Morbus Alzheimer

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Diplomarbeit
Morbus Alzheimer
Aspekte der pharmakologischen Therapie
eingereicht von
Maximilian Fechner
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor der gesamten Heilkunde (Dr. med. univ.)
an der
Medizinischen Universität Graz
ausgeführt am
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie
unter der Anleitung von
Univ. Prof. i.R. Mag. pharm. Dr. phil. Eckhard Beubler
und
ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Josef Donnerer
Graz, 11. Januar 2017
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet
habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen
als solche kenntlich gemacht habe.
Graz, am 11. Januar 2017
Maximilian Fechner eh
I
Danksagung
Zuerst und zuvorderst möchte ich meinen Eltern danken, die immer für mich da
waren, die mich immer bedingungslos unterstützt haben, die mir wichtige Berater in
jeder Lebenslage sind, ohne die mir dieses Studium gar nicht möglich gewesen wäre
und denen gegenüber ich meinen Dank viel zu selten zum Ausdruck bringe.
Univ. Prof. i.R. Mag. pharm. Dr. phil Eckhard Beubler möchte ich danken für die
Ermöglichung, Betreuung und geduldige Korrektur dieser Arbeit.
Auch ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Josef Donnerer möchte ich meinen Dank für die
Zweitbetreuung aussprechen.
Schliesslich möchte ich hier noch meinen Dank an Lukas Lindinger für seine
tatkräftige Unterstützung festhalten.
II
Zusammenfassung
Der Morbus Alzheimer ist im Zuge steigender Lebenserwartung zur Volkskrankheit
und sechsthäufigen Todesursache geworden. Diese häufigste aller Demenzen
zeichnet sich durch pathognomonische Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen aus.
Die ersten Medikamente wurden jedoch erst 90 Jahre nach Erstbeschreibung
zugelassen und betrafen das bei der Erkankung pathologisch veränderte
Neurotransmittersystem. Die Acetylcholinesterasehemmer Galantamin, Donepezil
und Rivastigmin bewirken eine moderate symptomatische Besserung in leichten und
mittleren Stadien der Alzheimer Demenz. Forschung im verwandten Bereich der
cholinergen Agonisten konnte bislang keine wirksamen Medikamente hervorbringen.
Der NMDA-Rezeptor-Antagonist Memantin zeigt ebenfalls nur geringe
symptomatische Linderung in schweren Stadien der Erkrankung. In den letzten 10
Jahren konzentrierte sich die Forschung auf Hemmung und Abbau von BetaAmyloid, welches nach der Amyloid-Hypothese ursächlich für Entstehung und
Verlauf der Krankheit ist. Die größten Hoffnungen ruhen auf β-Sekretase-Inhibitoren
und passiver Immunisierung. Bisher konnte jedoch kein Durchbruch erzielt werden,
so dass die Amyloid-Hypothese immer wieder in Frage gestellt wird. Fortschritte in
der Diagnostik wie der Pittsburgh Compound B, sowie akkuratere Krankheitsmodelle
in der frühen Pharmakoentwicklung lassen jedoch auf eine beschleunigte und
verbesserte Entwicklung zukünfigter Wirkstoffe hoffen.
III
Abstract
Alzheimer’s disease rose with increasing life expectancy to one of the most
widespread illnesses and the sixth most important reason of death. This most
common of all dementias counts beta-amyloid-plaques and tau-tangles among its
hallmark features. The first drugs were only developed 90 years after first description
of the disease and targeted the modified neurotransmitter-system. The
Acetylcholinesterase-inhibitors Galantamine, Donepezil und Rivastigmine lead to a
slight symptomatic improvement in light and moderate stages of the disease.
Research in the related area of cholinergic agonists could not find effective
medication either. The NMDA-receptor-antagonist Memantine shows only modest
easing of symptoms in severe stages of this condition. The last 10 years saw a
concentration on the inhibition and removal of beta-amyloid, which is the causing
agent of the disease, according to the amyloid-hypothesis. The biggest hopes are
placed on β-secretase-inhibitors and passive immunotherapy. So far, no
breakthrough could be achieved, which led to the validity of the amyloid-hypothesis
being questioned. Diagnostic advances like the Pittsburg Compound B, as well as
more accurate models of the disease in the early stages of drug development give
hope for an accelerated and improved development of future drugs.
IV
Inhaltsverzeichnis
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG............................................................................................ I
DANKSAGUNG ....................................................................................................................... II
ZUSAMMENFASSUNG........................................................................................................... III
ABSTRACT ............................................................................................................................. IV
INHALTSVERZEICHNIS........................................................................................................... V
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ................................................................................................ VI
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ................................................................................................ VII
EINLEITUNG............................................................................................................................ 1
MOTIVATION .......................................................................................................................... 1
GESCHICHTE ......................................................................................................................... 2
EPIDEMIOLOGIE ..................................................................................................................... 3
TERMINOLOGIE ...................................................................................................................... 6
SYMPTOMATIK........................................................................................................................ 8
PATHOPHYSIOLOGIE ............................................................................................................... 9
Amyloid ............................................................................................................................ 9
Tau ................................................................................................................................. 13
RISIKOFAKTOREN ................................................................................................................. 14
DIAGNOSTIK ........................................................................................................................ 16
Neuropsychologische Tests .......................................................................................... 17
Liquormarker ................................................................................................................. 18
Plasmamarker ................................................................................................................ 20
Elektroenzephalographie .............................................................................................. 20
Radiologie ..................................................................................................................... 21
Nuklearmedizin .............................................................................................................. 24
MATERIAL UND METHODEN ............................................................................................... 27
ERGEBNISSE ........................................................................................................................ 28
ÜBERBLICK DER PHARMAKOLOGISCHEN THERAPIE DER AD ..................................................... 28
CHOLINERGE PHARMAKA ...................................................................................................... 29
Cholinesterase Inhibitoren ............................................................................................. 30
Cholinerge Agonisten .................................................................................................... 32
GLUTAMATERGE PHARMAKA ................................................................................................. 35
NMDA Antagonisten ...................................................................................................... 35
ANTI-AMYLOIDE PHARMAKA .................................................................................................. 37
Alpha-Sekretase Aktivatoren ......................................................................................... 38
Beta-Sekretase Inhibitoren ............................................................................................ 40
Gamma-Sekretase Inhibitoren ....................................................................................... 41
Gamma-Sekretase Modulatoren ................................................................................... 43
Aktive Immunisierung .................................................................................................... 44
Passive Immunisierung ................................................................................................. 45
Apo E4 Inhibitoren ......................................................................................................... 47
Apo E2 Aktivatoren ........................................................................................................ 48
DISKUSSION ......................................................................................................................... 50
BEURTEILUNG DER CHOLINERGEN THERAPIE .......................................................................... 50
BEURTEILUNG DER GLUTAMATERGEN THERAPIE ...................................................................... 51
BEURTEILUNG DER AMYLOIDEN THERAPIE .............................................................................. 51
ZUSAMMENFASSENDE BEURTEILUNG ..................................................................................... 52
LITERATURVERZEICHNIS .................................................................................................... 54
V
Abkürzungsverzeichnis
5-HT
5-Hydroxy-Tryptamin
Ab
Beta-Amyloid
Abo
Beta-Amyloid Oligomer
AChE
Acetyl-Cholin-Esterase
AD
Alzheimer Demenz
ADAM
A Disintegrin And Metalloproteinase (Alpha-Sekretase)
ADAS-cog
Alzheimer Disease Assessment Scale (cognitive part)
ADDL
Aβ-derived diffusible ligands
AICD
Aminoterminal Intra-Cellular Domain
AMPA
Aminohydroxy-Methylisoxazol-Propionic Acid
APH1
Anterior Pharynx Defective (Teil der Gamma-Sekretase)
APP
Amyloid Precursor Protein
BACE
Beta-site APP Cleaving Enzyme (Beta-Sekretase)
CT
Computer Tomographie
CTF-α
Carboxy-Terminal Fragment
CTF-β
Carboxy-Terminal Fragment
DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie
FDG
Fluordesoxyglucose
LOAD
Late Onset Alzheimer Demenz
MCI
Mild Cognitive Impairment
MMSE
Mini-Mental State Examination
MRT
Magnet Resonanz Tomographie
NMDA
N-Methyl-D-Aspartat
NPI
Neuro-Psychiatric Inventory
PAM
Positiver Allosterischer Modulator
PEN
Presenilin ENhancer enzyme (Teil der Gamma-Sekretase)
PET
Positronen Emissions Tomographie
PS1
Präsenilin (Teil der Gamma-Sekretase)
sAPP
soluble APP, ein Teilfragment nach einem Sekretase Schnitt
sAPP-α
sAPP nach dem Alpha-Sekretase Schnitt
sAPP-β
sAPP nach dem Beta-Sekretase Schnitt
SMD
Standardized Mean Difference
SPECT
Single-photon Emission Computed Tomography
α4β2
Nikotinischer Alpha-4-Beta-2-Rezeptor
α7
Nikotinischer Alpha-7-Rezeptor
VI
Abbildungsverzeichnis
FIGURE 1: ALTERSABHÄNGIGE INZIDENZ & PRÄVALENZ (LINKS) SOWIE REGIONALE
PRÄVALENZVERTEILUNG (RECHTS) ....................................................................................... 3
FIGURE 2: HISTORIE & PROGNOSE ZUM ALTENANTEIL DER BEVÖLKERUNG (LINKS), SOWIE
PROGNOSE DER FALLZAHLEN (RECHTS) ............................................................................... 4
FIGURE 3: WELTWEITE KOSTEN (LINKS), SOWIE KOSTENVERTEILUNG NACH SEKTOREN UND
STAATSGRUPPEN (RECHTS) ................................................................................................. 4
FIGURE 4: KOSTEN- & PATIENTENVERTEILUNG (LINKS), SOWIE KOSTENUNTERSCHIEDE PRO
PATIENT/IN (RECHTS) .......................................................................................................... 5
FIGURE 5: DSM-5 KLASSIFIKATION (AMERICAN PSYCHOLOGICAL ASSOCIATION, 2013) .................. 7
FIGURE 6: HÄUFIGKEIT VERSCHIEDENER DEMENTIELLER SYMPTOME (DEKOSKY, LOPEZ, JONES,
FITZPATRICK, & BREITNER, 2002)........................................................................................ 8
FIGURE 7: ALPHA-, BETA- & GAMMA-SEKRETASE (LICHTENTHALER, 2012) .................................. 10
FIGURE 8: Α, Β UND g - SEKRETASEN (DE STROOPER, VASSAR, & GOLDE, 2010) .......................... 12
FIGURE 9: BRAAK STADIEN (ALZHEIMER-FORSCHUNG.DE, 2016) ................................................. 14
FIGURE 10: MINI-MENTAL STATUS (DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HÄMATOLOGIE UND
ONKOLOGIE, 2016) .......................................................................................................... 17
FIGURE 11: ADAS-COG TEST (DEMENTIA COLLABORATIVE RESEARCH CENTERS, 2016) ............... 18
FIGURE 12: INTENSITÄTSVERTEILUNG ÜBER EEG-FREQUENZEN. LINKS KONTROLLGRUPPE, RECHTS
ALZHEIMER-ERKRANKTEN (DAUWELS, ET AL., 2011) ........................................................... 21
FIGURE 13: VOXEL-BASIERTE (LINKS) VERSUS ATLAS-BASIERTE (RECHTS) MRT-ANALYSE. JE
“WÄRMER” DIE FARBE, DESTO STÄRKER DIE KORTIKALE ATROPHIE UND DIE PLAQUEWAHRSCHEINLICHKEI (CUINGNET, ET AL., 2011) ................................................................ 22
FIGURE 14: FORM-ANALYSE DES ENTORHINALEN KORTEX, JE KÄLTER DIE FARBE, DESTO STÄRKER
DIE EINZIEHUNG (DEVANAND, ET AL., 2012) ....................................................................... 22
FIGURE 15: DIFFUSIONSGEWICHTETES MRT, MAN SIEHT DIE DIFFUSIONSZUNAHME BEI DER
ALZHEIMER-DEMENZ IM VERGLEICH ZUR KONTROLLGRUPPE (DOUAUD, ET AL., 2011) .......... 23
FIGURE 16: CT-ANALYSE, INTENSITÄTSMINDERUNGEN DER GRAUEN SUBSTANZ, ÄQUIVALENT ZU
NERVENZELLVERLUSTEN, IN ORANGE (IMABAYASHI, ET AL., 2013) ....................................... 23
FIGURE 17: GLUKOSE STOFFWECHSEL, LINKS MCI PATIENT/IN, RECHTS ALZHEIMER PATIENT/IN
(NORDBERG, RINNE, KADIR, & LAANGSTROM, 2010) .......................................................... 24
FIGURE 18: AMYLOID-AGGREGATION, LINKS ALZHEIMER-PATIENT/IN, RECHTS KONTROLLPERSON,
VISUALISIERUNG MITTELS PITTSBURGH COMPOUND B (NORDBERG, RINNE, KADIR, &
LAANGSTROM, 2010) ....................................................................................................... 25
FIGURE 19: TACRINE (CHEMBASE.CN) ........................................................................................ 30
FIGURE 20: GALANTAMINE (CHEMBASE.CN) ............................................................................... 30
FIGURE 21: DONEPEZIL (CHEMBASE.CN) .................................................................................... 30
FIGURE 22: RIVASTIGMINE (CHEMBASE.CN) ................................................................................ 31
FIGURE 23: PHENSERIN (CHEMNET.COM) ................................................................................... 31
FIGURE 24: HUPERZIN A (CHEMBASE.CN) .................................................................................. 32
FIGURE 25: XANOMELINE (WIKIPEDIA.ORG) ................................................................................ 33
FIGURE 26: BQCA (D KUDUK 2014) ........................................................................................ 34
FIGURE 27: ENCENICLIN (WIKIPEDIA.ORG) ................................................................................. 34
FIGURE 28: NELONICLIN (DRUGSPIDER.COM) ............................................................................. 34
FIGURE 29: VARENICLIN (CHEMBASE.CN) .................................................................................. 34
FIGURE 30: MEMANTIN (CHEMBASE.CN) .................................................................................... 36
FIGURE 31: KETAMIN (CHEMBASE.CN) ....................................................................................... 37
FIGURE 32: ETAZOLAT (WIKIPEDIA.ORG) .................................................................................... 39
FIGURE 33: EGCG (WIKIPEDIA.ORG) ......................................................................................... 39
FIGURE 34: BRYOSTATIN (WIKIPEDIA.ORG) ................................................................................. 39
FIGURE 35: LY-2811-376 (MEDCHEMEXPRESS.COM) ................................................................. 40
FIGURE 36: VERUBECESTAT (WIKIPEDIA.ORG) ............................................................................. 41
FIGURE 37: SEMAGACESTAT (WIKIPEDIA.ORG) ............................................................................ 42
FIGURE 38: BEGACESTAT (CHEMBASE.CN) ................................................................................ 42
FIGURE 39: AVAGACESTAT (SIGMAALDRICH.COM) ...................................................................... 42
FIGURE 40: E2012 (INTERNATIONAL JOURNAL OF ALZHEIMER’S DISEASE) ................................... 43
FIGURE 41: BEXAROTEN (WIKIPEDIA.ORG) .................................................................................. 48
VII
Einleitung
Motivation
Alzheimer ist eine Volkskrankheit. Und obwohl die Erstbeschreibung dieser Krankheit
mittlerweile über 100 Jahre zurückliegt, ist noch immer keine effektive Therapie
gefunden worden. Das könnte damit zusammenhängen, daß der Morbus Alzheimer
über weite Teile des 20. Jahrhunderts als normaler Alterungsprozess abgetan wurde
und sich Betroffene bestenfalls in Scham zurückgezogen haben. Dabei ist die Liste
prominenter Erkrankter lang.
Eine der ersten berühmten erkrankten Personen, die sich öffentlichkeitswirksam
geäußert hat, war die ehemalige regierende Person der USA Ronald Reagan. Er teilte
seine Gedanken in einem Brief mit der Öffentlichkeit. Dabei berührt er gleich mehrere
wichtige Punkte. Er betont insbesondere die Bürde, die er seiner Frau und Familie
damit auferlegt. Er spricht über das wichtige Thema der weiteren Lebensgestaltung
nach Diagnosestellung. Aber auch das volle Bewusstsein der kommenden geistigen
Regression findet eindrucksvollen Ausdruck:
“At the moment, I feel just fine. I intend to live the remainder of the years God gives
me on this earth doing the things I have always done. […] Unfortunately, as
Alzheimer's disease progresses, the family often bears a heavy burden. I only wish
there was some way I could spare [my wife] from this painful experience. […] I now
begin the journey that will lead me into the sunset of my life.”
- Ronald Reagan
In der Tat ist diese Bürde so gross, dass sich die Mehrheit der Angehörigen im Verlauf
der Erkrankung entscheidet, die Betreuung zu institutionalisieren, oft nach Jahren der
erschöpfenden persönlichen Betreuung.
Für die Erkrankten selbst sind die wachen Momente, in denen sie ihren eigenen
Verfall bewusst wahrnehmen, vielleicht am schwersten zu verkraften. Und welche
verheiratete Person würde nicht verzweifeln, wenn Jahrzehnte der gemeinsamen
Erinnerung schon vor dem Leben selbst verrinnen. Und schliesslich, was bleibt vom
Menschen, wenn seine Seele schon gegangen ist?
