, S. 5. 72 16 dessen Vereine bis dahin stets föderalistische Zusammenschlüsse mit starken lokalen Zweigstellen gewesen waren.76 Der Verein hatte zwar ein klar gestecktes Ziel — die Bildung eines einheitlichen deutschen Nationalstaats — aber keine konkrete politische Macht. Insofern war die Arbeit des Vereins nicht auf die Erringung von Mandaten und Machtausübung konzentriert, vielmehr standen Meinungsbildung und Stimmungsmache im Fokus der Tätigkeit dieser Organisation.77 Besonders im Dritten Deutschland war die öffentliche Meinung vergleichsweise früh ein ernstzunehmender Machtfaktor.78 Mit Ausbreitung des allgemeinen und direkten Wahlrechts gewann die Masse der Bevölkerung Deutschlands an politischem Gewicht.79 Der Verein hatte auf dem Höhepunkt 1862/63 etwa 25.000 zahlende Mitglieder und war damit die größte politische Organisation Deutschlands. Dabei blieben ärmere Handwerker und Arbeiter wegen relativ hoher jährlicher Beiträge im Verein außen vor. Um die breite Masse der Bevölkerung für die Ziele des Nationalvereins zu gewinnen, wurden Arbeiterbildungsvereine gegründet.80 Eine Organisationsform, an die in der Folgezeit zunächst die Fortschrittspartei anknüpfen sollte, die sich aber später gerade für die junge Sozialdemokratie als wegweisend erwies. Mit der Wochenschrift schaffte der Nationalverein eine Art politisches Leitorgan des deutschen Bürgertums.81 Auch die Herausbildung der ersten deutschen sozialistischen Organisation, des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), ist eng mit dem Nationalverein verknüpft. Herrmann Schulze-Delietzsch, Vordenker der ersten Arbeitervereine liberaler Prägung, war Vorstandsmitglied des Nationalvereins. Zwar waren die Liberalen durchaus an der Gewinnung einer Massenbasis in der nationalen Frage interessiert. Die Lösung sozialer Probleme stand hier jedoch noch deutlich im Hintergrund.82 bb) Die Herausbildung der liberalen Parteien Obwohl das deutsche Bürgertum in dieser Phase ökonomisch beständig an Einfluss gewann, konnte der Liberalismus diese Position kaum in politische Macht ummünzen. Aufgrund des Scheiterns aller Reform- und Revolutionsbewegungen im 19. Jahrhundert war das Bürgertum gezwungen, sich mit dem Obrigkeitsstaat zu arrangieren. Es orientierte sich, wie etwa Max Weber kritisierte, zu sehr an den Werten des Staatsbeamten, wohingegen „Marktverhalten, Individualismus, Vorrang der Freiheit vor der Ordnung“83 keine Priorität hatten. Wie in allen Industriestaaten bildete sich in Deutschland eine Klassengesellschaft 76 Vgl. Biefang, Einleitung zum Quellenband: Der deutsche Nationalverein 1859-1867. Vorstands- und Ausschußprotokolle, Düsseldorf 1995, S. XIII. 77 Vgl. Nipperdey, Parteien, S. 13/14. 78 Vgl. Schieder, Theodor: Die kleindeutsche Partei in Bayern. In den Kämpfen um die nationale Einheit 1863-1871, München 1936, S. 71. 79 Vgl. Nipperdey, Parteien, S. 91. 80 Vgl. Biefang, S. XIII/XIV. 81 Vgl. Biefang, S. XXIV/XXV. 82 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 64. 83 Siehe Nipperdey, 1866-1890 I, S. 419. 17 heraus.84 Für die Periode bis 1890 ist eine deutliche Zunahme der Ungleichheit innerhalb der deutschen Gesellschaft zu konstatieren.85 Dabei verharrte das Bürgertum aufgrund des Anpassungsdrucks in der durch traditionelle Strukturen überformten Funktionsweise von Politik, Militär und Verwaltung in einer vergleichsweise schwachen Position.86 Es ist hierbei auf ein Nord-Süd Gefälle zwischen Preußen und den weniger obrigkeitlich strukturierten Staaten in Süddeutschland hinzuweisen.87 Von entscheidender Bedeutung für diesen Anpassungsprozess war nicht zuletzt auch die Taktik der konservativen Regierungen, insbesondere des preußischen Kanzlers Otto von Bismarck, einen Teil der Bürgerlichen stärker ins politische System zu integrieren und so die Opposition insgesamt zu schwächen.88 Das wirtschaftlich aufstrebende Großbürgertum konnte sich gut mit einem konservativ-autoritären Staat arrangieren. Mit der nationalen Integration fielen nach und nach die zollpolitischen Schranken, womit den wirtschaftlichen Zielen dieser Gruppe weitestgehend gedient war. Eine umfassendere politische Emanzipation breiter Bevölkerungsschichten war nicht notwendigerweise im Interesse dieses Besitzbürgertums. Im Gegenteil war abzusehen, dass eine weitere Beteiligung der breiten Masse an der politischen Macht in Deutschland den noch im Vormärz geprägten und in den 1860er Jahren weiter entwickelten Herr-im-Hause-Standpunkt 89 bürgerlicher Entscheidungshoheit im wirtschaftlichen Bereich infrage stellen würde. Die in erster Linie auf die Mittelschicht gestützten Linksliberalen hingegen waren durchaus an einer weiteren Demokratisierung interessiert. Schon 1848 war der Liberalismus gekennzeichnet von einem rechten und einem linken Flügel. Frühe sozialistische Strömungen mit eingerechnet, hatten damals bereits drei unterschiedliche, mehr oder weniger revolutionäre Flügel bestanden. Parteipolitisch waren die Liberalen seit dem Untergang der radikalen Demokraten 1848 durch unterschiedliche Fraktionen in den jeweiligen Landesparlamenten und der großen Klammer des deutschen Nationalvereins relativ einheitlich organisiert gewesen. Ihre Ziele waren eine freiheitliche Verfassung und die nationale Einheit. Die radikalen Demokraten waren, durch staatliche Repression an den Rand gedrängt, bedeutungslos geworden. 1866 schließlich vollzog sich die Abspaltung der Nationalliberalen aus der Fortschrittspartei.90 84 Vgl. Nipperdey, 1866-1890 I, S. 427. Vgl. Nipperdey: 1866-1918 I, S. 414. 86 Vgl. Nipperdey: 1866-1918 I, S. 427. 87 Vgl. Nipperdey: 1866-1918 II, S. 23. 88 Siehe Nipperdey, 1800-1866, S. 698/699. 89 Vgl. Tenfelde, Klaus: Arbeitsbeziehungen und gewerkschaftliche Organisation im Wandel, am 22.3.2012 online unter: http://www.bpb.de/publikationen/J3OYJX,2,0,Arbeitsbeziehungen_und_gewerkschaftliche_Organisation_im_Wandel.html. 90 Vgl. Nipperdey: 1866-1918 I, S. 314. 85 18 Abb. 2 Herausbildung der deutschen Parteien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 19 cc) Liberale und frühe Arbeiterbewegung Im europäischen Vergleich bildete sich in Deutschland sehr früh eine eigenständige und breit organisierte sozialistische Partei heraus. Im Gegensatz zu England oder Frankreich setzten sich die linken politischen Strömungen früh von der liberalen Bewegung ab. Die ersten Vorläufer der SPD jedoch entstanden noch unter liberaler Führung und nicht selten in Anknüpfung an tradierte Protestformen von 1848.91 Für die Abspaltung vom Bürgertum wie auch für innersozialdemokratische Konflikte blieb der Konflikt um die Nation entscheidend. Spätestens ab 1866 war die Möglichkeit einer großdeutschen Lösung gescheitert. Es kristallisierte sich außerdem heraus, dass die Lösung der nationalen Frage nicht mit einer Demokratisierung einhergehen würde. „Der Liberalismus musste […] sich mit den alten Mächten arrangieren“,92 die Linke konnte das nicht. Mit der an Fahrt gewinnenden Industrialisierung kam es zudem zu einer Zuspitzung der Sozialen Frage. Für die Nationalliberalen war dies weniger ein politisches Problem, die Linksliberalen hatten durchaus soziale Ansätze, die der radikalen Linken allerdings nicht weit genug gingen. Der deutsche Nationalverein war anfangs der 1860er Jahre Sammelbecken der unterschiedlichsten liberalen Strömungen. Die Organisation wollte volkstümlich sein und die Arbeiterschaft durchaus integrieren, um eine eigenständige Arbeitervereinigung, die leicht in kommunistisch-cäsaristische Bahnen hätte abgleiten können, zu verhindern. Die Führung hatte also die Arbeitervereine zu integrieren, was Entgegenkommen gegenüber den Radikalen erforderte. Allerdings sollten die Arbeiterorganisationen mittels Indoktrinierung im Sinne des Freihandels von sozialistischen Ansätzen ferngehalten werden.93 Als sich ab etwa 1862 parteipolitisch die Spaltung in Fortschritt und nationalliberale Partei andeutete, wurde auch zunehmend klar, dass sich die Radikalen politisch bald von den Linksliberalen abgrenzen würden. Der radikaldemokratische Volksfreund für das Mittlere Deutschland schrieb dazu am 25. Mai 1862: „Der ‚Nationalverein‘ hat im gesunden Volksboden nie Wurzeln zu schlagen vermocht; er ist als gänzlich externes, hohenzollern-napoleonisches Gewächs zu betrachten, wenn auch ganz Gewiss [sic!] nicht in der Absicht der bei weitem größeren Anzahl seiner Mitglieder, so doch durch die Logik der Thatsachen.“94 Der Artikel warf der Führung des Vereins vor, sich mit den mächtigen Fürsten zu verbünden und Preußen zu stark zu unterstützen. Den Arbeiterverbänden riet der Volksfreund sich 91 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 61. Siehe Nipperdey: 1866-1918 II, S.353. 93 Vgl. Na’Aman, Konstituierung, S. 24-27. 94 Siehe Na’Aman, Konstituierung, Quellensammlung, S. 710. 92 20 mit dem Nationalverein weder finanziell noch inhaltlich zu verbinden, so wie es das „Fortschritts-Philistertum“95 getan hatte. Ein Jahr später erhielt diese Konzeption der unabhängigen Arbeiterorganisation mit der Gründung des ADAV ihre konkrete organisatorische Ausgestaltung. Zwar blieb die Fortschrittspartei mit ihren Arbeitervereinen anfangs der 1860er Jahre innerhalb der Mehrzahl der Arbeitervereine dominant, doch mit den Sozialisten wuchs eine gefährliche Konkurrenz heran. So wurden spätestens bis in die 1870er Jahre die Sozialdemokraten die dominante Kraft zur Integration der ärmeren Bevölkerung ins politische System. Mit Anwachsen der Fabrikindustrie und der Entstehung städtischer Ballungszentren mit Sogwirkung auf die pauperisierte ländliche Unterschicht wurde die Soziale Frage ab den 1870er Jahren endgültig zur Arbeiterfrage. Im linken Spektrum der liberalen Arbeiterbewegung hatten sich ursprünglich größtenteils verarmte ländliche Handwerker organisiert, eine gesellschaftlichen Gruppe, die in der Folgezeit eher zum Mittelstand zu zählen ist.96 Die aufkommende Arbeiterbewegung entwickelte sich zunehmend unabhängig vom und in Opposition zum Liberalismus. Dabei blieb das Verhältnis zwischen linksliberalen Strömungen und Sozialdemokratie überaus komplex. Gerade im süddeutschen Raum ergaben sich enge Berührungspunkte zur Volkspartei, zumindest die Eisenacher Richtung der Sozialdemokratie ging direkt aus dieser Partei hervor. Deren Mitglied August Bebel vertrat ursprünglich einen äußerst bürgerlichen Standpunkt. Da er die Arbeiter zunächst als politisch unreif einschätzte, lehnte er sogar das gleiche Wahlrecht ab, bis er in der Auseinandersetzung mit Ferdinand Lassalle die Theorien von Marx und Engels entdeckte. Mit Karl Liebknecht verband ihn nicht nur der marxistische Ansatz, daneben war für ihre Kooperation in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) vor allem die gemeinsame Haltung in der deutschen Frage entscheidend. In der sächsischen Volkspartei sammelten beide hinter sich die großdeutsche Fraktion der jungen Arbeiterbewegung. Die Eisenacher teilten das Ideal der einheitlichen Nation aller Deutsch(sprachig)en mit den progressiven Kräften im Bürgertum.97 Noch 1863 hatte der deutsche Nationalverein Bebels Leipziger Arbeiterbildungsverein mit Geldmitteln unterstützt.98 Ferdinand Lasalle hingegen, Anführer des ADAV, verfolgte eine strategische Ausrichtung in strikter Opposition zum Bürgertum, während die Vordenker der Eisenacher gerade aus der Revolutionserfahrung 1848 heraus noch eng zum Bürgertum standen. Auch Marx plädierte beispielsweise für ein Bündnis mit dem liberalen Bürgertum. In diesem sah Lassalle hingegen den „Hauptfeind, der den größten Teil der Arbeiterschaft noch im Banne seiner Siehe Na’aman: Konstituierung, Quellensammlung, S. 711. Vgl. Conze, Werner: Möglichkeiten und Grenzen der liberalen Arbeiterbewegung in Deutschland. Das Beispiel SchulzeDelitzschs (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften), Heidelberg 1965, S. 9. 97 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 64/65. 98 Vgl. Biefang, S. XXVI. 95 96 21 Ideologie festhielt, der die demokratischen Forderungen von 1848 verraten hatte“99. Ganz von der Hand zu weisen ist diese Kritik nicht. Schließlich konnte sich der wirtschaftmächtige Teil des Bürgertums auch gut mit einem monarchischem Polizeistaat arrangieren, obschon in liberalen Kreisen die Ideen politischer Freiheit von 1848 sicherlich noch präsent waren. Dieser Widerspruch führte schließlich, wie bereits aufgezeigt, zur Aufspaltung der liberalen Partei. Bebel und Lassalle als herausgehobene Exponenten der frühen deutschen Sozialdemokratie illustrieren auf augenscheinliche Weise die Bandbreite des Verhältnisses zwischen bürgerlichem Liberalismus und sozialistischer Arbeiterbewegung. Beide Strömungen teilten die Opposition zur althergebrachten Auffassung staatlicher Legitimität durch Gottesgnadentum und setzten ein republikanisches Modell dagegen. Die Haltung während der Revolution von 1848 macht deutlich, dass die Bürgerlichen dabei eher in einer legalistischen Auffassung verharrten, während sich die frühen Sozialisten offener für jakobinische Elemente direkter Volksherrschaft zeigten. Der endgültige Bruch zwischen beiden Richtungen vollzog sich schließlich aufgrund der unterschiedlichen ökonomisch geprägten Interessenlagen von bürgerlicher Schichten und proletarisierter Unterschicht. dd) Die Katholiken Für die Entstehungsgeschichte der Sozialdemokratie spielen die politischen Organisationen der Katholiken eine untergeordnete Rolle. Die Sozialisten spalteten sich, was die Parteielite anging, von den Linksliberalen ab und hatten ihre Basis in den säkularisierten Städten, wobei die Zentren vorwiegend in protestantischen Regionen lagen. Von daher waren zunächst kaum Konflikte oder Berührungspunkte zwischen Katholiken und Sozialdemokraten vorhanden. Unstrittig ist der philosophisch-weltanschauliche Konflikt zwischen beiden Strömungen, inhaltlich hatten beide nicht selten enge Berührungspunkte. Schon ab 1845 hatten sich die katholischen Handwerksgesellenvereine nach dem Modell von Adolf Kolping aus dem niederrheinischen Elberfeld in ganz Deutschland ausgebreitet. 1855 zählte der Gesamtverband katholischer Gesellenvereine 104 Vereine mit insgesamt 12.000 Mitgliedern. Die Vereine schafften einen Raum familiärer Geselligkeit für die Arbeiter, wo neben beruflicher Weiterbildung auch religiöse Belehrung praktiziert wurde. Auffällig ist, dass die protestantische Kirche, zumindest auf höherer Ebene, weniger Offenheit gegenüber den sozialen Problemen der Zeit zeigte.100 Zwar waren lokal häufig protestantische Theologen in Arbeitervereinen engagiert,101 zu einer übergeordneten Organisati- 99 Siehe Grebing, Arbeiterbewegung, S. 63. Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 46/47. 101 Das markanteste Beispiel aus der Pfalz ist an dieser Stelle Pfarrer Heinrich Hochdörfer aus Neustadt, vgl. Wunder, Gerhard: „Kein Heil außer dem Sozialismus.“ Der Neustadter Arbeiterverein von 1848/49, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. Manfred Geis und Gerhard Nestler, Speyer 1999, S. 58-62 (Zitiert als: Wunder, Arbeiterverein 1848/49), hier S. 61. 100 22 on unter religiösen Vorzeichen kam es jedoch in den protestantischen Gemeinden nicht. Dies ist mit Sicherheit einer der Gründe, warum die Sozialdemokratie aufgrund des Fehlens anderweitiger Angebote gerade in den protestantischen Regionen Deutschlands so schnell Fuß fassen konnten. Andernorts hingegen etablierte sich die katholische Arbeiterbewegung umso stärker. Dabei suchte diese inhaltlich durchaus die Nähe zu den frühen sozialistischen Gruppierungen. Konservativ-katholische Stimmen teilten demonstrativ Lassalles Kritik am bürgerlichen Staat und der liberalen Idee der Selbsthilfe als Antwort auf die Soziale Frage.102 Trotz dieser teilweisen Nähe zur sozialistischen Ideenwelt, verstand sich die katholische Arbeiterbewegung dezidiert als „Abwehrfront gegen die allmählich um sich greifende liberale Genossenschaftsbewegung und Lassallesche sozialistische Arbeiterbewegung.“103 Insgesamt hatten die katholischen Arbeitervereine eine ähnliche Stoßrichtung wie die Sozialdemokraten, jedoch in deutlich moderaterer Form. Sie forderten angemessene Bezahlung von Arbeitern, eine Arbeitszeitverkürzung auf höchstens zehn Stunden und wollten Kinderarbeit und die Arbeit von verheirateten Frauen verbieten. Um nicht in den Eindruck zu großer Nähe gegenüber dem Kapital zu kommen, beteiligten sich die katholischen Arbeitervereine in ihren niederrheinischen Kernregionen auch an Streiks.104 b) Die Soziale Frage: Theorie- und Politikansätze Die industrielle Expansion der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts warf grundlegende Fragen nach dem Verhältnis zwischen Markt und Staat auf, die bis heute umstritten sind. Da die Organisationsgeschichte der Arbeiterbewegung eng mit zugrundeliegenden Auffassungen staatlicher, volkswirtschaftlicher und nicht zuletzt philosophischer Natur verquickt ist, ist an dieser Stelle ein ideengeschichtlicher Exkurs zur Skizzierung des Werks und Wirkens zumindest der für das Werden der deutschen Arbeiterbewegung einflussreichsten Vordenker unumgänglich. Auf liberaler Seite engagierte sich besonders Herrmann SchulzeDelitzsch für die Arbeiter, daneben wird im Folgenden auf die hegelianisch geprägten Ansätze von Karl Marx und Ferdinand Lassalle eingegangen. Alle drei haben gemeinsam, dass sie die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten beobachteten, allerdings entwickelten sie unterschiedliche Ansätze zur Lösung der Sozialen Frage. Besonders Marx und Lassalle beobachteten eine starke Polarisierung zwischen der lohnabhängigen Arbeiterklasse, dem Proletariat und den besitzenden Unternehmern. Die Arbeiter erwirtschafteten mit ihrer Tätigkeit den gesellschaftlichen Reichtum, erhielten aber nie 102 So positionierten sich zumindest die konservativ-katholischen Historisch-Politischen Blätter 1863. Vgl. hierzu: HistorischPolitische Blätter 52 (1863), S.69/70 sowie S. 41. Abgedruckt in: Grenner, Karl Heinz (Hrsg.): Katholizismus und wirtschaftlicher Liberalismus im 19. Und 20. Jahrhundert (Beiträge zur Katholizismusforschung. Reihe A, Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus, Bd. 12), Paderborn 1998. 103 Siehe Bude, Heiner: Man nannte sie „rote“ Kapläne. Priester an der Seite der Arbeiter, Skizzen zur christlichen Sozialtradition, Kevelaer 1989, S. 10. 104 Vgl. Bude, S. 12/13. 23 mehr Lohn für ihre Arbeit, als sie zur Aufrechterhaltung ihrer Arbeitskraft unbedingt benötigten. Den Mehrwert der Arbeit, so beide Theoretiker, strichen allein die Unternehmer ein. Dadurch entstünden riesige Vermögen, und das Kapital würde in den Händen einiger weniger akkumuliert. Bei Marx stiegen infolge des Konkurrenzdrucks Investitionskosten und die Profitrate begann zu sinken, was letztlich zu einer weiteren Vermögenskonzentration führte. Andererseits stieg die Anzahl verarmter Proletarier, deren Schicksal von immer breiteren Teilen der Mittelschicht geteilt würde. Der Prozess würde sich durch regelmäßige Krisen der Überproduktion, die Entlassungen zur Folge haben würden, verschärfen, sodass das eine „industrielle Reservearmee“105 immer größer werden würde. Der Antagonismus zwischen Arm und Reich — oder zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie — wachse und ließe sich im kapitalistischen System nicht mehr auflösen. Für Herrmann Schulze-Delitzsch, Mitglied in Fortschrittspartei und Nationalverein, war die Massenarmut hingegen ein Übergangsphänomen im neu entstehenden Industriekapitalismus. Er wurde berühmt als Verfechter von Produktivassoziationen und vertrat die Auffassung, dass es sich bei der Arbeiterschaft nicht um eine eigene abgeschlossene soziale Schicht, geschweige denn um eine Klasse handelte. Vielmehr prognostizierte er, dass die Armen selbst fähig seien, ihre prekäre Situation zu verbessern und in einer breiten Mittelschicht aufgehen würden.106 Sein Denken ist gekennzeichnet von einer liberalen Grundhaltung: „Schulze orientierte sich am bürgerlichen Subjekt, dessen sittlicher Würde und wirtschaftlichem Individualismus.“107 Er sah im Egoismus die Triebkraft wirtschaftlicher Dynamik,108 im Markt das geeignetste Mittel zum Zweck einer harmonischen sozialen Entwicklung. Theoretisch lehnte er sich an den liberalen Ökonomen Frédéric Bastiat an. 109 Der Staat hatte für Schulze lediglich die Aufgabe, formale Rahmenbedingungen zu gewährleisten,110 er sprach sich gegen sozialstaatliche Interventionen und private Almosen aus.111 Nur bei wissensbasierten Kapitalformen wie Bildung und Beratung ist er staatlichem Engagement nicht abgeneigt.112 Der Mensch brauche für Schulze ein ausreichendes Maß an Freiheit, um schöpferisch tätig zu sein.113 Als Lösung der Sozialen Frage propagierte er die Bildung von Genossenschaften, innerhalb derer die Arbeiter selbstorganisiert den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit auflösen 105 Zitiert nach Grebing, Arbeiterbewegung, S. 54. Vgl. Hofinger, Hans: Schulze-Delitzsch – Visionär und Stratege, in: Hermann Schulze-Delitzsch. Weg – Werk - Wirkung, hrsg. v. Förderverein Hermann Schulze-Delitzsch, Neuwied 2008, S. 355-366, hier S. 362-364. 107 Siehe Beetz, Stephan: Der Streit zwischen Lassalle und Schulze-Delitzsch über das Wesen der Produktivgenossenschaften, in: Hermann Schulze-Delitzsch. Weg – Werk - Wirkung, hrsg. v. Förderverein Hermann Schulze-Delitzsch, Neuwied 2008, S. 123-134, hier S. 130. 108 Vgl. Hofinger, S. 355. 109 Vgl. Beetz, S. 128-131. 110 Vgl. Beetz, S. 130. 111 Vgl. Hofinger, S. 362. 112 Vgl. Beetz, S. 127. 113 Vgl. Hofinger, S. 356. 106 24 sollten. Insbesondere die Eigenverantwortung und Haftung der Genossenschaftsmitglieder ist hierbei ein Kernelement, wie schon der Buchtitel Die Abschaffung des gesellschaftlichen Risikos durch Lassalle114 in Erwiderung auf dessen Kritik am Schulze andeutet. Staatliche Finanzierung der Genossenschaften lehnte er allerdings rigide ab, da Gewinnverteilung, Haftung und Unternehmensführung in unechten Staatsbetrieben nicht zu gewährleisten seien. An diesem Punkt setzt wiederum Ferdinand Lassalles Kritik an Schulze-Delitzsch an. Zunächst mit seinem offenen Antwortschreiben ans Central-Comité [sic!] der deutschen Arbeitervereine in Leipzig von 1863 und schließlich mit dem Pamphlet Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische Julian oder: Kapital und Arbeit vom Februar 1864. Dabei stützte sich Lassalle aufgrundlegend andere Vorstellungen von der Natur des Menschen und der Funktion des Staats. Da die verarmte Unterschicht am Rande des Existenzminimums lebe, sei ihr für Lassalle die selbstständige Organisation nicht zuzutrauen. Die einfachen Arbeiter brauchten sowohl Führung als auch sozialpolitische Unterstützung, am besten von staatlicher Seite.115 Lassalles Denken wurzelte in Georg Wilhelm Friedrich Hegels Philosophie.116 Dieser sah im Staat „als die Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtseyn [sic!] hat, das an und für sich Vernünftige.“117 In dieser Konzeption gilt der Staat als eine übergeordnete, vernünftige Instanz, die fähig ist, durchaus auch über die Köpfe der Einzelnen, gerade der ungebildeten Arbeiterschaft, hinweg, Entscheidungen zum Besten aller zu treffen. Lassalle sah die Bestimmung des Staates darin, „die großen Kulturfortschritte der Menschheit zu erleichtern und zu vermitteln. Das ist sein Beruf. Dazu existiert er; hat immer dazu gedient und dienen müssen […].“118 Der Staat ist hier nicht Gegensatz, sondern Ausdruck politischer Willensbildung.119 Dieses durchaus autoritäre, wenn auch nicht notwendigerweise undemokratische Staatsbild steht dem liberalen Verständnis Schulze-Delitzschs konträr entgegen. Auch Lassalle propagierte Genossenschaften, allerdings sollte der Staat und nicht wie bei Schulze private Kreditgeber deren Finanzierung gewährleisten.120 Durch Fabrikproduktion in voller Arbeiterhand sollten die Arbeiter für ihre Tätigkeit den vollen Ertrag kassieren und nicht nur einen kargen Lohn zur Lebenserhaltung. Die Werktätigen sollten freiwillig Assoziationen bilden und den Gewinn, den andernfalls der Unternehmer einstreiche, gleichmä- 114 Siehe Beetz, S. 125. Vgl. Beetz, S. 124-130. 116 Wie Shlomo Na’aman schreibt fußt „alles bei ihm [Lassalle] auf Hegel“, siehe Na’aman, Lassalle, S. 221. 117 Siehe Hegel, Georg F. W.: Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, Berlin 1821, S. 241/242. 118 Zitiert nach Grebing, Arbeiterbewegung, S. 52. 119 Vgl. Beetz, S. 126. 120 Vgl. Beetz, S. 124. 115 25 ßig und gerecht unter sich aufteilen. 121 Der Staat sollte die Assoziationen mit Kapital oder zumindest Zinsgarantien versorgen. 122 Agitatorisch war diese Konzeption von großem Vorteil. Denn auch wenn von der Gegenseite widersprochen werden konnte, so verlief doch keine Diskussion über die Thematik, ohne dass der Gegensatz von Lohn (des Arbeiters) und Gewinn (des Unternehmers) angesprochen wurde. Für die Aufklärung der Arbeiter über ihre eigenen Interessen, oder anders ausgedrückt: die Herausbildung eines proletarischen Klassenbewusstseins, war dieser Ansatz also von großem Vorteil.123 Lassalle sah in den Produktivassoziationen mittelfristig das Mittel, um die Arbeiter zu mobilisieren und langfristig den Weg, um die Wirtschaft zu sozialisieren. Er hoffte, über gleiches Wahlrecht den Arbeitern als Mehrheit der Bevölkerung die politische Macht zu verschaffen. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Lassalle sich im Winter 1863/64 mehrmals mit dem preußischen Kanzler Otto von Bismarck traf, um über das allgemeine Wahlrecht und staatliche Unterstützung für die Bildung von Produktivassoziationen zu verhandeln. Noch 1878, als er gegenüber der Sozialdemokratie bereits die Taktik einer scharfen Ausgrenzung betrieb, äußerte sich Bismarck wohlwollend über die von Lassalle ausformulierte Idee der Produktivassoziationen. 124 Schulzes Ansatz, der den Arbeiterstand nicht als abgeschlossene wachsende Schicht oder Klasse ansah, erscheint im Nachhinein überholt, ist aus damaliger Perspektive allerdings keinesfalls abwegig. Es waren nicht zwangsläufig alle Angehörigen des Handwerkerstandes von den sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen Mitte des 19. Jahrhunderts betroffen. Welskopp nimmt hier nochmals eine Differenzierung vor, indem er feststellt, dass sich die Sozialdemokraten vor allem aus städtischen Handwerkern rekrutierten, insbesondere im kapitalabhängigen Massenhandwerk. Der Vorzeige-Fabrikarbeiter spielte in der frühen Arbeiter-Bewegung kaum eine Rolle.125 Vielmehr fanden sich unter dem Begriff Arbeiter heterogene Gruppen zusammen, deren Interessenidentität erst noch konstruiert werden musste.126 Ohnehin erweist sich der Arbeitsbegriff als geradezu konstitutiv für das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Arbeiterbewegung. Arbeiter im Sinn der frühen Sozialdemokratie konnte ein Handwerker genau so gut wie ein Lehrer sein. Arbeit wurde verstanden als ein eigener Beitrag zum Gemeinwohl, der dem Erwerb von Besitz dient und als die einzig legitime Quelle desselben gelten sollte. Wer durch Arbeit einen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft leistete, sollte auch qualifiziert sein, um politisch mitzureden.127 Die marxistische Vgl. Na’aman, Lassalle, S. 578/579. Vgl. Na’aman, Lassalle, S. 581. 123 Vgl. Na’aman, Lassalle, S. 578/579. 124 Vgl. Beetz, S. 126-128. 125 Vgl. Welskopp, S. 60-65. 126 Vgl. Welskopp, S. 64. 127 Vgl. Welskopp, S. 63/64. 121 122 26 Weltanschauung des historischen Materialismus trieb diese Ansicht auf die Spitze, indem nur noch in der Arbeit und ihrer Organisation die entscheidenden Faktoren für die gesellschaftliche Entwicklung gesucht wurden. Letztlich, so die Prognose von Marx, werde der Kapitalismus an dem ihm innewohnenden Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit zerbrechen. Erst die Revolution schafft demnach durch die Überführung der Produktionsmittel von privater Hand an die Gesamtgesellschaft eine neue Ordnung. Die Diktatur des Proletariats führt zur klassenlosen Gesellschaft. Der Staat wird überflüssig, stirbt ab und weicht einer neuen Ordnung: dem Kommunismus. Wie diese Ordnung sich konkret ausgestaltet, muss laut Marx aufgrund der Dialektik im historischen Prozess offen bleiben.128 Marx erklärte die Welt aus ihren ökonomischen Verhältnissen. Sein Wirken war auf eine internationale proletarische Revolution ausgerichtet, die Sorgen und Nöte des Alltags der deutschen Arbeiter hatte er weniger im Blick. Entsprechend lieferten Marx und Engels auf dem Feld der praktischen Politik kein Programm, dass im Deutschland der 1860er und 1870er Jahre hätte Erfolg haben können.129 Der Einfluss von Marx‘ Theorie gerade in der Frühzeit der Arbeiterbewegung wird oft überschätzt. Zwar orientierte sich die Sozialdemokratie ab der Zeit des Sozialistengesetzes, vorangetrieben durch das Wirken des großen „Popularisators“130 Karl Kautsky, in ihrer theoretischen Ausrichtung zunehmend an Marx, der wichtigste Vordenker der Frühzeit war jedoch Ferdinand Lassalle. Nicht unbedingt realistischer, jedoch deutlich praktikabler nimmt sich sein politisches Konzept aus. Lassalle ging davon aus, dass 95 Prozent der Bevölkerung in einer derartigen sozialen Not lebten und künftig leben würden, dass eine demokratische Mehrheit für den parlamentarischen Arm der sozialistischen Bewegung garantiert sei. Diese Zahl ist, in Anbetracht der realen Zahlen, nach denen die Unterschicht 1907 in etwa 66 Prozent131 der Bevölkerung umfasst haben dürfte, natürlich zu hoch gegriffen. Zumindest vernachlässigt diese Sichtweise die Heterogenität bezüglich Herkunft, Ausbildung und praktischer Lebensführung innerhalb der Klassen. Die politischen Implikationen dieser Heterogenität wurden von Lassalle vernachlässigt.132 Desweiteren ist hinzuzufügen, dass sowohl Marx als auch Lassalle unterschätzten, in welchem Maße Armut ab einem gewissen Ausmaß das politische Enga- 128 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 16/17. Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 67/68. 130 Siehe Grebing, Arbeiterbewegung, S. 67. 131 Nipperdey listet folgende Zahlen aus dem Jahr 1907auf: Unterschicht: 19,5 Millionen (Arbeiter 17,8 Millionen; Dienstboten 1,7 Mio.) Mittelschicht: 8-8,5 Millionen (Bauern: 2,5 Mio.; Angestellte, mittlere Beamte 3-3,5 Mio.; Handwerker, Kleinkaufleute 2,5 Mio.) Oberschicht: 1,7 Millionen (Bürger, gebildet und besitzend 1,3Mio.) Nicht zuzuordnen: 3-3,4 Millionen (Berufslose und Rentenbezieher 3-3,4 Mio.) Daneben existierte eine minimale Führungsschicht aus Adel, Militär und hohen Regierungsbeamten. Nach den eben genannten Zahlen umfasst die Unterschicht im eigentlichen Sinn in etwa 66 Prozent der Bevölkerung. Vgl. Nipperdey: 1866-1918 I, S. 425. 132 Vgl. Nipperdey: 1866-1918 I, S. 426. 129 27 gement lähmte. Wie am Beispiel der Pfalz aufzuzeigen ist, waren nicht die vollkommen verelendeten Arbeiter der pulsierenden frühen Industrie, sondern vielmehr handwerklichkleinbürgerliche Wirtschaftssubjekte in der Hauptsache die Träger der frühen sozialdemokratischen Bewegung. In der Mehrzahl, zumindest ergibt sich dies aus den hier bezrachteten Quellen in einer Gesamtschau, verfolgten die Sozialdemokraten der 1870er Jahre auch in der Pfalz keinen revolutionären Kurs, sondern eine Milderung der sozialen Zustände durch Wahlen und demokratische Beschlüsse. Immer wieder betonten die Agitatoren, dass die Arbeiter die überwiegende Mehrzahl der Staatsbürger stellten.133 Ihnen stünde eine Minderheit von Begüterten entgegen, die die Politik nach ihren Interessen ausrichteten. Die Arbeit war Quelle des Selbstbewusstseins dieser Bewegung, die sich gegenüber den alten Zunftmeistern mit demokratischer Rhetorik und gegenüber dem Kapital als aus ihrer Sicht Verkörperung der Nicht-Arbeit in Frontstellung brachte.134 Bestrebungen zur Herbeiführung einer „blutigen Revolution“135 wurden den Sozialdemokraten eher von konservativer Seite entgegen gehalten, um Angst vor sozialdemokratischer Politik zu schüren. Bei allen Gegensätzen, eines hatten alle linksliberalen und sozialistischen Gruppierungen im 19. Jahrhundert gemein: Sie alle forderten die Abschaffung stehender Heere zugunsten einer breiten Volksbewaffnung nach Schweizer Vorbild. c) Arbeiterorganisationen aa) Kurze Übersicht der unterschiedlichen Strömungen Insgesamt sind in dieser Epoche vier politische Gruppierungen auszumachen, die sich die politische Organisation der ärmeren Bevölkerungsteile auf die Fahnen geschrieben hatten. Die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ist daneben sicherlich nicht arm an Splittergruppen136 und teilweise kurzlebigen oder nur regional bedeutsamen Organisationen. Aus Platzgründen muss sich die Darstellung hier auf die für die Pfalz wichtigsten Gruppierungen beschränken. Einem klassisch-liberalen Gesellschaftsbild mit starker Betonung individueller Eigenverantwortung verpflichtet blieb die Fortschrittspartei. Die deutsche Volkspartei hielt sich weitestgehend an die Ideale von 1848, programmatisch eng verknüpft mit dieser blieb zunächst die Eisenacher Richtung der Sozialdemokratie. Einen anderen im Vergleich hierzu teils 133 Vgl. hierzu die aus Polizeiberichten erstellten Wochenberichte an das Innenministerium in München, z.B. stellt ein Agitator heraus, die Arbeiter stellten 89 Prozent der Bevölkerung der 11 Prozent „Reiche“ gegenüberstünden, vgl. Wochenbericht vom 11.3.1872, in: BayHStA, Minn 30981/21 oder im Wochenbericht vom 11.11.1872: „die Arbeiter seien das Gros des Staates“, in: BayHStA, Minn 30981/22. 134 Vgl. Welskopp S. 66/67. 135 Siehe den Bericht von einer Rede von Schuster aus Stuttgart am 24. November 1872 vor Arbeitern in Oggersheim gehalten, Wochenbericht vom 2.12.1872, in: BayHStA, Minn 30981/22. 136 Ausführlicher hierzu Fricke, S. 126-136. 28 pragmatischeren (kleindeutsch und preußenfreundlich), teils radikaleren Kurs (kompromisslos antibürgerlich) verfolgten Ferdinand Lassalle und seine Anhänger im ADAV. aaa) Arbeiterbildungsvereine der Fortschrittspartei Die 1861 aus dem Nationalverein heraus gegründete Fortschrittspartei war die erste politische Partei, die in Deutschland auf breiter Front den Versuch unternahm, die Arbeiterschaft für ihre politischen Ziele zu gewinnen. Wie sich gerade am Beispiel der Pfalz gut zeigen lässt, war sie eine der ersten politischen Kräfte, deren politische Betätigung, nach leichter Lockerung der strikten obrigkeitsstaatlichen Kontrolle, in der Breite in unteren sozialen Schichten Fuß fasste. Auf Schulze-Delietzsch, den Vordenker dieser Gruppierungen, wurde bereits eingegangen. Als er sich gegen Ende der 1860er Jahre aus seiner leitenden Funktion für die Arbeitervereine zurückzog, hatte die Bewegung durch die lassalleanische Konkurrenz bereits ihren Zenit im Zuspruch der Arbeiterschaft überschritten. Seine Nachfolger änderten entsprechend ihre Strategie. So propagierte die Führung, dem Muster der englischen Trades-Union folgend, ursprünglich unter Schulze-Delitzsch verpönte Streiks, um den Zustimmungsverlust innerhalb der Arbeiterschaft aufzuhalten.137 In der nicht selten aus sozialdemokratischer Perspektive beobachtenden Literatur werden die Bestrebungen der Fortschrittspartei oft disqualifizierend als Werkzeug liberaler Arbeitgeber angesehen, deren Ziel es gewesen sei, die arbeitenden Massen unmündig zu halten. So folgert Herzog aus der Tatsache, dass Schulze-Delitzsch beim ersten Kaiserslauterer Arbeiterbildungsverein einen Vortrag hielt, „daß dieser oben genannte Arbeiterverein ein von liberalen Bürgern gegründeter Verein war, dessen Aufgabe darin bestand, die Arbeiter fortlaufend weiterzubilden, ohne ihnen ihre eigentliche Situation im Arbeitsleben deutlich werden zu lassen.“138 Schneider bemerkt zum Niedergang der fortschrittlichen Arbeitervereine etwa ab 1870 etwas differenzierter: „Es wirkte sich für diese Vereine nachteilig aus, daß die Arbeiter selbst sich in ihnen nie heimisch gefühlt hatten und nur wenige von ihnen tatsächlich aktive Mitglieder gewesen waren.“139 Das Scheitern dieser Vereine lag, wie der zeitgenössische Speirer Anzeiger beobachtete, im „massenhaften Abfalle der Arbeiter zu dem Schweitzerschen Verein [Anmerkung: lassalleanischer Richtung], in dem Fiasco der Productiv Associationen und der mangelnden Kassenverwaltung mehrerer Vorschuß- Banken.“140 Zwar konnte Schultze-Delitzsch mit der Gründung von Genossenschaftsbanken einen nicht 137 Vgl. Speirer Zeitung vom 1. Juli 1870, in: LA SP H-3 929-I. Siehe Herzog, S. 23. 139 Siehe Schneider, Arbeiterbewegung, S. 32. 140 Siehe Speirer Zeitung vom 1. Juli 1870, in: LA SP H-3 929-I. 138 29 zu verachtenden Teil des Kleinbürgertums auf Seiten der Fortschrittspartei ziehen, die breite Masse der aufkommenden Fabrikarbeiterschaft und Kleinhandwerker konnte diese Gruppierung aber nicht über die 1860er Jahre hinaus an sich binden. bbb) ADAV Anders als die bürgerlichen Parteien entstanden die sozialistischen Parteien nicht aus dem Parlament heraus. Erstere agierten meist aus einer schon vorhandenen Machtposition heraus und besaßen durch öffentliches Ansehen und den Zugang zur Presseöffentlichkeit bereits eine Anhängerschaft innerhalb der Bevölkerung. Die Sozialisten hingegen mussten sich außerparlamentarisch zunächst eine Massenbasis verschaffen. Die Parlamente hatten für sie im Vergleich eine eher untergeordnete Bedeutung, schließlich ging es ihnen nicht darum, Anteil am Staat zu haben, sie wollten den ganzen Staat für sich gewinnen. Das einzig verfügbare Mittel zur Erreichung dieses Ziels war eine straffe Organisation der Arbeiter und eine Expansion der Organisation durch Agitation.141 Das Beispiel des ADAV, 1863 in Anlehnung an die Arbeiterverbrüderung von 1848142 in Leipzig gegründet und maßgeblich geprägt von Ferdinand Lassalle, illustriert diese organisatorisch-strategische Ausrichtung anschaulich. In den Anfangsjahren führte Lassalle die Partei geradezu diktatorisch und gab hohe Ziele für sie aus. Es sollten — wie bereits aufgezeigt — nicht nur die Arbeiter der Industrie für die Sache des Sozialismus gewonnen werden, auch Kleinbauern, Handwerker, Lehrer, kurzum alle, die nicht über Kapital verfügten, sollten sich im ADAV zusammenschließen und den Staat der Zukunft aufbauen. Als erstes Etappenziel gab Lassalle die Einführung des gleichen Wahlrechts aus. Da alle Arbeitenden die Mehrheit der Bevölkerung stellten, sei die Partei damit bereits ein echter Machtfaktor im Staat.143 Er wollte den Verein in kürzester Zeit auf 100.000 Mitglieder vergrößern. Als Lassalle 1864 starb, hatte der Verein gerade mal eine Mitgliederzahl von 3.000 erreicht, bis 1869 wuchs die Anzahl auf 8.000.144 Nach dem Tod Lassalles blieben Vereinspräsident und Vorstand in einer starken Position, die Generalversammlung fungierte aber nur als Durchsetzungsorgan der „Diktatur der Einsicht“.145 Programmatisch kam der ADAV ab 1864 immer mehr von seinen ideologischen Fernzielen ab und verfolgte stattdessen kurzfristig umsetzbare, pragmatische Ziele. Im Mittelpunkt der lassalleanischen Forderungen standen verbesserte Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitverkürzungen. Daneben forderte der ADAV freie Bildung, eine progressive Einkommensbesteuerung und die Abschaffung von Frauen- (!) und Kinderarbeit.146 Auch 141 Vgl. Nipperdey, Parteien, S. 293/294. Vgl. Na’aman, Lassalle, S. 559. 143 Vgl. Nipperdey, Parteien, S. 294/295. 144 Vgl. Conze/Groh, S. 46. 145 Siehe Fricke, S. 98, vgl. hierzu auch Fricke, S. 106/107. 146 Vgl. Welskopp, S. 674-677. 