Vorfahrt fürs Entlassmanagement

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BGH erlaubt Rezeptvermittlung im Rahmen des Versorgungsmanagements
Vorfahrt fürs Entlassmanagement
von Rechtsanwalt Peter Hartmann,
Fachanwalt für Arbeits- und Medizinrecht, Hartmann Rechtsanwälte (Lünen)
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit
Urteil vom 13.3.2014 (Az.: I ZR 120/13)
entschieden, dass die Kooperation
zwischen einem Apotheker und einer
Gesellschaft, die aktiv Entlassmanagement betreibt, zulässig ist. Nun liegt
die Urteilsbegründung vor (abrufbar
auch im Exklusivbereich für Abonnenten unter www.mtd.de). Konkret ging
es um die Patientenring GmbH, die
Insoweit hat der BGH dem Ziel, mit
einem reibungslos funktionierenden Entlassmanagement Gesundheitsgefahren
abzuwehren, ein wesentlich größeres
Gewicht beigemessen als der Durchsetzung eines extrem strengen Zuweisungsverbots. Der BGH hat jedoch klargestellt,
dass dies nur gilt, soweit die Vorgaben
zum Entlass- und Versorgungsmanagement eingehalten sind und das Zuweisungsverbot „nicht nennenswert beeinträchtigt wird“.
Patienten des Universitätsklinikums
Freiburg im Rahmen des Entlassmanagements u. a. über Kooperationsapotheken die Lieferung der im Zusammenhang mit der anstehenden
Entlassung benötigten Arzneimittel
anbietet. An der Patientenring GmbH
sind neben der Uniklinik Freiburg
auch drei Sanitätshäuser beteiligt.
in Freiburger Apotheker wurde wegen
der Teilnahme an diesem Modell von
einem Kollegen verklagt. Der BGH hat in
der nun vorliegenden Urteilsbegründung,
der auch für den ganzen Hilfsmittelmarkt
maßgebliche Bedeutung zukommt, klargestellt, dass das in § 11 Abs. 4 SGB V geregelte Versorgungsmanagement und das
in § 39 Abs. 1 SGB V geregelte Entlassmanagement „eine einschränkende Auslegung“ der Regelungen zum Verbot der
Zuweisung von Verschreibungen erfordern.
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© MTD-Verlag GmbH, Amtzell 2014, www.mtd.de
Viele Kooperationsverträge
Um die weitere adäquate Versorgung
durch niedergelassene Leistungserbringer im direkten Anschluss an die stationäre Versorgung sicherzustellen, hat
die Patientenring GmbH mit einer Vielzahl von niedergelassenen Leistungserbringern, u. a. auch Apotheken, Kooperationsverträge geschlossen. Dabei kann
grundsätzlich jede Apotheke Kooperationspartner der Patientenring GmbH
werden, wenn sie die dafür geforderten
Vorgaben erfüllt.
Wünscht der Patient die Einschaltung
der Patientenring GmbH im Rahmen des
Entlassmanagements und stellt sich
während der stationären Behandlung
heraus, dass er im direkten Anschluss an
den Klinikaufenthalt weiterer Leistungen bedarf – wie etwa im Bereich der
Hilfsmittel-, Heilmittel- oder Arzneimittelversorgung, der pflegerischen Versorgung oder der Unterbringung in einer
stationären Einrichtung – wird ihm das
Angebot unterbreitet, eine adäquate Anschlussversorgung sicherzustellen.
In diesem Sinne stellt die Patientenring GmbH nach Einwilligung des Patienten bei entsprechendem Medikamentenbedarf zum Zeitpunkt der Entlassung
sicher, dass im Zeitpunkt des Übergangs
von der stationären in die ambulante
Versorgung das Medikament über eine
Partnerapotheke – oder sofern der Patient dies wünscht, auch durch eine andere Apotheke – dem Patienten ausgehändigt wird. Dies geschieht entweder
durch Übergabe des Arzneimittels seitens des Apothekenpersonals direkt an
den Patienten oder durch Annahme
durch das Stationspersonal, wenn z. B.
aus medizinischen Gründen eine Übergabe an den Patienten nicht möglich ist.
Wegen der Beteiligung an dem Modell
hatte eine Freiburger Apothekerin ihren
Kollegen, der Kooperationsapotheke der
Patientenring GmbH ist, auf Unterlassung verklagt. Sie sah in dem Konzept
eine nach § 11 Abs. 1 des Apothekengesetzes (ApoG) unzulässige Absprache
über die Zuweisung von Verschreibungen.
Der BGH hat bewusst offengelassen,
ob die beanstandete Verhaltensweise
überhaupt von § 11 Abs. 1 ApoG erfasst
wird. Demnach dürfen sog. Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken mit
Ärzten oder anderen Personen, die sich
mit der Behandlung von Krankheiten
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befassen, keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine
bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, Zuführung von Patienten, Zuweisung von Verschreibungen oder Fertigung von Arzneimitteln zum Gegenstand haben. Der 1. Zivilsenat des BGH
stellte vielmehr klar, dass „das in § 11
Abs. 4 SGB V geregelte Versorgungsmanagement und das in § 39 Abs. 1 Satz 4
bis 6 SGB V geregelte Entlassmanagement
eine einschränkende Auslegung des § 11
Abs. 1 ApoG über das Verbot der Zuweisung von Verschreibungen“ erfordert.
