WISSENSCHAFT 148 DER SPIEGEL 34/1996 Angesichts des Abgas-Dilemmas wird jedoch klar, daß der von Greenpeace geförderte Motorenentwickler Wenger im Prinzip den eleganteren Ansatz gewählt hat. Die magere, abgasreiche Verbrennung ist ein technischer Kompromiß, der aus einem für den unteren Leistungsbereich zu groß geratenen Motor erwächst. Der kleinvolumige Zweizylinder von Wenger arbeitet dagegen bei Teillast optimal ohne eine künstliche Abmagerung des Gemischs. Bei höherem Leistungsanspruch hilft dann der Druckwellen-Lader nach. In keinem der Betriebszustände entsteht das Abgas-Dilemma, wie es der Magermotor aufweist. Ein direkter Vergleich beider Konzepte in Serienautos wird so bald jedoch nicht möglich sein. Greenpeace steht als Autohersteller nicht zur Verfügung, sieht sich nur als Vermittler zwischen Motorentüftler Wenger und der zaudernden Industrie. Sollte ein Hersteller die Lizenz für Wengers Motor erwerben, verlangt Rinderseuche Ungutes Gefühl Pharmahersteller werben mit „BSEsicheren“ Medikamenten – eine gefährliche Augenwischerei. D as Mittel gegen Rheuma und Gelenkerkrankungen soll dem Patienten auf der Basis natürlicher Wirkstoffe helfen. Doch der Beipackzettel liest sich wie ein Horrorkatalog. In dem Medizin-Cocktail, Produktname „NeyChondrin“, stecken nicht nur Extrakte aus Rinderhirn. Auch Rückenmark, Plazenta, Brustdrüse und Hoden der Tiere lieferten Wirkstoffe. F. SCHUMANN / DER SPIEGEL Mitsubishi in Tokio die baldige Markteinführung eines womöglich konkurrenzlos sparsamen Benzinmotors an. Er wird ab 29. August in Japan verkauft und kommt im Herbst nach Deutschland, eingebaut in die Mittelklasselimousine Carisma. Ähnlich wie die Greenpeace-Maschine soll der Mitsubishi-Motor im Teillastbereich sein volles Sparpotential ausschöpfen – allerdings mit einer völlig anderen Technik. Akira Kijima, 52, Leiter der Motorenentwicklung bei Mitsubishi, setzt auf einen konventionell großvolumigen Vierzylinder mit 1,8 Litern Hubraum, der in der deutschen Version 120 PS haben soll. Trotz der hohen Leistung soll der Carisma bei Geschwindigkeiten unterhalb von 120 km/h pro 100 Kilometer nur etwa 5,5 Liter verbrauchen – das wäre das Verbrauchsniveau der derzeit sparsamsten Dieselmotoren. Dieser Wert ist das Ergebnis einer fünfjährigen Forschungsarbeit, in die Mitsubishi laut Kijima etwa 300 Millionen Mark investiert hat. Der neue Motor verfügt über eine Direkteinspritzung des Kraftstoffs, ähnlich wie bei modernen Dieselmotoren. Die Einspritzdüse sprüht den Kraftstoff nicht, wie bei herkömmlichen Benzinmotoren, in das Ansaugrohr, sondern unmittelbar in den Zylinder (siehe Grafik Seite 146). Ziel ist es, das Benzin-Luft-Gemisch „abzumagern“, also weniger Kraftstoff zuzuführen, wenn dem Motor wenig Kraft abverlangt wird. Bei gewöhnlichen Motoren funktioniert diese Abmagerung nur bis zu einem Verhältnis von 1:20 zwischen Kraftstoff und Luft. Darunter zündet der Motor nicht mehr. Der Mitsubishi-Direkteinspritzer dagegen erzeugt eine konzentrierte Wolke zündfähigen Gemischs im Brennraum. Sie gleitet an der geschwungenen Oberfläche des Kolbens entlang, macht sozusagen einen Salto rückwärts und steigt zur Zündkerze empor. Durch diese Konzentrierung des Kraftstoffs in Kerzennähe zündet der Mitsubishi-Motor noch, wenn das Verhältnis von Kraftstoff zu Luft im Brennraum bei 1:40 liegt. Magermotoren emittieren jedoch wegen der hohen Verbrennungstemperaturen wesentlich mehr Stickoxide. Solche Mengen kann ein gewöhnlicher Katalysator