Research Collection

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Educational Material
Kristallographie II
WS 1999/2000
Author(s):
Steurer, Walter; Estermann, Michael
Publication Date:
2000
Permanent Link:
https://doi.org/10.3929/ethz-a-004277658
Rights / License:
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ETH Library
KRISTALLOGRAPHIE
II
Walter Steurer
Michael Estermann
WS 1999/2000
Good order is the foundation of all good things
Edmund Burke
Revision 1.1, pdf, 24. August 2000, mae.
i
Inhaltsverzeichnis
1.
DER REALKRISTALL. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1
1.2
1.3
1.4
2.
PUNKTDEFEKTE ................................................................................................... 5
VERSETZUNGEN................................................................................................... 9
KORNGRENZEN ...................................................................................................15
DIFFUSION IM REALKRISTALL ..............................................................................18
STRUKTURELLE CHARAKTERISIERUNG VON MATERIALIEN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.1
RÖNTGENBEUGUNG ............................................................................................25
2.1.1
Erzeugung von Röntgenstrahlung.....................................................................25
2.1.2
Wechselwirkung von Röntgenstrahlung mit Materie.............................................29
2.1.3
Detektion von Röntgenstrahlung .....................................................................31
2.1.4
Beugung von Röntgenstrahlung.......................................................................33
2.1.5
Das reziproke Gitter ......................................................................................37
2.1.6
Die Ewaldkonstruktion...................................................................................41
2.1.7
Beugungstheorie ...........................................................................................43
2.1.8
Beugungssymmetrie und systematische Auslöschungen.........................................47
2.2
NEUTRONENSTREUUNG .......................................................................................53
2.3
ELEKTRONENBEUGUNG .......................................................................................56
3.
RÖNTGENOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGSMETHODEN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
3.1
EINKRISTALLMETHODEN .....................................................................................58
3.1.1
Laue-Verfahren ............................................................................................59
3.1.2
Einkristall-Diffraktometrie..............................................................................62
3.2
PULVERMETHODEN .............................................................................................66
3.2.1
Debye-Scherrer-Verfahren..............................................................................67
3.2.2
Guinier-Verfahren.........................................................................................71
3.2.3
Pulverdiffraktometrie.....................................................................................73
3.2.4
Phasenanalyse..............................................................................................75
3.2.5
Linienverbreiterungen....................................................................................78
3.3
TEXTUREN UND POLFIGUREN...............................................................................80
3.4
RÖNTGENTOPOGRAPHIE ......................................................................................83
4.
KRISTALLPHYSIK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.1
GRUNDLAGEN.....................................................................................................85
4.1.1 ..........................................................................................................................88
4.1.1
Bezugssysteme..............................................................................................88
4.1.2
Definition von Eigenschaften...........................................................................89
4.1.3
Symmetrie kristallphysikalischer Eigenschaften ..................................................90
4.2
THERMISCHE EIGENSCHAFTEN .............................................................................94
4.2.1
Der Tensor der thermischen Ausdehnung...........................................................94
4.2.2
Symmetrie der Tensoren .................................................................................98
4.2.3
Der Wärmeleitfähigkeitstensor ...................................................................... 101
4.3
ELEKTRISCHE EIGENSCHAFTEN .......................................................................... 106
4.3.1
Elektrische Leitfähigkeit............................................................................... 106
4.3.2
Elektrische Polarisation, Pyroelektrizität, Ferroelektrizität ................................. 107
4.4
OPTISCHE EIGENSCHAFTEN................................................................................ 113
4.4.1
Lichtbrechung ............................................................................................ 113
4.4.2
Die Indikatrix............................................................................................. 116
4.4.3
Doppelbrechung ......................................................................................... 120
4.4.4
Optische Aktivität........................................................................................ 125
4.4.5
Nichtlineare optische Effekte......................................................................... 127
4.5
MAGNETISCHE EIGENSCHAFTEN ........................................................................ 128
4.5.1
Grundbegriffe, Magnetische Anisotropie und Ordnung....................................... 128
4.5.2
Magnetostriktion......................................................................................... 137
4.6
ELASTISCHE EIGENSCHAFTEN ............................................................................ 139
5.
INDEX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
ii
Vorbemerkung
Die beiden Vorlesungen Kristallographie I und II sollen den Studierenden die
Grundlagen zum Verständnis der Korrelation zwischen chemischer Zusammensetzung,
Kristallstruktur und physikalischen Eigenschaften von Materialien vermitteln. Es
werden auch die in diesem Zusammenhang wichtigsten kristallographischen Methoden
und Techniken vorgestellt. In Kristallographie I liegt das Hauptgewicht auf der
Einführung in die Symmetrielehre und in die Kristallchemie. Ziel dieser ersten
Vorlesung ist, Einsicht in die geometrischen, chemischen und physikalischen Prinzipien
der Bildung und Umwandlung von Kristallstrukturen
zu gewinnen sowie
Kristallstrukturbeschreibungen verstehen bzw. auch selbst vornehmen zu können. Die
Vorlesung Kristallographie II beschäftigt sich mit dem Realkristall und seinen
Baufehlern, der Materialcharakterisierung mit Beugungsmethoden sowie der
Kristallphysik. Hauptziel der Vorlesung Kristallographie II ist es, einen Einblick in die
Zusammenhänge zwischen makroskopischen (phänomenologischen) Materialeigenschaften und der ihnen zugrunde liegenden atomaren Ordnung zu geben.
Das Skript folgt in Text und Bild der Vorlesung. Es soll von allzu intensiver Mitschreibearbeit entlasten und das in der Vorlesung gezeigte Bildmaterial zur Verfügung
stellen. Es kann und soll jedoch keineswegs Lehrbücher ersetzen. Wer zu bestimmten
Fragen mehr wissen will, an einer umfassenderen und tiefergehenden Behandlung
bestimmter Themen interessiert ist, der/dem kann sicherlich das eine oder andere der
folgenden Bücher weiterhelfen:
Kleber - Bautsch - Bohm: Einführung in die Kristallographie
Verlag Technik. Berlin 1990
Bohm - Realstruktur von Kristallen
Schweizerbartsche Verlagsbuchhandlung. Stuttgart 1995
Haussühl: Kristallphysik
Physik-Verlag. Weinheim 1983
Paufler: Physikalische Kristallographie
VCH-Verlagsgesellschaft Weinheim 1986
Göpel/Ziegler: Einführung in die Materialwissenschaften: Physikalischchemische Grundlagen und Anwendungen
Teubner Verlagsgesellschaft, Stuttgart/Leipzig, 1996
Nye: Physical Properties of Crystals
Oxford Science Publications 1995
Schwartz & Cohen: Diffraction from Materials
Academic Press New York/San Francisco/London 1977
Nowick: Crystal Properties via Group Theory
Cambridge University Press 1995
Hecht/Zajac: Optics
Addison-Wesley 1974
Jäger/Perthel: Magnetische Eigenschaften von Festkörpern
Akademie Verlag Berlin 1996
Schauen Sie auch einmal auf unserer home page http://www.kristall.ethz.ch/LFK und
bei http://www.iucr.ac.uk/cww-top/crystal.index.html vorbei. Viel Spass beim surfen.
1
1. Der Realkristall
Der Fiktion des Idealkristalls, mit seiner unendlich ausgedehnten translationsperiodischen Struktur, steht der Realkristall, mit seiner Begrenztheit und seinen
Abweichungen vom geometrisch perfekten Gitterbau, gegenüber. Viele makroskopischen Eigenschaften der Kristalle werden durch Realstrukturerscheinungen stark
beeinflusst. So erleichtern Leerstellen den Platzwechsel von Atomen (Diffusion) und
erlauben Versetzungen die plastische Verformung von Metallen mit relativ geringem
Energieaufwand. Bestimmte Eigenschaften, wie beispielsweise die mechanische
Festigkeit oder die elektronischen Transporteigenschaften, sind stark störungsempfindlich. Andere, wie die Dichte oder Lichtbrechung erscheinen dagegen weitgehend realstrukturunempfindlich.
Welche Abweichungen von der Idealstruktur können auftreten? Man unterscheidet
chemische, strukturelle, statische und dynamische, Gleichgewichts- und NichtGleichgewichtsstörungen. Aber auch Nicht-Gleichgewichtsstörungen können wegen
langer Relaxationszeiten praktisch "eingefroren" sein.
Innere Spannungen. Schwankungen in der Zusammensetzung, Temperaturgradienten
und andere Störungen beim Kristallwachstum führen zu inneren mechanischen
Spannungen, die beträchtliche Werte annehmen können.
Spannungsinduzierte martensitische Umwandlungen werden bei sogenannten "Formgedächtnislegierungen" ("shape memory alloys", SMA) gezielt eingesetzt: Legierungen
der Art Ni-Ti, Cu-Zn-Al und Cu-Al-Ni
zeigen nämlich eine reversible thermoelastische Umwandlung zwischen
einer zumeist kubischen Mutterphase
("Austenit") und einer oft monoklinen
martensitischen Phase ("Martensit").
Beim Abkühlen wird das austenitische Gitter durch Scherung verformt
und es bilden sich mehrere Orientierungen des Martensitgitters (Abb. 11, 1-2). Wird die martensitische Phase
plastisch verformt, so kehrt sie beim
Aufheizen wieder in ihre ursprüngliche
Form zurück (Abb. 1-3). Überschreitet
die Verformung einen kritischen Wert,
sodass sie auch beim Aufheizen nicht
gänzlich verschwindet, so ist der gesamte Prozess mehrmals wiederholbar.
Abb. 1-1 Weltraumantenne aus der Formgedächtnislegierung Nitinol (Cahn, 6-38,
1991).
2
(b)
(a)
(c)
(e)
(d)
Abb. 1-2 Martensitische Phasenumwandlung: (a) kubische Mutterphase ("Austenit"); (b), (c) deformierte
und (d) forminvariante monokline martensitische Phase (Barret & Massalski, 1980).
(a)
(b)
(c)
(d)
(e)
Abb. 1-3 Schematische Darstellung des Formgedächtniseffekts: (a) "Austenit", (b) forminvarianter
"Martensit", (c) und (d) plastisch verformter "Martensit", (e) "Austenit" nach dem Aufheizen wieder in
ursprünglicher Form. Unten: Verformung eines belasteten martensitischen Cu-Al-Ni Kristalls als
Funktion der Zeit (Cahn, 6-37,-11, 1991).
Schwingungen, Phononen. Thermische Schwingungen der Atome sind auch im
Gleichgewicht bei T>0 K immer vorhandene Abweichungen von der Idealstruktur. Die
Atome können dabei korreliert oder unkorreliert schwingen. Eine bestimmte
Schwingungsart, z.B. das gleich- oder gegensinnige Schwingen von Atomen innerhalb eines Moleküls, Rotations- oder Librationsschwingungen von Atomgruppen, nennt
man Mode. In Analogie zur Bezeichnung von Lichtquanten als Photonen, nennt man die
Schwingungsquanten Phononen. Je nach Art der Schwingung spricht man dann von
optisch aktiven und inaktiven Phononen (Abb. 1-4), und verwendet unterschiedliche
spektroskopische Methoden (IR, Raman) zu ihrer Charakterisierung. Zur Messung der
Dispersionsrelation wird zumeist inelastische Neutronenstreung verwendet.
3
C)
Abb. 1-4 Schematische Darstellung einer A) transversalen und B) longitudinalen Gitterschwingung. In a)
ist jeweils die Gleichgewichtsposition, und in b) die Auslenkung durch ein Phonon abgebildet. In C) sind
transversale akustische (oben) und optische (unten) Phononen in einem Ionenkristall gezeigt
(Göpel/Ziegler, 2.1-2,-3,1996).
Elektronenstörstellen, Exzitonen, Plasmonen, Magnonen, Polaronen, Polaritonen.
Elektronenstörstellen ("Löcher" oder "Überschusselektronen") spielen für die elektronischen Transporteigenschaften und die Luminiszenzeffekte eine entscheidende
Rolle. Exzitonen sind elektronische Anregungszustände, die den Kristall in Form einer
Welle durchlaufen, oder auch an andere Störstellen gebunden sein können. Weitere
kollektive Anregungszustände sind Plasmonen (Plasmawellen) und Magnonen
(Spinwellen). Sekundäranregungen erfolgen durch die Polarisationswirkung der sich
durch das Kristallgitter bewegenden Elektronen, "Löcher" (Polaronen) oder Exzitonen
(Polaritonen).
Punktdefekte. Punktartige (nulldimensionale) Störungen einer Kristallstruktur, die auch
im thermodynamischen Gleichgewicht vorhanden sind (siehe Kapitel 1.1).
4
Liniendefekte, Versetzungen. Eindimensionale Baufehler, die hauptsächlich beim
Wachstum und bei der plastischen Verformung von Kristallen entstehen (siehe Kapitel
1.2).
Flächendefekte, Korngrenzen. Zweidimensionale Baufehler wie Kleinwinkelkorngrenzen, Zwillingsgrenzen, Stapelfehler, aber auch Antiphasengrenzen und Wände
zwischen magnetischen oder ferroelektrischen Domänen, etc. (siehe Kapitel 1.3).
Mischkristalle. Bei statistischer Verteilung der Komponenten von Mischkristallen wird
die Translationssymmetrie gebrochen. Da alle realen Kristalle in einem gewissen Masse
Verunreinigungen enthalten (99.999% Reinheit bedeutet immer noch etwa 1018
Fremdatome pro cm3) sind sie in dieser Hinsicht als Mischkristalle anzusehen.
Agglomerate, Ausscheidungen, Einschlüsse. Bei höheren Konzentrationen als es dem
thermodynamischen Gleichgewichtszustand entspricht, können Punktdefekte oder
Fremdatome zu Clustern kondensieren, die nur wenige Nanometer Durchmesser aber
auch mikroskopische Abmessungen (z.B. in Guinier-Preston Zonen) haben können
(Abb. 1-5). Solche Vorgänge sind für die Zunahme der Härte und Sprödigkeit mancher
Legierungen bei Temperaturbehandlungen oder Altern verantwortlich.
Abb. 1-5 Mischkristall mit (a) flächen- und (b) plättchenförmigen Guinier-Preston Zonen (Meyer, 14-10,
1977).
Kristalloberflächen, Grenzflächen. Kristalloberflächen und Grenzflächen zwischen
unterschiedlichen Phasen (innere und äussere Grenzflächen) stellen abrupte Änderungen einer Kristallstruktur und ihrer Bindungsverhältnisse dar. Dies kann neben der
Ausbildung von Defekten an den Grenzflächen auch zur Rekonstruktion der Struktur
führen.
5
1.1 Punktdefekte
Fehlen in einer Kristallstruktur Atome oder sitzen sie auf Zwischengitterplätzen, so
spricht man von Punktdefekten. In Abb. 1.1-1 sind die wichtigsten Typen schematisch
dargestellt. Diese nulldimensionalen Baufehler sind auch im thermodynamischen
Gleichgewicht vorhanden. Darüber hinaus können sie z.B. durch Neutronen- und
Ionenbeschuss oder mechanische Einwirkungen entstehen (Abb. 1.1-2).
(g)
(h)
Abb. 1.1-1 Punktdefekte in binären Ionenkristallen: (a) Frenkel-Defekt: Leerstellen im Kationengitter und
Kationen auf Zwischengitterplätzen; (b) Anti-Frenkel-Defekt: Leerstellen im Anionengitter und Anionen
auf Zwischengitterplätzen; (c) Schottky-Defekt: Leerstellen im Kationen und im Anionengitter; (d) AntiSchottky-Defekt: Kationen und Anionen auf Zwischengitterplätzen; (e) Anti-Lagen-Defekt: Platztausch
zwischen Kationen und Anionen; (f) Anti-Struktur-Defekt: Stöchiometrieverändernder gegenseitiger
Ersatz von Ionen. Punktdefektagglomerate in deformiertem Silizium, (g) von Zwischengitteratomen, (h)
von Leerstellen (Kleber, 3-1, 1990; Bohm, 2.1-6, 1995).
