62 BZB April 13 Wissenschaft und Fortbildung Möglichkeiten der Endodontie Die Zukunft ist fantastisch E i n B e i t r a g v o n D r. B i j a n Va h e d i , A u g s b u r g Der Titel dieses Artikels mag sich im ersten Moment übertrieben anhören, jedoch haben die Entwicklungen der vergangenen Jahre, die vor uns liegenden Möglichkeiten, aber auch die zahnmedizinischen Rahmenbedingungen eine Situation geschaffen, die eine weitere positive Entwicklung des Faches Endodontie erwarten lässt. In den letzten zehn bis 15 Jahren haben technische Weiterentwicklungen wie etwa rotierende Nickel-Titan-Feilen die endodontische Behandlung vereinfacht. Dadurch alleine haben sich aber die Behandlungsergebnisse noch nicht verbessert, weshalb sich im Laufe der Zeit der Fokus von einer rein mechanischen wieder hin zu einer diagnostischen und biologischen Problembetrachtung gewandt hat. Der aktuelle Stand des Faches Endodontie Das Interesse der Zahnärzte an der Endodontie hat sich mit der Zunahme ihrer Möglichkeiten im gleichen Zeitraum ebenfalls erhöht. Dies zeigt sich an den wachsenden Mitgliederzahlen der „Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie“ und auch an den stetig wachsenden Fortbildungsangeboten. Praxen mit endodontischen Tätigkeitsschwerpunkten werden zahlreicher und zunehmend denken Kollegen über eine entsprechende Spezialisierung nach. Somit steigt auch der Druck seitens der Zahnärzteschaft auf die Berufspolitik, sich dieses Themas anzunehmen. Dabei muss festgestellt werden, dass die Rahmenbedingungen für eine echte Spezialisierung – trotz aller Fortbildungsangebote und den Vorgaben der GOZ 2012 – weiterhin schwierig sind. Anders ist die Zahl von weniger als 15 nur auf Endodontie limitierten Praxen in Deutschland nicht zu erklären. Die Möglichkeiten der Endodontologie beschränken sich nicht mehr nur auf die Wurzelkanalbehandlung, wie dies für lange Zeit der Fall war. Die diagnostischen Möglichkeiten waren begrenzt und in komplexen Schmerzfällen war eine klare Diagnosestellung schwierig. Klassisch standen und stehen uns diverse Sensibilitätstest (kalt, warm, elektrisch), Palpation und Perkussion sowie das zweidimensionale Röntgenbild zur Verfügung. Abb. 1 und 2: Auf dem konventionellen Röntgenbild (links) ist die apikale Parodontitis längst nicht so deutlich zu erkennen wie auf dem DVT desselben Zahnes (rechts). Röntgendiagnostik Gerade die Röntgendiagnostik hat durch die digitale Volumentomographie (DVT) in der Zahnheilkunde im Allgemeinen und in der Endodontie im Speziellen an Bedeutung gewonnen. In diversen Studien am Humanpräparat und in vivo konnte gezeigt werden, dass osteolytische Prozesse durch die DVT in deutlich mehr Fällen zu detektieren sind als durch die konventionelle Röntgentechnik (Tsai et al. 2012, Patel et al. 2011). In vielen Fällen ist im zweidimensionalen Röntgenbild ein periapikaler osteolytischer Prozess erst dann zu erkennen, wenn der kortikale Knochenanteil bereits einen gewissen Zerstörungsgrad aufweist (Bender et al. 1961) (Abb. 1 und 2). Aber nicht nur zur besseren Darstellung einer apikalen Parodontitis ist der Einsatz der DVT in der Endodontie sinnvoll. So ist es möglich zusätzliche Wurzeln, nicht gefundene Kanäle, eine irreguläre Anatomie des Endodonts, interne und externe Resorptionen, Perforationen sowie Kommunikationen zwischen dem Endodont und dem Parodont zuverlässig sichtbar zu machen. Des Weiteren kann vor endochirurgischen Eingriffen die Lage sensibler anatomischer Strukturen klar eingeschätzt werden. Aufgrund der erhöhten Strahlenexposition sollte die digitale Volumentomographie aber nicht zur Standarddiagnostik genutzt werden, sondern nur im Sinne einer erweiterten Diagnostik, wenn ein konventionelles Röntgenbild die für die Therapie oder Prognoseeinschätzung erforderlichen Informa- Wissenschaft und Fortbildung Abb. 3: Pulpaeröffnung Abb. 4: Entzündungsfreie Pulpa am