Das Boomen des Guten Warum die Wirtschaft Ethik lernen muss – und wir auch Die Diskussion um die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen ist eine Neuauflage der wirtschaftsethischen Debatte. Seit Jahrhunderten geht es dabei um die Frage, ob wirtschaftlicher Erfolg und Gerechtigkeit zusammengehen. von Dr. Christian Friesl Ethische Fragen hatten in unserer aufgeklärten Gesellschaft lange den Beigeschmack des Moralisierens und wurden als Behinderung der persönlichen Freiheit gesehen. Diese Stimmung hat umgeschlagen. Das Vertrauen in die Selbstregulierungskraft von Wirtschaft und Politik ist eingebrochen, der Ruf nach Ethik wird von allen Seiten lauter. Ethik als Preis der Freiheit Der hohe Stellenwert der Ethik hat zunächst damit zu tun, dass die gemeinsamen gesellschaftlichen Überzeugungen brüchiger geworden sind. Während es bis in die vergangenen 60er Jahre einen relativ intakten Rahmen von allgemein anerkannten Überzeugungen und Normen gab, haben Individualisierung und Pluralisierung dessen Lockerung bewirkt. Moral- und Sinnfragen werden der privaten Überzeugung überlassen und in den persönlichen Verantwortungsbereich gelegt. Gemeinsame Verbindlichkeiten beziehen sich auf kaum mehr als allgemeine – wenn auch wichtige – Prinzipien wie Freiheit, Menschenrechte und Demokratie. In der privaten Sphäre mit ihrer gestiegenen Individualität wächst aber die Notwendigkeit, Entscheidungen treffen zu müssen: moralische, berufliche, private, politische. Nicht entscheiden geht nicht. Während früher soziale Milieus, religiöse oder politische Institutionen Entscheidungen mindestens vorbestimmten, sind moderne Menschen zu eigenem Entscheiden sowohl befreit als auch verdammt. Die Individualisierung bringt neben mehr Freiheit und Selbstbestimmung eben auch den „Zwang zur Wahl“ (Ulrich Beck). Diese Tendenz evoziert Orientierungsbedarf und die Frage nach Kriterien für das eigene Entscheiden. Die Suche danach führt zwangsweise zu einer größeren Offenheit gegenüber ethischen Fragestellungen. Ethik ist ein Preis, den wir für unsere gewonnene Freiheit bezahlen, eine logische Gegenbewegung zu Individualisierung und Pluralisierung. Wirtschaft mit oder ohne Ethik? Auch in der Wirtschaft selbst wächst der Bedarf nach Ethik. Die Globalisierung und ihre Folgen, das Platzen der Dotcom-Blase mit enormen Verlusten an Börsenkapitalisierung, die Bilanzskandale in den USA und Europa oder der BAWAG-Skandal in Österreich liefern ethisches Diskussionsmaterial im Übermaß. 12 Wie viel Ethik die Wirtschaft braucht, war schon immer eine umstrittene Frage. Jene Positionen, welche die Wirtschaft „ethikfrei“ halten möchten argumentieren, dass Ethik ökonomisch nicht vertretbar sei und einen Wettbewerbsnachteil bedeute. Die Unternehmen sollen von ethischen Ansprüchen freigehalten werden, für Ordnung habe die Politik zu sorgen, sie soll Auswüchse der unternehmerischen Freiheit einschränken. Eine saubere Trennung: Im Wirtschaften zählt Leistung, Wertsteigerung und Erfolg, Ethik und Moral werden der Politik überlassen. Die Realität der modernen gesellschaftlichen Entwicklungen lässt schwere Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer solch sterilen Distanz zwischen Wirtschaft und Ethik aufkommen. Die Politik ist mit der Rolle als alleiniger „Regulator“ überfordert, sie hat – nicht zuletzt im Zuge der Globalisierung – an Steuerungskapazität eingebüßt. Im eigenen Interesse und im Interesse der Gesellschaft sind Unternehmen daher immer stärker herausgefordert, sich gesellschaftlich einzubringen und „die Gestaltung einer Rahmenordnung für die Weltgesellschaft selbst aktiv voranzutreiben“ (Karl Homann). Insgesamt vernetzen sich Unternehmen und Gesellschaft zunehmend: Gerade in Europa interessieren sich die Menschen immer stärker für das Handeln der Wirtschaft und immer stärker sind sie als MitarbeiterInnen, KundInnen oder InvestorInnen daran beteiligt. Dazu kommt eine gewachsene Bedeutung von Medien und NGOs, die den Dialog zwischen Wirtschaft und Ethik mitbestimmen. Je mehr Spieler im Realmonopoly beteiligt sind, desto stärker wird auch der Bedarf nach ethischen Antworten. Nachdem es der Ethik gerade nicht um das Eigeninteresse einzelner sondern um die Frage geht, wie verschiedene Interessen gegeneinander abgewogen und zueinander in Beziehung gesetzt werden können, entwerfen sich Positionen des „sowohl – als auch“. Hier einige Gedanken aus dem aktuellen Reservoir der Wirtschaftsethik. Die Wirtschafts-Treibenden In der christlichen Soziallehre gilt als ein Hauptparadigma, dass der Mensch Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen – also auch der Wirtschaft – sein muss. In der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts scheint dieses Paradigma seiner Verwirklichung nahe: Dass der Kunde „König“ ist (und natürlich die Kundin „Königin“) wissen wir schon lange. doppel punkt 2/2006 Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens sind ein entscheidender Erfolgsfaktor und sie werden noch an Bedeutung gewinnen. In einer Gesellschaft, die einerseits schrumpft und andererseits immer mehr auf Kreativität und Wissen basiert, wird der „Wettbewerb um die besten Köpfe“ immer intensiver. Relativ neu ist, dass Privatpersonen als Investoren eine immer größere Rolle spielen. 