Mitteilungen der Juristischen Zentrale

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Mitteilungen der Juristischen Zentrale
REGIONALCLUB
Nr. 37/2013
13.08.2013 AD
Wolfsburg: Hagelschäden an Neuwagen der Volkswagen AG
Sehr geehrte Damen und Herren,
wie aus den Medien zu entnehmen war, wurden am 27.07.2013 während eines
schweren Hagel-Unwetters im VW-Werk Wolfsburg mehrere Tausend Neuwagen
durch Blechbeulen, zerkratzten Lack und zerstörte Scheiben beschädigt.
Bei den betroffenen Käufern bestehen große Unsicherheiten, wie sie sich rechtlich
absichern können, wenn das bestellte Fahrzeug vom Hagelschaden betroffen ist.
Folgende Fragen erreichen derzeit die Juristische Zentrale:
1.
Muss der Käufer einen Neuwagen mit Hagelschaden abnehmen?
2.
Verliert der durch die Hagelkörner beschädigte Neuwagen seine
Eigenschaft als fabrikneu?
3.
Besteht für den Käufer ein Risiko, wenn er trotz Information und
Kenntnis von dem Hagelschaden den Neuwagen ohne Beanstandungen abnimmt?
4.
Was ist zu tun, wenn sich erst nach Abnahme des Fahrzeugs herausstellt, dass ein Hagelschaden vorliegt?
5.
Wann ist ein Rücktritt vom Kaufvertrag möglich?
Wann kommt nur eine Minderung des Kaufpreises in Betracht?
6.
Wie ist die Klausel in den Neuwagen-Verkaufsbedingungen
(NWVB) zu verstehen, wonach im Fall höherer Gewalt ein Leistungsaufschub von bis zu vier Monaten vom Käufer hingenommen
werden muss?
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1.
Muss der Käufer einen Neuwagen mit Hagelschaden abnehmen?
Der Käufer eines hagelbeschädigten Neuwagens sollte noch vor Übergabe des Kfz
vom ausliefernden VW-Händler schriftlich Auskunft über den tatsächlichen Schadensumfang und die hierbei angefallenen Reparaturkosten verlangen. Bis dahin sollte die Abnahme des Fahrzeuges verweigert werden.
Alternativ kann der Käufer mit dem Verkäufer (bitte schriftlich!) vereinbaren, dass der
(vermeintliche) Neuwagen aufgrund des Hagelschadens zunächst nur unter dem
Vorbehalt der Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeuges, der Minderung des
Kaufpreises oder des Rücktritts vom Kaufvertrag angenommen wird. Auf diesem
Weg sichert sich der Käufer alle Rechte gegenüber dem Verkäufer, wenn eine anschließende (gutachterliche) Untersuchung des Fahrzeuges doch eine erhebliche
Beschädigung des Neuwagens ergeben sollte.
Im Fall einer nicht unerheblichen Beschädigung darf der Käufer ohnehin die Abnahme des hagelbeschädigten Fahrzeuges verweigern und darauf bestehen, ein unbeschädigtes Neufahrzeug von seinem Händler ausgeliefert zu bekommen. Dem Fahrzeug fehlt durch die nicht unerhebliche Beschädigung die kaufvertraglich zugesicherte Neuwageneigenschaft (Fabrikneuheit).
Ist der Verkäufer hierzu nach angemessener Fristsetzung (zwei bis drei Wochen)
nicht in der Lage, kann der Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt werden; eventuell geleistete Vorschusszahlungen sind dem Käufer zu erstatten.
2.
Verliert der durch die Hagelkörner beschädigte Neuwagen seine Eigenschaft als fabrikneu?
Dem hagelbeschädigten Fahrzeug fehlt regelmäßig die vertraglich zugesicherte Eigenschaft der Fabrikneuheit, so dass keine Neuwagen mehr von den Händlern an
die wartenden Käufer ausgeliefert werden können.
Betroffene VW-Kunden haben aufgrund des Kaufvertrages Anspruch auf Übergabe
eines mangelfreien Neuwagens. Beim Kauf eines fabrikneuen Fahrzeuges darf der
Käufer erwarten, einen unbeschädigten Wagen zu erhalten, so dass ihm nur ganz
unerhebliche Beschädigungen nicht zu offenbaren sind (BGH vom 18.06.1980, Az.