Kanaleingang tionen nicht liefert. Die digitale Volumentomographie nützt der Endodontie auch nur in denjenigen Fällen, in denen sich eine endodontische Erkrankung bereits im fortgeschrittenen Stadium befindet und eine radiologische Diagnostik erfordert. Pulpadiagnostik In Zukunft werden wir eventuell schon weit früher die Möglichkeit haben, den Zustand der Pulpa zu beurteilen. Beispielsweise haben wir im Falle einer negativen Sensibilitätsprobe bei traumatisierten Zähnen Probleme, die Vitalität der Pulpa einzuschätzen, um die Therapie klar festlegen zu können (Emshoff et al. 2004). Durch die potenzielle Anwendung von Laser-Dopplertechniken, wie man sie schon lange in der allgemeinen Medizin zur Bestimmung des Blutsauerstoffgehalts kennt, könnte in diesen Fällen eine exaktere Aussage möglich sein. Möglicherweise haben wir zukünftig im Praxisalltag auch die Chance, den Entzündungszustand der Pulpa zu bestimmen, wenn entsprechende Verfahren den Weg in die Praxis finden sollten. In tiefen Kavitäten könnte der aus angeschnittenen Odontoblastenfortsätzen austretende Dentinliquor mittels einer sterilen Papierspitze entnommen werden, um darin Entzündungsparameter zu ermitteln. So könnte die Notwendigkeit endodontischer Eingriffe vor und während einer restaurativen Neuversorgung besser eingeschätzt werden. Behandlung der eröffneten Pulpa Schon seit Langem werden im Rahmen traumatischer oder kariöser Pulpeneröffnungen (Mejare et al. 1993) vitalerhaltende Maßnahmen mit unterschiedlichem Erfolg angewandt. Durch die Abdeckung der eröffneten Pulpa mit neuen Materialien wie Mineral Trioxide Aggregate (MTA) besteht die Möglichkeit, dies mit deutlich besserer Prognose durchzuführen (Bergenholtz 2005). Bei traumatischer Pulpeneröffnung ist die Aussicht auf eine Vitalerhaltung der BZB April 13 63 Abb. 5: Abdeckung der Pulpa mit MTA Pulpa sicherlich am besten, da noch keine penetrierende bakterielle Infektion vorliegt. Die Abdeckung mit MTA oder auch eine minimale Pulpotomie, wie bereits früher mit Kalziumhydroxid beschrieben (Cvek at al. 1978), sind Therapie der Wahl. Aber auch bei einer Caries penetrans kann unter gewissen Umständen eine vitalerhaltende Maßnahme erfolgreich sein. Dafür ist es jedoch notwendig, eine tiefer liegende Pulpotomie durchzuführen. Mittels hoher Vergrößerung und guter Illumination kann der Entzündungszustand der Pulpa anhand des klinischen Bildes nach der Entfernung der Kronenpulpa bewertet werden. Die Anwendung steriler, diamantierter, schnell rotierender Instrumente unter Zuführung steriler Kochsalzlösung ist hier geboten. Die Abdeckung der Pulpa an den Kanaleingängen erfolgt mit MTA (Abb. 3 bis 6). Bei einer entzündungsfreien Pulpa kann an der Grenze zum MTA ein komplettes Dentinbridging stattfinden (Min et al. 2008) (Abb. 7). In Fällen eines nicht abgeschlossenen Wurzelwachstums besteht dann die Möglichkeit einer weiteren Dentinbildung in Wurzeldicke und -länge mit abschließender Apexogenese. Abb. 6: Röntgenkontrolle Abb. 7: Zahn mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum; Abdeckung der Pulpa mit MTA zur Vitalerhaltung der Pulpa mit Dentinbridging 64 BZB April 13 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 8 und 9: Verschiedene Stadien des Wurzelwachstums Abb. 11: Die „Self Adjusting File“ (SAF) besteht aus einem Titangeflecht. Therapieansatz bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum Ein gänzlich neuer Therapieansatz bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum und vorliegender Pulpanekrose ist die Induktion dentinbildender Strukturen im endodontischen Hohlraum (Murray et al. 2007). Dieses Vorgehen basiert auf den neuesten Möglichkeiten des Tissue Engineerings und dem Wissen um Stammzelltherapien. Dabei ist es interessant zu wissen, dass direkt periapikal der nicht voll ausgebildeten Wurzelspitze eine sehr hohe Stammzellkonzentration vorliegt (Huang et al. 