142 30 von der Distanz zur Gewerkschaftsbewegung rückte der ADAV 1868 ab und begann mit dem Aufbau von lassalleanischen Gewerkschaften.147 Regional hatte der ADAV seinen Schwerpunkt in Berlin. Aber auch in Hamburg, Schleswig-Holstein, Hannover, ElberfeldBarmen sowie dem gesamten bergisch-märkischen Industriebezirk, Frankfurt und dem Maingau, Breslau und Stettin entfalteten die Lassalleaner verstärkte Vereinstätigkeit.148 ccc) Deutsche Volkspartei In der Süddeutschen Volkspartei (auch: Deutsche Volkspartei) sammelten sich die linken Anhänger der großdeutschen Lösung. Besonders stark war sie im tendenziell eher bürgerlich-egalitär strukturierten südwestdeutschen Raum. Ihre Vertreter befürchteten, dass eine nationale Einigung unter preußischer Führung, aufgrund der feudalen Struktur des preußischen Staates, den Weg zu einer freiheitlichen Grundordnung verbauen würde. Deshalb suchte die Volkspartei den Anschluss an anti-preußische Akteure aus unterschiedlichen politischen Lagern. Darunter fanden sich auf Partikularismus drängende Fürsten ebenso wie ultramontane Katholiken und nicht zuletzt revolutionäre Sozialisten.149 Die Volkspartei bekannte sich zum demokratischen Gleichheitsprinzip und zum Selbstbestimmungsrecht der Völker. Ihr Programm richtet sich daneben gegen Krieg, den sie als „verdammungswürdige Schädigung aller Freiheitsinteressen“150 abqualifizierte. Die Partei forderte zunächst die Bildung eines süddeutschen Staates. In der militärischen Organisation forderte sie Anlehnung an das Schweizer Modell der Volksarmee. In der Sozialen Frage vertrat die Partei durchaus die Interessen der Arbeiter und setzte sich für die Förderung von Genossenschaften und Beteiligung der Arbeiter am Reingewinn ein. Sie forderte ein gerechtes Steuersystem, ein besseres Bildungswesen und die Abschaffung der Kinderarbeit.151 Die Volksparteiler distanzierten sich von jeglichen Formen des Kommunismus, da dieser sich nur mit despotischen Mitteln durchsetzen ließe. Die Partei versuchte, alle ihre Ziele auf friedlichem und legalem Weg zu erreichen. In der Sozialen Frage ging die Partei Vertretern wie Karl Liebknecht und August Bebel nicht weit genug. Zwar bekämpften sie beide auch das Preußentum, genauso wie die Mehrheit der Vertreter der Volkspartei, allerdings mit einer anderen Zielsetzung. 147 Vgl. Fricke, S. 95. Vgl. Fricke, S. 121-123. Vgl. Nipperdey: 1866-1918 II, S. 25. 150 Siehe Programm der Volkspartei, bei Fricke, S. 38. 151 Vgl. Programm der Volkspartei, bei Fricke, S. 38. 148 149 31 ddd) SDAP Aufbauend auf bestehenden liberalen Arbeitervereinen des Vereinstags deutscher Arbeitervereine (VDAV)152 und in Zusammenarbeit mit einigen abtrünnigen Lassalleanern gründeten Bebel und Liebknecht 1869 in Eisenacher die sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Die Partei verstand sich ausdrücklich als deutscher Zweig der internationalen Arbeiterassoziation,153 in der Karl Marx eine führende Rolle spielte. Der Tonfall des Eisenacher Programms ist im Vergleich zu dem der Volkspartei deutlich kämpferischer. Zwar kann von einer despotischen Grundausrichtung keine Rede sein, schließlich erklärte die Partei politische Freiheit zu einer notwendigen Vorbedingung zur Lösung der Sozialen Frage, dennoch gaben sich die Sozialdemokraten überaus kämpferisch, wenn sie die „heutigen politischen Zustände […] mit höchster Energie […] bekämpf[t]en.“154 Auch die Forderung nach Auflösung der stehenden Heere und Einführung der Volksbewaffnung fand sich im Programm der SDAP.155 Im Unterschied zum ADAV war die SDAP großdeutsch und antipreußisch. Auch in der Gewerkschaftsfrage unterschied sich die Position der SDAP deutlich vom ADAV. Während die Lassalleaner eigene an die Parteiführung angebundene Gewerkschaften förderten, sollten für die SDAP Gewerkschaften politisch unabhängige Interessenvertretungen der Arbeiterklasse im Kampf gegen die Unternehmer sein.156 In Bezug auf den Staat war die Position der marxistisch geprägten Eisenacher auch im Gegensatz zum ADAV eine fundamental oppositionelle. Anstatt Privilegien forderten sie gleiche Rechte und Pflichten für alle Staatsbürger, Elemente der direkten Demokratie wollte die SDAP in die Verfassung integrieren, das Volk selbst sollte in der Legislative ein Vorschlags- und Verwerfungsrecht bekommen, für die Justiz forderten die Eisenacher die Einführung von Geschworenengerichten. Weiterhin sollten direkte Steuern abgeschafft werden. In der Wirtschaftspolitik forderte die SDAP die Abschaffung des Lohnsystems und den vollen Arbeitsertrag für die Arbeiter im Rahmen einer genossenschaftlichen Organisationsform. Die Rolle des Staats in dieser Frage blieb im Parteiprogramm ausgeklammert. Bezüglich Bildung, Trennung von Staat und Kirche und Militärwesen unterschieden sich die Forderungen der SDAP nicht wesentlich von denen des ADAV.157 Das Zentrum der Eisenacher Vereinsbildung war Sachsen, daneben konnte sich die Partei auch in Schlesien, Thüringen, Braunschweig, dem unteren Wesergebiet und im Rheinland festsetzen.158 152 Vgl. Fricke, S. 99/100. Vgl. Eisenacher Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Punkt 6, am 6.10.2011 online unter: http://www.marxists.org/deutsch/geschichte/deutsch/spd/1869/eisenach.htm. 154 Siehe Eisenacher Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Punkt 1, am 6.10.2011 online unter: http://www.marxists.org/deutsch/geschichte/deutsch/spd/1869/eisenach.htm. 155 Vgl. Programm der Volkspartei, bei Fricke, S. 38. 156 Vgl. Ebenau/Kuffler, S. 18. 157 Vgl. Programm der Volkspartei, bei Fricke, S. 38. 158 Vgl. Fricke, S. 59 153 32 eee) SAP Die Konflikte zwischen Lassalleanern und Eisenachern wurden durchaus mit einiger Schärfe ausgetragen. Erst unter dem zunehmenden Druck durch die Obrigkeit, Fricke spricht von der „Verschärfung des Klassenkampfs zu Beginn der siebziger Jahre“,159 fanden die beiden Strömungen zusammen. Auch eine weitere Zuspitzung der sozialen Situation im Gefolge des Gründerkrachs von 1873 hat möglicherweise zum Zusammenwachsen der Sozialdemokraten beigetragen.160 Dennoch hat sich die Vereinigung schon vor 1873 angedeutet, im Wesentlichen Personenfragen verzögerten den Prozess bis 1875.161 In den programmatischen Konfliktpunkten setzten sich weitgehend die Positionen des ADAV durch. Zu einem direkten Bekenntnis zur ersten Internationale konnte sich die neue Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) nicht durchringen, lediglich der Hinweis auf den internationalen Charakter der Arbeiterbewegung findet sich im Parteiprogramm. Karl Marx bemängelte den unklaren Standpunkt der Partei zum Staat. In Wirtschaftsfragen setzte die SAP immer noch auf Staatshilfe anstatt auf Staatsfeindlichkeit.162 bb) Regionale und soziologische Einordnung der frühen sozialistischen Bewegung in Deutschland Die Gebiete, in denen sich die Sozialdemokratie in Deutschland früh ausbreitete, waren von einer überwiegend protestantischen Bevölkerung bewohnt. Eigentlicher Träger der sozialistischen Partei war nach klassischer Lesart vor allem die zunehmend säkularisierte protestantische Arbeiterschaft und Intelligenz.163 Regional sind laut Rohe in der Frühzeit zwei Zentren der sozialdemokratischen Bewegung auszumachen: Zum einen das Königreich Sachsen, Herkunftsland der SAP, andererseits die industriell geprägte Gegend im bergischmärkischen Bereich und dem westlichen Ruhrgebiet. Auch um Hamburg, Hannover und Braunschweig herum bildeten sich relativ früh sozialistische Gruppierungen.164 Na’Aman macht 1862 drei Zentren aus: Berlin, Leipzig und den Maingau, mit dem Zentrum Frankfurt, aber durchaus weitläufig ausgebreitet an Main und Rhein. So rechnet Na’Aman Nürnberg und Mannheim dem Maingau zu.165 Dabei handelt es sich um diejenigen deutschen Regionen, innerhalb derer sich bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein leistungsstarkes Manufaktur- und Verlagsgewerbe etabliert hatte. Diese Regionen hatten bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihren überwiegend agrarisch geprägten Charakter verloren und wurden früh von den ersten Industrialisierungsschüben erfasst.166 Eine Ausnahme bildet Schleswig-Holstein, das sich trotz seiner vorwie159 Siehe Fricke, S. 137. Vgl. Walter, S. 14. 161 Vgl. Fricke, S. 137/138. 162 Vgl. Fricke, S. 148-150. 163 Vgl. Nipperdey: 1866-1918 II, S. 353. 164 Vgl. Rohe, S. 85. 165 Vgl. Na’Aman, Konstituierung, S. 36. 166 Vgl. Kermann, Texte, S. 1. 160 33 Abb. 31 Die Sozialdemokratie fasste vorwiegend in protestantischen Gebieten Fuß gend ländlichen Kultur bereits in den 1870er Jahren zur sozialdemokratischen Vorzeigeregion entwickelte.167 Ohnehin ist die Genese der frühen Sozialdemokratie nicht zwangsläufig parallel zur industriellen Entwicklung zu sehen. Wie Thomas Welskopp betont, hatte die frühe Sozialdemokratie im Kern keine wirtschaftliche Stoßrichtung, sondern eine politische. „Sie reagierte eher auf das Eindringen des Kapitalismus in die kleine Warenproduktion als auf die Folgen der Industrialisierung.[…] Ihre Gegner waren die alten Zünfte ebenso wie der Kapitalismus und der reaktionäre Obrigkeitsstaat.“168 Er führt aus, dass die frühe Sozialdemokratie organisatorisch keinesfalls an gewerkschaftliche Organisationen angebunden war, vielmehr entwickelten sich umgekehrt die ersten Gewerkschaften in Anbindung an die allgemeinen Arbeitervereine.169 Welskopp betont weiterhin, dass die Parteibasis ursprünglich vor allem dem kleineren Handwerksstand entstammte.170 Wie bereits aufgezeigt, vermischten sich in der Sozialdemokratie traditionelle zünftige Handlungsformen mit modernen Elementen. Junge Handwerker auf Wanderschaft fungierten als Multiplikatoren für die meist im Ausland sitzenden Arbeitervereine und Geheimbünde. Auch die Anknüpfung an Traditionen von 1848 war ein wichtiger Faktor für die Bildung von Arbeitervereinen. Dies lässt sich an der regionalen 167 Vgl. Rohe, S. 88. Siehe Welskopp, S. 23. 169 Vgl. Welskopp, S. 25. Auf lokaler Ebene gab es allerdings auch durchaus widersprüchliche Entwicklungen zu diesem Befund. In Lambrecht beispielsweise kam es schon 1859 zu ersten Arbeitskämpfen, die erste Parteiorganisation wurde aber erst 1872 gegründet. Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 31 und S. 41. 170 Vgl. Welskopp, S. 23. 168 34 Ausbreitung, vornehmlich in Gebieten, die bereits bei der Revolution eine exponierte Rolle gespielt hatten, deutlich ablesen.171 In knapp der Hälfte der Orte, in denen sich in den 1860er Jahren Arbeitervereine gründeten, hatten solche Vereine 1848 schon einmal bestanden.172 171 Vgl. Welskopp, S. 24. Vgl. Grebing, Helga: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Von der Revolution 1848 bis ins 21. Jahrhundert, Berlin 2007, S. 22. 172 35 III Voraussetzungen zur pfälzischen Sozialdemokratie A Die Pfalz a) Gebietsgliederung bis zur bayerischen Zeit Die Rheinpfalz umfasst das Gebiet westlich des Rheins bis zum Saarland, grenzt im Norden an den Hunsrück, im Süden ans Elsaß und im Westen ans Saargebiet. Der inzwischen saarländische Kreis Homburg mit der Industriestadt St. Ingbert gehörte im Untersuchungszeitraum noch zur bayerischen Pfalz. Noch im 18. Jahrhundert war das Gebiet auf 35 Herrschaften verteilt gewesen. Erst die französische Eroberung der linksrheinischen Gebiete 1792 im Gefolge der Revolution machte aus der heutigen Pfalz einen einheitlichen Bezirk. Gemeinsam mit den heute rheinhessischen Gebieten um Mainz bildete die Pfalz als Département Mont-Tonerre einen einheitlichen Verwaltungsbezirk des französischen Staats.173 Nach der französischen Niederlage von 1814 gelangte das Gebiet nach einem kleinen Zwischenspiel unter österreichischer und bayerischer Verwaltung schließlich 1817 endgültig an Bayern, der Bayerische Rheinkreis erhielt schließlich 1838 die Bezeichnung Bayerische Pfalz.174 Die Integration in den bayerischen Staat verlief äußerst schleppend. Zum einen war die Region parlamentarisch im politischen System deutlich unterrepräsentiert,175 zum anderen blieb der Landstrich aufgrund der Randlage zollpolitisch isoliert, was sich nachteilig auf die wirtschaftliche Situation auswirkte. Trennend zum bayerischen Mutterland wirkte auch das Erbe aus französischer Zeit. Auf rechtlicher Ebene hatte die Region als Teil Frankreichs eine erhebliche Liberalisierungswelle durchlaufen. Diese umfasste die Abschaffung der Privilegien für Adel und Geistlichkeit, ausdrückliche rechtliche Gleichstellung aller Staatsbürger, Trennung von Staat und Kirche, rechtliche Gleichstellung von Stadt und Land, Abschaffung der Zünfte, die damit verbundene Gewerbefreiheit sowie Niederlassungs- und Heiratsfreiheit.176 b) Konfessionelle Durchmischung und politische Gruppierungen Die auf kleinstem Raum heterogene Herrschaftsstruktur aus vorfranzösischer Zeit wurde im Rahmen der konfessionellen Durchmischung in der Pfalz konserviert. Dabei sind grundsätzlich zwei Großräume zu unterscheiden: Der Süden der Pfalz war vorwiegend von einer katholischen Bevölkerung bewohnt, allerdings durchsetzt von protestantischen Bevölkerungsgruppen. Den Norden bewohnten fast ausschließlich Protestanten.177 Dabei war die katholische Bevölkerung im Süden wirtschaftlich weitestgehend schlechter gestellt. Die Vgl. Nordblom, Pia: Der „Sinai der Liberalität“? Die Pfalz und die Gemeinde Göllheim zwischen den politischen koordinaten Paris, München und Frankfurt/Berlin (1792-1848/1871), In: MHVPf 101 (2003), S. 275-303, S. 277-282. 174 Vgl. Nordblom, S. 284. 175 Vgl. Nordblom, S. 285/286. 176 Vgl. Nordblom, S. 285. 177 Vgl. Stamer, Ludwig: Geschichte des Speirer Bistums unter der Herrschaft der bayrischen Könige. Kirchengeschichte der Pfalz 1801-1918 Bd. 4, Speyer 1964, S. 150. 173 36 meisten pfälzischen Katholiken waren erst nach dem Dreißigjährigen Krieg eingewandert, als die fruchtbarsten Landesteile schon dicht besiedelt waren. Abgesehen von Geistlichen schafften nur wenige Menschen innerhalb der katholischen Bevölkerung den Aufstieg zu bürgerlichen Berufen.178 Insbesondere die protestantischen Gebiete der Pfalz waren spätestens ab der französischen Zeit äußerst empfänglich für liberale Ideen. Der Widerspruch zu den jeweils katholischen Herrscherdynastien — im 18. Jahrhundert kurpfälzisch, im 19. Jahrhundert bayerisch — war einem oppositionellen Geist im protestantischen Bürgertum zuträglich. Darüber hinaus war der, eher demokratisch vorgeprägte Kalvinismus die dominierende Form des Protestantismus in der Pfalz.179 Ein weiterer Aspekt deutet auf die Empfänglichkeit der pfälzischen Protestanten für liberale Ideen: Wenn Lepsius für das protestantische Deutschland eine „traditionelle Dichotomie Konservative – Liberale“180 attestiert, und „das Land unter Führung vielfach adeliger Grundbesitzer konservativ“181 geprägt ist, so erklärt sich in der protestantischen Pfalz die Vorherrschaft der Liberalen auch aus dem Fehlen einer Schicht adeliger Grundbesitzer im 19. Jahrhundert. Auch die geografische Nähe zum Mutterland der Revolution mag hier eine Rolle spielen, schließlich war die Pfalz immer das erste deutsche Einzugsgebiet für revolutionäre Wellen aus Paris. 182 Der nationalliberale Historiker Heinrich Treitschke nannte die Rheinpfälzer aufgrund des französisch-liberalen Einflusses gar ein „Bastardvolk“. Die Möglichkeit, dass die Bevölkerung für den deutschen Geist wiederzugewinnen sei, wurde auch unter preußischen Patrioten bezweifelt.183 Zu tief hatte die französische Revolution in die Verwaltungsstrukturen und vor allem ins politische Bewusstsein hineingewirkt. Nicht umsonst standen die französischen Institutionen und das Legalitätsprinzip noch in der Revolution von 1848 unter den pfälzischen Liberalen hoch im Kurs.184 Insgesamt war die Pfalz 1848 eine Bastion der Linken. Sie war das einzige größere, zusammenhängende Gebiet aus dem alle Parlamentarier auch noch im Stuttgarter Rumpfparlament vollständig vertreten waren.185 c) Wirtschaftliche Entwicklung bis 1848 Durch die französische Revolutionsregierung waren alle feudalen Bindungen in der Pfalz bereits recht früh aufgehoben worden. In der Folge konnte sich die Landwirtschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts gut entwickeln, erreichte allerdings um 1830 eine Grenze, was Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten anging. 186 Eines der wichtigsten Landwirt178 Vgl. Stamer, S. 150. Vgl. Stamer, S. 149. Siehe Lepsius, S. 385. 181 Siehe Lepsius, S. 385. 182 Vgl. Baumann, Volkserhebung, S. 294. 183 Vgl. Stamer, S. 149. 184 Vgl. Schwarzwälder, S. 376. 185 Vgl. Ruppert, S. 105. 186 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 129. 179 180 37 schaftsprodukte der Pfalz war schon damals der Weinbau, konzentriert auf die höheren Lagen der Rheinebene, dem fruchtbarsten Teil der Region, wo ansonsten der Obstanbau eine große Rolle spielte.187 Daneben erfuhr der Tabakanbau im 19. Jahrhundert in Rheinnähe einen Aufschwung.188 Weniger fruchtbare Böden als in der Vorderpfalz fanden sich im nordpfälzischen Bergland und noch weniger im südwestlichen Gebiet. Hier herrschte der Roggenanbau vor, im Bergland oft ergänzt durch Weideland.189 Die Anbaufläche für Wein betrug 1863 10.483,22 Hektar. Kartoffeln (52.775,07 Hektar), Roggen (46.372,86 Hektar) und Weideland (52.828,73 Hektar) nahmen insgesamt das meiste Land in Beschlag.190 Eine wichtige Rolle spielte in der Pfalz auch die Holzwirtschaft. 40 Prozent der Oberfläche waren 1830 von Wald bedeckt, davon waren 48 Prozent in Staatsbesitz, 39 Prozent in Gemeindehand und 13 Prozent in Privatbesitz. Das Zentrum der pfälzischen Forstwirtschaft war der Pfälzer Wald.191 Obwohl die feudalen Bindungen früh aufgehoben wurden und die Pfalz aus der französischen Zeit auch über eine fortschrittliche Gewerbeverfassung verfügte, waren die Absatzmöglichkeiten wegen der zollpolitisch ungünstigen Lage eingeschränkt. 192 Zum einen rissen die bis 1815 aufgebauten wirtschaftlichen Verbindungen nach Frankreich ab, weiterhin fehlten mit dem Abwandern der Landesherrschaft in der französischen Zeit die wichtigsten Auftraggeber. Folglich befand sich die pfälzische Industrie in der ersten Jahrhunderthälfte in einer Krise. Erst als 1834 der deutsche Zollverein gegründet wurde, besserte sich die Lage allmählich.193 Der Anteil an Beschäftigten in Landwirtschaft und Gewerbe ohne Haus- oder Grundbesitz lag bereits 1830 bei rund einem Viertel. Die Verarmung breiter Gesellschaftsschichten nahm in der Folgezeit noch deutlich zu, was auch die hohe Anzahl an Auswanderern, zum einen in die USA, in der zweiten Jahrhunderthälfte auch zunehmend innerhalb Deutschlands, belegt.194 Die konjunkturelle Entwicklung blieb bis in die 1840er Jahre positiv, dann kam es jedoch zu einem Einbruch. Dieser war vor allem in Ernteausfällen begründet. Die Kartoffelkrankheit grassierte 1845. Die schlechte Getreideernte im Folgejahr verschärfte die Teuerung von Lebensmitteln noch und erreichte 1847 einen Höhepunkt. Der dadurch ausgelöste Nachfragerückgang bei Gütern gewerblicher Produktion beeinträchtigte die Lebensverhältnisse breiter Bevölkerungsschichten erheblich.195 187 Vgl. Weidmann, Schulgeschichte, S. 223-227. Vgl. Kermann, Verkehr, S. 130. Vgl. Weidmann, Schulgeschichte, S. 228-230. 190 Vgl. Tabelle nach Jahresbericht der Pfälzischen Handels- und Gewerbekammer für das Jahr 1878 bei Wysocki, S. 225. 191 Vgl. Weidmann, Schulgeschichte, S. 227/228. 192 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 131. 193 Vgl. Haan, S. 7. 194 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 131. 195 Vgl. Fenske, Deutschland 48/49, S. 12. 188 189 38 B Die Pfalz 1848 a) Die Revolution in der Pfalz Die Revolution von 1848 fasste vor allem in den dicht besiedelten Gebieten der Vorderpfalz schnell Fuß. Am 29. Februar 1848 kam es im zentral gelegenen Neustadt zur ersten Volksversammlung, angeregt durch die Ereignisse von Paris und dem Mannheimer Beispiel.196 Im Frühjahr 1848 schossen die politischen Vereine wie Pilze aus dem Boden. Dies wurde möglich, weil das Vereinsrecht zu Beginn der Revolution gelockert wurde, wobei diese Reform noch nicht in Gesetzesform gegossen war. Somit schwebte das „Damoklesschwert der Polizeischikane“197 weiter über den bayerischen politischen Vereinen. Vertreter aller pfälzischer Regionen traten in Kaiserslautern zusammen und schafften die Grundlage für die Vereinheitlichung der pfälzischen politischen Vereine. Anders als die aufbegehrenden Bürger in anderen Regionen Deutschlands schafften die Pfälzer zunächst eine Zentralorganisation. Der Vaterlands-Verein für die Pfalz wurde bei dieser Zusammenkunft am 9. April 1848198 gegründet, um von dort ausgehend alle Landesteile mit politischen Vereinen zu durchdringen. In den mittleren und größeren Städten der Pfalz entstand bis zum Sommer 1848 ein Netz von Vereinen, die mit der Zentrale in Kaiserslautern kooperierten. Das politische Leben entfaltete sich in denjenigen Städten am stärksten, wo lokal verschieden ausgerichtete Vereine in Konkurrenz zueinander standen.199 Bis auf Kaiserslautern und Zweibrücken waren alle bedeutenderen Vereine entlang der Haardt oder in der Rheinebene angesiedelt. Durch die frühe Einheitlichkeit der Organisation in einem Dachverband wurde der in anderen Regionen deutlicher ausgeprägte Dualismus zwischen liberalem Konstitutionalismus und radikal-demokratischen Strömungen gebremst.200 Insgesamt waren die sozialen Gegensätze in der Pfalz, gerade im Vergleich zu anderen Regionen, eher gering. Sowohl im Dialekt als auch in der Kleidungsart gab es vergleichsweise geringe schichtspezifische Differenzierungen in der Region. Das komplette Fehlen einer adeligen Oberschicht und die sehr kleine Anzahl an sehr reichen Großbürgern führten zu einer relativ ausgeglichenen Gesellschaftsstruktur,201 was möglicherweise mit ein Grund ist für den gering ausgeprägten Gegensatz zwischen konservativ-liberalen und radikalen Demokraten. In der Frankfurter Nationalversammlung schlossen sich die pfälzischen Abgeordneten dann der demokratischen Linken an.202 196 Vgl. Ruppert, S. 62. Siehe Ruppert, S. 67. Vgl. Schlegel, Wolfgang: Restauration und Revolution in der Pfalz (1815-1850), in: Pfälzische Landeskunde. Beiträge zu Geographie, Biologie, Volkskunde und Geschichte Bd. 3, hrsg. v. Michael Geiger, Günter Preuß und Karl-Heinz Rothenberger, Landau 1981, S. 179-196, hier S. 191. 199 Vgl. Ruppert, S. 69-72. 200 Vgl. Ruppert, S. 86/87. 201 Vgl. Schwarzwälder, S. 382/383. 202 Vgl. Schlegel, S. 191. 197 198 39 Im Sommer 1848 flaute die politische Mobilisierung in der Pfalz leicht ab.203 Erst im Herbst 1848 kam die revolutionäre Bewegung wieder in Schwung. Die Spaltung zwischen Liberal-Konservativen und Demokraten kündigte sich an. Als sich das Parlament für die Beibehaltung der Monarchie entschied, verlor es insbesondere bei den radikalen Kräften an Ansehen. Auch in der Pfalz kam es zum Konflikt. Am 9. September beschloss der Kreisausschuss in Neustadt unter Ausschluss der konservativeren Vereine aus dem Bezirk Kaiserslautern eine Organisationsreform. Der Volksverein positionierte sich inhaltlich demokratischer und nationaler, gab sich gleichzeitlich eine straffere und hierarchischere innere Organisation.204 Insgesamt stellte sich die pfälzische Bewegung nochmals hinter die linken pfälzischen Abgeordneten im Parlament. Der Konflikt zwischen linkem und rechtem Flügel der Revolution war bereits greifbar, brach jedoch nicht offen aus. In Kaiserslautern schaffte der Volksverein die Ablehnung eines Antrags vom linken Sonntagskränzchen zur Vorbereitung militärischer Schritte. Auch wenn sich die Situation zuspitzte, blieb sie in der Pfalz vorerst gewaltfrei.205 Erst im Frühjahr 1849 folgte der zunehmenden Mobilisierung durch die Fürsten eine Gegenbewegung in der Pfalz. Vielerorts schlossen sich die lokalen Vereine zu einheitlichen Märzvereinen zusammen, besonders in den Kantonen Bergzabern, Kirchheim-Bolanden, Germersheim und Zweibrücken verstärkte sich die Vereinstätigkeit in bis dahin ungekanntem Maße. Der Volksverein gewann nochmals deutlich an Gewicht, bis zum Ausbruch des offenen Aufstandes zählte er zumindest formal 200 Zweigvereine und ungefähr 18.000 Mitglieder.206 Am 23. April ließ die bayerische Regierung verlauten, dass die Paulskirchenverfassung ohne Zustimmung durch beide bayerischen Kammern und König für Bayern nicht übernommen würde. Bereits drei Wochen zuvor hatte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone abgelehnt. Für die Revolutionäre in Deutschland und der Pfalz wurde damit endgültig klar, dass die Fürsten eine Demokratisierung nicht freiwillig akzeptieren würden.207 Der Volksverein musste sich nun zwischen zwei gegensätzlichen Handlungsoptionen entscheiden: Die Konservativ-Liberalen präferierten den legalen Weg, mittels Eingaben an die bayerische Regierung die Verfassung zu implementieren. Die Vertreter von Demokraten und Arbeitern plädierten für Volksbewaffnung und den endgültigen Bruch mit dem König. Obwohl sowohl die geschäftsführende Frankenthaler Abordnung als auch die Vertreter des Neustädter Arbeitervereins sich für die sofortige Volksbewaffnung stark machten, beließ es der Volksverein zunächst bei einer Drohung. Ein Ausschuss für Lan203 Vgl. Schlegel, S. 191. Vgl. Ruppert, S. 116/117. Vgl. Ruppert, S. 118/119. 206 Vgl. Ruppert, S. 131-133. 207 Vgl. Ruppert, S. 174. 204 205 40 desverteidigung sollte in Zusammenarbeit mit den regionalen Turnerverbänden und Bürgerwehren eine Armee aufstellen.208 Auf einer Volksversammlung am 2. Mai in Kaiserslautern wurde der von den führenden Vertretern des Volksvereins gefasste Beschluss noch einmal direkt durch das Volk legitimiert. Zur Versammlung kamen 13.000 Männer (und eine ungenannte Anzahl an sich ebenfalls beteiligenden Frauen) zusammen und billigten diese Entscheidung. Die große Beteiligung gab ein letztes Zeugnis von der hohen Mobilisierungskraft des Volksvereins innerhalb der Bevölkerung ab.209 Am 17. Mai 1849 wurde in Kaiserslautern der Landesverteidigungsausschuss zur provisorischen Regierung ernannt und die unabhängige pfälzische Republik ausgerufen.210 Damit einher ging der Bruch mit der Frankfurter Nationalversammlung, innerhalb derer sich keine Mehrheit für einen Aufruf zur Verteidigung der Reichsverfassungskampagne fand. Neben dem Volksverein stand nur noch die zweite Kammer des bayerischen Landtags hinter der Reichsverfassung. Da die bayerische Regierung das Vorgehen des Volksvereins als Hochverrat ansah, war für die Verantwortlichen der Weg zurück auf legalen Boden ohnehin verbaut. Zuströmende revolutionäre Freischaren aus ganz Deutschland gaben der Mobilmachung in der Pfalz nochmals eine eigene Dynamik.211 Zunächst hofften die radikalen Kräfte auch auf Frankreich. Weil sich die französische Armee in Italien gegen die Republik engagierte, kam es in Paris zu Demonstrationen, die allerdings am 13. Juni 1849212 niedergeschlagen wurden. Am selben Tag rückten preußische Truppen in die Pfalz ein.213 Da die konservative Regierung Napoleons III. sich im Amt behauptete, konnten die Linken in Deutschland nicht mehr auf französische Schützenhilfe hoffen.214 Als sich in der Pfalz eine gewaltsame Entscheidung des Konflikts ankündigte, legte die Mehrheit der überwiegend bürgerlichen Vertreter der Revolution eine eher zögerliche Herangehensweise an den Tag. Seit dem Bruch mit der bayerischen Regierung herrschte Zurückhaltung. Lediglich eine kleine radikale Minderheit stand voll hinter dem Aufstand und versuchte aktionistisch einen Volksaufstand zu propagieren. 215 Daneben gewannen die einsickernden radikalen Kräfte zunehmend an Einfluss. Genannt sei an dieser Stelle nur das maßgebliche Engagement Karl D’Esters, Mitglied im Bund der Kommunisten und eng 208 Vgl. Ruppert, S.175-177. Vgl. Ruppert, S. 176. 210 Vgl. Baumann, Volkserhebung, S. 311. 211 Vgl. Ruppert, S. 180. 212 Karl Marx setzte sich seinerzeit ausführlich mit den Ereignissen vom 13. Juni 1849 und deren Bedeutung für die europäischen Revolutionäre auseinander, vgl. Marx, Karl: Die Folgen des 13. Juli 1849, am 22.3.2012 online unter:. http://www.mlwerke.de/me/me07/me07_064.htm. 213 Vgl. Kreutz, Wilhelm: Anfänge der pfälzischen Arbeiterbewegung. Vom Hambacher Fest bis zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins 1832-1863, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 43-57, hier S. 55. 214 Vgl. Dlubek, Rolf: Arbeiter in den Freischaren der badisch-pfälzischen Revolution, in: Das lange 19. Jahrhundert. Personen – Ideen – Umwälzungen, hrsg. v. W. Küttler, Berlin 1999, S. 227-260, hier S. 239. 215 Vgl. Ruppert, S. 185. 209 41 vernetzt mit der europäischen revolutionären Avantgarde, in der provisorischen Regierung Kaiserslauterns. Auch Friedrich Engels beteiligte sich am pfälzischen Aufstand.216 Allerdings hatten die schlecht ausgebildeten, schlecht bewaffneten, zusammengewürfelten 30.000 Mann der Revolutionsarmee keine Chance gegen die 56.000 Mann regulärer preußischer Truppen.217 In einem kurzen Feldzug wurde die aufständische Pfalz überrollt218 und Ende August 1849 wurden alle politischen Vereine der Pfalz ausnahmslos verboten. Im Februar 1850 wurden mit dem strikten bayerischen Vereinsgesetz jegliche politische Organisationen verboten.219 b) Die Rolle der Arbeitervereine in der Revolution In der Pfalz etablierten sich besonders ab dem Jahresende 1848 neben den bürgerlichen Vaterlandsvereinen auch Arbeitervereine. Vor allem städtische Handwerkergesellen organisierten sich und knüpften an zünftische Traditionen an. Die Landbevölkerung war innerhalb der 48er-Arbeiterbewegung kaum involviert, anders als in anderen deutschen Regionen waren im linksrheinischen Gebiet die feudalen Bindungen — Hauptmotiv bäuerlicher Aufstände von 1848/49 im deutschen Südwesten — bereits gelöst.220 Die Bewegung umfasste nicht das Lumpenproletariat im eigentlichen Sinn. Vielmehr handelte es sich um gelernte Arbeiter und Gesellen, die immerhin genügend Einkommen hatten, um nicht nur mit dem Broterwerb beschäftigt zu sein. Die Vereinstätigkeit, bei der insbesondere Ausund Weiterbildung eine wichtige Rolle spielte, erforderte ein Mindestmaß an sozialer Sicherung. Diese war allerdings noch so schwach, dass sozialrevolutionäre Forderungen bei den Arbeitern Fuß fassen konnten.221 Inhaltlich war die Bewegung ganz auf ihre meist kleinbürgerlichen intellektuellen Köpfe angewiesen. 222 Schwarzwälder betont außerdem die Bedeutung des konfessionellen Aspekts innerhalb der Arbeiterbewegung im revolutionären Neustadt: Die protestantische Mehrheit war, wie bereits aufgezeigt, Widerstand gegen die meist katholischen Machthaber gewohnt.223 Dennoch hatte die Arbeiterbewegung 1848/49 auch Unterstützung aus dem katholischen Lager. Insbesondere die katholisch geprägte freireligiöse Bewegung war eng mit der Arbeiterbewegung von 1848/49 verzahnt.224 Bereits 1845 hatte der katholische Pfarrer Mühlhauser die inhumanen Arbeitsbedingungen der Lambrechter Arbeiter in einer Denkschrift angegriffen.225 Daneben fasste die deutschkatholische Bewegung in Neustadt, Frankenthal und 216 Vgl. Baumann, Volkserhebung, S. 306/307. Vgl. Dlubek, S. 243. 218 Eine ausführliche Zusammenfassung des Kriegsgeschehens bei Dlubek, S. 243-253. 219 Vgl. Ruppert, S. 186. 220 Vgl. Ries, Klaus: Die ländlichen Unruhen in der deutschen Revolution von 1848/49, in: Revolution an der Grenze. 1848/49 als nationales und regionales Ereignis, hrsg. v. K. Ries, St. Ingbert 1999, S. 85-103, hier S. 87-92. 221 Vgl. Schwarzwälder, S. 380. 222 Vgl. Schwarzwälder, S. 391. 223 Vgl. Schwarzwälder, S. 384. 224 Vgl. Kreutz, S. 52. 225 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 42. 217 42 Kaiserslautern seit 1845 unter Handwerkern Fuß.226 Gerade die Neustädter Arbeiterbewegung, die stärkste in der Pfalz 1848/49, arbeitete eng mit den deutschkatholischen Gemeinden zusammen.227 Zu Beginn der Revolution spielten die Arbeitervereine eine eher untergeordnete Rolle. Den Volksverein dominierten Konservativ-Liberale und Demokraten. Zwar wurden in Neustadt, Kaiserslautern und Frankenthal schon früh Arbeitervereine gegründet, eine eigenständige Organisation erlangten diese aber erst nach einigen Monaten.228 Der Mobilisierungsgrad der Arbeitervereine stieg ab Herbst 1848 steil an und erreichte seinen Höhepunkt in der Reichsverfassungskampagne, die zum gewaltsamen Aufstand führte. An Stelle der Bürgerlichen waren in dieser Phase Radikaldemokraten, Arbeitervereine und Freischärler die federführenden politischen Akteure. Besonders am Beispiel von Neustadt, der Hochburg der Linken, wird diese Tendenz deutlich. Am 14. Januar 1849 löste sich der dortige Arbeiterverein aus dem Volksverein. Heinrich Lose und Josef Valentin Weber, die Anführer des Arbeitervereins, drängten ab diesem Zeitpunkt offen zum gewaltsamen Aufstand und konnten die Mehrheit des Neustädter Volksvereins hinter sich bringen.229 Der Neustädter Arbeiterverein war Mitglied der Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbrüderung, die es den einzelnen Vereinen selbst überließ, ihre ideologische Ausrichtung zu bestimmen.230 Dass sich in Neustadt die radikalen Positionen dennoch durchsetzen konnten, spricht für eine zumindest teilweise Durchdringung der dortigen Bevölkerung mit frühsozialistischem Gedankengut. Dieser Befund trifft in dieser Form auf keine andere pfälzische Stadt zu. Es war in Neustadt wohl auch die Unterstützung der zuströmenden Radikalen aus ganz Deutschland, die die Linken die Oberhand innerhalb der revolutionären Bewegung gewinnen ließ. Die wandernde Barrikade, eine Gedichtsammlung, die die Ereignisse der württembergischen, badischen und pfälzischen Revolution aus Sicht der Revolutionäre wiedergibt, greift diesen Umstand auf. Dabei wird Neustadt, als „der Freiheit Centrum hier, Wo die Proletarier, wir, Mächtig konnten siegen“231 dargestellt. Der Text spielt auf die Abhaltung der Volksversammlung in Kaiserslautern am 2. Mai 1849 an und kritisiert die zögerliche Herangehensweise der konservativ-liberalen Führungsfiguren im Volksverein, die aus radikaler Sicht viel zu unentschlossen gegenüber der Reichsregierung agierten. Mit der Verlegung ins bürgerliche Kaiserslautern, weg vom radikalen Zentrum der Revolution am Haardtrand und in der Vorderpfalz verdeutlicht sich die zögerliche Herangehensweise der gemäßigten Revo226 Vgl. Kreutz, S. 52. Vgl. Wunder, Arbeiterverein 1848/49, S. 59. 228 Vgl. Schwarzwälder, S. 381. 229 Vgl. Schwarzwälder, S. 386. 230 Vgl. Schwarzwälder, S. 389/390. 231 Zitiert nach Kessler, Rainer: „Die wandernde Barrikade“. Aus der Pfälzer Arbeiterbewegung von 1849, in: Pfälzer Heimat 35 (1984), S. 154-161, hier S. 155. 227 43 lutionäre. Auch ihre Fixierung auf die Legalität im Gegensatz zur Arbeiterbewegung wird in diesem Text deutlich.232 Möglicherweise ist der schon 1848 offen zutage tretende Riss zwischen Bürgerlichen und den sozialrevolutionären Gruppierungen einer der Gründe für die im internationalen Vergleich unheimlich frühe Herausbildung einer spezifisch sozialistischen Arbeiterpartei in Deutschland. Nicht nur Dlubek macht die Beteiligung von Arbeitern an den Aufständen in der Literatur als einen Faktor für die spätere Formierung der Arbeiterbewegung aus.233 Auch die Art und Weise, wie sich die international vernetzten Geheimbünde über die Kanäle der Handwerkergesellen in die Revolution einschalteten,234 erinnert in manchen Aspekten stark an die spätere Ausbreitung der Sozialdemokratie in Deutschland. In der Literatur lässt sich bezogen auf die pfälzische Arbeiterbewegung von 1848 auch der gegensätzliche Standpunkt finden. So sieht Ruppert keinen Zusammenhang zwischen den Arbeitervereinen der Revolution und den späteren Arbeiterparteien mit der Begründung, erstere hätten den Kommunismus abgelehnt, da dieser zur Despotie führen müsse. Vielmehr hätten die Arbeitervereine 1848/49 einen von Ruppert nicht näher erläuterten „Socialismus, […] jenseits von Kapitalismus, Liberalismus und Kommunismus“235 zum Ziel gehabt. Eine Ausrichtung, die allerdings stark an die an anderer Stelle bereits ausgeführte Lassallesche Konzeption einer demokratischen Umgestaltung des Staats im Sinn der Arbeiter erinnert. Weiterhin richteten sich die Arbeitervereine laut Ruppert in der Revolutionszeit vor allem an diejenigen, die sich den Lebensunterhalt mit „redlicher Arbeit, sei es mit der Hand oder mit dem Kopf“236 verdienten. Der Arbeitsbegriff als konstitutives Wertelement der gesellschaftlichen Organisation, wie er auch innerhalb der späteren Sozialdemokratie auftrat, spielte also bereits in der Wertewelt der Arbeitervereine von 1848 eine maßgebliche Rolle. Auch die publizistischen Beiträge Webers im Pfälzer Volksmann weisen deutlich in eine sozialistische Richtung. So kritisierte Weber den Liberalismus, der nur dem Wohl des Einzelnen auf Kosten der Mehrheit diene. Das Recht auf Eigentum, so Weber, zementiere die untragbaren gesellschaftlichen Zustände. Im Pfälzer Volksmann wird dagegen die Forderung nach einer progressiven Einkommenssteuer erhoben. Auch solle der Staat unnötige 232 So heißt es in der wandernden Barrikade über Kaiserslautern: „Dorten in der Burgenstadt Sollten’s ganz gemüthlich Die Notablen der Pfalz, Gesetzlich und friedlich, Der Vereine Vorstände, Bürgermeister, Adjunkte, Deputierte – richten.“ Zitiert nach Kessler, S. 156. 233 Vgl. Dlubek, S. 255. 234 Vgl. Baumann, Volkserhebung, S. 303. 235 Siehe Ruppert, S. 151. 236 Aufruf des Arbeiterkongresses Neustadt, zitiert nach Ruppert, S. 151. 44 Ausgaben, beispielsweise für stehende Heere, unterlassen.237 Wie bereits aufgezeigt, gehörte die Forderung nach Abschaffung stehender Heere zu Gunsten der Volksbewaffnung im 19. Jahrhundert zum Kanon der sozialistischen Agenda. Auch in der Symbolik war der Neustädter Arbeiterverein der Revolutionszeit nah an der späteren SPD: Sowohl die rote Fahne, als auch der Gruß mit der geballten Faust sind überliefert.238 Widersprüchlich dazu steht allerdings das Eintreten des Delegierten der pfälzischen Arbeiterbildungvereine für unbedingte Gewerbefreiheit auf dem bayerischen Arbeiterkongress in Nürnberg im April 1849.239 Es ist klar, dass auch die pfälzische Arbeiterbewegung 1848 noch am Anfang stand, aber es zeichnete sich bereits deutlich ab, dass eine von bürgerlich-liberalen Einflüssen unabhängige Sichtweise im Entstehen begriffen war. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass man auch schon 1848 von einer, wenn auch eher schwachen, pfälzischen Arbeiterbewegung sprechen kann. Diese war die einzige politische Kraft, die sich bedingungslos hinter den Aufstand stellte. c) Zerschlagung und „Überwintern“ oppositioneller Strukturen Die Verankerung der aufständischen Bewegung innerhalb der breiten Masse der Bevölkerung bleibt dennoch äußerst zweifelhaft. Auch war der Anteil an Aufständischen nichtpfälzischer Herkunft in der 1848er-Bewegung recht hoch.240 Dennoch hatten zumindest die Volksvereine Zweigstellen in der gesamten Region, womit auch die hintersten Winkel der abgelegeneren Gebiete von der Revolution zumindest erfasst wurden.241 In den Aufzeichnungen von Friedrich Engels kommen die pfälzischen Arbeiter wohl deshalb nicht als Teilnehmer des Aufstands vor.242 Die Anklageakte aus dem späteren Prozess in Zweibrücken gegen die Aufständischen richtete sich gegen 333 Personen, wovon 209 aus der Pfalz stammten. Von den 124 Nichtpfälzern stammten allerdings 51 aus Rheinhessen, also aus unmittelbarer Nachbarschaft. Die restlichen Angeklagten kamen aus den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands, auch Polen und Ungarn waren am Aufstand beteiligt.243 Der Frankenthaler Johann Philipp Becker, seit dem Hambacher Fest im Exil und als Oberbefehlshaber der badischen Revolutionsarmee in die Pfalz zurückgekehrt, sah vor allem im Fehlen krasser sozialer Probleme einen Grund für die passive Haltung der Mehrzahl der Landbevölkerung. „Die Not und Armut, welche zu einem verzweifelten Kampf den Mut gibt, fehlt fast überall, ebenso mangelt es auch an großen Städten, den Brennpunkten der 237 Vgl. Schwarzwälder, S. 404. Vgl. Wunder, Neustadt, S. 59. Vgl. Kreutz, S. 50. 