Sind der EU-Reservefond von 750 Mrd. Euro bzw. EU-Kredite für verschuldete Euro-Länder eine gute Idee? © Volker Grossmann, Universität Freiburg/Schweiz Wir nehmen an, es gibt zwei Regionen der Euro-Zone, Länder mit „hohen“ und „geringen“ Staatsschulden (wann ein Land als „hochverschuldet“ bezeichnet wird, wird unten definiert). Wir betrachten ein „repräsentatives“ hochverschuldetes Land und die Auswirkung seiner Schulden auf den Euro. Notation i: (Risikoloser) Zinssatz für Staatsanleihen von nicht stark verschuldeten Ländern der Euro-Zone, beeinflusst durch Europäische Zentralbank (EZB) i* : (Risikoloser) Zinssatz für Staatsanleihen ausserhalb der Euro-Zone. ι: Effektiver Zins auf Staatsanleihen hochverschuldeter Länder, die sich ergeben würde, wenn es keinen default gäbe. Diese „hypothetische Rendite“ enthält also eine „Risikoprämie“ (es gilt ι>i) und realisiert sich nur im besten Fall. E: Wechselkurs des Euro (z.B. US$ pro Euro, d.h. Sinken von E bedeutet Abwertung des Euro gegenüber ausländischen Währungen). Ee: Zukünftig erwarteter Wechselkurs des Euro. q: Erwarteter Anteil der Staatsanleihen, der von einem hochverschuldeten zurückgezahlt wird. Ein erwarteter Default von z.B. 30% des Nennwerts bedeutet q=0.7. D: Schuldenquote eines hochverschuldeten Euromitglieds (=Schuldenbestand/BIP). Z: Zinslast eines hochverschuldeten Euromitglieds (relativ zu BIP). ge: Erwartete Wachstumsrate des pro Kopf BIP eines hochverschuldeten Landes. R: Höhe des "Notfallreservefond" der EU und/oder des IMF zugunsten in Zahlungsschwierigkeiten geratener Staaten. Annahmen Wir gehen aus von risikoneutralen Anlegern und vernachlässigbaren Transaktionskosten auf den Finanzmärkten. Ursprünglich seien die Anleger indifferent, einen Euro in Staatsanleihen eines geringverschuldeten Euro-Landes oder im Ausland anzulegen. Somit gilt die Zinsparität 1+i = (1+i*)E/Ee. Zudem müssen die Anleger indifferent sein, einen Euro in einem hoch- oder geringverschuldeten Euroland anzulegen. Die erwartete Rendite im hochverschuldeten Land, (1+ ι)q, muss also 1+i entsprechen. Somit gilt ι = (1+i)/q – 1. Die Zinslast eines hochverschuldeten Landes sei steigend in der effektiven Rendite für seine Staatsanleihen ι und im Schuldenstand D: 1 Wir schreiben mit Hilfe der Funktion z: Z = z(ι,D) Die erwartete Rückzahlungsquote der Staatsanleihen eines Landes sei fallend in Schuldenstand D und in der Zinslast Z. q sei zudem steigend in der erwarteten Wachstumsrate des pro Kopf Einkommens ge (potenzielles Wachstum der Steuerbasis zur Begleichung von Staatsschulden in der Zukunft) und in der Höhe des Rettungsfonds R (da EU-Kredite für verschuldete Länder zur Begleichung der Staatsschulden zugunsten von Altgläubigern verwendet werden können). Wir schreiben mit Hilfe der Funktion f: q = f(D,Z,ge,R). Wir nennen ein Land hochverschuldet (bzw. insolvent) genau dann wenn f(D,Z,ge,0)<1, d.h. falls ohne Vorhandensein eines Fonds zur Kreditvergabe ein default erwartet wird (q<1). 