2008). Die Erfolgsaussicht bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum, ein weitergehendes Dentinwachstum in Länge und Breite zu erzielen, ist dabei sehr gut (Abb. 8 und 9). Aufbereitung und Desinfektion des Wurzelkanals Seit Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrtausends stehen zur Wurzelkanalpräparation rotierende Nickel-Titan-Instrumente zur Verfügung. Sie haben die mechanische Aufbereitung deutlich vereinfacht. Bei korrekter Anwendung besteht der Vorteil einer Abb. 10: Reziprokierende Feilen schnelleren Aufbereitung, die den anatomischen Gegebenheiten besser gerecht wird. Jedoch ist bei rotierenden Nickel-Titan-Feilen die Gefahr der Instrumentenfraktur höher als bei Feilen aus Stahl (Sonntag et al. 2003). Seit zwei Jahren sind Instrumente mit einer reziproken Arbeitsweise erhältlich (Abb. 10), was zu einem deutlich geringeren Risiko der Feilenfraktur führt. Weitere Vorteile liegen sicherlich auch in der verbesserten Hygienesituation durch eine bereits sterile Verpackung und der Beschränkung auf die einmalige Nutzung der Instrumente. Bei strukturierter Anwendung kann man den Einsatz von Feilen für eine Wurzelkanalpräparation reduzieren. Als Nachteile können die erhöhte Bildung von Debris und der Verdacht auf die Erzeugung vermehrter Dentinrisse angesehen werden. Ob dies einen Einfluss auf das klinische Ergebnis hat, kann bisher noch nicht eingeschätzt werden. Als neuer Ansatz bei der mechanischen Präparation kann die „Self Adjusting File“ (SAF) betrachtet werden (Abb. 11). Das Konzept beschränkt sich nicht nur auf die Feile selbst. Durch eine Flüssigkeitspumpe, einen speziellen Motor und eine Zuleitung zu der aus einem Titangeflecht bestehenden Feile wird nicht nur ein höherer Anteil der Wurzelkanaloberfläche erreicht (Metzger et al. 2010), sondern auch gleichzeitig kontinuierlich Spülflüssigkeit zugeführt. Die Vorteile liegen in einem größeren Anteil bearbeiteter Kanalwände, der fehlenden Entstehung von Debris und einer deutlich erhöhten Umsatzrate des Spülmediums. Die SAF wird sicherlich nicht das einzige System bleiben, das die verbesserte mikrobiologische Kontrolle in den Vordergrund stellt. Es bleibt festzuhalten, dass uns bisher als Spülmedium, das gleichzeitig Gewebe lösen und desinfizieren kann, lediglich Natriumhypo- Wissenschaft und Fortbildung Abb. 12: Darstellung der Kanaleingänge bei einem oberen Molar chlorit zur Verfügung steht. Auch wenn es diverse weitere Desinfektionsmittel und Spüllösungen gibt, wird Natriumhypochlorit aus diesem Grund auf absehbare Zeit das entscheidende und hauptsächlich zu nutzende Mittel bleiben. Eine deutlich verbesserte Wirkung der Spül- und Desinfektionsleistung ergibt sich aus dem Einsatz ultraschallgetriebener Ansätze (van der Sluis et al. 2007). Auch wenn es heute weit mehr Möglichkeiten zur Gewebeentfernung und Desinfektion gibt, wie zum Beispiel der Einsatz von Lasern – sei es allein oder in Form der photoaktivierten Desinfektion –, kann festgestellt werden, dass ein klassisches antibakterielles Regime in Kombination mit Ultraschallaktivierung bisher die besten Erfolgsaussichten hat. Obturation und Restauration des Zahnes Nach mechanischer und chemischer Präparation des Endodonts werden mittels der Obturation des Wurzelkanals noch verbliebene planktonisch vorliegende Bakterien von der Substratzufuhr abgeschnitten. Daher ist die Dichtigkeit der Wurzelfüllung ein entscheidender Faktor, um eine erneute Etablierung eines bakteriologischen Biofilms zu verhindern und so das endodontische Behandlungsergebnis zu sichern. Seit einiger Zeit werden unterschiedliche neue Materialien zur Obturation auf den Markt gebracht. Prinzipiell hat sich die Kombination von plastischen Kernmaterialien in Verbindung mit Sealern als Standard etabliert. Auch wenn unterschiedliche Stoffgruppen – teilweise mit dem Versprechen einer adhäsiven Versiegelung des Kanalsystems – vorhanden sind, so hat sich heute der Einsatz von Guttapercha kombiniert mit Epoxidharzsealern bewährt. Um bei der Obturation einen möglichst hohen Anteil an Kernmaterial zu erhalten, ist der Einsatz thermoplastischer Fülltechniken sinnvoll. BZB April 13 Abb. 13: Obturierte Wurzelkanäle Ein wichtiger Aspekt zur Erhaltung des endodontischen Behandlungsergebnisses ist die zeitnahe definitive Restauration. Um eine Reinfektion zu verhindern, sind die sofortige adhäsive Versiegelung des Kanalsystems und der Aufbau des Zahnes mit Komposit entscheidend. Da meistens ein Verlust an Zahnhartsubstanz zur endodontischen Erkrankung führt, ist langfristig eine definitive, die Höcker fassende Restauration anzustreben, ohne dabei jedoch unnötig weitere Zahnhartsubstanz zu opfern. Deshalb bietet sich häufig die Versorgung des endodontisch behandelten Zahnes mit einer Teilkrone an. Optische Hilfsmittel Natürlich beschränken sich heute die Möglichkeiten und Fortschritte der Endodontie nicht nur auf die Primärbehandlung. Komplizierte Revisionen und gegebenenfalls auftretende Komplikationen können mit voraussagbarem Ergebnis behandelt werden. Sicherlich sind dafür Vergrößerungshilfen und eine koaxiale Ausleuchtung des Arbeitsfeldes notwendig. In vielen Fällen benötigt man mindestens eine Lupenbrille und eine gute Lampe. Manche Probleme lassen sich aber nur mithilfe eines dentalen Operationsmikroskops lösen. Wegen seiner sehr komplexen Struktur ist die visuelle Kontrolle mancher Bereiche des Endodonts nicht immer einfach. Beispielsweise wird häufig direkt nach der Trepanation der „gefürchtete“ zweite Kanal in der mesio-bukkalen Wurzel des ersten oberen Molars nicht aufgefunden. Dennoch ist er in über 90 Prozent aller Fälle vorhanden und bei gezieltem Vorgehen auch klinisch darstellbar (Stropko 1999) (Abb. 12 und 13). Auch der erfolgreiche Verschluss von Perforationen (Abb. 14 und 15), die Entfernung von Instrumentenfragmenten (Abb. 16 und 17) und weitere iatrogene Komplika- 65 66 BZB April 13 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 14: Perforation des Pulpabodens bei einem Molar Abb. 15: Abdeckung der Perforation mit MTA Abb. 17: Der frakturierte Lentulo Abb. 16: Frakturiertes Teilstück eines Lentulos in der mesialen Wurzel eines unteren Molars tionen können oftmals mit guter Prognose gemeistert werden. Erfolgserwartung Abschließend kann festgehalten werden, dass wir grundsätzlich eine gute Langzeitprognose für endodontisch behandelte Zähne haben. Allerdings muss klargestellt werden, dass es in der wissenschaftlichen Literatur eine Unterscheidung zwischen „Überlebensrate“ und „Erfolgsrate“ gibt. In epidemiologischen Studien wird in Querschnittsuntersuchungen betrachtet, ob endodontisch behandelte Zähne noch funktionell in situ sind. Das entspricht der Überlebensrate und ist in über 90 Prozent der Fall (Salehrabi et al. 2004). Diese Überlebensraten kennt man auch aus vielen implantologischen Studien, die ebenfalls auf diese Werte kommen, wenn lediglich betrachtet wird, ob ein Implantat noch in situ ist. Werden bei epidemiologischen Studien jedoch striktere Kriterien angewandt, wie etwa der Erfolg einer endodontischen Behandlung und nicht nur die Verweildauer des behandelten Zahnes im Mund, fallen die Ergebnisse schlechter aus. Für die Möglichkeiten endodontischer Behandlungsmaßnahmen sind jedoch die Ergebnisse klinischer randomisierter Studien heranzuziehen und nicht diejenigen epidemiologischer Studien. Für Revisionsbehandlungen und auch in Fällen von Komplikationen kann festgestellt werden, dass bei einem erfahrenen und entsprechend ausgebildeten Behandler mit einer angepassten technischen Ausstattung die Möglichkeit eines langfristigen Zahnerhaltes in den allermeisten Fällen gegeben ist. Korrespondenzadresse: Dr. Bijan Vahedi Philippine-Welser-Straße 19 86150 Augsburg [email protected] www.vahedi.de Literatur beim Verfasser