Neuere speziellere Regelung
hat Vorrang
Nach den Feststellungen des BGH obliegt es den im Auftrag der Krankenkassen
handelnden Krankenhäusern, im Rahmen des Entlassmanagements den Übergang in den nächsten Versorgungsbereich
wie etwa die häusliche Krankenpflege
oder die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen nach dem SGB XI zu planen
und zu organisieren und in diesem Zusammenhang insbesondere die weitere
Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln
sowie mit Medikamenten zu koordinieren. Insoweit ist nach den Feststellungen
des BGH „der neueren und spezielleren
Regelung des Entlassmanagements gegenüber § 11 Abs. 1 ApoG der Vorrang“
zu gewähren.
Gefahren für die Gesundheit
des Patienten abwehren
Insoweit führt der BGH aus: „Dafür
spricht auch, dass ein reibungslos funktionierendes Entlassmanagement geeignet ist, Gesundheitsgefahren abzuwehren, die sich für die Patienten im Zusammenhang mit ihrer Entlassung aus der
Krankenhausbehandlung – unter anderem dadurch, dass die nachfolgend benötigten Medikamente möglicherweise
nicht sofort zur Verfügung stehen – ergeben. Diesem Ziel kommt ein wesentlich
größeres Gewicht in der hier in Rede stehenden Fallkonstellation als der Durchsetzung des in § 11 Abs. 1 ApoG geregelten Verbots zu, weil der Zweck dieser Bestimmung vorliegend nicht nennenswert beeinträchtigt wird.“
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Gute Nachricht für Modelle
von Leistungserbringern
Demgemäß bestehen nach den Feststellungen des BGH gegen die Tätigkeit
von Entlassmanagementgesellschaften
keine Einwände, soweit sie „dem Erfordernis des § 39 Abs. 1 Satz 5 SGB V entsprechend mit Einwilligung des Versicherten erfolgt“. Ebenso wenig hat der
BGH Bedenken gegen „die Ausgliederung der operativen Durchführung des
Entlassmanagements auf einen externen privaten Anbieter“, was gerade für
die häufig von Hilfsmittel-Leistungserbringern mit viel Engagement etablierten
Entlassmanagementmodelle eine gute
Nachricht ist. Klargestellt hat der BGH
aber auch, dass Vorstehendes nur gilt,
soweit die Vorgaben zum Entlass- und
Versorgungsmanagement eingehalten
sind und das Zuweisungsverbot „nicht
nennenswert beeinträchtigt wird“.
Patientenwunsch zählt
Zu den Grenzen eines nach § 39 Abs. 1
Satz 4 bis 6 SGB V zulässigen Entlassmanagements gehört – wie vom BGH mehrfach betont – u. a. die vorherige Einwilligung des Patienten, der zunächst ordnungsgemäß aufgeklärt worden sein
muss und – auch wenn der BGH das
nicht ausdrücklich gefordert hat – seine
(informierte) Einwilligung in jedem Fall
schriftlich erklären sollte.
Abgrenzung zu Zuweisern
Hierzu gehört ferner die klare Positionierung einer jeden Entlassmanagementgesellschaft gegenüber reinen Zuweisern, bei denen die Verordnungen
gegen Entgelt an beteiligte Unternehmen weitergeleitet werden. Letzteres ist
sicherlich kein Entlassmanagement im
Sinne der §§ 11 Abs. 4, 39 Abs. 1 SGB V
und würde vom BGH aller Voraussicht
nach als erhebliche Beeinträchtigung
des Zuweisungsverbots angesehen und
mithin als unzulässig qualifiziert.
Aufgabe der Entlassmanagementgesellschaften ist die Erbringung konkreter
Koordinationsleistungen, um den Übergang des Patienten von der stationären
in die ambulante Versorgung zu erleichtern, was – nimmt man diese Aufgabe
ernst – sicherlich eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit darstellt. Dass dieser Aufwand auch vergütet werden muss und
darf, dürfte sich von selbst verstehen.
Eine klare Abgrenzung erscheint jedoch
gerade im Hinblick auf das Zuweisungsverbot des § 128 Abs. 2 SGB V bzw. der
für Ärzte korrespondierenden Regelung
des § 73 Abs. 7 SGB V zwingend geboten.
Neutrales Unternehmen
Auch wenn der BGH es in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich
erwähnt hat, so hat ausweislich der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung sicherlich eine maßgebliche Rolle
gespielt, dass die Richter zu der Überzeugung gelangt waren, dass es sich bei
der Patientenring GmbH – trotz der Beteiligung der Klinik und der drei Sanitätshäuser – um ein eigenständiges und
neutrales Unternehmen handelt und
nicht um einen reinen „Zuweiser“, wie
von der klagenden Apotheke immer wieder vorgetragen.
Kein Freibrief
für Rezeptzuweisung
Zusammenfassend kann nur dringend
davor gewarnt werden, die Entscheidung
des BGH als Freibrief für die Rezeptzuweisung fehlzuinterpretieren, da dies
gerade nicht der Fall ist. Eine solche
Fehlinterpretation würde unweigerlich
zu sozial- und ggf. auch strafrechtlichen
Problemen führen.
Um von vornherein Probleme zu vermeiden, sollte schon in der Konzeptionsphase eines Entlassmanagementsystems darauf geachtet werden, die
Entlassgesellschaft neutral zu gestalten.
Dabei ist aber eine Beteiligung von Sanitätshäusern an der Entlassgesellschaft –
wie in dem vom BGH entschiedenen Fall
– möglich. Ferner sollte bei der Konzipierung der Strukturen und Verfahrensabläufe größte Sorgfalt aufgewandt werden, um sicherzustellen, dass die im Gesetz normierten Vorgaben auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden.
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