Neben der Tragik der persönlichen Schicksale stellt die Alzheimer-Erkrankung aber
auch eine große gesellschaftliche Herausforderung dar. Die Gesamtkosten belaufen
sich auf bis zu einer halbe Million US-Dollar pro erkrankter Person (Alzheimer's
Disease International, 2016) und im Angesicht der weiter fortschreitenden Alterung
der westlichen Gesellschaften wird der Anteil der Erkrankten und somit die Belastung
des Gesundheitssystems immer größer.
1
Geschichte
Die Erkrankung ist nach der ärztlichen Person Alois Alzheimer benannt. Er bemerkte
während seiner Tätigkeit an der städtischen “Irrenanstalt” in Frankfurt im Jahr 1901
an der 51-jährigen erkrankten Person Auguste Deter eine Symptomatik, die er keiner
bekannten Erkrankung zuordnen konnte.
Alzheimer wechselte kurze Zeit später zu Emil Kraeplin nach Heidelberg und nur
wenig später gemeinsam mit diesem nach München. Den Fall der Auguste Deter
verfolgte er aber aus der Entfernung weiter und ließ sich nach ihrem Tod ihr Gehirn
schicken. In diesem fand er die für die Erkrankung typischen Plaques und beschrieb
sie zum ersten Mal. In Abgrenzung zur “normalen” Degeneration des Alters und
angesichts der relativen Jugend seiner Patientin benutzte er den Terminus “Präsenile Demenz”. Das war 1906.
Schon wenige Jahre später fand Alzheimer die beschriebenen Plaques aber auch im
Gehirn alter Menschen und hielt daraufhin die prä-senile und die senile Demenz für
Varianten derselben Krankheit.
Sein Chef Emil Kraeplin prägte ihm zu Ehren den Namen Morbus Alzheimer für die
Erkrankung in seinem Lehrbuch “Psychatrie” und setzte seinen Schützling außerdem
gegen andere kandidierende Personen auf einen Lehrstuhl in Breslau durch.
Erst über 70 Jahre später, 1984 und 1986 wurden das Beta-Amyloid und das TauProtein als Schlüsselelemente der Alzheimer-Krankheit identifiziert.
1993, also 90 Jahre nach der Erstbeschreibung wurde das erste Medikament
zugelassen, der Acetylcholinesterase-Hemmer Tacrin. Im selben Jahr fand man die
APOe4 Mutation als genetischen Risikofaktor.
Dann gelang 1995 die genetische Modifikation von Mäusen, die daraufhin Plaques
wie bei Alzheimer-Erkrankten entwickelten. An diesen Mäusen ließen sich
Medikamente nun leichter testen.
2002 wurde Memantin zugelassen, welches zusammen mit den CholinesteraseHemmern bis heute die Hauptmedikation bei Morbus Alzheimer darstellt.
Die Diagnostik erfuhr 2004 einen wesentlichen Schub, als man den “Pittsburgh
Compound B” fand, der sich an Beta-Amyloid anheftet und mittels PositronenEmisons-Tomographie sichtbar gemacht werden kann.
2010 rückte Alzheimer auf den 6. Platz der häufigsten Todesursachen in den
Vereinigten Staaten (Alzheimer's Association, 2016).
Trotz der intensiven Bemühung steht ein wirklicher Durchbruch in der Therapie noch
aus.
2
Epidemiologie
Der Morbus Alzheimer ist eine degenerative Erkrankung und betrifft vorwiegend den
alten
Menschen.
Dementsprechend
findet
man
in
Inzidenzund
Prävalenzuntersuchungen eine deutliche Zunahme mit steigendem Alter. Man geht
momentan von einer Verdopplung der Erkrankungswahrscheinlichkeit ca. alle 6
Jahre nach dem 60. Lebensjahr (Alzheimer's Disease International, 2016) und somit
einer
exponentiellen
Zunahme
der
Erkrankungswahrscheinlichkeit
mit
fortschreitendem Alter aus.
Beobachtet man bei den 60-Jährigen noch eine Prävalenz von etwa 1%, so sind bei
den 90-Jährigen bis zu 40% betroffen, je nach Region & Geschlecht sogar über 50%.
Inzidenz&Prävalenznach
AlterinEuropa
Regionen
8%
7%
6%
5%
4%
3%
2%
1%
0%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
60-64 65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 90+
Inzidenz
Regionen
Prävalenz
Figure 1: Altersabhängige Inzidenz & Prävalenz (links) sowie regionale Prävalenzverteilung (rechts)
Die regionalen Unterschiede sind durchaus erheblich. Warum in Südamerika mehr
als doppelt so viele Alzheimer-Erkrankte leben wie in Zentralafrika bleibt gegenwärtig
Gegenstand der Spekulation. Unterschiede in der Diagnostik könnten genauso dafür
verantwortlich zeichnen wie Differenzen im Lebensstil. Übergewicht und
Bewegungsmangel werden als Risikofaktoren diskutiert. Auch eine Korrelation mit
der Lebenserwartung ist denkbar. In Zentralfrika liegt sie mit rund 60 Jahren deutlich
niedriger als in Europa (ca. 80 Jahre) oder Lateinamerika (ca. 70 Jahre) (WHO, 2016).
Die durchschnittliche Lebenserwartung nach Diagnose beträgt 9 Jahre, ist aber
individuell sehr unterschiedlich. Die Lebenserwartung im Einzelfall liegt zwischen 2
Jahren und 20 Jahren. (Alzheimer’s Foundation of America, 2016)
3
Anteilder65+&85+ander
Gesamtbevölkerung
PrognostizierteFallzahlen
WeltweitinMillionen
30,0%
150
20,0%
100
10,0%
50
0,0%
0
2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050
1900 1920 1940 1960 1980 2000 2020 2040
65Jahreundälter
AlzheimerFälle
85Jahreundälter
Figure 2: Historie & Prognose zum Altenanteil der Bevölkerung (links), sowie Prognose der Fallzahlen (rechts)
Der Anteil der Menschen an der Gesamtbevölkerung in den USA, die älter sind als
65 Jahre, hat sich von 4% im Jahr 1900 auf 13% im Jahr 2010 mehr als verdreifacht.
Der Anteil der über 85-jährigen hat sich im gleichen Zeitraum von 0,2% auf 1,9% fast
verzehnfacht. Bis zum Jahr 2050 wird mit einer weiteren Verdopplung der jeweiligen
Anteile auf 20,2% bzw 4,3% gerechnet (Administration on Aging, 2016).
Die gegenwärtigen weltweiten Fallzahlen liegen bei 46 Millionen Erkrankten und man
rechnet mit einer Verdreifachung auf 131 Millionen bis 2050. (Alzheimer's Disease
International, 2016)
KosteninMillionenUSDollar
Kostenverteilung
80%
$1.500
60%
$1.000
40%
$500
20%
$0
2010
2015
2018
0%
Medizinisch
Sozial
ArmeLänder
KosteninMillionenUS-Dollar
Indirekt
ReicheLänder
Figure 3: weltweite Kosten (links), sowie Kostenverteilung nach Sektoren und Staatsgruppen (rechts)
Die Kosten für die Betreuung von Alzheimer-Erkrankten sind enorm. Gegenwärtig
liegen sie weltweit bei ca 800 Milliarden US-Dollar. Das liegt in der Größenordnung
des Bruttoinlandsproduktes der Türkei (ca. 850 Milliarden US-Dollar) und deutlich
4
über dem Österreichs (ca. 400 Milliarden US-Dollar). Die symbolische Grenze von
einer Billion US-Dollar wird nach extrapolierter gegenwärtiger Entwicklung bereits
2018 überschritten.
Die Entwicklung eines Medikaments mit auch nur geringer progredienzhemmender
Wirkung birgt also neben Lebensqualitätsgewinn großes volkswirtschaftliches
Potenzial. Dabei muss man aber beachten, daß nur ca. die Hälfte dieser Kosten
direkte Kosten für Medizin- & Sozialsystem darstellen. Die andere Hälfte geht als
schwer kalkulierbare indirekte Kosten der Angehörigenbetreuung in die Rechnung
ein. (Alzheimer's Disease International, 2016)
RegionaleKosten- &
Erkranktenverteilung
Weltweite
Kostenunterschiedepro
erkrankterPerson
70%
60%
$60.000
$50.000
$40.000
$30.000
$20.000
$10.000
$0
50%
40%
30%
20%
10%
0%
G7
G20ohne
G7
Kostenanteil
Rest
Erkranktenanteil
Regionen
Figure 4: Kosten- & Erkranktenverteilung (links), sowie Kostenunterschiede pro erkrankter Person (rechts)
Die Kosten sind dabei weltweit sehr ungleich verteilt. Auf die G7-Staaten entfallen
circa 20% der Erkrankten aber über 60% der Kosten. Das liegt einerseits am
insgesamt deutlich höheren Lohnniveau der ersten Welt. Aber auch die Verteilung
der Ausgaben unterscheidet sich. Die direkten Kosten liegen in der ersten Welt
höher, in ärmeren Ländern wird dagegen ein höherer Anteil der Versorgung von
Angehörigen geleistet, was als indirekte Kosten in die Gesamtrechnung eingeht.
Wenn man sich die Kosten pro erkrankter Person anschaut, werden diese
Unterschiede noch besser deutlich. Während eine an Alzheimer erkrankte Person in
Zentralafrika 1000$ im Jahr kostet, in Osteuropa schon 8000$ veranschlagt werden,
so belaufen sich die Kosten in Nordamerika auf bis zu 50.000$ pro Jahr (Alzheimer's
Disease International, 2016). Das bedeutet bei einer gerundeten durchschnittlichen
Lebenserwartung von 10 Jahren Gesamtkosten von bis zu einer halben Million USDollar pro erkrankter Person.
5
Terminologie
Der Morbus Alzheimer ist eine chronisch progrediente kortikale Neurodegeneration
mit pathognomonischen Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Bündeln.
Die AD (von English “Alzheimer’s Disease” oder auch “Alzheimer Demenz”) ist mit
etwa 60% die mit Abstand häufigste Ursache für die Entwicklung einer Demenz (von
lateinisch: “de-mens”, “abnehmender Verstand”).
Die Begriffe “Alzheimer” und “Demenz” werden fälschlicherweise häufig synonym
verwendet. Dabei beschreibt der Begriff AD zunächst einen neurodegenerativen
Prozess, der in seiner Folge dementielle Symptome bewirkt. Eine Demenz hingegen
ist ein Symptomen-Komplex, zu dem neben der typischen kognitiven
Verschlechterung auch Persönlichkeitsveränderung, Agitiertheit, Wahnvorstellungen,
Depressionen und mehr gehören.
Anatomisch gehört die AD zu den kortikalen Demenzen mit Beginn und Fokus der
Degeneration in Area Entorhinalis und Hippokampus. Die zweithäufigste kortikale
Demenz ist der Morbus Pick (nach Arnold Pick, etwa 10% der Demenzen), bei dem
man vor allem im Frontal-Lappen die typischen Pick-Körperchen findet.
Davon abgrenzen kann man die subkortikalen Demenzen wie die Lewy-KörperDemenz (Frederik Lewy arbeitete im gleichen Labor wie Alois Alzheimer, 10% der
Demenzen), die durch ihren Fokus auf die Basalganglien neben der dementiellen
Symptomatik auch eine starke motorische Beeinträchtigung zeigt. Auch der Morbus
Binswanger (nach Otto Binswanger, u.a. Therapeut Nietsches) als prominentestem
Beispiel der vaskulären Demenzen gehört mit seiner arteriosklerotisch bedingten
periventrikulären Demyelinisierung zu den subkortikalen Demenzen und stellt
ebenfalls etwa 10% der Fälle.
Von den oben genannten primären Demenzen, die zusammen für etwa 90% der
Demenzen
verantwortlich
zeichnen
(und
interessanterweise
alle
im
deutschsprachigen Raum erstbeschrieben wurden), kann man die sekundären
Demenzen abgrenzen, die Folge einer anderen Grunderkrankung oder eines
Drogen- oder Medikamentenmissbrauchs sind. Durch die grosse Sensibilität des
Gehirns kann eine ganze Reihe von Erkankungen zumindest temporär dementielle
Symptome hervorrufen, zuvorderst seien die grossen Volkskrankheiten
Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Hyperlipidämie genannt. Aber auch viele
andere Stoffwechsel- und Mangelerkrankungen können sich als Demenz
manifestieren.
Der etwas diffuse, aber in der Literatur sehr häufig verwendete Begriff “Mild Cognitive
Impairment” (MCI) bezeichnet ein prä-dementes Stadium, bei dem die kognitive
6
Leistung bereits unter dem Altersdurchschnitt liegt, jedoch noch keine
Alltagseinschränkungen verursacht. Häufig entwickelt sich in Folge eine Demenz.
Der Ausdruck “präsenile Demenz” schliesslich wurde zunächst zur Abgrenzung
gegenüber der für normal befundenen “senilen Demenz” geprägt. Einige
schreibende Personen halten die Trennung aufgrund möglicher Unterschiede in
Ursache und Therapie für sinnvoll, andere streben eine Zusammenlegung der
Begriffe an. Die ICD10 sieht eine Differenzierung vor (F00.0 & F00.1). Eine
interessante Theorie besagt, dass nur bei der präsenilen AD die Plaques zum
Gewebsuntergang führen, diese beim senilen Alzheimer nur Folge der ohnehin
stattfindenen Degeneration seien.
Die “American Psychiatric Association” (APA) hat in ihrer 2013 erneuerten DSM-5
Leitlinie den Begriff “Demenz” durch “Neurocognitive Disorder” ersetzt, der dann
nach Ursache und Schweregrad subklassifiziert wird. Dafür werden zwei Gründe
angeführt: Den Fokus auf “Störung” und damit Behandelbarkeit im Gegensatz zur als
normal empfundenen Demenz zu legen, sowie die Stigmatisierung des Begriffes
“Demenz” zu umgehen.
Die für 2017 erwartete ICD-11 wird voraussichtlich eine ähnliche Begriffsänderung
vornehmen.
Figure 5: DSM-5 Klassifikation (American Psychological Association, 2013)
2011 haben das “Institute on Aging” (NIA) und die “Alzheimer's Association” (AA)
nach 1984 die erste Anpassung ihrer Leitlinie vorgenommen, in der sie die AlzheimerDemenz in 3 Stadien unterteilen (National Institute of Aging, 2011) (McKhann, et al.,
2011)
1. Vollausgeprägte Demenz
2. Prä-dementielles Stadium, mit milden Symptomen wie MCI
3. Prä-klinisches Stadium, ohne Symptome, aber diagnostizierbar
Das präklinische Stadium trägt den Fortschritten der Diagnostik Rechnung und ist
von entscheidender Bedeutung, da die Therapie in diesem Stadium wahrscheinlich
am wirkungsvollsten ist.
Abschliessend kann man sagen, dass die Terminologie der Bereiche Morbus
Alzheimer und Demenz dank der erheblichen Fortschritte in Diagnostik und Therapie
7
seit einigen Jahren starken Änderungen unterliegt und wohl noch nicht
abgeschlossen ist.
Symptomatik
Die Symptomatik des Morbus Alzheimer ähnelt in weiten Teilen der anderer
Demenzen und die Abgrenzung zu diesen kann schwierig sein.
Stärkere Vergesslichkeit, Verlegen von Gegenständen, Stimmungsschwankungen
wie Aggressivität, Misstrauen und Depression, Affektverflachung, Wiederholen von
Fragen, Wortfindungsstörungen, Orientierungsprobleme in vertrauter Umgebung
und sozialer Rückzug sind die wichtigsten Auffälligkeiten, die Angehörige oder auch
die Erkrankten selbst oft aufmerksam werden lassen (Alzheimer's Association, 2016)
(Mayo Clinic, 2016).
Häufigkeit Symptom
36%
Apathie
32%
Depression
30%
Aggressivität
27%
Schlafstörungen
21%
Angst
20%
Essstörungen
18%
Wahnvorstellungen
13%
Enthemmung
10%
Halluzinationen
3%
Euphorie
Figure 6: Häufigkeit verschiedener dementieller Symptome (DeKosky, Lopez, Jones, Fitzpatrick, & Breitner,
2002)
Dabei folgt das Auftreten der Symptome im allgemeinen einem bestimmten zeitlichen
Verlauf. Schon in der Phase des MCI manifestiert sich dabei häufig eine Depression,
wohl im Gleichschritt mit dem zunehmenden Bewusstsein der erkrankten Person über
den eigenen kognitiven Verfall. Mit fortschreitender Demenz verschwinden die
depressiven Symptome und werden durch Halluzination und Wahn abgelöst. Angst,
Agitiertheit und Aggressivität finden sich vor allem im Endstadium der Demenz, wenn
die erkrankte Person die einströmenden Wahrnehmungen nicht mehr verarbeiten und
einordnen kann.
8
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie der Alzheimer Demenz ist noch nicht vollständig geklärt. Das
grösste Interesse der Forschung richtet sich auf die beiden pathognomonischen
Merkmale der AD, die Beta-Amyloid Plaques und die Tau-Protein-Fibrillen. Es ist
strittig, welches dieser Proteine ursächlich für den neuronalen Zelltod ist.
Amyloid
Alois Alzheimer selbst entdeckte die perineuralen Amyloid-Ablagerungen bereits
1906 bei seiner prä-senil dementen Patientin, was ihn veranlasste, von einer neuen
Krankheit zu sprechen.
Amyloid-Ablagerungen waren schon vorher von anderen Stellen im Körper bekannt.
Der Begriff geht auf Rudolf Virchow zurück, der die “Stärke-ähnliche” Anfärbbarkeit
der copora amylacea 1854 beobachtete.