2 Bemerkung: Der mögliche Einfluss der erwarteten Wachstumsrate des pro Kopf Einkommens ge auf die default-Erwartungen kann erklären, warum der US-Dollar und das britische Pfund noch stabiler scheinen als der Euro. Bislang glauben die meisten Finanzmarktakteure offenbar noch, dass die USA und GB in der Zukunft ein ausreichend hohes ökonomisches Wachstum haben werden. Das muss aber nicht so bleiben. Der erwartete Euro-Kurs Ee sei fallend in Schuldenstand D und in der Zinslast Z der verschuldeten Länder, etwa, weil eine Zinssenkung der EZB oder ein Aufkaufen von Staatsanleihen erwartet wird bei hohem Schuldenstand. Zudem nehmen wir an, dass die Höhe des Rettungsfond R in negativer Beziehung zu Ee steht. Der Grund ist, dass eine Inanspruchnahme des Rettungsfond durch insolventen – und nicht nur in Liquiditätsproblemen befindlicher Staaten – eine höhere Schuldenlast auch von bislang nicht geringverschuldeten Ländern der Euro-Zone (insbes. Deutschland und Frankreich) darstellt. Schulden von heute sind in Staaten, die nicht zahlungsunfähig werden wollen, die Steuern von morgen oder sinkende öffentliche Investitionen (in Bildung und öffentliche Infrastruktur). Das senkt die Attraktivität dieser Länder als Unternehmensstandorte, es wird also Kapitalflucht bzw. sinkende Finanzierung von Investitionen erwartet. Dies kommt einer Abwertungserwartung des Euro gleich. Wir schreiben mit Hilfe der Funktion h: Ee = h(D,Z,R). Hintergrund der "spekulativen Attacken" auf den Euro Aufgrund der Überbewertung von US-Immobilien und den somit inkorrekten Erwartungen über das Kollateral bei Immobilienkrediten (zum Teil subprime-Kredite, also 1 Falls alle Anleihen gleichzeitig emittiert (und auslaufen) würden, dann wäre Z=ιD. Beachte, dass diese Definition scheinbar nichts über die tatsächliche Zahlungsunfähigkeit aussagt. Sie ist dennoch sinnvoll, denn wenn die Finanzmarktakteure eine Zahlungsunfähigkeit erwarten, werden sie neue Kredite zur Begleichung der Altschulden nicht mehr oder nur noch mit erheblicher Risikoprämie gewähren. 2 Hypothekenaufnahme weitestgehend mittelloser Haushalte) durch Banken kam es etwa ab Mitte 2007 zur Finanzkrise. Banken konnten durch die kurzfristige Ausgabe von Hypothekenverbriefungen (asset-backed securities, kurz: ABS) ihre langfristig vergebenen Hypothekenkredite nicht mehr kurzfristig finanzieren (was bis dahin über unregulierte Zweckgesellschaften in einem „Schattenbankensystem“ geschehen ist). Finanzmarktakteure befürchteten zurecht Immobilienpreisrückgänge und somit einen Default eines Teils der ABS. Der Markt für ABS brach in der Folge zusammen bzw. die Nachfrage nach ABS sank massiv. Anders ausgedrückt: die Fristentransformation – das Kerngeschäft der Banken, welches traditionell die Finanzierung langfristiger Kreditvergabe durch liquide Spareinlagen anstatt durch ABS beinhaltet – war nicht mehr möglich. Es handelte sich also um einen modernen „bank-run“, begünstigt durch fehlende Eigenkapitalpuffer, die bei ABS anders als bei Spareinlagen nicht vorgeschrieben waren. Zudem haben Banken sich auch untereinander aufgrund Unsicherheit über den finanziellen Status (ihrem eigenen und dem anderer Banken) kaum mehr Geld geliehen (was sie sonst zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen in hohem Masse tun). Selbst Banken, die keine subprime-Kredite vergeben haben, drohte die Zahlungsunfähigkeit. Dies hatte Liquiditätsspritzen der Notenbanken und Staatsgarantien für Finanzinstitute in ungeheurerem Ausmass zur Folge. Zu den Liquiditätsengpässen der Banken und (drohenden oder tatsächlichen) Insolvenzen im Finanzsektor kamen pessimistische Erwartungen über die zu erzielende Rendite durch weitere längerfristige Kreditvergabe. Es wurden daher deutlich weniger Investitionsprojekte in der Realwirtschaft finanziert als zuvor. Die Folge