Mathematische Physik: Klassische Mechanik

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Mathematische Physik: Klassische Mechanik
Andreas Knauf
Mathematische Physik:
Klassische Mechanik
123
Prof. Dr. Andreas Knauf
Department Mathematik
FAU Erlangen-Nürnberg
Cauerstr. 11
91058 Erlangen
Deutschland
[email protected]
ISBN 978-3-642-20977-2
e-ISBN 978-3-642-20978-9
DOI 10.1007/978-3-642-20978-9
Springer Heidelberg Dordrecht London New York
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Mathematics Subject Classification (2010): 37N05
c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Inhaltsverzeichnis
Bemerkungen zur Mathematischen Physik
Motive und Ziele . . . . . . . . . . . . .
Inhalte des Buches ,Klassische Mechanik’
Inhalte der Lehrbuchreihe . . . . . . . . .
Zur Notation . . . . . . . . . . . . . . . .
Kleines Englisch-Wörterbuch . . . . . . .
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1 Einleitung
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2 Dynamische Systeme
2.1 Iterierte Abbildungen, dynamische Systeme . . . . . . . . . . . .
2.2 Stetige dynamische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Differenzierbare dynamische Systeme . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Gewöhnliche Differentialgleichungen
3.1 Definitionen und Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Lokale Existenz und Eindeutigkeit der Lösung . . . . .
3.3 Globale Existenz und Eindeutigkeit der Lösung . . . . .
3.4 Transformation in ein dynamisches System . . . . . . .
3.5 Das maximale Existenzintervall . . . . . . . . . . . . .
3.6 Der Hauptsatz der Differentialgleichungstheorie . . . .
3.6.1 Linearisierung der DGL entlang einer Trajektorie
3.6.2 Aussage und Beweis des Hauptsatzes . . . . . .
3.6.3 Folgerungen aus dem Hauptsatz . . . . . . . .
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4 Lineare Dynamik
4.1 Homogene lineare autonome DGLn . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Explizit zeitabhängige lineare DGLn . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 Quasipolynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5 Klassifikation linearer Flüsse
5.1 Konjugationen linearer Flüsse . . .
5.2 Hyperbolische lineare Vektorfelder
5.3 Lineare Flüsse in der Ebene . . . .
5.4 Beispiel: Feder mit Reibung . . . .
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Inhaltsverzeichnis
6 Hamiltonsche Gleichungen und Symplektische Gruppe
6.1 Gradientenflüsse und hamiltonsche Systeme . . . . . . .
6.1.1 Gradienten–Differentialgleichungen . . . . . . . .
6.1.2 Hamiltonsche Systeme . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Die symplektische Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2.1 Lineare hamiltonsche Systeme . . . . . . . . . .
6.2.2 Symplektische Geometrie . . . . . . . . . . . . .
6.2.3 Die symplektische Algebra . . . . . . . . . . . .
6.3 Lineare hamiltonsche Systeme . . . . . . . . . . . . . . .
6.3.1 Harmonische Oszillatoren . . . . . . . . . . . . .
6.3.2 Harmonische Gitterschwingungen . . . . . . . . .
6.3.3 Teilchen im konstanten elektromagnetischen Feld
6.4 Unterräume symplektischer Vektorräume . . . . . . . . .
6.5 * Der Maslov–Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7 Stabilitätstheorie
7.1 Stabilität linearer Differentialgleichungen .
7.2 Liapunov-Funktionen . . . . . . . . . . .
7.3 Verzweigungen . . . . . . . . . . . . . . .
7.3.1 Verzweigungen von Ruhelagen . .
7.3.2 Verzweigungen periodischer Orbits
7.3.3 Verzweigungen des Phasenraums .
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8 Variationsprinzipien
8.1 Lagrange- und Hamilton–Gleichungen
8.2 Holonome Zwangsbedingungen . . . .
8.3 Das hamiltonsche Variationsprinzip . .
8.4 Die Geodätische Bewegung . . . . . .
8.5 Die Jacobi–Metrik . . . . . . . . . . .
8.6 Das fermatsche Prinzip . . . . . . . .
8.7 Die geometrische Optik . . . . . . . .
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9 Ergodentheorie
9.1 Maßerhaltende dynamische Systeme
9.2 Ergodische dynamische Systeme . .
9.3 Mischende dynamische Systeme . . .
9.4 Der birkhoffsche Ergodensatz . . . .
9.5 Der poincarésche Wiederkehrsatz . .
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10 Symplektische Geometrie
10.1 Symplektische Mannigfaltigkeiten . . . . .
10.2 Lie–Ableitung und Poisson–Klammer . . .
10.3 Kanonische Transformationen . . . . . . .
10.4 Lagrange–Mannigfaltigkeiten . . . . . . .
10.5 Erzeugende kanonischer Transformationen
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Inhaltsverzeichnis
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11 Bewegung im Potential
11.1 Allgemein gültige Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . .
11.1.1 Existenz des Flusses . . . . . . . . . . . . . . . .
11.1.2 Reversibilität des Flusses . . . . . . . . . . . . .
11.1.3 Erreichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.2 Bewegung im periodischen Potential . . . . . . . . . . .