Es sind verschiedene Krankheiten bekannt, deren Ursache in Amyloid-Ablagerungen
im Gewebe liegt. Dafür wählte man den Oberbegriff “Amyloidosen”. Diese
unterscheiden sich in den ihnen zugrunde liegenden Proteinen. Allen Amyloidosen
gemein ist die Anfärbbarkeit mit Kongorot. Die pathogenen Wirkungen können dabei
systemisch sein oder auch lokal wie beim Morbus Alzheimer. Ist zum Beispiel das
Myokard betroffen, kann sich eine restrikive Kardiomyopathie entwickeln. Bei
Lokalisation in den Nieren resultiert häufig ein nephrotisches Syndrom. Im Kontext
der Alzheimer Demenz sind außerdem die peri-vaskulären Amyloid-Ablagerungen
von Bedeutung, die zusätzlich zum direkten neuronalen Zelltod einen indirekten
Zelltod über Mikroinfarkte verursachen können. Ursächlich für die ProteinAblagerungen der Amyloidosen ist in der Regel die Fehlfaltung eines Proteins, zum
Beispiel aufgrund von Veränderungen in der Gen-Expression. Diese veränderten
Proteine können dann nicht mehr abgebaut werden. Da die Neubildung in der Regel
nicht gestört ist reichern sie sich in immer grösserer Menge im Gewebe an bis
schliesslich die Primärstruktur des Gewebes zerstört wird.
Die perineuralen Amyloid-Ablagerungen bei der Alzheimer Demenz nennt man
“Plaques” oder “Drusen”. Sie bestehen zum größten Teil aus einer ganz bestimmten
Form von Amyloid, dem Beta-Amyloid (abgekürzt “Aβ”). Aber auch Apolipoprotein E
ist Teil der Plaques.
Das Aβ entsteht aus dem Amyloid-Vorläufer-Protein (APP = Amyloid Precursor
Protein), einem Protein der neuronalen Zellmembran. Zur physiologischen Funktion
des APPs existieren bislang nur Spekulationen. Das APP kommt in sämtlichen
9
Wirbeltieren sowie vielen anderen Tierarten vor und gilt als phylogenetisch altes, stark
konserviertes Protein (Tharp & Sarkar, 2013). Beim Menschen kennt man eine Reihe
von Varianten des APP, die die Produktion von Aβ deutlich erhöhen können und ein
starker Risikofaktor für die erbliche Form der Alzheimer Demenz sind. Andere APPMutationen hingegen können die Aβ-Produktion senken und somit Alzheimerpräventiv wirken (Jonsson, et al., 2012). APP kommt in den meisten Körperzellen vor,
aber die AD-relevante Isoform APP-695 findet man nur in Neuronen.
APP Schnitt Varianten
Eine Reihe von Sekretasen kann das APP zerschneiden. Bislang identifiziert wurden
die Alpha-, Beta- und Gamma-Sekretase. Diese drei Sekretasen kommen alle
physiologisch in der neuronalen Zellmembran vor und schneiden das APP an
unterschiedlichen Positionen.
Figure 7: Alpha-, Beta- & Gamma-Sekretase (Lichtenthaler, 2012)
Die Alpha- und Beta-Sekretase schneiden beide extra-zellulär und schliessen sich
gegenseitig aus. D.h. wenn die Alpha-Sekretase geschnitten hat, wird die BetaSekretase nicht mehr schneiden und umgekehrt. Die extrazellulären Reste dieser
Schnitte (sAPP-α und sAPP-β) haben bisher keine bekannte pathologische Wirkung.
Die membranständigen Reste des Alpha- bzw Beta-Schnitts (CTF-α / CTF-83 und
CTF-β / CTF-99, Carboxy-Terminales Fragment) werden anschliessend von der
Gamma-Sekretase gespalten. Die Gamma-Sekretase arbeitet dabei innerhalb der
Zellmembran und kann an zwei benachbarten Positionen schneiden. Die
Kombination aus Alpha- und Gamma-Schnitt erzeugt das harmlose Fragment p3. Der
für die Alzheimer Demenz relevante Schnitt, die Kombination aus Beta- und GammaSekretase, erzeugt das pathologische Beta-Amyloid (Aβ).
10
Je nach genauer Gamma-Schnittposition am CTF sind die zwei Formen Aβ-40 und
Aβ-42 bekannt. Die Aβ-42-Variante ist dabei stärker hydrophob, schwerer löslich,
neigt stärker zu Plaque-Bildung und gilt als stärker pathologisch als Aβ-40. Die durch
die Gamma-Sekretase entstehenden Fragmente p3, bzw Aβ werden in den
Extrazellularraum abgegeben, die andere Hälfte des Schnittes nennt man AICD
(Aminoterminale Intra-Cellulare Domäne) und diese wird intrazellulär abgebaut.
Die Kombination aus Alpha- und Gamma-Sekretase erzeugt also die 3 Fragmente
sAPP-α, p3 und AICD. Die Kombination aus Beta- und Gamma-Sekretase erzeugt die
3 Fragmente sAPP-β, Aβ und AICD.
APP Sekretasen
Die Alpha-Sekretasen gehören zur Familie der ADAM (A Disintegrin And
Metalloproteinase). 1998 wurde bei einem Tumor-Nekrose-Faktor-ConvertingEnzyme (TACE) die Fähigkeit zum Alpha-Schnitt festgestellt und ADAM17 genannt.
1999 wurden ADAM9 und ADAM10 als Alpha-Sekretasen identifiziert. Nachdem
lange Zeit unbekannt war, welche der Sekretasen in Bezug auf den APP-Schnitt die
grösste Spezifität hat, erachtet man mittlerweile die ADAM10 als wesentlich (Kuhn, et
al., 2010).
Neben der verringerten Bildung von Beta-Amyloid scheint ein Spaltprodukt der
Alpha-Sekretasen, das sAPP-α, zusätzlich neuroprotektive und synaptogene Wirkung
zu haben (Thornton, Vink, Blumbergs, & Heuvel., 2006).
Man kennt zwei Subtypen der Beta-Sekretase. BACE1 erzeugt Beta-Amyloid,
BACE2 nicht. BACE2 kommt im Gehirn kaum vor. Die beiden Enzyme haben jedoch
eine Übereinstimmung in etwa 64% ihrer Aminosäuren-Sequenz. Das erschwert die
Entwicklung eines BACE1-spezifischen Effektors. 1999 konnte die BACE1 zum ersten
Mal synthetisiert und die beta-amyloidogene Wirkung in vitro demonstriert werden
(MacLeod, Hillert, Cameron, & Baillie, 2015). Nur membranständige BACE1 kann
APP schneiden, lösliche BACE1 hat diese Fähigkeit nicht.
Mäuse mit deaktivierter BACE1 produzieren kein Beta-Amyloid (Luo, et al., 2001).
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nur die BACE1 Beta-Amyloid erzeugt.
Die Beta-Sekretase ist aber nicht nur bei AD-Erkrankten aktiv, sondern auch bei
gesunden Personen. Möglicherweise ist eine Kombination aus erhöhter BetaSekretase-Aktivität, verminderter Alpha-Sekretase-Aktivität und vermehrter APPExpression für die Zunahme von Aβ verantwortlich.
11
Da komplett inaktivierte BACE1 zu Problemen wie Myelinisierungsstörungen führt,
gibt es Versuche der Teilinhibition der BACE1 bei heterozygoten Mäusen. Dies führt
erstaunlichweise nur bei weiblichen Mäusen zu einer Plaque-Reduktion (Sadleir,
Eimer, Cole, & Vassar, 2015).
Figure 8: α, β und g - Sekretasen (De Strooper, Vassar, & Golde, 2010)
Die BACE-Expression scheint durch Beta-Amyloid gefördert zu werden (Mamada, et
al., 2015). Das wäre eine (sich selbst verstärkende) positive Feedback-Schleife, die
man normalerweise in Organismen sehr selten findet.
Die Gamma-Sekretase besteht aus Presenilin 1 & 2 (PS1, PS2) und dem Presenilin
Enhancer Enzyme 2 (PEN2), sowie Nicastrin und der Anterior Pharynx-Defective 1
(APH1) (Yonemura, et al., 2011). Sie wurde als letztes der drei APP-Schnitt-Enzyme
entdeckt und scheint einen hohen Grad an Heterogenität aufzuweisen. Ausserdem
ist die Gamma-Sekretase deutlich länger und komplexer als die beiden anderen
Sekretasen. PS1 scheint etwa 24 mal mehr Beta-Amyloid zu produzieren als PS2
(Yonemura, et al., 2011)
12
Beta-Amyloid Pathomechanismus
Der genaue Pathomechanismus des Beta-Amyloids selbst ist noch ungeklärt.
Ungewöhnlich für ein Protein ist der schwache strukturelle Zusammenhalt. So konnte
man zeigen, dass Beta-Amyloid keine feste dreidimensionale Struktur aufweist,
sondern sporadisch zwischen einer Reihe von Faltungen wechselt. Das schwerer
lösliche und pathologischere Aβ-42 Monomer ist dabei konformationell stabiler als
das Aβ-40 (Yang & Teplow, 2008).
Möglicherweise sind aber gar nicht die Plaques selber pathologisch, sondern schon
deren Vorstufe, die ADDLs (A-beta-Derived Diffusible Ligands, lösliche BetaAmyloid-Oligomere) (Catalano, et al., 2006).
Nach einer Theorie ist das lösliche Aβ direkt verantwortlich für die neuronale
Degeneration, indem es mit Insulin um Rezeptorstellen konkurriert und so den
Glukosemetabolismus einschränkt (Xie, et al., 2002). Manche Arbeitsgruppen gehen
sogar soweit, die Einschränkung des Glukosemetabolismus als Diabetes Typ 3 zu
bezeichnen (Steen, et al., 2005).
Aβ-Plaques finden sich dabei nicht nur peri-neuronal sondern auch peri-vaskulär. Die
vaskulären Plaques enthalten einen größeren Anteil and Aβ-40, während die
neuronalen Plaques hauptsächlich aus Aβ-42 bestehen.
Ebenfalls ungeklärt ist, ob Amyloid oder Tau für den kognitiven Verfall ursächlich sind.
Seit Aufstellung der Amyloid-Hypothese Mitte der 80er Jahre konzentriert sich die
Pharmakoentwicklung stark auf diesen Aspekt der Erkrankung.
Tau
Tau-Protein hilft normalerweise durch Anlagerung an Mikrotubuli bei der räumlichen
Stabilisierung
des
Zytoskeletts.
Bei
zu
starker
Phosphorylierung
(Hyperphosphorylierung) verliert es seine physiologische Funktion, reichert sich
zunächst im Zytosol an und bildet schliesslich funktionslose Knäuel, so genannte
“neurofibrillary tangles”. Die Menge dieser Knäuel korreliert direkt mit dem
Krankheitsfortschritt und wird seit 1991 nach Braak in 6 Stadien eingeteilt. Im
Endstadium findet man die Tau-Knäuel auch ausserhalb der Zellen und spricht dann
von “Ghost-Tangles”.
Es konnte gezeigt werden, dass das Tau-Protein bei Alzheimer-Erkrankten in
konformationell veränderter Form vorliegt. Ob dies die Ursache für die verstärkte
Phosphorylierung ist, oder ein Missverhältnis von Kinasen und Phosphatasen
(Bindung & Entfernung von Phosphor) konnte noch nicht geklärt werden. Neben dem
13
Tau-Protein findet man bei Alzheimer-Erkankten auch hyperphosphorylierte Tubuline
und Neurofilamente.
Während das “geknäulte” (“tangled”) Tau wohl inert ist und keine weiteren
pathologischen
Veränderungen
verursacht,
führt
das
zytosolische
hyperphosophorylierte Tau in vitro zur Lösung selbst des normalen Tau-Proteins von
den Mikrotubuli.
Figure 9: Braak Stadien (alzheimer-forschung.de, 2016)
In vitro konnte durch Dephosphorylierung des abnormen Taus ein funktionsfähiges
Microtubli-bindendes Protein wiederhergestellt werden.
Der Verlust an funktionsfähigem Tau und in Konsequenz eines stabilen Zytoskeletts
ist die wahrscheinliche Ursache für einen schliesslichen Zelluntergang.
Neben dem Morbus Alzheimer findet sich hyperphosphoryliertes Tau-Protein auch in
einigen weiteren „Tauopathien“, wie der frontotemporalen Demenz, dem Morbus
Pick, der progressiven nuklearen Blickparese oder der kortikobasalen Degeneration.
Risikofaktoren
Der mit Abstand größte Risikofaktor ist zunehmendes Lebensalter. Daneben gibt es
aber eine Reihe weiterer Faktoren, die die Ausbildung der AD begünstigen können.
Die drei wichtigsten genetischen Faktoren sollen hier kurz beschrieben werden.
Darüberhinaus haben Lebenstilfaktoren wie sportliche Aktivitäten, soziale Interaktion,
Bildung oder Tabakkonsum wahrscheinlich ebenfalls Einfluss auf die
Krankheitsentstehung.
14
1992 entdeckte man, dass Mutationen des Amyloid Precurser Protein (APP) ein
erhöhtes Erkrankungsrisiko für die AD darstellen. Die ersten entdeckten Mutationen
nannte man “London” und “Dutch” Mutationen. Sie verändern das APP insbesondere
in der Nähe des Gamma-Sekretase-Schnitts und führen so zu erhöhter Produktion
von Beta-Amyloid-42 (Citron, et al., 1992). Weitere bekannte Mutationen sind die
“Schweden”-Mutation, die die Beta-Sekretase-Bindung erleichert und die “Flamen”Mutation, die die Alpha-Sekretase-Bindung erschwert (MacLeod, Hillert, Cameron, &
Baillie, 2015). Das APP-Gen ist auf Chromosom 21 lokalisiert und so erklärt sich auch
die erhöhte Erkankungswahrscheinlichkeit von Trisomie 21 Erkankten. Das
exprimierte Protein selbst ist Teil von Zellmembranen, sowohl von Neuronen als auch
anderen Körperzellen. Kürzlich wurde eine weitere Mutation im Bereich des BetaSekretase-Schnitts entdeckt (Typ “Island”), die die Beta-Amyloid-Produktion um 40%
verringert und so Alzheimer-protektiv wirkt (Jonsson, et al., 2012). Diese “Island”Mutation ist auch ein neuer starker Indikator für die Richtigkeit der AmyloidHypothese.
1993 fanden Strittmatter et al., dass Apolipoprotein E an Beta-Amyloid bindet, und
dass die E4 Variante des ApoE bei Alzheimer-Erkankten deutlich häufiger zu finden
ist (Strittmatter, et al., 1993). Tatsächlich liegt ApoE auf Chromosom 19 und ist
physiologischerweise am Fettstoffwechsel beteiligt. An Neuronen bindet es mittels
eines Rezeptors der LDL-Familie. Die drei beim Menschen bekannten Allele des
ApoE bezeichnet man als E2, E3 & E4. Diese 3 Varianten unterscheiden sich jeweils
nur in einer Aminosäure voneinander, sind in ihrer Wirkung bezogen auf die AD aber
stark verschieden. So ist das Riskio, als ApoE4-Träger an AD zu erkranken bei
Heterozygoten auf das 2-5fache und bei Homozygoten auf das 5-10fache erhöht.
50% der Alzheimer Erkankten sind mindestens heterozygot E4. Dabei ist das E3-Allel
mit 77% Verbreitung mit Abstand am häufigsten. Das AD-Risiko von ApoE2-Trägern
ist hingegen verringert. Hier könnte ein interessanter pharmakologischer Ansatzpunkt
liegen (Castellano, et al., 2011).
1995 fand man die ersten Mutationen im Präsenilin 1 & 2 Gen (PS1, PS2), die
unausweichlich zur AD führen (Duff, et al., 1996). Mäuse ohne PS1 stellten sich als
nicht lebensfähig heraus. 1999 erkannte man dann, dass PS1 & PS2 Teile der bis
dahin unbekannten Gamma-Sekretase sind (Wolfe, et al., 1999).
Die drei oben genannten Mechanismen beziehen sich alle auf Beta-Amyloid. Das
stellt eine starke Unterstützung für die Amyloid-Hypothese dar. Dabei führen APP und
PS1/2 Mutationen zu erhöhter Amyloid-Produktion, ApoE4 hingegen zu verstärkter
Aggregation und zu verringertem Abbau des Amyloids.
15
Diagnostik
Demenzen sind so weit verbreitet, dass die kognitive Degeneration häufig mit dem
normalen Alterungsprozess verwechselt und in der Folge keine medizinische Hilfe
gesucht wird. Dabei behält immerhin die Hälfte der Bevölkerung ihre geistigen
Fähigkeiten bis zuletzt. Für die primären Demenzen wie die Alzheimer-Erkrankung ist
zwar bislang keine kausale Therapie verfügbar, doch lassen sich der Verlauf
verzögern und die Symptome mildern. Von besonderer Bedeutung ist die
differentialdiagnostische Abgrenzung zu den sekundären Demenzen, da diese in
besonders starkem Maße von einer Therapie profitieren. In Hinblick auf gewonnene
Lebensqualität sowie persönliche und auch finanzielle Belastung gilt es
frühestmöglich eine Diagnose zu stellen, da die gegenwärtig verfügbare Medikation
in den Anfangsstadien der Krankheit die besten Resultate erzielt.