war eine sinkende Investitionsgüterproduktion und somit ein weiterer Rückgang der aggregierten Güternachfrage aufgrund von Multiplikatoreffekten auf Konsum- und Investitionsgüternachfrage. Zudem kam es in Europa aufgrund sinkender Importnachfrage aus den USA (also einer sinkenden Exportnachfrage in Europa) zu einem zusätzlichen Rückgang der aggregierten Güternachfrage. Viele Länder betrieben zur Linderung der resultierenden Rezession nun massiv expansive Fiskalpolitik (neben der teils auch auf die Bankenkrise zielenden expansiven Geldpolitik). Die Schuldenquote in vielen Staaten erhöhte sich deutlich. Euro-Länder mit ohnehin mangelnder staatlicher Haushaltsdisziplin schon vor der Finanzkrise haben aktuell nun eine Schuldenquote um die 100% oder höher (Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Irland). Es kam in der Euro-Zone daher zu default-Erwartungen und/oder Abwertungserwartungen. Möglicher Mechanismus zur Abwertung des Euro (ohne Rettungsfond oder Umschuldung) Der massive Anstieg der Schuldenquote D in einigen Euro-Mitgliedsstaaten nach der Finanzkrise bewirkte (auch aufgrund höherer Zinslast Z=z(ι,D)) wie gesehen sowohl eine höhere default-Erwartung bei Staaten wie Griechenland, d.h. die erwartete Rückzahlungsquote q=f(D,Z, .) sank. Zudem kam es auch zu einem geringeren erwarteten Wechselkurs des Euro Ee= h(D,Z, .). Die Abwertungserwartung bedeutete nun, dass die Zinsparität nicht mehr erfüllt war, d.h. 1+i < (1+i*)E/Ee. Euro-Anleihen wurden somit insgesamt unattraktiver. Somit kam es zu einer Reduktion der Euro-Wechselkurs E. Zudem kam es zu indirekten Effekten: Aufgrund des Sinkens von q erhöhte sich der (hypothetische) effektive Zins ι für Staatsanleihen aus hochverschuldeten Ländern aufgrund ihres verstärkten Angebots auf den Finanzmärkten, solange bis die erwartete Rendite in Einklang gebracht wird mit alternativen (risikolosen) Anlagen, d.h. ι=(1+i)/q-1 wieder erfüllt ist. Durch Anstieg von ι stieg nun aber wieder die Zinslast Z=z(ι,D). q und Ee sanken somit weiter. Anders ausgedrückt: o Steigende default-Erwartungen und der damit steigende Zinssatz für Staatsanleihen verschuldeter Länder machen eine neue Schuldenaufnahme zur Rückzahlung alter Schulden schwerer, d.h. ein hochverschuldetes Land wird letztlich zahlungsunfähig. 3 o Durch die verstärkten Abwertungserwartungen kommt es weiter zu Kapitalabfluss aus der Euro-Zone. Der Euro wertet daher möglicherweise immer weiter ab und einige (oder alle) Länder verlassen möglicherweise daher die Euro-Zone. Zusammenfassend: D und Z steigen => o Ee sinkt => E sinkt o q sinkt => ι steigt => Z steigt => Ee und q sinken weiter o Die Abwärtsspirale kommt dann zu einem Ende, bis die Erwartungen im Einklang mit dem tatsächlichen Wechselkurs stehen. Dieser kann aber sehr niedrig sein und eben faktisch das Ende des Euro bedeuten. 3 Die Erwartung q<1 erfüllt sich somit. Die Finanzmärkte verweigern dem hochverschuldeten Land neue Kredite oder verlangen eine horrende Zinsprämie gegenüber anderen Anlagen, ebenso wie in der Finanzkrise den Banken bzw. deren Zweckgesellschaften die kurzfristige Finanzierung langfristig vergebener Hypothekenkredite durch neuerliche Emission von ABS verweigert wurde. EU-Massnahmen Die EU hat als Reaktion auf dieses mögliche Szenario im Mai 2010 beschlossen, zusammen mit dem internationalen Währungsfond (IMF) einen Reservefond für zahlungsunfähige