11.2.1 Existenz der asymptotischen Geschwindigkeiten .
11.2.2 Verteilung der asymptotischen Geschwindigkeiten
11.2.3 Ballistische und diffusive Bewegung . . . . . . .
11.3 Himmelsmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.3.1 Geometrie des Kepler–Problems . . . . . . . . .
11.3.2 Zwei Gravitationszentren . . . . . . . . . . . . .
11.3.3 Das n–Körper-Problem . . . . . . . . . . . . . .
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12 Streutheorie
12.1 Potentialstreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.2 Die Møller-Transformationen . . . . . . . . . . . . . . .
12.3 Der differentielle Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . .
12.4 Zeitverzögerung, Radon–Transform., Inverse Streutheorie
12.5 Kinematik der Streuung von n Teilchen . . . . . . . . .
12.6 * Asymptotische Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . .
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13 Integrable Systeme und Symmetrien
13.1 Was bedeutet Integrabilität? Ein Beispiel
13.2 Der Satz von Liouville-Arnol’d . . . . .
13.3 Winkel-Wirkungskoordinaten . . . . . .
13.4 Die Impulsabbildung . . . . . . . . . . .
13.5 * Reduktion des Phasenraums . . . . .
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14 Starre und bewegliche Körper
14.1 Bewegungen des Raumes . . . . . . . . .
14.2 Kinematik starrer Körper . . . . . . . . .
14.3 Lösung der Bewegungsgleichungen . . . .
14.3.1 Kräftefreie Kreisel . . . . . . . . .
14.3.2 Schwere (symmetrische) Kreisel .
14.4 Bewegliche Körper, anholonome Systeme .
14.4.1 Geometrie beweglicher Körper . .
14.4.2 Anholonome Zwangsbedingungen .
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15 Störungstheorie
15.1 Bedingt-periodische Bewegung des Torus . . .
15.2 Störungstheorie für eine Winkelvariable . . . .
15.3 Hamiltonsche Störungstheorie erster Ordnung
15.4 KAM-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . .
15.4.1 * Ein Beweis des KAM–Satzes . . . .
15.4.2 Maß der KAM–Tori . . . . . . . . . .
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viii
Inhaltsverzeichnis
15.5 Diophantische Bedingung und Kettenbrüche . . . . . . . . . . . 403
15.6 Cantori: Am Beispiel der Standardabbildung . . . . . . . . . . . 408
16 Relativistische Mechanik
16.1 Die Lichtgeschwindigkeit . . . . . . .
16.2 Die Lorentz– und die Poincaré–Gruppe
16.3 Geometrie des Minkowski–Raumes . .
16.4 Die Welt in relativistischer Sichtweise .
16.5 Von Einstein zu Galilei — und zurück
16.6 Relativistische Dynamik . . . . . . . .
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17 Symplektische Topologie
437
17.1 Das symplektische Kamel und das Nadelöhr . . . . . . . . . . . 438
17.2 Der Satz von Poincaré–Birkhoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442
17.3 Die Arnol’d–Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
A Topologische Räume und
A.1 Topologie und Metrik
A.2 Mannigfaltigkeiten . .
A.3 Das Tangentialbündel
Mannigfaltigkeiten
449
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
B Differentialformen
B.1 Äußere Formen . . . . . . . . . . . . . .
B.2 Differentialformen auf dem Rn . . . . . .
B.3 Integration von Differentialformen . . . .
B.4 Differentialformen auf Mannigfaltigkeiten .
B.5 Innere Ableitung und Lie–Ableitung . . . .
B.6 Der Satz von Stokes . . . . . . . . . . . .
B.7 Das Poincaré–Lemma . . . . . . . . . . .
B.8 de-Rham–Kohomologie . . . . . . . . . .
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497
C Konvexität und Legendre–Transformation
500
C.1 Konvexe Mengen und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 500
C.2 Die Legendre-Fenchel–Transformation . . . . . . . . . . . . . . 501
D Fixpunkt- und Urbildsätze
505
E Gruppentheorie
E.1 Gruppen . . . . . . . .
E.2 Lie–Gruppen . . . . . .
E.3 Lie–Algebren . . . . . .