6
Abb. 1.1-2 Strahlenwirkung in einem Kristall: 1 Bahn des einfallenden Teilchens; + ionisiertes Atom; efreies Elektron; x angeregtes Atom; L Leerstelle; Z
Zwischengitteratom; Cr Crowdion; D
Displazierungsbereich (spike); S abgebremstes Teilchen. An dem Ort D, wo das Teilchen zur Ruhe
kommt, gibt es seine restliche Energie ab. Hierbei wird das Gitter in einem Bereich von einigen nm
Durchmessser aufgeschmolzen und die Struktur zerstört (Bohm, 2.3-14, 1995).
Die Bestrahlung kann in manchen Materialien Phasenumwandlungen induzieren (Abb.
1.1.3). Dies kann man so erklären, dass das gestörte Gitter sich in einer einfacheren,
symmetrischeren, Form rekonstruiert, auch wenn diese nicht der Gleichgewichtsmodifikation bei der gegebenen Temperatur entspricht. In jedem Fall wächst mit
zunehmender Zahl von induzierten Defekten auch das Kristallvolumen an. Einige
Defekte können durch Erwärmung wieder ausgeheilt werden. So gibt es z.B. Minerale,
wie Zirkon (ZrSiO 4), die auf Grund der Beimengungen von Radionukliden (Th, U) über
geologische Zeiträume hinweg durch Strahlung amorphisiert wurden. Erhitzt man soche
Minerale, so glühen sie plötzlich auf und rekristallisieren.
Abb. 1.1-3 Umwandlung von
teragonalem Bariumtitanat in die
bei Raumtemperatur metastabile
kubische Hochtemperaturmodifikation durch Bestrahlung mit
schnellen Neutronen (Bohm, 2.315, 1995).
7
Häufig relaxiert das Gitter in der Umgebung eines Punktdefekts, wobei auch die lokale
Punktsymmetrie gebrochen werden kann (Abb. 1.1-4).
Abb. 1.1-4 Zwischengitteratome in der (100)-Ebene einer kubisch dichtesten Kugelpackung: (a) Bildung
eines Crowdion durch Zusammenrücken der Nachbaratome; (b) hantelförmiges Atompaar auf einem
Gitterplatz (1) und Zwischengitteratom in Oktaederlücke (2) (Kleber, 3-2, 1990).
Die Konzentration der Punktdefekte im thermodynamischen Gleichgewicht lässt sich
durch eine Exponentialfunktion darstellen (Abb. 1.1-5). Unterhalb einer bestimmten
Temperatur bleibt jedoch die Zahl der Punktdefekte konstant ("eingefroren"), da die für
die Gleichgewichtseinstellung nötigen Diffusions- und Platzwechselvorgänge nicht
mehr ablaufen können. Die Ausheilung überschüssiger Punktdefekte kann durch
Annihilation, also Rekombination von zueinanderpassenden Leerstellen und Zwischengitteratomen, erfolgen aber auch durch Abwandern an Korngrenzen, Versetzungen und
andere Baufehler.
Abb. 1.1-5 Abhängigkeit der Konzentration
von Punktdefekten Ns / N von der Temperatur (S Schmelzpunkt) (Kleber, 3-3, 1990).
Die Fehlstellen erhöhen sowohl die innere Energie U als auch die Entropie S eines
Systems. Die Gleichgewichtskonzentration erhält man dann aus der Minimalbedingung
für die freie Energie F=U-TS. Für die Konzentration cL von Leerstellen (SchottkyDefekte) bei der Temperatur T, und der Leerstellen-Bildungsenergie E s findet man
dann
c L = Ns / N= exp ( – E s / kT)
8
mit NS der Zahl der Leerstellen, N der Zahl der Atome, und k=1.38x10 -23 JK-1 =
8.625x10-5 eVK -1 der Boltzmann-Konstante. Die experimentell gefundenen Werte für
die Bildungsenergie ES, die in der gleichen Grössenordnung wie die Fluktuationen der
thermischen Energie liegen, sind bei den meisten Metallen empirisch mit ihrer
Schmelztemperatur Tm korreliert
E s ≈ 9kT m
Für Aluminium, beispielsweise, mit Tm=933 K erhält man damit ES≈0.72 eV verglichen
mit einem experimentellen Wert von 0.76 eV.
Für die Frenkel-Defekt-Konzentration cL= NF / N gilt ähnlich
NF / N=
NZ
N exp ( – EF / 2kT)
wobei NZ für die Zahl der Zwischengitterplätze und E F für die Bildungsenergie eines
Frenkel-Defekts steht. Der dazu nötige Energieaufwand kann ebenfalls empirisch aus
der Schmelztemperatur Tm abgeschätzt werden.
E F ≈ 35 kTm
Beispiel:
Ein Kupferkristall mit überwiegend Schottky-Defekten und einer LeerstellenBildungsenergie von ES ≈ 1.17 eV besitzt bei Raumtemperatur eine LeerstellenGleichgewichtskonzentration von c L≈10 -20. Da ein Kupferkristall etwa 8.47x10 22 Atome
pro cm3 enthält, entspricht das knapp 100 Leerstellen pro cm3. Bei 1173 K beträgt die
Leerstellenkonzentration dann aber schon c L≈10 -5, also ≈1018 Leerstellen pro cm3! In
der Kristallstruktur bleibt bei dieser Temperatur von 100 000 Plätzen damit jeweils
einer unbesetzt; im Mittel trifft man alle 3 100000 ≈ 50 Atome auf eine Leerstelle. Die
um etwa 35% geringere Leerstellen-Bildungsenergie von ≈0.76 eV für Aluminium hat
demgegenüber bei Raumtemperatur verglichen mit Kupfer bereits eine
zehnmillionenfach höhere Leerstellenkonzentration von c L≈10 -13 zur Folge.
Bei Ionenkristallen muss bei der Erzeugung von Punktdefekten immer Elektroneutralität
gewahrt bleiben. Dies kann durch entsprechend geladene Ionen (Dotierung von
Halbleitern) oder auch durch einzelne Elektronen (Farbzentren) erfolgen (Abb. 1.1.-6).
9
(a)
(b)
Abb. 1.1-6 Dotierung von Germanium mit
(a) Antimon und (b) Indium, zu Donatorbzw. Akzeptor-Störstellen führend. (c)
Farbzentrum in einem Alkalihalogenidkristall (Meyer, 11-1,-6,-7, 1977).
(c)
1.2 Versetzungen
Versetzungen sind eindimensionale Baufehler, die sich längs einer Versetzungslinie
bemerkbar machen. Formal kann eine Schraubenversetzung so konstruiert werden, dass
man einen Kristallblock zur Hälfte "aufschneidet", eine Seite um einen Gittervektor b
(Burgers-Vektor, gesprochen "Byrchers") parallel zur Versetzungslinie verschiebt und
dann den Block wieder zusammensetzt (Volterra-Prozess). Führt man die Verschiebung
senkrecht zur Versetzungslinie durch, erhält man eine Stufenversetzung (Abb. 1.2-1). Im
allgemeinstem Fall besitzen Versetzungen Stufen- und Schraubenanteile.
Abb. 1.2-1 Burgers-Umlauf bei einer (a) Schraubenversetzung und einer (b) Stufenversetzung (Meyer,
11-9,-10, 1977).
10
Versetzungslinien sind, bei konstantem Burgers-Vektor, im allgemeinen nicht
geradlinig. Versetzungen können im Innern eines perfekten Kristalls weder beginnen
noch enden; sie müssen in sich selbst zurückführen (Versetzungsring) oder die
Oberfläche unter Bildung einer Versetzungsschleife durchstossen. Da Versetzungen in
ihrer Umgebung eine Gitterverzerrung hervorrufen, tragen sie zur Erhöhung der
Gitterenergie bei. Die Gesamtenergie E D =E e +EK einer Versetzung der Länge l setzt
sich aus der elastischen Energie E e = αGb 2l , mit dem Faktor α = 0.5 ... 1.5 , dem
Schubmodul G und dem Betrag b des Burgers-Vektors , sowie der Energie E K des
Versetzungskerns zusammen. Die Abschätzung der Energie des Versetzungskerns
beruht auf dem Modell, dass zur Zerstörung der Nahordnung im Versetzungskern einer
Kette von Atomen die Schmelzwärme zugeführt werden muss. Diese liegt bei den
meisten Metallen in einer Grössenordnung von ≈0.1 eV pro Atom bzw. ≈5x10-11 Jm -1,
und trägt damit weniger als 10% zur Gesamtenergie der Versetzung bei.
Beispiel:
Ein Kupferkristall mit Schraubenversetzung und Burgers-Vektor b=2.55 Å (dem
kürzesten Gittervektor im kfz Gitter entsprechend) enthält pro 1 Å Länge der Versetzungslinie eine elastische Energie von E e ≈1.5 eV. Die Energie einer Stufenversetzung liegt bei ≈2 eV.
Da die Energie einer Versetzung proportional zum Quadrat der Länge des BurgersVektors ist, sind Versetzungen mit grossem Burgers-Vektor instabil. Eine Versetzung
mit dem Burgers-Vektor b=2a und der Energie E a ≈4a2 besitzt also eine höhere Energie
als zwei Versetzungen mit jeweils Burgers-Vektoren b=a und der Gesamtenergie
Ea ≈2a2. Es käme in diesem Fall also zu einer Aufspaltung der Versetzung (Abb. 1.2-2).
Tab. 1.2-1 gibt eine Aufstellung über die Stabilität von Versetzungen in kubischen und
hexagonalen Gittern.
a
b1
(a)
b2
b3
(b)
Abb. 1.2-2 Aufspaltung einer Stufenversetzung mit (a) Burgers-Vektor b=2a in (b) zwei Versetzungen
mit Burgersvektoren von je b=a Länge (Bohm, 3.1-11, 1995)
11
Tabelle 1.2-1 Stabilität von Versetzungen in den Bravais-Gittern cP, cI und hP (Bohm, 3.1-3, 1995).
Die Energie der Versetzungen, selbst mit kleinstmöglichen Burgers-Vektoren, übertrifft
die unterhalb des Schmelzpunkts möglichen thermischen Energien bei weitem, so dass
Versetzungen nicht im thermodynamischen Gleichgewicht stehen. Versetzungen
können während des Kristallwachstums, durch plastische Verformung (Abb. 1.2-3),
oder durch Kondensation von Punktdefekten (Abb. 1.2-4) entstehen. Umgekehrt
können Leerstellen durch Annihilation zweier Versetzungen entgegengesetzten
Vorzeichens erzeugt werden (Abb. 1.2-5).
Abb. 1.2-3 Entstehung und Wanderung einer Stufenversetzung durch mechanische Abgleitung des
oberen Teilgitters unter Wirkung einer Schubspannung (Meyer, 11-11, 1977).
12
Abb. 1.2-4 Enstehung eines Versetzungsrings durch Leerstellenkondensation. (a) Idealgitter, (b) isolierte
Leerstellen, (c) Leerstellenkondensation, (d) Versetzungsring (Meyer, 11-13, 1977).
Abb. 1.2-5 Erzeugung einer Leerstellenreihe durch Annihilation zweier Versetzungen mit BurgersVektoren entgegengesetzten Vorzeichens (Meyer, 11-14, 1977).
13
Als Mass für die Zahl der in einem Kristall enthaltenen Versetzungen verwendet man
die Versetzungsdichte ρ. Diese ist als die Länge der Versetzungslinien pro
Volumeneinheit bzw. als Zahl der Durchstosspunkte der Versetzungen durch die
Kristalloberfläche definiert. Typische Versetzungsdichten von Kristallen liegen bei
102....108 cm– 2 , bei plastisch verformten Metallkristallen erreicht man Werte bis zu
1014cm– 2 (siehe auch Tab. 1.2-2). Dies entspricht einer Gesamtlänge der in einem
Würfel von 1 mm3 enthaltenen Versetzungslinien von ≈ 1 000 000 km, der mittlere
Abstand zweier Versetzungen in einem solchen Netzwerk beträgt nur mehr etwa zwei
Gitterkonstanten. Man hat damit praktisch eine ungeordnete Struktur, der Begriff der
Versetzung bzw. eines Kristalls verliert seinen Sinn.
Ein Beispiel für die Enstehung von Versetzungen durch Quergleitung von Netzebenen
stellt die sogenannte Frank-Read-Quelle (Versetzungsquelle) dar. Hierbei breitet sich
eine Versetzung (C-D in Abb. 1.2-6) durch Quergleitung zunächst halbkreisförmig und
danach auch mit rückwärts gekrümmten Bereichen aus. Schliesslich treffen diese Teile
hinter der Linie C-D wieder zusammen. Die Segmente annihilieren sich und man erhält
die ursprüngliche Versetzung und einen sich vergrössernden Versetzungsring. Dieser
Prozess kann sich beliebig wiederholen.
Abb. 1.2-6 Versetzungsquelle (Frank-Reed-Quelle). Die Pfeile geben die Bewegungsrichtung der
Versetzungslinie an. Der schraffierte Bereich hat eine Abgleitung um den Burgers-Vektor b erfahren
(Bohm, 3.1-25, 1995).
14
Versetzungen können im Elektronenmikroskop, röntgenographisch, durch Ätzgrübchen
an ihren Durchstosspunkten an der Oberfläche, oder auch durch Ausscheidungen an
Versetzungslinien (Dekorationsmethode) sichtbar gemacht werden (Abb.1.2-7).
Tabelle 1.2-2 Versetzungen in Kristallen (Bohm, 3.1-1, 1995)
in cm-2
Versetzungsdichte
102
104
106
108
1010
1012
1014
10-3
0,1
10
103
105
107
109
mittlerer gegenseitiger Abstand der
Versetzungslinien h = 1 ρ in m
10-3
10-4
10-5
10-6
10-7
10-8
10-9
relativer mittlerer Abstand
2. 106
2. 105
2. 104
2. 103
200
20
2
Gesamtlänge der Versetzungslinien in
km/cm
3
.
h/a für a = 5 10
-10
m
Abb. 1.2-7 Abdampfstrukturen auf einer Spaltfläche von Steinsalz NaCl. Die verschiedenen Spiralformen
gehen auf das Kristallwachstum bei Anwesenheit von Schraubenversetzungen (a) und Stufenversetzungen
(b) zurück; Dekoration durch Bedampfung mit Gold, elektronenmikroskopische Abdrucktechnik (Meyer,
15-5, 1977).
15
1.3 Korngrenzen
An einer Korngrenze treffen zwei Kristallindividuen zusammen. Je nach gegenseitiger
Orientierung, unterscheidet man Kleinwinkelkorngrenzen oder Subkorngrenzen
(Neigungswinkel θ von Winkelsekunden bis zu etwa ≈10°), Grosswinkelkorngrenzen
(Neigungswinkel grösser θ≈10°) und Zwillingsgrenzen.
Kleinwinkelkorngrenzen können in der Form von Kippkorngrenzen ("tilt") und
Drehkorngrenzen ("twist") auftreten (Abb. 1.3-1). Im ersten Fall kann man die Grenze
aus Stufenversetzungen mit dem Abstand h aufgebaut denken, wobei sich für den
Kippwinkel θ die Beziehung
θ= b
h
ergibt. Die Stufenversetzungen folgen mit einer Dichte ρ K aufeinander
ρK = 1 /h ≈ θ
b
Im zweiten Fall resultiert die Korngrenze durch Aneinanderreihung von Schraubenversetzungen. Die im Realkristall auftretende Verteilung der Subkörner bedingt
gemeinsam mit dem vorhandenen Versetzungsnetzwerk seinen Mosaikbau. Die Energie
einer Kleinwinkelkorngrenze setzt sich im wesentlichen aus der Summe der Energien
der in ihr enthaltenen einzelnen Versetzungen zusammen.