EuroStaaten über 750 Mrd. Euro zu schaffen und schon jetzt direkte EU-Kredite für Griechenland (zu einem Zins kleiner als ι) in der Grössenordnung von 100 Mrd. Euro bereitzustellen. Die Hoffnung ist, dass die Massnahme die default-Erwartungen senkt, also die erwartete Rückzahlungsquote q verschuldeter Staaten erhöht. Allerdings müssen mindestens zwei Bedingungen erfüllt sein, damit die Politik erfolgreich ist: (1) – Effekt von R auf q: Die Höhe des Reservefonds R muss so hoch sein, dass das Absinken der erwarteten Rückzahlungsquote q aufgrund eines Anstiegs in Schuldenquote D und Zinslast Z nivelliert wird, ohne dass es zu der genannten Abwärtsspirale bzgl. des Euro-Wechselkurses E kommt. (2) – Effekt von R auf Ee: Es muss erwartet werden, dass D in Zukunft sinkt, damit die heute hochverschuldeten Länder die EU-Kredite auch zurückzahlen können. Andernfalls würde es zu beträchtlichen Abwertungserwartungen kommen, da der Rettungsfond ansonsten schlicht eine Übernahme der Schulden von Griechenland, Portugal etc. durch Deutschland, Frankreich etc. bedeuten würde. Es käme also in Zukunft zu Steuererhöhungen und Rückgang öffentlicher Investitionen beispielsweise in Deutschland und Frankreich, Kapital würde aus der Euro-Zone abfliessen (sinkende Attraktivität als Unternehmensstandorte), der Euro würde abwerten. Das Risiko, dass D allerdings eher steigt, wird vermutlich jedoch gerade durch den Rettungsfond erhöht ("moral hazard"). o Länder, die glauben, ohnehin gerettet zu werden, vermeiden schmerzhafte Sparanstrengungen zuhause. Dies gilt voraussichtlich selbst dann, wenn der bail-out mit Sparauflagen verknüpft ist. Grund ist, dass EU-Politiker mögliche, gewaltsame Proteste in Ländern nicht verantworten wollen, die aufgrund der Ankündigung von Sparmassnahmen ausbrechen (siehe Griechenland im Mai 2010). Somit würde der Rettungsfond zumindest mittelfristig in Anspruch genommen und die Kredite werden nicht bzw. nicht vollständig zurückgezahlt. (Griechenland ist bereits jetzt zahlungsunfähig und erhält ab sofort EU-Kredite – eine Rückzahlung scheint mehr als ungewiss.) o Wenn hochverschuldete Länder doch sparen sollten, ist die Gefahr des Staatsbankrotts ebenfalls keineswegs gebannt: eine Verringerung der staatlichen Endgüternachfrage würde höchstwahrscheinlich zu einem Outputrückgang führen und somit möglicherweise die Schuldenquote D sogar noch erhöhen. o Eine Vermeidung des adversen Outputeffektes durch Sparpolitik wäre nur dann gegeben, wenn Sparpolitik eine höhere erwartete Wachstumsrate des pro Kopf Einkommens (ge) in hochverschuldeten Ländern induzieren bzw. die zukünftig erwartete Steuerlast sinken würde – beides würde die Konsumgüternachfrage anregen. Ein Anstieg von ge könnte zudem zur Erhöhung der erwarteten Rückzahlungsquote q beitragen und somit den Euro aus dem oben beschriebenen Abwärtsstrudel ziehen. 4 Allerdings ist eine entsprechende Erwartungsänderung wohl eher unangebracht. Sparmassnahmen 4 Wir haben angenommen, dass Funktion f steigend sei in ge. würden höchstwahrscheinlich oder gerade auch öffentliche Investitionen für Infrastruktur und Bildung betreffen, da der politische Widerstand dabei vermutlich kleiner wäre als bei Kürzung von Pensionen, Gehältern von Staatsbediensteten, Sozialleistungen etc.). Daher muss man eher von einem Rückgang der zukünftigen Outputwachstumsrate ge ausgehen. o Die Ankündigung des gewaltigen Rettungsfonds