Heft 34 - Spiegel

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WISSENSCHAFT
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DER SPIEGEL 34/1996
Angesichts des Abgas-Dilemmas wird
jedoch klar, daß der von Greenpeace geförderte Motorenentwickler Wenger im
Prinzip den eleganteren Ansatz gewählt
hat. Die magere, abgasreiche Verbrennung ist ein technischer Kompromiß, der
aus einem für den unteren Leistungsbereich zu groß geratenen Motor erwächst.
Der kleinvolumige Zweizylinder von
Wenger arbeitet dagegen bei Teillast optimal ohne eine künstliche Abmagerung
des Gemischs. Bei höherem Leistungsanspruch hilft dann der Druckwellen-Lader
nach. In keinem der Betriebszustände
entsteht das Abgas-Dilemma, wie es der
Magermotor aufweist.
Ein direkter Vergleich beider Konzepte in Serienautos wird so bald jedoch
nicht möglich sein. Greenpeace steht als
Autohersteller nicht zur Verfügung, sieht
sich nur als Vermittler zwischen Motorentüftler Wenger und der zaudernden
Industrie.
Sollte ein Hersteller die Lizenz für
Wengers Motor erwerben, verlangt
Rinderseuche
Ungutes
Gefühl
Pharmahersteller werben mit „BSEsicheren“ Medikamenten – eine
gefährliche Augenwischerei.
D
as Mittel gegen Rheuma und Gelenkerkrankungen soll dem Patienten auf der Basis natürlicher Wirkstoffe helfen. Doch der Beipackzettel
liest sich wie ein Horrorkatalog.
In dem Medizin-Cocktail, Produktname „NeyChondrin“, stecken nicht nur
Extrakte aus Rinderhirn. Auch Rückenmark, Plazenta, Brustdrüse und Hoden
der Tiere lieferten Wirkstoffe.
F. SCHUMANN / DER SPIEGEL
Mitsubishi in Tokio die baldige Markteinführung eines womöglich konkurrenzlos
sparsamen Benzinmotors an. Er wird ab
29. August in Japan verkauft und kommt
im Herbst nach Deutschland, eingebaut in
die Mittelklasselimousine Carisma.
Ähnlich wie die Greenpeace-Maschine
soll der Mitsubishi-Motor im Teillastbereich sein volles Sparpotential ausschöpfen – allerdings mit einer völlig anderen
Technik. Akira Kijima, 52, Leiter der Motorenentwicklung bei Mitsubishi, setzt auf
einen konventionell großvolumigen Vierzylinder mit 1,8 Litern Hubraum, der in
der deutschen Version 120 PS haben soll.
Trotz der hohen Leistung soll der Carisma bei Geschwindigkeiten unterhalb
von 120 km/h pro 100 Kilometer nur
etwa 5,5 Liter verbrauchen – das wäre
das Verbrauchsniveau der derzeit sparsamsten Dieselmotoren.
Dieser Wert ist das Ergebnis einer
fünfjährigen Forschungsarbeit, in die
Mitsubishi laut Kijima etwa 300 Millionen Mark investiert hat. Der neue Motor
verfügt über eine Direkteinspritzung des
Kraftstoffs, ähnlich wie bei modernen
Dieselmotoren. Die Einspritzdüse sprüht
den Kraftstoff nicht, wie bei herkömmlichen Benzinmotoren, in das Ansaugrohr,
sondern unmittelbar in den Zylinder (siehe Grafik Seite 146).
Ziel ist es, das Benzin-Luft-Gemisch
„abzumagern“, also weniger Kraftstoff
zuzuführen, wenn dem Motor wenig
Kraft abverlangt wird.
Bei gewöhnlichen Motoren funktioniert diese Abmagerung nur bis zu einem
Verhältnis von 1:20 zwischen Kraftstoff
und Luft. Darunter zündet der Motor
nicht mehr.
Der Mitsubishi-Direkteinspritzer dagegen erzeugt eine konzentrierte Wolke
zündfähigen Gemischs im Brennraum.
Sie gleitet an der geschwungenen Oberfläche des Kolbens entlang, macht sozusagen einen Salto rückwärts und steigt
zur Zündkerze empor. Durch diese Konzentrierung des Kraftstoffs in Kerzennähe zündet der Mitsubishi-Motor
noch, wenn das Verhältnis von Kraftstoff
zu Luft im Brennraum bei 1:40 liegt.