Für die verwandten Krankheitsbilder MCI und AD erfolgt traditionell zunächst die
Diagnose einer Demenz mittels sorgfältiger Anamnese und Neuropsychologischer
Tests (s.u.). Die Symptome müssen dabei seit mindestens 6 Monaten vorliegen, um
kurzfristige Ursachen ausschliessen zu können. Falls eine Demenz vorliegt, folgt als
zweites Kriterum der Ausschluss anderer Ursachen wie zum Beispiel Enzephalitiden,
Parkinson,
Multiple
Sklerose,
Tumoren,
Stoffwechselerkrankungen,
Mangelernährung, Alkoholmissbrauch, etc. Dafür erfolgen in der Regel LiquorProben, Blutbild und morphologische Bildgebung. Liegt keine andere Ursache für
eine Demenz vor, so kann man die Diagnose Alzheimer stellen. Definitiv läßt sich
diese Diagnose zwar erst histologisch post mortem stellen, die Zuverlässigkeit der
klinischen Diagnose liegt mittlerweile jedoch schon bei etwa 90%. (Alzheimer’s
Foundation of America, 2016)
2013 hat die NIH/AA nach 27 Jahren ihre Leitlinien angepasst und das präklinische
Stadium der Alzheimer Demenz aufgenommen (McKhann, et al., 2011). Dies ist ein
symptomfreier Zustand mit nuklearmedizinisch meßbaren beginnenden Plaques.
Ermöglicht wurde die Beschreibung dieses Zustandes erst durch die Entdeckung
des “Pittsburgh Compound B”. Das hat zunächst nur theoretische Relevanz, da
symptomfreie Personen keine behandelnde Person aufsuchen. Diese Änderung
könnte aber große Wirkung haben, da nun Screening-Programme möglich werden,
die Risikogruppen wie alte Menschen, Boxer oder Träger bestimmter Gene
konsequent und regelmäßig auf das Vorliegen von Plaques und beginnender
neuronaler Degeneration zu testen und frühzeitig einer Therapie zuzuführen.
16
Neuropsychologische Tests
Erstaunlicherweise wurde der erste systematische und standardisierte Test zur
Erfassung demenzieller Symptome, der sogenannte Mini-Mental-Status-Test, erst
1975 erstellt, etwa 70 Jahre nach der Erstbeschreibung des Morbus Alzheimer.
Dieser Test lässt sich relativ rasch in etwa 15 Minuten durchführen und hat sich so
zur vermutlich meistverwendeten Ersteinschätzung etabliert. Gerade in frühen
Demenzstadien ist er aber nicht sehr sensitiv.
Sehr weit verbreitet in der Diagnostik und Therapieevaluation ist auch der kognitive
Teil des Alzheimer Disease Assessment Scale, kurz ADAS-cog. Die Durchführung
dauert mit circa 30 Minuten etwa doppelt so lang, dafür liegen sowohl Sensitivität als
auch Spezifität nahe bei 100%. Gerade in den frühen Stadien einer möglichen
Demenz ist dieser Test also dem Mini-Mental Status vorzuziehen.
Figure 10: Mini-Mental Status (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, 2016)
17
Figure 11: ADAS-cog Test (Dementia Collaborative Research Centers, 2016)
Neben diesen beiden häufigen Tests existiert eine große Zahl weiterer Tests, ohne
dass bisher ein klarer Standard auszumachen wäre. Um eine Vergleichbarkeit in
Studien und Diagnostik zu gewährleisten, wäre ein solcher Standard aber sinnvoll.
Seit 2012 versucht das amerikanische “National Institute of Health” mit seinem
wissenschaftlichen Gewicht, einen Standard zu etablieren, die “NIH Toolbox”.
(National Institute of Health, 2012) Es bleibt abzuwarten, ob dieser Versuch
erfolgreich verläuft.
Die verschiedenen neuropsychologischen Tests eignen sich dabei vorwiegend, die
Verdachtsdiagnose einer Demenz zu erhärten, und weniger, um zwischen
verschiedenen Demenzformen zu differenzieren.
Liquormarker
Eine Liquor Entnahme ist einfach durchzuführen, risikoarm und kostengünstig. Es ist
also naheliegend nach Biomarkern im Liquor zu suchen, die die Alzheimer-Diagnose
verifizieren oder falsifizieren, bzw den Schweregrad angeben können. Traditionell
wurde die Liquor-Diagnostik im Kontext der AD nur zum Ausschluss anderer
18
Ursachen wie zum Beispiel Multipler Sklerose verwendet. Das ändert sich aber
gerade, da einige neue Marker eine sehr hohe Aussagekraft aufweisen. Schliesslich
sind Liquor-Marker nicht nur geeignet zur Diagnostik, sondern auch zur
Verlaufskontrolle einer pharmakologischen Therapie.
Der Liquor/Serum – Albumin Quotient ist ein genereller Indikator für die Intaktheit der
Blut-Hirn-Schranke. Er ist zum Beispiel erhöht bei Infektionen, Entzündungen,
Tumoren und vaskulärer Demenz, nicht aber bei Morbus Alzheimer. Daher eignet
sich dieser Parameter zum Ausschluss verschiedener Differential-Diagnosen, die
ebenfalls dementielle Symptome hervorrufen können.
In gleicher Weise sind die intrathekalen Immunglobuline zum Beispiel bei Multipler
Sklerose oder Neuroborreliose erhöht, bei Alzheimer jedoch nicht.
Aus der Korrelation mit PET-Scans vermutet man eine verringerte Menge an BetaAmyloid-42 im Liquor bei zunehmender Aggregation desselben im Gehirn. Man
nimmt an, dass in Folge der Ablagerung im Gehirn weniger verstoffwechseltes
Amyloid im Liquor ankommt. Studien zeigen eine Abnahme des Liquor-BetaAmyloids-42 auf etwa 50% der Altersnorm bei Alzheimer-Erkankten (Blennow, 2004).
Die Gesamtmenge an Tau-Protein im Liquor korrelliert direkt mit neuronaler
Degeneration. So findet man erhöhte Werte dieses Proteins unter anderem bei
Erkankten nach Schlaganfällen, Schädel-Hirn-Traumen und Creutzfeld-Jakob. Bei
Alzheimer ist das Liquor-Tau ebenfalls erhöht und es gibt sogar einen quantitativen
Zusammenhang: je höher die Tau-Werte, desto rapider verläuft die kognitive
Degeneration. Durchschnittlich liegen die Tau-Werte etwa 3-fach über der
Altersnorm. In Zukunft wird die Betrachtung des phosphorylierten Tau-Proteins die
Aussagekraft möglicherweise weiter erhöhen. Erste Studien deuten darauf hin, dass
dieses nur bei Alzheimer-Erkankten erhöht ist, nicht aber bei anderen neuronalen
Erkrankungen. (Blennow, Hampel, Weiner, & Zetterberg, 2010)
Gegenwärtig experimentiert man erfolgreich mit der Kombination von LiquorMarkern. Insbesondere die Tau- & Amyloid-Marker sind hier vielversprechend. Eine
Studie zeigt zum Beispiel eine Zunahme der Sensitivität von 80% auf 86% und der
Spezifität von 84% auf 97% im Vergleich zur Verwendung nur eines Markers.
(Maddalena, et al., 2003). Ein solcher Test verursacht auch lediglich Kosten von circa
200$, MRT und PET sind wesentlich teurer. (Blennow, Hampel, Weiner, & Zetterberg,
2010)
Nach neuen Markern wird weiterhin gesucht. Kandidaten sind unter anderem
verschiedene Beta-Amyloid Vorläufer, Isoformen und Antikörper. Bislang sind die
Ergebnisse diesbezüglich aber noch inkonsistent.
19
Plasmamarker
Da Blutplasma noch leichter zu gewinnen ist als Liquor, wird natürlich auch in dieser
Richtung nach möglichen Markern für die Alzheimer-Krankheit gesucht. Zwischen
Plasma-Amyloid-Spiegel und Krankheits-Stadium konnte aber bisher kein
Zusammenhang hergestellt werden.
Eine Kombination aus 18 Plasma-Proteinen führte jedoch zu einer 90%
diagnostischen Genauigkeit. Die untersuchten Proteine stehen in Zusammenhang mit
Hämatopoese, Apoptose und Immunregulation. (Ray, et al., 2007)
Eine Vielzahl von Messgrößen automatisiert mit dem Auftreten einer Krankheit zu
korrelieren, könnte ein vielversprechender Weg für die Zukunft sein.
Elektroenzephalographie
Die EEG-Forschung zum Thema Alzheimer konzentriert sich auf die Bereiche
•
Intensitätsverschiebungen
•
Reduzierte Komplexität
•
Reduzierte Synchronität
Zunächst ist in jedem Falle eine Vorverarbeitung notwendig, um Artefakte wie
Muskelbewegungen herauszufiltern.
Die Intensitätsverschiebungen sind im folgenden Schaubild sehr schön dargestellt.
Man sieht deutlich eine Verstärkung der Intensität in den Frequenzen unterhalb von
8Hz (Delta & Theta – Bänder) und eine Verringerung der Intensität in den Frequenzen
oberhalb von 8Hz (Alpha & Beta – Bänder). (Dauwels, Vialatte, & Cichocki, 2010)
Die reduzierte Komplexität der EEG-Bänder kann man mit verschiedenen EntropieMaßen erfassen. Beispielhaft sei hier das Lempel-Ziv-Welch-Verfahren genannt.
Dieses findet in Daten Abschnitte, die sich gleichen. Je mehr gleiche Abschnitte
gefunden wurden desto geringer ist die Komplexität und umgekehrt. Bei AlzheimerErkankten wiederholen sich EEG-Abschnitte häufiger als bei gesunden
Versuchspersonen, was wohl auf die verringerte neuronale Interaktion durch
generelle Neurodegeneration bedingt ist. Dieser Algorithmus wird interessanterweise
auch in der Informatik verwendet, zum Beispiel in der bekannten GIF-Kompression
für Bilder. In diesem Falle wird die Bilddatei umso stärker komprimiert, je mehr
gleiche Muster sich in den Ausgangsdaten finden (Zhao, et al., 2007).
Auch die Synchronität der verschiedenen EEG-Ableitungen ist bei AlzheimerErkankten im Allgemeinen reduziert. Man führt dies weniger auf einen Verlust an
20
Neuronen, als vielmehr auf Diskonnektionen der verschiedenen kortikalen Zentren
zurück.
Figure 12: Intensitätsverteilung über EEG-Frequenzen. Links Kontrollgruppe, rechts Alzheimer-Erkrankten
(Dauwels, et al., 2011)
Die existierenden Studien zur Alzheimer-Diagnostik mittels EEG sind in
gegenwärtiger Form jedoch noch nicht ausreichend sensitiv und spezifisch, um einen
klinischen Einsatz empfehlen zu können. (Dauwels, Vialatte, & Cichocki, 2010)
Möglicherweise kann eine Kombination der verschiedenen Marker einen Zugewinn
an Reliabilität bringen, analog zum Vorgehen bei Liquor- und Plasma-Markern. Dazu
konnten jedoch keine Studien gefunden werden.
Radiologie
Makroskopisch lässt sich sowohl bei der Autopsie post-mortem, als auch mittels
morphologischer Bildgebung wie der Magnetresonanztomographie und der
Computertomographie eine Atrophie des gesamten Kortex bei Alzheimer-Erkrankten
beschreiben, mit sichtbarer Vergröberung der Gyri über der Altersnorm.
Das Problem in der Befundung liegt bei der morphologischen Bildgebung also zum
einen in der Beurteilung des Atrophiegrades im Vergleich zur Altersnorm als auch in
der Objektivierung des Befundes. Da sich die Befunde verschiedener behandelnder
Personen selbst bei gleichen Rohdaten unterscheiden, sucht man nach
automatisierten Möglichkeiten der Beurteilung eines Schnittbildes.
In der gegenwärtigen Befundung des Morbus Alzheimer werden MRT & CT daher
hauptsächlich zum Ausschluss anderer Erkrankungen wie Tumoren oder Blutungen
verwendet, sowie zur groben Beurteilung der Hirnatrophie.
21
Die Herangehensweisen zur automatisierten Analyse lassen sich dabei zunächst
nach betrachteter Region gruppieren. Man kann das gesamte Hirnvolumen, nur die
Rinde oder nur bestimmte häufig betroffene Bereiche wie den Hippocampus
betrachten.
Figure 13: Voxel-basierte (links) versus Atlas-basierte (rechts) MRT-Analyse. Je “wärmer” die Farbe, desto
stärker die kortikale Atrophie und die Plaque-Wahrscheinlichkei (Cuingnet, et al., 2011)
Hat man sich für ein Gebiet entschieden, kann man dieses dann Voxel für Voxel
(Volumen Pixel) betrachten oder nach Funktionsbereichen (Atlas-basiert) gruppieren.
Dabei kann man die untersuchte Region dann zum Beispiel nach der veränderten
Dicke des Kortex oder nach der Veränderung der Konstellation aus Neuronen,
Axonen und Liquor klassifizieren. (Cuingnet, et al., 2011)
Figure 14: Form-Analyse des Entorhinalen Kortex, je kälter die Farbe, desto stärker die Einziehung (Devanand,
et al., 2012)
Alternativ kann man auch das Volumen bestimmter Bereiche messen (in der Regel
Hippokampus) oder die genaue Form dieser Bereiche analysieren, was die
Sensitivität erhöht, da so selbst Einziehungen in kleinsten Regionen auffällig werden
(Devanand, et al., 2012).
22
Mit Hilfe der diffusionsgewichteten Magnetresonanztomographie (DT-MRT oder auch
nur DTI) kann man die Diffusionsrichtung von Wasser visualisieren. Da dieses leichter
entlang der axonalen Bahnen verläuft als quer zu diesen, kann man mit diesem
Verfahren sehr schön die großen axonalen Bahnen sichtbar machen, auch
Traktographie genannt. Da bei der AD Neurone inklusive ihrer Axone absterben, führt
das zu einer messbar erhöhten Quer-Diffusion in der Traktographie.
Figure 15: Diffusionsgewichtetes MRT, man sieht die Diffusionszunahme bei der Alzheimer-Demenz im
Vergleich zur Kontrollgruppe (Douaud, et al., 2011)
Die meisten Studien sind zwar MRT-basiert, aber manche Arbeitsgruppen meinen, in
CT-Messungen das überlegene Instrument zu haben, unter anderem, da sich durch
die erhöhte Messgeschwindigkeit weniger Artefakte ergeben. (Imabayashi, et al.,
2013)
Zum Ausschluss anderer Demenz-Ursachen wird die CT wegen ihrer größeren
Verfügbarkeit und schnelleren Durchführung sogar häufiger verwendet als die MRT.
Figure 16: CT-Analyse, Intensitätsminderungen der grauen Substanz, äquivalent zu Nervenzellverlusten, in
Orange (Imabayashi, et al., 2013)
23
Nuklearmedizin
Die Szintigraphie bietet sei 40 Jahren die Möglichkeit, Stoffwechselprozesse im
Körper sichtbar zu machen. Die beiden verwendeten Verfahren PET (=PositronenEmissions-Tomographie) und SPECT (=single photon emission computed
tomography) sind sich sehr ähnlich. Beide verwenden Radionukleotide, die sich in
stoffwechselaktivem Gewebe vermehrt anreichern und messen die emittierte
Strahlung. PET verwendet dazu Beta- und SPECT Gamma-Strahlung. PET bietet eine
genauere Auflösung ist aber auch etwas teurer in der Durchführung. Für beide
Methoden stehen rotierende Aufnahmeköpfe und somit 3D-Bilder zur Verfügung.
Weiterhin gibt es die Möglichkeit der räumlichen Verknüpfung mittels CT/MRT, da die
szintigraphischen Methoden selbst nur die Positionen ihrer Marker erfassen, nicht
aber das restliche Gewebe.
Im Rahmen der Alzheimer-Diagnostik ist bereits eine Vielzahl von Radiopharmaka
verfügbar, die verschiedenste Teilaspekte der Krankheit visualisieren können. So
lässt sich die Aktivität verschiedener Neurotransmittersysteme darstellen, der
Glukoseverbrauch und die Amyloid- & Tau-Aggregation. Auch aktivierte Mikroglia
und Lipidstoffwechsel sind Gegenstand der Forschung. Schliesslich wird wohl in
Zunkunft auch der Therapieerfolg mittels funktioneller Bildgebung kontrolliert werden
können.
Figure 17: Glukose Stoffwechsel, links an MCI erkrankte Person, rechts an Alzheimer erkrankte Person
(Nordberg, Rinne, Kadir, & Laangstrom, 2010)
24
Zur Messung des Glukosestoffwechsels verwendet man die FluorDesoxyGlukose
(FDG). Im Gleichschritt mit dem Untergang neuronalen Gewebes nimmt der
Zuckerstoffwechsel ab, FDG ist also auch ein Marker für die Progredienz der
Erkrankung. Weiterhin besteht eine hohe Sensitivität (ca. 90%), da eine Veränderung
im Zuckerstoffwechsel schon lange vor klinischen Symptomen sichtbar wird.
(Nordberg, Rinne, Kadir, & Laangstrom, 2010)
Auch die Lokalisation der hauptsächlich betroffenen Areale kann so sichtbar
gemacht werden, das sind im wesentlichen der frontale und temporale Kortex sowie
der posteriore Gyrus Cinguli.
Besonders interessant sind neuere Studien zur getrennten Betrachtung der
verschiedenen Neurotransmittersysteme.
Bei der Betrachtung des cholinergen Neurotransmittersystems kann man sowohl das
Enzym Acetylcholinesterase mittels des Markers C-PMP betrachten als auch die
verschiedenen Rezeptorsubtypen selbst, namentlich den nikotinischen (F-fluoro-A85380) und den muskarinischen (C-NMPB). Die AChE-Marker korellieren dabei in
bisherigen Studien sehr gut mit der Erkrankung und können möglicherweise bald als
Marker eingesetzt werden.