VIII ZR 185/79 = ADAJUR Dok. Nr. 36031; BGH, Urteil vom 06.02.2013, Az. VIII ZR
374/11 = DAR 2013, 143 und ADAJUR Dok. Nr. 100602).
Etwas anderes kann ausnahmsweise nur dann gelten, wenn Schäden an Neufahrzeugen beseitigt wurden und kein merkantiler Minderwert an dem Fahrzeug verbleibt.
So hat das LG Duisburg (Urteil vom 14.02.2003, Az. 7 S 207/02 = ADAJUR Dok. Nr.
54920) ein verkauftes Fahrzeug immer noch als „fabrikneu“ angesehen, nachdem
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dessen Motorhaube aufgrund einer Beule gegen eine Motorhaube eines anderen
bau- und fabrikgleichen Neuwagens ausgetauscht wurde.
Auch das LG Aachen geht in seiner Entscheidung vom 23.08.2005, Az. 8 O 156/05
(= ADAJUR Dok. Nr. 65415), von einer nach wie vor bestehenden Neuwagenbeschaffenheit aus, wenn eine fachgerechte Nachlackierung aufgrund von Beschädigungen im Herstellerwerk stattgefunden hat, und die Schäden an dem Kfz nicht
erheblich waren.
Dies ist dann der Fall, so das Landgericht, wenn keine Differenz im Farbton feststellbar ist und lediglich Lackkratzer entstanden sind. Allerdings darf keine Verbeulung
der Karosserie vorliegen
Die Beseitigung von Hagelschäden kann klassisch durch Rückverformen, Spachteln
und Lackieren erfolgen. Wurde der Lack durch die Hagelkörner nicht beschädigt,
können die Dellen alternativ mit Spezialwerkzeugen „ausmassiert“ werden, ohne
dass eine Nachlackierung erforderlich ist.
Bei dem geschilderten Hagelschaden muss jedoch aufgrund der entstandenen Lackund/oder Blechschäden – unabhängig von der angewandten Reparaturmethode –
regelmäßig eine erhebliche Beschädigung der Neufahrzeuge angenommen werden.
Damit muss auch und gerade unter Beachtung der Ausführungen und aufgestellten
Grundsätze in den Urteilen der Landgerichte Duisburg und Aachen von einer erheblichen Beschädigung an den VW-Neuwagen ausgegangen werden, so dass die Fabrikneuheit bzw. Neuwageneigenschaft der Fahrzeuge nicht mehr gegeben ist. Erschwerend ist zudem zu berücksichtigen, dass vielfach auch die Scheiben der Neuwagen zerstört wurden.
Des Weiteren ist der Käufer auch gegenüber einem späteren Erwerber über den Hagelschaden aufklärungspflichtig, um sich nicht dem Vorwurf der arglistigen Täuschung auszusetzen.
Der Verkäufer darf sich schließlich auch nicht darauf berufen, dass das Fahrzeug bei
nicht unerheblichen Beschädigungen nach dem Schadensfall wieder fachgerecht
instand gesetzt wurde (BGH vom 10.10.2007, Az. VIII ZR 330/06 = ADAJUR Dok.
Nr. 76255).
3.
Besteht für den Käufer ein Risiko, wenn er trotz Information und Kenntnis von dem Hagelschaden durch den ausliefernden Händler den Neuwagen ohne Beanstandungen abnimmt?
Auf keinen Fall sollte der hagelbeschädigte Neuwagen trotz Kenntnis von diesem
Mangel vom Käufer unbeanstandet übernommen werden, da ansonsten die Gefahr
besteht, dass der Käufer seine Sachmängelhaftungsrechte gegenüber dem Autohändler verliert.
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Wenn der Erwerber nach Kaufvertragsschluss vor bzw. bei Übergabe des Kfz von
Mängeln der Kaufsache erfährt und diese unbeanstandet in Kauf nimmt, ist nach
einer Entscheidung des OLG Celle vom 04.08.2004, Az. 7 U 18/04 (= ADAJUR Dok.
Nr. 60887) ein späterer Rücktritt vom Vertrag sowie eine Anfechtung des Vertrages
wegen arglistiger Täuschung ausgeschlossen.