E.4 Lie–Gruppenwirkungen
508
508
511
514
519
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Inhaltsverzeichnis
F Bündel, Zusammenhang, Krümmung
F.1 Faserbündel . . . . . . . . . . . . . . . .
F.2 Zusammenhänge auf Faserbündeln . . . .
F.3 Distributionen und der Satz von Frobenius
F.4 Holonomie und Krümmung . . . . . . . .
ix
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G Morse–Theorie
537
G.1 Morse–Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
G.2 Singuläre Homologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
G.3 Geodätische Bewegung und Morse–Theorie . . . . . . . . . . . . 545
H Lösungen der Aufgaben
552
Literaturverzeichnis
609
Namensregister
620
Symboltabelle
622
Abbildungsnachweis
623
Sachregister
624
Bemerkungen zur
Mathematischen Physik
Motive und Ziele
The laws of nature are constructed in such a way as to make the universe as
”
interesting as possible.” Freeman Dyson, in Imagined Worlds (1997)
In der Mathematischen Physik wird versucht, ausgehend von physikalischen
Grundgleichungen und -Annahmen (wie der newtonschen Gleichung, der Boltzmann–Verteilung oder der Schrödinger–Gleichung) physikalische Sachverhalte
mathematisch abzuleiten.
Im Mittelpunkt steht also das physikalische Problem (zum Beispiel die Frage
nach der Stabilität des Sonnensystems, dem Grund für die Existenz von Kristallen
oder der Lokalisierung von Elektronen im amorphen Festkörper).
Die zur Lösung des jeweiligen Problems benötigten Methoden lassen sich
mehrheitlich Analysis oder Geometrie zuordnen, aber auch algebraische Techniken spielen eine Rolle. In grober Zuordnung entspricht mathematisch der
• Klassischen Mechanik die Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen,
• der Quantenmechanik die Funktionalanalysis und
• der (klassischen) Statistischen Mechanik die Wahrscheinlichkeitstheorie.
Zu einem Zyklus über Theoretische Physik gehört aber auch die Elektrodynamik und damit mathematisch gesehen die Theorie der Maxwell–Gleichung,
einer linearen partiellen Differentialgleichung. Die Allgemeine Relativitätstheorie,
eins der Fundamente der modernen Physik, führt wie viele andere Fragestellungen auf eine nichtlineare partielle Differentialgleichung. Die Quantenfeldtheorie
beruht auf einer Vielfalt analytischer, geometrischer wie algebraischer Methoden.
Bei dieser Uferlosigkeit des Gebietes stellt sich die Frage, wie es möglich ist,
hier in vernünftiger Zeit Boden unter den Füßen zu bekommen, und ob sich die
Beschäftigung mit Mathematischer Physik lohnt.
Der vorliegende erste Band des geplanten dreibändigen Kurses zur Mathematischen Physik gibt ein Angebot zur ersten Frage.
xi
xii
Bemerkungen zur Mathematischen Physik
Die zweite Frage muß jeder für sich entscheiden. Studierende der Mathematik
und der Physik haben hier oft unterschiedliche Motive:
• In den Kursusvorlesungen der Theoretischen Physik kann ein mathematisch
rigoroser Unterbau aus Zeitgründen nicht geschaffen werden. Notgedrungen
werden etwa Schrödinger-Operatoren wie endliche Matrizen behandelt. Hier
bietet die Mathematischen Physik eine sinnvolle Ergänzung.
Der für eine höhere mathematische Genauigkeit zu zahlende Preis besteht
darin, dass ein Kurs zur Mathematischen Physik bei Bachelor-regulierter Zeit
nicht die gleiche Vielfalt physikalischer Phänomene behandeln kann, wie das
in einem Kurs zur Theoretischen Physik möglich ist. Stattdessen werden begriffliche Grundlagen geklärt und exemplarische Modelle untersucht.
• Im Mathematik-Studium wird aus gutem Grund eine deduktive Entwicklung
mathematischer Begriffe gewählt.
Hier kann die problem- und nicht methodenorientierte Mathematische Physik die praktische Relevanz dieser Begriffe motivieren, etwa die dynamische
Bedeutung der Spektralanteile eines selbstadjungierten Operators.
