Kanton Zürich Gesundheitsdirektion Kommunikation Medienkonferenz «Vision Psychiatrie», Donnerstag, 8. Dezember 2011 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wulf Rössler, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich Die Grenzen zwischen gesund und krank sind fliessend Inanspruchnahme der psychiatrischen Versorgung: ─ Pro Jahr sind 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung wegen psychischer Störungen behandlungsbedürftig. ─ Das Lebenszeitrisiko, an einer psychischen Störung zu erkranken, beträgt zwischen 40 und 50 Prozent. ─ Diese Risiken betreffen diagnostizierte Störungen. Unterhalb dieser Schwelle gibt es noch 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung, die unter subjektiven psychischen Beschwerden leiden. ─ Warum so viele? Weil menschliches Verhalten sich auf einem Kontinuum abbildet. Die Grenzen zwischen gesund und krank sind fliessend. Die Entscheidung, wo, wann und warum Menschen mit psychischen Problemen Hilfe suchen, bleibt zunächst im Ermessen der betroffenen Personen. Die objektive Trennlinie verläuft dort, wo die psychischen Probleme mit Funktionseinschränkungen einhergehen (z.B. im Beruf). ─ Hilfe im Gesundheitswesen suchen je nach Krankheitsbild zwischen 40 und 70 Prozent der Betroffenen. Am häufigsten sind das Menschen mit Angststörungen. Am wenigsten suchen Menschen mit Psychosen Hilfe im Gesundheitswesen. ─ Frauen nehmen fast doppelt so häufig Gesundheitsdienste in Anspruch wie Männer – sowohl bei den diagnostizierten Störungen wie auch bei den sogenannten unterschwelligen Störungen. ─ Im Gesundheitswesen selbst sind Hausärztinnen und Hausärzte die erste Anlaufstelle. ─ Die Versorgungslage mit Fachärztinnen und -ärzten in der Schweiz ist gut bis sehr gut – auch im internationalen Vergleich. Allerdings gibt es regionale Unterschiede. Psychosen: ─ 10 bis 15 Personen pro 100‘000 der Bevölkerung erkranken pro Jahr neu an einer schizophrenen Psychose. Zumeist handelt es sich um Jugendliche oder junge Erwachsene, und die Erkrankung nimmt bei vielen einen chronischen Verlauf. Etwa 1000 Personen pro 100‘000 der Bevölkerung leben mit einer Psychose. ─ Schizophrene Psychosen sind aufgrund des hohen Versorgungsbedarfs die teuersten psychiatrischen Erkrankungen. ─ Psychotische Störungen sind im Kern Störungen der menschlichen Kommunikation: Wir beobachten soziale Ereignisse und Vorkommnisse in unserer Umwelt und bewerten diese. Die Interpretation unserer sozialen Umwelt ist sehr fehleranfällig. Die Grenze zwischen gesund und krank verläuft dort, wo eine Korrektur unserer Interpretationen nicht mehr möglich ist. Das heisst: Die betroffene Person beharrt auf ihrer so wahrgenommenen Interpretation. Im Extremfall kommt es zu einer wahnhaften Entwicklung. ─ Psychotische Störungen sind die in der Öffentlichkeit am meisten stigmatisierten Krankheitsbilder. Man spricht deshalb von der «zweiten Krankheit», weil die Betroffenen nicht nur die schwere Last der Erkrankung selbst zu tragen haben, sondern auch noch mit vielen Vorurteilen in der Bevölkerung und daraus resultierenden Diskriminierungen zu kämpfen haben.