2005 war das erste Jahr, in dem die österreichischen Haushalte mehr Geld in Fonds angelegt haben als in klassischen Sparformen. Wer Wirtschaft und Ethik trennen will, irrt, weil sich Wirtschaft und die Menschen nicht trennen lassen. Wir alle sind in dieser Wirtschaft beteiligt und verantwortlich. Und alle wollen wir gewinnen: Die Unternehmen an Wertsteigerung, die AktionärInnen an Dividenden, die MitarbeiterInnen an Gehalt, die SparerInnen und InvestorInnen an Renditen. Das „Gewinn-Ego“ ist keine Eigenheit der Unternehmen. Wir Wirtschafts-Treibende kennen es alle. Eigenverantwortung und Subsidiarität Wirtschaft und Gesellschaft haben sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm verändert: Die Globalisierung ist ein Faktum geworden. Kapital und Wissen haben als Erfolgsfaktoren stark an Bedeutung gewonnen. In der Arbeitswelt sind die körperlichen Belastungen und die Arbeitszeiten gesunken, die Leistungsanforderungen aber deutlich gestiegen. Auch die gesellschaftliche Rollenverteilung hat sich geändert: Wenn immer mehr Unternehmen an die Börse gehen oder Fonds gehören, mit denen wir wieder unsere Pensionen sichern, ist nicht mehr so klar, wer ArbeitgeberIn und ArbeitnehmerIn, EigentümerIn oder KonsumentIn ist. Wir haben immer mehr Rollen in Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Interessensvielfalt macht es schwieriger, „das Ganze“ der Gesellschaft und ihre gemeinsamen Werte zu definieren. Damit sinkt die Steuerungsmöglichkeit der Politik, umgekehrt steigen der Ethikbedarf und der Anspruch an die Eigenverantwortung. Die Wirtschaftethik fordert deshalb die Unternehmen auf, sich nicht nur als ökonomische Systeme zu sehen, sondern sich auch ökologisch und sozial zu engagieren. Das Modell der Corporate Social Responsibility ist die angemessene Reaktion der Untenehmen. Die Bürgerinnen und Bürger sind aufgefordert, sich lebenslang zu bilden, auch bei den Pensionen, der Gesundheitsvorsorge und im sozialen Umfeld ist Eigeninitiative gefragt. Für den zunehmenden Bedarf an Eigenverantwortung hält die christliche Sozialehre die Idee der Subsidiarität bereit, die anregt, gesellschaftliche Probleme dort anzugehen, wo sie am besten gelöst werden können. Subsidiarität bedeutet das Zumuten und Zugestehen von Eigenverantwortung. Sie ist ein Mahnmal für Politik, Wirtschaft und uns alle, Verantwortung zu übernehmen und nicht abzuschieben. Erfolg und Verantwortung Der österreichische Jesuit Johannes Schasching, einer der großen Männer der christlichen Soziallehre, hat eine legendäre Formel für die Wirtschaftethik entworfen. Sie lautet: „Wir müssen sachgerecht, menschengerecht und gesellschaftsgerecht wirtschaften.“ Im Rahmen ihres CSR-Engagements haben österreichische Unternehmen diese Grundsätze in einem Leitbild aufgegriffen, dem sie den Titel „Erfolgreich wirtschaften – Verantwortungsvoll handeln“ gegeben haben (siehe www.respact.at). Sachgerecht wirtschaften bedeutet dort, die Stärken der Marktwirtschaft zu nutzen, wettbewerbsfähig und gewinnbringend zu arbeiten. Und das auf faire Weise zu tun. Die Menschengerechtigkeit lenkt den Blick auf den partnerschaftlichen Umgang mit MitarbeiterInnen, die Integration von Fremden und die Gleichstellung der Frauen. Gesellschaftsgerecht wirtschaften verlangt unter anderem nach Sorge für die Umwelt und Vorsorge für die kommenden Generationen. Folgt man diesem Leitbild, gehen Erfolg und Verantwortung gut zusammen. Für die Umsetzung in die Praxis braucht es aber mehr: Zum einen die Erkenntnis der Firmen, dass gesellschaftliche Verantwortung eine Grundbedingung moderner Unternehmensführung ist. Andererseits die Bereitschaft der KritikerInnen, die Bemühungen der Unternehmen anzuerkennen und nicht jede gesellschaftliche Aktivität als PR-Gag abzutun. Und hilfreich ist das Bewusstsein beider, dass Wirtschaft und Gesellschaft einander brauchen. a.o. Univ.Prof. Dr. Christian Friesl ist Pastoraltheologe und arbeitet als Bereichsleiter für Gesellschaftspolitik in der Industriellenvereinigung. Zuvor langjährige Tätigkeit am Institut für Pastoraltheologie der Universität Wien und Präsident der Katholischen Aktion Österreich. Kontakt: [email protected] doppel punkt 2/2006 13