240 Baumann hat einige Quellen, die die geringe Anteilnahme der Landbevölkerung an den revolutionären Ereignissen der Jahre 1848 und 1849 in der Pfalz dokumentieren, aufgelistet, vgl. hierzu Baumann, Volkserhebung, S. 299-303. Von den 333 Angeklagten im Gerichtsprozess wegen aktiver Beteiligung am pfälzischen Aufstand waren 124 Nichtpfälzer. 241 Vgl. Ruppert, S. 86. 242 Vgl. Kessler, S. 154. 243 Vgl. Baumann, Volkserhebung, S. 296. 238 239 45 Demokratie.“244 Bernd Schwarzwälder sieht den Wendepunkt gekommen, als die Illusion der legalen Revolution zerbrach. Bis zum Mai 1849 hatte sich die gesamte Reichsverfassungskampagne auf rechtlich einwandfreiem Boden befunden. Auch der radikale Arbeiterverein von Neustadt hatte diese zutiefst bürgerliche Denkkategorie aufgenommen und die Fürsten als abtrünnige Gesetzesbrecher angegriffen. Mit dem Zustrom von Radikalen aus ganz Europa und der Ausrufung der Republik hatten die auf Legalität pochenden Bürgerlichen das Heft aus der Hand gegeben und zogen sich nach und nach aus der Reichsverfassungskampagne zurück.245 Damit verlor die Bewegung allerdings auch die nötige Durchschlagskraft. Nachdem am 23. Mai 1863 erneut in Leipzig der ADAV als Dachorganisation für die deutschen Arbeiterverein ins Leben gerufen wurde,246 dauerte es noch einige Zeit, bis die Bewegung auch in der Pfalz wieder Fuß fassen konnte. Ferdinand Lasalle selbst besuchte im Juli 1864 kurz vor seinem Tod die Vorderpfalz. Dabei ernannte er Wilhelm Weber, den Sohn Josef Valentin Webers, zum Bevollmächtigten des Neustädter ADAV.247 Josef Valentin Weber war nach der Revolution nach Amerika geflohen und weilte 1861 in London, wo er gemeinsam mit Karl Marx im kommunistischen Arbeiterbildungsverein aktiv war. Dieses Beispiel zeigt auf, wie wichtig private, informelle und nicht zuletzt familiäre Kontakte für das Bestehen der ersten Arbeiterorganisationen über Zeiten der Verfolgung hinaus waren. In seiner politischen Ausrichtung war auch der junge Weber durchaus radikal. Einer seiner Auftritte auf einer Versammlung der Arbeiter des Maingaues in Mainz Anfang des Jahres 1865 ist überliefert. Darin würdigte er zunächst den kürzlich verstorbenen Lassalle, um daraufhin Schultze-Delitzsch und dessen Ideen der Selbsthilfe zu geißeln. Seine Ausführungen fanden jedoch ein jähes Ende, denn er ließ sich „zu einem Außdrucke [sic!] gegen die preußische Dynastie hinreißen, die uns die Achtung vor dieser Dynastie zu wiederholen verbietet“.248 So zumindest das Mainzer Abendblatt. Nach dieser Äußerung sah sich der anwesende Polizeirat genötigt, die Rede des „Thyrannenfressers [sic!]“249 zu unterbinden. Auch der Lassalleanische Arbeiterverein Webers fiel bereits am 9. Oktober 1864 dem polizeilichen Zugriff zum Opfer.250 Dem Verein hatten etwa 50 Handwerker und Tagelöhner angehört.251 Die Linke insgesamt wurde durch staatliche Eingriffe nachhaltig geschwächt und aus Pressewesen und Vereinsleben verbannt. Öffentlich konnte sich das Gedankengut 244 Zitiert nach Baumann, Volkserhebung, S. 299. Vgl. Schwarzwälder, S. 376. Vgl. Welskopp, S. 37. 247 Vgl. Wunder, Neustadt, S. 19/20. 248 Siehe Mainzer Abendblatt, No. 35, 10.2.1865, in: LA SP, H-3 929-II. 249 Siehe Mainzer Abendblatt, No. 35, 10.2.1865, in: LA SP, H-3 929-II. 250 Gerhard Wunder gibt zu bedenken, dass auch wirtschaftliche Gründe bei der Auflösung eine Rolle gespielt haben könnten. Wahrscheinlicher ist allerdings auch für Wunder ein polizeiliches Eingreifen, vgl. Wunder, Neustadt, S.19/20. 251 Vgl. Kreutz, S. 55. 245 246 46 dieser Strömung nicht erhalten, die demokratisch und sozialistisch denkende Bevölkerung war zur Äußerung auf private, informelle und familiäre Kontakte zurückgedrängt. C Wirtschaftliches und gesellschaftliches Umfeld der frühen pfälzischen Sozialdemokratie a) Voraussetzungen der pfälzischen Industrialisierung: Pauperisierung und Verkehr Die Pfalz war wie fast ganz Deutschland zur Mitte des 19. Jahrhunderts überwiegend ein Ackerbauland. Aus der französischen Zeit stammte die Abschaffung der Grundherrschaft und die Einführung des Code Civil, der eine uneingeschränkte Nutzung landwirtschaftlicher Flächen erlaubte. Da auch die kirchlichen Güter an unzählige kleine Landbesitzer gefallen waren, kam es in der Pfalz zu einer äußerst kleinteiligen und intensiven Bewirtschaftung des Landes durch eine immer zahlreicher werdende Bevölkerung. 1830 lebten 69 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft, 1852 waren es 67 Prozent, 1882 immer noch 54 Prozent. Wegen der kleinteiligen Parzellisierung des Gebiets, setzte die Maschinisierung der pfälzischen Landwirtschaft, gebunden an für Kleinbauern unerschwingliche Investitionskosten, nur äußerst zögerlich ein. 252 Wie in ganz Deutschland spielte die Industrie bis zur Jahrhunderthälfte eine untergeordnete Rolle. Die Landwirtschaft konnte „die rasche Bevölkerungszunahme im 19. Jahrhundert weder vom Beschäftigungsangebot noch von der Ernährungsfrage her bewältigen“.253 Missernten in der klimatisch ungünstigen Lage der Westpfalz und Überschwemmungen in der Vorderpfalz hatten regelmäßig katastrophale Auswirkungen auf die Ernährungslage. Auch die Winzer am Haardtrand wurden regelmäßig von Frost und Unwettern, die die Ernte vernichteten, bedroht.254 Die Pauperisierung der ländlichen Bevölkerung schritt voran. Das zeigt sich deutlich in der steigenden Anzahl von Bettlern und Vaganten, zwischen 1846 und dem Hungerkrisenjahr 1847 stieg die Anzahl der festgenommenen Bettler von 21.000 auf 24.000.255 Auch die steigende Anzahl an Holzfreveln ist ein deutliches Indiz für die zunehmende Verarmung der Landbevölkerung. Die Pfalz verfügte über große Waldflächen, größtenteils in staatlichem Besitz. Gemeinden und Staat verfuhren allerdings in der Verwertung des Holzes nach fiskalischen anstatt nach sozialen Gesichtspunkten. Um 1830 wurden ca. 90.000 Forstfrevler pro Jahr verurteilt, statistisch jeder fünfte Pfälzer, 256 diese Zahl hat sich bis 1842/43 noch verdoppelt.257 252 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 129. Siehe Kermann, Probleme, S. 155. 254 Vgl. Kermann, Probleme, S. 156. 255 Vgl. Kermann, Probleme, S. 157. 256 Vgl. Kermann; Verkehr, S. 129. 257 Vgl. Kermann, Probleme, S. 158. 253 47 Der deutlichste Hinweis auf die prekäre soziale Lage in der Pfalz ist die Auswanderungsstatistik. Die Zahl der Auswanderungen stieg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig an. 1832 verlor die Pfalz schon über 4.000 Bürger, 1854 erreichte diese Zahl mit 9.000 einen Höhepunkt. Die Auswanderung nahm solche Züge an, dass sie zeitweise sogar die Geburten in der Region überstieg. Zwischen 1846 und 1849 schrumpfte die Bevölkerung geringfügig um 121 Personen, zwischen 1849 und 1852 waren es sogar 3.343 Personen und zwischen den Volkszählungen von 1852 und 1855 verlor die Pfalz ganze 21.926 Einwohner. Erst 1858 wuchs die Anzahl der Pfälzer wieder um 8.227 Personen.258 Zu diesem Zeitpunkt konnte die einsetzende Industrialisierung bereits einen Teil der ökonomisch überschüssigen Landbevölkerung auffangen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschob sich die Wanderungsbewegung weg vom ganz überwiegend amerikanischen Ausland in die Industriezentren der Pfalz selbst. Insbesondere Ludwigshafen, aber auch die mittleren Industriestädte der Pfalz wuchsen in dieser Phase ganz erheblich. Für das Jahr 1900 ergab die Volkszählung für die gesamte Region insgesamt nur einen WanderungsverAbb. 4 1Landwirtschaftliche Struktur, Ausbreitung der Eisenbahn und frühe Industriestruktur der Pfalz lust von 2.382 Personen. Die stärksten Zuwächse finden sich in Ludwigshafen (15.593 Personen), Kaiserslautern (4.379 Personen), Pirmasens (2.542 Personen) und Zweibrücken (1.374 Personen). Die stärksten Bevölkerungsrückgänge verzeichneten eher ländliche Bezirksämter: Kusel (6.399 Personen), Germersheim (4.936 Personen), Homburg (4.246 Per- 258 Vgl. Kermann, Probleme, S. 161. 48 sonen), Neustadt (3.656 Personen), Bergzabern (3.522 Personen) und Kirchheimbolanden (2.148 Personen).259 Die Verkehrslage der Rheinpfalz war durch direkte Anbindung an den Rhein, Europas meistbefahrene Wasserstraße, überaus günstig. Wie so häufig ist auch in der Pfalz der Ausbau der Eisenbahn das wichtigste Indiz für die voranschreitende Industrialisierung. Ein erster wichtiger Schritt war der Bau der Ludwigs- und der Maximiliansbahn bis 1852. Die Ludwigsbahn verband die saarländischen und westpfälzischen Kohlereviere mit Ludwigshafen, die Maximiliansbahn sorgte für eine Verbindung von Neustadt nach Weißenburg im Elsaß. Auch in der Folgezeit wurde das pfälzische Eisenbahnnetz zügig ausgebaut. 260 Die industrielle Entwicklung in den anliegenden Ortschaften erfuhr durch die Bahn einen deutlichen Aufschwung. Insbesondere Kaiserslautern entwickelte sich zum industriellen Zentrum. 261 Die Anzahl der Eisenbahnkilometer pro 100 Quadratkilometer in der Pfalz (10,1 km) überstieg den Durchschnitt sowohl im Reich (5,6 km) als auch in Bayern (5,9 km) deutlich.262 b) Industrialisierung und Soziale Frage Die Pfalz bot zur Jahrhundertmitte beste Möglichkeiten zur Ansiedlung von Industrieunternehmen. Die Kohlebergwerke um St. Ingbert und im Saarland lagen in Reichweite und lieferten billige Energie, die Verkehrsanbindung war auf dem neuesten Stand, die Bevölkerung zahlreich und relativ arm, wodurch billige Arbeitskraft verfügbar war. „Die Pfalz ist […] auch so recht das Land für die Fabriktätigkeit“,263 schrieb der Journalist Friedrich Blaul 1855. Schon 1848/49 hatte sich ein leichter wirtschaftlicher Aufschwung angedeutet, und wirklich erlebte die Region in den Folgejahrzehnten einen rasanten Industrialisierungsschub. 264 Besonders nach dem deutsch-französischen Krieg zu Anfang der 1870er Jahre wurden enorme Investitionen in die pfälzische Industrie getätigt. Die Reichsgründung hatte eine Weitung der Absatzmärkte zur Folge, nicht nur der deutsche Binnenhandel wurde damit erleichtert, auch die Exportchancen ins Ausland erhöhten sich aufgrund der einheitlichen Rechtsstruktur. Nach dem gewonnen Krieg herrschten in der Grenzregion Pfalz Optimismus und ein großes Sicherheitsgefühl vor. Die hohe französische Kriegsentschädigung war einer der Faktoren, die zur Verflüssigung des Geld- und Kapitalmarktes in der Pfalz führ- 259 Vgl. Breunig, S. 52. Vgl. Kermann, Verkehr, S. 146-148. 261 Vgl. Rothenberger, S. 305. 262 Vgl. Wysocki, S. 223. 263 Siehe Schneider, Erich: Friedrich Blauls Stimmungsberichte aus der Pfalz in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“, in: MHVPf 100 (2002), S. 399-425, hier S. 417. 264 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 14. 260 49 ten. Hohe, in Anbetracht des Abschwungs in den 1880er Jahren vielleicht zu hohe Investitionen brachten die Industrialisierung in der Pfalz voran.265 Rund drei Viertel der Bevölkerung waren bis zum Ende des Jahrhunderts in Kleinbetrieben mit einem bis sechs Beschäftigten tätig, nur ein Viertel arbeitete in Großbetrieben, deren durchschnittliche Größe darüber hinaus mit durchschnittlich 32 Beschäftigten sehr niedrig war. Die wichtigste Branche der gewerblichen Produktion 1877 war die Bekleidungs- und Reinigungsbrache mit rund 20.000 Beschäftigten. Daneben spielten die Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln sowie Holz- und Schnittstoffe gemeinsam mit Handels- und Baugewerbe (jeweils rund 10.000 Beschäftigte) eine nennenswerte Rolle. Metallverarbeitung, Maschinenbau und Bergbau rangierten dahinter und kamen zusammen auf rund 11.500 Angestellte. Der wichtigste Industriezweig war in jener Zeit das Textilgewerbe.266 Dessen Zentrum befand sich im Lambrechter Tal, westlich von Neustadt, daneben gab es auch in und um Kaiserslautern sowie in Kusel einige Textilbetriebe.267 Im westlichen Teil der Pfalz wurde Steinkohlebergbau betrieben, auch die Eisenverhüttung war in St. Ingbert und um Kaiserslautern stark vertreten.268 Maschinenbaubetriebe fanden sich in Frankenthal, Kaiserslautern und Zweibrücken.269 Zu erwähnen ist auch die prosperierende Schuhindustrie in und um Pirmasens sowie einige Papierfabriken in Neustadt und Umgebung.270 Ludwigshafen war um 1850 vor allem wegen dem Rheinhafen und den sich daran anschließenden Handelshäusern von Bedeutung. Noch 1871 dominierten Handel und Gewerbe gegenüber der Industrie, ab der Gründerzeit jedoch erzielte die Industrie enorme Zuwächse.271 Besonders die 1865 gegründete Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF) entwickelte bis zum Ersten Weltkrieg und darüber hinaus zum bedeutendsten Industrieunternehmen der Pfalz.272 Zwar war die Industrie der Pfalz innerhalb von wenigen Jahrzehnten in der Lage, einen Großteil der verarmten Landbevölkerung in Lohn und Brot zu bringen, die Arbeitsbedingungen innerhalb der Unternehmen waren allerdings sehr schlecht. Aus der Frühzeit der Industrialisierung in der Pfalz lassen sich, von einigen Fabrikordnungen abgesehen, nur in Ausnahmefällen Quellen finden, die Aufschluss über die Arbeitsbedingungen innerhalb der Fabrikbetriebe geben. Von staatlicher Seite wurde zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeitsbevölkerung im wirtschaftlichen Bereich nur ansatzweise, im sozialen Bereich gar nicht eingegriffen.273 265 Vgl. Weidmann, Schwerpunkte, S. 30/31. Vgl. Wysocki, S. 235. Vgl. Kermann, Verkehr, S. 136-138. 268 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 131-134. 269 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 134/135. 270 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 138/139. 271 Vgl. Breunig, S. 25-28. 272 Vgl. Breunig, S. 28-31. 273 Vgl. Kermann, Vorschriften, S. 315. 266 267 50 Im Polizeistrafgesetzbuch von 1861 waren auch Strafen für Vergehen gegen die Fürsorge von Leben und Gesundheit der Arbeiter vorgesehen, konkretisiert wurde diese Regelung 1863 durch eine ministerielle Bekanntmachung. Diese verpflichtete Betriebe, die mit giftigen Stoffen arbeiteten, zumindest zur Entsorgung giftiger Abfälle und zur Lufterneuerung und Reinigung der Arbeitsräume. Eine Vollzugskontrolle zu diesen Vorschriften war allerdings nicht vorgesehen, was den Schluss zulässt, dass diese Regelung faktisch nur auf dem Papier existierte.274 Eine etwas umfassendere Regelung der Arbeitsverhältnisse durch den Staat erfolgte erst 1873 mit der Implementierung der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes für Bayern.275 1873 folgte eine Erhebung zu den Einrichtungen zum Besten der Arbeiter in allen Kommunen, zumindest in Ludwigshafen mit katastrophalem Ergebnis. Zwei Jahre später erfolgte, einem Bundesratsbeschluss folgend, eine Enquete über die Arbeitsverhältnisse. Daraus wird vor allem ersichtlich, dass die Arbeiter in dieser Phase den Unternehmern weitestgehend ausgeliefert waren. Die Arbeitsorganisation konnte unternehmerseitig ohne Mitsprache der Belegschaft jederzeit umgestellt werden.276 Aufbau und Betrieb auch gesundheitsschädlicher Arbeitsanlagen lagen voll im Ermessen der Behörden,277 Einspruchsmöglichkeiten waren nur für private Dritte vorgesehen, etwa Nachbarn, deren Besitz wegen der industriellen Tätigkeit an Wert verlor.278 Der Arbeiterschutz im engeren Sinn beschränkte sich darauf, Betriebe dergestalt einzurichten, dass das Leben und die Gesundheit der Arbeiter soweit zu schützen waren, wie es „die Natur des Betriebes gestattete“.279 Doch nicht nur präventiv beim Arbeitsschutz, gerade auch bei eintretender Arbeitsunfähigkeit waren die Regelungen absolut unzureichend. Die Regierung der Pfalz berichtete nach München: „Die meisten Geschäfte kümmern sich bei uns um ihre entkräfteten und müden Arbeiter, soferne [sic!] es sich nicht um vorübergehende Krankheiten handelt, nicht viel mehr als sie sich um eine durch lange Dienstleistungen unbrauchbar gewordene Maschine zu kümmern genöthigt [sic!] sind, d.h. sie suchen sich derselben auf die wenigst [sic!] kostspielige Weise zu entledigen.“280 Eine wie auch immer geartete soziale Absicherung existierte überhaupt nicht. 274 Vgl. Kermann, Vorschriften, S. 318/319. Vgl. Einführungsgesetz der Gewerbeordnung für Bayern, am 22.3.2012 online unter: http://de.wikisource.org/wiki/Gesetz,_betreffend_die_Einf%C3%BChrung_der_Gewerbeordnung_des_Norddeutschen_Bunde s_in_Bayern. 276 Vgl. Breunig, S. 82-84. 277 Vgl. §§ 16-24 Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes (zitiert als: GWO), am 22.3.2012 online unter: http://de.wikisource.org/wiki/Gewerbeordnung_f%C3%BCr_den_Norddeutschen_Bund. 278 Vgl. GWO § 26. 279 Siehe Breunig, S. 88. 280 Zitiert nach: Breunig, S. 85. 275 51 Daneben war eine Arbeitszeit von zwölf bis dreizehn Stunden täglich bei den pfälzischen Fabrikarbeitern der 1860er und 1870er Jahre der Normalfall,281 wobei durch Streiks und Arbeitskämpfe allmählich Verbesserungen erreicht wurden. 1885 lag die Tagesarbeitszeit im pfalzweiten Durchschnitt bei 10,8 Stunden. Ein Viertel der Arbeiter musste zu diesem Zeitpunkt allerdings mehr als elf Stunden täglich arbeiten. Gerade für die in der Pfalz zahlreichen Nebenerwerbslandwirte muss die effektive Arbeitszeit pro Tag mit An- und Abfahrtsweg und Arbeitspausen bei bis zu 16 Stunden am Tag gelegen haben.282 c) Streikbewegung der 1870er Jahre Für die Formierung der sozialdemokratischen Partei in Deutschland waren Streiks von erheblicher Bedeutung. Die ersten Schübe bekam die sozialdemokratische Bewegung in der Frühphase oft durch Proteste und Konflikte im Arbeitsleben. So führt Karl Rohe die ersten Durchbrüche der Sozialdemokratie im westlichen Ruhrgebiet und in SchleswigHolstein (zwei konfessionell und wirtschaftlich äußert unterschiedlichen Regionen) auf das Protestpotenzial von Arbeitskämpfen zurück.283 In einer ländlich geprägten Region wie der Pfalz war auf den ersten Blick nicht mit einer großen Ausbreitung sozialdemokratischer Ideen zu rechnen. Und in der Tat ist der Einfluss beider Hauptgruppierungen des sozialistischen Lagers vor 1870 recht gering einzuschätzen.284 Mit zunehmender Industrialisierung wuchsen dann zwar nicht unbedingt die sozialen Probleme, jedoch sind die Abhängigkeitsverhältnisse von Lohnarbeitern im Mittel- und Großbetrieb deutlich anders einzuschätzen als diejenigen des Landarbeiters, der enger mit seinem Arbeitgeber zusammenlebte. Zwar beherrschten in dieser Epoche Klein- und Kleinstbetriebe mit einer in der Mehrzahl eher patriarchalischen Struktur und somit wenig Entfaltungsmöglichkeiten für gewerkschaftliche Organisation und sozialistisches Politikverständnis die Wirtschaftslandschaft der Pfalz, jedoch gab es auch einige Großbetriebe, in denen der Konflikt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern einen ersten Organisationsschub für die Arbeiterbewegung auslöste. In der Gesamtschau waren Streiks oder politische Aktionen bis in die Mitte der 1860er Jahre der Ausnahmefall. Eine dieser Ausnahmen war der Streik der Weber in Lambrecht von 1859. Werner Dietrich führt den Arbeitskampf vor allem auf den Zuzug fremder Arbeitskräfte ins Lambrechter Tal zurück, die sozialistisches Gedankengut mitgebracht hätten und so das „Klassenbewusstsein“285 unter den Tuchmachern entfacht hätten. Als mögliche 281 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 24. Vgl. Ebenau/Kuffler, S. 15. 283 Vgl. Rohe, S. 87/88. 284 Vgl. Schneider, Erich: Die pfälzische Sozialdemokratie von ihren Anfängen bis zur Jahrhundertwende, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 73-93 (Zitiert als: Schneider, Sozialdemokratie), hier S. 73. 285 Siehe Dietrich, Einigkeit, S. 41. 282 52 Streikursache kommt die tiefe Verankerung der Arbeitervereine aus der Revolutionszeit vor Ort hinzu. Zum Auslöser dieses ersten pfälzischen Streiks wurde die Einführung von Mehrarbeit ohne Lohnausgleich. Insgesamt liegen zu diesem Arbeitskampf nur äußerst dürftige Quellen vor, es ist nicht mehr zu ermitteln, wie viele Personen beteiligt waren und wie lange der Streik im Januar 1859 dauerte. Als gesichert gelten darf hingegen, dass einige der Streikenden mit Gefängnisstrafen belegt wurden und dass der Streik insofern erfolgreich war, dass die Mehrarbeit fortan bezahlt wurde.286 Zu Beginn der 1870er Jahre vermehrte sich die Zahl der Arbeitskämpfe, was den noch jungen Vorfeldorganisationen der SPD in der Pfalz einen Aufschwung brachte.287 Der eigentliche Aufstieg der Sozialdemokratie begann jedoch mit dem Spinnereiarbeiterstreik in Oggersheim ab 31. Oktober 1871. Die Arbeitsbedingungen in der Samtfabrik von Oggersheim waren in dieser Zeit besonders schlecht. Nach dem Ende der kriegsbedingten Pause des Betriebs 1870/71 wurden die Arbeitszeiten ausgeweitet. Als in der Fabrik täglich nahezu 14 Stunden lang gearbeitet wurde, auch von Kindern zwischen elf und 13 Jahren, wuchs die Unzufriedenheit innerhalb der Belegschaft. Geheime Zusammenkünfte und das anonyme Verbreiten von Botschaften auf kleinen Plakaten waren die ersten Schritte der Unzufriedenen. Schließlich fanden sich die Arbeiter in einer großen Versammlung zusammen und einigten sich auf ihre Forderung: „Verminderung der Arbeitszeit um zwei Stunden und […] Lohnerhöhung von 25 %“288. Vonseiten der Fabrikleitung stieß die Forderung auf vehementen Widerstand, sie versuchte, Teile der Arbeiterschaft auf ihre Seite zu ziehen, scheiterte aber. Nach einer Woche Streik lenkte die Geschäftsführung schließlich ein, trat mit einer Abordnung der Arbeiter in Verhandlungen und einigte sich schließlich. Ein Teil der Spinnarbeiter hatte sich allerdings schon vorher zur erneuten Arbeitsaufnahme überreden lassen. Rückblickend auf diese Episode schrieb Josef Queva, der am Streik beteiligt war: „Der Verrat der Spinner machte böses Blut unter den Arbeitern. Über Sonntag durfte sich in ganz Oggersheim keiner auf der Straße sehen lassen.“289 Der Punkt, an dem die soziale Kontrolle von oben nicht mehr funktionierte, war in diesem Fall also erreicht. Dagegen entwickelte sich innerhalb der Arbeiterschaft eine eigene, aus eigenen Interessen geleitete Sicht auf die Zustände, in der marxistischen Terminologie bezeichnet als Klassenbewusstsein, vorangetrieben zuvörderst von sozialdemokratischen Agitatoren, zunehmend getragen von einer Mehrheit der Arbeiter.290 Am 4. November 1871 traten etwa 200 Arbeiter im Zuge einer Versammlung im 286 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 41/42. Vgl. Schneider, Sozialdemokratie, S. 73. Siehe Queva, S. 15. 289 Siehe Queva, S. 19. 290 Vgl. Rohe, S. 90. 287 288 53 Wenz’schen Saal in Oggersheim, nach Aufforderung eines Agitators aus Mannheim, in den ADAV ein.291 Ein weiterer großer Streik von Webern im Mai 1872 in Lambrecht zog eine weitere Gründungswelle von lassalleanischen Ortsvereinen nach sich. Im Juli desselben Jahres schlossen sich die über 300 Mitglieder des Lambrechter Arbeiterbildungsverein dem ADAV an.292 Insgesamt verlief der Streik allerdings trotz siebenwöchiger Dauer erfolglos für die Tuchweber. Aus dem elsässischen Bischwiller wurden arbeitslose Weber nach Lambrecht gebracht. Es kam zu Raufereien zwischen Lambrechter Tuchwebern und den Streikbrechern. Im Juli 1872 rückten gar zwei Infanterie-Kompanien aus Landau an, da der Bezirksamtmann, nachdem auf einer Hochzeit dem örtlichen Brauchtum gemäß Gewehrschüsse abgegeben worden waren, fälschlicherweise den Ausbruch eines größeren Aufstandes angenommen hatte. Der Streik hatte durchaus eine politisch mobilisierende Wirkung. Aufgrund der konsequenten Gegenmaßnahmen auf Staats- und Unternehmerseite sowie des erfolglosen Endes führten die Lambrechter Tuchweber allerdings erst 1890 wieder einen Streik durch.293 Im nationalen Vergleich entwickelte sich in der Pfalz vergleichsweise spät eine Streikkultur. Schon in Lambrecht 1872 waren es zugezogene Arbeiter aus Hamburg gewesen, die den Streik anführten und organisierten. 294 Erst ab Mitte der 1870er Jahre versuchten Handwerker und Arbeiter auf breiter Front die Arbeitszeit zumindest auf zwölf Stunden zu beschränken. Die besser organisierten Drucker und Maurer waren federführend in diese Richtung. Besonders die einfachen Lohn- und Textilarbeiter hatten in dieser Phase noch erhebliche Schwierigkeiten ihre Forderungen schlagkräftig zu vertreten. So erreichten die Weber in Lambrecht erst im März 1890 nach fünfwöchigem Arbeitsausstand den Dreizehn-Stunden-Tag.295 291 Vgl. Queva, S. 19. Vgl. Pfälzer Zeitung vom 13.7.1872, in LA SP, H-3 929-I. Vgl. Dietrich, Gewerkschaftliche Organisation, S. 12/13. 294 Vgl. Dietrich, Gewerkschaftliche Organisation, S. 12. 295 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 25. 292 293 54 IV Die frühe pfälzische Sozialdemokratie A Die Partei a) Die frühe pfälzische Sozialdemokratie im überregionalen Kontext Die Pfalz gehört in den fünf von Thomas Welskopp unterschiedenen Vereinslandschaften im sozialdemokratischen Organisationsmilieu zur südwestdeutschen Vereinslandschaft. Die frühen Arbeiterorganisationen in dieser Region befanden sich laut Welskopp bis in die 1870er Jahre in der Peripherie des sozialistischen Organisationsmilieus. Die Gründe hierfür sieht er in der Insellage, bis 1869 verbunden mit dem Fehlen eines hegemonialen Zentrums296 und der Konkurrenz zu den regional stark verbreiteten liberalen Arbeitervereinen.297 In der Tat war die sozialistische Arbeiterbewegung bis in die 1860er Jahre in der Pfalz nur sehr schwach vertreten, was allerdings vor allem am strikten polizeilichen Eingreifen gegen die Vereinsgründungen lag.298 Als August Bebel 1858 als Geselle die Pfalz besuchte, konnte er dort keinerlei politische Kontakte knüpfen.299 Von daher fallen die Verknüpfungen zur früher aufstrebenden Arbeiterbewegung im Norden umso mehr ins Gewicht. Mit der rheinischen Vereinslandschaft, maßgeblich geprägt durch die Industriestädte Köln und Düsseldorf, verband die pfälzischen Sozialisten möglicherweise auch die tradierte Verbindung zum Kommunistenbund aus Revolutionszeiten, die von der Internationale und dem ADAV weitergeführt wurde.300 Mit August Dreesbach bereiste ein festbesoldeter Agitator des ansonsten eher nach Norddeutschland orientierten Düsseldorfer ADAVs im März 1874 die Pfalz, er zog schließlich im Sommer 1876 nach Mannheim und wurde zur maßgeblichen Führungsfigur der badisch-pfälzischen Sozialisten.301 Noch engere und frühere Verbindungslinien zur Pfalz ergeben sich aus der vielschichtigen Vereinslandschaft des Maingaus. Welskopp bescheinigt der frühen Sozialdemokratie dieser Region trotz der herausgehobenen Tragweite der Frankfurter Arbeitervereine in der Gründungsgeschichte des ADAVs weniger Bedeutung als den norddeutschen, rheinischen und Berliner Arbeitervereinen.302 Bereits ab dem Frühjahr 1869 besuchten lassalleanische Wanderredner aus dem Raum Frankfurt, Offenbach, Wiesbaden und Mainz die rheinischen Fabrikorte der Pfalz, insbesondere Frankenthal und Ludwigshafen. Dabei war vor allem die 296 Thomas Welskopp negiert die Existenz einer hegemonialen Gemeinde in Südwestdeutschland gänzlich, vgl. Welskopp, S. 143. Wie noch aufzuzeigen ist, ist Mannheim durchaus als hegemoniales Zentrum innerhalb der Region zu sehen. Da die Bewegung hier aber im deutschlandweiten Vergleich sehr spät, ab 1867, aktiver wurde und Welskopps Arbeit den Fokus auf die sehr frühe Sozialdemokratie legt, ist sein Urteil dennoch grundsätzlich berechtigt. 297 Vgl. Welskopp, S. 143. 298 Vgl. Schneider, S. 30. 299 Vgl. Wunder: Arbeiterverein, S. 62. 300 Vgl. Welskopp, S. 141/142. 301 Vgl. Schneider: Anfänge, S. 45/46. 302 Vgl. Welskopp, S. 142/143. 55 Verkehrslage entlang einer weitergehenden, ganz Süddeutschland umfassenden Route von Wanderrednern entscheidend.303 Schwerpunkt der frühen Ausbreitung sozialistischer Ideen in der Region war der Raum Mannheim und die sich daran anschließenden Landstriche. Noch bevor die Partei in Wahlen eine erhebliche Rolle spielte, entwickelte sich die Organisationsstruktur der Sozialdemokratie unabhängig von staatlichen Grenzen. Die frühe pfälzische Sozialdemokratie war mit den rechtsrheinischen Gebieten in Baden eng verquickt. Schon in der Revolution von 1848 kämpften die badisch-pfälzischen Truppen gemeinsam gegen das anrückende Preußen, auch der Neustädter Arbeiterverein von 1848 hatte ein Einzugsgebiet, das weit über den Rhein hinaus nach Osten reichte.304 Das Zentrum der badisch-pfälzischen Sozialdemokratie war Mannheim, informell mit der Region aufs engste verknüpft und obwohl bis 1871 formal nicht mehr Teil des selben Staats weiterhin die „heimliche Hauptstadt“305 der Pfalz. Im Vergleich mit den Gruppierungen anderer badischer Städte war die Mannheimer Bewegung deutlich aktiver — sowohl hinsichtlich der Anzahl aktiver Agitatoren,306 der Anzahl von Versammlungen307 als auch in organisatorischer Hinsicht, mit dem Sitz des Pfälzisch badischen Preßvereins und als Wohnsitz der führenden Köpfe der pfälzisch-badischen Sozialdemokratie jener Zeit: Hermann Josef August Dreesbach308 und Franz Josef Ehrhart. So bezeichnete auch der Regierungspräsident Braun Mannheim als „Hauptspitze der socialistischen Propaganda für den Mittel- und Oberrhein.“309 Von dort ging die Ausbreitung der Sozialdemokratie in die Pfalz maßgeblich aus. Die stetig wachsende Industriestadt Ludwigshafen fungierte für die frühe Sozialdemokratie von Mannheim aus gewissermaßen als Brückenkopf zur Pfalz. Obschon sogar die Arbeiter beim Bau der Rheinbrücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen durch die Polizei politisch überwacht wurden.310 Das Fehlen jeglicher anderweitiger kultureller Traditionen in der Stadt ermöglichte ab den 1870er Jahren ein relativ schnelles Wachstum der sozialdemokratischen Vereinskultur. Auch im nahegelegenen Industriestandort Oggersheim prosperierte die Partei. Insgesamt konnten die Sozialisten bis 1877 in den vorderpfälzischen Amtsbezirken Speyer, Frankenthal und Neustadt Fuß fassen. Erfolgloser waren die Sozialisten im Westteil der Pfalz. Selbst in den Industriestädten Kaiserslautern und Pirmasens taten sie sich schwer.311 303 Vgl. Schneider: Anfänge, S. 29. Vgl. Schwarzwälder, S. 389. 305 Siehe Bauman: Volkserhebung, S. 293. 306 Vgl. Gall, Lothar: Sozialistengesetz und innenpolitischer Umschwung. Baden und die Krise des Jahres 1878, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 111 (1963), S. 473-577, hier S. 567-569. 307 Vgl. Gall, S. 576. 308 Vgl. Gall, S. 567. 309 Siehe Schreiben an das Innenministerium vom Präsidium der Königlich Bayerischen Regierung der Pfalz vom 11. September 1878, in: BayHStA, Minn 66312. 310 Vgl. Breunig, S. 142. 311 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 29. 304 56 b) Innerpfälzische Parteiorganisation aa) Die frühe Ausbreitung in der Pfalz Der lassalleanische Arbeiterverein in Mannheim wurde 1867 gegründet, 1869 kam ein Eisenacher Verein hinzu, beide agitierten auch im linksrheinischen Gebiet.312 Daneben entwickelte sich aus der 48er-Tradition und Streikbewegung heraus in Neustadt und Lambrecht so etwas wie eine genuin pfälzische Sozialdemokratie, obwohl diese maßgeblich von Zugezogenen geprägt war. Es war überwiegend der Lassalleanische Zweig der Sozialdemokratie, der in der Vorderpfalz erste Erfolge verbuchen konnte. Im Frühjahr 1873 fand die erste regionale Zusammenkunft der pfälzischen Allgemeinen Arbeitervereine in Oggersheim statt. Zu diesem Zeitpunkt kamen bereits Delegationen aus Flomersheim, Frankenthal, Ludwigshafen, Mannheim, Maudach, Maxdorf, Mutterstadt, Oggersheim und Speyer zusammen. Zunächst waren die pfälzischen Vereine dem Agitationsbezirk Offenbach zugeordnet, was sich einerseits in der hohen Zahl von Agitatoren aus Offenbach ausdrückte, andererseits war der erste Kandidat bei der Reichstagswahl im Januar 1874 für den Wahlkreis Ludwigshafen-Speyer-Frankenthal der Offenbacher Zigarrenmacher Heuser.313 Nicht zuletzt aufgrund des verbesserungsbedürftigen Wahlergebnisses beschlossen die Lassalleaner, einen besoldeten Agitatoren in die Region zu entsenden.314 August Dreesbach besuchte im März 1874 erstmals Mannheim und Oggersheim.315 Obwohl durch sein Eintreffen eine Belebung des lassalleanischen Vereinswesens intendiert war, bewirkte August Dreesbach in seinem ersten Jahr als Hauptfigur des pfälzischen ADAVs sehr wenig. Zunächst verweilte er in Stuttgart, währenddessen nahmen die Vereine der Vorderpfalz eine eher sektenartige Gestalt an, zumindest schildert Willi Breunig die Situation entsprechend. Durch gemeinsame Lektüre und Diskussionen verfestigten die Mitglieder ihre sozialistischen Überzeugungen, eine Agitation nach außen hin fand in dieser Periode kaum statt.316 Allerdings deuten die Wochenberichte vom Sommer 1874 keineswegs in die Richtung, dass die sozialdemokratische Bewegung zu diesem Zeitpunkt stagnierte. Insofern ist Breunigs Darstellung zumindest zu relativieren. Am 10. August meldete Speyer ans Münchner Ministerium, dass sich in Ludwigshafen die „Excesse“ der Sozialdemokraten mehrten.317 Zu einer Versammlung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei im sonst vergleichsweise ruhigen Kaiserslautern kamen am selben Tag zwischen 300 und 400 Personen.318 312 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 29. Vgl. Breunig, S. 155. 314 Vgl. Breunig, S. 157/158. 315 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 46. 316 Vgl. Breunig, S. 159. 317 Vgl. Wochenbericht vom 10.8.1874, in: BayHStA, Minn 30981/32. 318 Vgl. Wochenbericht vom 17.8.1874, in: BayHStA, Minn 30981/32. 313 57 bb) Bandbreite der frühen sozialdemokratischen Vereinsstrukturen Die Flügelkämpfe innerhalb der deutschen Sozialdemokratie zwischen Lassalleanern und Eisenachern spielten aufgrund der Schwäche der Bewegung in der Pfalz keine nennenswerte Rolle. Lediglich in Mannheim und Ludwigshafen kam es in dieser Frage zu kleineren Konflikten.319 Dies, obwohl mit Franz Josef Ehrhart ein „entschiedener Gegner der Lassalleaner“320 an der Spitze des pfälzischen Zweigs der Eisenacher Arbeiterpartei stand. Unter seiner Ägide wurde für die Eisenacher am 21. Juni 1874 auf dem mittelrheinischen Arbeitertag ein Agitationsbezirk, der die Pfalz, Baden, die Bergstraße, Worms und das Elsaß umfasste, geschaffen.321 Im Mai 1875 wurden beide Zweige in der SAP beim Vereinigungsparteitag in Gotha zusammengeführt. Für die Organisationsstruktur der pfälzischen Sozialdemokratie bedeutete dies die Übernahme der Eisenacher Organisationsstruktur. Mannheim wurde nun offiziell das Zentrum der badisch-pfälzischen Sozialdemokratie. Mit Dreesbach wurde allerdings ein Lassalleaner der regionale Parteiführer, inhaltlich verfolgte er einen gemäßigten Kurs. Der jüngere Erhardt organisierte die Agitation in der Pfalz. 322 Wie bereits angedeutet, war das strenge bayerische Vereinsgesetz der Hauptgrund für die Schwäche der Sozialdemokratie links des Rheins. Es nötigte die frühen Sozialisten ihre überregionale Organisation von Mannheim aus in Angriff zu nehmen und damit im etwas liberaleren Baden.323 Einzig der Pfälzisch badische Preßverein mit Sitz in Mannheim war als eingetragener Verein tätig. Daneben existierten auf lokaler Ebene unterschiedliche Arbeitervereine. Oft waren Unterstützungs- und Krankenkassenvereine nichts weiter als der Deckmantel für „sozialdemokratische Umtriebe“324. In Kaiserslautern zum Beispiel entstand aus dem, zunächst politischen Demokratischen Arbeiterbildungsverein (DABV) bereits ein halbes Jahr nach Gründung des Vereins (im Oktober 1869) eine Sparkasse, vier weitere Monate später eine Krankenversicherung, die allerdings, wie die meisten derartigen Initiativen jener Epoche, kaum geeignet war, Kosten für ärztliche Betreuung und Medikamente zu tragen, sondern vor allem die Begräbniskosten der Mitglieder decken sollte.325 Freizeitgestaltung in Form von politischer Bildung und Unterhaltung — vor allem durch Gesang — waren von Anfang an die Hauptziele des DABV in Kaiserslautern.326 Diese Verschränkung von Freizeitgestaltung und privater Vorsorge einerseits und politischer Organisation und Gewerkschaftsfunktion andererseits machte es den Behörden in 319 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 42. Siehe Schneider, Arbeiterbewegung, S. 42. 321 Vgl. Bräunche, Parteien, S. 159/160. 322 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 47. 323 Baden blieb auch nach 1848 der liberalste Staat Deutschlands, vgl. Gall, S. 473. 324 Siehe Dietrich, Einigkeit, S. 36. 325 Vgl. Herzog, S. 31/32. 326 Vgl. Herzog, S. 25. 320 58 vielen Fällen unmöglich, die Sozialdemokraten wirksam zu bekämpfen. Gerade die Versicherungen wurden in der Zeit des Sozialistengesetzes zu wirksamen Schlupflöchern der Sozialdemokratie gegenüber dem staatlichen Zugriff. In einigen Fällen bildeten die Arbeitervereine ursprünglich liberaler Provenienz die Ausgangsbasis für die sozialdemokratische Organisation. Das zeigt sich, wie noch genauer aufzuzeigen ist, besonders am Beispiel Kaiserslauterns. Da kaum interne Quellen der frühen pfälzischen Sozialdemokratie erhalten sind, kann wenig über die genauen Abläufe bei der politischen Arbeit im Einzelnen gesagt werden. Es ist anzunehmen, dass sich die Grenze zwischen der politischen Bildung, Tätigkeit im sozialdemokratischen Ortsverein und gewerkschaftlicher Betätigung oder reiner Absicherung vor allem für Begräbniskosten fließend ausnahm. cc) Soziale Struktur und Schichtzugehörigkeit Über die soziale Herkunft der Parteimitglieder sind aus der Anfangszeit nur wenige Angaben erhalten. Mitgliederlisten existieren nicht mehr, in der Zeit des Sozialistengesetzes wurden aus naheliegenden Gründen keine geführt. Der einzige Zugang ergibt sich aus Polizeiakten, die ihrerseits nicht die breite Masse der Sozialdemokraten erfassten, sondern lediglich diejenigen, die durch erhöhte Aktivitäten mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Dabei handelt es sich um die aktiven, agitatorisch und zielgerichtet agierenden Genossen. Aus diesen Akten geht hervor, dass sich in der Pfalz zunächst vorwiegend junge Männer in der Sozialdemokratie organisierten. 327 So vermerkt ein behördlicher Bericht von 1878 unter den Sozialdemokraten seien „vorwiegend junge, unerfahrene zumeist unverheiratete Leute“328 zu finden. Auffällig ist der hohe Anteil an sozialdemokratischen Handwerksmeistern unter den Schuhmachern (vier von 37) und unter den Schneidern (fünf von 15). Dass auch Handwerksmeister und damit die Inhaber der Kleinstbetriebe sozialistisch engagiert waren, erklärt warum die Sozialdemokratie in diesen patriarchalisch geprägten Wirtschaftszweigen Fuß fassen konnte. Dies stützt die von Thomas Welskopp vertretene Betrachtungsweise der deutschen Sozialdemokratie als eine „handwerkliche[n] Arbeiterbewegung“,329 die weniger Folge der Industrialisierung als Reaktion auf „das Eindringen des Kapitalismus in die kleine Warenproduktion“330 war. Und in der Tat finden sich in der Auflistung pfälzischer Sozialisten der Polizei nur sehr wenige Fabrikarbeiter. Aufgeführt sind in dem Dokument 14 Zigarrenarbeiter, elf Schlosser, neun ungelernte Lohnarbeiter, drei Metallarbeiter und drei Eisendreher, also insgesamt deutlich weniger als 327 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 125-129. Zitiert nach Schneider, Arbeiterbewegung, S. 127. 329 Welskopp führt in diesem Zusammenhang verschiedene Autoren an: Lenger, Breuilly und weitere, siehe Welskopp, S. 23. 330 Siehe Welskopp, S. 23. 