Beim Versuch, die Rezeptoren statt der Transmitter zu markieren, konnte beim
muskarinischen Rezeptor bislang kein Zusammenhang entdeckt werden. Die
Ergebnisse zum nikotinischen Rezeptor sind zumindest vielversprechend.
(Nordberg, Rinne, Kadir, & Laangstrom, 2010)
Figure 18: Amyloid-Aggregation, links an Alzheimer erkrankte Person, rechts Kontrollperson, Visualisierung
mittels Pittsburgh Compound B (Nordberg, Rinne, Kadir, & Laangstrom, 2010)
25
Das dopaminerge System zeigt zwar Veränderungen bei der Autopsie, es konnte
bislang aber keine Visualisierung in vivo erfolgen. Allerdings schlägt der SPECTMarker I-FP-CIT bei Lewy-Body-Demenz an und wird aus diesem Grund zur
Differentialdiagnose zum Morbus Alzheimer eingesetzt. Forschung zu
Radiopharmaka der Rezeptorsubtypen D1-D5 läuft noch und ist bislang
widersprüchlich.
Im serotonergen System konnte in einzelnen Studien eine Reduktion der 5-HT-1 und
5-HT-2 Subtypen gezeigt werden.
Seit 2004 der Amyloid-Marker Pittsburgh Compound B (PIB) gefunden wurde, erfuhr
die Diagnostik in diesem Bereich einen wesentlichen Schub. Der PiB ist ein
radioaktives Analogon des Thioflavin T, das an Beta-Amyloid bindet und dieses so
im PET sichtbar macht. Der Zusammenhang zwischen erhöhter Amyloid-Aggregation
und der Alzheimer-Erkankung konnte in zahlreichen Studien gut belegt werden.
Die Empfindlichkeit mittels PET-PIB entspricht der Liquor-Diagnostik des BetaAmyloids, ist aber etwa 8 Mal so teuer. Das stellt die künftige breite Anwendbarkeit
durchaus in Frage.
26
Material und Methoden
Zur Bewertung verschiedener Aspekte der pharmakologischen Therapie des Morbus
Alzheimer wurde systematisch vorhandene Literatur gesichtet. Dazu wurden im
wesentlichen die Suchmaschinen PubMed und Google Scholar herangezogen. Eine
zeitliche Eingrenzung wurde per se nicht vorgenommen, neuste Ergebnisse wurden
jedoch in besonderem Maße in Betracht gezogen. Ausserdem wurde gängige
Fachliteratur gesichtet, sowie Leitlinien neurologischer Gesellschaften eingearbeitet.
Es wurden insbesondere neuste Studien zu cholinerger, glutamaterger und
amyloider Therapie recherchiert. Die betrachteten Studien wurden ausserdem auf
Widersprüchlichkeiten und Gemeinsamkeiten untereinander bewertet.
27
Ergebnisse
Überblick der pharmakologischen Therapie der AD
Mitte der 1970er Jahre stellte man zum ersten mal eine Verbindung her zwischen
dem cholinergen Neurotransmittersystem und der Gedächtnisleistung auf der einen
Seite, sowie dem Untergang des zerebralen cholinergen Systems beim Morbus
Alzheimer. Die AD wurde als cholinerge Erkrankung betrachtet, so wie der Morbus
Parkinson als dopaminerge Erkrankung verstanden wurde. Die pharmakologische
Forschung konzentrierte sich in der Folge auf die Verbesserung der cholinergen
Funktion. Bis zur Zulassung des ersten Cholinesterasehemmers Tacrin 1993
verstrichen dennoch beinahe 20 Jahre. Aufgrund dessen Hepatotoxizität wurde
diesem zugunsten der im folgenden genauer beschriebenen Cholinergika die
Zulassung wieder entzogen.
Neben dem cholinergen System ist bei der AD auch das glutamaterge
Neurotransmittersystem betroffen. Dort findet man eine chronische Überaktivierung.
Diese versucht man pharmakologisch zu mindern. Die Suche nach einem wirksamen
Glutamat-Rezeptor-Antagonisten führte 2002 zur Zulassung von Memantin für
moderate und schwere Formen der AD. (Danysz & Parsons, 2012)
Die Aufstellung der Amyloid-These 1991 führte zu einer weitgehenden Verlagerung
der pharamakologischen Forschung. Diese zielte nun auf die Hemmung von
Synthese, Aggregation, sowie Lyse der Beta-Amyloid-Plaques. (Schneider, et al.,
2014)
Bislang sind die Möglichkeiten der pharmakologischen Therapie sehr begrenzt.
Zugelassen zur Behandlung der AD sind aktuell nur drei Cholinesterasehemmer
(Donepezil, Galantamin, Rivastigmin) sowie der NMDA-Rezeptor-Antagonist
Memantin (Beubler, 2011).
Da die kognitiven Unterschiede zwischen Placebo und getestetem Pharmakon sehr
gering sein können, werden die Testzeiträume verlängert, um Effekte besser sichtbar
werden zu lassen. Wurden die Cholinesterasehemmer und Memantin noch in 3–6
monatigen Studien erprobt, erstrecken Versuche mit neuen Pharmaka sich heute
meist über 12-24 Monate. Aus einem ähnlichen Grund nehmen auch die TestKollektive stetig an Größe zu, denn so können auch geringe kognitive
Verbesserungen signifikant beschrieben werden.
Nach grossen diagnostischen Fortschritten wie dem Pittsburgh Compound B, aber
auch der Messung von intrathekalem Beta-Amyloid (siehe Kapitel Diagnostik)
verlagern sich Studien zudem zunehmend darauf, Ihren Erfolg an Biomarkern anstatt
28
klinischen neuropsychologischen Tests zu messen. Auf diese Weise lassen sich
ebenfalls bereits subtilere Verbesserungen darstellen. Ausserdem werden die
Ergebnisse so reproduzierbarer.
Die verbesserte Diagnostik wird aber nicht nur zur Bewertung des Studienerfolgs
verwendet, sondern bereits vor Studienbeginn zur Auswahl der Versuchspersonen.
So kann man die Studien mittlerweile auch auf vorklinische Stadien der AD ausweiten,
die mit neuropsychologischen Tests gar nicht erfasst werden können.
Cholinerge Pharmaka
Bereits früh bemerkte man Defekte im cholinergen System bei Alzheimer-Erkrankten
und erklärte sich damit auch die dementiellen kognitiven Defizite. Der
Neurotransmitter Acetylcholin wird physiologischerweise durch eine Esterase wieder
aus dem synaptischen Spalt entfernt. Wenn die Ausschüttung des Transmitters
abnimmt, kann man wahlweise die Produktion des Transmitters verstärken, den
Transmitter selbst nachahmen oder seinen Abbau hemmen. Zunächst wurden
Acetylcholin-Vorstufen wie Lecithin erprobt, jedoch ohne Erfolg. Muskarinische
Rezeptor-Agonisten wie Xanomelin zeigten im Labor eine gewisse Wirksamkeit,
werden wegen starker Nebenwirkungen aber bisher nicht verwendet. Die beste
Wirkung am synaptischen Spalt konnte man mit Acetylcholin-Esterase-Hemmern
erzielen. Entsprechende Medikamente waren schon auf dem Markt um zum Beispiel
die Myastenia gravis oder Glaukome zu behandeln. Für die Behandlung des Morbus
Alzheimer sind momentan die drei neueren AChE-Hemmer Donepezil, Galantamin
und Rivastigmin zur Behandlung der leichten und moderaten AD zugelassen.
Physiostigmin und Tacrin werden nicht mehr verwendet.
Da Cholinesterasehemmer auf das Vorhandensein endogenen Acetylcholins
angewiesen sind, nimmt ihre Wirksamkeit mit zunehmendem Untergang der
cholinergen Neurone ab.
Weiterhin wirkt diese Substanzgruppe rein symptomatisch, die Krankheit wird so
weder am Fortschreiten gehindert, noch geheilt.
Die Acetylcholinesterase liegt im Gehirn von Säugetieren in zwei Formen vor, der
häufigeren, tetrameren G4-Form und der selteneren, monomeren G1-Form.
Pharmaka können eine unterschiedlich starke Affinität zu diesen beiden Formen
aufweisen.
In ihren parasympathischen Nebenwirkungen sind sich die Cholinesterasehemmer
sehr ähnlich. Im wesentlichen kommt es zu Übelkeit, Erbrechen, Durchfall,
Muskelkrämpfen und Schlaflosigkeit.
29
Cholinesterase Inhibitoren
Tacrin war unter dem Handelsnamen Cognex 1995 das
erste zugelassene Medikament zur Behandlung der AD.
Bereits bei der Zulassung war bekannt, dass bei mehr als
40
Prozent
der
Erkrankten
reversible
Transaminasenerhöhungen
auftreten.
Wegen
der
Hepatotoxizität wurde Tacrin in Deutschland bald wieder
vom Markt genommen. In den USA war es bis noch 2013
erhältlich.
Figure 19: Tacrine (chembase.cn)
Der reversible AChE-Hemmer Galantamin wurde 1950 in
Russland entwickelt und wird seitdem in Osteuropa zur
Therapie der Myasthenie verwendet. Im Westen ist es seit
2001 zur Behandlung der AD und vaskulären Demenz
zugelassen. Es wurde zunächst aus dem kaukasischen
Schneeglöckchen gewonnen, wird heute aber synthetisch
hergestellt. Es bindet sowohl direkt an nikotinische
Acetylcholinrezeptoren als auch hemmend an die AChE.
Seit 2014 gibt es Generika.
Figure 20: Galantamine
(chembase.cn)
Da es hepatisch durch die CYP3A4 und CYP2D6 metabolisiert wird ist die Gabe bei
Leber- aber auch bei Niereninsuffizienz kontraindiziert. Wechselwirkungen sind
bekannt mit Parasympathomimetika, Parasympatholytika, Digoxin, Betablockern und
Muskelrelaxantien.
Die Halbwertszeit beträgt 7 Stunden, die Proteinbindung 18%, die Bioverfügbarkeit
etwa 90%.
Der älteste noch verwendete AChE-Hemmer Donepezil
wurde 1996 zugelassen, wie Galantamin bindet es
reversibel. Es ist das meistverkaufte AlzheimerMedikament und seit 2010 auch als Generikum erhältlich.
Als einziges der AChE-Hemmer ist es auch zur
Behandlung der schweren AD zugelassen, bisher aber nur
in den USA.
Figure 21: Donepezil
(chembase.cn)
Es wird wie Galantamin durch CYP3A4 und CYP2D6 metabolisiert und weist
vergleichbare Wechselwirkungen und Kontraindikationen auf. Weitere häufige
30
Interaktionen sind mit Levodopa, Anticholinergika und Suxamethoniumchlorid
beschrieben.
Die Halbwertszeit beträgt 70 Stunden, die Proteinbindung 96%, die Bioverfügbarkeit
100%.
Rivastigmin unterscheidet sich deutlich von den
beiden oben genannten Substanzen. Durch seine
lange Bindung von etwa 10 Stunden an
Acetylcholinesterase bezeichnet man Rivastigmin
Figure 22: Rivastigmine (chembase.cn)
auch als pseudo-irreversiblen AChE-Hemmer.
Ausserdem bindet Rivastigmin bevorzugt an die G1-Isoform der AChE und wirkt so
stärker im Cortex als peripher, wodurch sich etwas geringere Nebenwirkungen
ergeben. Zusätzlich zur AChE hemmt Rivastigmin ausserdem die
Butyrylcholinesterase, ein verwandtes Enzym. Schliesslich wird Rivastigmin direkt im
synaptischen Spalt metabolisiert und kann auch bei nieren- und leberinsuffizienten
Erkrankten verwendet werden und es bestehen keine Wechselwirkungen mit anderen
Medikamenten. Es wurde im Jahr 2000 zur Behandlung der leichten und mittleren AD
zugelassen. (Inglis, 2002) (Jann, 2000). Seit 2014 gibt es Generika.
Es ist als Kapsel, Lösung und seit 2008 auch als Pflaster erhältlich. Die
Bioverfügbarkeit bei oraler Einnahme beträgt circa 40%. Nach 2 - 3 Stunden wird der
maximale Wirkspiegel im Liquor erreicht. Die Halbwertszeit liegt bei 1,5 Stunden, die
Proteinbindung bei 40%, die maximale Tagesdosis bei 12 mg. Die Applikation des
Pflasters erfolgt einmal täglich bei einer maximalen Dosis von 9,5 mg.
Die Dosis sollte über mehrere Wochen langsam gesteigert werden, um
Unverträglichkeiten früh zu erkennen.
Phenserin
ist
ein
Derivat
des
Cholinesterasehemmers Physiostigmin. Es gibt
zwei Enantiomere “-“ und “+”.
Nur das “-“
Enantiomer wirkt auf die Cholinesterase. Beide
Enantiomere haben jedoch die Eigenschaft, die
Amyloid-Precursor-Protein-Synthese zu modulieren
und so effektiv auch Amyloid-Beta zu reduzieren.
Das “+” Enantiomer kann man wegen seiner
fehlenden Cholinesterasewirkung deutlich höher
31
Figure 23: Phenserin (chemnet.com)
dosieren und so einen ausgeprägteren Effekt auf die Plaquebildung erzielen.
“-“ Phenserin zeigte in vitro zwar gute Wirksamkeit, konnte in klinischen Phase 3
Studien jedoch keine signifikante Verbesserung zeigen und wurde 2009 vom
Hersteller eingestellt. Die Verbindung bleibt aber Ausgangspunkt für Modifikationen,
die möglicherweise bessere Ergebnisse bringen (Shinada, et al., 2012).
Das “+” Enantiomer von Phenserin wird unter dem Namen Posiphen klinisch erprobt.
Erste Studien sahen vielversprechend aus. So konnte dieses cholinerg inaktive
Enantiomer im Mausversuch die APP und Amyloid-Last deutlich reduzieren (Lahiri, et
al., 2007) (Klein, 2007). 2012 gab es erste Phase I Studien mit gesunden
Versuchspersonen, die eine gute Verträglichkeit zeigten. (Maccecchini, et al., 2012).
Die weitere Entwicklung bleibt spannend.
Huperzin wird aus einem chinesischen Moosfarn
gewonnen und in der traditionellen chinesischen
Medizin schon lange verwendet, unter anderem zur
Behandlung der Myasthena gravis. Auch die
keltischen Druiden verwendeten diesen Wirkstoff,
der auch im Tannenbärlapp enthalten ist.
Figure 24: Huperzin A (chembase.cn)
In China wird die AD bereits mit Huperzin behandelt. Besonders interessant ist, dass
Huperzin sowohl die Cholinesterase hemmt, als auch den NMDA-Rezeptor
antagonisiert. Es wirkt also gleichzeitig auf beide bei der AD betroffenen
Neurotransmittersysteme.
Es wurden bereits Phase 2 Studien durchgeführt, die aber bisher keine signifikanten
Wirkungen nachweisen konnten. Möglicherweise wurde die Wirkdosis zu gering
angesetzt. Weitere Studien laufen noch.
Eine Metaanalyse von 20 klinischen Studien mit insgesamt 1823 Versuchspersonen
bescheinigt Huperzin signifikante kognitive Effekte, hält aber weitere Studien
aufgrund methodischer Mängel für notwendig (Yang, Wang, Tian, & Liu, 2013).
Cholinerge Agonisten
Neben den Cholinesterasehemmern wurden auch Versuche unternommen,
cholinerge Rezeptoren direkt zu stimulieren. Problematisch ist bei deren Entwicklung
insbesondere, eine spezifische Wirkung in geschädigten Cortexarealen zu erreichen
ohne dabei starke periphere Nebenwirkungen auszulösen. Als Ziele in Frage
kommen dabei vor allem die muskarinischen M1 und M4 Rezeptoren, die
32
hauptsächlich zerebral verteilt sind, sowie die nikotinischen Alpha-7 (α7) und Alpha4-Beta-2 (α4β2) – Rezeptoren (Toyohara & Hashimoto, 2010).
Da sich die verschiedenen cholinergen Rezeptoren-Subtypen nicht sehr stark
voneinander unterscheiden, stellt sich die Entwicklung spezifisch wirkender
Pharmaka bislang schwierig dar. Neue Ansätze, wie die Positiven Allosterischen
Modulatoren (PAM), lösen dieses Problem möglicherweise. Die PAM binden nicht an
der physiologischen Bindungsstelle des Agonisten, sondern an anderer Position.
Dadurch ergeben sich für die Entwicklung spezifischer M1/M4 Pharmaka viele
mögliche neue Kopplungspunkte am Rezeptor (Nickols & Conn, 2014).
Beta-Amyloid blockiert möglicherweise den α7 -Rezeptor bei AD-Erkrankten (Kihara
& Shimohama, 2004). Diskutiert wird auch, ob Beta-Amyloid über den α7 - Rezeptor
intrazellulär aufgenommen wird, und dort die Tau-Phosphorylierung induziert
(Nagele, D’andrea, Anderson, & Wang., 2002).
Die α4β2 Ausprägung scheint bei Alzheimer-Erkrankten deutlich verringert zu sein.
Dies lässt sich mittlerweile sogar in vivo mittels SPECT beobachten (O’Brien, et al.,
2007). Das würde eine pharmakologischen Korrektur nahe legen.
Ausserdem scheinen sowohl α4β2 als auch α7 relevant am Gedächtnis und
Lernfähigkeit beteiligt zu sein (Levin, 2013).