16
(d)
Abb. 1.3-1 Schematische Darstellung von Kleinwinkelkorngrenzen in einem kubisch primitiven Gitter:
Kippkorngrenze (a) vor und (b) nach der elastischen Relaxation (Bohm, 4.3-1, 1995) und (c)
Drehkorngrenze; (d) Kippkorngrenze mit Versetzungen in einer Goldfolie (Kleber, 3-12, 1990; Bohm,
3.3-3, 1995).
Zur Beschreibung von Grosswinkelkorngrenzen reichen einfache Versetzungsmodelle
nicht mehr aus. Nach dem Koinzidenzmodell sind benachbarte Körner so orientiert, dass
sie ein Teilgitter (Koinzidenzgitter) gemeinsam haben (Abb. 1.3-2).
17
(c)
Abb. 1.3-2 (a) Koinzidenzorientierung zweier Gitter. (b) Koinzidenzkorngrenze A-B-C-D einer krz
Kugelpackung. Die Punkte des Koinzidenzgitters sind in beiden Fällen ausgefüllt gezeichnet. (c) 35°
Grosswinkelkorngrenze in der Germanium (110)-Ebene (Kleber, 3-14,-15, 1990; Bohm, 4.3-17, 1995).
Zwillingsgrenzen trennen Kristallgebiete mit einer, einem Zwillingsgesetz entsprechenden, gegenseitigen Orientierung. Die in Abb. 1.3-2 (a) gezeigte Orientierung
entspricht einer Zwillingsstellung nach einer Spiegelebene. Als kohärent bezeichnet
man Zwillingsgrenzen, die mit einer Gitterebene zusammenfallen und damit eine
ungestörte Struktur besitzen; andernfalls als inkohärent. Im ersten Fall ist die Grenzflächenergie deutlich kleiner als im zweiten, wo sie diejenige von Grosswinkelkorngrenzen erreicht.
18
1.4 Diffusion im Realkristall
Durch Diffusionsprozesse im Realkristall werden Ausscheidungen und Umwandlungen, Sintervorgänge und Festkörperreaktionen (z.B. Korrosion, Zunderung)
bestimmt. Diffusionsprozesse sind mit einer Erhöhung der Entropie verbunden und
damit irreversibel. In Kristallen ist die Diffusion nur über Platzwechselvorgänge (Abb.
1.4-1 und Tab. 1.4-1) möglich:
Abb. 1.4-1 Schematische Darstellung der wichtigsten Platzwechselmechanismen: (a) direkter Austausch,
(b) Leerstellendiffusion, (c) Ringdiffusion, (d) Zwischengitterdiffusion, (e) Zwischengitterdiffusion im
binären Einlagerungsmischkristall (Meyer, 12-3, 1977).
Der direkte Austausch (Abb. 1.4-1 (a)) ist mit einer starken Gitterverzerrung verbunden. Die dazu nötige Aktivierungsenergie lässt sich unterhalb des Schmelzpunkts
kaum thermisch aufbringen, dieser Mechanismus ist damit sehr unwahrscheinlich.
Die Leerstellendiffusion (Abb. 1.4-1 (b)) benötigt als Aktivierungsenergie lediglich die
vergleichsweise geringe Ablösearbeit der Gitterbausteine, hängt jedoch von der
vorhandenen Gleichgewichtskonzentration an Leerstellen ab.
Die Ringdiffusion (Abb. 1.4-1 (c)), ein korrelierter Platzwechsel, benötigt ebenfalls nur
relativ geringe Aktivierungsenergien, da die resultierenden Gitterverzerrungen sehr
gering ausfallen.
19
Mit der Zwischengitterdiffusion (Abb. 1.4-1 (d)) sind starke Gitterverzerrungen
verbunden, die diesen Mechanismus unwahrscheinlich machen. In einem Einlagerungsmischkristall dagegen, benötigt ein derartiger Platzwechselvorgang zumeist nur
eine geringe Aktivierungsenergie (Abb. 1.4-1 (e)).
Tabelle 1.4-1 Aktivierungsenergien für unterschiedliche Platzwechselmechanismen in Kupfer (Kleber,
1990).
__________________________________________________________________
Diffusions-Typ
Aktivierungsenergie in eV
__________________________________________________________________________________
Leerstellendiffusion
2.8
Ringdiffusion
3.9
Zwischengitterdiffusion
10.0
Direkter Platzwechsel
11.0
__________________________________________________________________________________
In einem Realkristall stehen neben dem bis auf Punktdefekte und thermische
Schwingungen der Atome ungestörten Gitter noch weitere günstige Diffusionspfade zur
Verfügung: die Oberfläche und die Korngrenzen, also äussere und innere Grenzflächen.
Man unterscheidet demnach: Volumen- oder Gitter-Diffusion, sowie Oberflächen- und
Korngrenzen-Diffusion. In Abb. 1.4-2 sind zur Veranschaulichung die Diffusionskoeffizienten von Silber für diese unterschiedlichen Mechanismen gezeigt. In nichtkubischen Kristallen verläuft die Diffusion richtungsabhängig (anisotrop), und der
Diffusionskoeffizient muss durch einen polaren Tensor zweiter Stufe beschrieben
werden (siehe Kapitel 2).
(a)
(b)
Abb. 1.4-2 (a) Schematische Darstellung der Oberflächen-, Korngrenzen- und Volumen- oder GitterDiffusion. (b) Selbstdiffusionskoeffizienten von Silber für die drei in (a) genannten Mechanismen
(Meyer, 12-4, -5, 1977).
20
Beispiel:
Bismut, trigonale Kristallklasse 3m , weist die Selbstdiffusionskonstanten
D0i = 1.2x10– 3cm2 sec– 1 parallel zur c-Achse und D0i = 6.9x10– 4cm2 sec– 1 senkrecht zur
c-Achse auf. Die entsprechenden Aktivierungsenergien betragen 1.3 eV für
Diffusionsvorgänge parallel und 6.1 eV für solche senkrecht zur c-Achse.
Die partiellen Diffusionskoeffizienten der einzelnen Komponenten eines Kristalls
können sehr unterschiedlich sein: in Einlagerungsmischkristallen von Kohlenstoff in
Eisen, beispielsweise, ist der partielle Diffusionskoeffizient des Kohlenstoffs um
mehrere Zehnerpotenzen grösser als der des Eisens (Abb. 1.4-3).
Abb. 1.4-3 Einlagerungsmischkristall (Meyer, 8-8, 1977)
Die Diffusion im Festkörper spielt in vielen technischen Anwendungen eine wichtige
Rolle: Dotierung von Halbleitern, Oberflächenbeschichtung, Superionenleitung,
Wasserstoffspeicherung, Korrosionsprozesse, etc.
21
2. Strukturelle Charakterisierung von Materialien
Die strukturelle Charakterisierung von Materialien auf atomarer Ebene bildet die
Grundlage zum Verständnis ihrer Eigenschaften und für die systematische Entwicklung
neuer Werkstoffe. Welche der zahllosen Untersuchungsmethoden für ein konkretes
Problem am besten geeignet ist, hängt von der Fragestellung und der Art der
Wechselwirkung einer bestimmten Sonde mit dem zu untersuchenden Material ab. Man
kann drei Hauptgruppen von Methoden, die Informationen über die Kristallstruktur
eines Materials liefern können, unterscheiden:
Abbildende Methoden
lokal
Hochauflösende Transmissionselektronenmikroskopie (HRTEM)
Rastertunnelmikroskopie (STM)
Atomare Kraftmikroskopie (AFM)
Feldionenmikroskopie (FIM)
etc.
Beugungsmethoden
global
Elektronenbeugung
Neutronenbeugung
Röntgenbeugung
etc.
Spektroskopische Methoden
lokal, global gemittelt
Röntgenabsorptionsspektroskopie (EXAFS)
Mössbauer Spektroskopie (ME)
Magnetische Kernresonanzspektroskopie (NMR)
Elektronenspinresonanzspektroskopie (ESR)
etc.
22
Die abbildenden Methoden geben bei entsprechender Signalverarbeitung "direkte"
Information über die lokale Struktur einer Probe. Dies erlaubt auch die Abbildung von
lokalen Defekten und Strukturänderungen. Mit hochauflösender Transmissionselektronenmikroskopie (HRTEM) ist eine laterale Auflösung von bis zu 1-2 Å möglich, senkrecht dazu wird über die gesamte Probendicke von ≈100 Å gemittelt (Abb. 2-1
und 2-2). Die laterale Auflösung ist im Fall der Rastertunnel- (STM) oder auch der
Kraftmikroskopie (AFM) von vergleichbarer Grösse, die vertikale Auflösung liegt
dagegen im Bereich 0.1 Å (Abb. 2-3 und 2-4). Mit STM und AFM können auch
Oberflächen dicker Proben untersucht werden. Für die Untersuchung der Realstruktur
von Materialien sind abbildende Methoden am besten geeignet.
1...Elektronenquelle
2...Kondensor
3...Objekt
4...Objektiv
5...Apertur
6...Zwischenlinse
7...Projektiv
Abb. 2-1 Schema eines Elektronenmikroskops.Abbildung eines (a) Objekts und (b) seines Beugungsbilds
(Vainshtein, 4-97, 1994)
23
Abb. 2-2
Elektronenmikroskopische
Aufnahme
(lattice
image)
der
modulierten Struktur des Hochtemperatursupraleiters Bi2Sr2CaCu2O8
(Cahn, 4-72, 1992)
Abb. 2-3 Schematische Darstellung eines (a) Rastertunnelmikroskops (RTM) und seiner (b)
Funktionsweise (Vainshtein, 4-120, 1994).
Abb. 2-4 RTM-Bild eines isolierten GoldClusters von 12 Å Grösse und zwei
Atomlagen Höhe auf Graphit (Vainshtein, 4124, 1994).
24
Beugungsmethoden liefern indirekte Strukturinformation, die über den gesamten
durchstrahlten Probenbereich räumlich und zeitlich gemittelt ist. Da im allgemeinen die
Phaseninformation der gebeugten Strahlung bei der Messung verlorengeht, bedarf es
zur Strukturaufklärung spezieller mathematischer oder physikalischer Methoden zur Rekonstruktion der Phasen.
Die räumliche Auflösung
der Beugungsmethoden
liegt bei 0.001 Å. Die
zeitliche im Bereich von
Mikrosekunden.Die quantitative Bestimmung von
Kristallstrukturen erfolgt
nahezu immer mit Hilfe
von Beugungsmethoden.
Abb. 2-3 Schematische Darstellung eines Beugungsexperiments (Glusker, 1-5, 1994).
Spektroskopische Methoden geben zumeist, allerdings in Abhängigkeit von der
verwendeten Technik auf die unterschiedlichste Art und Weise, Information über die
Umgebung einer gegebenen Atomsorte wieder. Diese Information ist räumlich und
zeitlich gemittelt, die Auflösung hängt von der verwendeten Technik ab.
Interessiert die genaue Koordination bestimmter Atome in der
Realstruktur einer Probe, so
stellen spektroskopische Methoden die dafür am besten
geeignete Sonde dar.
Abb. 2-4 Absorption von Röntgenstrahlung in der Nähe der Absorptionskante eines Atoms. Die Feinstruktur
hängt von der Art seiner Koordination
ab (Vainshtein, 5-31, 1994).
25
2.1 Röntgenbeugung
Seit dem historischen Röntgenbeugungsexperiment von Laue, Friedrich & Knipping
(1912), bei dem zum erstenmal der Gitteraufbau der Kristalle sowie die Wellennatur der
Röntgenstrahlung nachgewiesen wurde, sind über 100.000 Röntgenstrukturanalysen
durchgeführt worden. Kleine und mittelgrosse Kristallstrukturen, die bis etwa 200
symmetrisch unabhängige Atome in der Elementarzelle aufweisen, lassen sich heute mit
Standardmethoden innerhalb weniger Tage lösen. Für grosse Strukturen (1000 bis
1.000.000 Atome/EZ), wie sie beispielsweise bei Proteinen oder Viren auftreten, sind
oft noch einige Jahre Arbeit nötig.
Röntgenbeugungstechniken sind seit langem auch für Werkstoffingenieure zu
Standardmethoden geworden, die zur Charakterisierung von Materialien unerlässlich
sind. Sie können nicht nur zur quantitativen Kristallstrukturanalyse, sondern auch zur
Charakterisierung von Realstrukturphänomenen und zur Phasenanalyse eingesetzt
werden.
2.1.1 Erzeugung von Röntgenstrahlung
Röntgenstrahlung ist kurzwellige elektromagnetische Strahlung mit einer Energie im
Bereich von ≈1 keV
(weiche Röntgenstrahlung) bis ≈100 keV (harte
Röntgenstrahlung). Dies entspricht nach
E [eV] = hν = hc = 12396
λ
λ [Å]
Wellenlängen zwischen 10 Å und 0.1 Å. Die zur Strukturanalyse am häufigsten
eingesetzte Röntgenstrahlung hat Wellenlängen zwischen 0.7 und 1.5 Å.
Die Standardmethode zur Erzeugung von Röntgenstrahlung ist die Verwendung von
evakuierten Röntgenröhren (Abb. 2.1.1-1). Diese bestehen aus einer mit 5-15 V (≈)
geheizten Wolframwendel als Glühkathode, und einer wassergekühlten Anode aus
einem metallischen Element (W, Ag, Mo, Cu, Fe, Cr). Die von der Glühkathode
emittierten Elektronen werden in einem Hochspannungsfeld (40-80 kV =) beschleunigt
und erzeugen beim Auftreffen auf die Anode ein Spektrum der Art wie es in Abb.
2.1.1-2 gezeigt ist. Mehr als 99% der kinetischen Energie der Elektronen wird dabei in
Wärme umgesetzt und stellt den begrenzenden Faktor für die mit Röntgenröhren
maximal erzielbaren Röntgenstrahlintensitäten dar. Verwendet man zur besseren
Wärmeabfuhr rotierende Anoden ("Drehanode"), kann man bis zu zwanzigfach höhere
Intensitäten erhalten.
26
(a)
Target (anode) at + potential
Be X-ray window
Focusing cup
Filament (W) at - potential
Glass vacuum jacket
Cooling
Water
Electrical connections
1. Hight Voltage
between anode and filament
2. Filament heating voltage
(b)
Metal X-ray absorber
Focused electron beam
X-ray
Abb. 2.1.1-1 (a) Foto und (b) schematische Darstellung einer Röntgenröhre (Cahn, 4-1, -2, 1992).
Das Röntgenspektrum besteht aus zwei Komponenten: der Bremsstrahlung (weissen
Strahlung) und der charakteristischen Strahlung. Beim Eintreten der durch die
Spannung U beschleunigten Elektronen in die Oberfläche der Anode, verlieren diese
ihre kinetische Energie eU. Geschieht dies in einem Schritt erhält man als maximale
Energie für ein Röntgenquant
eU =hν max = hc
λmin
27
Setzt man die Zahlenwerte für die Konstanten
ein, so erhält man λmin =12396 ⋅ 10–10 Vm/ U .
Für 50 kV Röhrenspannung beträgt dann
beispielsweise
λmin = 12396 ⋅ 10
50000
–10
=0.248 Å
Die gesamte ausgestrahlte Intensität I der
Bremsstrahlung ist proportional zur Ordnungszahl Z des Targetelements, dem Quadrat der
Röhrenspannung U und dem Röhrenstrom I
I =kZU2 i
Abb. 2.1.1-2 Spektrum einer Mo-Röntgenröhre: Bremsstrahlung mit aufgesetztem Linienspektrum (Cahn, 4-3,
1992).