Ein weiterer Grund für das Interesse an der Mathematischen Physik ist ein Phänomen, das Eugene Wigner zum Titel eines 1960 erschienenen Essays machte,
nämlich
The Unreasonable Effectiveness of Mathematics in the Natural Sciences”
”
Oder mit Albert Einstein:
Wie ist es möglich, daß die Mathematik, die doch ein von aller Erfahrung un”
abhängiges Produkt des menschlichen Denkens ist, auf die Gegenstände der Wirklichkeit so vortrefflich paßt?” 1
Unmittelbar bezieht sich das Zitat Einsteins auf alle ,Gegenstände der Wirklichkeit’. Aber seine beste Bestätigung findet es in der Physik. Hier weisen mathematische Strukturen (wie die Differentialgeometrie für die Relativitätstheorie
oder die Gruppentheorie für die Quantenfeldtheorie) oft vor experimentellen Beobachtungen den Weg zur angemessenen Theorie.2
Dagegen sind etwa in der Biologie als neuer Leitwissenschaft naturhistorisch
entstandene Strukturen entscheidend. Auch wenn sich viele Phänomene mathematisch modellieren lassen, ist die Voraussagekraft der Modelle begrenzt. Gleiches gilt in verstärktem Maß etwa für die Wirtschaftswissenschaften.
Zwar läßt sich auch die Vielfalt technischer Erfindungen in mathematischer
Sprache beschreiben, auch hier wird mehr problem- als methodenorientiert gearbeitet. Ein Unterschied liegt aber in der Zielsetzung. Ziel Mathematischer Physik
ist zunächst Erkenntnis von Naturvorgängen, während es in der Technomathematik letztlich um die Simulation und Optimierung von Strukturen und Prozessen
geht.
1 A. Einstein: Geometrie und Erfahrung. Festvortrag, gehalten an der Preussischen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin, am 27. Januar 1921. Berlin: Julius Springer 1921.
2 Dass umgekehrt ,physikalische Beweise’ mathematischer Sachverhalte möglich sind, zeigt
auf sehr unterhaltsame Weise das Buch [Lev] von Mark Levi.
Bemerkungen zur Mathematischen Physik
xiii
Inhalte des Buches ,Klassische Mechanik’
Als μηχαν ή (mêchanê) bezeichnet man vorwissenschaftlich im Griechischen
”
eine Konstruktion, einen Kunstgriff oder auch einen — illegitimen — Trick.
Wenn griechische Staatsverträge hinterlistiges Verhalten ausschließen wollten,
verboten sie den Einsatz von τ ´χνη (technê) oder mêchanê,
von Hinterlist und Tücke.” [Me], Seite 129
Dies ist der erste Band der geplanten dreibändigen Lehrbuchreihe zur Mathematischen Physik. Die logischen Beziehungen zwischen den Kapiteln dieses
Buches werden in erster Näherung durch den folgenden Baum dargestellt.
2: Dynamische Systeme
3: Gewöhnliche Differentialgleichungen
4: Lineare Dynamik
6: Hamiltonsche Gleichungen und Symplektische Gruppe
5: Klassifikation linearer Flüsse
7: Stabilitätstheorie
8: Variationspr.
13: Integrable Systeme
10: Symplektische Geometrie
14: Der starre Körper
9: Ergodentheorie
17: Symplektische Topologie
11: Potentialbew.
16: Relativistik
12: Streutheorie
15: Störungstheorie
Einer vierstündigen Vorlesung kann beispielsweise (falls Grundkenntnisse über
gewöhnliche Differentialgleichungen vorausgesetzt werden können) die folgende
Stoffauswahl zugrunde gelegt werden:
• Kapitel 2: Dynamische Systeme
• Kapitel 6: Hamiltonsche Gleichungen und Symplektische Gruppe
• Kapitel 8: Variationsprinzipien
• Kapitel 9: Ergodentheorie
• Kapitel 10: Symplektische Geometrie
• Kapitel 13: Integrable Systeme
Ergänzend zu den Anhängen dieses Buches sei das Taschenbuch der Mathematik
[Zei] von Eberhard Zeidler [Hg] empfohlen.
xiv
Bemerkungen zur Mathematischen Physik
Inhalte der Lehrbuchreihe
Die geplante Lehrbuchreihe eignet sich als Basis einer dreisemestrigen vierstündigen Vorlesung zur Mathematischen Physik, wie sie an mehreren deutschsprachigen Universitäten angeboten wird. Mit dieser Beschränkung des Stoffes ist eine
Integration in das Lehrangebot der Mathematik oder der Physik realisierbar.
Zusätzlich sind die drei Bände weitgehend unabhängig voneinander, wodurch
sie leichter in eine andere Unterrichtsplanung integriert werden können.
Explizit vorausgesetzt werden nur die Vorlesungen zur Analysis und zur Linearen Algebra. Anhänge fassen die wichtigsten Voraussetzungen etwa aus Differentialgeometrie, Gruppentheorie, Topologie und Wahrscheinlichkeitstheorie zusammen. Essentials etwa aus der Theorie gewöhnlicher Differentialgleichungen oder
der Funktionalanalysis werden an Ort und Stelle eingeführt. Bei entsprechenden
Vorkenntnissen können die entsprechenden Kapitel ausgelassen werden.
