PRESSEMITTEILUNG - UniversitätsKlinikum Heidelberg

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Heidelberg, den 11. Juni 2008
PRESSEMITTEILUNG
Nr. 103 / 2008
Tsunami im Gehirn
Nach dem Schlaganfall verursachen Entladungswellen im
menschlichen Gehirn das weitere Absterben von Nervenzellen /
Wissenschaftler aus Heidelberg und Köln veröffentlichen Studie in
„Annals of Neurology“
Nach einem Schlaganfall sind auch nicht betroffene Hirnareale gefährdet:
Wellen elektrischer Erregung entstehen am Rand des abgestorbenen Gewebes und überziehen die angrenzenden Hirnregionen. Wiederholen sich
diese Entladungen, sterben weitere Zellen ab. Bislang war dies nur im
Tiermodell beobachtet worden.
Erstmals hat eine klinische Studie der Universitätsklinika Heidelberg und
Köln sowie des Max-Planck-Instituts für neurologische Forschung in Köln
gezeigt: Dieses Phänomen tritt nach einem Schlaganfall beim Menschen
auf und ist ein Warnsignal für das weitere Absterben von Nervenzellen. Die
Studie, die im Juni 2008 in der renommierten Fachzeitschrift „Annals of
Neurology“ veröffentlicht worden ist, macht damit Forschung aus mehr als
60 Jahren für Diagnose und Therapie von Schlaganfallpatienten nutzbar.
Mehr als 150.000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland einen
Schlaganfall, die zweithäufigste Todesursache in den Industrieländern.
Verschließen Ablagerungen die Blutgefäße zum Gehirn, werden einzelne
Bereiche des Gehirns nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, das Gewebe
stirbt ab. Je nach Größe des betroffenen Hirnbereichs, sterben die Betroffenen oder tragen Dauerschäden, wie Lähmungen, davon.
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des
Universitätsklinikums Heidelberg
und der Medizinischen Fakultät der
Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 672
69120 Heidelberg
Fon +49 (0)6 221 56 45 36
Fax +49 (0)6 221 56 45 44
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Entladungswellen erstmals bei Schlaganfallpatienten
nachgewiesen
Die elektrischen Entladungswellen im Gehirn – sogenannte „Cortical
Spreading Depressions“ (CSD) – konnten lange nur im Tiermodell untersucht werden. Viele Merkmale sind daher von Tieren bekannt: Auf die Welle elektrischer Entladungen, die sich mit zwei bis fünf Millimetern pro Minute ausbreitet, folgt Schweigen – die Gehirnaktivität kommt kurz zum
Erliegen. In dieser Zeit versuchen sich die Nervenzellen zu erholen, ein
Kraftakt: „Diese Wellen wirken um ein Vielfaches gravierender auf die Nervenzellen als ein epileptischer Anfall“, sagt Professor Dr. Rudolf Graf vom
Max-Planck-Institut für neurologische Forschung und Mitbegründer der
international arbeitenden Studiengruppe COSBID (Cooperative Study on
Brain Injury Depolarisations).
„Nach dem Schlaganfall ist das Gewebe rund um das betroffene Hirnareal
zunächst schlecht durchblutet, aber noch zu retten“, erklärt Dr. Christian
Dohmen von der Klinik für Neurologie der Uniklinik Köln. Die Entladungswellen beeinträchtigen den Stoffwechsel der geschwächten Nervenzellen
zusätzlich: „Je häufiger solche Wellen auftreten, desto länger brauchen die
Nervenzellen, um sich wieder zu erholen, bis sie schließlich ganz absterben“, sagt der Erstautor der Studie. In welchem Ausmaß das Gehirn nach
einem Schlaganfall geschädigt wird, hängt also von der Anzahl der Entladungswellen ab. Dieser Zusammenhang zeichnet sich auch beim Menschen ab.