Die charakteristische Strahlung bildet ein diskretes Linienspektrum, das aus den
Elektronenübergängen zwischen den inneren Schalen der Anodenatome resultiert: ein
Elektron wird besipielsweise aus der K-Schale herausgeschlagen, ein nachrückendes
Elektron aus der L-Schale erzeugt die Kα-Linie, eines aus der M-Schale die Kβ-Linie
etc. (Abb. 2.1.1-3). Die Energiedifferenz der beiden Elektronenniveaus entspricht dabei
der Energie des ausgesandten Photons. Um ein Elektron aus einer inneren Schale
herauszuschlagen, benötigt man eine minimale Anregungsenergie: um beispielsweise
ein Elektron aus der K-Schale eines Cu-Atoms zu entfernen, muss eine minimale
Anregungsspannung von 9.0 keV aufgewendet werden (siehe auch Tabelle
2.1.1-1). Die Intensität der charakteristischen Strahlung ist
P
O
N
3 d{
M 3 p{
3 s
Ichar = ki(V – U min)n 1.5 ≤ n ≤ 2
} }
L
A kont.
L
L 2 p{
2 s
K 1 s
a)
} }
K
K
K
K
K
A kont.
b)
Abb. 2.1.1-3 Energieniveaus eines
Atoms: Schema zur (a) Emission und (b)
Absorption von Röntgenstrahlen (Kleber,
5-3, 1990)
28
Tabelle 2.1.1-1 Anodenmaterialien in Röntgenröhren (Kleber, 5-2, 1990)
Element
Z
λch in nm
Kα1
Kα2
Kβ
W
Ag
Mo
Cu
Ni
Co
Fe
Cr
74
47
42
29
28
27
26
24
0,0209
0,0559
0,0709
0,1541
0,1658
0,1789
0,1936
0,2290
0,0214
0,0564
0,0714
0,1544
0,1662
0,1793
0,1940
0,2294
0,0184
0,0497
0,0632
0,1392
0,1500
0,1621
0,1757
0,2085
λch
λAK
λAK
in nm
0,0178
0,0485
0,0620
0,1380
0,1487
0,1607
0,1743
0,2070
Umin
in kV
69,3
25,5
20,0
9,0
8,3
7,7
7,1
6,0
Filter 1)
Hf
Rh
Zr
Ni
Co
Fe
Mn
V
Wellenlänge der charakteristischen Strahlung; Umin minimale Anregungsspannung;
Lage der Absorbtionskante des Anodenmaterials; Z Ordnungszahl
1
) Filter zur Absorbtion der Kβ-Strahlung
In den letzten zehn Jahren wurde Synchrotronstrahlung, als Quelle intensiver
Röntgenstrahlung einem immer grösseren Benutzerkreis zugänglich (Abb. 2.1.1-4). Die
in einem Synchrotron (Teilchenbeschleuniger) mit relativistischen Geschwindigkeiten
umlaufenden Elektronen emittieren bei Ablenkung durch Magnetfelder elektromagnetische Strahlung. Diese kann im Röntgenbereich Intensitäten erreichen, die bis zu
millionenfach höher sind als bei einer Röntgenröhre. Synchrotronstrahlung zeichnet
sich neben ihrer hohen Intensität vor allem auch durch ihre geringe Divergenz, die
Beugungsexperimente mit extrem hoher Auflösung erlaubt, aus.
Wiggler
Booster
synchrotron
600
MeV
Synchrotron
radiation
Synchrotron
storage ring
2-8 GeV
60MeV linear
accelerator
electron
source
Bending
magnets
(a)
(b)
Abb. 2.1.1-4 (a) Schematische Darstellung eines Synchrotrons mit Speicherring und (b) dem typischen
Synchrotronstrahlungsspektrum von harter Röntgenstrahlung bis ins Infrarote (Cahn, 8-1,-3, 1992).
29
2.1.2 Wechselwirkung von Röntgenstrahlung mit Materie
Die Beschleunigung, die Elektronen in der Elektronenhülle von Atomen durch das
oszillierende elektrische Feld der Röntgenstrahlen erfahren, ist die Grundlage jeglicher
Wechselwirkung von Röntgenstrahlung mit Materie. Die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit nimmt dabei etwa mit der dritten Potenz der Wellenlänge zu. Wird die Energie
der Röntgenstrahlung jedoch gleich der Anregungsenergie (Absorptionskante) eines
erlaubten Elektronenübergangs, verursacht die Resonanzabsorption einen drastischen
Anstieg der Absorption (Abb. 2.1.2-1).
(a)
(b)
Abb. 2.1.2-1 (a) Typischer Verlauf des Absorptionskoeffizienten als Funktion der Wellenlänge und (b)
Nutzung des Effekts als Kβ-Filter (Wölfel, 42, 43, 1987).
Die Absorption monochromatischer Röntgenstrahlung der Intensität I0 hängt, weit weg
von einer Absorptionskante, exponentiell von der Schichtdicke d des Materials und
seinem linearen Absorptionskoeffizienten µ ab
I = I0exp ( – µd)
µ nimmt mit der Elektronendichte (Ordnungszahl) und der Wellenlänge der Röntgenstrahlung zu.
Weitere Wechselwirkungeseffekte sind:
Inelastische Streuung: Die Photon-Phonon Wechselwirkung über die Stimulierung
optischer Gitterschwingungen (verbunden mit einer Änderung des elektrischen Dipolmoments) führt zur Erwärmung der Probe. Röntgenstrahlen können durch Absorption
eines Phonons auch energiereicher werden. Dieser Effekt kann zum Studium der
Phononenverteilung von Festkörpern verwendet werden, auch wenn dieser Effekt sehr
klein ist: ≈0.025 eV für eine Gitterschwingung im Vergleich zu 8000 eV für ein CuKαPhoton.
30
Photoelektrischer Effekt: wird die Photonenenergie gleich oder grösser als die Ionisierungsenergie eines Elektrons wird dieses aus der Elektronenhülle herausgeschlagen (Abb. 2.1.2-2). Seine kinetische Energie entspricht der Differenz zwischen der
Energie des einfallenden Photons und der Ionisierungsenergie des Elektrons.
ePhotoelectric
effect
K
L
Compton-Streuung: bei einem inelastischen Zusammenstoss zwischen einem
Photon und einem Hüllenelektron wird dieses angeregt und ein Photon mit
e
Compton geringerer Energie emittiert
scattering (Abb. 2.1.2-2).
M
h
Abb.
2.1.2-2
Schematische
Darstellung
des
photoelektrischen und des Compton Effekts
(Cahn, 4-5, 1992).
h ’
h ’< h
Fluoreszenz: verliert ein Atom ein Elektron einer inneren Schale, wird beim
Nachrücken von Elektronen höherer Energieniveaus Fluoreszenzstrahlung frei. Dieser
Effekt wird in der Fluoreszenzspektroskopie zur qualitativen chemischen Analyse
verwendet (Abb. 2.1.2-3(a)).
Auger-Elektronen Erzeugung: wird ein Elektron aus einer inneren Schale herausgeschlagen, so rückt ein Elektron höherer Energie nach und ein Photon wird emittiert.
Dieses kann ein Elektron einer höheren Schale (Auger-Elektron) ionisieren, das dann
eine genau definierte kinetische Energie besitzt. Die Untersuchung von AugerElektronen im Rahmen der Auger-Spektroskopie kann genaue Informationen über
Bindungsenergien geben (Abb. 2.1.2-3(b)).
α1
α1
α2
K
s
lines
(a)
L M
s
sd
p
p
K
Ns
s
L M
s
s
p
pd
Ns
Auger
electron
(b)
Abb. 2.1.2-2 Schematische Darstellung des Zustandekommens von (a) Fluoreszenz und (b) der AugerElektronen Emission (Cahn, 4-6,-7, 1992).
31
2.1.3 Detektion von Röntgenstrahlung
Die Möglichkeiten und Grenzen eines Röntgenbeugungsexperiments sind ganz
wesentlich von der Wahl eines geeigneten Detektionssystems (Intensitäts-, Energie-,
Orts- und Zeitauflösung) mitbestimmt.
Photographischer Film:
die älteste, auch heute noch verwendete Methode Röntgenstrahlen zu
detektieren.
• Vorteile: 2-dim Detektor, billig (siehe Tabelle 2.1.3-1)
• Nachteile: off line, Kalibrierung über Graukeil nötig, beschränkte
Auflösung, langsam, nur einmal verwendbar
Szintillationszähler:
am häufigsten verwendeter Detektor aus Tl-dotiertem NaI-Kristallen. Im NaIKristall werden Röntgenquanten absorbiert und Photo- und Auger-Elektronen
erzeugt, die ihrerseits Fluoreszenz (λ=4100 Å) hervorrufen. Die Fluoreszenzstrahlung wird über einen Photoelektronenvervielfacher registriert.
• Vorteile: on line, hohe Quantenausbeute, geringe Totzeit (1 ms)
• Nachteile: 0-dim Detektor, geringe Energiediskriminierung (70%)
Halbleiter-Detektor:
Li-dotierter Si oder Ge-Kristall, in dem einfallende Röntgenquanten
Photoelektronen mit einer Energie entsprechend der Energiedifferenz zwischen
Röntgenquant und Bindungsenergie des Elektrons, erzeugen. Die
Photoelektronen geben ihre Energie dann in Sprüngen von 3.8 eV unter
Erzeugung von Ketten von Elektron-Loch-Paaren ab. Somit ist die Zahl der
erzeugten Elektronen proportional zur Energie der Röntgenquanten.
• Vorteile: on line, Energiediskriminierung (5% Auflösung)
• Nachteile: 0-dim Detektor, lange Totzeit (50 ms), Kühlung mit flüssigem
Stickstoff nötig
Linear-Detektor:
einfallende Röntgenquanten ionisieren ein Füllgas (Ar, Kr), die Ionen werden zu
einem Zähldraht hin beschleunigt. Durch Kollision werden weitere Ionen
erzeugt. Die im graphitbeschichteten Zähldraht in beide Richtungen laufenden
Impulse werden über ihre Zeitdifferenz einem Ort auf dem Draht zugeordnet.
• Vorteile: 1-dim Detektor, on line, Energiediskriminierung (20%)
• Nachteile: geringe Ortsauflösung (≈0.15°)
32
Bildplatte (Image Plate):
Röntgenstrahlen erzeugen durch die Bildung von Farbzentren ein latentes Bild
auf einer Bildplatte (BaFBr/Eu2+ ). Belichten mit einem He/Ne-Laser stimuliert
Fluoreszenzstrahlung mit einer Intensität proportional zur Zahl der absorbierten
Röntgenquanten.
• Vorteile:
2-dim Detektor, etwa 100 mal schneller und 1000 mal
grösserer Dynamikbereich als Röntgenfilm (siehe Tab. 2.1.3-1)
• Nachteile: geringe Auflösung (80-150 µm Pixelgrösse)
Tabelle 2.1.3 Vergleich einiger Flächendetektoren (Vainshtein, 5-3, 1994)
Number of
pixels
Pixel dimension
Dynamical
range
Detector
background of
the diffraction
area, photons
High speed
Efficiency for
CuKα
Photofilm with
microdensitometer
Proportional
chamber
Proportional
chamber with
spherical
drift gap
Scintillation TV
counter
2. 103 x 2 . 103
256 x 256
512 x 512
300 x 400
Film with photostimulated
luminescense and
laser
reading device
2. 103 x 2 . 103
0, 05
10 : 1
1, 3
107 : 1
0, 2
107 : 1
0, 15
100 : 1
0, 1
105 : 1
104
1 per min
1 per min
dark
current
30
Almost
unlimited
60
2,5 . 105
6. 104
70
80
Almost
unlimited
70
Almost
unlimited
100
33
2.1.4 Beugung von Röntgenstrahlung
Tritt Röntgenstrahlung mit einem gebundenen Elektron in Wechselwirkung, so wird
dieses durch die im oszillierenden elektrischen Feld des Röntgenstrahls erzwungene
Schwingung, zum Ausgangspunkt einer sich kugelförmig ausbreitenden sekundären
Welle. Ein- und ausfallende Welle sind dabei kohärent zueinander und um π
phasenverschoben. Die kohärent gestreute Intensität I beträgt nach Thomson (1906)
I=
I 0e4 1+ cos2 2θ
2
m2e r2c 4
wobei e die Ladung und me die Masse eines Elektrons bedeuten, c die Lichtgeschwindigkeit und r den Abstand vom streuenden Elektron zum Detektor darstellen. Der zweite
Term in der Gleichung wird als Polarisationsfaktor bezeichnet, da trotz unpolarisierter
einfallender Röntgenstrahlung die gestreute Strahlung in Abhängigkeit vom Winkel θ
teilweise polarisiert ist.
Betrachtet man nun den Streuprozess unter Berücksichtigung der mit der Wellenlänge
der Röntgenstrahlung vergleichbaren Ausdehnung der Elektronenhülle eines Atoms, so
findet man eine Winkelabhängigkeit der Intensität der gestreuten Strahlung (Abb. 2.1.41). Die Ursache dafür liegt in partiell destruktiver Interferenz der gestreuten Wellen.
Dieser Effekt wird als Atomformfaktor f0 bezeichnet und normalisiert in
Elektroneneinheiten dargestellt
∞
f0 =
ρ(r)
0
sin (kr)
dr mit k = 4π sin θ und ρ(r) = 4πr 2 Ψ
kr
λ
2
X
Z
X’
A
D
Z’
C
B
Y
(a)
Y’
(b)
Abb. 2.1.4-1 (a) Röntgenstreuung an einem Atom; (b) sin θ/λ-Abhängigkeit des Atomformfaktors für
einige Elemente (Cahn, 4-30, 1992; Vainshtein, 4-4, 1994).
34
Sind die Atome, wie in einem Kristall, auf einem Gitter angeordnet, so kommt es zu
charakteristischen konstruktiven und destruktiven Interferenzerscheinungen. In Abb.
2.1.4-2 ist ein eindimensionales Punktgitter gezeigt, das beim Auftreffen einer ebenen
Welle zum Ausgangspunkt von miteinander interferierenden Kugelwellen wird. Nur
entlang der gemeinsamen Tangenten an die Kugeloberflächen (Orte gleicher Phase)
schwingen alle gebeugten Wellen in Phase und überlagern einander konstruktiv zu einer
gemeinsamen Welle. Man unterscheidet dabei Wellen 0., 1.,..., n-ter Ordnung.
3. Ordnung
0.Ordnung
1.Ordnung
2. Ordnung
λ
einfallende Welle
a
ϕa0
ϕa
t
a
.
.
s
Abb. 2.1.4-2 Beugung einer ebenen Welle an einer Punktreihe (Kleber, 5-5, 1990). Betrachtet man die
Wellennormalen wird das Ganze etwas übersichtlicher (Abb. 2.1.4-3), und man kann über die
Berechnung der Weglängenunterschiede der einzelnen Wellen die Bedingung für konstruktive Interferenz
aufstellen: die Phasendifferenz ist dann gleich null, wenn die Weglängendifferenz der abgebeugten
Wellen ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge beträgt (Abb. 2.1.4-4).
Abb.
2.1.4-3
Wellennormalen bei der Beugung
einer ebenen Welle an einer
Punktreihe (Kleber, 5-6,
1990).
35
Abb. 2.1.4-4 Interferenzerscheinungen bei Überlagerung zweier Wellen: (a) konstruktive, (b) destruktive
und (c) partiell konstruktive Interferenz (Glusker, 3-3, 1994).
Der Gangunterschied s-t zwischen zwei gestreuten Wellen ist winkelabhängig und
beträgt
s– t =a cos ϕ a – acos ϕa0
Wenn er ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge sein soll, gilt
a (cos ϕa – cos ϕ a0) =nλ
Geht man zu einem dreidimensionalen Gitter mit den Gitterkonstanten a, b und c über,
so erhält man
a (cos ϕa – cos ϕa0) =hλ
b (cos ϕ b – cos ϕb0 ) =kλ
c (cos ϕc – cos ϕc0) = lλ
In diesen drei Lauegleichungen sind h, k und l ganze Zahlen, ϕa0 , ϕb0 und ϕc0 stellen
die Winkel zwischen dem einfallenden Primärstrahl und den betreffenden Basisvektoren
sowie ϕa , ϕb und ϕc die Winkel zwischen dem abgebeugten Strahl und den
Basisvektoren dar. Somit sind die Lauegleichungen immer erfüllt, wenn der
abgebeugte Strahl sich auf Kegelmänteln mit Öffnungswinkeln 2 ϕa , 2 ϕb und 2 ϕc
befindet (Abb. 2.1.4-5).