Die Bände eignen sich auch zum Selbststudium.
Die geplante Lehrbuchreihe kann vorhandene Literatur wie etwa die bekannten vierbändigen Werke ,Methods of Modern Mathematical Physics’ von M. Reed
und B. Simon oder ,Lehrbuch der Mathematischen Physik’ von W. Thirring nicht
ersetzen. Während Ersteres wegbereitend für die Mathematisierung der Quantenmechanik war, spannte das zweite Werk einen Bogen von den Grundgleichungen
bis zum Beweis von Eigenschaften physikalisch realistischer Modelle.
Es wird hier ein etwas geringeres mathematisches Ausgangsniveau vorausgesetzt, gleichzeitig aber versucht, die Breite aktueller Fragestellungen abzubilden
und Voraussetzungen für das Verständnis spezialisierterer Literatur zu schaffen.
Die durch einen Stern (*) gekennzeichneten Kapitel sind mathematisch anspruchsvoller, werden aber im Weiteren nicht vorausgesetzt.
Die (in diesem Band über 100) Übungsaufgaben werden teilweise durch
Lösungstipps ergänzt, denn sie variieren stark in ihrem Schwierigkeitsgrad. In
einem Anhang findet man die Lösungen. Die (für den vorliegenden Band etwa
340) Illustrationen sind – soweit möglich – quantitativ exakt.
Danksagung Die geplante Lehrbuchreihe hat ihren Ursprung im Vorlesungszyklus ,Mathematische Physik’, der von Ruedi Seiler am Fachbereich Mathematik
der TU Berlin etabliert wurde. Ihm verdanke ich und verdankt die Lehrbuchreihe sehr viel. Robert Schrader, der am Fachbereich Physik der FU Berlin meine
Diplomarbeit und Dissertation betreute, hat meine Sicht der Mathematischen
Physik entscheidend geformt.
Ich danke Frau Irmgard Moch, die in detektivischer Arbeit meine Handschrift
entzifferte und dieses Buch schrieb. Christoph Schumacher hat unter Anderem
mehrere Aufgaben beigetragen. Viviane Baladi, Tanja Dierkes, Jacques Féjoz,
Herbert Lange, Zhiyi Tang, Stefan Teufel, Stephan Weis sowie zahlreiche weitere
Kolleginnen und Kollegen fanden Fehler im Manuskript oder trugen anderweitig
zu seiner Verbesserung bei. Frau Herrmann und Herrn Heine vom Springer–Verlag
danke ich für ihre freundliche Hilfe bei der Veröffentlichung des Buches.
Alle Fehler gehen natürlich auf mein Konto. Für entsprechende Hinweise bin
ich dankbar.
Erlangen, im Mai 2011, A.K.
Bemerkungen zur Mathematischen Physik
xv
Zur Notation
Teilmengen: Sind A und B Mengen, dann heißt A Teilmenge von B (in Zeichen
A ⊆ B), wenn gilt: x ∈ A ⇒ x ∈ B. Insbesondere gilt B ⊆ B. Die echte
Inklusion A B bedeutet, dass A ⊆ B, aber A = B gilt. In der mathematischen
Literatur findet man auch das Teilmengenzeichen A ⊂ B. Dies benutzen wir statt
⊆ als Hinweis auf eine echte Teilmenge.
Potenzmengen: Ist A eine Menge, dann ist die Potenzmenge von A
2A := {B | B ⊆ A}.
Synonym findet man auch die Notationen P(A) und P(A).
Funktionen: Für f : M → N und A ⊆ M ist f (A) := {f (a) | a ∈ A}.
Für B ⊆ N ist f −1 (B) := {m ∈ M | f (m) ∈ B}. Für b ∈ N ist f −1 (b) :=
f −1 ({b}).
Zahlen: Menge N = {1, 2, . . .} der natürlichen Zahlen, N0 = {0, 1, 2, . . .},
Ring Z = {0, 1, −1, 2, −2, . . .} der ganzen Zahlen.
Körper Q, R, C der rationalen, reellen beziehungsweise komplexen Zahlen.
Für einen Körper K bedeutet K∗ die multiplikative Gruppe K∗ := K \ {0}, und
R+ := {x ∈ R | x > 0} = (0, ∞).
Intervalle: Für a, b ∈ R, a < b ist
(a, b) := {x ∈ R | x > a, x < b}
, (a, b] := {x ∈ R | x > a, x ≤ b} etc.
(Synonym findet man auch die Notation ]a, b[= (a, b), ]a, b] = (a, b] etc.)