von EU/IMF hat im Mai 2010 die Abwertung des Euro nicht verhindern können. Dies spricht dafür, dass der Rettungsfond R direkt auf die Wechselkurserwartung Ee gewirkt hat, auch wenn das Ziel eines Sinkens von q vielleicht sogar erreicht worden ist. Schlussfolgerungen Der EU/IMF-Reservefonds von 750 Milliarden Euro ist sehr riskant. Möglicherweise wird der Rettungsfond – anders als erhofft – tatsächlich in Anspruch genommen und dient trotzdem nicht dem Verhindern einer massiven Abwertung des Euro; das wäre das „worst case“ Szenario. o Das „worst case“ Szenario tritt dann ein, wenn der Rettungsfond keine Liquiditätshilfe ist, sondern einer Begleichung der Schulden von Ländern wie Griechenland und Portugal gleichkommt. Eine Senkung der disponiblen Einkommen der Haushalte aufgrund Steuererhöhungen (resultierend in fallender Konsumgüternachfrage) oder eine Reduktion öffentlicher Investitionen in Geberländern wie Deutschland und Frankreich wäre unvermeidlich. Geberländer werden als Unternehmensstandorte daher weniger attraktiv, es kommt zu Kapitalabfluss, der Euro wertet ab. Der mangelnde Erfolg des Rettungsfonds zur Stabilisierung des Euro deutet somit darauf hin, dass Länder wie Griechenland als nachhaltig insolvent angesehen werden. o Nutzniesser des Rettungsfonds wären dann ausschliesslich die Altgläubiger (z.B. Banken). Mit anderen Worten: Die Finanzwirtschaft profitiert zulasten der Realwirtschaft. Selbst wenn ein Ausfall der Staatsanleihen eine systemrelevante Bedrohung des Finanzsektors darstellen würde (Zweifel sind aufgrund der grossen Streuung der Staatsanleihen angebracht, so dass keine Grossbank in Schwierigkeiten käme), gäbe es andere Instrumente der Bankenrettung, die die Altgläubiger dennoch beteiligen würde. Selbst auf dem Höhepunkt der Finanzkrise gab es nicht so einen schamlosen Transfer an die Banken wie es durch den Rettungsfond faktisch der Fall ist. Ein Rettungsfond für insolvente Staaten begleicht auf indirektem Wege die Schulden an die Altgläubiger, die sich in keinem Masse an der Insolvenz beteiligen würden. Verluste der Banken werden abermals sozialisiert und zwar in einem Ausmass, welches die Wachstumschancen und Wohlstand in der Euro-Zone über Jahrzehnte hinweg schmälern könnte. Es spricht daher einiges dafür, dass man verschuldete Länder ohne Kredithilfe umschulden lassen sollte, selbst dann, wenn diese Länder in der Euro-Zone bleiben. o Der Effekt auf den Euro-Wechselkurs wäre wahrscheinlich nicht so gross, dass der Euro insgesamt in Gefahr wäre. Um Panik auf den Finanzmärkten zu vermeiden, sollten Liquiditätshilfen für besonders betroffene Gläubigerbanken angekündigt und ggf. gewährt werden. o Zudem verschwindet das genannte moral hazard Problem eines bail-outs. o Die Schuldenkrise würde von den Gläubigern und nicht dem EU-Steuerzahler (und anderen durch adverse Effekte auf die Realwirtschaft Betroffenen) getragen. o Es wird für ein Land, welches umschulden muss, zwar schwieriger werden, in Zukunft Kredite aufzunehmen (eine erhebliche Risikoprämie mag die Folge sein), aber viel schwerer als aktuell wird die Schuldenaufnahme – trotz EURettungsfond – für diese Länder wohl auch nicht werden. Kredite aus dem Rettungsfond würden zudem sicher zu einem niedrigeren Zins als der vom Markt verlangte Zins möglich sein, d.h. der Rettungsfond wird sicher in Anspruch genommen. Wenn hochverschuldete Länder aus dem