36
(a)
(b)
Abb. 2.1.4-5 (a) Lauekegel für einige Beugungsordnungen, und (b) stereographische Projektion zweier
einander schneidender Lauekegelsysteme (Barret, 4, 5, 1952).
Konstruktive Interferenz für Beugung an einem dreidimensionalen Gitter ist also immer
dann gegeben, wenn alle drei Lauegleichungen simultan erfüllt sind. Das bedeutet, dass
die drei Systeme interpenetrierender Lauekegel einander in Punkten schneiden, denen
Indextripel h, k, l zugeordnet werden können.
Eine den Laue-Gleichungen äquivalente Beziehung erhält man, wenn man die Beugung
von Röntgenstrahlen als Reflexion an Netzebenen interpretiert (Abb. 2.1.4-6).
Konstruktive Interferenz findet nur dann statt, wenn der Gangunterschied von Wellen,
die an Netzebenen mit dem Abstand d hkl mit dem Beugungswinkel θ reflektiert werden,
ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge λ beträgt. Man erhält damit die Braggsche
Gleichung
2dhkl sin θ = nλ
Die h, k, l der Lauegleichungen und der Millerschen Indizes der Netzebenen mit den
Abständen d hkl sind äquivalent. An den Netzebenen mit den Abständen dhkl abgebeugte
Röntgenstrahlen werden darum auch als Bragg-Reflexe mit den Indizes hkl bezeichnet.
37
(a)
(b)
Abb. 2.1.4-6 Schematische Darstellung der Reflexion von Röntgenstrahlen an Netzebenen (Glusker, 3-10,
1994).
2.1.5 Das reziproke Gitter
Netzebenen eines Kristallgitters lassen sich über ihre Achsenabschnitte m,n,o (WeissIndizes) oder deren reziproke Werte h,k,l (Miller-Indizes) indizieren. Eine Schar
paralleler Flächen besitzt unterschiedliche Weiss-Indizes, aber die gleichen MillerIndizes.
c
Ableitung der Millerschen Indizes:
(vgl. auch Abb. 2.1.5-1)
00p
a c b
m00
Bestimmung der Achsenabschnitte: ma,
nb und oc ==> (mno)
0n0
b
a
Abb. 2.1.5-1 Achsenabschnitte einer Netzebene
mit den Millerschen Indizes (362) (BorchardtOtt, 1993).
Bildung der reziproken Werte:
1/(ma), 1/(nb) und 1/(oc)
Suche des kleinsten gemeinsamen
Nenners:
no/mno, mo/mno und mn/mno
Miller Indizes: h=no, k=mo, l=mn
=> (hkl)
38
Der Abstand dhkl zwischen Netzebenen mit den Millerschen Indizes (hkl) kann für ein
orthogonales Gitter mit Basisvektoren a, b und c, wie folgt abgeleitet werden (vgl. auch
Abb. 2.1.5-2):
Es gilt für eine Netzebene (hkl)
ϕa
b
ϕb
d
b
(210)
d = dh
cos ϕ a = ma
a
d
k
cos ϕ b =
=d
nb
b
d
cos ϕ c = oc =d cl
Quadrieren und Addieren gibt
a
cos 2ϕa +cos 2ϕ b +cos2 ϕc=
2
2
2
d2 ⋅ h2 + k 2 + l 2 =1
a b c
a
Abb. 2.1.5-2 Beziehung zwischen Millerschen
Indizes und Netzebenenabstand (Borchardt-Ott, 123, 1993)
und schliesslich erhält man
h2 + k2 + l 2 = 1
a 2 b2 c 2
d2
Man erhält also eine Verknüpfung der Millerschen Indizes mit dem reziproken Netzebenenabstand. Setzt man diesen Ausdruck in die quadratisch umgeformte Braggsche
Gleichung
2
sin2θ = λ4 ⋅ 12
d
ein, so resultiert eine Beziehung zwischen Beugungswinkel θ und den Millerschen
Indizes der reflektierenden Netzebene (Reflexindizes)
2
2
2
2
sin2θ = λ4 ⋅ h2 + k 2 + l 2
a b c
In Abb. 2.1.5-3 sind Beispiele für Netzebenenabstände im kubischen Gitter gegeben.
39
Abb. 2.1.5-3 Netzebenabstände im kubischen Gitter (Barrett, 7, 1952).
Definieren wir einen Vektor H als
H = ha + kb + lc
dann können wir schreiben
2
1 = h2 + k2 + l2 = h + k + l = H.H = 1
a b c
d.d
a2 b2 c2
d2
Der Betrag des Vektors H ist also gleich dem reziproken Netzebenabstand. Da h, k, l
ganze Zahlen sind und jeden beliebigen Wert annehmen können, wird durch die
Vektoren H ein Gitter definiert, dessen Basisvektoren a*, b* und c* reziprok zum
Kristallgitter mit den Basisvektoren a, b und c sind. Man bezeichnet daher dieses neue
Gitter als reziprokes Gitter, das durch die Vektorprodukte
*
c×a * a×b
a* = b×c
V , b = V , c = V
oder mit dem Spatprodukt V = a⋅ (b×c) durch die Skalarprodukte
a.a * = b.b* = c.c* = 1
a.b * = b.a * = a.c* = c.a* = b.c* = c.b * = 0
vollständig bestimmt ist. a* steht also senkrecht auf die durch b und c aufgespannte
Netzebene (100), a senkrecht auf die durch b* und c* gebildete. Für die anderen
direkten und reziproken Basigittervektoren gilt entsprechendes (Abb. 2.1.5-4).
40
202
201
002
102
101
a*
100
200
c
001
c*
000
a
(a)
(b)
Abb. 2.1.5-4 Beispiele für die Beziehungen zwischen direktem und reziprokem Gitter in (a) zwei und
(b) drei Dimensionen (Kleber, 5-24, 1990; Barrett, 14, 1952)).
Beispiel:
Berechnung der reziproken Basisvektoren im hexagonalen Gitter (Abb. 2.1.5-5):
(b×c)
(bc sin α)
=
=
V
a(bc sin α) cos <) aa*
1
=
= 2 = b*
a cos 30° a 3
(a×b)
(ab sin α)
c* = V =
=
a(bc sin α) cos <) aa*
1
=
=1
c cos 0° c
a* =
c c*
b
120°
30°
a
a*
30°
b*
Abb. 2.1.5-5 Direkte und reziproke Basis
im hexagonalen Gitter (Wölfel, 45, 1987).
41
Abb. 2.1.5-6 Beziehungen zwischen dem reziproken Gitter eines Kristalls und seinem indizierten
Beugungsbild (Glusker, 7-1, 1994).
2.1.6 Die Ewaldkonstruktion
Die Bedeutung des reziproken Gitters zur Diskussion von Beugungsphänomenen wird
durch die Ewaldkonstruktion besonders anschaulich gemacht: man lege eine Kugel
(Ewaldkugel) mit dem Radius 1/λ so in das reziproke Gitter, dass dessen Ursprung (hkl
= 000) auf der Oberfläche zu liegen kommt (Abb. 2.1.6-1). Man nimmt weiters an, dass
im Zentrum der Ewaldkugel der Kristall sitzt und der einfallende Röntgenstrahl, mit der
Wellenlänge λ, ebenfalls durch das Zentrum der Ewaldkugel auf den Ursprung des
reziproken Gitters fällt. Dreht man dann das reziproke Gitter um den Ursprung, so ist
für jeden reziproken Gitterpunkt, der die Oberfläche der Ewaldkugel berührt die
Braggsche Gleichung erfüllt.
42
b*
diffraction vector H
030 130 230 330 430 530
020 120 220 320 420 520
X-ray
beam
010 110 210 310 410 510
1/λ
100 200 300 400 500
Crystal
a*
030
530
(a)
-b*
b*
te
be d X-r
am ay
a*
d *(230)
300
H
ref
lec
090
incident X-ray
beam
C
Crystal
0
2θ
1/λ
030
-b *
(b)
Abb. 2.1.6-1 Ewaldkonstruktion für zwei verschiedene Stellungen des reziproken Gitters (Cahn, 4-20,-21,
1992).
Im in Abb. 2.1.6-1 gezeigten Beispiel befindet sich der reziproke Gitterpunkt 230, oder
ausführlich geschrieben
H = ha + kb + lc =ha* + kb* + lc* = 2a* +3b* +0c *
43
auf der Oberfläche der Ewaldkugel. Der einfallende Strahl ist durch den Vektor k 0 mit
dem Betrag k 0 = 1 gegeben, der abgebeugte Strahl durch den Vektor k , ebenfalls mit
λ
dem Betrag k = 1 , der Beugungsvektor H resultiert dann als H = k – k 0 . Dies ist
λ
nichts anderes als die Braggsche Gleichung in vektorieller Form, da unter
Berücksichtigung von H = 1 gilt
d
1
2d
sin θ =
= λ ⇒ 2dsin θ = λ
1
2d
λ
2.1.7 Beugungstheorie
Die Ewaldkonstruktion erlaubt die Veranschaulichung der Braggschen Gleichung, z.B.
bei welcher Orientierung eines Kristalls abgebeugte Strahlen konstruktiv interferieren.
Das reziproke Gitter enthält dabei die Orte aller prinzipiell möglichen Braggreflexe.
Grösse und Orientierung der Ewaldkugel relativ zum reziproken Gitter ist durch die
Wellenlänge der Röntgenstrahlung und die Orientierung des Kristalls bestimmt.
Betrachten wir nocheinmal den in Abb. 2.1.4-4 gezeigten Fall der Interferenz (Überlagerung) zweier Wellen. Für die zeitliche Abhängigkeit der elektrischen Feldstärke E
einer Welle mit Frequenz ν=c/λ, im Abstand s vom Ursprung des Koordinatensystems,
gilt zur Zeit t
E = E 0cos 2π(s / λ – νt)
bzw. aus rechentechnischen Gründen anders formuliert
E = E 0 e 2πi( s / λ – νt )
Überlagern wir jetzt zwei Wellen mit der Phasendifferenz ∆s/λ, so erhalten wir als
Amplitude E der resultierenden Gesamtwelle
E = E 0 e 2πi( s / λ – νt ) + E 0 e2 πi(s / λ – νt+∆s /λ) = E0 e 2 πi(s / λ – ν t)+ e2πi(s / λ – νt +∆s /λ)
oder allgemein für n Wellen mit Phasendifferenzen ∆sj /λ
Σ
n
E = E0
j=1
e2πi( s / λ – νt +∆s
/jλ)
Untersucht man lediglich die Ortsabhängigkeit der Interferenzeffekte und berücksichtigt
nur die relativen Phasenbeziehungen, so kann man schreiben
44
Σ
n
E = E0
e 2πi∆ s j/λ
j= 1
Die Phasendifferenz zweier Wellen, von denen die eine am Ursprung des Gitters und
die andere am Gitterpunkt r j = x ja +y jb + z jc gebeugt wird, ist nach den in Kapitel
2.1.6 formulierten Beziehungen gegeben durch
∆s j
= k – k0 r j = Hr j= ha* + kb * + lc * x aj + y bj + z cj = hx j+ ky j+ lz j
λ
und wir können damit für die Gesamtschwingungsamplitude E schreiben
Σ
Σe
n
E = E0
n
e 2πi∆ s j/λ = E0
j= 1
2πi Hr j
j= 1
Da die Intensität (Strahlungsleistung) einer elektromagnetischen Welle proportional
dem Quadrat ihrer Schwingungsamplitude ist
I≈ E
2
und für eine komplexe Zahl Z gilt
2
Z = Z.Z * = (a+ ib)(a – ib) =a 2 + b2
resultiert
I ≈ E = E.E* =E 02
2
Σe
n
2 πiHr j
j=1
Σe
n
–2πiHr j
j=1
Untersuchen wir nun die Interferenzeffekte, die bei Beugung an einem
eindimensionalen Gitter der Translationsperiode a auftreten, so erhalten wir wegen
r1 =0a, r2 = 1a,...., r j =( j– 1)a,... und H = 0a*, 1a* , ...,ha* die relativen Gesamtamplituden A(H)=E/E0
Σe
n
A(H) =
j= 1
Σe
n
2πiHr j
=
2 πih(j–1)
j=1
Σ
n
=
j=1
Mit der Summenformel für die geometrische Reihe
Σ
n
k=1
ergibt sich
1 – qn
qk–1 = 1 – q
e2 πih
j–1
45
Σ
n
A(H) =
j=1
e
2πih j–1
1 – e2πih n 1 –e2π inh
=
=
1 – e 2πih
1 – e2 πih
Gehen wir von den Amplituden zu den Intensitäten über, dann finden wir
1 − e 2 inh 1− e −2 inh 2 − e 2 inh − e−2 inh
=
=
1 − e 2 ih 1− e −2 ih
2 − e2 ih − e −2 ih
2 − 2cos2 nh sin 2 nh
=
=
2 − 2cos2 h
sin 2 h
I( H ) = A(H ) =
2
Die Funktion
2
I(H) = sin 22πnh = g(H)
sin 2πh
bezeichnet man auch als Lauesche Interferenzfunktion (Abb. 2.1.7-1)
I(H)=g(H)
n2 =100
4n2 /9π2 =4.5
4n2 /25π2 =1.6
4n2 /49π2 =0.8
1
n
2
n
3
n
4
n
H
Abb. 2.1.7-1 Verlauf der Laueschen Interferenzfunktion g(H) als Funktion von H. Nullstellen sind an den
Stellen 1/n, 2/n, ... mit n gleich der Zahl der beugenden Gitterpunkte (Wölfel, 65, 1987).
46
Die Lauesche Interferenzfunktion hat ihre Hauptmaxima an den Stellen H=0,±1, ±2,....
und Nebenmaxima um die Hauptmaxima im Abstand H=1/n, 2/n, .. . Für n→∞ fallen
die Nebenmaxima mit den Hauptmaxima zusammen, und man erhält wiederum als
Beugungsbedingung, dass H ein ganzzahliger reziproker Gittervektor sein muss. Die
Translations-periodizität einer Kristallstruktur (Existenz eines Kristallgitters), ist die
Ursache dafür, dass nur Reflexe mit ganzzahligen Indizes (Existenz eines reziproken
Gitters) auftreten können.
Beispiel:
Man führt ein Röntgenbeugungsexperiment mit charakteristischer Röntgenstrahlung
(CuKa, λ = 1.54051 Å ) an einem würfelförmigen Al-Einkristall (a≈4 Å) mit 0.4 µm
Kantenlänge durch. Dann erscheint das erste Nebenmaximum im Abstand von etwa
3/(2n)a*=3/(2000)a* von den Hauptreflexen. Wenn wir den Reflex 200 betrachten, so
bekommen wir nach
2
2
2
2
2 2
2
4 = 0.14832
sin2θ = λ4 ⋅ h2 + k 2 + l 2 = λ4 h2 = λ4 16
a b c
a
einen Beugungswinkel von θ=22.652°. Für das erste Nebenmaximum gilt
2 2
2
(2 + 0.0015)2
sin2θ = λ4 h2 = λ4
=0.148545
16
a
was einen Beugungswinkel von θ=22.670° bedeutet. Die Winkeldifferenz von 0.048°
lässt sich mit hochauflösenden Methoden (Synchrotronstrahlung) gut messen. Die
Halbwertsbreite des Hauptmaximums lässt sich zu 1/na *=1/1000a* , also etwa 0.1°,
abschätzen.