Problematisch bei der Entwicklung eines langfristig wirksamen nikotinischen
Agonisten ist die schnelle Gewöhnung und somit die ständige Notwendigkeit der
Dosiserhöhung (Levin, 2013).
Muskarinrezeptor Agonisten
Xanomelin
wirkt
an
muskarinischen
M1
und
M4
Rezeptoren und ist als einziger cholinerger Agonist
bislang in Phase 3 Studien erprobt worden. Dabei zeigte
der Wirkstoff nur eine geringe kognitive Verbesserung und
starke gastro-intestinale Nebenwirkungen. Auffällig waren
Figure 25: Xanomeline
(wikipedia.org)
die starken positiven Effekte auf Halluzinationen,
Verwirrung und Sprachstörungen. Daraufhin began man, Xanomelin und verwandte
Muskarin-Rezeptor-Agonisten auch bei Schizophrenie-Erkrankten zu testen. Der
Wirkstoff selbst wird wegen der starken Nebenwirkungen nicht eingesetzt und auch
nicht mehr weiterentwickelt (Foster, Choi, Conn, & Rook, 2014).
33
BQCA (Benzyl Quinolone Carboxylic Acid) (auch
SML0497) war einer der ersten positiven allosterischen
Modulatoren (PAM) mit Affinität für M1 – Rezeptoren
(Kuduk & Beshore, 2014). Als PAM aktiviert er den
Rezeptor nicht direkt, sondern erleichtert die Bindung
von Acetylcholin (Nickols & Conn, 2014).
Der verwandte PAM PQCA zeigte im Mausmodell eine
Kognitionsverbesserung
vergleichbar
der
von
Donepezil (Puri, Wang, Vardigan, Kuduk, & Uslaner,
2015). Menschliche Studien für PAMs liegen noch nicht
vor.
Figure 26: BQCA (D Kuduk 2014)
Nikotinrezeptor Agonisten
Enceniclin
(auch
EVP-6124)
von
Envivo
Pharmaceuticals ist ein partieller Alpha-7-Agonist. In
Phase
1
Studien
wurden
zunächst
keine
Nebenwirkungen berichtet, Phase 2 Studien
bescheinigten kognitive Verbesserungen (Deardorff,
Shobassy, & Grossberg, 2015). In Phase 3 traten
starke gastrointestinale Nebenwirkungen auf. Drei
Phase 3 Studien wurden ohne Veröffentlichung von
Ergebnissen abgebrochen.
Figure 27: Enceniclin (wikipedia.org)
Neloniclin (auch ABT-126) von Abbott ist ein
allosterischer Alpha-7-Agonist. Nachdem eine Phase
2 Studie zunächst kognitive Verbesserungen
angegeben hatte, konnte in einer 2b Studie mit 400
Erkrankten kein Nachweis mehr erbracht werden, so
dass die Entwicklung eingestellt wurde (Gault, et al.,
2014).
Figure 28: Neloniclin
(drugspider.com)
Vareniclin ist ein Partialagonist am Alpha-4-Beta-2 –
Rezeptor. Es wirkt ausserdem in geringerem Masse an
Alpha-7 und 5-HT3 – Rezeptoren. Es ist bereits
zugelassen zur Nikotinentwöhnung von rauchenden
Personen. Es wurde 2010 in einer Phase 2 Studie an
Alzheimer-Erkrankten erprobt, konnte aber keine
kognitive Verbesserung erweisen (Kim, et al., 2013).
34
Figure 29: Vareniclin (chembase.cn)
PHA-543613 ist ein weiterer Agonist am nikotinischen alpha-7-Rezeptor und ein
Beispiel für einen neuen Wirkstoff der bisher nur im Tiermodell gestestet wurde. Diese
Versuche zeigen bisher eine deutliche kognitive Verbesserung. Die Wirksamkeit
scheint stärker als bei Galantamin zu sein (Sadigh-Eteghad, Mahmoudi, Babri, &
Talebi, 2015).
Glutamaterge Pharmaka
Neben dem cholinergen ist insbesondere auch das glutamaterge System bei
Alzheimer-Erkrankten betroffen. Der Neurotransmitter Glutamat bindet an eine Reihe
von Rezeptoren, die zunächst nach Typ in die Ionotropen und die metabotropen
Rezeptoren unterteilt werden. Die Ionotropen Rezeptoren sind nach demjenigen
Molekül benannt, welches spezifisch an diese bindet. So kennt man den NMDARezeptor
(N-Methyl-D-Aspartat),
den
AMPA-Rezeptor
(AminohydroxyMethylisoxazol-Propionic Acid) und die Kainat-Rezeptoren. Die zweite Gruppe der
metabotropen Rezeptoren wird einfach in mGlu1 bis mGlu8 unterteilt.
Bei Alzheimer-Erkrankten unterliegt das glutamaterge System einer chronischen
Überaktivierung durch die NMDA-Rezeptoren. Das führt zum Zelltod durch CalciumÜberladung. Sowohl Unter- als auch Überaktivierung führen zum Verlust neuronaler
Plastizität und konsekutiv schweren Einschränkungen beim Lernen. Man diskutiert ob
lösliches Beta-Amyloid für die Überaktivierung der NMDA-Rezeptoren direkt
verantwortlich ist. (Parsons, Stöffler, & Danysz, 2007)
Ein natürlicher Antagonist des NMDA-Rezeptors ist Magnesium. Dessen
Konzentration im Blutplasma ist bei der AD signifikant verringert (ionisiertes
Magnesium: 0,50 mmol/L bei AD-Erkrankten gegenüber 0,53 mmol/L bei Gesunden)
(Barbagallo, Belvedere, Di Bella, & Dominguez, 2011). Der Magnesium-Mangel lässt
sich sogar direkt korrelieren mit dem kognitiven Verfall (genauer, dem MMSE-Score)
von Alzheimer-Erkrankten (Barbagallo, Belvedere, Di Bella, & Dominguez, 2011).
Die chronische NMDA-Überaktivierung könnte also sowohl durch eine direkte
Aktivierung als auch durch eine verringerte Hemmung oder durch eine Kombination
beider Faktoren verursacht sein.
NMDA Antagonisten
Die Magnesiumkonzentration medikamentös zu erhöhen stellte sich bislang
problematisch dar. Orale Magnesiumgabe führt zumindest bei gesunden Individuen
nicht zu erhöhten Magnesium-Spiegeln in Plasma oder Blutzellen (Wary, et al., 1999).
35
Hohe parenterale Dosen würden ausserdem zu Hypermagnesiämie mit
Muskelschwäche, Bradykardie, Vasodilatation, Verwirrtheit, Atemdepression, etc,
führen (Parsons, Stöffler, & Danysz, 2007).
2010 wurde eine neue Magnesium-Verbindung getestet, Magnesium-L-Threonat
(MgT). Diese führte im Rattenmodel zu Verbesserungen im Lernen, sowie im Kurzund Langzeitgedächtnis (Slutsky, et al., 2010). Weiterführende Studien an
transgenen Alzheimer Mäusen scheinen zu einem Rückgang an Amyloid-Beta,
weniger Neuronenuntergängen und verbesserter Kognition zu führen (Li, et al.,
2014). Hier könnte ein vielversprechender Weg für neue pharmakologischen
Entwicklungen liegen.
Magnesium fördert aber beispielsweise auch die Aggregation von Tau-Fibrillen
(Yang & Ksiezak-Reding, 1999), was einer wirksamen Therapie im Weg stehen
könnte.
Memantin wurde 1968 zunächst als DiabetesMedikament
entwickelt,
stellte
sich
diesbezüglich aber als ineffektiv heraus. Erst in
den 1980er Jahren erkannte man die Wirkung
von Memantin auf NMDA-Rezeptoren. Die
Zulassung folgte bald darauf in Deutschland
(1989) aber erst 10 Jahre später in den USA
(2002). Seit 2014 sind auch Generika erhältlich.
Bisher ist Memantin nur für die Behandlung der
mittleren und schweren AD zugelassen.
Figure 30: Memantin (chembase.cn)
Memantin ist ein unkompetitiver Antagonist am NMDA-Rezeptor. Es konkurriert also
nicht direkt am NMDA-Rezeptor um einen Platz, sondern bildet mit dem EnzymSubstrat-Komplex eine neue Verbindung mit veränderter Reaktionsgeschwindigkeit.
(Chen & Lipton, 1997). Im Unterschied zur nicht-kompetitiven Hemmung kann
Memantin erst dann an den Rezeptor binden, nachdem ein Substrat angedockt hat.
Auf diese Weise wirkt Memantin umso besser, je stärker der Rezeptor aktiviert wird.
Eine völlige Blockade, die kognitiv nachteilig wäre, wird so verhindert.
Memantin hemmt den NMDA-Rezeptor aber nicht nur direkt, sondern auch indirekt
über eine Verminderung der Glutamat-Ausschüttung durch Blockierung von
spannungsabhängigen Calcium-Kanälen (Lu, Lin, & Wang, 2010).
36
Ein
verwandtes
interessanterweise
Pharmakon
ist
Ketamin.
Der
Wirkmechanismus ist sehr ähnlich zu Memantin;
beide wirken nur am offenen NMDA-Ionen-Kanal
blockierend
und
beide
sind
spannungsabhängig in ihrer Wirkung. Die
klinische
Wirkung
ist
jedoch
sehr
unterschiedlich. Ketamin wird als Anästhetikum
Figure 31: Ketamin (chembase.cn)
verwendet
und
bewirkt
Schlaf
und
Schmerzfreiheit und führt zu dissoziativen Rauschzuständen. Memantin wird im
Gegensatz gut vertragen mit milden positiven Effekten auf Kognition und Gedächtnis.
(Johnson, Glasgow, & Povysheva, 2015) Ketamin wird neben der Schmerztherapie
neuerdings auch zur Behandlung der Depression eingesetzt, bei der es erstmals
Ergebnisse innerhalb Stunden anstatt bisher Wochen produzieren kann (Krystal,
Sanacora, & Duman, 2013) Hier wirkt Memantin gar nicht. Es liegt also nahe, dass
diese beiden verwandten Pharmaka an verschiedenen NMDA-Rezeptor-Subtypen
wirken.
Auch die Wirksamkeit von Memantin an weiteren neuronalen Rezeptoren könnte zum
speziellen Wirkungsprofil beitragen. So werden neben NMDA-Rezeptoren
ausserdem 5-HT-3-Rezeptoren antagonisiert, nikotinische Alpha-7-AcetylcholinRezeptoren antagonisiert und Dopamin D2-Rezeptoren aktiviert. Interessanterweise
wirkt es also über den nikotinischen Alpha -7-Acetylcholin-Rezeptor der cholinergen
Funktion und somit den AChE-Hemmern entgegen. Dabei führt die Alpha-7-Blockade
zu einer initialen Verschlechterung der Kognition und konsekutiv einer verstärkten
Expression dieser Rezeptoren und daraufhin kognitiven Besserung (Aracava,
Pereira, Maelicke, & Albuquerque, 2005). Möglicherweise wirkt Memantin ausserdem
hemmend auf die Amyloid- und Tau-Bildung (Wu & Chen, 2009).
Die Bioverfügbarkeit beträgt 100%, die Halbwertszeit 60-100 Stunden. Memantin ist
relativ gut verträglich, insbesondere treten die Nebenwirkungen der
Acetylcholininhibitoren nicht auf. Es sind aber Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen
und Schwindel beschrieben.
Anti-Amyloide Pharmaka
Die Beta-Amyloid-Hypothese als wesentlicher pathogenetischer Mechanismus des
Morbus Alzheimer ist mittlerweile über 25 Jahre alt. Es gibt viele kritische Personen,
aber ein grosser Teil der Forschung setzt noch immer hier an.
37
Dabei werden verschiedene Ansätze verfolgt, um die Menge an Beta-Amyloid im
Gehirn zu reduzieren. Die APP-Sekretasen (Alpha, Beta und Gamma) sind ein guter
Ansatzpunkt, um die Produktion einzuschränken. Die Sekretasen können dabei in
jedem Fall nur die Entstehung neuen Beta-Amyloids einschränken, nicht jedoch
bestehendes entfernen. Ihr Einsatz sollte also frühest möglich, idealerweise noch vor
den ersten Symptomen begonnen werden.
Mit Hilfe von Antikörpern versucht man, die Phagozytose des Beta-Amyloids
anzuregen. Dabei unterscheidet man die aktive Immunisierung mit Antigenen die
Teile des Beta-Amyloids nachbilden und eine körpereigene Immunantwort
provozieren sollen von der passiven Immunisierung mit künstlich erzeugten
Antikörpern, die dann regelmässig appliziert werden müssen.
Mutationen des Apolipoprotein E haben starken Einfluss auf Enstehung und Verlauf
der AD. So ist bekannt, dass die E4 Variante des ApoE die AD begünstigt und die E2
Variante hemmend wirkt.
Alpha-Sekretase Aktivatoren
Die Familie der Alpha-Sekretasen schneidet das Amyloid-Precursor-Protein auf eine
Weise, dass kein kein Beta-Amyloid mehr entstehen kann (Es entstehen stattdessen
die unproblematischen Fragmente sAPP-α, CTF-α und p3, siehe Kapitel
Pathophysiologie). Zur Verringerung der Plaque-Bildung liegt es also nahe, die
Aktivität der Alpha-Sekretasen anzuregen und auf diese Weise dem Beta-Schnitt das
Substrat zu entziehen.
Im Mausmodell führte die Überexpression der Alpha-Sekretase ADAM10 zu einer
Zunahme von sAPP-α, einer Reduktion von Beta-Amyloid-Plaques und kognitiver
Verbesserung. Ausserdem scheint die ADAM10 – Aktivität bei Alzheimer-Erkrankten
verringert zu sein. Diese Erkenntnisse lieferten die Grundlage für weitere
pharmakologische Forschung.
Gegenwärtig werden Strategien untersucht, die Alpha-Sekretasen direkt zu aktivieren
oder indirekt über Vitamin A, Tyrosinkinase oder die Proteinkinase C. (De Strooper,
Vassar, & Golde, 2010). Aber auch die Hemmung der vermehrten Endozytose der
Alpha-Sekretase bei Alzheimer-Erkrankten wird untersucht.
38
Etazolat (auch EHT-0202) von Exonhit Therapeutics ist
ein GABA-Rezeptor-Modulator und war der erste in
Bezug
auf
gesteigerte
Alpha-Sekretase-Aktivität
untersuchte Wirkstoff. Dieser zeigte in einer Phase 2
Studie mit 159 Erkrankten 2011 zunächst gute
Verträglichkeit (Vellas, et al., 2011) (Yiannopoulou &
Papageorgiou, 2013). Aus nicht genannten Gründen
wurde die Entwicklung 2012 jedoch eingestellt.
Figure 32: Etazolat (wikipedia.org)
EpiGalloCatechinGallat (NCT00951834) ist in grossen
Mengen in grünem Tee enthalten. Im Mausmodell konnte
gezeigt werden, dass diese Verbindung die AlphaSekretase stimuliert (vermutlich mittels der Proteinkinase
C) und so die Beta-Amyloid-Produktion reduziert und
sogar Plaques abbaut. Ausserdem hemmt EGCG
wahrscheinlich direkt die Aggregation von Beta-AmyloidOligomeren zu Plaques. Gegenwärtig laufen noch
klinische Phase 2 Studien (Mähler, et al., 2013).
Figure 33: EGCG (wikipedia.org)
Bryostatin wurde bereits in den 60er Jahren erstmals aus
Bryozoen, auch Moostierchen genannt, extrahiert. Dieses
Molekül hat eine starke Wirkung auf die Proteinkinase C
und so mittelbar auch auf die Regulation der AlphaSekretase. Zunächst konnte in Ratten eine kognitive
Verbesserung gezeigt werden. Auch die positiven Effekte
auf depressive Verstimmungen können für AlzheimerErkrankte von Relevanz sein. (Sun & Alkon, 2005). Phase
1 Studien mit Menschen verliefen nebenwirkungsarm.
Ergebnisse aus bis 2017 laufenden Phase 2 Studien
stehen noch aus (clinicaltrials.gov, 2016).
39
Figure 34: Bryostatin
(wikipedia.org)
Beta-Sekretase Inhibitoren
Die Beta-Sekretase (BACE) schneidet das Amyloid-Precursor-Protein. Nach einem
weiteren Schnitt durch die Gamma-Sekretase ensteht Aβ. In der
Pharmakonentwicklung sucht man nach spezifisch auf die zerebale BACE1
wirkenden Substanzen. Da die BACE neben APP noch weitere Proteine schneidet,
könnte man auch mit einer Teilinhibition arbeiten, um starke Nebenwirkungen zu
vermeiden (siehe Kapitel Pathophysiologie)
Da die katalytische Aminosäuresequenz der Beta-Sekretase sehr lang ist, waren die
ersten Moleküle, die die Bindungsstelle der Beta-Sekretase an das APP in vitro
wirksam blockieren konnten, zu gross, um die Blut-Hirn-Schranke zu passieren.
Daraufhin konzentrierte sich die Forschung auf die Entwicklung kleinerer Moleküle.
Auch bei dieser zweiten Generation der Beta-Sekretase-Inhibitoren war das
Hauptproblem das Erreichen suffizienter Wirkspiegel im Gehirn. Seit kurzem wird die
dritte Generation in ersten klinischen Studien erprobt (Riqiang Yan & Robert Vassar,
2014).
In diesen ersten Studien konnte bereits die grundsätzliche Wirksamkeit der BetaSekretase-Inhibitoren auf Beta-Amyloid im menschlichen Gehirn gezeigt werden.