328 59 ein Viertel der aktiveren SAP-Mitglieder. Dennoch waren es vor allem ärmere Handwerker und Arbeiter, die für die SAP der 1870er Jahre tätig wurden. Von 175 erfassten Parteimitgliedern waren 136 als unselbstständige Lohnarbeiter tätig, 39 sind dem Kleinbürgertum zuzurechnen. Es finden sich keinerlei Akademiker, Bürgerliche oder auch nur subalterne Beamte in den Reihen der Sozialdemokraten.331 Der Befund, dass vor allem ungebildete und ungelernte Arbeiter, also die eigentliche „Klasse der Proletarier“,332 innerhalb der Sozialdemokratie stärker organisiert waren, widerspricht der in der gegenwärtigen Literatur vorherrschenden Ansicht, dass vor allem das obere Segment der gelernten Arbeiter in der Sozialdemokratie eine Rolle spielte. So schreibt beispielsweise Franz Walter: „Die Sozialdemokratie war von Beginn an Bewegung und Partei der disziplinierten, ehrgeizigen, aufstiegswilligen Arbeiter; jene, die über diese Tugenden und Einstellungen nicht verfügten, fremdelten oft ihr gegenüber, gehörten nicht zu ihren treuen Anhängern und standen in Krisenzeiten schnell abseits oder in anderen politischen Lagern.“333 Dieser Ansicht ist zumindest im Hinblick auf die pfälzische Sozialdemokratie nicht zuzustimmen. Stattdessen spricht vieles dafür, dass die Sozialdemokratie, als öffentlich geächtete politische Strömung, gerade nicht bei den Aufstiegswilligeren und somit zumindest tendenziell eher angepassten karrierebewussten Arbeitern Fuß fassen konnte. In der Pfalz zumindest rekrutierte die Partei ihre ersten Anhänger ganz überwiegend aus der Unterschicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit der Situation in den frühen 1930er Jahren, einer Zeit, aus der umfassendere und aufschlussreichere Quellen erhalten sind, auch wenn der politische Kontext ein ganz anderer war. Ähnlich wie später die KPD, die eher ungebildete und arme Arbeiter mit weniger Aufstiegschancen aus dem Lager der dann etablierten SPD sammeln konnte,334 war die frühe Sozialdemokratie die Partei der Enttäuschten, die sich vom im Laufe der 1860er Jahre breiter anerkannten Liberalismus enttäuscht abwendeten. Ähnlich wie die KPD sich als eigentliche Verfechterin der Ideen von Karl Marx im Gegensatz zur SPD gerierte, sahen sich die frühen Sozialdemokraten als die Sachwalter der Revolution von 1848 im Gegensatz zu den Liberalen.335 331 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 128. Siehe Schneider, Arbeiterbewegung, S. 126. Siehe Walter, S. 13. 334 So bemerkte die Pfälzische Post am 26.1.1933, dass sich die „relativ besser gestellten Arbeiter“ eher der SPD zuwandten, während „die schlechter Gestellten mehr Neigung zur kommunistischen Gefühlspolitik zeigten.“ Siehe: Pfälzische Post Nr.22 vom 26.1.1933: „Glänzende kommunistische Kundgebung“, zitiert nach Becker, Klaus: Die pfälzischen Arbeiterparteien in den Jahren 1930-1933, in: Vom Scheitern der Demokratie. Die Pfalz am Ende der Weimarer Republik, hrsg. v. G. Nestler u.a., Stuttgart 2010, S. 229-261, hier S. 242. 335 Dieser Denkansatz findet sich, wie vorher aufgezeigt, bereits bei Lassalle, ging aber in der Zeit des deutschen Kaiserreichs noch viel weiter, wie Erich Schneider es am pfälzischen Beispiel aufzeigt. Vgl. Schneider, Erich: Pfälzische Sozialdemokratie und die 1848/49er Tradition vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 15-39. 332 333 60 c) Agitation aa) Versammlungen Die Kultur der politischen Versammlung als Medium und Forum des Volkes wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den Sozialdemokraten konsequenter genutzt als von irgendeiner anderen politischen Partei. Darin kultivierte die Partei einen radikaldemokratischen „Willensbildungsprozess nach jakobinischem Verständnis“ und führte eine auf 1848 zurückgehende republikanische Tradition fort.336 Große Parteiversammlungen dauerten zwischen zwei und zu sechs Stunden und hatten nicht zuletzt durch gemeinsame Rituale wie das Absingen des Bundesliedes oder der Arbeitermarseillaise einen gemeinschaftsbildenden Charakter.337 Die Versammlungen waren mindestens 24 Stunden vor der Abhaltung bei den Polizeibehörden zu melden, über Presse und Plakate wurden Veranstaltungsorte bekanntgegeben. In sozialdemokratischen Parteizeitungen, aber auch in der liberalen Presse finden sich zahlreiche Berichte über derartige Treffen.338 Bei allen, auch den sehr schlecht besuchten Veranstaltungen, war ein diensthabender Polizist anwesend. In der Pfalz, wo die Sozialdemokratie in der Anfangszeit nur sehr kurzzeitig über eine eigene Parteizeitung verfügte, sind deren Berichte oft der einzig erhaltene Nachweis der sozialdemokratischen Versammlungstätigkeit. Thomas Mergel betont, dass die politischen Versammlungen und Wahlagitationen in Deutschland im Vergleich zum westlichen Ausland relativ gesittet abliefen. Nicht zuletzt aufgrund der polizeilichen Überwachung hatten politische Veranstaltungen in Deutschland einen eher rationalen Charakter. Spektakuläre Feste und Fackelzüge wie etwa in Frankreich oder den USA oder Massenschlägereien, wie sie zur gleichen Zeit in Großbritannien an der Tagesordnung waren, gab es in Deutschland nur im Ausnahmefall. Stattdessen praktiziert wurden, so Mergel, eher gesittete Rede- und Gegenrede-Veranstaltungen.339 Gerade für die Sozialdemokratie hatte die Versammlungstätigkeit eine aufklärerische Funktion. Schließlich wurde insbesondere den Anhängern der SPD die Politikfähigkeit wegen Bildungsmängeln abgesprochen. Umso mehr waren diese bemüht, ihre Veranstaltungen als Volksbildungsprogramm auszugestalten.340 Dennoch kam es vereinzelt immer wieder zu Zwischenfällen. Am 24. November 1872 wurden bei einer Versammlung in Oggersheim die beiden Gegenredner, ein Reiseprediger, 336 Vgl. Welskopp, S. 296/297. Vgl. Welskopp, S. 303. 338 Vgl. Welskopp, S. 300-303. 339 Vgl. Mergel, Thomas: Propaganda nach Hitler. Eine Kulturgeschichte des Wahlkampfs in der Bundesrepublik 1949-1990, Regensburg 2010, S. 49. 340 Vgl. Mergel, S. 47. 337 61 der vor blutigen Revolutionsgelüsten der Sozialdemokratie warnte, und der Fabrikant Herf von den etwa 300 Arbeitern beschimpft und laut Polizeibericht mit Gewalt vertrieben.341 Auch Musikstücke und „komische Declamationen [sic!]“342 gehörten zum Repertoire der Arbeiterbewegung. Im Hinblick auf die Mehrzahl der Quellen zur frühen sozialdemokratischen Versammlungstätigkeit in der Pfalz ist allerdings Thomas Mergels Urteil, dass es sich bei diesen Treffen größtenteils um eher rationale Vorträge zu politisch-ökonomischen Fragestellungen handelt, durchaus zuzustimmen. Ihren ersten Höhepunkt erreichte eine erste Agitationswelle der Lassalleaner im Frühjahr 1869.343 Im Rahmen der Streikwelle 1871 kam es zu einem weiteren Anstieg, ansonsten erhöhte sich die Anzahl der Versammlungen regelmäßig, wenn Wahlen anstanden, insbesondere die Reichstagswahlen im Januar 1874, im Januar 1877 und im Juli 1878 wären hier zu nennen. Regional verteilten sich die Veranstaltungen vor allem im sozialdemokratischen Kerngebiet am Rhein, von Ost nach West wurden die Veranstaltungen immer weniger. So meldete die pfälzische Landesregierung im September 1878, dass in den vorangegangenen drei Jahren im Bezirk Speyer-Frankenthal 79, im Bezirk Neustadt 21 und im Bezirk Kaiserslautern-Kirchheimbolanden acht Versammlungen stattgefunden hatten. 344 Dem ist mindestens eine größere Versammlung im Bezirk Pirmasens-Zweibrücken vom Januar 1878 hinzuzufügen.345 Wo die Partei über ein dichteres Mitgliedernetz verfügte, sollte die Organisation von Veranstaltungen kein Problem gewesen sein. Die im vorherigen Abschnitt bereits erwähnte Statistik weist auch zehn Gastwirte als aktivere Mitglieder der frühen pfälzischen Sozialdemokratie aus.346 In den einzelnen Städten und Dörfern, wo die Partei weniger aktiv war, wurde ein Vertrauensmann eingesetzt, der den Kontakt zur regionalen Parteizentrale in Mannheim hielt und im Fall einer Veranstaltung einen Saal oder die Verteilung von Flugblättern organisierte.347 bb) Presse Thomas Mergel macht für die Wahlkämpfe der Kaiserzeit zwei zentrale Agitationsformen aus: „Versammlungen und textlastige Medien.“348 Auch für die Sozialdemokratie spielte Druck und Verbreitung von Propagandatexten eine zentrale Rolle. Der pfälzische SPD- 341 Vgl. Wochenbericht vom 2.12.1872, in: BayHStA, Minn 30981/22. In Josef Quevas Lebenserinnerungen findet sich eine Darstellung dieser Versammlung, in der von einer gewalttätigen Auseinandersetzung nicht die Rede ist. Stattdessen schafften es die Arbeiter nach Quevas Darstellung den Reiseprediger Schuster von ihrem Standpunkt zu überzeugen, vgl. Queva, S. 20. 342 Siehe Wochenbericht vom 25.11.1872, in: BayHStA, Minn 30981/22. 343 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 29. 344 Schreiben ans Innenministerium vom 11. September 1878, Minn 66312, Blatt 262. 345 Vgl. Staudt, Zweibrücken, S. 483. 346 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 126. 347 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 47. 348 Siehe Mergel, S. 51. 62 Führer Franz Josef Ehrhart ging sogar so weit, die Presse als das „Herzblut der Bewegung“349 zu bezeichnen. In der Tat sind die heute noch verfügbaren Flugblätter der Sozialdemokratie aus den 1870er Jahren sehr ausführlich und textlastig. In Speyer ist ein Exemplar erhalten, dass am 10. Januar 1877 zur Wahl August Dreesbachs aufruft. Den beiden engbedruckten Seiten lässt sich entnehmen, dass der historische Materialismus marxistischer Prägung zu diesem Zeitpunkt bereits Eingang ins Bewusstsein der pfälzischen Sozialisten gefunden hatte. Der Beschreibung der mittelalterlichen Feudalgesellschaft, in der Grundbesitz „das herrschende Element“ aller staatlichen und gesellschaftlichen Produktion darstellte, folgt eine Kritik der seit 1879 herrschenden Produktionsweise. Nunmehr sei die „Großproduction für den Weltmarkt“ in den Mittelpunkt der Wirtschaftstätigkeit getreten, die „Herrschaft des Kapitals“ stelle seitdem den „Prägestock“ der Gesellschaft dar. Der Wahlaufruf erklärt den sozialistischen Arbeitsbegriff und stellt Dreesbach, den Kandidaten der Arbeiterpartei, als Sachwalter der arbeitenden Bevölkerung vor. Es folgen Entgegnungen auf Angriffe der Gegenseite, so relativiert das Flugblatt den Standpunkt der Partei zu Religion und Eigentumsfreiheit.350 Hier zeigt sich, dass die pfälzische Sozialdemokratie trotz marxistischer Polemik noch einen vergleichsweise gemäßigten Kurs verfolgte. Das intellektuelle Niveau der Ausführungen erscheint im Anbetracht des niedrigen Bildungsniveaus der Zielgruppe erstaunlich hoch und bestätigt Mergels Ausführung. Im Gegensatz zu den bürgerlich-liberalen Zeitungen hatten die Sozialdemokraten weder die Unterstützung von mittelständischen und großen Wirtschaftsunternehmen noch von der Obrigkeit. Das sozialdemokratische Pressewesen war ständig durch Sanktionen und Verbote bedroht. Ein pfälzisch-badischer Arbeitertag in Mannheim beschloss 1876 dennoch die Gründung einer Zeitung.351 Das Gründungskapital für die Zeitung wurde von Parteimitgliedern zur Verfügung gestellt, bis zum September 1877 sammelte die zuständige Preßkomission 316,51 Mark zur Gründung eines Verlags. Das „Pfälzisch-Badische Volksblatt“ erschien ab dem 6. Oktober 1877 in einer Auflage von 3.000 Exemplaren und gewann rasch an Popularität, konnte sich jedoch nicht lange halten. Mit der Einführung des Sozialistengesetzes im Oktober 1878 musste dieser erste Versuch einer sozialdemokratischen Zeitung in der Pfalz eingestellt werden.352 Die erste Probenummer des Pfälzisch-Badischen Volksblatts vom September 1877 liest sich fast wie das Grundsatzprogramm der Sozialdemokratie. Die Titelseite ziert ein Portrait Franz Josef Ehrhart, zitiert nach Schneider, Erich: „Die Presse ist das Herzblut unserer Bewegung“. Der Sozialdemokrat Franz Josef Ehrhart als Publizist und Zeitungsgründer und die „Pfälzische Post“ Ludwigshafen in der Ära des ‚roten Pfalzgrafen‘, in: MHVPf 94 (1996), S. 367-460, hier S. 374. 350 Vgl. „Wahlaufruf der Arbeiterpartei des Wahlkreises Speyer Frankenthal!“, in: LA SP, H-3 929-II. 351 Vgl. Mörz, Stefan: Vom Westboten zur Rheinpfalz. Die Geschichte der Presse im Raum Ludwigshafen von den Anfängen bis zur Gegenwart (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Ludwigshafen, Bd. 19), Ludwigshafen 1994, S. 42/43. 352 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 49-51. 349 63 Ferdinand Lassalles, im Leitartikel beklagt die Redaktion zunächst das gänzliche Fehlen einer Zeitung für „das eigentliche Volk, d.h. für die Arbeiter, Kleinbürger, Kleinbauern und niedrigen Beamten.“ Eine Lücke, die mit dem Blatt geschlossen werden sollte. Es folgt unter dem Titel „Was wir wollen“ eine allgemeine Darstellung von Grundthesen der Arbeiterpartei, die sich unter anderem detailliert mit Steuerfragen auseinandersetzt. 353 Die Ausgabe vom März 1878 ist ganz dem Gedenken der Revolution von 1848 gewidmet. Dabei stellte sich die Arbeiterpartei als Sachwalterin der Bestrebungen von 1848 dar. Erläutert wurden die „Forderungen des Volkes […], die ganz mit den Bestrebungen der heutigen Sozialdemokratie in Einklang standen. Man verlangte nämlich vollständige Lehrfreiheit, Ausgleichung des Mißverhältnisses [sic!] zwischen Kapital und Arbeit, Abschaffung aller Privilegien.“354 Mit einer Stückzahl von 3.000 war die Reichweite des Blatts vergleichsweise niedrig. Allerdings sagen die Auflagenzahlen in jener Epoche wenig über die tatsächliche Rezeption der Presse aus. Gerade für die unteren Bevölkerungsschichten war der Bezug einer Zeitung eher unüblich. Wenn, dann wurde die Zeitung im Wirtshaus gelesen.355 Die tatsächliche Leserschaft einer Zeitung dürfte also, gerade in den weniger begüterten Gesellschaftsschichten, die das Ziel der sozialistischen Agitation darstellten, weit höher liegen als es die bloßen Zahlen vermuten lassen. Dies gilt auch für die Leserschaft überregionaler Parteipresse in der Pfalz. Leider sind bei Fricke nur diejenigen Orte aufgelistet, in denen mehr als fünf Abonnenten der jeweiligen Zeitungen sesshaft waren, was eine genaue Aufschlüsselung der Verbreitung sozialistischer Pressegüter in der Provinz unmöglich macht. Für den Volksstaat, Publikationsorgan des Eisenacher Flügels, sind in der Pfalz jeweils in den zweiten Quartalen 1871 und 1872 keine Abonnements verzeichnet. Nach Mannheim gingen zwischen April und Juni 1871 immerhin fünf, ein Jahr später sogar 43 Exemplare. Es ist wahrscheinlich, dass die Zeitungen, um einzelne Leser vor der Polizei anonym zu halten, gesammelt bestellt wurden, um später weiterverteilt zu werden. Diesen Schluss legt der sprunghafte Abonnentenzuwachs in Speyer zum zweiten Quartal 1873 von 0 auf 29 nahe.356 Das lassalleanische Parteiorgan, der Neue Social Demokrat, hatte im November 1873 in Mannheim 41, in Ludwigshafen 14 und in Speyer immerhin 13 Abonennten.357 Werner Dietrich schreibt, dass der Arbeiterbildungsverein Lambrecht bereits im Herbst 1871 den 353 Vgl. Pfälzisch-Badisches Volksblatt, Probenummer September 1877, in: LA SP, H-3 929-II. Siehe Pfälzisch-Badisches Volksblatt, Nummer 11 März 1878, in: LA SP, H-3 929-II. 355 Vgl. Schulz, Manuela: Zeitungslektüre und Landarbeiterschaft. Eine kommunikationsgeschichtliche Studie zur Verbreitung des Zeitungslesens im 19. Und 20. Jahrhundert (In Presse und Geschichte. Neueste Beiträge, Bd. 18), Bremen 2005, S. 142. 356 Vgl. Fricke, S. 504/505. 357 Vgl. Fricke, S. 511. 354 64 Vorwärts bezog.358 Da der Vorwärts allerdings erst ab dem 1. Oktober 1876 als Organ der 1875 vereinigten Arbeiterpartei erschien, 359 ist diese Darstellung wohl zu korrigieren. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um eines der eben genannten Presseorgane. B Das regionale Umfeld der pfälzischen Sozialdemokratie a) Verhältnis zum Staat: Bayerische Innenpolitik ab 1848 Nach der militärischen Niederschlagung des badisch-pfälzischen Aufstands 1849 setzte die bayerische Regierung auf erhöhte Repressionen gegenüber allen liberalen oder sozialistischen Bestrebungen in der Pfalz. Bis 1851 blieben 11.000 Soldaten, vom Volksmund Strafbayern getauft, am Rhein stationiert. Zwar hatten die Gerichtsprozesse im Gefolge der Revolution nur ein vollstrecktes Todesurteil zur Folge, dennoch verfolgte die bayerische Regierung in der Pfalz insgesamt eine eher strikte Gangart. Gegenüber den Beteiligten am Frankfurter Parlament zeigte sich die Regierung gnadenlos. Im Gegensatz zu den Parlamentsabgeordneten aus dem linksrheinischen Mutterland wurden die pfälzischen Abgeordneten nie amnestiert.360 Die reaktionäre Regierung erzwang die Auflösung aller Arbeiter-, Arbeiterunterstützungs-, Volks- und Turnvereine. Durchreisende Handwerksgesellen auf der Walz, insbesondere diejenigen, die aus den Zentren der Bewegung in Frankreich, der Schweiz oder Sachsen einreisten, wurden von der Fremdenpolizei genauestens beobachtet. Als folgenreich erwies sich das Versammlungs- und Vereinsgesetz von 1850, das die Tätigkeit aller politischen Vereine deutlich einschränkte und öffentliche Versammlungen sogar rundweg verbat.361 Es war den politischen Vereinen ausdrücklich verboten, ihre Beschlüsse in Form von Gesetzen, Verordnungen oder Verlautbarungen zu fassen. Welskopp vermutet, dass es dem Gesetzgeber dabei darum ging, den republikanischen Charakter der Volksversammlungen zu unterdrücken.362 Ab 1859 gestaltete sich die bayerische Politik den politischen Vereinigungen gegenüber schließlich etwas gemäßigter, dennoch waren politische Vereine und Presse weiterhin oft obrigkeitsstaatlicher Gängelung ausgesetzt.363 Besonders die Sozialisten wurden weiterhin rigiden Restriktionen unterworfen. Hierin ist der Hauptgrund für die verhältnismäßig späte Ausbreitung der sozialistischen Bewegung in der Pfalz zu sehen, denn die Ideen der Sozialdemokratie waren auch vor der ersten nachhaltigeren Expansionsphase der Bewegung anfangs der 1870er Jahre in der Pfalz zumindest in Ansätzen vorhanden.364 Nach Artikel 17 des bayerischen Vereinsgesetzes konnten politi358 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 30. Vgl. Fricke, S. 518. 360 Vgl. Nordblom, S. 297/298. 361 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 3/4. 362 Vgl. Welskopp, S. 297. 363 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S.3/4. 364 Die Hinweise sind nicht übermäßig zahlreich, jedoch durchaus vorhanden. So berichtet beispielsweise schon 1864 die Kreis- Gewerbe- und Handelskammer der Pfalz in ihrem Jahresbericht davon, dass es im vergangenen Jahr vielfach zu Versu359 65 sche Vereine, die entweder anderen Vereinen unterworfen waren oder in gemeinsamen übergeordneten Organen verbindliche Beschlüsse erarbeiteten, umstandslos verboten werden.365 Durch diese Regelung und ihre kompromisslose Anwendung insbesondere in der Pfalz366 war schon die Gründung von Ortsvereinen unmöglich, wie das sofortige Verbot der Neustädter Zweigstelle des ADAV 1864 beweist. 1866 wurde Gustav von Hohe, wegen seines kompromisslosen Vorgehens gegenüber allen Liberalen berüchtigt, als Regierungspräsident durch den etwas offeneren Siegmund Heinrich von Pfeufer ersetzt (ab 1871 Paul von Braun). Schon eineinhalb Jahre früher, im Sommer 1866, hatte der Staat eine allgemeine Amnestie für politische Vergehen von 1848/49 verabschiedet.367Aber erst nach der Reichsgründung 1871 kam es in der Pfalz endgültig zu einer Lockerung,368 woraufhin prompt sozialistische Vereinsgründungen folgten. Die Legalisierung der Gewerkschaften durch Paragraph 152 der Gewerbeordnung des norddeutschen Bundes, in Bayern ab 1872 Gesetz, hat in diesem Zusammenhang möglicherweise eine Rolle gespielt.369 Regional war die Intensität der polizeilichen Überwachung sehr unterschiedlich. Aus Frankenthal findet sich über fast jede Versammlung ein äußerst genauer Polizeibericht, während in Oggersheim und Ludwigshafen, wo regelmäßig deutlich mehr Personen zu den sozialdemokratischen Versammlungen kamen, weniger und kürzere Berichte vorliegen. Daraus zu folgern, dass die Polizei in diesem Bezirk der Sozialdemokratie gegenüber freundlicher gesinnt war, erscheint aber zu kurz gegriffen. Viel eher wird der ständige Personalmangel im Polizeiapparat in Ludwigshafen dafür verantwortlich sein. Nicht umsonst wurde dort vonseiten der Kommune regelmäßig die Ansiedlung einer Garnison gefordert.370 Zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. boten den Anlass zur Verabschiedung des Sozialistengesetzes 1878. Ebenau und Kuffler suchen in der Verteilung der Krisenlasten nach der 1873 einsetzenden wirtschaftlichen Depression die Gründe für die Einführung des Sozialistengesetzes: „Nun ging es Unternehmern und Regierung darum, die Krisenlasten auf die Arbeiterklasse abwälzen zu können, ohne massive Gegenwehr befürchten zu müssen.“371 Mit den Stimmen von Konservativen und Nationalliberalen und gegen die Fraktionen der chen gekommen sei, „die arbeitende Klasse als diejenige erscheinen zu lassen, welche von Arbeitgebern, vom Capital und der Industrie ausgebeutet und zu einem neuen Sklaventhum erniedrigt wird […]“, zitiert nach Breunig, S. 140. 365 Vgl. Vereinsgesetz Artikel 17, bei Dietrich, Einigkeit, S. 223. 366 Im rechtsrheinischen Bayern waren die Behörden offenkundig nachlässiger, wie die Vereinsgründungen des ADAVs in Augsburg 1864 und die frühen Hochburgen der SDAP Nürnberg und Fürth beweisen, vgl. Albrecht, Willy: Leonhard Tauscher und der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein in Bayern, in: Von der Klassenbewegung zur Volkspartei. Wegmarken der bayerischen Sozialdemokratie 1892-1992 (Schriftenreihe der Georg-von-Vollmar-Akademie, Bd. 5), München u.a. 1992, S. 34-39, hier S. 34-36. 367 Vgl. Ziegler, Hannes: Pfälzer Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Ludwigshafen 2008 (Zitiert als: Ziegler, Geschichte), S. 125/126. 368 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 30. 369 Vgl. Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes (Zitiert als: GWO), am 7.3.2012 online unter: http://de.wikisource.org/wiki/Gewerbeordnung_f%C3%BCr_den_Norddeutschen_Bund, vgl. auch Einführungsgesetz für Bayern, am 7.3.2012 online unter: http://de.wikisource.org/wiki/Gesetz,_betreffend_die_Einf%C3%BChrung_der_Gewerbeordnung_des_Norddeutschen_Bundes_in_Bayern. 370 Vgl. Breunig, S. 66/67. 371 Siehe Ebenau/Kuffler, S. 18. 66 Fortschrittspartei, des Zentrums und der Sozialdemokraten wurde das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie angenommen. Die Agitation der Arbeiterpartei — Versammlungen, Zeitungen und Zeitschriften sowie Ortsvereine und Gewerkschaftsgruppen — wurden mit dem Gesetz verboten. Nur das aktive und passive Wahlrecht konnte den Sozialdemokraten nicht aberkannt werden.372 Viele vorher genossenschaftliche Unternehmen oder Parteiglieder wurden privat weitergeführt. 373 Ähnlich traten die sozialdemokratischen Kandidaten für Reichstagswahlen einfach als parteilose Einzelkandidaten an. Als wichtiger Anker der Parteiarbeit erwiesen sich die Kranken- und Sterbekassen der früheren Gewerkschaften. Deren Arbeit konnte nicht verboten werden. Trotz der starken Überwachung dienten diese Institutionen als Ausgangsbasis für Aktionen der nun illegalen Parteiorganisation. Daneben etablierte sich ein geheimes Club- und Vertrauensmännersystem. Die Sozialdemokraten beschränkten sich allerdings im Untergrund vor allem auf die illegale Verbreitung von Zeitungen, Flugblättern und Schriften.374 b) Verhältnis zu liberalen Gruppierungen und bürgerlichen Kräften aa) Liberale Parteien Die Vereinigung der sozialistischen Parteien fiel in die 1870er Jahre, ein Jahrzehnt, das von Karl Rohe zutreffend als „eigentliche Inkubationszeit des deutschen Parteienwesens“375 charakterisiert wurde. Im liberalen Spektrum war die Ausdifferenzierung der Parteien zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht abgeschlossen. Seit 1866, als die großdeutsche Option nicht mehr realistisch erschien, erhielt die Fortschrittspartei, in der Pfalz maßgeblich geführt vom Deidesheimer Kreis, einem umtriebigen politischen Zirkel um die Weingutbesitzer Franz Peter Buhl und Ludwig Andreas Jordan, regen Zulauf. Nur im Wahlkreis Kaiserslautern-Kirchheimbolanden konnte sich die linksliberale (zuvor großdeutsche) Volkspartei behaupten. Diese hatte ein grundsätzlich demokratisches Programm und pflegte Verbindungen zum sozialistischen Lager. Ansonsten dominierte der Fortschritt, in der Pfalz schon 1868 vielfach als nationalliberale Partei bezeichnet, eine Terminologie die sich anfangs der 1870er Jahre endgültig durchsetzte. Der fraktionsinterne Konflikt zwischen Fortschritt und Nationalliberalen, der schließlich in die Spaltung mündete,376 hatte für die Pfalz eine untergeordnete Bedeutung. Die Partei dominierte die Wahlen zum Zollparlament 1868 372 Vgl. Werner, Walter: 12 Jahre Unterdrückung unter dem Sozialistengesetz, in: 125 Jahre Sozialdemokratie in Speyer. Beiträge zur Geschichte der SPD in Speyer, Speyer 1997, S. 16-20, hier S. 16. 373 So geschehen in Hamburg, im Fall des J.H.W.-Dietz-Verlag. Dieser Verlag hat den Namen des Käufers bis heute behalten. Vgl. Graf, Angela: Wie alles begann. Von der Verlagsgründung bis zum Ende der Weimarer Republik, in: Empor zum Licht, hrsg. v. Horst Heidermann und Rüdiger Zimmermann, Bonn 2006, S. 13-57, am 22.3.2012 online unter: http://library.fes.de/pdf-files/bibliothek/04566.pdf, hier S. 16. 374 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 67. 375 Siehe Rohe, S. 57. 376 Hierzu ausführlich: Eisfeld, Gerhard: Die Entstehung der liberalen Parteien in Deutschland 1858-1870. Studie zu den Organisationen und Programmen der Liberalen und Demokraten, Hannover 1969, S. 173-188. 67 sowie die ersten Reichstagswahlen. Lediglich im Wahlkreis Frankenthal-Speyer errangen die Konservativen 1868 ein Mandat gegen die Nationalliberalen.377 Die pfälzischen Angehörigen der nationalliberalen Partei waren durchaus noch von 1848 beeinflusst, auch wenn die Liberalen spätestens ab 1866 der Einheitsfrage gegenüber Freiheitsideen ein stärkeres Gewicht zumaßen. Insgesamt neigten die Pfälzer im Hinblick auf den Konflikt im preußischen Landtag eher dem nationalliberalen Flügel zu.378 Dieser arrangierte sich mit der restriktiven Verfassungspolitik und ertauschte sich damit in einem Kompromiss mit der Regierung mehr wirtschaftliche Freiheit. Die ökonomische Doktrin der Partei war weitestgehend bestimmt vom volkswirtschaftlichen Kongreß,379 einer Vereinigung liberaler Wirtschaftstheoretiker, die sich die „Agitation im Sinne des Freihandels zur Aufgabe gestellt hatte“.380 Unter anderen war Hermann Schulze-Delitzsch Mitglied in diesem Gremium. Die Partei stützte sich fast ausschließlich auf bürgerliche Honoratioren. Arbeiter und Handwerker waren zunächst kaum an der Parteiarbeit beteiligt,381 was in Anbetracht der Tatsache, dass die nationalliberale Partei ihre Basis vor allem in der Landbevölkerung hatte, nicht verwundert.382 Die Partei versuchte zunächst erfolgreich, sich mittels der Arbeitervereine nach Schulzes Konzepten eine Massenbasis zu verschaffen. Die wenigen erhaltenen Quellen aus sozialdemokratischer Hand sind voll von Polemiken gegen die nationalliberale Partei.383 Diese war inhaltlich eindeutig der größte Gegner für die frühe Sozialdemokratie. bb) Liberale Arbeitervereine Allerdings konnten die Sozialdemokraten im Hinblick auf die Organisationsweise von der Fortschrittspartei lernen. Diese schaffte mit der Gründung von Arbeitervereinen im Lauf der 1860er Jahre das erste Mal seit 1848 Gremien, in denen Arbeiter und Handwerker politisch aktiv werden konnten.384 Der erste Arbeiterunterstützungsverein wurde am 5. September 1859 in Germersheim gegründet, über seine inhaltliche Tätigkeit ist wenig bekannt, sehr wahrscheinlich ist nur, dass der Verein über eine Bibliothek verfügte. Insgesamt kümmerte sich die Organisation aber vor allem um die Unterstützung von kranken Mitgliedern. Dietrich vermutet, dass örtliche Fabrikanten im Verein die Fäden zogen. Hier politische Motive zu vermuten, erscheint aber übertrieben. Wahrscheinlich stand vor allem die 377 Vgl. Bräunche, Parteien, S. 53/54. Vgl. hierzu auch Schneider, Arbeiterbewegung, S. 9. Vgl. Bräunche, Parteien, S. 57. 379 Vgl. Eisfeld, S. 162/163. 380 Siehe: Volkswirtschaftlicher Kongreß, in: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 20, Leipzig 1909, S. 243, am 7.3.2012 online unter: http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Volkswirtschaftlicher+Kongre%C3%9F. 381 Vgl. Bräunche, Parteien, S. 55/56. 382 Vgl. Ziegler, Geschichte, S. 127. 383 Die Quellen aus Wahlkampfmaterial der frühen Sozialdemokratie sind voll von Angriffen auf die „sogenannten Liberalen“, hierfür als Beispiel mag ein Wahlaufruf von 1877, siehe „Wahlaufruf der Arbeiterpartei des Wahlkreises Speyer Frankenthal!“, in: LA SP, H-3 929-II. 384 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 30. 378 68 Schaffung eines Minimums an sozialer Fürsorge im Mittelpunkt. Auch in Annweiler und dem Dorf Eußerthal entstanden bis 1862 derartige Unterstützungsvereine.385 Im Ganzen konzentrierte sich die Gründungswelle liberaler Arbeitervereine auf die Vorderpfalz und den Haardtrand, mit Ausnahme des Industriezentrums Kaiserslautern. Den Anfang machte der Anwalt und spätere nationalliberale Reichtagabgeordnete Jacob Petersen mit seinem Engagement für die Gründung von Vorschussvereinen 1863 in Kaiserslautern und 1867 in Bad Dürkheim.386 Erfolgreich waren die Liberalen mit der Gründung des Edenkobener Arbeitervereins ebenfalls im Jahr 1867, da dieser bis 1870 mehr als 370 Mitglieder anzog. Allerdings handelte es sich bei den Mitgliedern nicht nur um Arbeiter. Im Januar 1870 kam es in Landau zur Gründung eines Arbeiterunterstützungsvereins, der immerhin bei der Gründungsversammlung gleich 88 Mitglieder gewinnen konnte.387 Die Stadt Kaiserslautern stellt im Hinblick auf die frühen Arbeitervereine durch die Dominanz der Volkspartei für die Pfalz einen Sonderfall dar. Es ist nicht klar, ob Petersens Gründung von 1863 Bestand hatte, Herzog findet den ersten Hinweis für einen Arbeiterverein erst 1867 und beschreibt, dass sich dieser Verein 1869 in Konkurrenz zum demokratischen Arbeiterbildungsverein, der von Anfang an programmatisch einen offenen Kurs gegenüber der SDAP verfolgte, neu gründete.388 In Ludwigshafen gründete die Fortschrittspartei 1868 einen Arbeiterbildungsverein, der bei der Gründung 50, nach einigen Monaten sogar 200 Mitglieder anzog. Obwohl der Verein ideologische Probleme mit staatlichen Eingriffen in das Wirtschaftsleben gehabt haben muss, baute er mit finanzieller Unterstützung der liberal regierten Kommune eine Bibliothek, eine Sparkasse und eine Krankenkasse auf.389 Auch der Speyrer Arbeiterverein distanzierte sich 1869 noch deutlich von der Sozialdemokratie. Spätestens 1871, als sich die Agitation der Lassalleaner in der Vorderpfalz verschärfte, konnten sich die Vereine der Fortschrittspartei allerdings größtenteils nicht mehr halten.390 Nur in Edenkoben ist der Fortbestand eines liberalen Vereins belegt, der 1893 immerhin noch 170 aktive Mitglieder hatte.391 Die anderen Vereine verloren wahrscheinlich im Lauf der 1870er Jahre an Zuspruch und versanken mit der Zeit in der Bedeutungslosigkeit. 385 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 26-28. Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 31. 387 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 29/30. 388 Vgl. Herzog, S. 23-26 389 Vgl. Bräunche, Parteien, S. 142-145. 390 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 31. 391 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 29. 386 69 cc) Arbeiterbewegungen und Arbeitgeber Neben aktiven Angeboten zur politischen Bildung an die Arbeiterschaft reagierten Fabrikbesitzer und bürgerliche Honoratioren nicht selten mit direktem Druck auf die sozialistische Bewegung. So ist bereits 1869 das Verbot für Arbeiter eines Kaiserslauterer Fabrikanten überliefert, sich dem demokratischen Arbeiterverein anzuschließen.392 Der Nähmaschinenfabrikant Pfaff, ebenfalls in Kaiserslautern, bezahlte laut einem Bericht der gewerkschaftlichen Zeitschrift Das Panier einige Arbeiter zusätzlich als Aufseher, um etwaige sozialistische Tendenzen so früh wie möglich aufzuspüren. In mehreren Fällen kam es zu Entlassungen. Die Gewerkschaftszeitung empfahl Gesinnungsgenossen aus der entsprechenden Branche, die Stadt Kaiserslautern zu meiden.393 In der Breite wurden die Kaiserslauterer Arbeitgeber im Nachgang auf die Attentate vom Mai und Juni 1878 gegen sozialistische Tendenzen tätig. In einer Versammlung am 12. Juni 1878 vereinbarten Vertreter der führenden Industriebetriebe der Stadt den Ausschluss der Sozialisten aus dem Wirtschaftsleben.394 Ab Juni 1878, noch vor der reichsweiten Umsetzung des Sozialistengesetzes, wurden alle Kaiserslauterer Arbeitnehmer, denen die Mitglied- Abb. 5 2Unabhängig vom Sozialistengesetz ergriffen Arbeitgeber 1878 Maßnahmen gegen Sozialdemokraten. Karikatur aus dem Pfälzisch-Badischen Volksblatt. schaft zum Arbeiterverein — und sei es nur durch den Besuch einer sozialistischen Versammlung — nachgewiesen werden konnte, in einer zentralen Kartei erfasst und von jeglicher Beschäftigung ausgeschlossen.395 Trotz gleichem Wahlrecht im Reich, erfolgte die Stimmabgabe in weiten Teilen Deutschlands noch unter Zwang durch örtliche Eliten. Auf dem Land sorgten Gutsherrn — falls wie in der Pfalz nicht vorhanden — Pfarrer oder Lehrer, für eine Stimmabgabe im Sinne der bürgerlich-nationalen oder reaktionären Parteien. Die Wähler wurden in geschlossenen Gruppen zur Wahlurne geführt, wo das Ergebnis vom Wahlleiter geprüft wurde. Bei einer 392 Vgl. Herzog, S. 26. Vgl. Herzog, S. 47/48. 394 Vgl. Herzog, S. 51-53. 395 Vgl. Herzog, S. 52-54. 393 70 Wahlentscheidung für den falschen Kandidaten drohten harte Sanktionen. 396 Das Fehlen gedruckter Wahlzettel397 machte die Identifikation der abgegebenen Stimmen im Nachhinein denkbar einfach. In Ludwigshafen kursierte das Sprichwort: „Wer nicht wählt den Dr. Groß, der ist morgen arbeitslos!“398 Gerade in Ludwigshafen war aktive Wahlbeeinflussung durch Arbeitgeber bis in die 1890er Jahre gängige Praxis, wie eine Erörterung des Themas in der bayerischen Kammer 1894 beweist. 399 c) Verhältnis zum katholischen Milieu In der Rückschau auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt sich, dass das Verhältnis von Sozialdemokraten gegenüber allen anderen politischen Richtungen überaus gespannt war. Gegenüber dem politischen Katholizismus hielten sich diese Spannungen allerdings in Grenzen. Dieser Befund mutet auf den allerersten Blick überraschend an, schließlich konnte die Sozialdemokratie in überwiegend katholischen Regionen — als Beispiel genannt seien hier die katholischen südpfälzischen Bezirke Germersheim, Bergzabern, Landau und Pirmasens400 — zunächst überhaupt nicht Fuß fassen. Ursprünglich richtete sich die sozialdemokratische Idee auch unmittelbar gegen klerikale Elemente. Schon beim Hambacher Fest 1832 hatte Philipp Jakob Siebenpfeiffer den Bundestag als „politischen Vatikan“401 verunglimpft. 1868 findet sich in der linksliberalen pfälzischen Volkszeitung diese Breitseite gegen den Klerus aus der Hand eines Arbeiters: „Nicht so viel Gutes wie von den Lehrern lässt sich von einem dritten Stande von Arbeitern, von den Herren Geistlichen aller Bekenntnisse, sagen. Der ist unentbehrlich die Priester geben sich dafür aus –der gerechte Mann- jedoch bedarf ihrer nicht, der ungerechte wird selten besser, von Bettelmönchen und Kirchenfürsten gar nicht zu reden, da deren Thun und Trachten fast immer nur auf ‚Wohlleben‘ hinausgeht.“402 Dem Priesterstand sprachen die frühen Sozialdemokraten die Eigenschaft zu arbeiten, und damit das zentrale Moment der werdenden sozialdemokratischen Wertewelt, ab. Jedoch sind sowohl inhaltlich als auch strategisch eindeutig Gemeinsamkeiten zwischen Sozialdemokraten und Katholiken auszumachen. So entwickelte sich der, neben linksliberal-sozialistischen Ansätzen wichtigste Strang der Theoriebildung zur Sozialen Frage aus der katholischen Kirche heraus. Zudem sei hier die Soziallehre des Mainzer Bischofs Wilhelm Emmanuel Ketteler aufgeführt, die mit Lassalles Analyse der politisch-ökonomischen 396 Vgl. Grebing, Arbeiterbewegung, S. 69. Vgl. Mergel, S. 47. 398 Siehe Schneider, Arbeiterbewegung, S. 55. 399 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 55. 400 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 53. 401 Siehe Nordblom, S. 289. 402 Siehe: Pfälzische Volkszeitung 5.10.1868: Arbeiter und Faulenzer. Zitiert nach: Herzog, S. 23-25. 397 71 Lage in Deutschland weitgehend übereinstimmte.403 Gerade in der Pfalz spricht die soziale Schichtung der katholischen Gebiete für wenig Reibung mit der Sozialdemokratie. So war die katholische Bevölkerung in der Pfalz überwiegend arm und, abgesehen von Geistlichen, in bürgerlichen Berufen kaum repräsentiert.404 Die weitgehende Proletarisierung der katholischen Bevölkerung macht eine besondere Nähe des politischen Katholizismus in der Pfalz zur Soziallehre wahrscheinlich. Ziel der katholischen Kirche war hierbei nie den Arbeitern zur Gleichberechtigung im politischen System zu verhelfen, jedoch stellte sie sich eindeutig gegen grobe soziale Missstände.405 Strategisch verband Sozialisten und Katholiken die Ausgrenzung durch den herrschenden Konservatismus im deutschen Reich. Bismarcks Taktik der „negativen Integration“406 baute bestimmte randständige Gruppen gezielt zu „Reichsfeinden“ auf, um so den schmalen Zusammenhalt innerhalb der „reichstreuen Elemente“ zu stärken. Neben Sozialisten und Katholiken standen großdeutsch Gesinnte, nationale Minderheiten in Randgebieten und Liberale unter ständigem Verdacht konkurrierender Loyalitäten gegenüber dem Kaiserreich. Diese gemeinsame Ausgrenzung brachte die gegensätzlichen Gruppierungen zusammen. Nur wenige Jahre nach Aufhebung des Sozialistengesetzes kam es in der Pfalz schließlich sogar zu weitreichenden Wahlbündnissen zwischen Sozialisten und politischem Katholizismus. Bei den Reichstagswahlen 1898 deutete sich eine gegenseitige Unterstützung bereits an, ein Jahr später schlossen sich beide Parteien für die Landtagswahlen zusammen. Oberstes Ziel dabei war es, die übermächtige nationalliberale Partei zu schwächen. Tatsächlich schafften es immerhin sieben katholische und sozialdemokratische Abgeordnete in den Landtag, was ohne das Wahlbündnis auch aufgrund der Zuschneidung der Wahlkreise kaum möglich gewesen wäre.407 Zwar musste die sozialdemokratische Führung von Teilen der Basis heftige Kritik für diesen Kuhhandel einstecken, jedoch war diese Politik im Ergebnis überaus erfolgreich: Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde die Vorherrschaft der Nationalliberalen in der Pfalz endgültig gebrochen, SPD und Zentrum wurden vorerst zu den bestimmenden Parteien der Region.408 403 Ein kurzer Abriss der katholischen Soziallehre Kettelers bei Grebing, Arbeiterbewegung, S. 57-61. Vgl. Stamer, S. 150. 405 Vgl. Stamer, S. 317. 406 Genauer zur negativen Integration im Zusammenhang mit der Sozialdemokratie, vgl. Groh, Dieter: Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkriegs, Frankfurt/Berlin 1973, S. 36-39. 407 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 208-211. 408 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 212/213. 404 72 C Sozialdemokratie in den unterschiedlichen Landschaften a) Wahlkreis 1: Ludwigshafen-Speyer aa) Empirischer Rahmen aaa) Bevölkerungsentwicklung Zu Beginn des Untersuchungszeitraums war Ludwigshafen noch gar keine Stadt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts handelte es sich bei der Rheinschanze nur im eine kleine Handelsniederlassung mit Ein- und Ausladestation für die Rheinschifffahrt. 1842 ging die Station in staatlichen Besitz über, 1845 erfolgte der Anschluss an die Eisenbahn und infolge dessen entstanden erste kleinere Industrieansiedlungen. Erst 1853 wurde die Gemeinde Ludwigshafen gegründet, die allerdings bereits 1859 das Stadtrecht erhielt.409 Abb. 6 3Der Löwenanteil des Bevölkerungswachstums im Wahlkreis 1 ist auf die Stadt Ludwigshafen zurück zu führen. Von da an wuchs Ludwigshafen explosionsartig. Zwischen den 1850 und 1900 verdoppelte sich die Einwohnerzahl pro Jahrzehnt. In absoluten Zahlen vervielfältigte sich die Einwohnerzahl von 2.296 Personen (1855) auf 72.286 (1905). Dies bedeutet ein Wachstum von insgesamt 3048,3 Prozent. 