Das Oberlandesgericht hatte einen Verstoß des Käufers gegen den Grundsatz von
Treu und Glauben nach § 242 BGB (Einwand der Treuwidrigkeit) angenommen
und dessen Klage auf Rücktritt vom Kaufvertrag als unbegründet abgewiesen.
Deshalb ist VW-Neuwagenkunden bei Auslieferung der Fahrzeuge dringend davon
abzuraten, ein Übergabeprotokoll zu unterschreiben, in dem auf den Hagelschaden
hingewiesen und dem Käufer ein pauschaler Minderungsbetrag (modellabhängig)
zugesprochen wird, ohne dass über den tatsächlichen Schadensumfang aufgeklärt
wurde.
4.
Was ist zu tun, wenn sich erst nach Abnahme des Fahrzeugs herausstellt, dass ein Hagelschaden vorliegt?
Nach Übergabe des hagelbeschädigten Kfz sollte ein kostengünstiger ADACGebrauchtwagen-Check (v. a. Lackdichtenmessung) durchgeführt werden, der Aufschluss über den Umfang der Hagelschäden gibt. Wurde der Hagelschaden mit Spezialwerkzeugen ohne Nachlackierung „ausmassiert“, ist eine aufwendigere Untersuchung mit sog. Punktlicht zum Nachweis des Hagelschadens erforderlich.
Ist auf diesem Weg von einem nicht unerheblichen Hagelschaden auszugehen, was
der Regelfall sein wird, sollte der Verkäufer per eingeschriebenen Brief unter angemessener Fristsetzung von zwei bis drei Wochen zur Lieferung eines anderweitigen,
unbeschädigten Neufahrzeuges aufgefordert werden.
Nach ergebnislosem Verstreichen der Frist kann vom Händler eine Minderung des
Kaufpreises verlangt oder der Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt werden.
Wenn der Händler auf die Forderungen seines Kunden nicht eingeht oder überhaupt
nicht reagiert, empfiehlt es sich, rechtlichen Rat einzuholen und dann gegebenenfalls
durch ein selbstständiges Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO: Ein dem eigentlichen
Hauptsacheverfahren vorgeschalteter Rechtsbehelf) gerichtsfest die Mangelhaftigkeit
des vom Hagelschaden betroffenen Fahrzeuges und die Höhe der Wertminderung
feststellen zu lassen.
Die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens können – bei einem Verschulden
des Verkäufers oder nach Mahnung und Fristsetzung – gemäß einer Entscheidung
des Amtsgerichts Marienberg vom 04.08.2006, Az. 2 C 61/06 (= ADAJUR Dok. Nr.
71918), dem Verkäufer in Rechnung gestellt werden.
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5.
Wann ist ein Rücktritt vom Kaufvertrag möglich?
Wann kommt nur eine Minderung des Kaufpreises in Betracht?
Aufgrund der Beschädigung durch die Hagelkörner fehlt den bestellten Neuwagen
die vertraglich zugesicherte Fabrikneuheit, so dass der VW-Händler seine Pflichten
aus dem Kaufvertrag gegenüber dem Kunden nur durch die Lieferung eines anderweitigen Neufahrzeuges erfüllen kann.
Weigert sich der Verkäufer, trotz angemessener Fristsetzung von zwei bis drei Wochen, ein Neufahrzeug anstelle des hagelbeschädigten Kfz zu liefern, hat der Käufer
die Wahl zwischen Minderung des Kaufpreises und Rücktritt vom Kaufvertrag.
Die Feststellung der Höhe der Minderung erfolgt durch gutachterliche und gegebenenfalls richterliche Schätzung.
Gemäß § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ist ein Rücktritt vom Kaufvertrag nur bei erheblichen
Pflichtverletzungen möglich.
Ist der durch den Hagel entstandene Schaden dagegen lediglich geringfügig, hat der
Käufer von Anfang an nur die Möglichkeit, den Kaufpreis zu mindern; ein Rücktritt
vom Kaufvertrag ist dann ausgeschlossen.