Aufgrund von Nebenwirkungen und der erst in jüngerer Zeit begonnenen klinischen
Studien, konnte aber noch kein Medikament zur Marktreife entwickelt werden.
Anstatt bestehende BACE1 zu blockieren, könnte ein weiterer interessanter Ansatz
darin bestehen, ihre Expression zu hemmen, denn diese ist bei AD-Erkrankten erhöht.
Die Entwicklung bleibt spannend. Einige Substanzen dieser Gruppe sollen im
folgenden exemplarisch kurz vorgestellt werden.
LY-2811-376 von Eli Lilly war der erste BetaSekretase-Inhibitor der gute Bioverfügbarkeit mit
einer tatsächlichen Beta-Amyloid-Reduktion im
Menschen demonstrierte (May, et al., 2011).
Aufgrund starker Nebenwirkungen wurden die
Versuche nach einer Phase 1 Studie eingestellt und
mit dem modifizierten Nachfolger LY-2886-721
wieder
aufgenommen.
Phase
1
verlief
nebenwirkungsfrei bei 47 Versuchspersonen und
konnte eine etwa 70% Reduktion von Beta-Amyloid
im Liquor demonstrieren. In Phase 2 traten LeberSchädigungen auf, so dass man die Studie
abbrach (May, et al., 2015).
40
Figure 35: LY-2811-376
(medchemexpress.com)
Verubecestat von Merck (auch MK-8931) ist der
bislang erfolgreichste Beta-Sekretase-Inhibitor und
wird als bisher einziger Wirkstoff dieser Klasse
bereits in Phase 3 Studien erprobt. In Phase 1 & 2
Studien wurde gute Verträglichkeit und eine BetaAmyloid-Reduktion um etwa 80% demonstriert
(Forman, et al., 2012). 2018 werden die Ergebnisse
der gegenwärtigen klinischen Phase 3 Studie
erwartet.
Figure 36: Verubecestat (wikipedia.org)
E-2609 von Eisai konnte in acht Phase 1 Studien eine Beta-Amyloid-Reduktion von
bis zu 90% in der höchsten Dosis von 400mg ohne schwerere Nebenwirkungen
demonstrieren (Bernier, et al., 2013). Eine Phase 2 Studie mit 700 Versuchspersonen,
die nach Amyloid-PET-Scans ausgewählt wurden endet Anfang 2017. Die
Rekrutierung zu einer Phase 3 Studie hat im November 2016 begonnen.
Gamma-Sekretase Inhibitoren
Die Gamma-Sekretase ist die längste und komplexeste der APP-Sekretasen und
wurde als letzte identifiziert (siehe Kapitel Pathophysiologie).
Die Entwicklung von hirngängigen Pharmaka scheint für die Gamma-Sekretase
leichter zu gelingen als beispielsweise für die Beta-Sekretase-Inhibitoren. Das größte
Problem stellen die starken Nebenwirkungen dar. Da bei Veränderungen der
Gamma-Sekretase auch der Notch-Signalweg stark betroffen ist, entwickeln Mäuse
Hirn-, Skelett-, Gastrointestinal-Deformitäten. Um diesen Nebenwirkungen zu
begegnen, entwickelt man so genannte “Notch-Sparing Inhibitors”, die eine höhere
Affinität zur Verhinderung des APP-Schnitts haben als zu Notch.
Auch mit der Modifikation von Teilen der Gamma-Sekretase wird experimentiert. Im
Mausversuch wurde durch die genetische Elimination der APH-Subtypen APH-1b
und APH-1c eine verringerte Beta-Amyloid-Produktion ohne größere
Nebenwirkungen erreicht (De Strooper, Vassar, & Golde, 2010). Ausserdem scheint
PS1 für einen größeren Teil der Beta-Amyloid-Produktion verantwortlich zu sein, als
PS2. (De Strooper, et al., 1998). Dementsprechend gibt es Überlegungen spezifische
Inhibitoren für die PS1, beziehungsweise APH1 zu entwickeln und so möglicherweise
Nebenwirkungen reduzieren zu können.
Bei Nagetieren unterscheidet sich dieses Enzym jedoch stark von der menschlichen
Variante. So besitzen Menschen nur APH-1a und APH-1b, Mäuse zusätzlich die APH41
1c (De Strooper, Vassar, & Golde, 2010). Dadurch werden die Versuche mit neuen
Pharmaka in ihrer Aussagekraft eingeschränkt.
Semagacestat
(auch
LY-450-139)
ist
ein
unspezifischer Gamma-Sekretase-Inhibitor und war
das erste Medikament dieser Art, das bis in
klinische Phase 3 Studien vorgedrungen ist. Die
Beta-Amyloid-Level konnten dabei in der höchsten Figure 37: Semagacestat (wikipedia.org)
Dosis um bis zu 84% reduziert werden (Bateman, et
al., 2009). Erstaunlicherweise besserte sich die Kognition der Erkrankten dabei
jedoch nicht, sondern verschlechterte sich sogar. Darüberhinaus entwickelten etwa
5% der Versuchspersonen Basal-Zell-Karzinome, möglicherweise in Folge der
Beeinträchtigung des Notch Signalwegs (Doody, et al., 2013). Nach der dritten Phase
3 Studie wurde die Entwicklung dieses Pharmakons 2011 eingestellt.
Begacestat (auch GSI-953) ist einer der ersten so
genannten Notch Sparing GSI. Der wichtige Notch
Signalweg soll bei Applikation also möglichst
unbeinträchtigt bleiben. Begacestat hat eine 16fach
höhere Affinität zur Verhinderung des APP-Schnitts
als zum Notch-Schnitt (Hopkins, 2012). Die
Entwicklung wurde nach Phase 1 im Jahr 2010
jedoch eingestellt.
Figure 38: Begacestat (chembase.cn)
Avagacestat (auch BMS-708-163) von BristolMyers Squibb wurde ein 137fach erhöhte Selektivität
an APP gegenüber Notch bescheinigt. Es bindet
direkt an PS1 und konkurriert dort mit anderen GSI
um
Aktivität.
Mit
GSM
bestehen
keine
Wechselwirkungen (Crump, SV, & Wang, 2012). In
Ratten und Hunden konnte eine Amyloid-Reduktion
ohne Notch-Nebenwirkungen demonstriert werden.
2009 wurden Phase 2 Studien mit verschiedenen
Figure 39: Avagacestat
Dosierungen begonnen, aus denen die meisten
(sigmaaldrich.com)
Erkrankten
wegen
starker
gastrointestinaler
Nebenwirkungen ausschieden. Kognitive Verbesserungen wurden ebenfalls nicht
erreicht. Die Entwicklung wurde daraufhin im Jahr 2013 beendet.
42
Gamma-Sekretase Modulatoren
Neben Gamma-Sekretase-Inhibitoren wird auch mit Gamma-Sekretase-Modulatoren
(GSM) experimentiert. Der dahinterstehende Gedanke ist, die Beta-AmyloidProduktion nicht zu verhindern, sondern sie zu verschieben und zwar entgegen der
Richtung, die man bei Alzheimer-Erkrankten beobachtet, das heißt mehr Aβ40 auf
Kosten von Aβ42. Dabei wirken die GSM nicht direkt an der katalytisch aktiven Stelle
des Enzyms, sondern sind allosterische Modulatoren. Auf diese Weise bleibt auch
der wichtige und therapeutisch nebenwirkungssensible Notch Signalweg
unbeeinflusst. Die ersten GSMs waren Nicht-Steroidale-Anti-Rheumatika. Wegen
geringer Hirngängigkeit, wurde auf lipophilere Substanzen ausgewichen. Diese
befinden sich gerade in den ersten Stadien klinischer Untersuchungen.
Tarenflurbil (ein Enantiomer des NSAR Flurbiprofen,
wirkungslos auf COX 1&2) war der erste getestete
Gamma-Sekretase-Modulator. Die klinische Phase 3
Studie zeigte zwar keine Nebenwirkungen, aber auch
keine signifikanten Verbesserungen im ADAS-cog, so
dass die Entwicklung eingestellt wurde (Green, et al.,
2009). Da eine schlechte Penetration der Blut-Hirn— Figure 18: Tarenflurbil (wikipedia.org)
Schranke als ursächlich für die schwache Wirksamkeit angenommen wird, gibt es
Versuche Tarenflurbil in Polyactide einzubetten, um die Hirngängigkeit zu
verbessern. Erste in vitro Studien verliefen vielversprechend (Meister, et al., 2013).
E-2012 von Eisei ist ein GSM der zweiten Generation.
Diese binden wahrscheinlich an den PEN2-Teil der
Gamma-Sekretase und ausserdem an APP
(Borgegard, et al., 2012). E-2012 demonstrierte eine
Halbierung des Beta-Amyloids im Plasma. Nachdem Figure 40: E2012 (International Journal of
Alzheimer’s Disease)
bei einigen Versuchspersonen ein Katarakt
aufgetreten war, wurde die Entwicklung eingestellt (Nakano-Ito, et al., 2013). Der
modifizierte Nachfolger E-2212 zeigt ebenfalls eine Halbierung der Beta-Amyloid
Level und bisher keine Nebenwirkungen in einer klinischen Phase 1 Studie.
EVP-0962 ist ein weiteres NSAR, das im Mausmodell Wirksamkeit demonstrieren
konnte, in Phase 1 Studien keine schweren Nebenwirkungen zeigte und gegenwärtig
in einer Phase 2 Studie mit 52 Versuchspersonen erprobt wird.
43
Aktive Immunisierung
Die aktive Immunisierung mit Antigenen hat den Vorteil, dass der Körper bei Erfolg
kontinuierlich eigene Antikörper produziert. Das größte Risiko besteht momentan in
einer überschiessenden Immunantwort, die sich zum Beispiel in einer Enzephalitis
äußern kann. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Passage der Blut-Hirn-Schranke
dar.
Die aktive Immuno-Therapie für den Morbus Alzheimer wurde 1999 von Dale Schenk
et al begonnen. Im Mausmodell führten Beta-Amyloid-Antigene zu einer deutlichen
Plaque-Reduktion. Die ersten klinischen Studien wurden mit AN-1792 im Jahr 2000
durchgeführt. Phase 1 Studien zeigten gute Ergebnisse ohne Nebenwirkungen. 2001
mussten die Phase 2 Studien jedoch wegen gehäuften Auftretens von
Meningoenzephalitis bei ca. 6% der Versuchspersonen wieder abgebrochen
werden. Die Beta-Amyloid-Plaques wurden zwar reduziert, aber ohne signifikanten
Effekt auf die Kognition (Lambracht-Washington & Rosenberg, 2013). In einer
Subgruppe der abgebrochenen AN-1792-Studie fand man eine deutliche Reduktion
des Beta-Amyloids sowie eine verbesserte Kognition (Fettelschoss, Zabel, &
Bachmann, 2014). Diese Phase 2 Studien brachten trotz Nebenwirkungen den
Nachweis, dass sich Beta-Amyloid im menschlichen Gehirn mittels Immunisierung
reduzieren liess.
Aufgrund der überschiessenden Entzündungsreaktion wurden in der Folge Antigene
entwickelt, die keine T-Zell-Aktivierung nach sich zogen. Dazu konzentrierte man sich
auf Peptide von weniger als 8 Aminosäuren Länge, da diese keine T-Zell-Reaktion
auslösen.
ACC-001 koppelt die letzten sieben Aminosäuren des Beta-Amyloids-42 an das
CRM197 Trägermolekül (ein modifiziertes Diphterietoxin). Im Mausmodell zeigte
diese Substanz bereits Plaque-reduzierende und Kognitions-verbessernde Wirkung
ohne T-Zell-iniziierte Entzündungsreaktionen. (Fettelschoss, Zabel, & Bachmann,
2014)
CAD-106 von Novartis exprimiert die ersten sechs Aminosäuren des Beta-Amyloids
auf einem Virus-like-Particle (VLP) names Qβ. Auch dieser Impfstoff ist ähnlich
vielversprechend und bisher nebenwirkungsfrei wie ACC-001 (Fettelschoss, Zabel,
& Bachmann, 2014). Eine Phase 2 Studie wurde 2015 begonnen, die Resultate
stehen noch aus.
44
Affitope (AD01, AD02) von AFFiRiS besteht aus 6 Aminosäuren die das N-terminale
Ende des Beta-Amyloids nachbilden. Diese werden an das SchlitzschneckenHämocyanin (KLH, Keyhole Limpet Hemocyanin) als Trägermolekül gekoppelt. In
Mausmodellen wurde eine Beta-Amyloid-Reduktion demonstriert, sowie kognitive
Verbesserungen. Wegen der Kürze des Antigens von nur 7 Aminosäuren, sind bisher
keine T-Zell assoziierten Nebenwirkungen bekannt (Mandler, et al., 2014). Phase 2
Studien konnten bisher keinen Wirknachweis erbringen. Weitere Studien sind aber
geplant.
Die DNS-Immunisierung ist eine Variante der aktiven Immunisierung. Dabei wird das
gewünschte Antigen nicht direkt appliziert, sondern die DNS-Sequenz des Antigens
subkutan oder intramuskulär verabreicht. Erste Versuche zeigten bei einer DNS-BetaAmyloid-42-Immunisierung eine Reduzierung der Beta-Amyloid-Mengen im
Mausmodel um über 60% (Qu, Boyer, Johnston, Hynan, & Rosenberg, 2006). 2013
demonstrierte eine Arbeitsgruppe bei prophylaktischer DNA-Immunisierung eine
Beta-Amyloid-Reduzierung um 42% im Maus-Vergleichs-Experiment (Rosenberg &
Lambracht-Washington, 2013). Dieselbe Gruppe erzielte mit der Kombination aus
gewöhnlicher Antigen-Immunisierung und zusätzlicher DNA-Immunisierung (PrimeBoost-Protocol) deutlich höhere Antikörper-Titer als üblich, 250 μg/mL.
Passive Immunisierung
Die relativ kleinen Antikörper passieren meist problemlos die Blut-Hirn-Schranke und
führen in bisherigen Versuchen zu deutlich weniger Nebenwirkungen als aktive
Immunkomplexe. Der Wirkspiegel dieser monoklonalen Antikörper (-mab) muss
jedoch regelmässig aufgefrischt werden, was sowohl teuer als auch aufwendig ist,
sowie die Compliance senkt. Häufige Nebenwirkungen sind Ödeme und
Mikroblutungen.
Antikörper erschweren einerseits direkt die Amyloid-Aggregation und führen
andererseits zu Phagozytose durch Mikroglia. Ein weiterer Effekt ist die Verteilung
der Antikörper-Antigen-Komplexe auf den ganzen Blutkreislauf entlang eines
Konzentrationsgradienten weg vom Gehirn (Lambracht-Washington & Rosenberg,
2013). Ausserdem scheinen sie auch die Wirkung des löslichen Beta-Amyloids auf
die Neurotransmittersysteme zu unterbinden. (Gouras, 2009). Auch scheinen
Antikörper, welche an das extra-zelluläre APP-Fragment binden, intrazellulär
aufgenommen zu werden und dort auf Beta-Amyloid-Aggregationen zu wirken.
(Gouras, 2009)
45
Die Nebenwirkungen sind umso geringer, je weniger Beta-Amyloid im Erkrankten
vorhanden ist und scheinen also wesentlich aus der Interaktion mit Beta-Amyloid zu
resultieren. Dementsprechend wäre ein frühestmöglicher Therapiebeginn sinnvoll,
durchaus noch vor Eintreten erster Symptome. Diese wahrscheinlich Erkrankenden
lassen sich zum Beispiel mittels PET-Screenings von Risikogruppen erfassen.
Solanezumab (auch LY2062430) von Ely Lilly ist ein humanisierter Maus-Antikörper
und bindet an die Beta-Amyloid-Teilsequenz 13-28. Er bindet stärker an BetaAmyloid-Oligomere als an Plaques. Phase 1 & 2 Studien zeigten kaum
Nebenwirkungen. Zwei grosse Phase 3 Studien konnten keine signifikanten
kognitiven Verbesserungen zeigen. Nachträgliche Auswertungen dieser Studien, die
nur milde Alzheimer-Fälle betrachteten, fanden jedoch eine 34 prozentige
Verbesserung der Kognition im Placebo-Vergleich in dieser Subgruppe. Daraufhin
wurden neue Phase 3 Studien angesetzt, die sich nur auf die Behandlung der milden
Form der AD beziehen (Selkoe & Hardy, 2016) (Lambracht-Washington &
Rosenberg, 2013). Im November 2016 wurden jedoch auch diese Studien wegen
Wirkungslosigkeit abgebrochen. Angesichts eines erwarteten Umsatzes von etwa 10
Milliarden Dollar, fiel der Aktienkurs des Entwicklers Eli Lilly daraufhin um 10% (NZZ,
2016).
Crenezumab stammt ebenfalls von Mäusen und bindet an eine ähnliche Sequenz,
die Aminosäuren 12-23 des Beta-Amyloids. In Phase 1 Studien wurden
vergleichsweise geringe Nebenwirkungen bescheinigt (Lambracht-Washington &
Rosenberg, 2013). Vier Phase 1, 2 & 3 Studien laufen momentan.
Gantenerumab ist ein rein menschlich produzierter Antikörper, der an die Epitope 311 sowie 19-28 binden kann. Bei AD-Erkrankten konnte in der PET-Kontrolle mit
Pittsburgh Compound B eine 30%ige Reduktion von Beta-Amyloid festgestellt
werden (Lambracht-Washington & Rosenberg, 2013). Drei Phase 3 Studien laufen
noch.