410 Insbesondere die prosperierende chemische Industrie zog Arbeitskräfte aus allen umliegenden Gebieten nach Ludwigshafen. Die ab Ende der 1860er Jahre von der BASF aufgebaute Arbeiterkolonie Hemshof wuchs beständig.411 Aus der 409 Vgl. Breunig, S. 23/24. Vgl. Breunig. S. 42/43. 411 Vgl. Breunig, S. 123. 410 73 Geburtenstatistik der Folgezeit schließt Breunig, dass sich vor allem jüngere Personen in Ludwigshafen ansiedelten.412 Genaue Auskünfte über den Anteil der Zugewanderten in Ludwigshafen sind für das Jahr 1907 überliefert. Dabei zeigt sich, dass rund 28 Prozent der Bevölkerung von außerhalb der Pfalz zugewandert waren, etwa 27 Prozent waren aus anderen pfälzischen Gemeinden zugewandert, nur 45 Prozent der Ludwigshafener Bevölkerung waren in der Stadt selbst geboren. In den Vorjahren muss der Anteil an Zugewanderten noch deutlich höher gewesen sein, schließlich war 1907 das exponentielle Bevölkerungswachstum der Stadt bereits vorbei.413 Um 1890 gab es bereits etwa 5.000 Wochenendpendler, die unter der Woche in Ludwigshafen wohnten und das Wochenende in der ländlichen Umgebung verbrachten. Wirklich bedeutend wurde dieses Phänomen allerdings erst im 20. Jahrhundert.414 Schon früher wuchsen auch die Vororte Ludwigshafens beständig. In Oggersheim erhöhte sich die Einwohnerzahl von 2.403 1855 auf 6.639 im Jahr 1905. An der Gesamtgröße gemessen noch gravierender war das Wachstum Rheingönnheims von 1.317 auf 3.757 im selben Zeitraum.415 Ab 1855 konnten auch Friesenheim von 1.665 auf 3.668 und Mundenheim von 1.827 auf 5.081 ihre Einwohnerzahl stetig erweitern, bis beide Gemeinden 1890 Teil der Stadt Ludwigshafen wurden.416 Ansonsten waren die Wachstumsraten der kleineren Ortschaften im Bereich des Amtsgerichts Ludwigshafen stabil mit leicht steigender Tendenz.417 Auch in Frankenthal wuchs die Industrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beständig, was der Stadt ein starkes Bevölkerungswachstum — in leichtem Maß auch durch Zuwanderung — bescherte. 418 Bis 1850 hatte die Einwohnerzahl in Frankenthal noch unter 5.000 gelegen.419 Mit der industriellen Expansion vergrößerte sich die Einwohnerschaft. 1871 lag sie bereits bei 7.021, besonders ab 1875 erfolgte nochmals ein Sprung auf 9.050. 1885 wurde die Anzahl von 11.000 Einwohnern überschritten, 1895 wohnten bereits 14.445 Menschen in Frankenthal.420 In Speyer hinkte die industrielle Entwicklung zeitlich hinter den wachsenden Industriemetropolen Ludwigshafen und Frankenthal deutlich hinterher. Erst 1889 kam es zu einem verspäteten „Gründerjahr“.421 Entsprechend lässt sich für den eigentlichen Untersuchungszeit412 Vgl. Breunig, S. 43. Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 252/253. Vgl. Breunig, S. 61. 415 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 145. 416 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 49. 417 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 49. 418 Die relativ starke Zuwanderung nach Frankenthal wurde teilweise durch die Abwanderung nach Ludwigshafen kompensiert, dennoch ist für das Bezirksamt Frankenthal zwischen 1855 und 1905 ein leichter Wanderungsgewinn verzeichnet, vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 215. 419 Vgl. Ebenau/Kuffler, S. 14. 420 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 41. 421 Siehe Fenske, Speyer, S. 227. 413 414 74 raum nur ein vergleichsweise geringes Bevölkerungswachstum feststellen. Zwischen 1867 und 1871 schrumpfte die Bevölkerung sogar. Sowohl in der Stadt Speyer als auch im Bezirk. 1855 hatte die Stadt 11.725 Einwohner, bis 1867 erhöhte sich diese Zahl auf 14.806. Von 13.223 Einwohnern 1871 wuchs die Bevölkerung der Stadt bis 1900 stetig auf 20.921 Einwohner.422 Auch Schifferstadt wuchs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts moderat. Insgesamt hat sich die Bevölkerungszahl hier zwischen 1855 (3.678 Einwohner) und 1955 (7.505 Einwohner) in etwa verdoppelt. Die Entwicklung verlief weitestgehend stetig, zwischen 1875 und 1880 kam es zu einem größeren Schub (von 4.112 auf 4.635 Einwohner), ansonsten wuchs diese Gemeinde um etwa 200 Einwohner alle fünf Jahre.423 Insbesondere die nördlichen Dorfgemeinden im Amtsbezirk Grünstadt verloren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Einwohner.424 Ähnlich verhielt es sich mit der Bevölkerungsentwicklung im südlichen Teil des ersten Wahlkreises, während sich um das Industriezentrum Ludwigshafen eine Art Speckgürtel bildete. bbb) Wirtschaftliche Entwicklung und soziale Zustände Das Wachstum der Stadt Ludwigshafen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich in zwei Perioden untergliedern. Zwischen 1850 und 1870 fußte das Wachstum auf einer günstigen Entwicklung von Handel und Gewerbe, die sich bis 1910 fortsetzte, aber in dieser Periode von einer äußerst dynamischen industriellen Expansion in den Schatten gestellt wurde. 425 Bei der Abb. 7 4Wachstum der BASF-Arbeiterschaft Berufszählung 1882 waren 492 Ludwigshafener im Handel tätig, 4.144 arbeiteten in der Industrie, wobei die Chemieindustrie mit 2.627 Beschäftigten den größten Anteil stellte. Insgesamt gab es 1882 6.146 Berufstätige in Ludwigshafen, womit der prozentuale Anteil an Industriebeschäftigten gegenüber der Gesamtbevölkerung bei 67,4 Prozent liegt.426 422 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 42. Lediglich zwischen 1895 und 1905 nahm das Wachstum der Gemeinde Schifferstadt nochmals größere Dimensionen an, vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 52. 424 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 34/35. 425 Breunig listet für 1871 110 Handelsfirmen, 196 Werkstätten großer und kleiner Gewerbebetriebe und nur 12 Fabriken auf, vgl. Breunig, S. 27/28. 426 Wobei hier alle Beschäftigten innerhalb der Industriebranchen in der Statistik verzeichnet sind, daher ist der geringe Anteil der Verwaltungstätigen der Industrie nicht in die Zählung miteinbegriffen. Genauere Zahlen waren leider nicht verfügbar, vgl. Berufsstatistik. 423 75 Zwischen 1872 und 1905 baute die BASF dort 663 Arbeiterwohnungen, die 1905 von 3.964 Personen bewohnt wurden. Dies entspricht einer Durchschnittszahl von ca. 5,57 Personen pro Haushalt. Ein Bericht von 1905 macht auf die enorm schwierige Wohnsituation in der BASF-Siedlung Hemshof aufmerksam. Oft wohnten vier Familien in einem Stockwerk zusammen, mit jeweils zwei bis drei Räumen für jede der oft kinderreichen Arbeiterfamilien. Da im Normallfall pro Stockwerk nur eine Toilette verfügbar war, konnten sich hier ansteckende Krankheiten auf schnellstem Weg verbreiten. Diese erschreckenden Zustände für 1905 lassen sich auch auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts übertragen, waren in dieser Periode wohl eher noch stärker ausgeprägt, 427 insbesondere da die Soziale Frage erst mit Eintritt der Sozialdemokraten ins politische Leben Mitte der 1870er Jahre ernsthaft diskutiert wurde. Erst viel später wurden Gegenmaßnahmen von staatlicher Seite in Angriff genommen.428 Räumlich blieb Hemshof durch die Bahnlinie vom bürgerlichen Stadtkern im Süden klar abgegrenzt. Die Abgrenzung zum bürgerlichen Milieu drückt sich auch in einem Telefonbuch von 1871 aus, das Hemshof gar ganz getrennt vom übrigen Ludwigshafen als eigenen Ort behandelt.429 Neben den unzureichenden sanitären Gegebenheiten stellten auch Alkoholismus und Kriminalität ernsthafte Probleme im Arbeiterviertel dar. Die wenigsten Wohnbauten in Ludwigshafen wurden ohne Gaststätten errichtet, erst ab 1881 wurde vor Vergabe einer Wirtshauskonzession der Bedarf geprüft. Dabei spielte allerdings weniger die Eindämmung des Alkoholismus eine Rolle als die Erwägung, sozialistischen Umtrieben durch die Verringerung von möglichen Veranstaltungsorten einen Riegel vorzuschieben.430 Die wiederholten Versuche der Stadt Ludwigshafen eine ständige Armeegarnison in der Stadt zu postieren, geben ein Zeugnis von der hohen Kriminalitätsrate in der Stadt. Immer wieder kam es zu Exzessen. So wurde ab dem deutlicheren Zutagetreten sozialistischer Bestrebungen im Vorlauf zur Reichstagswahl 1874 weniger der Alkoholismus als die sozialistische Agitation für jede Art von Störung der öffentlichen Ordnung verantwortlich gemacht.431 Auch die Tatsache, dass es in den nahen Industriestädten Mannheim und Frankfurt immer wieder zu sogenannten Bierkrawallen kam, verdeutlicht das Abgleiten ganzer Stadtviertel in eine äußerst spannungsgeladene soziale Situation.432 Die Intensität, mit der sich die Lage zuspitzte, erreichte in Ludwigshafen ein für die Pfalz einmaliges Ausmaß. 427 Vgl. Breunig, S. 69/70. Erst ab 1879 wurden von Staatswegen regelmäßig Fabrikinspektionen vorgenommen. Ernsthafte Ansätze zu einer kommunalen Sozialpolitik, obwohl von sozialistischer Seite angemahnt, bestanden im 19. Jahrhundert zwar, von kommunal gestaltetem sozialem Wohnungsbau kann nicht die Rede sein. Vgl. Breunig, S. 86, S. 90-95 und bezüglich der Armenfürsorge, S. 72-78. 429 Vgl. Breunig, S. 70. 430 Vgl. Breunig, S. 71. 431 Ein Beispiel hierfür findet sich im Wochenbericht vom 17. März 1873. Darin geht es um eine Schlägerei unter Friesenheimer Arbeitern, die in eine Messerstecherei mündete. Den Tätern wurde von der Behörde ohne weitere Belege rein aufgrund der Gewalttätigkeit eine sozialistische Gesinnung attestiert, vgl. Wochenbericht vom 17.3.1873, in: BayHStA, Minn 30981/24. 432 Vgl. Breunig, S. 64-68. 428 76 Das Fürsorgewesen der Stadt konnte den hohen Ansprüchen durch die massenhafte Verelendung in Ludwigshafen nicht gerecht werden, obwohl die Kommune hier einen erheblichen Teil ihrer Gesamtausgaben tätigte. Die Armenfürsorge wurde nur Inhabern des Heimatrechts gewährt, weswegen die große Zahl der zugezogenen Arbeiter nicht in den Genuss städtischer Fürsorge kam.433 Gerade in den Fabriken der Chemieindustrie waren die Arbeitsbedingungen in der frühen Industrialisierungsphase äußerst schlecht. Medizinische Erkenntnisse über die Auswirkungen der teils lebensgefährlichen Substanzen, mit denen die Chemiearbeiter tagtäglich zu tun hatten, lagen damals nicht vor. Wirksame Arbeitsschutzvorschriften wurden erst 1873 mit Einführung der Gewerbeordnung erlassen und deren Einhaltung nur unzureichend kontrolliert. 1881 waren 8,4 Prozent der BASF-Arbeiter von Verletzungen durch Arbeitsunfälle betroffen. Dabei handelt es sich allerdings nur um die Fälle, die seitens der BASF der Unfallversicherung angezeigt wurden. Der wirkliche Anteil der Arbeiter, die durch mangelnden Arbeitsschutz gesundheitliche Probleme erlitten, lag wahrscheinlich, gerade im Hinblick auf Langzeitschäden, um einiges höher. Besonders die Rate von Lungen- und Atemwegserkrankungen bei Chemiearbeitern stieg in der Folgezeit deutlich an.434 Nach Ludwigshafen, Kaiserslautern und Pirmasens wurde Frankenthal der viertwichtigste Industriestandort in der Pfalz im ausgehenden 19. Jahrhundert. Bis 1843 lassen sich die Wurzeln der Frankenthaler Zuckerfabrik zurückverfolgen. Begünstigt durch nahe gelegene Rohstoffproduktion, aufgrund guter Anbaubedingungen für Zuckerrüben im nördlichen Teil der pfälzischen Rheinebene,435 wuchs diese Fabrik schnell. Als das Unternehmen 1873 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, verfügte diese mit sechs Millionen Mark Gründungskapital über deutlich mehr Liquidität als alle anderen Unternehmen der Stadt.436 Außer der Zuckerfabrik und der 1871 aus Mannheim nach Frankenthal verlegten Korkfabrik Bender & Co. wuchs vor allem die Frankenthaler Metallindustrie speziell in den Bereichen Maschinen- und Apparatebau in starkem Maße.437 Die Firma Klein, Schanzlin und Becker (KSB) wurde 1871 mit etwa 20 Arbeitern gegründet und war zunächst auf die Reparatur von Dampfmaschinen ausgerichtet, verlegte sich später hauptsächlich auf die Herstellung von Pumpen und Apparaten für die BASF in Ludwigshafen. Die Belegschaft wuchs bis 1880 um das Zehnfache auf 200 Arbeiter, bis 1888 verdoppelte sich diese Zahl nochmals. Bereits 1864 war die Albertsche Schnellpressenfabrik entstanden, später Albert & Cie., die bis in die 1880er Jahre nur eine Belegschaft von ca. 20 Arbeitern hatte, dann aber bis 1886 433 Vgl. Breunig, S. 74. Vgl. Breunig, S. 87-99. Vgl. Wysocki, S. 247. 436 Vgl. Laux, Kurt: Die Entwicklung der Frankenthaler Maschinenindustrie, Gießen 1929, S. 19. 437 Vgl. Ebenau/Kuffler, S. 13. 434 435 77 bereits 160, 1892 395 und schließlich 1895 470 Arbeiter beschäftigte. Über die Beschäftigungszahlen in der Frühzeit der 1859 gegründeten Kühnleschen Maschinenfabrik sind keine Zahlen erhalten. Das Werk wurde beständig erweitert. Anfang der 1890er Jahre arbeiteten 350 Personen für die Fabrik, in der schmiedeeiserne Behälter, Rührwerke, Dampfkessel, Räder, Riemenscheiben und Dampfmaschinen hergestellt wurden. Auch hier war die BASF der Hauptabnehmer.438 Insgesamt entstanden in Frankenthal zwischen 1843 und 1890 fünf Maschinenfabriken, vier Kesselschmieden, eine zweite Zuckerfabrik, eine Eisengießerei, eine Drahtstiftefabrik, eine Fassfabrik, eine Korkfabrik, eine Kistenfabrik, eine Seifenfabrik, eine Eisenhütte, eine Lackfabrik und eine größere Brauerei.439 1882 war die Industrie mit 1.686 (58,6 Prozent) Beschäftigten der wichtigste Arbeitgeber in Frankenthal, gefolgt von Handwerksbetrieben mit 677 Beschäftigten (58,6 Prozent).440 Die Stadt Speyer war als wichtigster Verwaltungsstützpunkt der Pfalz Heimat einer hohen Zahl von Beamten. Daneben dominierten traditionelle Handwerks- und Kleinhandelszweige die Wirtschaft der Stadt. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung war 1871 noch landwirtschaftlich tätig, die Zahl stagnierte jedoch, und mit Blick auf die wachsenden Gesamtbevölkerung verlor der Berufszweig an Bedeutung.441 Bei Betrachtung der Ergebnisse der Berufszählung von 1822 fällt zunächst die Konstanz gegenüber 1833 ins Auge. 44,8 Prozent der Erwerbstätigen waren 1882 in Industrie und Gewerbe tätig. Ansonsten verteilt sich die Arbeitsbevölkerung zu etwa gleichen Teilen (ca. 12,5 Prozent) auf erstens Handel, Versicherungswesen und Verkehr, zweitens auf die Landwirtschaft, drittens auf den öffentlichen Dienst und freie Berufe. Auch die Anzahl der Erwerbslosen bewegt sich in dieser Größenordnung (12,4 Prozent).442 Der relativ hohe Anteil an industriell-gewerblichen Berufen, der bis 1895 noch auf 50,3 Prozent anwuchs, kann allerdings nicht über die handwerkliche Struktur der Speyrer Wirtschaft hinwegtäuschen. Die Stadt war zwar mit der Ludwigsbahn schon sehr früh ans moderne Verkehrsnetz angeschlossen, der für den Warenverkehr essentielle Zugang zu den wichtigen Industriegebieten rechts des Rheins war von Speyer aus zunächst aber nicht möglich. Als im Dezember 1873 endlich mit Eröffnung der Bahnlinie nach Heidelberg der Anschluss ans Schienennetz erfolgte, hatten die großen Verkehrsströme der expandierenden Industrie sich längst andernorts angesiedelt. Zwei größere Brauereien, drei bedeutendere Tabakfabriken und verschiedene Ziegelfabriken waren die wichtigsten frühindustriellen Unternehmen der Stadt. Dabei ist insbesondere die Bedeutung der Tabakindustrie und der 438 Vgl. Ebenau/Kuffler, S. 13/14. Vgl. Laux, S. 10/11. Vgl. Berufsstatistik. 441 Vgl. Fenske, Speyer, S. 220. 442 Vgl. Fenske, Speyer, S. 222. 439 440 78 Ziegelproduktion hervorzuheben. Letztere wurde ab den 1870er Jahren überregional bedeutsam und beschäftigte zeitweise bis zu 1.000 Arbeiter.443 Insgesamt war die Sozialstruktur der Stadt Speyer im Untersuchungszeitraum vergleichsweise ausgeglichen. Die einzelnen Viertel der Stadt blieben das gesamte 19. Jahrhundert hindurch soziologisch stark durchmischt.444 Zu einer weitergehenden industriellen Expansion kam es erst mit der Gründung einer Baumwollspinnerei 1889. Entsprechend fasste mit Anwachsen sozialer Probleme kurz vor der Jahrhundertwende die Streikbewegung auch in Speyer Fuß.445 Dennoch blieben die Industriearbeiter innerhalb der Unterschicht in der Minderzahl. Noch 1894 lebten gerademal 304 Industriearbeiter in Speyer, sie bildeten mit 1.147 handwerklich Tätigen und 1.246 in sonstigen überwiegend traditionellen Arbeiterberufen die Unterschicht.446 Dennoch gab es auch in Speyer soziale Missstände. Die unzureichenden Wohnverhältnisse wurden 1873 als Hauptursache einer Cholera-Epidemie ausgemacht, die 202 Speyrer das Leben kostete. Im Folgejahr wurde das Wohnungsproblem mit der Gründung einer Baugenossenschaft angegangen.447 Die Sozialstruktur der kleineren Landgemeinden der Vorderpfalz blieb bis ins ausgehende 19. Jahrhundert stabil und weitestgehend agrarisch dominiert. Nur diejenigen Orte, die an einer Bahnlinie lagen, wurden teilweise von der Industrialisierung erfasst. Genauere Informationen liefert die Literatur über das Örtchen Schifferstadt, wo sich neben der Landwirtschaft auch Bahnarbeiter und mit der Zeit zunehmend Berufspendler nach Ludwigshafen ansiedelten. Die Mischerwerbstätigkeit zwischen kleinbäuerlicher Existenz auf dem Land und Industriearbeitertätigkeit in der Stadt breitete sich in diesem Umfeld besonders stark aus.448 ccc) Konfessionsstruktur Der Wahlkreis 1 wies 1871 eine ausgeglichene Konfessionsstruktur auf. Insgesamt überwog die Anzahl der Protestanten (51.245 gegenüber 48.806 Katholiken) in dem Gebiet nur leicht. Dabei waren die Protestanten eher im Norden angesiedelt, während die katholische Bevölkerung im südlichen Teil der Vorderpfalz dominierte. Im Bezirksamt Speyer standen 1871 32.284 Katholiken (54,4 Prozent der Gesamtbevölkerung) 25.446 Protestanten (42,9 443 Vgl. Fenske, Speyer, S. 223-226. Vgl. Hartwich, S. 331. 445 Vgl. Fenske, Speyer, S. 227-233. 446 Wolfgang Hartwich hat die unterschiedlichen Berufe der Arbeiterbevölkerung anhand eines Adressbuchs von 1894 aufgeschlüsselt. Zu den industriellen Berufen wurden hier gezählt: Zigarrenarbeiter, Ziegeleiarbeiter, Brauereiarbeiter, Technische Arbeiter, Metallarbeiter, Textilarbeiter. Zu den eher traditionellen Berufen rechnet er Arbeiter, die in der Rheinschifffahrt tätig waren, Fuhrleute, Knechte, Kutscher, Tagelöhner, Landwirte, Gärtner, Aufseher, Kontrolleure, Diener, Näherinnen, Kleidermacherin, Büglerinnen, Hausangestellte, Beschäftigte der privaten Verwaltungen. Druckereibeschäftigte sind in dieser Auflistung den handwerklichen Berufen zugeordnet, vgl. Hartwich, S. 326. 447 Vgl. Alschner, Elisabeth: Klassenkampf und Cholera. Die Anfänge der sozialdemokratischen Partei in Speyer, in: 125 Jahre Sozialdemokratie in Speyer. Beiträge zur Geschichte der SPD in Speyer, Speyer 1997, S. 11-14, hier S. 13/14. 448 Vgl. Nestler, Gerhard: Zwischen nationaler Politik und lokalen Interessen. Die politische Entwicklung Schifferstadts von 1871 bis 1932, in: Schifferstadt. Geschichte und Geschichten, hrsg. v. Stadt Schifferstadt, Schifferstadt 1998, S. 181-214, hier S. 186/187. 444 79 Prozent) gegenüber, im Amtsbezirk Frankenthal hingegen wohnten nur 16.522 Katholiken (37,2 Prozent), dafür allerdings 25.799 Protestanten (58,1 Prozent).449 Für die Städte konnte im Rahmen dieser Arbeit nur auf Konfessionsdaten von 1911 zurückgegriffen werden. In Frankenthal dominierte die protestantische Konfession gegenüber der katholischen (1911: 59,7 Prozent Protestanten, 37,1 Prozent Katholiken),450 in Ludwigshafen war die Konfessionsstruktur ausgeglichener (1911: 48,7 Prozent Protestanten, 47,5 Prozent Katholiken)451 und in Speyer dominierte zumindest im 20. Jahrhundert die katholische Konfession (1911: 43,4 Prozent Protestanten, 54,4 Prozent Katholiken),452wobei ein starker Anstieg der Katholiken durch Zuzug in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu berücksichtigen ist.453 Gerade für Ludwigshafen ist hinzuzufügen, dass Einfluss der Kirchen dort vergleichsweise sehr gering gewesen sein muss. Die kirchlichen Institutionen konnten schlicht die Masse der Arbeiter nicht mehr bedienen. Schon 1882 wurden von 88 gemischten Ehen in Ludwigshafen 32 nur bürgerlich und nicht kirchlich getraut.454 Aus der mangelhaften Abdeckung der Arbeitsbevölkerung mit kirchlichen Dienstleistungen ergab sich das kulturelle Vakuum, in das die Sozialdemokratie hineinstoßen konnte. Abb. 8 Wirtschaftsstruktur der größeren Städte und Konfessionsstruktur im Wahlkreis 1 449 Vgl. Breunig, S. 16. Vgl. Statistik Bayerns, Gemeindeverzeichnis, S. 78. 451 Vgl. Statistik Bayerns, Gemeindeverzeichnis, S. 92. 452 Vgl. Statistik Bayerns, Gemeindeverzeichnis, S. 98. 453 Vgl. Fenske, Speyer, S. 250. 454 Vgl. Stamer, S. 318. 450 80 bb) Deskriptiver Teil aaa) Anknüpfungspunkte zur Sozialdemokratie Schon im Mai 1848 etablierte sich in Frankenthal neben dem Volksverein ein demokratischer Verein, der eine etwas radikalere Linie verfolgte und mit der Zeit im Volksverein an Einfluss gewann. Wie Ruppert schreibt, haben sich die Frankenthaler Demokraten mittels eines Arbeitervereins eine „sozialistische Hilfstruppe“455 geschaffen, um die konservativen Elemente des Volksvereins unter Kontrolle zu halten. Auch in Speyer war 1848/49 ein eigener Arbeitervereine entstanden.456 Mit der Trompete von Speyer erschien neben dem Neustädter Pfälzer Volksmann die zweite linke Arbeiterzeitung der Pfalz von 1849 in Speyer.457 Die relativ starke Stellung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei unter den Handwerkern in den 1870er Jahren lässt den Schluss zu, dass sich in der Stadt auch sozialrevolutionäre Elemente von 1848/49 überlebten. Ein weiterer Hinweis auf den Einfluss der 48er-Generation auf die frühe Sozialdemokratie in der Vorderpfalz findet sich in Mundenheim. Der dortige Schmied Franz Siegel war Neffe eines badischen Freischargenerals. Er gehörte neben einigen anderen zu den ersten Personen in der Region, die sich sozialistisch betätigten und bereits 1866 der sozialistischen Internationale beitraten.458 Im Rahmen dieser Arbeit bereits erläutert, wurde das Geschehen im Gefolge des Streiks in Oggersheim. Ansonsten sind aus der Region kaum Nachweise für härtere Arbeitskämpfe überliefert. Allerdings kam es zu einigen Gewerkschaftsgründungen, durchaus auch vor der Gründung von Parteigliederungen. Wie in Ludwigshafen profitierten in Speyer die Sozialisten von der verkehrsgünstigen Lage der Stadt. Von der eher ausgeglichenen Sozialstruktur her war die Stadt nicht unbedingt prädestiniert für eine starke Sozialdemokratie, aber die leichte Verfügbarkeit von guten Rednern für die wenigen lokal vorhandenen Anhänger und die von Ludwigshafen ausgehende Agitation machten hier ein Einwurzeln möglich. bb) Lokale Organisation der Sozialdemokratie In Frankenthal gründete sich bereits 1868, kurz nach der Formierung einer Gewerkschaftsbewegung aus dem ADAV heraus im September desselben Jahres in Berlin eine Zweigstelle der lassalleanischen Gewerkschaftsbewegung. Neben der günstigen Verkehrslage war dies ein Grund für die regelmäßigen Stationen sozialistischer Wanderprediger in der Stadt.459 455 Siehe Ruppert, S. 78. Vgl. Ruppert, S. 221. 457 Zwei Ausgaben dieser Zeitung (Wahlspruch: „Alles durch und für das Volk“) sind gedruckt. Siehe: Die Pfälzische Revolution 1848/49, vgl. Quellen und Dokumente, S. 47-49. 458 Vgl. Sturm, S. 83. 459 Vgl. Breunig, S. 160. 456 81 Frankenthal, Ludwigshafen und Speyer lagen direkt auf der Route lassalleanischer Agitatoren, deren Tätigkeit ab 1869 „planmäßige Züge“460 annahm. Am 14. Februar kam es in Oggersheim bei Ludwigshafen zu einer ersten Versammlung, die von 70 bis 80 Personen besucht wurde. Die Veranstaltung kam auf Initiative Josef Quevas zustande, der in Mannheim Kontakt zu Vertretern des ADAV aufgenommen hatte.461 Die Agitatoren erschienen in Begleitung. Laut Polizeibericht waren „circa 30 fremde Individuen“462 anwesend, was darauf schließen lässt, dass die Agitatoren mit Anfeindungen rechneten. In der Tat wurde der Vortrag über das eherne Lohngesetz und die Notwendigkeit des Arbeiterzusammenschlusses von ständigen Zwischenrufen unterbrochen. Die Veranstaltung endete in einem Tumult. Für den darauffolgenden Samstag war die Gründung eines ADAV-Ortsvereins Oggersheim geplant, weswegen diese Versammlung gänzlich verboten wurde.463 Stattdessen kam es am 21. Februar 1869 in Frankenthal zu einer ersten Versammlung, die allerdings nur von 25 bis 30 Personen besucht wurde. Die Referenten sollen sich im Anschluss an den Vortrag über „den Mangel an Verständnis und die Lauheit der Arbeiter“ 464beklagt haben. Es folgten zwei Jahre, in denen die sozialistische Agitation in der Region stagnierte. Die Misserfolge der ersten Veranstaltungen oder der strenge behördliche Zugriff mögen hier eine Rolle gespielt haben. Willi Breunig führt das Ausbleiben weiterer Mobilisierungsschübe der sozialistischen Bewegung in der Vorderpfalz auf den Ausbruch des DeutschFranzösischen Krieges 1870 und die folgende nationale Begeisterung in der Grenzregion zurück.465 In Anbetracht der Zeitspanne von 17 Monaten, die zwischen den ersten Versuchen der Lassalleaner im Februar 1869 in Ludwigshafen und Frankenthal Fuß zu fassen und dem Ausbruch des Krieges im Juli 1870 lag, erscheint dies jedoch unwahrscheinlich. Möglicherweise konnten der ADAV in dieser Phase einfach nicht mehr agitatorische Arbeit leisten. An Fahrt gewann die Bewegung erst wieder nach dem Ende des Kriegs mit dem Streik in der Oggersheimer Samtfabrik. Die Gründung der lassalleanischen Ortsgruppe in Oggersheim erfolgte im November 1872 direkt im Anschluss an den Streik, bis Mai 1872 kamen in Frankenthal, Ludwigshafen und Mutterstadt drei weitere Vereine hinzu.466 Die Frankenthaler Ortsgruppe des ADAV zählte im Juli 1872 bereits 74 Mitglieder, damit war Frankenthal für einige Zeit das Zentrum der sozialistischen Bewegung in der Pfalz. Im Dezember 1872 erfolgte allerdings ein Verbot aufgrund des Vereinsgesetzes. Zu einem Regionaltreffen der vorderpfälzischen ADAV-Gruppen im Frühjahr 1873 war allerdings 460 Siehe Breunig, S. 146. Vgl. Breunig, S. 146. 462 Schreiben des Bürgermeisteramtes Oggersheim an das Bezirksamt Speyer vom 10.3.1869, siehe Breunig, S. 147. 463 Vgl. Breunig, S. 147. 464 Siehe Breunig, S. 147/148. 465 Vgl. Breunig, S. 148. 466 Vgl. Breunig, S. 150/151. 461 82 wieder eine Frankenthaler Delegation anwesend.467 Das Gründungsdatum des Ludwigshafener ADAV lässt sich nur schwer ermitteln, den ältesten Nachweis findet Breunig in einer Zeitungsanzeige, die zur Mitgliederversammlung am 11. Dezember 1871 einlud. Der Verein hatte wahrscheinlich zwischen 50 und 100 Mitgliedern, von denen ein großer Teil aus anderen Regionen Deutschlands stammte.468 Trotz erheblichem polizeilichen Druck konnte die Arbeiterpartei bei der Reichstagswahl 1874 ein ordentliches Ergebnis erreichen, in Ludwigshafen war die Partei schon fast so stark wie die Zentrumspartei. 469 In der Folgezeit verlor die lassalleanischen Agitationen in und um Ludwigshafen etwas an Intensität. Nachdem sich Dreesbach und Ehrhart im Sommer 1876 in Mannheim niederließen, wurde die Stadt allerdings endgültig zum Zentrum der Partei in der Pfalz. Da bisher vor allem Handwerker in der Partei organisiert waren wurde die Agitation unter den Arbeitern der chemischen Industrie verstärkt, zunächst nur mit mäßigem Erfolg. Dennoch konnte sich die Partei in dieser Phase nochmals ausbreiten. So fallen die Gründungen der Ortsvereine Mundenheim und Oppau in diese Phase.470 Im Wahlkampf 1877 entfaltete die Partei in den Zentren Frankenthal, Ludwigshafen, Oggersheim, Mutterstadt und Speyer eine bis dahin nie dagewesene Agitationstätigkeit, die sich insbesondere gegen die nationalliberale Partei richtete. Diese reagierte über die klassischen Kanäle der Presseöffentlichkeit. Die nationalliberale Stadtverwaltung in Ludwigshafen versuchte, auch polizeilich Druck auf die Eigentümer von Versammlungslokalen auszuüben. Zwar konnte die nationalliberale Vormachtstellung bei der Reichstagswahl im Januar 1877 noch nicht gebrochen werden, dennoch erreichte die Sozialdemokratie hier im Wahlkreis I einen Achtungserfolg und konnte sich absolut und relativ deutlicher als alle andere Parteien steigern. Die Arbeiter der Chemiebranche zu gewinnen war den Sozialdemokraten trotz einiger Ansätze in diese Richtung noch nicht möglich. Bei den meist eher ungelernten Arbeitern der chemischen Industrie konnte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal eine gewerkschaftliche Organisation etabliert werden.471 In Ludwigshafen hatte die Partei 1878 260 Mitglieder,472 in Mundenheim waren 161 Arbeiter in der sozialdemokratischen Tischlergenossenschaft organisiert, Zahlen zum Parteiverein liegen dort nicht vor. Ebenso verhielt es sich in Frankenthal, wo allerdings 52 Mitglieder der Metallarbeitergewerkschaft und sieben Mitglieder der Schuhmachergewerkschaft verzeichnet sind. Beide Organisationen galten als sozialistisch und wurden 1878 bei 467 Vgl. Ebenau/Kuffler, S. 17. Vgl. Breunig, S. 152. 469 Zum Beispiel wurde der wichtigste sozialdemokratische Referent Meyer unter dem Vorwand befürchteter Ruhestörung festgenommen, vgl. Breunig, S. 156. 470 Vgl. Breunig, S. 164/165. 471 Vgl. Breunig, S. 166-173. 472 Vgl. Breunig, S. 778. 468 83 Umsetzung des Sozialistengesetzes verboten.473 Im letzten Jahr vor dem Sozialistengesetz kam es um Ludwigshafen insgesamt zu 49 sozialdemokratischen Versammlungen, davon 17 in Ludwigshafen (durchschnittlich 100 Besucher), 14 in Oggersheim (70), neun in Mundenheim (300), vier in Mutterstadt (60), je drei in Friesenheim und Rheingönnheim (80/100) und zwei in Maudach (55).474 In Frankenthal lockten die sechs Versammlungen zwischen 1875 und 1878 durchschnittlich 120 Besucher.475 Auch in Roxheim hat mindestens eine Versammlung stattgefunden und es gab einige Parteimitglieder.476 In Speyer begann die Geschichte der Arbeiterbewegung mit Gründung des Arbeiterbildungsvereins 1868. Punktuell lassen sich in diesem Verein schon in der Anfangszeit sozialistische Tendenzen beobachten. So stimmte der Vorsitzende, ein Buchdrucker namens Günzel, im September 1868 auf dem VDAV in Nürnberg, den sozialistischen Beschlüssen zu. Allerdings wurde Günzel zurück in Speyer sofort das Vertrauen entzogen. Der Arbeiterbildungsverein wollte seine politische Unabhängigkeit wahren. Dennoch sind weitreichende Verbindungen zwischen dem Arbeiterbildungsverein und dem später gegründeten ADAV festzustellen.477 Zur ersten sozialdemokratischen Arbeiterversammlung kam es am 27. Juni 1872. 478 Der Wanderredner Hartmann aus Hamburg kam nach Speyer und sprach vor einer unbekannten Anzahl von Zuhörern über Richtungen und Ziele der lassalleanischen Arbeiterbewegung. Im Anschluss an die Veranstaltung trugen sich bereits 17 Arbeiter in die Listen der Partei ein. Die Choleraepidemie 1873 stärkte die Position der Speyrer Sozialdemokratie, im Dezember desselben Jahres hatte die Partei bereits rund 100 Mitglieder. Hauptträger der Speyrer Sozialdemokratie waren Schuhmacher, Schneider und Zigarrenarbeiter.479 1878 wurden vier Arbeiterorganisationen mit mindestens 128 Mitgliedern aufgelöst.480 Das „Schmerzenskind“481 der vorderpfälzischen Sozialdemokratie war der Kanton Grünstadt. In Grünstadt selbst scheiterten alle Versuche, eine Versammlung abzuhalten, daran, dass sich kein Wirt bereit erklärte, einen Saal zur Verfügung zu stellen.482 Eine Versammlung in Laumersheim wurde von Liberalen gesprengt.483 Ansonsten schafften es die Sozialdemokraten in ihrer Expansionsphase vor dem Sozialistengesetz, in den meisten größeren Orten mindestens eine größere Versammlung abzuhalten. Ob sich daraus auch sofort eine 473 Vgl. Verzeichnis der sozialdemokratischen p. Vereine, in: BayHStA, Minn 66312. Vgl. Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren, Bezirksamt Speyer, in: BayHStA, Minn 66312. 475 Vgl. Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren, Bezirksamt Frankenthal, in: BayHStA, Minn 66312. 476 Vgl. Queva, S. 46. 477 Zu nennen wäre an dieser Stelle der Stadteinnehmer Paulus, der eine konservativ-sozialdemokratische Linie vertrat und mit verschiedenen Vorträgen noch vor der Gründung eines Ortsvereins dem ADAV den Boden bereitete, vgl. Alschner, S. 12 478 Bei Alschner werden, wahrscheinlich aufgrund eines Druckfehlers, die Daten 27. Mai und 27. Juni 1872 genannt. Aus dem Wochenbericht vom 1. Juli 1872 ergibt sich die Datierung auf den 27. Juni 1872, vgl. Wochenbericht vom 1.7.1872, in: BayHStA, Minn 30981/20. 479 Vgl. Alschner, S. 11-13. 480 Vgl. Verzeichnis der sozialdemokratischen Vereine, in: BayHStA, Minn 66312. 481 Siehe Queva, S. 47. 482 Vgl. Queva, S. 47/48. 483 Vgl. Queva, S. 49. 474 84 Anhängerschaft formierte, hing im Einzelnen von den lokal unterschiedlichen Voraussetzungen ab. In protestantischen Gebieten tat sich die Arbeiterpartei meist leichter, auch wenn Liberale hier wie beispielsweise in Grünstadt oft den Sozialdemokraten entgegenarbeiteten. Jedoch lässt zumindest das Einsickern des Liberalismus selbst auf eine größere Offenheit gegenüber neuen politischen Ideen schließen. Noch effektiver wurde die sozialdemokratische Ausbreitung in den katholischen Gebieten verhindert. Eine eingehendere Untersuchung der politischen Landschaft in der pfälzischen Kleinstadt im Kaiserreich liegt für Schifferstadt vor. Dort dominierte bei Reichstagswahlen noch lange die Zentrumspartei, auch wenn bei Kommunalwahlen der Interessenkonflikt zwischen katholischen Honoratioren und Arbeitern deutlich wurde. Es kam auf Gemeindeebene zur Formierung einer christlichen Arbeiterpartei, die nach der Jahrhundertwende ein Wahlbündnis mit der SPD einging. Die Anhängerschaft der frühen Sozialdemokratie beschränkte sich im Schifferstadt der 1870er Jahre weitestgehend auf Bahnarbeiter oder pendelnde Fabrikarbeiter, ansonsten blieb die katholische Mehrheit des Ortes bei den katholischen Parteien. Bei der Reichstagswahl 1878 wählten immerhin 24 Schifferstädter die sozialdemokratische Arbeiterpartei.484 cc) Ausblick Geradezu archetypisch verkörpert die Stadt Ludwigshafen den Boden, auf dem die Sozialdemokratie im ausgehenden 19. Jahrhundert wachsen und gedeihen konnte. Die Stadt hatte die höchsten Zuwanderungsraten in der Pfalz, und da die traditionellen Strukturen nicht in entsprechendem Maße mitwuchsen, entstand ein kulturelles Vakuum, in das die Sozialdemokratie hineinstoßen konnte. Im Lauf der 1880er Jahre schafften es die Sozialdemokraten, ihre Wählerbasis auch auf die Chemiearbeiter auszuweiten, wobei diese bis 1890 bei der Gewerkschafts- und Parteiorganisation kaum eine Rolle spielten.485 Ungeachtet der Repressionen durch das Sozialistengesetz waren sowohl die sozialistische Arbeiterpartei als auch die Gewerkschaftsbewegung auf dem Vormarsch. Noch unter dem Sozialistengesetz schaffte es mit Franz Josef Ehrhart 1889 der erste Sozialdemokrat in den Ludwigshafener Stadtrat.486 Ludwigshafen wurde in der Folgezeit das Zentrum der pfälzischen SPD und ist es bis heute geblieben. Die dominante Stellung des Ortsvereins im 19. Jahrhundert zeigt sich ganz deutlich an den Mitgliederzahlen. Im Jahr 1900 kam mehr als ein Viertel aller Pfälzer Sozialdemokraten aus Ludwigshafen.487 484 Vgl. Nestler, Schifferstadt, S. 186-189. Vgl. Breunig, S. 220. 486 Vgl. Breunig, S. 681/682. 487 Für das Jahr 1900 sind in der gesamten Pfalz 1.919 Sozialdemokraten verzeichnet, davon 515 aus Ludwigshafen, die ebenfalls sehr starken Ortsvereine Friesenheim (120 Mitglieder) und Mundenheim (98 Mitglieder) nicht miteinbegriffen, vgl. Breunig, S. 789. 485 85 Abb. 9 5Im Wahlkreis 1 wurde die SPD langsam aber sicher zur stärksten politischen Partei In Frankenthal wirkte das Sozialistengesetz etwas länger nach, dennoch war die Sozialdemokratie in der Stadt schon fest verankert. Schon 1885 kam es zu erneuten Arbeitskämpfen und gewerkschaftlicher Organisation, hier spielten fortan die Arbeiter der Maschinenindustrie gegenüber den Handwerkern zunehmend eine wichtige Rolle.488 Die Partei wurde auch hier bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von der Handwerker- zur Arbeiterpartei. Frankenthal darf als Hochburg der Arbeiterpartei gelten. Auch wenn die Stadt industriell nicht sonderlich weit entwickelt war und die konfessionelle Prägung mit hohem Katholikenanteil nicht unbedingt für eine sprunghafte Ausbreitung der frühen Sozialdemokratie spricht, ist Speyer von Anfang an als Hochburg der sozialdemokratischen Bewegung zu betrachten. Hier zeigt sich einerseits, dass insbesondere die Verkehrsanbindung und entsprechend häufigere Verfügbarkeit von guten Rednern ein wichtiger Faktor für die Genese der Sozialdemokratie war, andererseits, dass die Bewegung zunächst vor allem unter den Handwerkern Fuß fasste. Schon 1881 hatte die Partei in Speyer einen Stimmenanteil von 29,7 Prozent. In der Folgezeit blieb die Sozialdemokratie ein Faktor im politischen Leben der Stadt. 1898 erreichte sie erstmals die meisten Stimmen bei einer Reichstagswahl.489 Für die ländlichen Räume des ersten Wahlkreises muss zunächst eine Unterscheidung zwischen dem protestantischen Norden und dem katholischen Süden getroffen werden. In den 488 489 Vgl. Ebenau/Kufler, S. 18-20. Vgl. Fenske, Speyer, S. 234. 86 katholischen Gebieten wuchs in der Zentrumspartei eine starke Konkurrenz zur Sozialdemokratie, die gerade wegen ihrer Offenheit zur Auseinandersetzung mit der Sozialen Frage in den klassisch-sozialistischen Wählerschichten wuchern konnte. Auf Gemeindeebene etablierten sich eine christliche Arbeiterpartei, die jedoch noch vor der Zentrumspartei Bündnisse mit der SPD einging.490 Etwas anders waren die Gegebenheiten in den protestantischen Gebieten, wo sich die vorherrschenden nationalliberalen Honoratioren gegenüber jeglichen sozialen Politikansätzen versperrten. Hier konnte die SPD erst später, dann aber umso stärker an Einfluss gewinnen. Insgesamt war der erste Wahlkreis von Anfang an das Zentrum der pfälzischen SPD mit der höchsten Organisationsdichte. 1912 waren 6.285 der insgesamt 11.913 Mitglieder von sozialdemokratischen Organisationen hier angesiedelt.491 b) Wahlkreis 2: Landau-Neustadt aa) Empirischer Rahmen aaa) Bevölkerungsentwicklung Neustadt wies in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur eine mittelmäßige inustrielle Entwicklung auf. Aufgrund der zentralen Lage als Verkehrsknotenpunkt blieb es daneben ein wichtiger Handelsstützpunkt. Die Stadt konnte ihre Einwohnerzahl von 1855 bis 1907 von 7.138 auf 18.576 annähernd verdreifachen. Währenddessen stagnierten die umliegenden Landgemeinden, wo sich die Einwohnerzahl im selben Zeitraum nur um 17,8 Prozent erhöhte.492 Lambrecht wuchs deutlich weniger stark als Neustadt. Insgesamt hatte der Ort mit seinen 2.137 Einwohnern im Jahr 1855, die sich bis 1905 auf 3.700 erhöhten,493 keine allzu große Bedeutung. Lambrecht darf in dieser Arbeit allerdings nicht ausgeklammert werden, weil sich hier einer der ersten und in der Anfangsphase größten sozialdemokratischen Arbeitervereine der Pfalz gründete. Das 19. Jahrhundert bescherte der Stadt Landau einen drastischen Bedeutungsverlust. 1817 war Landau hinter Zweibrücken noch die zweitgrößte Stadt im bayerischen Rheinkreis gewesen. Wegen der fehlenden industriellen Entwicklung blieb Landau im Vergleich zu den pulsierenden Industrieorten eine Kleinstadt.494 Für das Bezirksamt Landau ist in der industriellen Expansionsphase zwischen 1867 und 1871 ein leichter Bevölkerungsrückgang verzeichnet, der besonders in der Stadt drastisch ausfiel. Die Einwohnerzahl hatte sich 1867 gegenüber 1855 nur geringfügig (0,2 Prozent) erhöht, binnen vier Jahren verlor die Stadt 490 Vgl. Nestler, Schifferstadt, S. 188. Vgl. Breunig, S. 791. Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 37. 493 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 49. 494 Vgl. Ziegler: Landau, S. 203. 