nicht umwandeln. Aus diesem Grund scheiterten Magermotorkonzepte bislang immer an Abgasvorschriften. Kijima glaubt nun die Lösung gefunden zu haben. Ein zusammen mit einem japanischen Zulieferer entwickelter IridiumKatalysator soll große Teile der Stickoxide unmittelbar umwandeln. Dieser Kat könnte zur Senkung des Verbrauchs aller Benziner beitragen. Denn bei allen Motoren ließe sich dann das Gemisch, das derzeit im Interesse der Abgasqualität künstlich fett gehalten wird, abmagern, wenn auch nicht so stark wie beim Direkteinspritzer. Umstrittene Arzneien: Alles, was das Rind hergibt Greenpeace den für die Entwicklung gewährten Kredit über 2,5 Millionen Mark zurück. Doch das Interesse der Großkonzerne scheint gering. Renault-Manager zeigten sich eher peinlich berührt, daß die Greenpeacer ausgerechnet ihr Modell Twingo ausgesucht hatten, und dementierten jeglichen Kontakt zu dem Projekt. Zu glauben, daß ein Hersteller den Smile-Motor kaufen und sofort einsetzen könnte, wäre allerdings naiv. Die Erprobung vor dem Großserieneinsatz, schätzt Entwickler Wenger, würde noch gut drei Jahre in Anspruch nehmen. Die plakative Art der Öko-Aktionisten, den Smile schon als serienreifes Auto darzustellen, ärgert den Schweizer: „Da bin ich mit Greenpeace noch überhaupt nicht einig.“ Verbrauchern, die sich schon lange nicht mehr trauen, in ein saftiges Steak zu beißen, muß die Mixtur den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Rinderwahn jetzt aus der Pillenschachtel? Vierzig Präparate mit zweifelhaften Rinderextrakten, schätzt die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, wurden in den vergangenen zwölf Monaten vom Markt genommen. Mal konnte der Hersteller, wie bei den immunstärkenden Tabletten „Lymphogland“ aus Rinder-Lymphdrüsen, nicht nachweisen, „daß unser Rohstoff BSE-frei war“. Mal hätte das geforderte Reinigungsverfahren, wie bei dem Diabetikermittel „Glucagon“, nicht nur mögliche BSE-Erreger vernichtet, sondern auch die Heilsubstanz selbst. Der Hersteller von Ney- HORSTMÜLLER denkenlos“ angewandt werChondrin versichert, „eine den, sagt der Vorsitzende Übertragung von BSE durch der Arzneimittelkommission unsere Produkte“ sei dank Volker Dinnendahl: „Ich würhöchstem Sicherheitsstandard de selber welche einnehmen.“ „unmöglich“. Heinrich Hess, Doch ein Restrisiko bleibt. der frühere Arzt der deutExperte Beckmann: „Ob Mitschen Fußballnationalmanntel rechtswidrig weiter im Verschaft, hat nach eigenen Angakehr sind, wissen wir nicht.“ ben das Mittel auch schon Selbst bei den kontrollierten Spielern gespritzt. Präparaten warnen Fachleute Das beruhigt. Doch eine Gawie der Bremer Pharmakologe rantie gegen den heimtückiPeter Schönhöfer davor, die schen BSE-Erreger sind die Verbraucher in allzu großer SiBeteuerungen von Produzencherheit zu wiegen. Denn noch ten, die mitunter sogar mit immer wisse keiner genau, dem Prädikat „BSE-Sicherwie der Hirnschwamm-Erreheit“ werben, mitnichten. „Es ger aussieht, der Rinder torgibt keine absolute Sicherkelnd verenden läßt. Und noch heit“, warnt Jürgen Beckmann immer gebe es keinen zuvervom Bundesinstitut für Arzneilässigen Test, um eine Infektimittel, „man kann nur sagen, on mit dem aggressiven Agens eine Erkrankung ist hinreinachzuweisen. chend unwahrscheinlich.