Erkenntnisse aus 60 Jahren Forschung nun für Therapie von
Schlaganfallpatienten nutzbar
Die Entladungswellen, die von Mitgliedern der COSBID Studiengruppe um
Privatdozent Dr. Jens Dreier an der Charité in Berlin auch nach Blutungen
am Gehirn gemessen wurden, können nur auf der Hirnoberfläche gemessen werden. Die Mediziner wählten daher für die Studie 16 Patienten aus,
deren Gehirn nach einem Schlaganfall wegen einer lebensbedrohlichen
Hirnschwellung teilweise freigelegt werden musste. Elektroden wurden an
der Hirnoberfläche rund um das betroffene Gewebe angelegt (Elektrokortikografie), die Operationsnaht verschlossen und die Hirnströme über fünf
Tage gemessen. Alle Patienten befanden sich in dieser Zeit aufgrund ihrer
schweren Erkrankung im künstlichen Koma.
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"Mit unserer Studie beenden wir die Diskussion, ob diese Wellen nach
einem Schlaganfall auch im menschlichen Gehirn auftreten“, sagt Dr. Oliver Sakowitz, Arzt in der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg
und Mitautor der Studie. Nun stellt sich die Frage, wie man sie verhindert
oder wenigstens eindämmt. „Da sie das geschwächte Gewebe rund um
das Gebiet des Hirnschlags zusätzlich schädigen, wäre es denkbar, dass
wir Folgeschäden vorbeugen können, indem wir die Wellen unterdrücken“,
sagt der Neurochirurg.
In früheren experimentellen Studien an Tieren wurden bereits einige Therapieansätze entwickelt, auf die die Mediziner nun zurückgreifen können.
„Die Entladungswellen sind ebenso ein Warnsignal, dass weitere Gehirnareale unmittelbar gefährdet sind, und lassen sich daher eventuell auch
für die Diagnostik nutzen“, so Dr. Sakowitz. In einer Folgestudie mit einer
größeren Zahl an Schlaganfall-Patienten will das COSBID-Team unter der
Federführung von Dr. Christian Dohmen zudem klären, ob die Entladungswellen das Ausmaß der Folgeschäden, wie z. B. Lähmungen, beeinflusst.
Literatur:
Dohmen C, Sakowitz OW, Fabricius M, Bosche B, Reithmeier T, Ernestus RI, Brinker
G, Dreier JP, Woitzik J, Strong AJ, Graf R; Members of the Co-Operative Study of
Brain Injury Depolarisations (COSBID). Spreading depolarizations occur in human
ischemic stroke with high incidence.Ann Neurol. 2008 May 21. (erscheint in der
Juniausgabe 2008)
(Der Originalartikel kann bei der Pressestelle des Universitätsklinikums
Heidelberg unter [email protected] angefordert werden.)
Weitere Informationen:
www.cosbid.org
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Kontakt:
Dr. Oliver Sakowitz
Neurochirurgische Universitätsklinik Heidelberg
Tel.: 06221 / 56 36172
E-Mail: [email protected]
Dr. Christian Dohmen
Klinik und Poliklinik für Neurologie der Uniklinik Köln
Tel.: 0221 / 478 4029
E-Mail: [email protected]
Dr. Oliver Sakowitz, Neurochirurgische Universitätsklinik Heidelberg.
Foto: Universitätsklinikum Heidelberg
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Bei Rückfragen von Journalisten:
Dr. Annette Tuffs
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Universitätsklinikums Heidelberg
und der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 672
69120 Heidelberg
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06221 / 56 45 36
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06221 / 56 45 44
E-Mail: annette.tuffs(at)med.uni-heidelberg.de
Sina Vogt
Pressesprecherin Uniklinik Köln
Email: [email protected]
Tel.: 0221 / 478 5548
Diese Pressemitteilung ist auch online verfügbar unter
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/presse
Heidelberg, den 11. Juni 2008
Dr. Annette Tuffs
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Universitätsklinikums Heidelberg
und der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg
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