491 492 87 dann 37,4 Prozent ihrer Einwohner.495 Die Gründe sind wahrscheinlich in der Abwanderung der Arbeitsbevölkerung in die expandierenden Industrieorte im Umland zu suchen. Von den umliegenden Bezirken nahm Neustadt, gegenüber den anderen angrenzenden Bezirken industriell am weitesten entwickelt, zwischen 1855 und 1905 die meisten Abwanderer aus Landau und Umgebung auf. Der Weggang von Arbeitskräften in die industriell noch stärker wachsenden Bezirke dürfte allerdings deutlich höher gelegen haben. Da der Bezirk Landau nicht an die Industriezentren Kaiserslautern und Ludwigshafen grenzte, sind hier keine genauen Zahlen verfügbar.496 Auch an Dürkheim ging die industrielle Entwicklung zunächst fast vorbei. Zwischen 1855 und 1905 erhöhte sich hier die Einwohnerzahl geringfügig von 5.552 auf 6.362.497 Nur wenig stärker fiel das Bevölkerungswachstum in Haßloch aus, im selben Zeitraum stieg es von 5.078 auf 7.115.498 Der frühe Anschluss ans Eisenbahnnetz (1847) könnte hierfür ein wichtiger Faktor gewesen sein. Für das Wachstum im Amtsbezirk Neustadt war hauptsächlich die Stadt selbst verantwortlich, während die Einwohnerzahl der umliegenden Orte weitestgehend stagnierte.499 Abb. 10 6Die Bevölkerungsentwicklung des Wahlkreis 2 verhielt sich eher moderat. 495 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 33. Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 216. Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 41. 498 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 49. 499 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 49. 496 497 88 bbb) Wirtschaftliche Entwicklung/Sozialstruktur Der wichtigste Wirtschaftsfaktor am Haardtrand waren Weinanbau und -handel, letzterer prosperierte besonders in Deidesheim, nur wenige Kilometer nördlich von Neustadt gelegen.500 Aber auch Neustadt selbst blieb gerade wegen der exzellenten Eisenbahnanbindung ein wichtiger Handelsplatz. Neustadt war schon ab 1847 an die Ludwigsbahn angeschlossen, 1855 folgte eine Bahnlinie nach Landau im Sürden und 1865 der Anschluss nach Monsheim im Norden.501 In einer Statistik über die Menge an transportierten Gütern auf der Schiene von 1876 lag die Stadt pfalzweit an vierter Stelle.502 Für eine Stadt ohne Industrie ist dieser Umsatz beachtlich. Auch in der Berufsstatistik taucht der Handel neben dem Bereich Bekleidung und Reinigung als der wichtigste Wirtschaftszweig in Neustadt auf. Dennoch beherbergte die Stadt auch eine nicht geringe Masse an Industriearbeitern.503 Das wichtigste industrielle Unternehmen der Stadt war die Papierfabrik der Familie Knöckel, die ab 1858 mit einer Dampfmaschine arbeitete.504 Das bei Neustadt gelegene Lambrechter Tal gehörte in den 1850er Jahren zu den ärmsten Gegenden in der Pfalz.505 Wichtigster Arbeitgeber war die Textilindustrie. Es ist bereits angeklungen, dass in dieser Branche besonders schlechte Arbeitsbedingungen vorherrschten. Die Arbeitszeit lag hier 1872 noch bei 14 Stunden an sechs Tagen in der Woche.506 Von Papier- und Textilindustrie abgesehen verlief die industrielle Entwicklung eher schleppend, nur in den der Land- und Forstwirtschaft nahen Bereichen kam es in den 1860er und 1870er Jahren zu einer Entfaltung. Auch das relativ starke Druckereigewerbe in Neustadt ist zu erwähnen. Die durch industrielle Konkurrenz überkommenen Handwerkszweige der Gerber, Schmiede, Töpfer, Uhrmacher und Seifensieder verloren stark an Bedeutung. Die Investitionsgüterindustrie, vor allem Eisen- und Metallverarbeitung, spielten in Neustadt erst ab den 1880er Jahren eine Rolle. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, fällt vor allem der gleichbleibend große Anteil des Handels ins Auge. 1910 war noch mehr als ein Fünftel aller Neustädter Erwerbstätigen in diesem Zweig beschäftigt.507 Landau darf nach den Ergebnissen der Berufszählung von 1882 mit einem Anteil von 22 Prozent der Bevölkerung in eher bürgerlichen Berufen und nur 37 Prozent in der Industrie Beschäftigten (dies ist der niedrigste Anteil von Industriearbeitern von allen der elf größten 500 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 130. Vgl. Zapp, S. 523. Die Zahlen im Einzelnen: 1. Ludwigshafen mit 7.580.000 Zentnern 2. Kaiserslautern mit 2.540.000 Zentnern 3. St. Ingbert mit 1.600.000 Zentnern 4. Neustadt mit 1.380.000 Zentnern 5. Landau mit 1.000.000 Zentnern, vgl. Schlegel/Zink, S. 187. 503 Vgl. Berufsstatistik. 504 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 139. 505 Vgl. Stamer, S. 312 506 Vgl. Wunder, Neustadt, S. 25. 507 Vgl. Zapp, S. 523-525. 501 502 89 Städte der Pfalz) als die bürgerlichste Stadt der Region in dieser Zeit gelten.508 Dominanter Wirtschaftszweig war auch hier der Handel. In der Berufsstatistik von 1882 weist Dürkheim hinter Landau den geringsten Teil an Industriebeschäftigten auf.509 Hier blieb der Wein das wichtigste Wirtschaftsgut. Insgesamt behielten die ländlichen Gemeinden im zweiten Wahlkreis ihren agrarischen Charakter, besonders der Weinbau am Haardtrand blieb wichtig, westlich davon spielte die Forstwirtschaft eine zentrale Rolle. Elmstein zum Beispiel war größtenteils eine Holzarbeitersiedlung.510 ccc) Konfessionsstruktur In seiner Konfessionsstruktur war der Wahlkreis ausgeglichen mit leichtem protestantischen Übergewicht. Lediglich das Bezirksamt Landau weist eine katholische Mehrheit auf. In Dürkheim und Neustadt dominierte die protestantische Konfession, in Landau die katholische nur leicht.511 Abb. 11 Wirtschaftsstruktur der größeren Städte und Konfessionsstruktur im Wahlkreis 2 508 Vgl. Berufsstatistik. Nur die Zahlen für Pirmasens sind noch niedriger, was allerdings darin begründet liegt, dass sich die Schuhindustrie in Pirmasens noch in der Übergangsphase zur industriellen Produktionsweise befand, die entsprechenden Berufsbilder in der Statistik in den handwerklichen Bereich eingeordnet wurden. Vgl. Berufsstatistik. 510 Vgl. Queva, S. 37. 511 Vgl. Statistik Bayerns, Gemeindeverzeichnis, S. 77, S. 90-93. 509 90 bb) Deskriptiver Teil aaa) Anknüpfungspunkte zur Sozialdemokratie Neustadt beheimatete die Speerspitze der revolutionären Bewegung in der Pfalz. Von hier aus gründete sich bereits im März 1848 der erste Volksverein, der den Anstoß zur Gründung des Dachvereins in Kaiserslautern gab. Die Tradition des Hambacher Festes war in Neustadt lebendig und verkörperte sich im Vorsitzenden Philipp Hepp, dem „erprobten Kämpfer für wahre Freiheit“.512 Daneben entstand im Mai ein umtriebiger demokratischer Verein, der maßgeblich an der Gründung des ersten pfälzischen Arbeitervereins beteiligt war. Die beiden radikalen Zusammenschlüsse blieben das ganze Jahr 1848 hindurch im Windschatten des Volksvereins. Erst im Januar 1849 spaltete sich der radikale Flügel ab, nachdem der Volksverein die Nationalversammlung trotz deren Entscheidung für ein erbliches Kaisertum weiter unterstützte.513 Der hohe Organisationsgrad der Arbeiter in Neustadt hatte auch eine vorrevolutionäre Geschichte. Schon im November 1846 hatte sich in dem Städtchen an der Haardt ein Unterstützungsverein der Bauhandwerker gegründet.514 Der Arbeiterverein war mit 598 Mitgliedern, in etwa acht Prozent der Neustädter Bevölkerung,515 der größte Neustädter Verein und verfolgte unter Führung des Uhrmachers Josef Valentin Weber einen republikanisch-kommunistischen Kurs.516 Die Stadt war also nicht nur ein Zentrum der liberalen Revolution, sie war auch unbestritten die Hochburg des linken Flügels der Bewegung. Am 28. Februar 1849 wurde Neustadt zum Vorort der Arbeiterverbrüderung für die Pfalz bestimmt.517 Regierungspräsident Hohe (1850-1853) stellte fest, die Bevölkerung bestehe nur aus Republikanern und Anarchisten, die Stadt sei „reich an schreisüchtigen, prahlerischen, aber charakterlosen Originalen“.518 Erich Schneider vermutet, dass die sozialen Missstände um Neustadt herum, vor allem der in Lambrecht angesiedelten Weber, dafür verantwortlich waren, dass sich gerade hier die radikale Partei ausbreitete.519 Wirtschaftlich war die Stadt allerdings sehr gut durch die Krise der 1840er Jahre gekommen. Die zentrale Verkehrslage machte Neustadt zum Knotenpunkt sowohl für den Wein- als auch für den Holzhandel. Daneben hatte sich ein solides mittelständisches Gewerbe etabliert.520 Bernd Schwarzwälder vertritt sogar die Gegenposition und führt starke Position der egalitären Arbeiterbewegung gerade auf die geringen sozialen Unterschiede zurück.521 512 Neue Speyrer Zeitung Nr. 59 v. 14.3.1848, zitiert nach Ruppert, S. 76. Vgl. Ruppert, S. 76/77. 514 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 26. 515 Vgl. Schwarzwälder, S. 390. 516 Vgl. Ruppert, S. 217. 517 Vgl. Wunder: Arbeiterverein, S. 59. 518 Zitiert nach Wunder, Arbeiterverein 1848/49, S. 58. 519 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 2. 520 Vgl. Ruppert, S. 76. 521 Vgl. Schwarzwälder, S. 382/383. 513 91 Im Mai 1849 entstand in Landau neben dem demokratischen Verein auch ein Arbeiterverein.522 In Anbetracht der Tatsache, dass die Unterschicht in der Stadt recht klein war, ist allein diese Tatsache schon beachtlich. Vor allem wirtschaftlich schwache Handwerker bildeten den ärmsten Rand der Landauer Gesellschaft. 1847 wurden immerhin 247 Arbeitslose gezählt. Der Arbeiterverein verfolgte ein demokratisch-sozialistisches Programm und hatte mindestens 60, wahrscheinlich sogar 155 Mitglieder. Obwohl die Reaktion allein schon wegen der dort stationierten Garnison einen guten Zugriff auf Landau hatte, war die revolutionäre Bewegung dort insgesamt sehr stark.523 Eigentlich waren dies sehr gute Voraussetzungen, dass tradierte sozialrevolutionäre Elemente bis in die 1870er Jahre hätten überleben können. bbb) Lokale Organisation der Sozialdemokratie Über den gescheiterten Versuch 1864 eine Zweigstelle des ADAV in Neustadt zu gründen, ist an anderer Stelle bereits berichtet worden. Der Verein Webers wurde weniger als ein Monat nach Gründung durch polizeilichen Druck wieder aufgelöst. 1867 kam es zur Gründung eines wahrscheinlich liberalen Arbeiterbildungsvereins. 524 Erste Agitationsansätze von Seiten der Eisenacher Richtung der Sozialdemokratie folgten im Februar 1872, die erste Kandidatur eines Mitglieds im liberalen Arbeitervereins für ein öffentliches Amt ist für 1873 überliefert. Im Mai desselben Jahres veranstalteten Eisenacher und Lassalleaner zusammen eine Zusammenkunft in Neustadt, die im Streit endete. 525 Schon 1872 wurde vom Wachenheimer Schreinergesellen Anton Grabler der Versuch unternommen, eine lassalleanische Ortsgruppe in Neustadt zu gründen.526 Über den Erfolg dieses Unterfangens ist weiter nichts bekannt. Mit Schumachern und Tischlern waren es Handwerker, die 1874 und 1875 die ersten Gewerkschaften in Neustadt gründeten.527 Die ersten öffentlichen sozialdemokratischen Versammlungen Ende Januar 1875, wahrscheinlich mit Hilfe der Genossen aus Kaiserslautern organisiert, zogen 40 beziehungsweise 92 Personen an. Am 14. Februar 1875 wurde schließlich die erste Eisenacher Ortsgruppe gegründet. Obwohl die Arbeiterbewegung in Neustadt schon 1848/49 alle gesellschaftlichen Schichten umfasst hatte, gehörten dieser Gründung ausschließlich Menschen aus der Unterschicht an. Im Lauf des Jahres 1875 flaute die Aktivität der Ortsgruppe allerdings langsam ab. So erschienen zu einer Sitzung im Mai lediglich zwei Mitglieder.528 Dennoch 522 Vgl. Bräunche, Landau, S. 59. Vgl. Ziegler, Landau, S. 206-216. 524 Das Gründungsdatum dieses Vereins war der 19. September 1864, bereits am 9. Oktober 1864 wurde der Verein wieder aufgelöst, vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 28. 525 Vgl. Wunder, Neustadt, S. 21. 526 Vgl. Theisohn, S. 25. 527 Vgl. Wunder, Neustadt, S. 21. 528 Vgl. Wunder, Neustadt, S. 22-31. 523 92 geht aus der Delegiertenliste des Vereinigungskongresses in Gotha 1875 hervor, dass der Verein immer noch 27 Mitglieder hatte.529 Aufgrund der zentralen Lage war Neustadt immer wieder Schauplatz von Zusammenkünften der gesamtpfälzischen Sozialdemokratie, wovon auch Impulse auf die örtliche Organisation ausgingen.530 Dennoch blieb diese bis 1878 eher schwach und verlor sogar Mitglieder. Inwiefern Repressionsmaßnahmen durch Arbeitgeber hier eine Rolle gespielt haben, ist nicht überliefert. Kurz vor der Auflösung wegen der Umsetzung des Sozialistengesetzes 1878 hatte der Ortsverein gerade einmal noch zwei Mitglieder.531 Die mit Abstand am stärksten in der Neustädter Sozialdemokratie vertretene Berufsgruppe war die der Schuhmacher, gefolgt von jener der Schreiner, Zigarrenarbeiter und Schneider.532 Die 1878 aufgelösten sozialdemokratischen Gewerkschaften hatten zu diesem Zeitpunkt insgesamt 23 Mitglieder.533 Auch in Deidesheim muss es einige Sympathisanten der Sozialdemokratie gegeben haben, eine Versammlung kam allerdings nicht zustande, da die meisten Gastwirte ökonomisch abhängig vom reichen Weinhändler Buhl waren und deshalb ihre Räume nicht zur Verfügung stellten.534 Bereits 1864 wurde in Lambrecht eine Konsumgenossenschaft gegründet, die sich allerdings nur wenige Monate halten konnte. Ein alle gesellschaftliche Schichten einschließender Arbeiterbildungsverein wurde schließlich im Herbst 1871 gegründet. Als dieser begann, sich zu politisieren, kam es vermehrt zu Austritten. Ende des Jahres folgte die Umbenennung in Konsum- und Arbeiterbildungsverein. Laut Werner Dietrich bezog der Verein regelmäßig den Vorwärts,535 was in Anbetracht der Tatsache, dass diese Parteizeitung erst ab Oktober 1876536 erschien, nicht möglich ist. Wahrscheinlich handelte es sich dabei entweder um den Eisenacher Volksstaat, angesichts der späteren ADAV-Gründung in Lambrecht aber eher um die lassalleanische Zeitschrift Der neue Socialdemokrat. Infolge des Weberstreiks gründete sich im Mai 1872 eine lassalleanische Ortsgruppe, die mit 150 Mitgliedern für einige Jahre die größte der Pfalz bleiben sollte.537 Unklar bleibt das Verhältnis zwischen lassalleanischer Ortsgruppe und Arbeiterbildungsverein. Dietrich berichtet, dass im Juni 1872 die 300 Mitglieder des Lambrechter Arbeiterbildungsvereins in die ADAV-Gruppe eintraten. Für einen Monat später weist der Autor allerdings den bereits 529 Vgl. Fricke, S. 141. Vgl. Wunder, Neustadt, S. 32. Vgl. Wunder, Neustadt, S. 36, vgl. auch Verzeichnis der sozialdemokratischen Vereine, Minn 66312. 532 Vgl. Theisohn, S. 26. 533 Vgl. Verzeichnis der sozialdemokratischen Vereine, in: BayHStA, Minn 66312. 534 Vgl. Queva, S. 35. 535 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 30. 536 Vgl. Fricke, S. 518. 537 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 24. 530 531 93 genannten Mitgliederstand von 150 aus. 1874 wurde in Lambrecht schließlich auch eine Krankenkasse gegründet. 538 Auch im nahegelegenen Elmstein muss es unter den Holzarbeitern Anhänger der Sozialdemokratie gegeben haben. Zumindest fand dort mindestens eine sehr erfolgreiche Versammlung statt.539 In Lambrecht ging das Engagement der Sozialdemokratie bis 1878 zurück. Möglicherweise waren die meisten Weber zu sehr mit der nackten Lebenserhaltung beschäftigt, um sich auch noch politisch zu engagieren. Das Verzeichnis sozial-demokratischer Agitatoren von 1878 bezeichnet fünf Parteimitglieder als den harten Kern der Lambrechter Sozialdemokratie. Vier arme Tuchmacher und ein leicht vermögender Mechaniker leisteten hauptsächlich organisatorische Arbeit, traten aber kaum als Redner in Erscheinung. Zwei dieser fünf Sozialdemokraten stammten nicht aus Lambrecht, sondern waren aus Preußen zugewandert.540 In Anbetracht der Wirtschaftsstruktur Landaus ist es kaum verwunderlich, dass die Sozialdemokratie hier gerade in der Frühzeit kaum Fuß fassen konnte. Ernst Otto Bräunche vertritt sogar den Standpunkt, dass aus soziologischen Gründen die Voraussetzungen für die Sozialdemokratie in Landau so schlecht waren wie in „keiner anderen pfälzischen Stadt“.541Im Hinblick auf abgelegenere Landstädte wie Kusel oder Homburg mag dieser Eindruck ein wenig überzogen wirken. Dennoch ist es richtig, dass in Landau, wo die Wirtschaft zunächst auf dem Handel, daneben auf der starken Garnison aufbaute, kaum ein Boden für die Partei vorhanden war. Die Größe von Handwerk und Industrie, den Branchen, in denen sich die frühe Sozialdemokratie regelmäßig am ehesten festsetzen konnte, war in Landau sehr gering.542 1857 entstand ein Arbeiterunterstützungsverein, der neben Hilfe für Kranke und Bedürftige auch gesellige Unterhaltung förderte. 1858 hatte dieser Verein bereits 276 Mitglieder. Der unpolitische Charakter dieser Organisation wurde satzungsmäßig festgelegt, ab 1861 mussten gar alle vorgesehenen Vorträge vorab dem Vorstand vorgelegt werden, um möglichen Gesetzesverstößen vorzubeugen. 1865 erfolgte der Zusammenschluss mit dem örtlichen Männer- und Frauen-Hilfsverein.543 Im Januar 1871 schließlich wurde ein Arbeiterbildungsverein gegründet, aus dem sich wahrscheinlich keine sozialistischen Gruppen entwickeln konnten. Dennoch muss es auch in den 1870er Jahren in Landau Sozialdemokraten gegeben haben, was sich aus dem gescheiterten Versuch vom April 1873 erschließt, eine Versammlung im Englischen Garten 538 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 30/31. Vgl. Queva, S. 37. 540 Vgl. Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren im Königreich Bayern, in: BayHStA, Minn 66312. 541 Siehe Bräunche, Landau, S. 59. 542 Vgl. Bräunche, Landau, S. 59. 543 Vgl. Bräunche, Landau, S. 59. 539 94 Landau abzuhalten, bei der Franz Josef Ehrhart sprechen sollte. Da die Veranstaltung nicht angemeldet war, wurde sie von den Behörden untersagt. Viel Zuspruch hatte der Agitator allerdings zumindest laut Zeitungsberichten nicht, als er zwei Jahre später am 24. April 1876 in der Brauerei Zum Hirsch auftrat. Im Dezember desselben Jahres schließlich hielt dagegen August Dreesbach eine Rede vor immerhin 150 bis 180 Zuhörern. Dennoch kamen die Sozialdemokraten bei der Reichstagswahl vom 10. Januar 1877 in Landau gerade mal auf 13 Stimmen.544 Das gesellschaftliche Klima in Landau war der Sozialdemokratie nicht zuträglich. Wer sich dabei erwischen ließ, die Partei zu unterstützen, hatte schwere Folgen zu tragen. Dies traf beispielsweise den Wirt der Gaststätte Zum Trifels, deren Besuch den Soldaten der Landauer Garnison verboten wurde, nachdem dort Anfang August 1878 ein Gast Soldaten sozialdemokratische Zeitungen angeboten hatte.545 Der Arbeiterbildungsverein beschloss in einer außerordentlichen Generalversammlung am 9. Dezember 1878, fortan Vereinsmitglieder auszuschließen, die sich für die Sozialdemokratie einsetzten. Die Sozialdemokraten Landaus organisierten sich fortan unter dem Decknamen eines Schneidervereins. Diese kleine Minderheit erhielt trotz ständiger Überwachung und staatlicher Kontrollen ihre Tätigkeit aufrecht.546 Dennoch hatten es die Sozialdemokraten in Landau schwer, noch 1890 scheiterte die Parteigründung an der Unmöglichkeit, ein Lokal für Versammlungen zu finden.547 Über die frühe Parteiarbeit in Dürkheim und Umland ist wenig bekannt, zur Parteigründung kam es dort erst 1898.548 Das behördliche Agitatorenverzeichnis von 1878 überliefert lediglich zwei Personen. Oskar Scheiter stammte aus Sachsen und arbeitete in Dürkheim als Schmiedegeselle. Bei politischen Versammlungen griff er in Diskussionen ein und wurde für Flugblattaktionen verantwortlich gemacht. Ernst Bohlig lebte im nahe gelegenen Freimersheim bei seiner Mutter, als Herkunftsort ist bei ihm New York angegeben. Möglicherweise handelte es sich bei ihm also um einen heimkehrenden 48er-Veteranen. Bohlig war gelernter Pharmazeut, allerdings nach Behördenangaben „heruntergekommen“ und fiel finanziell seiner „in Freimersheim lebenden Mutter zur Last.“549 Wahrscheinlich handelte es sich bei beiden eher um Außenseiter in der dörflich-kleinstädtischen Gesellschaft von Dürkheim beziehungsweise Freimersheim. Zumindest die weit entfernten Herkunftsorte und ärmlichen Verhältnisse, in denen beide lebten, lassen darauf schließen.550 544 Vgl. Bräunche, Landau, S. 60. Vgl. Bräunche, Landau, S. 61. 546 Vgl. Bräunche, Landau, S. 61. 547 Vgl. Weber, S. 134. 548 Vgl. Geis, Manfred: 80 Jahre SPD Bad Dürkheim (1898-1978), in: 1898-1978. 80 Jahre SPD Bad Dürkheim, o. O., o. J. (1978), S. 13-31, hier S. 14. 549 Siehe Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren im Königreich Bayern, in: BayHStA, Minn 66312. 550 Vgl. Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren im Königreich Bayern, in: BayHStA, Minn 66312. 545 95 Außerdem muss es in Dürkheim zwischen 1875 und 1877 zu einer größeren Veranstaltung mit Dreesbach als Hauptredner gekommen sein. Queva berichtet, dass sich im Anschluss viele Zuhörer auf die sozialdemokratische Parteiliste eingetragen hätten.551 Aus den Akten des Innenministeriums findet sich allerdings kein Nachweis einer so frühen sozialdemokratischen Vereinsgründung in Dürkheim. Auch in Haßloch entfalteten die Sozialdemokraten eine rege Agitationstätigkeit. Ein Bericht aus der Stadt vermerkt, „daß die Social-Demokraten in hiesiger Gemeinde nicht nur günstigen Boden gefunden haben, sondern denselben auch mit großem Geschick auszunützen verstehen“.552 Allerdings wurde die Bewegung vor Ort nur von zwei Personen getragen, einem Schuhmacher- und einem Schneidergesellen. Beide waren im März 1874 nach Haßloch gekommen und stammten nicht aus der Pfalz. Dennoch fand ihre Tätigkeit Zuspruch in der Haßlocher Bevölkerung: Zu den drei größeren sozialdemokratischen Versammlungen zwischen September 1876 und September 1877 kamen im Schnitt 150 Besucher.553 ccc) Ausblick Die Bedeutung Neustadts für die Sozialdemokratie der Pfalz ist vorwiegend in der absoluten Frühgeschichte der Bewegung zu sehen. Die SPD war zwar ab 1904 mit steigender Mandatszahl ständig im Stadtrat vertreten, konnte aber bis 1914 die nationalliberale Vorherrschaft nicht brechen. Auch bei Reichstagswahlen unterlag die SPD regelmäßig, mit einer Ausnahme 1909, wobei dies vor allem am umstrittenen liberalen Kandidaten gelegen haben muss.554 Nach Fallen des Sozialistengesetzes 1890 wurde die SPD wirklich zur Partei der Industriearbeiter. Allerdings war die Industrie in Neustadt vergleichsweise klein, besonders der Handel blieb ein wichtiger Posten in der Erwerbsstruktur der Stadt. Entsprechend dominierte eher ein linksliberales kleinbürgerliches Milieu in der Stadt. Noch stärker zeigt sich die Abhängigkeit der Sozialdemokratie von der Industrie am Beispiel von Landau. Hier waren sowohl die industrielle Entwicklung als auch tradierte linke Protestelemente noch schwächer vorhanden, entsprechend konnte die SPD nie eine breite Anhängerschaft und politische Macht gewinnen. Im protestantischen Norden des ländlichen Neustadter Wahlkreises tat sich die SPD noch lange schwer. Im Gegensatz zum Wahlkreis 1 fehlte hier die Ausstrahlungswirkung einer starken sozialdemokratischen Großstadtgemeinde. In Dürkheim schaffte es die Sozialde- 551 Vgl. Queva, S. 37/38. Zitiert nach Theisohn, S. 19. 553 Vgl. Theisohn, S. 25. 554 Vgl. Wunder, Neustadt, S. 39-46. 552 96 mokratie 1909 beim ersten Versuch auf Anhieb in den Stadtrat, war dort allerdings noch lange auf die Oppositionsrolle beschränkt.555 Bis zum Ersten Weltkrieg wurde die Sozialdemokratie im Hinblick auf den Organisationsgrad selbst im Wahlkreis Neustadt-Landau von den Industriegebieten um Ludwigshafen, Pirmasens und Kaiserslautern abgehängt.556 Es zeigt sich hier deutlich, dass die Sozialdemokratie zwar gerade in ihrer Entstehungszeit vor allem im Handwerk zu Hause war, in ihrer nächsten Expansionsphase nach Fall des Sozialistengesetzes aber immer mehr in der Industriearbeiterschaft eine Massenbasis fand. Insofern gelten die soziologischen Gründe, die Bräunche für die Schwäche der Sozialdemokratie in Landau ausmacht, in schwächerem Maß auch für Neustadt. Wo Industrie vorhanden war, hatte die SPD ihre Basis, wie der Neustädter Industrievorort Lambrecht beweist. Dort wurde 1909 gar der erste sozialdemokratische Bürgermeister Bayerns gewählt.557 Abb. 12 7 Im Wahlkreis 2 blieb die Sozialdemokratie bis zum Ersten Weltkrieg hinter der nationalliberalen Partei zurück. 555 Vgl. Geis, S. 17. Vgl. Breunig, S. 789. Vgl. Klemm, Claudia: Lambrecht wählt 1909 den ersten sozialdemokratischen Bürgermeister in Bayern, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 264-268. 556 557 97 c) Wahlkreis 3: Bergzabern-Germersheim aa) Empirischer Rahmen aaa) Bevölkerungsentwicklung Ähnlich wie in Landau kam es in Germersheim zu keiner Verlagerung der Wirtschaftstätigkeit aus dem agrarischen in den industriellen Bereich. Entsprechend schrumpfte die Stadt wegen mangelnder Arbeitsmöglichkeiten für die Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erheblich. Zwischen 1855 und 1867 wuchs die Stadt Germersheim zwar noch von 8.358 auf 10.181 Einwohner. Bis 1871 ist allerdings ein rapider Abfall auf 6.223 Einwohner verzeichnet. Ab dann blieb die Bevölkerungsentwicklung in Germersheim stabil, erst zwischen 1890 und 1895 fiel die Einwohnerzahl unter 6.000.558 Die südlichen Bezirke Germersheim und Bergzabern verloren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenfalls Einwohner, wenn auch insgesamt in nicht allzu starkem Maße. Hier fand fast keine industrielle Entwicklung statt. Im Amtsbezirk Annweiler wuchs die Bevölkerung immerhin, allerdings auch nur auf schwachem Niveau.559 Abb. 13 8Im Wahlkreis 3 schrumpfte die Bevölkerung im Untersuchungszeitraum. bbb) Wirtschaftliche Entwicklung/Sozialstruktur Germersheim behielt das gesamte 19. Jahrhundert hindurch einen ganz überwiegend agrarischen Charakter. Zwar wurde im Februar 1881 eine Kreditgenossenschaft nach SchulzeDelitz‘schen Grundlagen geschaffen, die damit finanzierten Unternehmungen kamen aber nicht über kleinhandwerkliche Strukturen hinaus. Die bedeutendste Fabrik der Stadt war 558 559 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 42. Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 40/42. 98 eine 1875 gegründete Spiritus- und Presshefefabrik, die bis 1898 gerade einmal die überschaubare Anzahl von 26 Arbeitern beschäftigte. Noch um die Jahrhundertwende war in Germersheim die überwiegende Mehrzahl der Bewohner in der Landwirtschaft beschäftigt, auch die meisten Handwerker und sogar Kaufleute waren neben ihrem Haupterwerb meist noch landwirtschaftlich tätig.560 In den gesamten Bezirken Bergzabern und Germersheim spielte Industriearbeit eine untergeordnete Rolle.561 ccc) Konfessionsstruktur In Germersheim dominierte die katholische Konfession deutlich, wie im gesamten Wahlkreis.562 Abb. 14 9Wirtschaftsstruktur der einzigen größeren Stadt Germersheim und Konfessionsstruktur im Wahlkreis 3 bb) Deskriptiver Teil aaa) Anknüpfungspunkte zur Sozialdemokratie Auch in Germersheim bestand 1849 ein Arbeiterverein, mit wahrscheinlich etwa 100 Mitgliedern.563 Über den Arbeiterverein von Bergzabern sind keine genaueren Informationen verfügbar.564 bbb) Lokale Organisation der Sozialdemokratie In den südlichen katholischen Gebieten um Bergzabern und Germersheim kam es zu keinerlei sozialdemokratischen Ansätzen. Bis zum Ersten Weltkrieg fand im gesamten Bezirk Germersheim nicht eine aktenkundige Maifeier oder Maidemonstration statt. Stattdessen 560 Vgl. Probst, Joseph: Geschichte der Stadt und Festung Germersheim, Nachdruck der 1. Auflage von 1898, Pirmasens 1974, S. 422/423. 561 Vgl. Berufszählung, ohne Städte. 562 Vgl. Statistik Bayerns, Gemeindeverzeichnis, S. 80. 563 Vgl. Ruppert, S. 206 564 Vgl. Ruppert, S. 200. 99 stimmten die wenigen Sozialdemokraten hier im Rahmen des bereits erwähnten Wahlbündnisses für die Zentrumspartei. 565 ccc) Ausblick Der Wahlkreis Germersheim-Bergzabern ist ein deutliches Beispiel für die Schwäche der Sozialdemokratie in katholischen Regionen. Erst zwischen 1909 und 1912 kam es zu einer kleinen Gründungswelle von SPD-Ortsvereinen,566 die Partei blieb in diesem Gebiet aber weiterhin schwach. d) Wahlkreis 4: Pirmasens-Zweibrücken aa) Empirischer Rahmen aaa) Bevölkerungsentwicklung Zu Beginn des Untersuchungszeitraums war Zweibrücken die größte Stadt in der Westpfalz, allerdings fiel hier zwischen 1867 und 1871 die Einwohnerzahl von 9.353 auf 8.395. Pirmasens schrumpfte auch im gleichen Zeitraum von 8.675 auf 8.563 Einwohner weniger stark, was vor allem an der prosperierenden Schuhindustrie lag. Diese sorgte dafür, dass Pirmasens in der Folgezeit Zweibrücken als bevölkerungsreichste Stadt in der Region überholte. Bis 1895 wuchs die Bevölkerung hier auf 24.548. Auch das 1855 5.041 Einwohner zählende St. Ingbert wuchs beständig, bis die Bevölkerungszahl schließlich zwischen 1880 und 1885 die 10.000 überschritt.567 Abb. 15 10Die Dynamik der Pirmasenser Schuhindustrie zeigt sich auch in der Bevölkerungsstatistik. 565 Vgl. Weber, S. 132/133. Vgl. Weber, S. 135. 567 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 44, S. 49 sowie S. 52. 566 100 Im ländlichen Bereich war das kleine Dorf mit unter 1.000 Einwohnern die dominante Siedlungsform in der Westpfalz. Im Wahlkreis Pirmasens-Zweibrücken gab es noch im Jahr 1900 außer den drei Städten Pirmasens, Zweibrücken und St. Ingbert mit über 5.000 Einwohnern noch vier weitere Gemeinden mit über 2.000 Einwohnern. Mit einer Anzahl von 113 bildeten die kleinen Gemeinden von unter 1.000 Einwohnern, aber die überwiegende Mehrzahl, davon hatten 58 über und 55 unter 500 Einwohner.568 bbb) Wirtschaftliche Entwicklung/Sozialstruktur In Zweibrücken existierten verschiedene relativ bedeutende Maschinenbauunternehmen und eine Textilfabrik.569 Ansonsten war das Handwerk in der Stadt stark vertreten. Insgesamt war die Wirtschaftsstruktur Zweibrückens sehr ausgeglichen, alle unterschiedlichen Bereiche lagen hier anteilig im pfalzweiten Vergleich nah am Durchschnitt, nur die forstnahen Erwerbszweige waren leicht überdurchschnittlich vertreten.570 St. Ingbert war Standort einer der bedeutendsten bayerischen Steinkohlegruben. Davon profitierte besonders das nahegelegene Eisenwerk der Familie Kramer. Das Unternehmen, 1859 zur Kommanditgesellschaft auf Aktien mit 3,5 Millionen Gulden Stammkapital umgewandelt, wuchs sprunghaft, konnte sich aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr gegen die preußische Konkurrenz auf dem Eisenmarkt behaupten.571 1882 war mehr als die Hälfte (1.539 von 2.757) der Beschäftigten in St. Ingbert im Bergbau und Hüttenwesen tätig, hinzu kommen 477 in der Industrie der Steine und Erden. Andere Wirtschaftszweige spielten in der kleinen Stadt kaum eine Rolle.572 Ähnlich kleinteilig wie die in viele kleine Gemeinden verstreute Siedlungsstruktur zeigt sich auch die Eigentumsstruktur der Region im ausgehenden 19. Jahrhundert. Der nationalliberale Hüttendirektor Krämer drückte es 1875 gegenüber dem Bezirksamt folgendermaßen aus: „Der weitaus größte Teil der Arbeiter ist entweder hier oder in den benachbarten Orten ansässig, besitzt [ein] Haus und etwas Land, gehört daher den konservativen Elementen zu.“573 Zwar gab ein Bericht des Pfälzischen Gewerbeverein-Verbandes durchaus zu bedenken, dass es in der Region soziale Missstände gäbe, diese hielten sich aber immer noch in einem Ausmaß, dass diese sie durch strenge Handhabe der bestehenden gesetzlichen Regelungen in den Griff zu bekommen seien.574 Statistisch genaue Angaben sind erst nach dem eigentlichen Untersuchungszeitraum verfügbar. Diese mögen an dieser Stelle aber dennoch als Indiz für die vergleichsweise relativ geringe soziale Spaltung in der Westpfalz zumindest zu Beginn des Untersuchungszeit568 Vgl. Bräunche, Parteien, S. 13. Vgl. Kermann, Verkehr, S. 135-137. 570 Vgl. Berufsstatistik. 571 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 133/134. 572 Vgl. Berufsstatistik. 573 Zitiert nach Staudt, Zweibrücken, S. 481. 574 Vgl. Staudt, Zweibrücken, S. 481. 569 101 raums dienen. So lag die Anzahl der von der Armenpflege unterstützten Personen pro 1.000 Einwohner in den Amtsbezirken St. Ingbert, Homburg, Kusel, Pirmasens und Zweibrücken 1911 mit zwölf bis 18 im pfalzweiten Vergleich äußerst niedrig. Von allen anderen pfälzischen Amtsbezirken erreichte nur Rockenhausen eine ähnlich niedrige Armutsrate (17 von 1.000 Einwohnern). Die Stadtbezirke selbst sind in dieser Statistik nicht miteinbegriffen. Hier liegt Zweibrücken mit 29 pro 1.000 Einwohner, die von der Armenhilfe abhängig waren, pfalzweit im unteren Mittelfeld. Pirmasens kam auf 34 Bedürftige pro 1.000 Einwohner.575 Der dynamischste Wirtschaftszweig der Westpfalz in der der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Pirmasenser Schuhindustrie. Eher zufällig hatte die Herstellung zunächst billiger handgestrickter Wollschuhe im Familienverband und Hausierervertrieb im ausgehenden 18. Jahrhundert einige Bedeutung für das Dorf Pirmasens erlangt. Eine Wollmanufaktur zur Rohmaterialversorgung bestand ab 1791, in der französischen Zeit wurden neue Absatzmärkte im Westen erschlossen. Zwischen 1815 und 1833/34 brach das Gewerbe wie fast alle handwerklichen und gewerblichen Wirtschaftszweige in der Pfalz drastisch ein. Erst mit Fallen der Zollschranken im deutschen Zollverein verbesserte die Situation sich merklich. Auch der Straßenbau zwischen Zweibrücken und Landau über Pirmasens erleichterte den Export in die prosperierenden Wirtschaftszentren der preußischen Rheinprovinz. An Stelle der Familienverbände traten in den 1830er Jahren kleine Handwerksbetriebe mit einem Meister und wenigen Gesellen.576 Ab 1857 wurden Maschinen für die Herstellung von Schuhen eingeführt. 1864 zählte die Handwerks- und Gewerbekammer in Pirmasens 13 größere und 63 kleinere Schuhfabriken, in denen rund 1.700 Arbeiter tätig waren. Die Zahl der Nähmaschinen lag zu diesem Zeitpunkt gerade mal bei 66. Der Übergang von der Manufaktur zur Fabrik erfolgte ab den 1870er Jahren. Schon 1872 wurden 212 Nähmaschinen eingesetzt, daneben gab es 46 Sohlenschneidemaschinen, sechs Absatzpressen, zwei Lederwalzen, zehn Sohlenschraubmaschinen, zwei Montierungsmaschinen und 63 andere Hilfsmaschinen.577 Dennoch verfügten noch 1886 nur 25 der 65 Schuhfabriken über Maschinen mit Dampf- oder Gasantrieb. Die Mehrzahl bildeten nach wie vor handwerkliche Kleinbetriebe, deren Arbeitsgerät mit Körperkraft angetrieben wurde.578 Im Zuge der Maschinisierung wurde auch die Heimarbeit in den umliegenden ländlichen Orten ausgeweitet. Für die Pirmasenser Handwerker und Arbeiter bedeutete dies mehr Konkurrenz und folglich höheren Druck auf die Löhne. Auch die Einführung neuer Ma575 Vgl. Statistik Bayerns, Heimatwesen, S. 153. Vgl. Wagner, S. 24-26. Vgl. Seebach, Helmut: Industrialisierung und Soziale Frage. Arbeiterstreiks 1905-1907: Hauenstein, Ramberg, Herxheim, Lambrecht, Annweiler, Annweiler-Queichhambach 2011, S. 13. 578 Vgl. Wagner, S. 27. 576 577 102 schinen löste regelmäßig Aufruhr unter den Arbeitern aus. Dennoch organisierte sich die Pirmasenser Arbeiterschaft in der Frühphase der Industrialisierung noch nicht sozialdemokratisch, was auch an der patriarchalischen Struktur der Kleinunternehmen gelegen haben mag.579 1891 kam es zu einer ersten Krise durch Überproduktion, die vielen Kleinbetrieben mit geringem Eigenkapital und hohem Schuldenstand den Ruin brachte.580 Interessanterweise fällt der Aufbau der Sozialdemokratie in Pirmasens zeitlich mit diesem Konzentrationsprozess in der Schuhindustrie zusammen. Es ist wahrscheinlich, dass die Veränderung im sozialen Gefüge — weg vom handwerklichen Familienbetrieb, hin zur industriellen Fabrikproduktion — das Einsickern sozialistischer Denkstrukturen erleichterte. Der einfache Geselle, der jeden Tag eng mit seinem Meister zusammenarbeitete und dessen eigene wirtschaftliche Nöte aus erster Hand miterlebte, war weniger geneigt, die marxistischen und lassalleanischen Grundthesen der Polarisierung der Gesellschaft durch Ausbeutung im Klassenmaßstab anzunehmen, als der Fabrikarbeiter im Großbetrieb, der räumlich und kulturell meilenweit vom Inhaber der Firma getrennt lebte.581 ccc) Konfessionsstruktur Die Konfessionsstruktur der westlichen Pfalz war im 19. Jahrhundert durchmischt, ursprünglich mit leichtem katholischen Übergewicht. Bemerkenswert ist, dass im Bezirksamt Pirmasens die Konfessionsmehrheit der Katholiken zwischen 1880 und 1885, bedingt durch den Zuzug offenkundig überwiegend protestantischer Arbeitskräfte, wechselte.582 Im Bezirk Zweibrücken hatten die Katholiken ein leichtes Übergewicht.583 Dabei waren beide Städte selbst überwiegend protestantisch.584 Ähnlich verhielt es sich in Pirmasens.585 Schon der Emissär der provisorischen Regierung der Pfalz, Gottfried Kinkel, der 1849 den Westrich bereiste, stellte heraus, dass die katholische Kirche eine strikt antirevolutionäre Haltung förderte. Er schrieb: „In den Walddörfern sind es überall Schullehrer, welche mit Begeisterung der Republik anhangen und die Seele der Volksvereine ausmachen. Im allgemeinen sind die protestantischen Lehrer noch avancierter als die katholischen, weil die letzteren zuweilen Rücksicht auf ihre Geistlichen nehmen. Sehr gewirkt hat die Flucht reactionärer [sic!] kathol. Priester.“586 579 Vgl. Feldmüller, S. 21. Vgl. Wagner, S. 27. 581 Vgl. Feldmüller, S. 21. 582 Vgl. Bräunche, Parteien, S. 15. 583 Vgl. Bräunche, Parteien, S. 16. 584 1911 lag das Verhältnis in Zweibrücken bei 65,52 Prozent Protestanten gegenüber 31,65 Prozent Katholiken, in Homburg bei 56,31 Prozent Protestanten gegenüber 41,45 Prozent Katholiken, vgl. Statistik Bayerns, Gemeindeverzeichnis, S. 81/100. 585 In Pirmasens gehörten Mitte des 19. Jahrhunderts 5.180 der 6.257 Einwohner der protestantischen Konfession an, daneben lebten 903 Katholiken und 174 Juden in der Stadt, vgl. Lehnung, Julius B.: Geliebtes Pirmasens. Heimatgeschichtliche Erinnerungen Bd. 3, 1840-1875, Pirmasens 1980, S. 13. 586 Siehe Artikel Kinkels in der Rheinisch-Westphälischen Zeitung vom 6.9.1850, zitiert nach Kinkel, S. 128. 580 103 Daraus lässt sich, auch für die Zeit nach der Revolution, schließen, dass die katholischen Gemeinden über eine stärkere Integrationsfähigkeit verfügten, die auch zur Abwehr der meist von außen hereingetragenen politischen Emanzipationsbestrebungen diente. Abb. 16 11Wirtschaftsstruktur der größeren Städte und Konfessionsstruktur im Wahlkreis 4 Gottfried Kinkel berichtete über Zweibrücken: „Die Reaction [sic!] ist hier besonders stark.“ Nachdem er ausführt, dass die Stimmung in Blieskastel der Revolution gegenüber noch aufgeschlossen war, berichtet Kinkel: „Dagegen sollen die sehr armen katholischen Ortschaften von hier südlich, von Priestern gehetzt, wenig taugen. Allein da sie arm sind, sind sie auch agitabel [sic!]. In St. Ingbert […] ist die Reaction [sic!] im Wachsen.“587 Die Stärke der katholischen Kirchen verhinderte über die Revolutionszeit hinaus im südlichen Teil der Westpfalz das Einsickern zunächst liberaler und später sozialdemokratischer Ideen. Im Nachgang zur Revolution wurden die Aufständischen in der katholischen Zeitschrift Christlicher Pilger als „Räuberbanden“588 verunglimpft. 587 Siehe Bericht von Kinkel an den Chef des pfälzischen Generalstabs, Bürger Techow in Lautern, zitiert nach Klein, S. 118. Siehe Furtwängler, Martin: Die Katholische Kirche und die Revolution 1848/49 in der Pfalz, in: Die Pfalz und die Revolution 1848/49 Bd. 2, hrsg. v. H.Fenske u.a., Kaiserslautern 2000, S. 151-177, hier S. 176. 588 104 bb) Deskriptiver Teil aaa) Anknüpfungspunkte zur Sozialdemokratie Eigentlich konnten Homburg und Zweibrücken bereits 1848 auf eine revolutionäre Tradition zurückblicken. Das Hambacher Fest 1832 fand zwar nahe Neustadt statt, organisiert wurde es aber von Zweibrücken aus. „Das pulsierende politische Leben“589 hatte den Journalisten Johann Georg August Wirth und andere nach Homburg gelockt. In Zweibrücken artikulierte eine Gruppe liberaler Juristen offensiv demokratische Forderungen und verteidigte die Institutionen aus französischer Zeit bei jeder Gelegenheit. Gerade deswegen griff der bayerische Staat im Gefolge der Ereignisse vom Mai 1832 hier besonders hart durch. Durch die „Politik der verbrannten Erde als Konsequenz von Hambach“590 wurden die Liberalen in der Region aufgerieben. Die meisten Köpfe von 1832 befanden sich 1848 entweder im französischen Exil oder waren bereits verstorben. 