Wird nun Beugung an einer Kristallstruktur durchgeführt, können wir die Interferenzeffekte trennen in, durch den Inhalt einer Elementarzelle hervorgerufene, Interferenzen
und den Gittereffekt. Man bezeichnet F(H), die phasenrichtige Aufsummierung der
Beugungsbeiträge f j H aller Atome einer Elementarzelle
Σf
n
F(H) =
j=1
j
H e 2πiHr j = F(H) ⋅ e iϕ(H )
dann als den Strukturfaktor des Reflexes H, den Betrag F(H) dieser im allgemeinen
komplexen Grösse als Strukturamplitude, und ϕ(H) als seine Phase. F(H) besitzt für
beliebiges H Werte ungleich Null. Aber nur wenn H = ha* + kb* + lc* ein reziproker
Gittervektor ist, also h,k,l ganzzahlig ist, ist die Bedingung für konstruktive Interferenz
einer translationsperiodischen Anordnung von Elementarzellen beliebigen Inhalts
erfüllt. Es reicht also für die quantitative Behandlung der Beugung an einem Kristall
aus, die Strukturfaktoren lediglich einer Elementarzelle zu berechnen.
47
Der Faktor f j H oder f j sin θ / λ
in obiger Gleichung wird als Atomformfaktor
bezeichnet. Er berücksichtigt einerseits die unterschiedliche Streukraft der Atome,
f j sin θ / λ ist proportional zur Zahl der Elektronen eines Atoms, und andrerseits die
Beugungswinkelabhängigkeit des Streuvermögens. Auf Grund der destruktiven Interferenzen der an unterschiedlichen Elektronen in der Elektronenhülle eines Atoms
gebeugten Röntgenstrahlen nimmt die Streukraft mit zunehmendem sin θ/λ ab (Abb.
2.1.4-1). Bei kleinen Winkeln θ spielt die Beugung der Elektronen in den äusseren
Schalen (Bindungselektronen) eine grosse Rolle, bei grösseren Winkeln verschwindet
dieser Anteil.
Die Intensität der Braggreflexe (i.e. der abgebeugten Strahlen) ist proportional zum
Quadrat der Strukturamplitude
I(H)=F(H) ⋅ F*(H) =
Σ Σf
n
=
Σf
n
j=1
j
H e2πiHr j ⋅
Σf
n
j=1
j
H e –2πiHr j =
n
j=1 k = 1
j
H fk H e2πiH r j–r k
und damit nicht mehr von den absoluten Positionen r j der Atome in der Elementarzelle, sondern nur mehr von den interatomaren Vektoren r j –rk abhängig. Mit
normalen Beugungsmethoden kann man nur die Intensitäten der Braggreflexe messen:
die Beträge der Strukturfaktoren lassen sich daraus leicht ableiten, nicht mehr jedoch
ihre Phasen. Dieses Phasenproblem stellt das Hauptproblem der Strukturanalyse dar, da
man zur Rekonstruktion der Kristallstruktur (Elektronendichteverteilung) die
Strukturfaktoren mit Betrag und Phase kennen muss.
2.1.8 Beugungssymmetrie und systematische Auslöschungen
Unter Beugungssymmetrie versteht man die im Beugungsbild (Gesamtheit aller
abgebeugten Strahlen) enthaltene Symmetrieinformation. Da jeder reziproke Gittervektor senkrecht zu einer Netzebene im Kristall steht und sein Betrag umgekehrt
proportional zum Netzebenenabstand ist, muss die Symmetrie des reziproken Gitters der
Gittersymmetrie des Kristalls entsprechen. Betrachtet man nun nicht die Beugung an
abstrakten Netzebenen sondern an mit Atomen dicht belegten Ebenen in einer
Kristallstruktur, so entspricht dies im reziproken Raum einer Belegung jedes reziproken
Gitterpunktes H mit der Intensität I(H) der gebeugten Strahlen. Da die Reflexion der
Röntgenstrahlen von unterschiedlichen Netzebenen (hkl) nur dann gleiche Intensitäten
I(H) liefert wenn die Netzebenen symmetrieäquivalent sind, widerspiegelt sich die
Punktsymmetrie der Kristallstruktur direkt in der Punktsymmetrie des mit Intensitäten
gewichteten reziproken Gitters.
48
Da für H und H gilt
Σf
F(H) = Σ f
n
F(H) =
j=1
n
j=1
j
H e 2πiHr j = F(H) ⋅ eiϕ(H )
j
H e –2πiHr j = F(H) ⋅ e–iϕ(H) = F*(H)
finden wir
F(H) = F(H)⋅ F* (H)=F *(H) ⋅ F(H) = F(H)
2
2
und daraus resultiert I(H)= I(H) . Die Äquivalenz der Intensitäten der Reflexe mit
Beugungsvektoren
H und H wird als Friedelsches Gesetz bezeichnet. Das
Beugungsbild ist also inhärent zentrosymmetrisch und die Beugungssymmetrie
entspricht immer einer der 11 zentrosymmetrischen kristallographischen Punktgruppen
(Laue-Gruppen).
Wir können also zusammenfassen: während die Symmetrie eines idealen Kristalls durch
eine der 230 Raumgruppen beschrieben werden muss, ist seine Beugungssymmetrie
(Symmetrie des gewichteten reziproken Gitters) durch eine der 11 Laue-Gruppen
gegeben (siehe auch Abb. 2.1.8-1). Die Symmetrie des ungewichteten reziproken
Gitters entspricht derjenigen des Kristallgitters, die Metriken sind reziprok zueinander.
Tabelle 2.1.8-1 Die 11 Laue-Gruppen und ihre Untergruppen
Kristallsystem
Laue-Gruppe
Triklin
1
Monoklin
Orthorhombisch
Tetragonal
2/m
mmm
4/m
4/mmm
Trigonal
3
3m
Hexagonal
6/m
6/mmm
Kubisch
m3
m3 m
Nicht-zentrosymmet-rische
Untergruppen
1
2, m
222, mm2
4, 4
4mm, 4m2 , 422
3
3m, 32
6,
6
6mm,
23
6m2 , 622
43m , 432
49
Abb. 2.1.8-1 Beugungssymmetrie im (a) orthorhombischen und (b) , (c) monoklinen Fall. Zusätzlich zur
Friedel-Symmetrie I(hkl)= I(hkl) gelten I(hkl)= I(hkl) =I(hkl) =I(hkl) in (a) sowie
I(hkl)= I(hkl) =I(hkl) ≠ I(hkl) in (b) und (c) (Glusker, 4-17, 1994).
Das Beugungsbild enthält jedoch über systematische Auslöschungen auch
Informationen über die Translationssymmetrie der Kristallstruktur. Betrachten wir dazu
ein Beispiel:
Beispiel:
In einem C-zentrierten Gitter gehört zu jedem Atom mit den Koordinaten xyz ein
symmetrisch äquivalentes mit x+1/2 y+1/2 z. Der Strukturfaktor lautet dann
F(H) = Σ f j H e2πiHr j = f1 H e 2πi(hx+ky+lz) +e2πi ( h ( x + 1 / 2 ) + k ( y + 1 / 2 ) + l z ) =
n
j=1
= f1 H e 2πi(hx+ky+lz) 1+e2πi ( h / 2 + k
/2)
= f1 H e 2πi(hx+ky+lz) 1+eπi(h+k)
Je nachdem, ob (h+k) gerad- oder ungeradzahlig ist erhalten wir
1+e πi(h+k) =
und damit resultiert
{
2 für h + k = 2n
0 für h + k =2n + 1
50
F(H) = 2f1 H e 2πi(hx+ky+lz)
für h +k = 2n
F(H) = 0
für h + k = 2n +1
Einige anschauliche Beispiele sind in Abb. 2.1.8-2 gegeben sowie in Tab. 2.1.8-2
zusammengestellt.
Abb. 2.1.8-2 Schematische hk0- und hk1-Beugungsbilder mit systematischen Auslöschungen für die
Raumgruppen (a) P212121, (b) Pmma und I222 (Glusker, 4-18, 1994).
51
Tabelle 2.1.8-2 Integrale, zonale und seriale Auslöschungsregeln (Kleber, 1990)
Vom Translationsgitter gegebene Bedingungen für mögliche Reflexe (integrale Auslöschungen)
Gittertyp
Beobachtbare Reflexe
Ausgelöschte Reflexe
P
I
F
h,k,l beliebig
keine
h+k+l=2n
h+k+l =2n+1
h+k=2n, k+l=2n, h+l=2n
h+k
=2n+1,
bzw. h,k,l alle gerade
k+l
=2n+1,
oder alle ungerade
h+l
=2n+1
A
k+l=2n
k+l
=2n+1
B
h+l=2n
h+l
=2n+1
C
h+k=2n
h+k
=2n+1
R 1)
-h+k+l=3n
(obverse Aufstellung)
h-k+l=3n
(reverse Aufstellung)
1
) Diese Bedingungen beziehen sich auf ein hexagonales Achsensystem bzw. Bravaissche Indizes. Bei
einem rhomboedrischen Achsensystem gibt es (wie bei einem P-Gitter) keine integralen Bedingungen.
Durch Gleitspiegelebenen gegebene Bedingungen für mögliche Reflexe (zonale Auslöschungen)
Gleitspiegelebene
Betroffene
Reflexionsbedingungen
Symbol
Orientierung
Reflexe
(beobachtbare Reflexe)
a
(010)
(001)
{ 110 }2)
( 011 ), (011)
b
(100)
(001)
{ 110 }2)
( 101 ), (101)
c
(100)
(010)
( 110 ), (110)
{ 1120 }
{ 1100 }
{ 110 }2)
h0l
hk0
hhl2)
hkk
hkh
hkk, hkk
h
h
l
h
k
h
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
0kl
hk0
hhl2)
hkk
hkh
hkh,
k
k
l
h
k
k
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
0kl
h0l
hhl,
l
l
l
l
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
l
= 2n
l
h
k
= 2n
= 2n
= 2n
hhl
hh0l , 0kkl
h0hl 1)
hh2hl , 2hhhl
h2hhl 1)
hhl2
hkk
hkh
52
Gleitspiegelebene
Symbol
Orientierung
Betroffene
Reflexe
Reflexionsbedingungen
(beobachtbare Reflexe)
n
( 110 ), (110)
( 011 ), (011)
( 101 ), (101)
0kl
h0l
hk0
hhl2)
hkk
hkh
hhl, hhl
hkk, hkk
hkh, hkh
k+l
h+l
h+k
l
h
k
l
h
k
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
= 2n
(100)
(010)
(001)
( 110 ), (110)
( 011 ), (011)
( 101 ), (101)
0kl
h0l
hk0
hhl, hhl
hkk, hkk
hkh, hkh
k+l
h+l
h+k
2h + l
2k + h
2h + k
= 4n (k, l = 2n)
= 4n (h, l = 2n)
= 4n (h, k = 2n)
= 4n
= 4n
= 4n
d
1
)
)
2
(100)
(010)
(001)
{ 110 }2)
hexagonales Achsensystem bzw. Bravaissche Indizes;
rhomboedrisches Achsensystem bzw. Millersche Indizes
Durch Schraubenachsen gegebene Bedingungen für mögliche Reflexe (seriale Auslöschungen)
Schraubenachse
Betroffene
Reflexionsbedingungen
Symbol
Orientierung
Reflexe
(beobachtbare Reflexe)
21
[100]
h00
h
= 2n
[010]
0k0
k
= 2n
[001]
00l
l
= 2n
41, 43
[100]
h00
h
= 4n
[010]
0k0
k
= 4n
[001]
00l
l
= 4n
42
[100]
h00
h
= 2n
[010]
0k0
k
= 2n
[001]
00l
l
= 2n
31, 32
[00.1]
00l
l
= 3n
61, 65
[00.1]
000l
l
= 6n
62, 64
[00.1]
000l
l
= 3n
63
[00.1]
000l
l
= 2n
53
2.2 Neutronenstreuung
Auch Korpuskularstrahlung kann für Beugungsexperimente verwendet werden. Nach
deBroglie entspricht ein Teilchen mit der Masse m und der Geschwindigkeit v einer
Welle mit der Wellenlänge λ = h /mv , wobei h das Plancksche Wirkungsquantum
darstellt. Da für Beugungsexperimente die Wellenlänge in der Grössenordnung der
Atomabstände liegen sollte, kommen dafür nur langsame "thermische" Neutronen in
Betracht, deren Energie im meV-Bereich liegt (λ=0.7 Å bei einer Energie von 0,01
eV). Da die Energie der beim Kernspaltungsprozess entstehenden Neutronen im Bereich
MeV liegt, muss diese in Moderatoren (leichtes oder schweres Wasser, Graphit) über
Streuprozesse drastisch verringert werden. Auf diese Weise erhält man Neutronen im
thermischen Gleichgewicht mit dem Moderator und man spricht von thermischen
Neutronen. Bei einer Moderatortemperatur von z.B. Tm=273 K erhalten wir eine
Maxwellsche Geschwindigkeitsverteilung der Neutronen ("monoatomares Gas") mit der
häufigsten Geschwindigkeit vm=2200 m/s und wegen
mv 2 3kT
h2
E= 2 m = 2 m und λm =
3mkTm
1
2
mit einer kinetischen Energie von 34 meV und einer Wellenlänge von λm = 1.55 Å
Eigenschaften des Neutrons:
Masse
Magn. Moment
Ladung
Halbwertszeit
Abb. 2.2-1
Maxwellsche Geschwindigkeitsverteilung
Moderatortemperatur von 300 K (Cahn, 1994, 19-2).
von
1.67493x10-24 g
1.91314 µn
0
624 s
thermischen Neutronen
bei einer
Die Streuung von Neutronen erfolgt an den Atomkernen. Die Streuquerschnitte (Abb.
2.2-2) sind für die einzelnen Atomkerne spezifisch, und unabhängig vom Streuwinkel;
sie erlauben auch die Unterscheidung von unterschiedlichen Isotopen eines Elements.
Da das Neutron auch ein magnetisches Spinmoment besitzt, ist es besonders gut zur
Untersuchung magnetischer Strukturen geeignet (Abb. 2.2-4).
54
Abb. 2.2-2
Streuquerschnitte als Funktion des
Atomgewichts (Cahn, 1911, 1994)
Die Absorption von Neutronen ist im allgemeinen um drei bis vier Grössenordnungen
geringer als diejenige von Röntgenstrahlung, mit Ausnahme von Li, B und Cd, die
dann auch als Abschirmmaterialien Verwendung finden (Abb. 2.2.-3). Die geringe
Absorption erlaubt es wesentlich grössere Probenmengen zu untersuchen (1 - 10 cm 3
statt 1 - 1000 µ3 ), bzw. wesentlich einfacher Öfen, Kryostaten und Hochdruckzellen zu
verwenden.
Abb.
2.2.-3
Massenabsorptionskoeffizienten
für 1.08 Å Neutronen
(durchgezogene Linie) und
CuKα Röntgen-strahlung
(gestrichelt) (Cahn, 19-9,
1994).
Elastische Neutronenstreuung wird oft komplementär zu Röntgenbeugung verwendet
und ist vor allem zur Bestimmung magnetischer Ordnung sowie von Strukturen in
denen leichte neben schweren Atomen vorliegen (z.B. Hochtemperatursupraleiter) von
Bedeutung. Mit inelastischer Neutronenstreuung lässt sich das Phononenspektrum von
Kristallen untersuchen, da die Energie thermischer Neutronen von der gleichen
Grössenordnung wie die der Phononen (Gitterschwingungen) ist.
55
(c)
Abb. 2.2-4 Neutronen-Pulverdiffraktogramme aufgenommen an antiferromagnetischem MnO bei
Temperaturen von (a) 80 K und (b) 293 K, also unter- und oberhalb des Curie-Punkts. In (a) sind die
“magnetischen Überstrukturreflexe” zu sehen,; der Pfeil in (b) weist auf ein diffuses Streuphänomen von
magnetischen Nahordungseffekten hin. (c) Neutronendiffraktometer (1) Neutronenstrahl aus dem
Reaktor, (2) Primärkollimator, (3) Monochromator, (4) Sekundärkollimator, (5) Probe,
(6)
Detektorblende, (7) Neutronendetektor, (8) Reaktorabschirmung, (9) Neutronen und γ-Strahlen
Schutzschild. (Vainshtein, 4-127,-133, 1994).