Magermotoren emittieren jedoch wegen der hohen Verbrennungstemperaturen wesentlich mehr Stickoxide. Solche
Mengen kann ein gewöhnlicher Katalysator nicht umwandeln. Aus diesem
Grund scheiterten Magermotorkonzepte
bislang immer an Abgasvorschriften.
Kijima glaubt nun die Lösung gefunden
zu haben. Ein zusammen mit einem japanischen Zulieferer entwickelter IridiumKatalysator soll große Teile der Stickoxide
unmittelbar umwandeln. Dieser Kat könnte zur Senkung des Verbrauchs aller Benziner beitragen. Denn bei allen Motoren
ließe sich dann das Gemisch, das derzeit
im Interesse der Abgasqualität künstlich
fett gehalten wird, abmagern, wenn auch
nicht so stark wie beim Direkteinspritzer.
Umstrittene Arzneien: Alles, was das Rind hergibt
Greenpeace den für die Entwicklung gewährten Kredit über 2,5 Millionen Mark
zurück. Doch das Interesse der Großkonzerne scheint gering. Renault-Manager
zeigten sich eher peinlich berührt, daß
die Greenpeacer ausgerechnet ihr Modell Twingo ausgesucht hatten, und dementierten jeglichen Kontakt zu dem
Projekt.
Zu glauben, daß ein Hersteller den
Smile-Motor kaufen und sofort einsetzen
könnte, wäre allerdings naiv. Die Erprobung vor dem Großserieneinsatz, schätzt
Entwickler Wenger, würde noch gut drei
Jahre in Anspruch nehmen. Die plakative
Art der Öko-Aktionisten, den Smile
schon als serienreifes Auto darzustellen,
ärgert den Schweizer: „Da bin ich mit
Greenpeace noch überhaupt nicht einig.“
Verbrauchern, die sich schon lange
nicht mehr trauen, in ein saftiges Steak zu
beißen, muß die Mixtur den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Rinderwahn jetzt aus der Pillenschachtel?
Vierzig Präparate mit zweifelhaften
Rinderextrakten, schätzt die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker,
wurden in den vergangenen zwölf Monaten vom Markt genommen. Mal konnte
der Hersteller, wie bei den immunstärkenden Tabletten „Lymphogland“ aus
Rinder-Lymphdrüsen, nicht nachweisen,
„daß unser Rohstoff BSE-frei war“. Mal
hätte das geforderte Reinigungsverfahren, wie bei dem Diabetikermittel „Glucagon“, nicht nur mögliche BSE-Erreger
vernichtet, sondern auch die Heilsubstanz selbst. Der Hersteller von Ney-
HORSTMÜLLER
denkenlos“ angewandt werChondrin versichert, „eine
den, sagt der Vorsitzende
Übertragung von BSE durch
der Arzneimittelkommission
unsere Produkte“ sei dank
Volker Dinnendahl: „Ich würhöchstem Sicherheitsstandard
de selber welche einnehmen.“
„unmöglich“. Heinrich Hess,
Doch ein Restrisiko bleibt.
der frühere Arzt der deutExperte Beckmann: „Ob Mitschen Fußballnationalmanntel rechtswidrig weiter im Verschaft, hat nach eigenen Angakehr sind, wissen wir nicht.“
ben das Mittel auch schon
Selbst bei den kontrollierten
Spielern gespritzt.
Präparaten warnen Fachleute
Das beruhigt. Doch eine Gawie der Bremer Pharmakologe
rantie gegen den heimtückiPeter Schönhöfer davor, die
schen BSE-Erreger sind die
Verbraucher in allzu großer SiBeteuerungen von Produzencherheit zu wiegen. Denn noch
ten, die mitunter sogar mit
immer wisse keiner genau,
dem Prädikat „BSE-Sicherwie der Hirnschwamm-Erreheit“ werben, mitnichten. „Es
ger aussieht, der Rinder torgibt keine absolute Sicherkelnd verenden läßt. Und noch
heit“, warnt Jürgen Beckmann
immer gebe es keinen zuvervom Bundesinstitut für Arzneilässigen Test, um eine Infektimittel, „man kann nur sagen,
on mit dem aggressiven Agens
eine Erkrankung ist hinreinachzuweisen.
chend unwahrscheinlich.“
Mithin könne man auch nie
Das Risiko, daß die tödliche
sicher sein, daß alle gefährliKrankheit übertragen werde,
chen Partikel abgetötet wurbestätigt der Frankfurter Bioden. „Wir betreiben Risikomiloge Theodor Dingermann, sei
nimierung und setzen darauf,
„prinzipiell auch bei ArzneiRheumamittel-Anzeige: Horror auf dem Beipackzettel
daß unsere Grundannahmen
mitteln gegeben“.