591 Die Revolution von 1848/49 hatte den westlichen Teil der Pfalz zwar erfasst, eine tiefe Verankerung innerhalb der Bevölkerung dieses größtenteils ländlichen und katholischen Landsstrichs ist allerdings nicht festzustellen. Nicht einmal die konservativ-katholischen Piusvereine vermochten im Westrich richtig Fuß zu fassen.592 Nur im überwiegend protestantischen Zweibrücken konnte der Volksverein mit insgesamt 700 Mitgliedern eine stattliche Größe erreichen, dies allerdings erst sehr spät und höchstwahrscheinlich erst im März 1849, wobei Arbeiter, Handwerker und Gesellen keinen eigenen Verein gründeten.593 Die politische Inaktivität könnte allerdings auch in der wirtschaftlichen Misere begründet sein. Denn die Westpfalz war bis dahin die ärmste Region der Pfalz. „Die wirtschaftliche Depression hemmt das politische Engagement“, 594 bemerkt Ruppert dazu und führt weiter aus, dass der karge Boden in der Westpfalz nur wenig hergab, während die Absatzmärkte für Handwerk und Gewerbe sich ausschließlich auf die Region konzentrierten.595 In und um Homburg litt die Bevölkerung wegen der Missernten von 1847 im Revolutionsjahr noch Hunger und war folglich eher mit der nackten Lebenserhaltung als mit dem politischen Kampf für liberale Menschenrechte beschäftigt.596Auch Pirmasens war von der rapiden Verteuerung der Lebensmittel infolge der Missernten stark betroffen. Die Auswanderungswelle erreichte dort im Jahr 1849 einen neuen Höhepunkt.597 589 Siehe Baus, Martin: Die Revolution von 1848/49 und die Saarpfalz, in: Revolution an der Grenze. 1848/49 als nationales und regionales Ereignis (Schriftenreihe Geschichte, Politik & Gesellschaft der Stiftung Demokratie Saarland, Bd. 4), St. Ingbert 1999, S. 191-229, hier S. 191. 590 Siehe Baus, S. 194. 591 Vgl. Baus, S. 191-194. 592 Vgl. Furtwängler, S. 165. 593 Vgl. Ruppert, S. 80-82. 594 Siehe Ruppert, S. 80. 595 Vgl. Ruppert, S. 80. 596 Vgl. Baus, S. 196. 597 Vgl. Lehnung, S. 68-71. 105 Insgesamt fällt die Bilanz der Revolution im Westen der Pfalz sehr bescheiden aus. Selbst Martin Baus, an anderer Stelle bemüht, das liberale Engagement in der Region in den Vordergrund zu rücken,598 beschreibt eine Situation, „in der die Märzrevolution und ihre Errungenschaften zwar positiv aufgenommen wurden, in der aber im Prinzip von revolutionärer Eigeninitiative nichts zu spüren war“.599 Eigene Zweigvereine von Handwerkern oder Arbeitern waren in der Region gar nicht vorhanden,600 von daher konnten die Sozialdemokraten in der westlichen Pfalz, anders als zum Beispiel in Neustadt oder Kaiserslautern, an keine 48er-Tradition anknüpfen. bbb) Lokale Organisation der Sozialdemokratie Die Sozialdemokratie konnte in Pirmasens bis 1886601 nur in Ansätzen Fuß fassen, ein sozialistischer Arbeiterverein bestand nicht. Die Arbeitgeber schafften es durch energisches Durchgreifen, selbst die zaghaftesten Ansätze sozialistischer Ideen im Keim zu ersticken. Nur zwei Arbeiter verbreiteten sozialdemokratische Schriften in Pirmasens. Peter Bühler stammte aus Burrweiler am Rand der Haardt und war Arbeiter in einer Schuhfabrik, Andreas Kästner arbeitete als Gerber und stammte aus Lemberg. Die Polizei konnte nachweisen, dass beide im Frühjahr 1878 insgesamt zwölf Exemplare des badisch-pfälzischen Volksblattes in der Stadt abgesetzt hatten. Beide zeigten sich allerdings „den Belehrungen ihrer Arbeitgeber zugänglich und erh[ie]lten keine sozialdemokratischen Schriften mehr“.602 Dennoch agitierten beide wohl inoffiziell weiter. So vermerkt der Bericht des Bezirksamts Pirmasens, dass beide sich mit drei bis vier „Verführten“ regelmäßig in Wirtshäusern trafen.603 Weiterhin soll der „rote Bühler“ versucht haben, eine Schuhfabrikgenossenschaft zu gründen. Nach dem Scheitern dieses Vorhabens verließ er die Stadt.604 Außerdem versuchte im nahegelegenen Rodalben German Friedrich, von Beruf Schreiber bei einem Notar, erfolglos, eine sozialdemokratische Versammlung einzuberufen. Friedrich hatte vorher die ultramontane Partei unterstützt und hatte nach Behördenangaben nach wie vor einen „christlich-sozialen Anstrich“.605 Insgesamt sind die sozialdemokratischen Bestrebungen in Pirmasens bis 1878 als äußerst schwach einzuschätzen. Schon 1869 bekannte die Westricher Zeitung aus Zweibrücken ihre Anhänglichkeit an Lassalle: „Zu bedauern ist, daß die Ideen des großen Lassalle in unserer Pfalz zu wenig bekannt sind; sonst würde die Masse der Arbeiter, das Volk im eminenten Sinne des Baus führt aus: „Der Raum Homburg-Zweibrücken-Blieskastel stellte mit fast 50 derartigen Organisationen [Anmerkung: Volks- und Märzvereine] […] eine Art Verdichtungszone des demokratischen Vereinswesens dar.“ Siehe Baus, S. 199. 599 Siehe Baus, S. 203. 600 Zumindest sind in Rupperts Übersicht über die politischen Vereine der Pfalz von 1848/49 keine Arbeitervereine aus den westlichen Kantonen verzeichnet, vgl. Ruppert, S. 199-226. 601 Vgl. Stein, Erwin: Aus dem Wahlverein wurde die SPD, in: Die Rheinpfalz, Ausgabe Pirmasens, Nr. 263 vom 10.11.1984. 602 Siehe Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren, Amtsbezirk Pirmasens, in: BayHStA, Minn 66312. 603 Siehe Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren, Amtsbezirk Pirmasens, in: BayHStA, Minn 66312. 604 Vgl. Feldmüller, S. 26. 605 Siehe Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren, Amtsbezirk Pirmasens, in: BayHStA, Minn 66312. 598 106 Wortes, schon längst die Führerschaft der Bourgeoisie sich verbeten und aufgehört haben, berauscht durch Vorspiegelungen und Bethörungen gegen sich selber zu wüthen.“606 Leider ist zu diesem Zeitungsausschnitt kein weiterer Aktenvermerk vorhanden. Es ist davon auszugehen, dass die Polizei die Ausgabe zensierte und auch sonst kompromisslos gegen jegliche sozialistischen Bestrebungen in Zweibrücken vorging. In der Stadt bestanden bis zur Abschaffung des Sozialistengesetzes keine sozialdemokratischen Organisation. Nur der nach Polizeiangaben zu schließen exzentrische Strohhutfabrikant David Stern wurde polizeilich als „Gesinnungsgenosse“ der Sozialisten ausgemacht. Seine Gründung eines Filialvereins des deutschen Hutmachercentralvereins [sic!] 1874 war dann auch nur von kurzer Dauer. Infolge eines Streiks als Reaktion auf eine 15prozentige Lohnkürzung wegen schlechter Ertragslage im Oktober 1875 wurden die elf Streikenden entlassen und verließen Zweibrücken in unbekannte Richtung.607 Dennoch gab es wenige Monate vor Erlass des Sozialistengesetzes immerhin zehn bis zwölf sozialdemokratisch gesinnte Bürger in Zweibrücken. Sie organisierten eine Versammlung, bei der August Dreesbach und Moses Oppenheimer Vorträge vor insgesamt 300 Zuhörern hielten. Die Polizeiberichte von den Versammlungen betonen allerdings, dass es sich bei der überwiegenden Mehrzahl der Besucher nicht um Sympathisanten der Sozialdemokratie handelte. Eine Diskussion kam in Anschluss auf die Vorträge nicht zustande, insgesamt war der Anklang der sozialdemokratischen Redner wohl wirklich äußerst bescheiden. Daneben gab es bis 1878 in Zweibrücken, von einem erfolglosen Versuch des Vereins zur Erzielung volkstümlicher Wahlen in Pirmasens, ein Vereinslokal zur Durchführung von Versammlungen zu finden, einmal abgesehen, keine Ansätze zu sozialdemokratischer Agitation, geschweige denn Organisation.608 Schon Kinkel hatte St. Ingbert 1849 aufgrund der großen Arbeiterbevölkerung von „1000 Seelen“ für die Zukunft eine „Rolle in der Bewegung“609 zugesprochen. Allerdings sind aus St. Ingbert für die Zeit vor dem Sozialistengesetz noch nicht einmal sozialdemokratische Ansätze zu erkennen. Das Bezirksamt meldete 1875: „Eine sozialdemokratische Partei existiert hier nicht.“610 Eine Arbeiterbevölkerung war zwar vorhanden, diese verfügte aber meist über kleinen Grundbesitz und war eher der konservativen Richtung zugeneigt. Erst im Reichstagswahlkampf 1887 kam es zu einer ersten heimlichen Flugblattaktion. Schließ- 606 Siehe Westricher Zeitung vom 13. Juni 1869, in BayHStA, Minn 46098. Vgl. Staudt, Zweibrücken, S. 481/482. 608 Vgl. Staudt, Zweibrücken, S. 482-485. 609 Siehe: Artikel Kinkels in der Saarzeitung vom 17.9.1849, Stadtarchiv Saarbrücken, Zeitungsarchiv, zitiert nach Klein, S. 122. 610 Zitiert nach Staudt, Michael: Hugo Dullens und die Entstehung der saarpfälzischen Sozialdemokratie, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 176-183 (Zitiert als: Staudt, Dullens), hier S. 177. 607 107 lich wurde 1889 von Pirmasens aus versucht, die Arbeiter von St. Ingbert zu mobilisieren. Ein Jahr später entstand ein Arbeiterwahlverein.611 ccc) Ausblick Immer wieder Erwähnung in der Literatur findet — besonders im Hinblick auf Zweibrücken und St. Ingbert — die ausgeglichene Eigentumsstruktur in der Region, die den Großteil der Bevölkerung dem Konservatismus zutrieb. Auch wenn es in der Pfalz nicht zur Gründung katholischer Arbeitervereine kam, ist davon auszugehen, dass die katholische Kirche weiter einen starken Einfluss gerade auf die einfach Bevölkerung ausübte. Als Beleg für das hohe Potenzial für politische Einflussnahme vonseiten der Kirche darf an dieser Stelle auf Ereignisse in St. Ingbert im August 1873 verwiesen werden. Nachdem der liberale St. Ingberter Anzeiger einen Artikel aus der Hamburger deutschen Reichsfackel abdruckte, worin die französische Armee aufgrund ihrer katholischen Bräuche verunglimpft wurde, sorgte dies in St. Ingbert für einen Tumult. Rund 2.000 erboste Katholiken belagerten die Redaktion der Zeitung. Der zuständige Redakteur Demetz musste die Stadt verlassen. Angeregt wurde der Tumult von katholischen Predigern. Allein die Zahl von 2.000 „Tumultanten“ 612 verdeutlicht die Mobilisierungskraft der Kirche, die das Potential der sozialdemokratischen Bewegung in der Pfalz selbst in der Hochburg Ludwigshafen deutlich überschritt. Doch nicht nur die katholische Kirche engagierte sich für die Arbeiterschaft. Bereits 1853 entstand ein Protestantisch-Evangelisch-Christlicher Unterstützungsverein im protestantischen Pirmasens, in Zusammenarbeit mit der Stadt versuchten 16 Armenpfleger, die sozialen Missstände zu lindern. 1857 wurde in Pirmasens ein Rettungshaus der Diakonie errichtet. Die Schwerpunkte der in der Anfangszeit hauptsächlich durch ehrenamtliche Tätigkeit gestützten diakonischen Arbeit waren christliche Missionsarbeit, Heimdiakonie und Arbeitervereine. Der Unterstützungsverein war Zweigverein des königlichen St. JohannisVereins, wurde also aus der bayerischen Staatskasse unterstützt.613 Erst 1889, als sich die Sozialdemokratie in Pirmasens bereits in Ansätzen formiert hatte, kam es zum Bruch zwischen organisierten Arbeitern und dem amts- und unternehmerseitig gut vernetzten protestantischen Unterstützungsverein. Zum 25. Todestags Lassalles hissten sieben Arbeiter an einem Kirchturm eine rote Flagge. Der Rädelsführer dieser Aktion gab vor Gericht an, zwar gläubig zu sein, aber die Kirche zu verachten, da diese für arme Menschen nur Almosen bereitstelle, anstatt die Rechte der Arbeiter zu stärken.614 611 Vgl. Staudt, Dullens, S. 177/178. Vgl. Die Rheinpfalz vom 13.8.1873 und Pfälzische Post vom 14.8.1873, beide in LA SP, H-3 930. 613 Vgl. Brendel, Wolfgang Friedrich: „…Nicht nur die Not lindern, sondern aktiv ihre Ursachen bekämpfen helfen…“. Das Wirken der Inneren Mission von 1833 bis 1918, in: Jahrbuch des historischen Vereins Pirmasens 18 (2010), S. 64-76, hier S. 69-72. 614 Vgl. Brendel, S. 73. 612 108 Auch die Wirtschaftsstruktur hat die Entwicklung der Pirmasenser Sozialdemokratie gehemmt. Die Pirmasenser Schuhbetriebe blieben im deutschlandweiten Vergleich auch längerfristig verhältnismäßig klein,615 verglichen mit anderen Branchen blieb die Tendenz zum Großbetrieb ohnehin verzögert. Wie bereits aufgezeigt, konnten sich sozialistische Denkansätze in den kleinen, patriarchalisch geprägten handwerklichen Unternehmen schlechter entwickeln. In den größeren Pirmasenser Unternehmen wurden auswärtige sozialistische Arbeiter auch durch Beförderung von sozialistischen Positionen abgebracht.616 Auch die relativ schwache Zuwanderung war mit Sicherheit ein hemmender Faktor für die frühe sozialdemokratische Ausbreitung. Anders als beispielsweise in Ludwigshafen kamen weniger — meist besitzlose — Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Westpfalz.617 An sich war Pirmasens als Industriestandpunkt wegen der Verkehrslage nur sehr schlecht geeignet. Vielleicht sorgte aber gerade dieser Standortfaktor für das starke Wachstum der Pirmasenser Schuhindustrie. Denn die Standortfaktoren der Industrie waren auch die Standortfaktoren für die Ausbreitung der Sozialdemokratie. Durch das Ausbleiben von Lohnstreit und Arbeitskämpfen in den 1870er Jahren war jedenfalls der Produktionsfaktor Arbeit in Pirmasens um einiges billiger als an anderen Standorten der Schuhindustrie.618 Abb. 17 12Nach Fall des Sozialistengesetzes 1890 konnte sich die SPD als politischer Faktor im Wahlkreis 4 etablieren. 615 1913 hatte eine Mehrzahl von 149 der 243 Pirmasenser Schuhfabriken eine Mitarbeiterzahl unter 20. 29 Firmen beschäftigten zwischen 20 und 100 Mitarbeitern, es bestanden nur 25 Betriebe mit mehr als 100 Mitarbeitern. Die größte Firma war Rheinberger mit 1.500 Beschäftigten. Damit lag der Durchschnitt bei 56 Mitarbeitern. In Hauenstein lag dieser Wert mit 80 Arbeitern pro Betrieb etwas höher und knapp über der deutschlandweiten durchschnittlichen Fabrikgröße in der Schuhindustrie von ca. 70 Beschäftigten pro Unternehmen, vgl. Wagner, S. 32. 616 Vgl. Feldmüller, S. 21. 617 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 216. 618 Vgl. Feldmüller, S. 25. 109 Allerdings währte die Schwäche der Sozialdemokratie in Pirmasens nur bis zum Ende des Sozialistengesetzes. 1886 kam es zur heimlichen Gründung eines geheimen Komitees zur Durchführung volkstümlicher Wahlen. 1890 entstand daraus der sozialdemokratische Ortsverein der Partei. Bei der Reichstagswahl 1890 erreichten die Sozialdemokraten im Wahlkreis 4 immerhin 1.800 Stimmen. 619 Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wies dieser Wahlkreis die zweitgrößte Organisationsdichte der gesamten Pfalz auf.620 e) Wahlkreis 5: Homburg-Kusel aa) Empirischer Rahmen aaa) Bevölkerungsentwicklung Die Bevölkerungsstruktur des im Norden angrenzenden Wahlkreises Homburg-Kusel war sehr dörflich. Dort kamen 1900 nur 20 Gemeinden über 1.000 Einwohner, eine Stadt mit über 5.000 Einwohnern existierte hier gar nicht. Von den 153 übrigen Gemeinden hatte die Mehrzahl (108) unter 500 Einwohner.621 Abb. 1813Die Bevölkerungsentwicklung im abgelegenen Wahlkreis 5 war moderat. bbb) Wirtschaftliche Entwicklung/Sozialstruktur Der bedeutendste Industriezweig in Kusel war die Textilbranche. Schon 1847 waren in Kusel 17 Tuchmacher beschäftigt. 1857 wurde dort auch eine Dampfmaschine angeschafft. Insgesamt fällt dieser Zweig in dem kleinen Landstädtchen jedoch kaum ins Gewicht. 622 Bei der Berufszählung 1882 wurden im Bezirk Kusel, die Fabrik in Wolfstein miteinbegrif619 Vgl. Stein. Vgl. Breunig, S. 789. 621 Vgl. Tabellen bei Bräunche, Parteien, S. 13. 622 Vgl. Schlegel/Zink, S. 170-172. 620 110 fen, gerade mal 210 Textilarbeiter gezählt.623 1868 wurde das Städtchen ans Eisenbahnnetz angeschlossen,624 1874 wurde die Nagelfabrik aus Altenglan nach Kusel verlegt, zur Belegschaft dort gehörten zwischen 150 und 200 Personen.625 Obwohl Homburg bereits 1848 über einen Eisenbahnanschluss verfügte, kam es dort kaum zu einer industriellen Entwicklung. Schon vor 1870 bestand mit einer Hufeisen- und Pflugscharmanufaktur, in der immerhin 200 Arbeiter beschäftigt waren, ein Großbetrieb. 1874 folgte mit den Chamotte- und Dinaswerken ein Zulieferer der Schwerindustrie, erwähnenswert ist auch die 1878 gegründete Karlsberg-Brauerei.626 Bei den Zahlen der Berufsstatistik von 1882 liegt der Bezirk Homburg in allen Bereichen sehr nah am gesamtpfälzischen Durchschnitt.627 ccc) Konfessionsstruktur Ein deutliches Übergewicht hatten die Protestanten im Bezirksamt Kusel mit rund 88 Prozent der Bevölkerung. In Homburg dominierte die katholische Konfession mit knapp über 50 Prozent628 Abb. 19 14Da in der Berufsstatistik nur die elf größten Städte der Pfalz aufgeführt sind, sind für Homburg und Kusel keine genaueren Zahlen vorhanden. bb) Deskriptiver Teil aaa) Anknüpfungspunkte zur Sozialdemokratie Wie aufgezeigt, konnte sich die Bewegung 1848 in den ländlichen Gebieten wenn überhaupt nur pro forma, etablieren. Dies gilt insbesondere für den Raum um Homburg und Kusel, über härtere Arbeitskämpfe in dieser Region gibt die Literatur keine Auskünfte. 623 Vgl. Berufszählung, S. 270-307. Vgl. Schlegel/Zink, S. 186. 625 Vgl. Schlegel/Zink, S. 173. 626 Vgl. Thomes, Paul: Zwischen Landwirtschaft und Industrie. Soziale und wirtschaftliche Strukturen (1800-1970), in: Der Saarpfalz-Kreis, Stuttgart 1993, S. 126-151, Zusammenfassung am 22.3.2012 online unter: http://www.saarpfalzkreis.de/buergerservice/informationen/auf_einen_blick/geschichte/1290.htm. 627 Vgl. Berufsstatistik. 628 Vgl. Bräunche, Parteien, S. 16. 624 111 bbb) Lokale Organisation der Sozialdemokratie Nach Landstuhl richtete sich immerhin namentlich eine Einladung zu einer sozialdemokratischen Konferenz in Neustadt 1876, was auf das Bestehen zumindest einer kleinen sozialdemokratischen Gemeinde hindeutet. 629 Diese Gemeinde hatte aber offenkundig keine Ausstrahlungswirkung auf das Umland. Das abgelegene Städtchen Kusel wurde erst spät vom parteipolitischen System insgesamt erfasst. Zwar existierten schon ab 1869 Arbeitervereine in der Region, diese dienten allerdings eher kulturellen als politischen Zwecken. Selbst die Nationalliberalen waren erst 1884 mit einem Wahlverein vertreten. 1890 kam es zu einem ersten zaghaften sozialistischen Agitationsversuch, als ein aus Posen stammender Schlossergeselle Flugblätter, die zur Wahl von Franz Josef Ehrhart aufforderten, verteilte. Ein erster Wahlverein entstand 1897 in Altenglan, Kusel folgte 1902. Ab dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entstanden weitere Vereine in den umliegenden Dörfern.630 Abb. 2015Trotz allem konnte die SPD sich im frühen 20. Jahrhundert im Wahlkreis Homburg-Kusel etablieren. In Homburg tat sich die Sozialdemokratie auch nach dem Sozialistengesetz noch schwerer als in Kusel. Das genaue Gründungsdatum des Homburger SPD-Ortsvereins lässt sich nicht ermitteln. Wahrscheinlich ist, dass sich der Verein 1910 konstituierte. An Fahrt gewann die Bewegung in der Stadt 1912 mit dem Zuzug von 230 Glasmachern aus Stockheim, wo die Produktion von Sigwart & Mörhle vorher angesiedelt war.631 Die Partei erVgl. „Vermischte Nachrichten“ in: Pfälzer Zeitung vom 13.4.1876, in LA SP, H-3 929-I Vgl. Kirsch, Hans: Sozialdemokratische Diaspora. Die Anfänge der SPD im Kuseler Land, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S.170-175, hier S. 170-172. 631 Vgl. 60 Jahre SPD Homburg,o.S.. 629 630 112 reichte im gesamten Wahlkreis 1912 3.645 Stimmen (17,4 Prozent), dabei kamen 1.862 aus dem Bezirk Kusel und 1.783 aus dem Bezirk Homburg. 1914 gab es im Wahlkreis Homburg-Kusel immerhin 14 sozialdemokratische Vereine, mit zusammen mehr als 500 Mitgliedern.632 ccc) Ausblick Der Wahlkreis 5 hatte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts die niedrigste sozialdemokratische Organisationsdichte der gesamten Pfalz, was allerdings auch in der insgesamt verzögerten politischen Entwicklung dieser Region seinen Grund haben könnte.633 f) Wahlkreis 6: Kaiserslautern-Kirchheimbolanden aa) Empirischer Rahmen aaa) Bevölkerungsentwicklung Kaiserslautern war im Untersuchungszeitraum die bedeutendste Industriestadt der Pfalz. Zur Jahrhundertmitte überholte Kaiserslautern Zweibrücken in der Bevölkerungszahl und blieb bis 1898 die größte Stadt der Pfalz.634 1855 lag die Einwohnerzahl Kaiserslauterns bei 10.076, 1905 bei 52.306, wobei die Stadt in den 1870er Jahren und nochmals kurz vor Ende des 19. Jahrhunderts am stärksten wuchs.635 Das Bevölkerungswachstum des gesamten Bezirks ist vor allem auf Kaiserslautern und die direkt umliegenden Orte zurückzuführen.636 Die Bevölkerungszahl der beiden nordpfälzischen Bezirksämter Kirchheimbolandens und Rockenhausens stagnierte weitestgehend.637 Am stärksten wuchs noch die Gemeinde Eisenberg wegen des Bahnanschlusses und der Industrieansiedlung von 1.185 im Jahr 1855 auf 2.962 Einwohner 1905.638 Am stärksten schrumpfte die Einwohnerzahl derweil in den abgelegen Orten Standebühl und Rittersheim, beide im Bezirk Kirchheimbolanden gelegen, sowie Dörrmoschel im Bezirk Rockenhausen.639 Die Stadt Kirchheimbolanden wuchs im selben Zeitraum nur schwach von 3.038 auf 3.647 Einwohner.640 632 Vgl. Kirsch, S. 172-174. Vgl. Breunig, S. 789. 634 Vgl. Herzog, S. 12. 635 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 45. 636 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 45. Am stärksten wuchsen die direkt anschließenden Orte Erfenbach, Hochspeyer, Morlautern und Siegelbach. Bis auf Hochspeyer in der Nähe von Kaiserslautern außerdem an die Ludwigsbahn angeschlossen und ab 1880 Standort einer chemischen Fabrik, sind diese Gemeinden inzwischen alle in die Stadt Kaiserslautern eingemeindet. Bezüglich der Chemiefabrik in Hochspeyer vgl. Weidmann, Schwerpunkte, S. 31. 637 Die Einwohnerzahlen der Gesamtbezirke lagen in Rockenhausen 1855 bei 10.668, 1905 bei 9.966 und in Kirchheimbolanden 1855 bei 24.521, 1905 bei 26.742. Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 46/51. 638 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 47. 639 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S.148/149. 640 Vgl. Statistik Bayerns, Wanderungen, S. 46. 633 113 Abb. 21 16Das Bevölkerungswachstum im Wahlkreis 6 ging vor allem auf die industrielle Entwicklung in Kaiserslautern zurück. bbb) Wirtschaftliche Entwicklung/Sozialstruktur Die drei wichtigsten Handelsgüter in Kaiserslautern um 1840 waren Getreide, Steinkohle und Holz. In der ersten Industrialisierungsphase erlangten allerdings bereits die Eisengewinnung- und Verarbeitung, die Textilerzeugung, eine Zuckerfabrik und eine Großbrauerei eine gewisse Bedeutung für die Wirtschaftsstruktur der Stadt. Im Umland wären noch die Eisenerzeugung in Trippstadt und eine Textilfabrik in Otterberg zu nennen. Dennoch handelte es sich bei den Dörfern um Kaiserslautern weitestgehend um Bauerndörfer, auch Kaiserslautern selbst hatte noch lange alle Kennzeichen einer Ackerbürgerstadt. Erst in den 1860er und 1870er Jahren wuchs die Industriearbeiterschaft in erheblichem Maße.641 Am Anfang dieses Prozesses stand der Bau der Ludwigsbahn 1848. Dominierend blieb zunächst die Textilindustrie mit der Baumwollspinnerei Lampertsmühle direkt bei Kaiserslautern und der Leinenzwirnerei in Otterberg. Diese wurde 1860 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, weil sonst die Mittel zur Erfüllung steigender Nachfrage nicht zugänglich gewesen wären. Daneben prosperierten in Kaiserslautern selbst die Kammgarnspinnerei und die Buntweberei A. Orth.642 Ab 1870 gewann die Industrie endgültig das Übergewicht in der Kaiserslauterer Wirtschaft, die Investitionsneigung der Unternehmer erreichte in der Gründungszeit einen Höhepunkt.643 Eine Statistik von 1874 listet die Beschäftigungszahlen der Kaiserslauterer Industrie auf. Dabei zeigt sich deutlich, dass die Textilindustrie das größte Gewerbe der Stadt war, hier 641 Vgl. Weidmann, Schwerpunkte, S. 18-20. Vgl. Weidmann, Schwerpunkte, S. 21-24. 643 Vgl. Weidmann, Schwerpunkte, S. 30. 642 114 waren 1.644 Menschen, in der Mehrzahl Frauen beschäftigt. Es folgt die eisenverarbeitende Industrie mit 988 Arbeitern, die Ludwigsbahn-Werkstätten mit 300 und das Gienathsche Stahlwerk mit 155 Beschäftigten. Schließlich waren weitere 130 überwiegend weibliche Beschäftigte in der Tabakverarbeitung tätig. Leider unerwähnt bleibt in dieser Statistik die Brauereiwirtschaft. Dies obwohl die Bierproduktion hier längst industrielle Züge angenommen hatte und Kaiserslautern mit über 20 Brauereien „eine der führenden Brauereistädte Südwestdeutschland“ war.644 Bis zum Ersten Weltkrieg hat sich die Gesamtzahl der in der Industrie Tätigen in Kaiserslautern von 2.800 auf 13.200 nochmals verfünffacht. Die Metallindustrie (5.500 Beschäftigte) konnte bis dahin die Textilindustrie (3.500 Beschäftigte) der Stadt noch übertrumpfen, an dritter Stelle rangierte die Holzwirtschaft (2.000 Beschäftigte), die 1870 noch stark handwerkliche Züge aufwies. Ihren Status halten konnte die Tabakindustrie, während sich im Brauereigewerbe ein Konzentrationsprozess vollzog, der viele kleinere Brauereien die Existenz kostete. Insgesamt hatte die Industrialisierung in Kaiserslautern eine vielgestaltige Form, in keiner anderen Stadt der Region waren so viele unterschiedliche Branchen vertreten. Die Firmen Pfaff und Kayser erlangten als Industrieunternehmen sogar weltweite Bekanntheit.645 Bevölkerungswachstum und Realteilung führten zu großer Armut in und um Kaiserslautern. Die Industrie schaffte zwar Arbeitsplätze, die Massenarmut konnte damit jedoch nicht behoben werden. Das hohe Angebot an Arbeitskräften hatte sehr niedrige Einkommen zur Folge. Im Vergleich zur Vorderpfalz waren die Verdienstmöglichkeiten sehr gering,646 allerdings lagen dort auch die Lebenshaltungskosten deutlich höher.647 In Kirchheimbolanden kam es zu keiner starken industriellen Entwicklung. Der Bahnanschluss erfolgte erst im Juli 1874,648 insgesamt behielten die Stadt sowie der gesamte Bezirk auch danach ihre überwiegend handwerklich und landwirtschaftlich geprägte Wirtschaftsstruktur.649 Lediglich in Eisenberg spielte die Eisenerzeugung eine größere Rolle.650 Dort gab es auch seit 1844 eine Papiermühle, die bis 1861 zur Fabrik ausgebaut wurde.651 Der Anschluss ans Eisenbahnnetz erfolgte 1876.652 Der Großteil der industriellen Berufe im Bezirk Kirchheimbolanden entfiel auf Eisenberg, davon abgesehen hatte die Gegend eine überwiegend agrarische Struktur.653 644 Vgl. Weidmann, Schwerpunkte, S. 31. Vgl. Weidmann, Schwerpunkte, S. 34-43. 646 Vgl. Weidmann, Schwerpunkte, S. 26. 647 Vgl. Breunig, S. 72. 648 Vgl. Döhn, Hans: Kirchheimbolanden. Die Geschichte der Stadt, Kirchheimbolanden 1968, S. 373. 649 Vgl. Berufszählung, S. 270-307. 650 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 132. 651 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 139. 652 Vgl. Kermann, Verkehr, S. 148. 653 Vgl. Berufszählung, S. 270-307. 645 115 Insbesondere die Nordpfalz, also der Raum um Kirchheimbolanden und Rockenhausen, war noch sehr lange ganz überwiegend agrarisch geprägt, dabei allerdings mit keinen sonderlich fruchtbaren Böden ausgestattet.654 Für den Bezirk Kaiserslautern gilt — mit Ausnahme der Stadt selbst und den unmittelbar anschließenden Orten — weitestgehend dasselbe, wobei die Holzwirtschaft eine größere Rolle spielte. Zu nennen wäre noch die Eisenerzeugung in Trippstadt, Winnweiler und Eisenberg.655 Die in der zweiten Jahrhunderthälfte an Bedeutung gewinnenden Steinbrüche in Alsenz wären an dieser Stelle noch zu erwähnen.656 ccc) Konfessionsstruktur Konfessionell war der gesamte Wahlkreis 6 protestantisch dominiert, wobei das Übergewicht in Rockenhausen und Kirchheimbolanden nochmals stärker ausfällt als in Kaiserslautern.657 Abb. 2217Wirtschaftsstruktur der größten Stadt Kaiserslautern und Konfessionsstruktur im Wahlkreis 6 bb) Deskriptiver Teil aaa) Anknüpfungspunkte zur Sozialdemokratie : 1848 In Kaiserslautern entfaltete sich schon im Frühjahr 1848 ein reges Vereinsleben. Neben dem eher konservativ-liberalen Vaterlandsverein gründete sich im Juli ein demokratischer Verein, der allerdings nie mehr als 50 Mitglieder zählte. Dennoch etablierte sich besonders in der Kaiserslauterer Presse die radikale Richtung. Der Bote für Stadt und Land, geleitet 654 Vgl. Rehberger, Anfang, S. 8/9. Vgl. Kermann, Verkehr, S. 132. 656 Vgl. Rehberger, Gründung, S. 158. 657 Vgl. Statistik Bayerns, Gemeindeverzeichnis, S. 85-87, S. 96-98. 655 116 vom Obmann des Pfälzischen Volksvereins Schmitt, verfolgte eine demokratische Richtung, daneben bekam das bis dahin harmlose Wochenblatt, wenn auch wahrscheinlich aus finanziellem Interesse heraus, gar eine anarchistische Tendenz.658 Im Herbst 1848 kam es nochmals zu einer Umgestaltung des Vereinslebens. Im Sonntagskränzchen fanden sich etwa 120 Mitglieder der entschiedenen Linken, meist Angehörige des Handwerkerstands oder kleine Gewerbetreibende. Akademiker waren in dieser Gruppierung nicht vertreten. Die Bürgerlichen der Stadt fanden in einem informellen Zirkel, dem Bürgerclub, zusammen. Die Aufspaltung der revolutionären Bewegung in gemäßigte Liberale und radikale Demokraten wurde zeitweise in kontroversen Sitzungen des Kaiserslauterer Volksvereins offenbar. Als die Situation sich Ende des Jahres 1848 zuspitzte und ein Zusammenrücken geboten war, fanden beide Fraktionen allerdings wieder zusammen.659 Auch in Kirchheimbolanden hinterließ die Revolution ihre Spuren. Zwar kam es nicht zur Gründung eines eigenen Arbeitervereins, jedoch war der Volksverein in der Stadt vergleichsweise radikal. Schon 1848 bildete sich hier eine Freischar, um die Revolution zu verteidigen.660 Dennoch hielt sich die Mehrzahl der Bürger bei einem Scharmützel gegen die anrückende preußische Armee am 14. Juni 1849 aus dem Konflikt heraus und hängte von Anfang an weiße Fahnen aus dem Fenster.661 Nur wenig lässt sich über das Einwurzeln revolutionärer Ideen in der nordpfälzischen Provinz sagen. Immerhin berichtete ein preußischer Soldat 1849 aus dem Alsenztal, wo kurz zuvor die Freischärler passiert waren, dass dort der „Geist der Unzufriedenheit“662 noch weit verbreitet war. Genauere Untersuchungen zum Sachverhalt fehlen leider. Rehberger führt die Dominanz der Nationalliberalen in der Nordpfalz auf den Nationalismus, vor allem aus „Franzosenhass“663 in der ehemals französisch regierten Pfalz zurück. bbb) Lokale Organisation der Sozialdemokratie Die einheitliche Organisation von Liberalen und frühen Sozialisten in der Revolution von 1848 wirkte in Kaiserslautern besonders lange nach. Hier kam es schon am 27. Februar 1867 zur Gründung eines Arbeitervereins. Ein Gastvortrag Herrmann Schultze-Delitzschs am 8. Juli 1868 legt den Schluss nahe, dass dieser Verein der Fortschrittspartei nahe stand.664 Am 26. April des darauffolgenden Jahres bildete sich schließlich ein Demokratischer Arbeiterbildungsverein (DABV), der bis Juni 1869 300 Mitglieder anzog. Die Füh- 658 Vgl. Ruppert, S. 74. Vgl. Ruppert, S. 74-76. 660 Vgl. Döhn, S. 348. 661 Vgl. Döhn, S. 355-357. 662 Zitiert nach Wasem, Peter: Die Freischärler von 1848/49 in Langmeil, in: Nordpfälzische Geschichtsblätter 85 (2006 Nr. 1), S. 1-2, hier S. 1. 663 Siehe Rehberger, Anfang, S. 13. 664 Vgl. Herzog, S. 23. 659 117 rung des Vereins bestand aus sozialdemokratisch, allerdings nicht lassalleanisch gesinnten Mitgliedern der deutschen Volkspartei.665 Aus dieser linksliberalen Gruppierung heraus gründeten August Bebel mit anderen die sozialdemokratische Arbeiterpartei. Deren Eisenacher Parteiprogramm wurde nach Abdruck in der Pfälzischen Volkszeitung am 19. August 1869 auch in Kaiserslautern diskutiert.666 Der Vereinsvorsitzende Adolf Kröber versuchte, nachdem der Arbeiterverein der Fortschrittspartei Max Hirsch, den Nachfolger Schulze-Delitzschs als Gallionsfigur der liberalen Genossenschaftsbewegung, zu einem Vortrag nach Kaiserslautern geholt hatte, Bebel für einen Auftritt in der Stadt zu gewinnen. In der Folge kam es zu heißen Diskussionen über den Standpunkt des Vereins. Die Behörden stuften ihn als politische Organisation ein.667 Das hatte zur Folge, dass er fortan unter verschärfter Beobachtung stand,668 andererseits aber auch ermächtigt war, in öffentlichen Angelegenheiten Stellung zu beziehen. Bei den Wahlen zum Stadtrat im Dezember 1869 stellte der DABV gemeinsam mit der Volkspartei erfolgreich eine Kandidatenliste auf. Adolf Kröber war, wenn auch Mitglied der Volkspartei, wahrscheinlich der erste Sozialdemokrat, der als Mitglied des Stadtrats in der Pfalz ein öffentliches Amt bekleidete. Auch bei der Landtagswahl im Vormonat unterstützte der Arbeiterbildungsverein die Volkspartei.669 Neben dem wahlpolitischen Engagement entfaltete der DABV weitreichende Tätigkeiten. Auf Betreiben des Vereins entstand im Februar 1870 eine Krankenkasse, bald darauf auch ein Konsumverein, daneben veranstaltete er Diskussionsabende und Schulungen, an denen unterschiedlichste politische Themen besprochen wurden. Insgesamt sorgte der Verein für ein breites Bildungsangebot, so gehörten zum Beispiel auch Kurse in Buchhaltung zum Programm. Einer für den 19. Juni 1870 angesetzten gesamtpfälzischen Delegiertenkonferenz der Arbeitervereine kam der Ausbruch des deutsch-französischen Kriegs bevor. Aus der Perspektive der parteigeschichtlichen Forschung ist dieser Ausfall besonders zu beklagen, stand doch die Klärung des Verhältnisses zwischen Arbeitern und den politischen Parteien ganz oben auf der Tagesordnung.670 Mit dem deutsch-französischen Krieg erlahmte die Tätigkeit des DABV. Auf Krieg und Reichsgründung folgte eine Welle des Patriotismus, die der kleindeutschen nationalliberalen Partei in die Hände spielten. Auch der Verlust Kröbers, der im Januar 1870 nach München zog, war ein Rückschlag für den Verein.671 Trotz dieser Widrigkeiten wurde der Arbeiterbildungsverein ernstzunehmender Faktor im politischen Leben Kaiserslauterns. Trotz 665 Vgl. Schreiben an Staatsminister von Braun vom 22. Juni 1869, in: BayHStA, Minn 66310. Vgl. Herzog, S. 23-27. 667 Vgl. Herzog, S. 28-30. 668 Vgl. Schreiben an Staatsminister von Braun vom 22. Juni 1869, in: BayHStA, Minn 66310. 669 Vgl. Herzog, S. 30/31. 670 Vgl. Herzog, S. 31-34. 671 Vgl. Herzog, S. 34-36. 666 118 massiver Anfeindungen von bürgerlicher Seite verfolgte er mit Erfolg eine sozialdemokratische Ausrichtung. Bei der Nachwahl zum Reichstag 1873 erreichte der vom Arbeiterbildungsverein unterstützte sozialdemokratische Kandidat Johann Jacoby immerhin in den Stadtgrenzen eine Mehrheit, allerdings gegen nur einen nationalliberalen Gegenkandidaten.672 Gegen die Volkspartei konnte der Verein in dieser Zeit allerdings noch nicht ankommen, wie das Ergebnis der Stadtratswahl im August 1873 deutlich zeigt.673 In der Folge zerbrach der DABV, ein Teil der Mitglieder schloss sich der seit Februar desselben Jahres bestehenden sozialdemokratischen Gruppierung Eisenacher Ausrichtung unter der Führung von Franz Josef Ehrhart an. Dieser verließ Kaiserslautern allerdings schon im Sommer 1873 aufgrund der starken polizeilichen Beobachtung in Richtung Mannheim.674 Seine Tätigkeit blieb allerdings nicht wirkungslos, auch die Streikbewegung gewann an Fahrt. So legten die Schreinergesellen Kaiserslauterns im Mai 1873 die Arbeit mit der Forderung einer Lohnerhöhung um 25 Prozent nieder.675 Ständig von empfindlichen Haft- und Geldstrafen bedroht, gelang in den Folgejahren die politische Arbeit nur schwerlich.676 Doch schon 1873 kann der harte Kern des Vereins nicht wirklich groß gewesen sein. Die Wochenberichte des pfälzischen Regierungspräsidenten verzeichnen bei den Zusammenkünften zwischen dem 13. Februar und dem 19. September 1873 jeweils nur drei bis 13 Besucher.677 Allerdings erreichten die Sozialdemokraten bei einer öffentlichen Versammlung im August 1874 immerhin 300 bis 400 Zuhörer.678 Unklar ist, ob der Verein nach Ehrharts Weggang formell weiter bestand. Es wurden zwar Versammlungen abgehalten, eine Vereinigung bestand jedoch nach Behördenangaben im Januar 1874 und 1875 nicht.679 Herzog hält dem einen Zeitungsbericht entgegen, der sich auf einen Mitgliedsausweis, datiert auf den 1. Juni 1875, bezieht.680 Weiterhin findet sich auf der Delegiertenliste des sozialdemokratischen Vereinigungskongresses in Gotha im Mai 1875 Ignaz Auer, der sein Mandat laut dieser Liste auch von 60 Parteimitgliedern aus Kaiserslautern erhielt.681 Es ist also wahrscheinlich, dass sich die Sozialdemo- 672 Jacoby überflügelte den nationalliberalen Kandidaten innerhalb der Stadt mit 674, gegenüber 435 Stimmen, vgl. Herzog, S. 41. 673 Vgl. Herzog, S. 39-41. 674 Vgl. Herzog, S. 42/43. Herzog datiert die Gründung des Vereins auf den März 1873. Die erste Versammlung fand allerdings laut den Wochenberichten der pfälzischen Kammer des Inneren bereits am 13. Februar 1873 statt, vgl. Wochenbericht vom 17.2.1873, in: BayHStA, Minn 30981/23. 675 Vgl. Wochenbericht vom 12.5.1873, in: BayHStA, Minn 30981/25. 676 Vgl. Herzog, S. 43. 677 Angegeben sind bei einer Versammlung am 13. Februar 1873 immerhin noch 13 Besucher, am 3. April 1873 waren es nur noch drei, am 19. September 1873 immerhin wieder sechs, vgl. Wochenbericht vom 17.2.1873, in: BayHStA, Minn 30981/23, Wochenbericht vom 7.4.1873, in: BayHStA, Minn 30981/24 und Wochenbericht vom 22.9.1873, in: BayHStA, Minn 30981/27. 678 Vgl. Wochenbericht vom 17.8.1874, in: BayHStA, Minn 30981/32. 679 Vgl. Rauland, Gerd: Der Beginn in der Westpfalz. Die Gründung der SPD in Kaiserslautern, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 118132, hier S. 120. 680 Die Kaiserslauterer Zeitung druckte eine Berichtigung, innerhalb derer sich der Cigarren-Fabrikant H. J. Theobald von der Sozialdemokratie distanzierte und zum Beweis seinen Mitgliedsausweis vorzeigte, aus dem hervorgeht, dass er seine Beiträge vom Januar 1876 nicht mehr bezahlte, vgl. Herzog, S. 44/45. 681 Vgl. Fricke, S. 141. 119 kraten schon vor dem Sozialistengesetz geheim, ohne formelle Anmeldung bei den Behörden organisierten. Das Verzeichnis sozialdemokratischer Vereine in der Pfalz, angelegt im Zuge der Umsetzung des Sozialistengesetzes, verzeichnete 1878 im Bezirk Kaiserslautern nur drei Gewerkschaften mit zusammen 61 Mitgliedern.682 Bei der Reichstagswahl 1878 erreichte der sozialdemokratische Kandidat Dreesbach im gesamten Wahlkreis nur 173 Stimmen.683 Insgesamt war die Bekanntheit der Sozialdemokratie in der Stadt also noch relativ niedrig, was auf Vereinstätigkeit im Untergrund hindeutet. Beispielhaft sei hier auf die Lebenserinnerungen von Daniel Leßwing verwiesen, der zwar schon auf Wanderschaft im Ausland gewesen war, aber als Arbeiter in Kaiserslautern erst 1878 im Zusammenhang mit einer Bekanntmachung zur Umsetzung des Sozialistengesetzes zum ersten Mal von der Existenz einer sozialdemokratischen politischen Richtung erfuhr.684 In Otterberg wurden eher erfolglos Versuche unternommen, einen sozialdemokratischen Arbeiterverein aufzubauen.685 Mehr ist über die frühe Ausbreitung der Sozialdemokratie im nationalliberal dominierten Umland nicht bekannt. Die Frühgeschichte der Sozialdemokratie in Kirchheimbolanden ist noch nicht geschrieben. Eine Ortsgruppe der Eisenacher Richtung wurde im Jahr 1873 gegründet.686 Eine genauere Untersuchung unter Heranziehung aller Akten der örtlichen Gendarmerie wäre angebracht, die Akten der Landespolizei und die Wochenberichte der pfälzischen Regierung geben nur am Rande Aufschluss über die sozialdemokratische Anhängerschaft in Kircheimbolanden. Am 12. April 1876 rief der Neue Socialdemokrat zu einer Versammlung in Neustadt auf, wobei die Einladung sich explizit auch an die Genossen in Kirchheimbolanden wendete.687 Als Schriftführer dieser Konferenz ist ein gewisser Berg in den Akten der Landespolizei verzeichnet, der aus Kirchheimbolanden stammte, allerdings im April 1876 in Kaiserslautern wohnte.688 Im Juni 1878 waren der Polizei in Kirchheimbolanden sechs Sozialdemokraten bekannt.689 In den Verzeichnissen verbotener Vereine und sozialdemokratischer Agitatoren, beide bei Umsetzung des Sozialistengesetzes erstellt, sind keinerlei Personen oder Gruppierungen aus dem nordpfälzischen Landstädtchen eingetragen, genauere Mitgliederzahlen lassen sich also nicht ermitteln. Im September und Dezember 1877 fanden in 682 Verzeichnet ist die Mitgliedschaft der Braunschweiger Metallarbeitergewerkschaft (20 Mitglieder), der Gießener Schneidergenossenschaft (26 Mitglieder) und des Mannheimer Tischlerbundes (15 Mitglieder), vgl. Verzeichnis der sozialdemokratischen p. Vereine, in: BayHStA, Minn 66312. 