Aducanumab wird aus B-Zell-Klonen gesunder Personen gewonnen. Man dachte,
dass die B-Zellen der gesunden Personen die Beta-Amyloid-Plaques erfolgreich
verhindert hätten und das gleiche auch bei erkrankten Personen leisten könnten. Es
bindet an Plaques und Oligomere, aber nicht an monomeres Beta-Amyloid. In einer
erfolgreichen Phase 1 Studie wurden die Versuchspersonen erstmals mittels PETScan selektiert. 20% der Versuchspersonen entwickelten kleinere Ödeme. Die
Testgruppe mit der höchsten Dosis erlitt keinen kognitiven Verfall. Seit 2015 befindet
dieses Pharmakon in einer Phase 3 Studie mit 1300 Versuchspersonen mit MCI und
milder AD, die mittels PET-Scan ausgewählt werden. (Selkoe & Hardy, 2016)
46
Intravenöse Immunglobuline (IVIG) werden aus gepoolten Plasmaspenden
gewonnen. Man extrahiert nur die IgG – Antikörper. Diese verleihen der
empfangenden Person eine breite humorale Immunität gegen alle Antigene, gegen
die der Pool der Spender immun war. Die Idee dabei ist, dass man die natürlich
vorkommenden Anti-Amyloid-Antikörper auffrischen möchte. Diese sind bei
Alzheimer-Erkrankten verringert. Die IVIGs scheinen ausserdem speziell auf
fehlgefaltetes Beta-Amyloid zu wirken und zusätzlich Mikroglia zu aktivieren.
Schliesslich sind die Nebenwirkungen sehr gering im Vergleich zu anderen
Immunisierungsstrategien (Relkin, 2014).
Octagam und Gammagard sind IVIGs die zunächst vielversprechend aussahen,
aber in Phase 2 und Phase 3 Studien keine signifikante kognitive Verbesserung
zeigen konnten (Loeffler, 2013). Momentan wird Flebogamma in einer Phase 3 Studie
getestet. Zur Verbesserung dieser Methode könnte man unter anderem gezielt die
Konzentration an Alzheimer-relevanten Antikörpern erhöhen.
APP-Antikörper sind Antikörper, die nicht an Beta-Amyloid-Sequenzen binden,
sondern an die Aminosäure-Sequenz 663 bis 671 des APP. Die Beta-Sekretase, die
an dieser Position schneidet wird dadurch blockiert und die Produkton von BetaAmyloid unterbunden. So braucht man die Beta-Sekretase selbst gar nicht zu
verändern oder zu inaktivieren und sie kann ihrer weiteren physiologischen Funktion
noch nachkommen. In vitro konnte mit dem Antikörper BBS1 (Blocking Beta Site 1)
eine Beta-Amyloid-Reduktion um 22% nach nur 9 Stunden erreicht werden. Im
Gegensatz zu anderen Antikörpern, wirkt BBS1 nur dem Beta-Schnitt entgegen, wird
rasch metabolisiert und führt zu keiner Immunantwort und zu keinen damit
verbundenen Nebenwirkungen (Arbel, Yacoby, & Solomon, 2005) (RabinovichNikitin, Rakover, Becker, & Solomon, 2012). Dieser Ansatz scheint vielversprechend,
menschliche Studien liegen jedoch bislang nicht vor.
Apo E4 Inhibitoren
Wie Im Kapitel Risikofaktoren beschrieben, spielt das E4 Allel des ApoE eine grosse
Rolle bei der Entstehung von Beta-Amyloid-Plaques. 50% der Alzheimer-Erkrankten
sind homo- oder heterozygot für E4, im Kontrast zu 15% der Gesamtbevölkerung. Es
stellt den grössten Risikofaktor für die Late-Onset-Alzheimer-Demenz (LOAD) dar.
ApoE fördert wahrscheinlich die Aggregation und hemmt den Abbau von BetaAmyloid. Der genau Wirkmechanismus ist jedoch noch unbekannt (Kline, 2012).
Mäuse ohne ApoE bilden kaum Amyloid-Plaques. Es liegt also nahe, Pharmaka zu
entwicklen, die ApoE4 direkt verringern oder die Interaktion zwischen ApoE und Beta47
Amyloid blockieren. Die Forschung steht in diesem Bereich noch in einem sehr frühen
Stadium, aber einige interessante Ansätze sollen hier erwähnt werden:
Beta-Amyloid 12-28 Peptid: Die Aminosäuren 12-28 des Beta-Amyloids sind die
Region der Interaktion mit ApoE. Dieses Molekül ist klein genug, um die Blut-HirnSchranke zu überwinden. Es bindet an ApoE und verhindert so wirksam dessen
Interaktion mit Beta-Amyloid. Im Mausmodell konnte eine Plaquereduktion sowie
positive Wirkung auf Kognition und Gedächtnis demonstriert werden (Kuszczyk, et
al., 2013).
LDL-Rezeptor Überexpression: Der LDL-Rezeptor ist wesentlich an der Regulation
von ApoE beteiligt. Überexpression dieses Rezeptors an Astrozyten führt im
Mausmodell zu deutlich verringerten ApoE-Mengen und konsekutiv auch zu
reduzierten Plaques. Ausserdem scheint Beta-Amyloid auch direkt an den LDLRezeptor zu binden und von Astrozyten endozytiert zu werden (Basak, Verghese,
Yoon, Kim, & Holtzman, 2012).
ApoE – Antikörper: Ein Beispiel eines monoklonalen Antikörpers der an ApoE4
binden und dieses so der Phagozytose zuführen kann ist HJ-63. Dieser MAB zeigte
eine 60-80 prozentige Plaque-Reduktion im Mausmodell (Liao, et al., 2014) (Kim, et
al., 2012) Klinische Studien wurden noch nicht durchgeführt.
Apo E2 Aktivatoren
Es ist bekannt, dass Menschen, die das ApoE2 Allel tragen, deutlich seltener an
Alzheimer erkranken (siehe Kapitel Risikofaktoren). Der genaue Wirkmechanismus ist
unbekannt. Möglicherweise ist einfach die Affinität zu Beta-Amyloid geringer, so dass
sich weniger Plaques ausbilden. Insofern führte eine erhöhte ApoE2 Produktion nur
zur einer kompetitiven Verdrängung des E4.
Bei einer unspezifischen ApoE Verstärkung gilt es die Häufigkeit des E4-Allels in der
Alzheimer-Population zu bedenken. Ein solcher unspezifischer ApoE-Verstärker
würde in der E4-Population negativ wirken und könnte also nur bei AlzheimerErkrankten ohne E4 eingesetzt werden. Alternativ wäre die Entwicklung eines
spezifischen E2-Verstärkers denkbar.
Bexaroten von Eisei ist ein Agonist am Retinoid X
Rezeptor (RXR). Es wird seit 1999 zur Behandlung des
kutanen T-Zell-Lymphoms verwendet. Über den Retinoid
Rezeptor bewirkt das Medikament eine verstärkte
Expression der ApoE RNA und Proteinbildung. (Cramer,
48
Figure 41: Bexaroten (wikipedia.org)
et al., 2012) berichten über eine 50%ige Beta-Amyloid-Reduktion innerhalb von 72
Stunden im Mausmodell. In einer Phase 2 Studie aus dem Jahr 2014 konnte ebenfalls
eine Plaque-Reduktion und MMSE-Score Verbesserung gefunden werden
(clinicaltrials.gov, 2016). Viele Arbeitsgruppen zweifeln jedoch an diesen
Ergebnissen (O'Hare, et al., 2016). Bisher ist sind keine weiteren Studien geplant.
49
Diskussion
Beurteilung der cholinergen Therapie
Seit dem Erscheinen der cholinergen Medikamente wird Ihre Wirksamkeit und
Effektivität immer wieder kontrovers diskutiert. Hansen et al. betrachten über 300
klinische Studien und beschreiben eine durchschnittliche Verbesserung um 3 Punkte
auf dem Alzheimer Disease Assessment Scale (ADAS, 0-70 Punkte möglich) im
Vergleich zu Placebo-Gruppen. Wenn man bedenkt, dass die Erkrankten
durchschnittlich auf 20-30 Punkte kommen, entspricht das einer Verbesserung um
etwa 10%. Hansen et al. berichten von differierenden Aussagen zu
Wirksamkeitsunterschieden. Manche Studien berichteten über bessere Effektivität
von Donepezil, andere von Galantamin, andere fänden keine Unterschiede (Hansen,
et al., 2008).
Die AChE-Hemmer zeigen insgesamt eine schwache, aber dennoch signifikante
Wirksamkeit in allen Stadien der AD, sind aber bisher nur zugelassen für leichte bis
moderate AD. Die Gabe in schweren Stadien wird jedoch von der DGN mittlerweile
auch empfohlen (Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2016).
Eine weitere umfangreiche Meta-Studie von Di Santo et al. betrachtet insbesondere
die Wirksamkeit in den verschiedenen Stadien der AD, unterteilt mittels der MiniMental State Examination in leichte, mittlere und schwere AD. Donepezil wirkt
demnach besser bei schwerer AD und Galantamin, Rivastigmin etwas besser bei
leichter AD (Di Santo, Prinelli, Adorni, Caltagirone, & Musicco, 2013).
Die Kosten-Nutzen-Debatte zum Einsatz von Cholinesterase-Hemmern bei
Alzheimer-Erkrankten wurde eine Zeitlang intensiv geführt. Eine Meta-Analyse aus
dem Jahr 2006 (Loveman, et al., 2006) sieht die Kosten von Donepezil bei 80.000
Pfund pro “quality adjusted life year” (QALY) bei einer durchschnittlichen
Reduzierung des Vollzeitpflegebedarfs um nur etwa 1,5 Monate. Die Mittelwerte für
Rivastigmin (57.000 Pfund; 1,43-1,63 Monate Pflegereduktion) und Galantamin
(68.000 Pfund; 1,42-1,73 Monate Pflegereduktion) sehen ähnlich aus. Die
Arbeitsgruppe hält diese Kosten im Angesicht der moderaten Effekte nicht für
angemessen.
Die Situation hat sich spätestens seit 2014 jedoch grundlegend geändert, da nun alle
momentan zugelassenen Cholinesterasehemmer als Generika frei verfügbar und
somit deutlich billiger sind. Der Einsatz dieser gering symptomatisch wirksamen
Medikamente dürfte nun fraglos zu empfehlen sein.
50
Beurteilung der glutamatergen Therapie
Genau wie die cholinergen Pharmaka wird der Effekt von Memantin unterschiedlich
beurteilt.
Eine Auswertung von 9 randomisierten klinischen Studien der MemantinMonotherapie mit insgesamt 2433 Erkrankten (Matsunaga, Kishi, & Iwata, 2015) fand
eine standardisierte Mittelwertsdifferenz (SMD) von 0,09 – 0,27, also einen geringen
aber doch signifikanten positiven Effekt auf die Kognition.
Die SMD ist definiert als (Pharmakon-Effekt - Placebo-Effekt) / Standardabweichung.
Werte von 0,2 bezeichnet man als geringen Effekt, 0,5 als mittleren Effekt und 0.8 als
starken Effekt. Dies ist ein sehr gutes Mass, um therapeutische Effekte unabhängig
von der Menge an Versuchspersonen vergleichen zu können. Leider wird die SMD
noch nicht überall verwendet.
Eine weitere Metastudie (Molino, Colucci, Fasanaro, Traini, & Amenta, 2013) fand 13
verschiedenene Studien zu Memantin und Donepezil aufgrund methodischer
Unterschiede nur schwer direkt quantitativ vergleichbar, bewertet aber die Summe
der Resultate als eindeutig kognitiv relevant für beide Pharmaka. Die
Kombinationstherapie ergebe keine Verbesserung gegenüber einer jeweiligen
Monotherapie.
Eine andere Auswertung über 7 klinische Studien mit insgesamt 2182
Versuchspersonen
zur
Kombinationstherapie
von
Memantin
und
Cholinesterasehemmern (Matsunaga, Kishi, & Iwata, 2014) fand eine standardisierte
Mittelwertsdifferenz von 0,13 für die kognitive Verbesserung gegenüber einer
Cholinesterasehemmer Monotherapie.
Die Ergebnisse sind also widersprüchlich. In den aktuellen Leitlinien wird die Gabe
von Memantin bei mittlerer und schwerer AD aber empfohlen.
Beurteilung der amyloiden Therapie
Neben der rein symptomatischen Behandlung durch cholinerge und glutamaterge
Pharmaka, verspricht die Amyloid-Therapie eine kausale Behandlung und somit
nachhaltige Besserung. In 20 Jahren der Forschung in diesem Bereich ist bisher
noch kein Medikament zur Marktreife gelangt. Nicht einmal entscheidende Linderung
der Symptome konnte in Studien erreicht werden. Das führte dazu, dass die AmyloidHypothese selbst immer wieder angegriffen und in Frage gestellt wurde.
Verschiedene Experimente (s.u.), die deren Richtigkeit scheinbar bestätigen, und ein
51
Mangel an echten Alternativen bedingen jedoch eine anhaltende Fokussierung auf
diesen Bereich.
Amyloid-Studien beruhen meistens auf Versuchen mit doppelt transgenen Mäusen,
die sowohl ein modifiziertes Amyloid-Precursor-Protein besitzen als auch ein
mutiertes Präsenilin 1 Gen. Mäuse dieser Art beginnen nach etwa einem halben Jahr
Beta-Amyloid-Plaques zu bilden, jedoch keine Tau-Fibrillen. Diese Mäuse eigneten
sich nur sehr eingeschränkt für Amyloid-Studien.
Cohen et al. entwickelten 2013 ein Modell mit modifiziertem APP und PS1 an Ratten
statt Mäusen. Dieses scheint sich viel näher am Menschen zu bewegen.
Beispielsweise besitzt die Ratte die gleichen sechs Tau-Protein-Isoformen wie der
Mensch, die Maus jedoch nur drei. Die Beta-Amyloid-Level steigen bei diesen
transgenen Ratten deutlich stärker an und in der Folge entwickelt sich die komplette
vom Menschen bekannte Alzheimer-Kaskade mit Tau-Fibrillen, Amyloid-Plaques,
Gliose, Neuronenverlust und kognitiven Störungen (Cohen, et al., 2013).
Choi et al. gelang 2014 die Anlage einer dreidimensionalen neuronalen Zellkultur, mit
der erstmals in vitro die komplette Alzheimer-Kaskade inklusive induzierter TauFibrillen nachgebildet werden konnte (Choi, et al., 2014). Eine solcher
Versuchsaufbau wäre für initiale Studien noch deutlich nützlicher als das verbesserte
Tiermodell.
In diesen neuen Modellen kann man zum einen eine weitere Bestätigung der
Amyloid-Hypothese sehen, zum anderen lässt sich die zukünftige
Pharmakonentwicklung möglicherweise verbesseren und beschleunigen.
Viele bisherige Medikamenten-Studien verwendeten klinische Kriterien zur Auswahl
von Versuchspersonen. Im Nachhinein wurde mit PET-Scans festgestellt, dass bis zu
30% der Versuchspersonen gar keine erhöhten Beta-Amyloid-Spiegel aufwiesen.
Das verfälscht das Gesamtergebnis von Studien zu Beta-Amyloid reduzierenden
Medikamenten natürlich deutlich. Mittlerweile geht man dazu über die
Versuchspersonen schon im Vorfeld mittels PET-Scan zu selektieren (Selkoe &
Hardy, 2016). Das könnte den Erfolg zukünftiger Studien deutlich verbessern.
Zusammenfassende Beurteilung
Die pharmakologische Therapie des Morbus Alzheimer steht über 100 Jahre nach
der ersten Beschreibung der Krankheit noch immer in den Anfängen. Die einzigen
zugelassenen Medikamente verschaffen bestenfalls eine leichte Linderung der
Symptome, beziehungsweise einen kurzen Aufschub des unweigerlich
fortschreitenden kognitiven Verfalls. Eine kausale Therapie ist bisher nicht möglich.
52
Im Rahmen dieser Arbeit wurden drei pharmakologische Ansatzstellen exemplarisch
betrachtet. Das cholinerge und glutamaterge Neurotransmittersystem stellen die
Basis für die existierende Medikation. Es gibt anhaltende Forschung in diesem
Bereich, die aufgrund der zu erwartenden rein symptomatischen Resultate jedoch
eher beschränkt ist.
Das Hauptaugenmerk der Forschung richtet sich trotz vieler Rückschläge nach wie
vor auf die Amyloid-Therapie. In jüngster Zeit gab es einige wichtige Fortschritte.
Dazu gehören verbesserte Tiermodelle und akkuratere Zellkulturen sowie
diagnostische Fortschritte, die bessere Einschlusskriterien für klinische Studien
ermöglichen. Die Effekte dieser Fortschritte kommen gerade erst in der
pharmakologischen Forschung an und ermöglichen zukünftig eventuell eine
deutliche
Beschleunigung
und
qualitative
Verbesserung
neuer
Medikamentenstudien.
Die grössten Hoffnungen ruhen momentan auf Beta-Sekretase-Hemmern und
passiver Immunotherapie. Weitere Ansätze sind beispielsweise Tau-Therapie,
Antihypertensive Therapie oder Insulintherapie.
Da Alzheimer eine Volkskrankheit ist und mittlerweile die sechsthäufigste
Todesursache darstellt, fliessen noch immer grosse Mittel in die pharmakologische
Entwicklung. Eine entscheidende Verbesserung der Therapie in den nächsten Jahren
ist zwar momentan nicht absehbar aber durchaus möglich.
53
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