Matrizen: Mat(m × n, K) bezeichnet den K–Vektorraum der m × n–Matrizen
mit Einträgen aus dem Körper K, und Mat(n, K) den Ring Mat(n × n, K).
Sphären und Kugeln: Für d ∈ N0 ist S d := {x ∈ Rd+1 | x
= 1} = ∂B d+1 ,
also Rand der abgeschlossenen Vollkugel Brd := {x ∈ Rd | x
≤ r} vom Radius
r > 0, und B d := B1d .
Wir schreiben S 1 ⊂ C für {c ∈ C | |c| = 1}, aber auch S 1 := R/Z (mit der
Identifikation [x] → exp(2πix)) für die multiplikative bzw. additive Gruppe.
Das griechische Alphabet: a) Kleinbuchstaben
α
β
γ
δ
, ε
Alpha
Beta
Gamma
Delta
Epsilon
ζ
η
θ,ϑ
ι
κ
Zeta
Eta
Theta
Jota
Kappa
λ
μ
ν
ξ
o
Lambda
My
Ny
Xi
Omikron
π
ρ,
σ,ς
τ
υ
Pi
Rho
Sigma
Tau
Ypsilon
φ, ϕ
χ
ψ
ω
Phi
Chi
Psi
Omega
Ω
Omega
b) Großbuchstaben (soweit verschieden von den lateinischen)
Γ
Δ
Gamma
Delta
Θ
Λ
Theta
Lambda
Ξ
Π
Xi
Pi
Σ
Υ
Sigma
Ypsilon
Φ
Ψ
Phi
Psi
xvi
Bemerkungen zur Mathematischen Physik
Kleines Englisch-Wörterbuch
abelian
absolute value
acceleration
accumulation point
angular momentum
area
assertion
associativity
as. completeness
asymptotic value
average
ball
barycenter
bifurcation
billiard
bound
bounded
box
bundle
cardinality
cartesian product
centroid
chain rule
circle
closed
complete
conditionally periodic
connected
connection
constraint
continuity
convergent
convolution
countable
covering
critical point
critically damped
cross section
curvature
degree
derivative
disjoint
disk
distance
divergent
domain
empty set
equilibrium
equivalence class
escape time
expectation value
fibre
field
fixed point
flow
force
forced oscillation
friction
function
golden ratio/mean
graph
group
group action
ill-posed
abelsch
Betrag
Beschleunigung
Häufungspunkt
Drehimpuls
Fläche
Aussage
Assoziativität
as. Vollständigkeit
Grenzwert
Mittelwert
Vollkugel
Schwerpunkt
Verzweigung
Billard
Schranke
beschränkt
Würfel
Bündel
Mächtigkeit
kartesisches Produkt
Schwerpunkt
Kettenregel
Kreislinie
abgeschlossen
vollständig
bedingt-periodisch
zusammenhängend
Zusammenhang
Zwangsbedingung
Stetigkeit
konvergent
Faltung
abzählbar
Überlagerung
Ruhelage; kr. Punkt
Aperiodischer Grenzfall
Wirkungsquerschnitt
Krümmung
Abbildungsgrad
Ableitung
disjunkt
Kreisscheibe
Abstand
divergent
Definitionsbereich
leere Menge
Ruhelage
Äquivalenzklasse
Fluchtzeit
Erwartungswert
Faser
Körper
Fixpunkt
Fluss
Kraft
erzwungene Schwingung
Reibung
Funktion
Goldener Schnitt
Graph
Gruppe
Gruppenwirkung
schlecht gestellt
image
imaginary part
imgaginary unit
inequality
initial condition
intersection
interval
inverse mapping
limit
linking number
manifold
map
measure
metric
metric space
mixing
moment of inertia
momentum
monotonous
neighborhood
numbers
- complex
- integer
- irrational
- natural
- rational
- real
one-to-one
onto
open
order
overdamped
partition
proposition
power series
power set
primes
principal bundle
proper map
real part
relation
residue class
ring
root
scattering
section
semicontinuous
sequence
set
sign
solution
speed
stable
subsequence
subset
theorem
time delay
time reversal
triangle inequality
underdamped
union
unit
velocity
well defined
Bild
Imaginärteil
imaginäre Einheit
Ungleichung
Anfangsbedingung
Durchschnitt
Intervall
Umkehrabbildung
Limes
Verschlingungszahl
Mannigfaltigkeit
Abbildung, Karte
Maß
Metrik
metrischer Raum
mischend
Trägheitsmoment
Impuls
monoton
Umgebung
Zahlen
- komplexe
- ganze
- irrationale
- natürliche
- rationale
- reelle
injektiv
surjektiv
offen
Ordnung
Kriechfall
Zerlegung
Satz
Potenzreihe
Potenzmenge
Primzahlen
Hauptfaserbündel
eigentliche Abb.