56
2.3 Elektronenbeugung
Die geometrischen Beugungsbedingungen sind für Elektronenstrahlen ähnlich den für
Röntgenstrahlen in Kapitel 2.1 abgeleiteten Beziehungen. Da Elektronen als negativ
geladene Teilchen über Coulombkräfte sowohl mit den positiv geladenen Atomkernen
als auch mit der negativ geladenen Elektronenhülle wechselwirken (Abb. 2.3-1), sind
die Intensitäten der abgebeugten Strahlen jedoch um etwa vier Grössenordnungen höher
als die von Röntgenstrahlen vergleichbarer Energie (100 bis 50 keV, 0.04≤l≤0.07 Å)
(Abb. 2.3-2).
Abb. 2.3-1 (a) Schematische 1dim Darstellung der für Röntgenbeugung relevanten Elektronendichte ρ(x) , des elektrostatischen Potentials
Kerndichte
6, 1994)
(a)
ϕ(x) und der
δ(x) (Vainshtein, 4-
(b)
Abb. 2.3-2 Abhängigkeit der absoluten Atomformfaktoren f e für Elektronen (1), fx für Röntgenstrahlen
(2) und fn für Neutronen (3) von (a) sin θ / λ und (b) der Ordnungszahl Z im Bereich von 1 bis 12
(Vainshtein, 1994).
57
Betrachtet man die Ewaldkonstruktion im Fall der Elektronenbeugung, so findet
man einerseits aufgrund der kleinen Wellenlängen im Vergleich zur Metrik des
reziproken Gitters einen ausserordentlich grossen Radius der Ewaldkugel.
Andrerseits besitzen die reziproken Gitterpunkte eine gewisse Ausdehnung, da
die Lauesche Interferenzfunktion (vgl. Abb. 2.1.7-1) wegen der geringen
Dicke des von Elektronen durchstrahlten Gebietes (N≈10-50 Elementarzellen) eine wesentliche Verbreiterung
erfährt (proportional zu 1/N). Dies führt
dazu, dass ein grosser Teil der reziproken
Gitterpunkte der nullten Schicht gleichzeitig die Beugungsbedingung erfüllen
und man ein nahezu unverzerrtes
Beugungsbild erhält.
Abb. 2.3-3 Elektronen- im Vergleich zu Röntgenbeugung in der Ewaldschen Konstruktion (Vainshtein, 4-14, 1994).
Bei der Berechnung der Intensitäten der gebeugten Elektronenstrahlen lässt sich die
bisher behandelte kinematische Beugungstheorie wegen der immer präsenten, massiven
Mehrfachstreuung (Umweganregung) nicht verwenden. Man muss sich statt dessen der
dynamischen Beugungstheorie bedienen, die nach Lösungen der Maxwellschen
Gleichungen in einem periodischen Potential sucht. Diese Theorie liefert Aussagen über
die im Kristall aus dem Primärstrahl und allen gleichzeitig die Beugungsbedingung
erfüllenden abgebeugten Strahlen durch Interferenz erzeugten Wellenfelder, sowie über
ihren Energieaustausch und -transport.
Neben hochenergetischen Elektronen (10 bis 100 keV) (SAED...selected area electron
diffraction) werden zur Beugung auch niederenergetische Elektronen (5 bis 500 eV,
5.5≤l≤0.55 Å) verwendet (LEED...low energy electron diffraction). Die geringe
Eindringtiefe (3 - 10 Å) der niederenergetischen Elektronen macht diese Methode zu
einer leistungsfähigen Technik zur Untersuchung von Oberflächenstrukturen (Oberflächenrekonstruktionen, Epitaxieschichten, Adsorbate,...).
58
3. Röntgenographische Untersuchungsmethoden
Der folgende Abschnitt ist experimentellen Methoden zur Beugung von Röntgenstrahlung an ein- oder polykristallinem Material gewidmet. Das Ziel eines Beugungsexperiments ist es, einen innerhalb der experimentellen Grenzen vollständigen Datensatz von gebeugten Röntgenstrahlen mit Intensitäten I(H)=I(hkl) zu messen und daraus
das gewichtete reziproke Gitter zu rekonstruieren. Damit ist die nötige experimentelle
Information zur Bestimmung einer Kristallstruktur gegeben. Der experimentelle Aufbau
setzt sich immer aus einer Röntgenstrahlungsquelle, einer Apparatur zur geeigneten
Positionierung und Orientierung der Probe sowie einem Detektor zusammen. Da nach
der Braggschen Gleichung
2dhkl sin θhkl = nλ
ein Reflex hkl nur bei Reflexion an der Netzebenschar hkl unter einem bestimmten
Beugungswinkel θhkl und der Wellenlänge λ auftritt, kann das Beugungsbild eines
gegebenem Materials nur durch Variation von θhkl und/oder λ erhalten werden.
Demnach unterscheidet man unter anderem folgende Methoden:
Methode
Laue-Methode
EinkristallDiffraktometrie
Guinier-Methode
Probe
einkristallin
einkristallin
Pulver-Diffraktometrie
polykristallin
polykristallin
Orientierung
fixiert
variabel durch
Kristalldrehung
variabel durch statistische
Orientierung der Körner
variabel durch statistische
Orientierung der Körner
λ
variabel durch weisse Strahlung
monochromatisch
monochromatisch
monochromatisch
3.1 Einkristallmethoden
Es gibt eine grosse Zahl unterschiedlicher Röntgen-Einkristallmethoden, die jeweils auf
andere Ziele hin optimiert sind. Die wichtigsten Techniken, die dann auch im
Folgenden besprochen werden, sind die Laue-Methode zur Orientierung von Kristallen
und der Bestimmung der Laue-Symmetrie, sowie die Einkristall-Diffraktometrie zur
präzisen Messung vollständiger Intensitätsdatensätze. Je nach Röntgenstrahlungsquelle
und Detektor können Kristalle mit Abmessungen zwischen 0.001x0.001x0.001 mm3
und 1x1x1 mm 3 verwendet werden. Im Falle der Laue-Rückstreumethode können die
Proben sogar beliebig gross sein. Die Messzeiten liegen im Bereich von Nanosekunden
(Laue-Methode am Synchrotron) bis zu Wochen (Messung diffuser Streuung).
59
3.1.1 Laue-Verfahren
Bei dieser Technik fällt weisse Röntgenstrahlung auf einen feststehenden Einkristall
(Abb. 3.1.1-1). Im kontinuierlichen Spektrum des Primärstrahls gibt es für jede
Netzebenenschar mit dem Netzebenenabstand dhkl eine passende Wellenlänge λ , für die
die Braggsche Gleichung erfüllt ist. Die abgebeugten Strahlen treffen auf einen
Röntgenfilm und erzeugen dort Schwärzungsflecke ("Reflexe"). Auf diese Weise erhält
man eine gnomonische Projektion des reziproken Gitters (Laue-Diagramm). Zu
beachten ist dabei, dass die an zu einer Zone gehörenden Netzebenen abgebeugten
Strahlen jeweils auf Kegelmänteln (Laue-Kegel) liegen (Abb. 3.1.1-2 und -3).
(a)
(b)
Abb. 3.1.1-1 (a) Goniometerkopf mit montiertem Kristall und (b) Laue-Kamera mit Filmschneidevorrichtung (Huber, 1994; Glusker, 7-8, 1994).
60
Abb. 3.1.1-2 Schematische Darstellung der Laue-Aufnahmeanordnung (a), eines Laue-Diagramms (b),
und den Einstrahlbedingungen bei der (c) Durchstrahl- und (d) Rückstrahltechnik (Kleber, 5-9, 1990).
(e)
(f)
Abb. 3.1.1-3 Schematische Darstellung der Laue-Kegel von Netzebenen, die zu unterschiedlichen Zonen
gehören (a-d) und deren Abbildung auf Röntgenfilm im (e) Vorstrahl- und (f) im Rückstrahl-LaueVerfahren (Nuffield, 7-1,-2,-3, 1966).
61
Zur Interpretation von Laue-Diagrammen ist es nützlich sich die geometrischen
Beugungsbedingungen mittels der Ewald-Konstruktion zu veranschaulichen: man
zeichnet das reziproke Gitter sowie die beiden, durch die minimale und maximale
Wellenlänge der im Primärstrahl vorhandenen Röntgenstrahlen gegebenen begrenzenden Ewald-Kugeln. Dann ist für alle reziproken Gitterpunkte, die sich im Bereich
zwischen den beiden Grenzkugeln befinden, die Beugungsbedingung gleichzeitig erfüllt
(Abb. 3.1.1-4).
Ewald sphere
for shortest
wavelength
origin
Ewald sphere
for longest
wavelength
Abb. 3.1.1-4 Die Laue-Methode in der Ewald-Konstruktion (Glusker, 7-9, 1994).
Da das Laue-Diagramm eine spezielle Projektion des reziproken Gitters darstellt, entspricht die Punktsymmetrie des Beugungsbilds auch der Punktsymmetrie des reziproken
Gitters (11 Laue-Gruppen). Die Laue-Methode wird daher oft zur Bestimmung der
Symmetrie von Kristallen verwendet. Ein anderer wichtiger Einsatzzweck ist die
Orientierung von Kristallen, das heisst, dass das Kristallkoordinatensystem
(Kristallgitter) bzgl. des Laborkoordinatensystems bis auf wenige zehntel Grad genau
eingerichtet wird. Grosse Kristalle (z.B. Silizium-Wafers) lassen sich natürlich nur im
Rückstrahlverfahren orientieren. Auch zur Untersuchung von Texturen polykristalliner
Materialien findet die Laue-Methode Verwendung. Weniger geeignet ist es zur
quantitativen Auswertung der Reflexintensitäten, da einerseits alle höheren
Harmonischen n(hkl) aufeinander abgebildet werden und andrerseits die
Absorptionskorrektur für die abgebeugten Röntgenstrahlen mit unterschiedlichen
Wellenlängen sehr schwierig sein kann. Dort wo sehr kurze Belichtungszeiten nötig
sind (Proteinkristallographie, kinetische Studien) findet das Laue-Verfahren dann trotz
all dieser Probleme auch dafür Verwendung.
62
3.1.2 Einkristall-Diffraktometrie
Zur quantitativen Strukturanalyse benötigt man präzise Intensitätsmessungen der an
einem Einkristall gebeugten Röntgenstrahlen. Man verwendet dafür Computergesteuerte, automatische Vierkreisdiffraktometer (Abb. 3.1.2-1): die drei Kreise einer
Eulerwiege dienen zur Positionierung des Kristalls, wobei jeder Beugungsvektor H in
die durch den Primärstrahl und den Detektor gebildete Ebene gedreht wird. Der vierte
Kreis ist der Detektorkreis, der es erlaubt den Detektor auf den jeweiligen
Beugungswinkel 2 θ zu fahren. Ein vollständiger Datensatz erfordert die Messung einer
asymmetrischen Einheit von Reflexen bis zu einem Beugungswinkel 2θ=60° für
MoKα-Strahlung. Typische Grössen von Intensitätsdatensätzen, wie sie für eine
hochaufgelöste Strukturanalyse nötig sind, liegen zwischen einigen hundert Reflexen
für einfache kubische Kristalle bis zu einigen Millionen für grosse Virusstrukturen. Da
pro Tag nur etwa 1000 Reflexintensitäten gemessen werden können, müssen sehr grosse
Intensitätsdatensätze mit Flächendetektoren (Röntgenfilme, Bildplatten, CCDDetektoren) gesammelt werden.
(a)
(b)
Abb. 3.1.2-1 (a) Vierkreisdiffraktometer mit Eulergeometrie (Huber, 1994), und (b) seine Funktionsweise in schematischer Darstellung: RS...Röntgenstrahl, Bl...Blende, Kr...Kristall, Z...Zählrohr (Detektor), ϕ, χ, ω, θ...Winkelbewegung der vier Goniometerkreise, 2θ...Beugungswinkel (Kleber, 5-22, 1992).
63
In den letzten Jahren werden zunehmend Einkristalldiffraktometer mit Flächendetektoren zur Intensitätsdatensammlung eingesetzt. Die Hauptmotivation für die
Entwicklung dieser Geräte kam aus der Proteinkristallographie. Die erste Generation
der Flächendetektoren basiert auf Bildplatten (Imaging Plate Detektor Systems),
entwickelt von der Fuji Photo Film Company (Abb. 3.1.2-2). Die Bildplatten mit bis zu
33 cm Durchmesser bestehen aus einer amorphen Schicht (150 µm) von BariumEuropium-Halogeniden (BaFBr:EuX) auf einem Trägermaterial. Belichtung mit
Röntgenstrahlung erzeugt ein latentes Beugungsbild durch die Schaffung von
Farbzentren (F-Zentren). Dafür wird eine Anregungsenergie von 6 eV benötigt. Das
latente Bild wird ausgelesen, indem die Bildplatte mit einem roten He-Ne Laser
bestrahlt wird. Nach Absorption dieser 2 eV Photonen wird durch Aussendung von
blauen 4 eV Photonen wieder der Grundzustand eingestellt. Die Intensität dieser blauen
stimulierten Luminiszenzstrahlung ist der Zahl absorbierter Röntgenquanten
proportional. Sie wird in einem ellipsoidalen Kollektor gebündelt und mit einem
Photoelektronen-Vervielfacher registriert. Der dynamische Bereich umfasst fünf
Grössenordnungen, die Zahl der Pixel beträgt 2000x2000. Typische Belichtungszeiten
liegen im Bereich Minuten, die Auslesezeit der latenten Bildes beträgt etwa 3 Minuten.
Für eine vollständige Datensammlung benötigt man einige hundert Bilder.
Abb. 3.1.2-2 Röntgenbeugungsgerät mit Bildplatten-Detektor (Imaging plate scanner, Marresearch).
64
Die neueste Entwicklung im Bereich der Flächendetektoren geht in Richtung von CCD
("Charge Coupled Device")-gestützten Systemen. In einem röntgenempfindlicher
"Phosphor" aus Gd2O2S (100-133 mm) erzeugen die Röntgenquanten Lichtblitze mit
etwa 500 nm Wellenlänge, die über ein Bündel (2000x2000) Glasfasern auf einen CCDchip übertragen und dort registriert werden (Abb. 3.1.2-3). Diese Art Detektor besitzt
etwa 20% Effektivität (Umwandlung von Röntgenquanten in Lichtquanten) und einen
Dynamikbereich von 16 bits (65536). Die Auslesezeiten der Daten betragen einige
Sekunden.
(a)
(b)
65
(c)
(d)
Abb. 3.1.2-3 Röntgenbeugungsgerät mit Flächendetektor auf CCD Basis (Marccd). (a) Schematische
Darstellung des Detektorkopfs, der in (b) gezeigt ist. (c) und (d) bieten Gesamtansichten des
geschlossenen und geöffneten Geräts.
66
3.2 Pulvermethoden
Nicht immer steht einkristallines Material (Korngrösse >10 µ) zur Charakterisierung mit
Einkristall-Röntgenbeugungsmethoden zur Verfügung. In diesen Fällen kommen dann
Pulververfahren, die auch die Analyse mehrphasiger Proben erlauben, zur Anwendung.