Euro austreten würden, wäre dies vielleicht die beste Alternative. Die betroffenen Länder könnten abwerten und der Euro würde durch weniger verschuldete Länder möglicherweise ohne grossen Abwertungsdruck weitergeführt. Allerdings wären die alten Schulden weiterhin in Euro, der default wäre ebenfalls wie bei Verbleib in der Euro-Zone unvermeidlich. Die Alternative zum Rettungsfond wäre also default von Griechenland und evtl. weiteren hochverschuldeten Ländern. Ob dieser mit oder ohne Heraustreten der betreffenden Länder aus der Euro-Zone erfolgen soll, ist auch eine politische Frage. Die (hier nicht näher ausgeführten) „politischen Kosten“ müssten einem möglichen ökonomischen Nutzen gegenübergestellt werden. In jedem Fall war der Rettungsfond nicht, wie von EUPolitikern unisono behauptet, alternativlos. Was bedeutet das Risiko des Euro-Verfalls (evtl. verbunden mit dem „worst case“ Szenario eines Verschwenden von Steuergeldern in bislang nicht stark verschuldeten Euro-Staaten für fehlschlagende Rettungsaktionen) für die Schweiz? Die Abwertung des Euro entspricht einer Aufwertung des Schweizer Franken zu der Währung der mit Abstand wichtigsten Handelspartner der Schweiz (Deutschland, Frankreich, Italien). Zudem wird durch notwendig werdende Steuererhöhungen in den Euro-Ländern im Falle teurer Rettungsaktionen das disponible Einkommen der EU-Haushalte sinken. Die Nettoexporte der Schweiz werden also möglicherweise stark zurückgehen und in der Schweiz eine Rezession auslösen. Die Schweizer Nationalbank (SNB) hat auf dem vorläufigen Höhepunkt der Griechenland-Krise im Mai 2010 vergeblich versucht, die Aufwertung des Franken zu verhindern. Es ist davon auszugehen, dass in der Euro-Zone Entschuldung der Euro-Länder auch durch Aufkaufen von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank erfolgt. D.h. der Effekt ist ähnlich einer expansiv wirkenden Offenmarktoperation (nur permanent) und wird beinahe zweifelsohne zu einem deutlichen Anstieg der Inflationsrate führen. Die SNB wird einer Aufwertung des Schweizer Franken möglicherweise mit expansiver Geldpolitik begegnen, so dass auch in der Schweiz die Inflationsrate steigen würde. Abschliessende Bemerkung: Die EU-Staatschefs haben den Rettungsfond u.a. damit begründet, dass man eine "spekulative Attacke" auf den Euro abwehren müsse. Diese Sicht ist gemäss unserem Modellrahmen abgebildet durch den positiven Effekt des EURettungsfonds auf die erwartete Rückzahlungsquote q. Ob man aber bei Kapitalflucht aus der Euro-Zone aufgrund von Abwertungserwartungen von einer "spekulative Attacke" reden kann, ist eine semantische Frage. In der Tat beeinflussen Erwartungsänderungen wie gesehen den Wechselkurs und sind daher selbsterfüllend. Allerdings darf man den realen Hintergrund der Erwartungsänderungen – nämlich die massive Erhöhung der Schuldenquoten bereits hochverschuldeter Länder– nicht verkennen. Keiner will der Letzte sein, der Geld leiht und nicht mehr wiederbekommt bzw. keiner will eine geringere Rendite als in (sicheren) Alternativanlagen erzielen. Wenn neue Schuldenaufnahme zur Begleichung alter Schulden aufgrund des Ausfallrisikos von den Finanzmarktakteuren verweigert wird oder nur mit hoher Risikoprämie erlaubt wird, ist dies zumindest keine „Attacke“ im Sinne einer unfairen, konzertierten Aktion der grossen Spieler auf den internationalen Finanzmärkten, sondern individuell rational.