Realteil
Relation
Restklasse
Ring
Wurzel
Streuung
Schnitt
halbstetig
Folge
Menge
Signum
Lösung
Betrag der Geschw.
stabil
Teilfolge
Teilmenge
Satz
Zeitverzögerung
Zeitumkehr
Dreiecksungleichung
Schwingfall
Vereinigung
Einheit
Geschwindigkeit
wohldefiniert
Kapitel 1
Einleitung
Newtons eigenes Exemplar der ersten Auflage seines Buches Philosophiae Naturalis Principia
Mathematica, mit handschriftlichen Korrekturen für die zweite Auflage.
Wie alles anfing
Und nachdem ihm gesagt worden war, er möge die Wahrheit sagen, sonst
”
werde man zur Folter schreiten, Antwortete er: Ich bin hier, um Gehorsam zu
leisten, und ich habe besagte Meinung nach der getroffenen Entscheidung nicht
aufrechterhalten”. Gerichtsprotokoll des Heiligen Offiziums der Inquisition zum
Fall Galilei (1633) 1
Gut fünfzig Jahre vergingen zwischen Galileis Verurteilung und dem Erscheinen der Principia Newtons. In dieser Zeit etablierte sich die moderne Naturforschung, mit der Klassischen Mechanik als Leitwissenschaft. Wir beginnen diese
1 Zitiert
nach Sobel [Sob2], Seite 289.
A. Knauf, Mathematische Physik: Klassische Mechanik, Springer-Lehrbuch Masterclass,
c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
DOI 10.1007/978-3-642-20978-9 1, 1
2
1. Einleitung
Einführung mit der Lösung der Bewegungsgleichung für die Planeten, also der
Bestätigung und Präzisierung des heliozentischen Weltbilds von Galileo Galilei.
Sowohl die Untersuchung von Differentialgleichungen als auch die physikalisch
begründete Himmelsmechanik gehen auf Isaac Newton (1643–1727) zurück.
• Der Mathematiker Newton ist (zusammen mit Leibniz) als Begründer der
Differentialrechnung bekannt.
• Der Physiker Newton gab dem Gesetz
Kraft
=
Masse
×
Beschleunigung
(1.1)
seinen Namen.
Diese beiden Tätigkeitsfelder Newtons hängen miteinander zusammen. Ist nämlich
• x(t) ∈ R3 der Ort eines Massenpunktes zur Zeit t ∈ R, dann sind (in
3
Newtons Schreibweise für Zeitableitungen) ẋ(t) = dx
dt (t) ∈ R seine Ged2 x
3
schwindigkeit und ẍ(t) = dt2 (t) ∈ R seine Beschleunigung zu diesem
Zeitpunkt.
• Andererseits kann die Kraft F von Ort und Geschwindigkeit des Teilchens
und auch direkt von der Zeit abhängen, sodass Gleichung (1.1) die Form
F (x, ẋ, t) = mẍ
besitzt. Dabei ist die Kraftfunktion F als bekannt vorausgesetzt.
Dies ist ein Beispiel einer Differentialgleichung, denn es handelt sich um eine
Gleichung, die von der gesuchten, hier vektorwertigen Funktion t → x(t) und
ihren Ableitungen erfüllt wird.
Beispielsweise wirkt auf die Erde (mit demMittelpunkt 2 bei x, der Masse
m > 0, und mit der euklidischen Norm x
= x21 + x22 + x23 ) die Kraft
F (x) = −mγ
x
x
3
wobei vereinfachend vorausgesetzt
wird, dass die Sonne im Ursprung
des Koordinatensystems ruht.
Eine genauere Behandlung zeigt,
dass sich das echte 2–Körperproblem, bei dem Erde und Sonne
sich um ihren gemeinsamen Schwerpunkt bewegen, auf das diskutierte
x ∈ R3 \{0} ,
(1.2)
Kraft
Sonne
Geschwindigkeit
Erde
Schwerpunkt
2 In Aufgabe 12.37 auf Seite 289 wird gezeigt, dass für eine zentralsymmetrische Masseverteilung die Gravitation so wirkt, als ob die Masse im Mittelpunkt konzentriert wäre.
1. Einleitung
3
Zentralkraftproblem reduzieren lässt, wenn man statt der Erdmasse m die reduzierte Masse mM/(m + M ) einsetzt 3 . Die positive Konstante γ ist das Produkt
von Gravitationskonstante und Sonnenmasse. Gleichung (1.1) besitzt hier also
nach Kürzung durch m die Form
x
ẍ = −γ x
3 .