683 Vgl. Herzog, S. 55. 684 Vgl. Leßwing, S. 70. 685 Der Wochenbericht der pfälzischen Regierung erwähnt eine Versammlung am 23. März 1873 in Otterberg, die allerdings laut Behörden „keinen Anklang“ fand. Eine genaue Besucherzahl ist in dem Bericht nicht angegeben. Vgl. Wochenbericht vom 30.3.1873, in: BayHStA, Minn 30981/24. 686 Vgl. Dietrich, Einigkeit, S. 24. 687 Vgl. „Vermischte Nachrichten“ in: Pfälzer Zeitung vom 13.4.1876, in: LA SP, H-3 929-I. 688 Vgl. Schreiben des Bezirksamts Neustadt an die Regierung der Pfalz vom 18.4.1876, in: LA SP H-3 929-I. 689 Vgl. Schreiben der Gendarmerie Kirchheimbolanden vom 6. Juni 1878, in: LA SP, H-3 929-II. 120 Kirchheimbolanden zwei Versammlungen jeweils mit Dreesbach als Redner statt. Die Besucherzahl lag bei 150, beziehungsweise 200.690 Schon in der zweiten Hälfte der 1870er Jahre waren die ersten sozialistischen Wanderagitatoren in der Gegend aufgetaucht. Allerdings kam es erst 1887 unter dem Sozialistengesetz zur Formierung der Arbeiter in den Steinbrüchen in Form von Gründung eines Steinmetzvereins.691 In Rockenhausen gründete sich gar erst 1920 ein sozialdemokratischer Ortsverein.692 Ansonsten gab es in der Nordpfalz keine Ansätze zu sozialistischen Gründungen. ccc) Ausblick Auch wenn vereinzelt bürgerliche Repräsentanten die Sozialdemokratie unterstützten, war die einflussreichsten politischen Kräfte in Kaiserslautern der Sozialdemokratie gegenüber doch feindlich gesinnt. Die Bandbreite der Gegenmaßnahmen umfasst sowohl von staatlicher als auch von bürgerlicher Seite das gesamte Spektrum von Verhaftungen, Berufsverboten bis zur massiven Anfeindung als „logisch-widersinnig“ und „umstürzlerisch“.693 Politische Arbeit war, nachdem die Sozialdemokratie ab 1873 einmal von der Volkspartei gelöst war, nur äußerst bedingt möglich. Dennoch konnte die Partei einen festen Mitgliederstamm von etwa 60 Personen halten und die Parteiarbeit auch unter dem Sozialistengesetz fortführen. Als erstes gründete sich am 25. März 1882 eine sechs Personen umfassende sozialistische Gewerkschaft der Metallarbeiter. 694 Daneben konnte die Sozialdemokratie durch die linksliberale Zeitung Pfälzische Freie Presse sowie der Tätigkeit des Wahlvereins in der Stadt an Boden gewinnen.695 Seit dem Sozialistengesetz kam die Partei in der Stadt allerdings nur allmählich voran. An der Maifeier der Partei 1891 nahmen nur 300 der geschätzt 12.000 Arbeiter teil. 1898 waren es allerdings schon mehrere tausend. Ein Großteil der Arbeiter schloss sich noch zur Zeit des Sozialistengesetzes der liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaft an.696 Es zeigt sich erneut, dass in Kaiserslautern der Gegensatz zwischen Sozialisten und Linksliberalen nur gering ausgeprägt war. Diese Tradition von 1848/49 hat sich also in der Barbarossastadt sehr lange gehalten. 1905 lebte die Sozialdemokratie im gesamten Wahlkreis in sieben Organisationen mit insgesamt 520 Mitgliedern, damit fiel der Wahlkreis bezüglich der Organisationsdichte hinter dem Wahlkreis Pirmasens-Zweibrücken zurück.697 690 Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren, Kirchheimbolanden, in: BayHStA, Minn 66112. Vgl. Rehberger, Reinhold: „Dem gedrückten Arbeiter zur Seite stehen“. Die Gründung der nordpfälzischen Sozialdemokratie, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 158-169 (Zitiert als: Rehberger, Gründung), hier S. 158/159. 692 Vgl. Rehberger, Anfang, S. 46. 693 Vgl. Herzog, S. 39. 694 Vgl. Krämer, Reinhard: 125 Gewerkschaftsbewegung in Kaiserslautern. Die Metallarbeiter als Schrittmacher, in: Die Rheinpfalz, Ausgabe Kaiserslautern, Nr. 99 vom 28.4.2007. 695 Vgl. Schneider, Arbeiterbewegung, S. 105/106. 696 Vgl. Krämer. 697 Vgl. Breunig, S. 789. 691 121 Im ländlichen Umkreis der Stadt war die Entwicklung unterschiedlich. Die verzögerte Parteibildung im nationalliberal dominierten abgelegenen Bezirk Rockenhausen ist bereits angeklungen ebenso wie die relativ erfolgreiche Parteiarbeit im verkehrstechnisch wichtigen Alsenztal. Zusammenfassend lässt sich sagen, Kaiserslautern entwickelte sich zu einem mittleren Zentrum der Partei, während die Partei den ländlichen Gebieten je nach Verkehrsanbindung Fuß fassen konnte. Abb. 23 18Auch im Wahlkreis 6 wurde die SPD bis zum Ersten Weltkrieg die stärkste Kraft. 122 V Ausblick und Schlussbetrachtung Obwohl die SPD phasenweise durch das Sozialistengesetz in die Illegalität abgedrängt worden war, konnte sich die Partei behaupten und mit der Zeit als wichtiger politischer Faktor in der Pfalz etablieren. In der Vorderpfalz, insbesondere in Ludwigshafen, wo die Organisationsdichte schon 1878 am höchsten gewesen war, konnte sich die Parteiorganisation am schnellsten wieder sammeln. Illegal wurden Parteizeitungen verbreitet und Versammlungen organisiert. Nach Zusammenstößen des Militärs mit Arbeitern im Sommer 1884 in Ludwigshafen, mussten auch die Behörden erkennen, dass die Sozialdemokratie durch polizeiliche Repressionen nicht einzudämmen war. Abb. 25 2Bis zum Ersten Weltkrieg entwickelte sich die SPD zur stärksten Partei in der Pfalz. In der Folgezeit war die Arbeit der Partei nur noch durch schwächere Repressionen belastet. Die Bildung von Arbeiterwahlvereinen wurde akzeptiert,698 auch in Kaiserslautern und Pirmasens konnte die Partei nun wieder an Boden gewinnen. Spätestens ab der Legalisierung 1890 wurde die SPD zum ernstzunehmenden politischen Faktor in der Pfalz. Unter der eher gemäßigten Führung Franz Josef Ehrharts, die sich auch in den zahlreichen Wahlbündnissen mit Linksliberalen und Katholiken zeigt, konnte die Partei immer weitere Teile der Bevölkerung für ihre Ziele gewinnen. Auch in der provinziellen Westpfalz wuchs die SPD nun beständig. Nur im katholischen Gebiet um Germersheim blieb die Partei 698 Vgl. Ehrhart, Franz Josef: 1884. Ein bewegtes Jahr, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 135-141. 123 schwach.699 Dennoch entwickelte sich die Sozialdemokratie insgesamt sehr stark, bei den Reichstagswahlen 1912 erreichte sie erstmals die meisten Stimmen im gesamten Bezirk. Dafür verantwortlich war vor allem die wachsende Anhängerschaft in immer breiteren Schichten der Bevölkerung. Die SPD wurde letztlich zur Partei der Industriearbeiter — ganz wie es ihrem Selbstverständnis entsprach. Dabei sind die eigentlichen Wurzeln der Sozialdemokratie komplexer. In der Gesamtschau bestätigt sich zwar Rohes These, dass sozialer und tradierter Zugang die wichtigsten Ansätze zur Herausbildung der sozialdemokratischen Bewegung wurden. In Ludwigshafen, Lambrecht und Pirmasens war besonders die soziale Situation der wichtigste Faktor zur Parteigründung, auch der kulturelle Aspekt macht sich speziell bei der Betrachtung der Parteigeschichte in Neustadt bemerkbar. Dennoch ist dem, gerade in einer zumindest in Teilen sehr provinziellen Gegend wie der Pfalz, der Aspekt der Verkehrswege700 hinzuzufügen. Eindruckvollstes Beispiel in diesem Zusammenhang ist die verzögerte Entwicklung der Sozialdemokratie in Pirmasens. Nicht zuletzt spielt demnach die Anbindung an die großen Industriezentren, von wo aus der radikalere Flügel der Sozialdemokratie in Deutschland eigentlich ausging, eine große Rolle. Gerade die Beispiele Pirmasens, wo das praktisch überhaupt nicht gegeben war, und Ludwigshafen als gute angebundene SPD-Hochburg machen dies deutlich. Bezeichnend ist auch das Beispiel des Wahlkreises Kusel-Homburg, wo die gesamte politische Entwicklung des 19. Jahrhunderts nur mit jahrzehntelanger Verspätung ankam. Es wäre in diesem Zusammenhang eine interessante Forschungsfrage, ob dieser Faktor mit der zunehmenden und flächendeckenden Verbreitung elektronischer Medien im 20. Jahrhundert an Bedeutung verlor. Man ist leicht geneigt, die geringe frühe Ausbreitung der Sozialdemokratie in Pirmasens in der handwerklich-kleinteilig-patriarchalischen Struktur der dort vorherrschenden Schuhindustrie zu begründen. Die Beispiele Ludwigshafen und Frankenthal zeigen aber deutlich, dass es nicht die Fabrikarbeiter der großen chemischen und Metallindustrie waren, sondern vor allem kleine Handwerker, insbesondere Schuhmacher,701 die zunächst Hauptträger der ersten sozialdemokratischen Organisationen darstellten. Daher fasst dieser Erklärungsansatz zu kurz. Vielmehr ist es das Zusammenkommen der unterschiedlichsten Faktoren, die das Entstehen der Sozialdemokratie ermöglichte. Konfessionelle Aspekte und Enkulturationsmuster gehören ebenso dazu wie staatliche oder unternehmerische Gegenmaßnahmen, aber auch Gegenangebote. 699 Vgl. Fenske, Hans: Jahre des steten Aufstiegs. Die pfälzische Sozialdemokratie 1900-1914, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 197220, hier: S. 200-210. 700 Bei Rohe ist wird Aspekt unter dem Stichwort „Organisationsfaktoren“ angedeutet, siehe Rohe, S. 86. 701 Vgl. Theisohn, S. 19. 124 Die auf die Parteigeschichte im engen Sinn gemünzte Literatur betont bei der Behandlung der demokratischen Arbeitervereine in Edenkoben, Speyer, Neustadt und Kaiserslautern die liberale Führung im Gegensatz zur Sozialdemokratie.702 Eine Unterscheidung, die in Anbetracht des gerade in der Provinz nur ansatzweise ausgeformten Parteiwesens doch äußerst zweifelhaft erscheint. Zumindest zwischen Linksliberalen und früher Sozialdemokratie bestand gerade in der Anfangszeit eine engere Beziehung als es im Nachhinein auf den ersten Blick scheinen mag. Gerade an der Entwicklung in Kaiserslautern lässt sich dies anschaulich belegen. Hinzu kommt, dass die wichtigsten Vordenker des frühen Sozialismus, Lassalle und Marx, selbst eindeutig einen bürgerlichen Hintergrund hatten, was sie noch lange nicht zu Vertretern des Liberalismus macht. Nur weil die Richtungskämpfe — wie der zwischen Bebel, Liebknecht und bürgerlichen Volksparteilern — in der Provinz erst mit zeitlicher Verzögerung ausgetragen wurden, ist die Darstellung der Pfalz als terra incognita der frühen Sozialdemokratie Ende der 1860er Jahre unangebracht. Auch in Anbetracht des eher integrierenden Charakters der pfälzischen Linken, wie er sich bereits 1848 offenbarte, erscheint die Verengung der Parteigeschichte auf statutenmäßig lassalleanische oder bebelianische Arbeitervereine überzogen. Besonders die demokratischen Arbeitervereine der Volkspartei bedürfen also in der bis dato vorwiegend vorderpfälzisch-lassalleanischen sozialdemokratischen Parteigeschichte einer weitergehenden Berücksichtigung. Auch was die Verteilung der Strömungen, die zur Sozialdemokratie hinführten, angeht, erweist sich die Pfalz als repräsentatives Beispiel für Gesamtdeutschland. Die eher in linksliberale Gruppierungen eingehegte süddeutsche Bewegung erlangte in Kaiserslautern weitreichende Bedeutung, die krasse Abspaltung vom Bürgertum der in den preußischen Industriestädten starken Lassalleaner verbreitete sich in den wuchernden Elendsquartieren Ludwigshafens. Die unterschiedlichen innerpfälzischen Stränge der Sozialdemokratie lassen sich in Kontinuität zu 1848/49 gut fassen. Wie bei der Revolution zur Jahrhundertmitte war die Intensität der politischen Mobilisierung und Radikalität von West nach Ost unterschiedlich. In den westlichen Städten Zweibrücken, Pirmasens und Homburg fanden die Sozialisten der 1870er Jahre ebenso wenig Anklang, wie die Revolutionäre 1849. In und um Kaiserslautern fasste eine gemäßigte Opposition Fuß. Die Vorderpfalz war nach wie vor der Brennpunkt der politischen Auseinandersetzung. Nur die Gegenstrategien des Staates waren 1878 schwächer als 1849. So blieben die politischen Führer der Bewegung dieses Mal in der Region, um den Kampf der Sozialdemokratie aus dem Untergrund fortzuführen. Dabei hat die Vorgeschichte mit dem militärischen 702 Vgl. Schneider, Sozialdemokratie, S. 73. 125 Eingreifen Preußens und den ungleich gewaltsameren Repressalien durch das Vereinsgesetz der Reaktionsära der frühen Sozialdemokratie womöglich ein nützliches Narrativ geliefert, um sich als unterdrückte Avantgarde — ganz im Sinn der großen Erzählung des Marxismus — zu präsentieren. Nicht nur in dieser Hinsicht darf der Sozialismus als kleiner Bruder des Liberalismus gelten. 126 VI Anhang VI.1 Tabellarischer Anhang VI.1.1 Bevölkerungsstatistik 1855-1895 Bevölkerungsentwicklung der Gesamtbezirke Bezirksamt: Amtsgericht: 1855: 1861: 1867: 1871: 1875: 1880: 1885: 1890: 1895: Bezirksamt: Amtsgericht: 1855: 1861: 1867: 1871: 1875: 1880: 1885: 1890: 1895: Bezirksamt: Amtsgericht: 1855: 1861: 1867: 1871: 1875: 1880: 1885: 1890: 1895: Bergzabern Dürkheim Bergzabern Annweiler 24425 15214 24078 15430 23735 15708 23054 15164 22934 15854 23516 15765 22976 15468 22091 14990 21639 15828 39639 39508 39443 38218 38788 39281 38444 37081 37467 28485 28459 28561 28072 27929 29043 29135 29211 28696 Frankenthal Frankenthal Grünstadt 19988 24011 20614 24116 21105 24298 21990 22378 23393 21665 25470 22230 28271 22093 30892 21417 33320 21494 Germersheim Germersheim Kandel 27817 27173 29143 27373 29536 27076 25536 26750 26223 27323 26661 28223 25752 27314 25414 27045 25054 27194 St. Ingbert 9306 11863 13494 13984 14920 15789 16426 17431 19672 54990 56516 56612 52286 53546 54884 53066 52459 52248 43999 44730 45403 44368 45058 47700 50364 52309 54814 Homburg Homburg Landstuhl Waldmohr 9680 17621 15863 10155 18302 16863 10653 19227 17928 10693 18906 18216 10938 19856 18726 11840 20935 19760 11649 21255 19995 12333 21239 21154 12987 21840 23139 43164 45320 47808 47815 49520 52535 52899 54726 57966 St. Ingbert Kaiserslautern Blieskastel (1.Teil) Kaiserslautern Otterberg 11636 20942 25127 11933 37060 12128 23991 28001 12778 40779 12643 26137 31618 13044 44662 12150 26134 33657 12626 46283 12861 27781 39201 12930 52131 13316 29105 43379 13507 56886 13388 29814 48849 13529 62378 13786 31217 55280 13855 69135 14412 34084 59791 14229 74020 I Bezirksamt: Amtsgericht: 1855: 1861: 1867: 1871: 1875: 1880: 1885: 1890: 1895: Kirchheimbolanden Kusel Kusel Lauterecken Wolfstein 24521 17203 9706 11651 38560 24503 17777 9690 12038 39505 24179 18552 9612 12169 40333 24378 18582 9387 11744 39713 24268 19091 9470 11838 40399 25368 20161 9807 12452 42420 25310 19899 9792 12263 41954 25050 19982 9856 12147 41985 25488 20559 10083 12226 42868 Bezirksamt: Landau Ludwigshafen Neustadt Amtsgericht: Landau Edenkoben 1855: 37907 25540 63447 25055 35770 1861: 39424 26295 65719 27253 36565 1867: 37955 25347 63302 29206 37764 1871: 33083 23805 56888 32666 39055 1875: 34089 23994 58083 38550 39944 1880: 35928 24728 60656 43871 42310 1885: 35940 25499 61439 51923 43678 1890: 37610 25582 63192 61478 45613 1895: 40429 26325 66754 70297 47351 Bezirksamt: Amtsgericht: 1855: 1861: 1867: 1871: 1875: 1880: 1885: 1890: 1895: Pirmasens Rockenhausen Pirmasens Dahn Waldfischbach Rockenhausen Obermoschel Winnweiler 18684 9363 9766 37813 10668 14650 12979 38297 19985 9667 9996 39648 10650 14909 13041 38600 22241 9968 10594 42803 10794 14958 13054 38806 22260 9351 10486 42097 10557 15115 12936 38608 24902 9501 10817 45220 10581 15039 13014 38634 27297 9797 11106 48200 10747 15474 12982 39203 30244 9425 10714 50383 10442 15666 12863 38971 37349 9092 10919 57360 10186 15859 12509 38554 41850 9317 11293 62460 10037 16120 12358 38515 Bezirksamt: Speyer Zweibrücken Amtsgericht: Zweibrücken Blieskastel (2. Teil) 1855: 24428 28382 1679 30061 1861: 25875 29328 1770 31098 1867: 28117 31139 1791 32930 1871: 26662 30085 1707 31792 1875: 28205 31521 1677 33198 1880: 30397 33576 1846 35422 1885: 31282 33633 1702 35335 1890: 32886 34311 1772 36083 1895: 34787 36357 1819 38176 II Bevölkerungsentwicklung der elf größten Städte der Pfalz: Stadt: 1855: 1861: 1867: 1871: 1875: 1880: 1885: 1890: 1895: Dürkheim Frankenthal Germersheim St. Ingbert Kaiserslautern Landau 5552 5988 8358 5041 10076 11061 5540 6228 9673 6918 12029 12244 5541 6553 10181 7815 15289 11081 5572 7021 6223 8434 17896 6921 5841 7907 6455 9220 22669 7579 6089 9043 6449 9811 26323 8749 6110 1097 6128 10321 31449 9395 6080 13008 6137 10847 37047 11136 6055 14445 5736 12278 40828 13617 Stadt: 1855: 1861: 1867: 1871: 1875: 1880: 1885: 1890: 1895: Ludwigshafen Neustadt Pirmasens Speyer Zweibrücken 2296 7138 6376 11725 8585 3331 7611 7097 12810 8519 4887 8608 8675 14806 9353 7874 9320 8563 13223 8395 12093 10222 10136 14321 9248 15012 11411 12039 15589 10382 21042 12255 14938 16238 10665 33216 15016 21041 17587 11204 39799 15994 24548 19044 12000 Alle Zahlen sind entnommen aus Statistik Bayerns, Wanderungen S. 40-52. III VI.1.2.1 Berufsstatistik von 1882 Anmerkungen: Aufgrund der Darstellung des Zahlenmaterials in der Originalquelle nach Berufsgruppen, nicht nach Bezirken, war die Zitationsweise anhand der Originalquelle nicht praktikabel. Daher verweist diese Arbeit an den entsprechenden Stellen auf die hier wiedergegebene Statistik (Zitiert als: Berufsstatistik). Alle angegebenen Zahlen stammen aus: Königl. statistisches Bureau (Hrsg): Die Ergebnisse der Berufszählung im Königreich Bayern vom 5. Juni 1882, Teil 3. Die bayerische Bevölkerung nach ihrer gewerblichen Thätigkeit = Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern 50 (1886). 1882 bildete Dürkheim noch einen eigenen Bezirk, Ludwigshafen hingegen war noch Teil des Bezirks Frankenthal. Die Angaben zu den Bezirksämtern beinhalten nicht die einzeln aufgelisteten elf größten Städte der Pfalz. Die Einteilung in Berufsgruppen orientiert sich an der Einteilung des königlich-bayerischen statistischen Büros. Die Berufe sind dort infolgende Gruppen untergliedert: I = Kunst- und Handelsgärtnerei, Baumschulen II = Gewerbsmäßige Tierzucht (ohne landwirtschaftliche Nutztiere) III = Bergbau-, Hütten- und Salinenwesen, Torfgräberei IV = Industrie der Steine und Erden V = Metallverarbeitung VI = Maschinen, Instrumente, Apparate VII = Chemische Industrie VIII = Forstwirtschaftliche Nebenprodukte, Leuchtstoffe, Fette, Öle und Firnisse IX = Textilindustrie X = Papier und Leder XI = Holz- und Schnitzstoffe XII = Nahrungs- und Genussmittel XIII = Bekleidung und Reinigung XIV = Baugewerbe XV = Polygraphische Gewerbe XVI = Künstler, künstlerische Betriebe für gewerbliche Zwecke XVII = Handelsgewerbe XVIII = Versicherungsgewerbe XIX = Verkehrsgewerbe XX = Beherbergung und Erquickung. IV Berufsstatistik nach Wahlkreisen: Wahlkreis 1 Stadt Frankenthal BA Frankenthal BA Speyer I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Hauptsumme Beschäftigte Hauptsumme Betriebe 6 6 2 11 120 576 161 257 87 110 14 35 8 19 85 86 48 139 236 308 324 498 937 1145 295 447 2 2 3 8 760 616 28 5 5 22 13 51 397 132 232 65 91 5 209 8 13 109 784 35 46 202 221 230 953 786 890 263 359 Stadt Ludwigshafen Stadt Speyer 3 3 5 5 7 101 1 10 15 235 79 250 129 690 422 41 1 10 63 226 155 5 14 57 245 26 628 4 6 6 31 8 9 19 70 53 228 60 714 266 355 46 144 4 28 1 4 216 276 15 6 18 35 63 79 6 139 41 145 22 696 7 2627 5 35 9 259 21 38 52 135 60 240 313 484 51 468 6 56 1 2 299 492 23 10 31 154 72 159 13 103 58 148 32 62 8 187 7 22 25 37 37 86 98 170 105 747 516 766 66 141 14 78 2 6 341 475 16 1 41 52 80 134 4471 4854 2877 6146 3331 3603 2877 871 1022 1474 V Wahlkreis 2 BA Landau I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Hauptsumme Beschäftigte Hauptsumme Betriebe BA Neustadt 4 7 1 Stadt Dürkheim Stadt Landau Stadt Neustadt 12 5 14 6 16 10 37 20 5 1 83 197 220 450 113 168 8 17 8 5 288 269 46 71 460 601 386 609 1157 1320 403 519 4 15 3 3 958 666 35 2 150 74 292 142 96 313 188 287 95 153 13 22 12 21 182 666 49 380 348 483 295 509 1015 1182 350 522 5135 4619 2 25 4 18 28 63 14 43 4 19 3 12 6 9 18 74 46 95 51 118 180 285 39 115 4 26 2 4 181 171 7 26 28 39 47 15 26 39 78 18 70 6 12 8 20 17 19 29 50 65 155 65 211 350 483 46 188 11 46 2 4 254 423 17 2 21 31 58 124 9 51 52 116 32 153 3 7 5 36 29 200 27 195 74 215 94 319 384 580 65 165 8 45 2 7 350 509 28 17 30 45 67 125 5545 1162 1979 2805 4112 659 1036 1265 1 1 952 730 31 3 167 93 301 164 VI Wahlkreis 3 I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Hauptsumme Beschäftigte Hauptsumme Betriebe BA GermersBA GermersBA Bergzabern heim heim 3 13 3 4 16 3 27 8 19 10 1 1 81 81 3 216 168 4 156 162 17 210 198 28 92 92 11 117 107 29 10 5 2 72 44 4 19 17 2 23 25 5 185 315 9 149 233 15 60 57 11 119 66 21 628 465 20 736 505 42 263 297 45 334 660 135 751 866 158 815 932 207 283 359 27 369 426 71 5 3 5 20 15 10 2 2 5 4 677 971 98 573 646 122 23 50 10 1 177 141 11 63 73 11 276 315 41 217 131 68 4042 4270 785 3692 4239 481 VII Wahlkreis 4 BA Zweibrücken BA Pirmasens I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Hauptsumme Beschäftigte Hauptsumme Betriebe 1 7 1 1 27 41 84 130 153 85 96 6 18 15 9 156 116 26 38 307 360 246 268 1327 1510 258 314 1 3 1 1 385 231 12 4 4 6 4 1 108 128 221 176 367 73 84 7 8 4 5 250 181 82 558 372 423 253 357 756 882 287 398 1 1 407 270 16 Stadt St. Ingbert Stadt Pirmasens 2 2 Zweibrücken 2 6 6 20 2 1539 10 477 36 59 8 15 3 19 3 17 8 6 13 20 24 38 55 115 146 194 26 51 4 8 1 8 19 35 69 16 38 2 4 3 11 2 4 24 223 48 83 58 139 1264 2823 53 184 5 17 274 314 13 6 13 15 56 83 9 19 56 220 27 393 4 11 4 12 34 273 31 91 91 243 89 320 334 643 51 244 7 25 1 3 312 354 17 2 21 21 88 154 156 33 195 81 65 27 274 287 127 111 7 1 30 29 68 56 3343 4185 2757 4038 3048 3356 3162 572 1876 1183 VIII Wahlkreis 5 BA Homburg I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Hauptsumme Beschäftigte Hauptsumme Betriebe BA Kusel 1 1 4 1 6 362 64 216 234 404 106 116 9 10 20 26 177 160 49 71 362 419 380 457 857 980 268 423 3 5 4 5 644 446 28 1 4 55 122 670 238 402 136 184 5 5 17 20 152 210 46 112 257 310 273 357 838 963 336 609 4 8 5 14 512 387 21 165 55 268 92 78 19 274 159 4249 4484 3649 3311 2 IX Wahlkreis 6 BA Kaiserslautern I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Betriebe Beschäftigte Hauptsumme Beschäftigte Hauptsumme Betriebe BA Kirchheimbolanden Stadt Kaiserslautern 5 13 2 4 20 1 1 490 381 30 1 294 99 219 98 2 20 123 488 262 561 147 233 13 17 11 40 180 158 61 163 344 454 455 536 1155 1464 496 737 2 35 6 8 885 686 41 1 104 44 359 198 1 147 19 257 86 715 55 1031 11 154 5 36 35 1093 52 106 178 595 173 780 547 766 116 676 14 86 1 5 553 813 38 8 63 105 111 222 4852 5856 7615 3370 5653 2062 3 2 14 103 406 197 558 103 141 7 67 9 16 183 889 30 39 300 359 248 320 762 893 389 569 X VI.1.2.2 Anzahl der BASF-Arbeiter (Ludwigshafen) von 1865 bis 1900 Zahlen nach Breunig, S. 29. 1865: 1870: 1875: 1880: 1885: 1890: 1895: 1900: Anzahl der Arbeiter 30 520 835 1536 2377 3600 4450 6299 VI.1.3 Konfessionsstatistik 1911 Alle Zahlen entnommen von Statistik Bayerns, Gemeindeverzeichnis. VI.1.3.1 Konfessionen in Städten Anmerkung: Aus unbekannten Gründen waren die Konfessionsdaten für die Stadt Landau nicht in der Quelle abgedruckt. Dürkheim Frankenthal Germersheim St. Ingbert Kaiserslautern Katholisch: 1116 6970 3665 13540 19332 Protestantisch: 5093 11205 2107 3632 34005 Gesamt: 6523 18779 5838 17278 54659 Ludwigshafen Neustadt Pirmasens Speyer Zweibrücken Katholisch: 39939 7423 12664 9996 4827 Protestantisch: 40895 11403 24599 12540 9992 Gesamt: 83391 19288 38463 23045 15250 VI.1.3.2 Konfessionen in gesamten Bezirksämtern (inklusive Städte) Bergzabern Dürkheim Frankenthal Germersheim Homburg Katholisch: 18198 9656 25889 36589 38324 Protestantisch: 20559 18915 40233 19767 36054 Gesamt: 39330 29110 67658 56958 74849 St. Ingbert Katholisch: Protestantisch: Gesamt: Kaiserslautern Kirchheimbolanden Kusel Landau 37042 30537 6645 5033 30546 6393 59821 20162 41448 22870 43647 91573 27480 46730 54024 XI Ludwigshafen Neustadt Pirmasens Rockenhausen Speyer Katholisch: 52115 21023 41526 7912 30829 Protestantisch: 63093 31837 43867 29657 11873 118130 21023 86981 38429 43322 Gesamt: Zweibrücken Katholisch: 15045 Protestantisch: 31808 Gesamt: 47519 VI.1.4 Reichstagswahlergebnisse der Pfalz Alle Zahlen entnommen von Bräunche, Parteien, S. 338-340. Wahlkreis 1 SPD NaLib LiLib DVP Zentrum BdL Sonstige Wahlberechtigt Wähler 1868 5026 5819 16350 10853 1871 7972 2889 18430 10871 21354 17024 1874 752 10839 5402 1877 1708 10012 5414 335 23619 17476 1878 1679 9482 5399 612 24096 17180 1881 2912 6541 47 3170 298 24306 13011 1884 4822 8516 1081 4752 25866 19183 1887 4052 12986 6793 27794 23848 1890 5993 10379 1088 6068 29222 23540 1893 7433 12103 407 6130 31289 26158 1898 12008 9304 398 6566 35365 28415 1903 16567 6990 8095 41754 36507 1907 18539 13708 8169 44931 40585 1912 21811 10786 10247 49440 43213 XII Wahlkreis 2 SPD NaLib LiLib DVP Zentrum BdL Sonstige Wahlberechtigt Wähler 1868 9701 1526 22009 11227 1871 9315 219 24121 9556 1874 14556 6150 25871 20766 1877 851 11392 4955 570 27154 17787 1878 327 11210 4818 1079 27823 17438 1881 127 7397 2794 236 27121 14956 1884 215 11114 5700 4751 27799 21789 1887 365 13776 10627 11187 28198 23848 1890 8799 11972 10266 4934 28360 23123 1893 1670 11582 4594 5623 29678 22849 1898 3502 8086 3838 5623 30610 21113 1903 5549 12295 8236 32680 26190 1907 6340 14613 8767 33485 29825 1912 8442 11652 34619 30569 3989 404 10369 Wahlkreis 3 SPD NaLib LiLib DVP Zentrum BdL Sonstige Wahlberechtigt Wähler 1868 6893 6452 16653 13141 1871 7355 2114 17688 9471 1874 9645 7259 19217 16943 1877 9423 7740 274 20112 17442 1878 8684 6496 313 20140 15507 1881 5483 41 4255 121 19142 9915 1884 8606 84 7080 18714 15773 18931 16711 18484 14125 1887 9357 7319 1890 230 7615 137 6125 1114 1893 757 6700 5946 18656 14557 1898 1198 6432 6060 19348 13771 1903 1397 8225 8223 20632 17889 1907 1547 9102 8584 21414 19295 1912 2696 6295 8129 21731 19449 2188 XIII Wahlkreis 4 SPD NaLib LiLib DVP Zentrum BdL Sonstige Wahlberechtigt Wähler 1868 8199 4036 15852 12274 1871 7564 4112 18285 11985 1874 9308 8581 20339 17920 1877 9234 8319 22014 18033 1878 8347 8031 22219 17248 1881 7610 5605 21560 13245 1884 8911 8015 21742 17011 69 1887 27 11458 9264 22897 20755 1890 1995 9645 137 7364 23589 19168 1893 1845 9504 771 8296 25098 20485 1898 2865 9119 160 9259 29039 21483 1903 5323 10866 11471 31737 28142 1907 5720 12224 12467 33667 30493 1912 8564 10958 11722 36564 32620 411 1248 Wahlkreis 5 SPD NaLib 1868 8988 1871 8290 1874 LiLib DVP Zentrum BdL Sonstige Wahlberechtigt Wähler 15408 8993 284 16671 8619 10908 4189 17991 15099 1877 9521 3755 381 18742 13669 1878 8936 3402 62 19258 12407 1881 5998 2257 18581 10757 1884 7517 3562 18937 12835 19665 16125 19791 12321 20175 13121 22118 10834 24044 17106 25739 20523 27158 21064 1887 1752 11332 4786 1890 94 8238 33 1893 99 9095 1848 1898 580 6709 3502 1903 1744 5029 5026 5237 1907 1711 5236 11595 1912 3655 5897 3924 2044 11419 1898 XIV Wahlkreis 6 SPD NaLib LiLib DVP 1868 Zentrum 7217 1871 10576 1874 11209 1877 9611 421 162 BdL Sonstige Wahlberechtigt Wähler 442 19539 7760 54 21036 10630 3421 22984 15081 3098 1549 22592 14430 67 3165 1578 24486 14813 646 24298 11901 25165 14871 1878 173 9821 1881 117 5687 47 3642 1728 1884 335 7020 499 4833 2182 1887 616 12978 9045 26268 22639 1890 1659 10108 5916 2487 26627 20179 1893 2525 9948 4888 2551 27480 19948 1898 4993 784 4219 2855 6078 29391 19015 1903 7009 8024 4248 6114 32045 25450 1907 7629 273 4413 10979 33414 27475 1912 11306 8401 34863 29600 4072 44 9770 Pfalz SPD NaLib 1868 LiLib DVP 38807 1871 Zentrum 752 66465 1877 2559 59193 1878 2179 56480 1881 3156 38716 1884 5372 1887 Sonstige Wahlberechtigt Wähler 7217 18277 105811 9399 116231 61200 421 35001 127756 102833 51072 1874 BdL 162 64248 33278 3585 134233 98837 67 31311 4500 138022 94593 4124 6513 19809 1301 135008 73785 51684 7433 6585 30342 138223 101461 5060 71887 15413 9045 23376 143753 124855 1890 10850 57957 11661 5916 25968 146073 112456 1893 14329 58932 5772 4888 29705 1114 152376 117118 1898 25146 40434 4396 4219 33865 6078 164871 114631 1903 37589 43404 8024 45299 16507 182892 151284 1907 41486 49647 273 47636 22574 192650 168197 1912 56474 45588 8401 30098 34994 204375 176515 4072 2044 1942 XV VI.2 Bildnachweis Abbildung 1 Deckblatt, Wahlkreisgrenzen nach Bräunche im Anhang (keine Seitenzahl). Einfärbung nach Organisationsdichte in den Wahlkreisen, vgl. Breunig S. 789, verrechnet mit Bevölkerungsdaten. Die einzelnen Gemeindegründungen ergaben sich aus einer Gesamtschau der in diese Arbeit eingeflossenen Daten. Abbildung 2 Jahreszahlen und Einzelheiten ergaben sich aus einer Gesamtschau der für diese Arbeit verwendeten Literatur. Abbildung 3 Konfessionskarte orientiert an: Karte über Verteilung der Konfessionen im deutschen Reich, auf den Internetseiten des Instituts für Mathematik der Universität Augsburg, am 7.3.2012 online unter: http://www.rosuda.org/~theus/Blog/wikimap.png Die Bezeichnung als „hegemoniale Gemeinde“ folgt der Einteilung von Thomas Welskopp, vgl. Welskopp, S. 138-144. Abbildung 4 Die in der ersten Karte aufgezeigte naturräumlich Gliederung orientiert sich an den Ausführungen von Weidmann, Schulgeschichte, S. 222-231. Die Darstellung des Eisenbahnnetzes folgt dem Netzplan der Reichsbahndirektion Ludwigshafen, abgedruckt bei Kermann, Verkehr, S. 149. Die Darstellung der industriellen Entwicklung in der Pfalz orientiert sich an Kermann, Verkehr, S. 131-140. Abbildung 5 Karikatur entnommen dem Pfälzisch-Badischen Volksblatt, No. 35 vom 31. August 1878, in: BayHStA, Minn 66312. Abbildungen Bevölkerungsentwicklung, vgl. Tabelle S. I-III. 6,10,13,16,19,22 Abbildung 7 Anzahl der BASF-Arbeiter, vgl. Tabelle, S. XI. Abbildungen Zur Karte: Einteilung in Wahlkreise wie Abb. 1. Konfessionskarte orientiert an 8,11,14,17,20,23 Bold, L.: Religions-Karte der Pfalz (Bayern) nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910, am 7.3.2012 online unter: http://daten.digitalesammlungen.de/bsb00006533/image_6. Konfessionsstatistik, vgl. S. XI/XII. Berufsstatistik, vgl. S. IV-X. Die Einteilung in Berufsgruppen erfolgte nach folgendem Schema: Industrie: III,IV,V,VI,VII,IX,X,XII Handwerk und klassische Berufe Holz Bürgerliche Berufe I,II,XIII,XIV,XV,XIX,XX VIII,XI XVI, XVII,XVIII Abbildungen Vgl. Reichtagswahlergebnisse, S. XII-XV. 9,12,15,18,21,25 XVI VII Literatur und Quellen VII.1 Quellenverzeichnis VII.1.1 Ungedruckte Quellen VII.1.1.1 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München (=BayHStA) Wochenberichte der pfälzischen Regierungspräsidenten Wochenbericht vom 1. Juli 1872, Minn 30981/20. Wochenbericht vom 11. März 1872, Minn 30981/21. Wochenbericht vom 22. September 1873, Minn 30981/27. Wochenbericht vom 11. November 1872, Minn 30981/22. Wochenbericht vom 25. November 1872, Minn 30981/22. Wochenbericht vom 2. Dezember 1872, Minn 30981/22. Wochenbericht vom 17. Februar 1873, Minn 30981/23. Wochenbericht vom 17. März 1873, Minn 30981/24. Wochenbericht vom 7. April 1873, Minn 30981/24. Wochenbericht vom 12. Mai 1873, Minn 30981/25. Wochenbericht vom 10. August 1874, Minn 30981/32. Wochenbericht vom 17. August 1874, Minn 30981/32. Statistik der sozialdemokratischen Vereine 1878 Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren im Königreich Bayern, Minn 66312. Verzeichnis der sozialdemokratischen p. Vereine, Minn 66312. Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren, Bezirksamt Speyer, Minn 66312. Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren, Bezirksamt Frankenthal, Minn 66312. Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren, Amtsbezirk Kirchheimbolanden, Minn 66112. Verzeichnis der socialdemokratischen Agitatoren, Amtsbezirk Pirmasens, Minn 66312. Schriftverkehr Schreiben an das Innenministerium vom 11. September 1878, Minn 66312. Schreiben an Staatsminister von Braun vom 22. Juni 1869, Minn 66310. Zeitungsartikel Westricher Zeitung vom 13. Juni 1869, MInn 46098. Pfälzisch-Badisches Volksblatt, No. 34 vom 24. August 1878, Minn 66312. Pfälzisch-Badisches Volksblatt, No. 35 vom 31. August 1878, Minn 66312. XVII VII.1.1.2 Landesarchiv, Speyer (=LA SP) Schriftverkehr Schreiben des Bezirksamts Neustadt an die Regierung der Pfalz vom 18.4.1876, H-3 929-I. Schreiben der Gendarmerie Kirchheimbolanden vom 6. Juni 1878, H-3 929-II. Flugblätter „Wahlaufruf der Arbeiterpartei des Wahlkreises Speyer Frankenthal!“, H-3 929-II. Zeitungsartikel Mainzer Abendblatt, No. 35 vom 10. Februar 1865, H-3 929-II. Speirer Zeitung vom 1. Juli 1870, H-3 929-I. Pfälzer Zeitung vom 13. Juli 1872, H-3 929-I. Die Rheinpfalz vom 13. August 1873, H-3 930. Pfälzische Post vom 14. August 1873, H-3 930. „Vermischte Nachrichten“ in: Pfälzer Zeitung vom 13.4.1876, H-3 929-I. „Vermischte Nachrichten“ in: Pfälzer Zeitung vom 13.4.1876, H-3 929-I. Pfälzisch-Badisches Volksblatt, Probenummer September 1877, H-3 929 II. Pfälzisch-Badisches Volksblatt, Nummer 11, März 1878, H-3 929-II. VII.1.2 Gedruckte Quellen Biefang, Andreas (Hrsg.): Der deutsche Nationalverein 1859-1867. Vorstands- und Ausschußprotokolle, Düsseldorf 1995. Grenner, Karl Heinz (Hrsg.): Katholizismus und wirtschaftlicher Liberalismus im 19. Und 20. Jahrhundert (Beiträge zur Katholizismusforschung. Reihe A, Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus, Bd. 12), Paderborn 1998. Na’Aman, Shlomo (Hrsg.): der deutsche Nationalverein. Die politische Konstituierung des deutschen bürgertums 1859-1867, Düsseldorf 1987 (Zitiert als: Na’Aman, Konstituierung). Rieß-Stumm, Susanne (Hrsg.): Die Pfälzische Revolution 1848/49. Quellen und Dokumente, Speyer 1998. VII.1.3 Statistische Quellen Königliches statistisches Bureau (Hrsg): Die Ergebnisse der Berufszählung im Königreich Bayern vom 5. Juni 1882, Teil 3. Die bayerische Bevölkerung nach ihrer gewerblichen Thätigkeit = Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern 50 (1886) (Zitiert als: Berufsstatistik, vgl. Fußnote 8). Königliches statistisches Landesamt (Hrsg.): Das Heimat- und Armenwesen in Bayern. Statistische Unterlagen zur Reform der bayer. Heimat- u. Armengesetzgebung = Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern 83 (1911) (Zitiert als: Statistik Bayerns, Heimatwesen). XVIII Königliches statistisches Landesamt (Hrsg.): Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910und dem Gebietsstand vom 1. Juni 1911 = Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern 84 (1911) (Zitiert als: Statistik Bayerns, Gemeindeverzeichnis). Königliches statistisches Landesamt (Hrsg.): Bayern und seine Gemeinden unter dem Einfluß der Wanderungen während der letzten 50 Jahre = Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern 69 (1912) (Zitiert als: Statistik Bayerns, Wanderungen). VII.1.4 Internetquellen Brief von Karl Marx an Arnold Ruge vom Mai 1843, am 22.3.2012 online unter: http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_337.htm. Eisenacher Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, am 6.10.2011 online unter: http://www.marxists.org/deutsch/geschichte/deutsch/spd/1869/eisenach.htm. Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes (Zitiert als: GWO), am 7.3.2012 online unter: http://de.wikisource.org/wiki/Gewerbeordnung_f%C3%BCr_den_Norddeutschen_Bund. Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes, Einführungsgesetz für Bayern, am 7.3.2012 online unter: http://de.wikisource.org/wiki/Gesetz,_betreffend_die_Einf%C3%BChrung_der_Gewerbeordnung _des_Norddeutschen_Bundes_in_Bayern. Volkswirtschaftlicher Kongreß, in: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 243, am 7.3.2012 online unter: http://www.zeno.org/Meyers1905/A/Volkswirtschaftlicher+Kongre%C3%9F. VII.1.5 Lebenserinnerungen Ehrhart, Franz Josef: 1884. Ein bewegtes Jahr, in: Die pfälzische Sozialdemokratie. Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen bis 1948/49, hrsg. v. M. Geis und G. Nestler, Speyer 1999, S. 135-141. Feldmüller, Jean: Die Arbeiterbewegung in der Pirmasenser Schuhindustrie, in: Bei Uns Daheim 6 (1930), S. 21-134. Leßwing, Daniel: Wie ich unter dem Sozialistengesetz Sozialdemokrat wurde. Erlebnisse von Daniel Leßwing, Kaiserslautern (Aufgezeichnet im Jahre 1930), in: Weißt du noch. Ein Buch der Erinnerung gewidmet unsern Jubilaren, hrsg. v. Sozialdemokratischen Partei Bezirk Pfalz, Ludwigshafen 1948, S. 70-82. Sturm, Anton: Was mir die alten Mundenheimer erzählen, in: Weißt du noch. Ein Buch der Erinnerung gewidmet unsern Jubilaren, hrsg. v. Sozialdemokratischen Partei Bezirk Pfalz, Ludwigshafen 1948, S. 83-96. Queva, Josef: Auf geht die Saat, in: Bei Uns Daheim 4 (1928), S.13-64. XIX VII.2 Sekundärliteratur VII.2.1 Monographien o.Verf.: 60 Jahre SPD-Ortsverein Homburg. Festschrift zu den Jubiläumstagen 3. Bis 10. Juni 1972, Homburg o. J. (1972) (Zitiert als: 60 Jahre SPD Homburg). Bude, Heiner: Man nannte sie „rote“ Kapläne. Priester an der Seite der Arbeiter, Skizzen zur christlichen Sozialtradition, Kevelaer 1989. Dietrich, Werner A.: Anfänge gewerkschaftlicher Organisation im Lambrechter Tal. Ursprünge, Entwicklung, Stabilisierung und erste Erfolge, Neustadt 1990 (Zitiert als: Dietrich, Gewerkschaftliche Organisation). Dietrich, Werner A.: In der Einigkeit liegt die Kraft. Geschichte der Arbeiterbewegung in der Region Neustadt/ Südpfalz 1832-1984, Neustadt 1991 (Zitiert als: Dietrich, Einigkeit). Döhn, Hans: Kirchheimbolanden. Die Geschichte der Stadt, Kirchheimbolanden 1968. Ebenau, Michael / Kuffler, Alfred: Es gilt den Kampf. Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Frankenthal 1832-1949, Kösching 1984. Eisfeld, Gerhard: Die Entstehung der liberalen Parteien in Deutschland 1858-1870. Studie zu den Organisationen und Programmen der Liberalen und Demokraten, Hannover 1969. Eschner-Becker, Stienke: Die Grube Dudweiler und die Berginspektion IV (1816-1919). Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Staatsbergbaus an der Saar, Saabrücken 1988. Fricke, Dieter: Handbuch zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1869-1917, Berlin (Ost), 1987. Grebing, Helga: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Frankfurt 1975 (6. Aufl.) (Zitiert als: Grebing, Arbeiterbewegung). Grebing, Helga: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 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Von der Verlagsgründung bis zum Ende der Weimarer Republik, in: Empor zum Licht, hrsg. v. Horst Heidermann und Rüdiger Zimmermann, Bonn 2006, S. 13-57, am 22.3.2012 online unter: http://library.fes.de/pdf-files/bibliothek/04566.pdf. Marx, Karl: Folgen des 13. Juli 1849, am 22.3.2012 online unter: http://www.mlwerke.de/me/me07/me07_064.htm. Tenfelde, Klaus: Arbeitsbeziehungen und gewerkschaftliche Organisation im Wandel, am 22.3. 2012 online unter: http://www.bpb.de/publikationen/J3OYJX,2,0,Arbeitsbeziehungen_und_gewerkschaftliche_Organ isation_im_Wandel.html. Thomes, Paul: Zwischen Landwirtschaft und Industrie. Soziale und wirtschaftliche Strukturen (1800-1970), in: Der Saarpfalz-Kreis, Stuttgart 1993, S. 126-151, Zusammenfassung am 22.3.2012 online unter: http://www.saarpfalzkreis.de/buergerservice/informationen/auf_einen_blick/geschichte/1290.htm. XXVII VII.2.7 Einleitungen zu Quellenbänden Biefang, Andreas: Einleitung zum Quellenband: Der deutsche Nationalverein 1859-1867. Vorstands- und Ausschußprotokolle, Düsseldorf 1995. Kermann, Joachim: Einleitung zum Quellenband: Texte zur Landesgeschichte. Soziale Lage im 19. Und beginnenden 20. Jahrhundert am Beispiel von Quellen aus dem Landesarchiv Speyer, Speyer 1977. XXVIII