“ Mithin könne man auch nie Das Risiko, daß die tödliche sicher sein, daß alle gefährliKrankheit übertragen werde, chen Partikel abgetötet wurbestätigt der Frankfurter Bioden. „Wir betreiben Risikomiloge Theodor Dingermann, sei nimierung und setzen darauf, „prinzipiell auch bei ArzneiRheumamittel-Anzeige: Horror auf dem Beipackzettel daß unsere Grundannahmen mitteln gegeben“. über den BSE-Erreger zutrefFast jeden Tag kämen neue fen“, sagt Schönhöfer, „aber Fakten dazu, klagte der Gewas ist, wenn sie es nicht tun?“ schäftsführer der VerbraucherBei jeder Einnahme bleibe so initiative Bonn, Georg Babel, ein „ungutes Gefühl“. am vergangenen Freitag in der Die WeltgesundheitsorganiRadiosendung „Der Tag“ des sation in Genf warnt denn Hessischen Rundfunks: „Der auch, daß ReinigungsverfahVerbraucher wird immer mehr ren zwar das Infektionsrisiko verunsichert.“ vermindern; sie könnten aber Mehr als 1000 Produkte mit „nicht garantieren, die Erreger Rindermaterialien sind auf unschädlich zu machen“. dem deutschen Pharmamarkt Auch der Tierversuch, bei zu haben. Praktisch alles, was dem meist Mäusen das Präpadas Rind hergibt, wird zu Arzrat eingespritzt wird, um zu seneimitteln verrührt: Gehirn, hen, ob sie erkranken, könne Rückenmark und Leber, LunLücken haben. „Wenn nicht ge, Hoden oder Plazenta. genügend Mäuse oder der Selbst Bindegewebe, Knorpel falsche Maustyp eingesetzt und Haut der Tiere werden werden, ist die Aussagekraft Arzneien beigemengt. schon eingeschränkt“, sagt der Vor allem in homöopathi- DFB-Mannschaftsarzt Hess (r.)*: Spritze für die Sportler Mediziner Beckmann. schen und biologischen MitIn der unsicheren Lage empfehlen Verteln stecken die tierischen Stoffe. Och- heitskatalog für Medikamente aufgelegt, sengalle etwa findet sich in verdauungs- bei dem mindestens 20 Punkte erreicht braucherverbände und Ärzte deshalb eine fördernden Tropfen, Brustdrüsenextrakte werden müssen. Die Hersteller sollen un- strenge Abwägung, ob ein Medikament in Immunpräparaten, Kälberblut in Au- ter anderem nachweisen, daß die verar- tatsächlich benötigt wird. Etliche der tierischen Mixturen gelten gengels. Sportsalben können Nebennie- beiteten Organe – auch von Schafen und renextrakte untergemischt sein. Frische Ziegen – aus gesunden Herden stammen ohnehin als problematisch. Im ArzneiMilz soll Frauen gegen die Unbill der und mögliche Erreger abgetötet oder her- mittelverordnungsreport stehen sie häuWechseljahre helfen. ausgefiltert wurden. Am Ende wird das fig als Präparate, von denen „kaum mehr als Placebo-Effekte zu erwarten“ seien. Dazu kommen rund 24 000 Hilfsstoffe. Präparat im Tierversuch getestet. Wo es Ersatzstoffe gibt, wurden einige Milchzucker aus Rindermilch etwa Ein deutsches 250-Gramm-Steak würbenötigen die Hersteller, um Tabletten de den Test bestehen, wie der Biologe Din- Produkte umgestellt. So stammt Insulin zusammenzuhalten. Noch gar nicht voll- germann berechnet hat. Damit hätte es das oder Heparin, ein gerinnungshemmendes ständig erfaßt sind zudem die tierischen gleiche Ansteckungsrisiko wie ein über- Mittel, inzwischen vor allem von Produktionshilfen, die im Medikament prüftes Arzneimittel: eins zu einer Million. Schweinen. Wie andere Hersteller will selbst gar nicht mehr vorkommen, zum Hersteller und Apothekerverbände be- die Hoechst AG Insulin demnächst genBeispiel Eiweiße für Nährlösungen. teuern, die Medikamente auf dem Markt technisch erzeugen. Doch selbst dabei braucht sie einen tieUm das BSE-Risiko so tief wie mög- seien sauber. Die Präparate könnten „berischen Helfer – ein Enzym aus dem Rinlich zu drücken, hat das Berliner Bundermagen. ™ desinstitut einen ausgefeilten Sicher- * 1992, mit Rudi Völler. DER SPIEGEL 34/1996 149