(1.3)
Newton löste diese Differentialgleichung und leitete damit die bisher nur empirisch aus den Beobachtungsdaten abgelesenen keplerschen Gesetze der Planetenbewegung aus dem mechanischen Grundgesetz (1.1) und (1.2) ab.
Dies war der erste Triumph der neuen Naturwissenschaft — 1687 in seinem
Hauptwerk Philosophiae naturalis principia mathematica”(kurz: Principia) [Ne]
”
veröffentlicht.
Newton war sich der Bedeutung seiner Erkenntnis bewusst, und da er außer
zu Mathematik und Physik auch zum Geheimnisvollen und Mystischen neigte,
verschlüsselte er einen lateinischen Satz in einem Anagramm4 . Der Satz lautete,
frei übersetzt:
Es ist nützlich, Differentialgleichungen zu lösen.”
”
Ableitung der keplerschen Gesetze
Wir wollen Newtons Rat folgen und (1.3) lösen.
1. Als erstes stellen wir fest, dass der Planet für alle Zeiten in der durch seinen Anfangsort und seine Anfangsgeschwindigkeit aufgespannten Bahnebene 5
bleibt, denn
x×x
d
[x × ẋ] = ẋ × ẋ + x × ẍ = ẋ × ẋ − γ
= 0,
dt
x
3
(1.4)
der auf dieser Ebene senkrechte Vektor x(t) × ẋ(t) ∈ R3 ist also zeitlich
konstant.
2. Nun ist es nützlich, den Ort x(t) in dieser Bahnebene durch eine komplexe Zahl
z(t) zu beschreiben, wobei z(t) := x1 (t) + ix2 (t), falls ohne Einschränkung
x × ẋ in 3–Richtung weist.
Damit ist in Polarkoordinaten z(t) = r(t)eiϕ(t) , also
ż = (ṙ + i rϕ̇)eiϕ und z̈ = r̈ − rϕ̇2 + i(2ṙϕ̇ + rϕ̈) eiϕ .
Nach Division durch eiϕ und Trennung von Real- und Imaginärteil führt die
newtonsche Kraftgleichung z̈ = −γ |z|z 3 damit zu den beiden verkoppelten
3 Siehe
Beispiel 12.39 auf Seite 291.
nach der Einleitung des Buches [Ar3] von Arnol’d. Interessante biographische
Notizen zu Newton findet man in [Ar6].
5 Falls ẋ parallel zu x ist, erhalten wir statt einer Ebene eine Gerade.
4 Zitiert
4
1. Einleitung
reellen Differentialgleichungen
(I): r̈ − rϕ̇2 +
γ
=0 ,
r2
(II): 2ṙϕ̇ + rϕ̈ = 0.
(1.5)
d
3. Wegen dt
(r2 ϕ̇) = r(2ṙϕ̇ + rϕ̈) = 0 ist := r2 ϕ̇ = const eine Konstante
der Bewegung. Die Multiplikation dieser Größe mit der Masse m des Planeten
ergibt definitionsgemäß den Drehimpuls. Dieser ist also zeitlich konstant.
4. Substitution von ϕ̇ = /r2 in (I) ergibt die Gleichung
r̈ −
γ
2
+ 2 = 0.
r3
r
Auch hier lässt sich eine Konstante der Bewegung finden, denn mit
2
γ
und H (r, ṙ) := 12 ṙ2 + U (r)
−
2r2
r
2
d
ist dt
H r(t), ṙ(t) = ṙ r̈ − r3 + rγ2 = 0,
sodass H zeitlich konstant ist: H r(t), ṙ(t) = H r(0), ṙ(0) =: E. Physikalisch wird E m als die Gesamtenergie des Planeten interpretiert, und alle
reellen Zahlen treten als Energiewerte auf.
U (r) :=
5. Nun sind wir zunächst weniger an der Lösung der Differentialgleichung
ṙ = ± 2(E − U (r)),
(1.6)
also der Zeitabhängigkeit des Radius interessiert, als an der Bahnform R(ϕ) :=
r(t(ϕ)).
Wir können zu ϕ als unabhängiger Variable übergehen, wenn wir voraussetzen,
dass = r2 ϕ̇ = 0 ist. Dann ergibt sich aus (1.6)
±R2
dR
ṙ
= =
dϕ
ϕ̇
2(E − U (R))
oder durch Separation der Variablen und Einsetzen von U
dR
=
dϕ = ϕ − ϕ0 .
±R 2ER2 + 2γR − 2
Mit den Konstanten e := 1 +
der linken Seite umformen:
2E2
γ2
und p := 2 /γ lässt sich der Integrand
p/R
=
.
2
2
2
2
e R − (p − R)2
R 2ER + 2γR − 
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