Eine eindeutige Wertgrenze für die Erheblichkeit eines Mangels hat die Rechtsprechung für den Fall des Neuwagenkaufs bisher nicht festgelegt. Im Hinblick auf die
Reparaturkosten, die ein wesentliches Beurteilungskriterium für die Frage nach der
Erheblichkeit der Pflichtverletzung darstellen, haben die Gerichte die Erheblichkeitsgrenze für einen möglichen Rücktritt vom Kaufvertrag bisher unterschiedlich beurteilt.
Danach kann ein Rücktritt vom Kaufvertrag bei einem Gebrauchtwagenkauf bei Reparaturkosten von 1 % bis 10 % des Kaufpreises ausgeschlossen sein.
Der BGH hat beispielsweise bei Reparaturkosten von 1.020,00 Euro zur Beseitigung
eines Unfallschadens an einem Gebrauchtwagen eine erhebliche Pflichtverletzung
angenommen, die den Käufer zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigte (BGH vom
12.03.2008, Az. VIII ZR 253/05 = ADAJUR. Dok. Nr. 77621).
In dieser Entscheidung – dies kann als Anhaltspunkt dienen – hat der BGH zudem
festgestellt, dass von einer erheblichen, zum Rücktritt berechtigenden Pflichtverletzung auszugehen ist, wenn sich der Mangel allein in einem merkantilen Minderwert
des Fahrzeugs auswirkt und dieser mindestens 1 % des Kaufpreises beträgt.
6.
Wie ist die Klausel in den Neuwagen-Verkaufsbedingungen (NWVB) zu
verstehen, wonach im Fall höherer Gewalt, ein Leistungsaufschub von
bis zu vier Monaten vom Käufer hingenommen werden muss?
Viele Händler verwenden häufig die NWVB beim Abschluss der Neuwagen-Kaufverträge. Gemäß Abschnitt IV. Ziffer 5 NWVB (Stand 03/2008) hat der Käufer eines
Neuwagens bei höherer Gewalt, wovon bei einem Hagelschaden als elementarer
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Naturkraft auszugehen ist, Lieferverzögerungen von bis zu vier Monaten zu akzeptieren, bevor er vom Kaufvertrag zurücktreten kann.
Die in Abschnitt IV. Ziffer 2 NWVB vereinbarte Überschreitung eines unverbindlichen
Liefertermins bzw. einer unverbindlichen Lieferfrist von bis zu sechs Wochen wird
durch den Leistungsaufschub nach Abschnitt IV. Ziffer 5 NWVB nicht verlängert.
In der juristischen Fachliteratur wird jedoch diskutiert, ob diese Klausel wegen Verstoßes gegen Klauselvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unwirksam
ist. Denn nach § 308 Nr. 1 BGB sind Klauseln unwirksam, durch die sich der Verwender für die von ihm geschuldete Leistung eine unangemessen lange Leistungsfrist vorbehält.
Ob eine Leistungsfrist unangemessen lang ist, ergibt sich aus einer Bewertung und
Abwägung der beteiligten Interessen von Verkäufer und Käufer.
Dabei ist zu Gunsten des Käufers zu berücksichtigen, dass die Leistungsfrist dem
Verkäufer nach herrschender Meinung lediglich ermöglichen soll, die bereits begonnene Erfüllung des Kaufvertrages zu vollenden (sog. Leistungsvollendungsfrist), so
dass sie deutlich kürzer als die ursprünglich vereinbarte Lieferfrist zu sein hat.
In Anbetracht der Tatsache, dass die betroffenen Käufer bereits regelmäßig seit einigen Monaten auf die Auslieferung des Neuwagens gewartet haben, kann ihnen kein
weiteres Abwarten von bis zu vier Monaten zugemutet werden.
Der zusätzliche Zeitvorteil, den der Händler durch die Regelung des Abschnitts IV.
Ziffer 5 NWVB erhält, steht in keinem ausgewogenen Verhältnis zum Planungsbedürfnis des Käufers, so dass von der Unwirksamkeit der Klausel auszugehen sein
dürfte (ebenso Reinking/Eggert „Der Autokauf“, 11. Auflage 2012, Rn. 77).
Eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Klausel nach Abschnitt IV.
Ziffer 5 NWVB liegt allerdings noch nicht vor.
Wenn Sie noch weitere Fragen rund um das Thema haben, helfen Ihnen die Clubjuristen unter der Rufnummer (089) 76 76 – 24 23 gerne weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich May
Leiter Juristische Zentrale
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