über den BSE-Erreger zutrefFast jeden Tag kämen neue
fen“, sagt Schönhöfer, „aber
Fakten dazu, klagte der Gewas ist, wenn sie es nicht tun?“
schäftsführer der VerbraucherBei jeder Einnahme bleibe so
initiative Bonn, Georg Babel,
ein „ungutes Gefühl“.
am vergangenen Freitag in der
Die WeltgesundheitsorganiRadiosendung „Der Tag“ des
sation in Genf warnt denn
Hessischen Rundfunks: „Der
auch, daß ReinigungsverfahVerbraucher wird immer mehr
ren zwar das Infektionsrisiko
verunsichert.“
vermindern; sie könnten aber
Mehr als 1000 Produkte mit
„nicht garantieren, die Erreger
Rindermaterialien sind auf
unschädlich zu machen“.
dem deutschen Pharmamarkt
Auch der Tierversuch, bei
zu haben. Praktisch alles, was
dem meist Mäusen das Präpadas Rind hergibt, wird zu Arzrat eingespritzt wird, um zu seneimitteln verrührt: Gehirn,
hen, ob sie erkranken, könne
Rückenmark und Leber, LunLücken haben. „Wenn nicht
ge, Hoden oder Plazenta.
genügend Mäuse oder der
Selbst Bindegewebe, Knorpel
falsche Maustyp eingesetzt
und Haut der Tiere werden
werden, ist die Aussagekraft
Arzneien beigemengt.
schon eingeschränkt“, sagt der
Vor allem in homöopathi- DFB-Mannschaftsarzt Hess (r.)*: Spritze für die Sportler
Mediziner Beckmann.
schen und biologischen MitIn der unsicheren Lage empfehlen Verteln stecken die tierischen Stoffe. Och- heitskatalog für Medikamente aufgelegt,
sengalle etwa findet sich in verdauungs- bei dem mindestens 20 Punkte erreicht braucherverbände und Ärzte deshalb eine
fördernden Tropfen, Brustdrüsenextrakte werden müssen. Die Hersteller sollen un- strenge Abwägung, ob ein Medikament
in Immunpräparaten, Kälberblut in Au- ter anderem nachweisen, daß die verar- tatsächlich benötigt wird.
Etliche der tierischen Mixturen gelten
gengels. Sportsalben können Nebennie- beiteten Organe – auch von Schafen und
renextrakte untergemischt sein. Frische Ziegen – aus gesunden Herden stammen ohnehin als problematisch. Im ArzneiMilz soll Frauen gegen die Unbill der und mögliche Erreger abgetötet oder her- mittelverordnungsreport stehen sie häuWechseljahre helfen.
ausgefiltert wurden. Am Ende wird das fig als Präparate, von denen „kaum mehr
als Placebo-Effekte zu erwarten“ seien.
Dazu kommen rund 24 000 Hilfsstoffe. Präparat im Tierversuch getestet.
Wo es Ersatzstoffe gibt, wurden einige
Milchzucker aus Rindermilch etwa
Ein deutsches 250-Gramm-Steak würbenötigen die Hersteller, um Tabletten de den Test bestehen, wie der Biologe Din- Produkte umgestellt. So stammt Insulin
zusammenzuhalten. Noch gar nicht voll- germann berechnet hat. Damit hätte es das oder Heparin, ein gerinnungshemmendes
ständig erfaßt sind zudem die tierischen gleiche Ansteckungsrisiko wie ein über- Mittel, inzwischen vor allem von
Produktionshilfen, die im Medikament prüftes Arzneimittel: eins zu einer Million. Schweinen. Wie andere Hersteller will
selbst gar nicht mehr vorkommen, zum
Hersteller und Apothekerverbände be- die Hoechst AG Insulin demnächst genBeispiel Eiweiße für Nährlösungen.
teuern, die Medikamente auf dem Markt technisch erzeugen.
Doch selbst dabei braucht sie einen tieUm das BSE-Risiko so tief wie mög- seien sauber. Die Präparate könnten „berischen Helfer – ein Enzym aus dem Rinlich zu drücken, hat das Berliner Bundermagen.
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desinstitut einen ausgefeilten Sicher- * 1992, mit Rudi Völler.
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