Der apparative Aufbau setzt sich aus einer Röntgenstrahlungsquelle (Röntgenröhre,
Synchrotron), einem Probenträger (Kapillare, ebenes Netz oder flacher Behälter) für das
polykristalline Material (feinkörniges Pulver mit Korngrössen ≈1-10 µ), und einem
Detektor (Film, Zählrohr) zusammen. Es wird das Beugungsverhalten monochromatischer Strahlung an statistisch orientierten Kristalliten untersucht, die Monochromatisierung erfolgt entweder qualitativ über einen Kβ-Filter, oder quantitativ mittels
Einkristallmonochromator oder energiedispersivem Detektor. Bedingt durch die
statistische Orientierung der Körner wird die bei Einkristallen zugängliche
dreidimensionale Information allerdings auf eine Dimension reduziert: betrachtet man
eine bestimmte Netzebene (hkl), so ist die Beugungsbedingung für jeden Kristalliten
erfüllt, bei dem diese Netzebene einen Winkel θ mit dem Primärstrahl einschliesst
(Abb. 3.2-1 (a)) Die, an äquivalenten Netzebenen (hkl) in den in allen Orientierungen
vorliegenden Kristalliten abgebeugten, Strahlen, liegen somit auf einem Kegelmantel
mit dem Öffnungswinkel 4θ (Abb. 3.2-1 (b)). Die Information über die relative
Orientierung der unterschiedlichen Netzebenen zueinander geht dabei verloren, man
erhält nur mehr ein eindimensionales Pulverdiagramm: Reflexintensitäten als Funktion
des Beugungswinkels.
Abb. 3.2-1(a) Reflexion
eines Röntgenstrahls an
einer Netzebene; (b) bei beliebiger Orientierung der
Netzebene, aber unter Beibehaltung des Beugungswinkels θ zum Primärstrahl,
liegen
die
reflektierten
Strahlen auf einem Kegelmantel mit dem Öffnungswinkel 4θ. (c) Koaxiale
Kreiskegel von an unterschiedlichen
Netzebenen
reflektierten Strahlen und
(d) deren Registrierung auf
einem Röntgenfilm (Borchardt-Ott, 12-2, 1993).
67
3.2.1 Debye-Scherrer-Verfahren
Die erste Methode zur Beugung von Röntgenstrahlung an pulverförmigem Material
wurde von Debye und Scherrer (1916) entwickelt: Das feinkörnige Pulver befindet sich
dabei in einer Kapillare (Ø 0.2-0.3 mm, Wandstärke etwa 0.01 mm) aus Spezialglas
(Mark-Röhrchen), der Röntgenfilm wird koaxial zylinderförmig darum angeordnet. Die
auf dem Film sichtbaren Interferenzlinien sind dann die Schnittkurven der
Reflexionskegel mit dem zylindrischen Film (Abb.3.2-1 und 3.2.1-1).
Bezeichnet man den Abstand zwischen zwei zusammengehörigen Pulverringen auf dem
Film mit S, so gilt S = 4θR mit θ im Bogenmass . Handelsübliche Debye-ScherrerKameras weisen einen Innendurchmesser des Filmzylinders von 2R=
180/π = 57.3 mm auf, sodass der
Zahlenwert von S in mm dem Zahlenwert 2θ des Ablenkungswinkels des
Röntgenstrahls in Grad entspricht. Aus
der Braggschen Gleichung
2dhklsin θhkl = nλ
erhält man dann die Netzebenenababstände dhkl .
Abb. 3.2.1-1 Debye-Scherrer-Methode (Kleber,
5-15, 1992).
Beispiel:
Auswertung des Pulverdiagramms von kubischem Wolfram, aufgenommen mit CuKαStrahlung ( λ = 1.54 Å).
Abb. 3.2.1-2 Debye-Scherrer-Aufnahme von Wolfram (Borchardt-Ott, 12-4, 1993).
68
Man misst die Abstände S zwischen zusammengehörigen Pulverlinien aus, rechnet sie
in θhkl -Werte um, und erhält daraus nach der Braggschen Gleichung die dhkl -Werte.
Über die in Kapitel 2.1.5 abgeleitete und für das kubische System vereinfachte
Gleichung
2
2
2
2
2
sin2θhkl = λ4 ⋅ h2 + k 2 + l 2 = λ 2 ⋅ h2 + k2 +l 2
a b c
4a
lässt sich einerseits die Gitterkonstante a berechnen
λ2 = 0.0592
4a 2
⇒ a = 3.16 Å
und können andrerseits die Reflexe indiziert werden.
Tabelle 3.2.1-1 Auswertungsschema der Wolfram-Pulveraufnahme (Borchardt-Ott, 12-1, 1993).
Nr. des
Reflexes
S
mm
θ
Grad
2
sin θ =
λ2
4a02
⋅ h 2 +k2 +l 2
hkl
dhkl Å
1
40,3
20,15
0,1187 = 0,0594 . 2
110
2,24
2
58,3
29,15
0,2373 = 0,0593 . 4
200
1,58
.
3
73,2
36,60
0,3555 = 0,0592 6
211
1,29
4
87,1
43,55
0,4744 = 0,0593 . 8
220
1,12
.
5
100,8
50,40
0,5937 = 0.0594 10
310
1,00
6
115,0
57,50
0,7113 = 0,0592 . 12
222
0,91
.
7
131,2
65,60
0,8294 = 0,0592 14
321
0,85
8
154,2
77,10
0,9502 = 0,0592 . 16
400
0,79
Mit bekannter Dichte ρ von Wolfram lässt sich nun die Zahl Z der Formeleinheiten pro
Elementarzelle berechnen
Z=
ρVNL 19.3 ⋅ 3.16 3 ⋅ 10–24 ⋅ 6.022 ⋅ 1023
≈2
M =
183.86
Betrachtet man die Reflexliste, dann sieht man, dass die Reflexe 100, 111 oder 210
nicht beobachtet werden, ausgelöscht sind. Nach Tab. 2.1.8-2 handelt es sich dabei um
die integrale Auslöschungsregel
hkl: h+k+l=2n
die für innenzentrierte Gitter typisch ist. Wolfram besitzt also ein kubisch innenzentriertes Gitter mit zwei Wolframatomen pro Elementarzelle.
69
Betrachtet man die Liste in Tabelle 3.2.1-1, so findet man, dass der kleinste auftretende
d-Wert 0.79 ist. Aus der Braggschen Gleichung erhält man
sin θ = λ und –1 ≤ sin θ ≤ +1 ⇒ d ≥ λ2
2d
Daraus kann man ersehen, dass die Auflösung des Beugungsexperiments durch die
verwendete Wellenlänge beschränkt ist, für CuKα-Strahlung ( λ = 1.54 Å) können keine
d-Werte <0.77 Å auftreten.
Die Liste der d-Werte und relativen Reflexintensitäten, die durch Auswertung eines
Pulverdiagramms erhalten werden kann, ist charakteristisch ("finger print") für eine
bestimmte Substanz und kann damit zu deren Identifizierung dienen. Es gibt eine grosse
Datenbank (JCPDS Powder Diffraction File (PDF)), geführt vom Joint Committee on
Powder Diffraction Standards (JCPDS) am International Centre for Diffraction Data
(ICDD), mit mittlerweile Pulverdaten von etwa 60 000 Substanzen (Abb. 3.2.1-3).
Abb. 3.2.1-3 PDF-Karte für Steinsalz (NaCl). ♣...Karte 628 aus Satz 5, ②...d-Werte der drei stärksten
Reflexe, ➆...höchster beobachtbarer d-Wert, ➘...chemische Formel und Bezeichnung der Substanz,
⑤...Literaturzitat, ⑥...kristallographische Daten, ⑦...optische und andere Daten, ⑧...Aufnahmebedingungen, ❥...d-Werte, relative Intensitäten, Indizes, ★...hohe Qualität (Cahn, 4-58, 1994).
70
Der Vergleich der experimentell ermittelten Pulverdaten mit den gespeicherten kann
manuell oder, einfacher, mittels Computer erfolgen. Es gibt zwei Suchstrategien: die
Hanawalt-Methode sortiert die Pulverdiagramme zuerst nach den d-Werten der
stärksten (100%) Linie, dann nach denen der zweitstärksten usw. (Tab. 3.2.1-4). Die
Fink-Methode, bevorzugt angewandt wenn die relativen Intensitäten aufgrund von
Textureffekten nicht zuverlässig bestimmt werden können, arbeitet mit den acht
stärksten Linien die in ihrer Intensitätszuordnung als nicht fixiert angenommen werden.
Will man Gitterkonstanten mit grösserer Präzision bestimmen oder benötigt man
genauere d-Werte zur Phasenidentifizierung, so zieht man dem Debye-ScherrerVerfahren das Guinier-Verfahren vor.
Tabelle 3.2.1-1 Beispiel aus dem Hanawalt Search Manual (Cahn, 4-60, 1992).
i 2.83 x
c 2.83 x
2.83 x
2.83 x
i 2.83 x
2.00 3
2.00 6
2.00 6
2.00 9
2.00 4
1.64 3
1.64 2
1.64 6
1.63 9
1.62 4
2.84 - 2.80 (±0.01)
1.42 1 1.27 1
1.07 1
1.27 1 1.16 1
1.42 1
1.07 6 4.62 4
2.42 4
1.42 7 1.27 7
2.31 6
2.79 3 1.63 3
1.77 3
2.83 x
2.83 x
2.83 x
2.82 x
2.82 x
2.00 8
2.00 7
2.00 7
2.00 x
2.00 8
1.62 8
1.27 3
1.26 3
6.24 5
4.67 6
1.77 7
1.64 2
1.63 3
1.63 5
4.52 6
1.95 6
1.16 2
1.15 3
3.85 3
3.98 6
1.65 6
0.95 1
1.41 2
3.35 3
2.38 4
3.99 5
0.90 1
3.27 2
5.93 2
1.82 4
1.50 4
1.42 1
1.70 1
5.07 2
3.78 2
PmScO 3
AgSnSe2
ErSe
Yb2Se3
Ca3ReO6
33 - 1091
33 - 1194
18 - 490
19 - 1434
34 - 1328
2.82 x
2.82 x
2.82 x
2.82 x
2.82 x
2.00 5
2.00 9
2.00 4
2.00 8
2.00 8
2.23 3
1.74 9
1.63 4
1.63 8
1.63 8
1.82 2
7.12 8
1.41 8
1.41 8
1.41 8
1.41 1
3.31 8
1.07 1
1.27 8
1.07 8
1.26 1
2.13 8
1.26 1
1.07 8
2.30 5
1.15 1
3.51 7
2.30 1
2.30 5
1.16 5
1.28 1
3.10 7
0.82 1
1.98 5
4.62 3
SiCl4
NbS2I2
Li0.25 SrNb0.75 O3
Pb 2CoWO6
Pb 2CoWO6
10 - 220
20 - 811
25 - 1383
17 - 491
17 - 494
o 2.81 x
o 2.81 x
2.79 x
2.84 x
2.84 8
2.00 x
2.00 x
2.00 x
1.99 6
1.99 x
1.62 x
1.54 x
1.91 x
3.39 5
1.68 8
1.27 x
6.32 8
1.23 x
3.45 5
3.24 6
1.65 7
4.48 8
1.19 x
2.25 4
1.13 6
1.64 7
2.24 8
2.47 8
3.61 3
1.07 6
1.78 6
2.11 8
1.96 8
3.27 3
0.94 6
3.95 5
1.88 8
1.85 8
2.93 3
3.04 4
Ca3TeO6
Pt(NH3)4PtCl4
MnP
LiBi3S 5
CuS0.5 CN
22 2733 28 -
i
*
*
c
i
1.99 x
1.99 x
1.99 6
1.99 8
1.99 4
2.89 x
2.30 8
1.63 2
1.26 3
3.98 3
2.75 x
1.41 4
3.26 1
1.63 2
2.79 3
1.60 8
1.63 2
1.26 1
1.15 2
1.62 3
2.01 6
0.89 1
1.15 1
0.94 1
2.30 3
1.62 5
1.20 1
1.41 1
0.89 1
1.63 2
1.66 4
1.15 1
0.89 1
1.41 1
4.02 2
YInO3
KMgF 3
NaCl/Halite, syn
BePd
La 4Mn4O11
21 - 1449
18 - 1033
5 - 628
18 - 225
35 - 1354
i
2.83 x
2.82 9
2.82 x
2.82 x
2.81 x
2.32 1
0.94 1
1.42 4
4.90 5
1.27 3
1.16 1
0.90 1
1.27 4
4.01 5
4.00 2
EuNbO 3
Li0.4 Ag0.6 Br
K2CaSiO4
Sr(Mg0.33 Nb0.67 )O 3
NdScO3
File No.
26 - 1417
26 - 858
19 - 943
17 - 181
26 - 1275
I/Ic
4.10
2.90
156
817
384
791
402
0.90
4.40
71
3.2.2 Guinier-Verfahren
Beim Guinier-Verfahren erhält man durch Verwendung eines, den Primärstrahl
fokussierenden, Monochromators wesentlich schärfere und damit auch intensivere
Linien als beim Debye-Scherrer-Verfahren. Ein Monochromatorkristall, in einem
bestimmten Winkel zum Primärstrahl angeordnet, reflektiert nur Röntgenstrahlen genau
definierter Wellenlänge, die durch Monochromatormaterial ((111)-Si, (111)-Ge,
(1011) -SiO2 ) und Einstellwinkel bestimmt ist. Krümmt man nun den Monochromatorkristall mit dem Radius 2R und schleift ihn mit dem halben Krümmungsradius R
konkav an (Johansson-Typ), dann sind gleichzeitig die Reflexionsbedingung und die
Fokussierungsbedingung für alle Punkte auf dem Fokussierungskreis erfüllt (Abb.
3.2.2-1).
Abb.
3.2.2-1
Reflexionsund
Fokussierungsbedingung eines Monochromatorkristalls vom JohanssonTyp. SF... Strichfokus (Brennfleck)
der Röntgenröhre, SF' ... Fokus des
reflektierten Strahls (Kleber,5-19,
1992).
Beim Guinier-Verfahren liegen der Brennfleck (Strichfokus) der Röntgenröhre, der
Johansson-Monochromator und der Fokus des am Monochromator reflektierten
Primärstrahls auf einem Kreis (Monochromator-Fokussierungskreis). Die zylinderförmige Film-Kammer kann nun im Durchstrahl- oder Rückstrahlsmodus verwendet
werden, je nachdem ob das auf einem ebenen Probenträger aufgebrachte Pulver
durchstrahlt werden soll (kann) oder nicht (Abb. 3.2.2-2).
Falls die Probengeometrie idealerweise einem Kreisbogen entspricht, und der Primärstrahl auf denselben Kreis genau gegenüber der Probe fokussiert wird, dann werden alle
von der Probe abgebeugten Strahlen auf Orte auf dem Kreisumfang fokussiert (alle
Peripheriewinkel über dem gleichen Bogen sind gleich, siehe Abb. 3.2.2-3).
72
Abb. 3.2.2-2 Guinier-Methode nach dem symmetrischen (a) Durchstrahl- und (b) Rückstrahlverfahren.
M...Monochromator, F...Film, SF...Strichfokus (Brennfleck) der Röntgenröhre (Kleber, 5-18, 1992).
Abb. 3.2.2-3 Alle Peripheriewinkel
ACA', ADA', AEA',.... über dem
gleichen Bogen AA' sind gleich: wenn
der aus B kommende konvergente
Primärstrahl in F fokussiert wird, werden
auch alle abgebeugten Strahlen auf den
Kreis
fokussiert.
Da
auch
die
Peripheriewinkel über dem Bogen CD
nach A, A' und für alle zwischen A und
A' liegenden Punkte gleich sind, werden
auch alle von verschiedenen Probenorten
ausgehenden Strahlen auf den Kreis
fokussiert (Glasser, 6-6, 1977).
73
4. Pulverdiffraktometrie
Kennt man nicht nur die Positionen der Reflexe eines Pulverdiagramms, sondern auch
ihre Intensitäten, dann kann man eine quantitative Strukturanalyse (Rietveld-Verfeinerung) durchführen. Die oben erwähnten Pulver-Methoden mit Film-Registrierung
sind dazu jedoch nicht zu gebrauchen. Man verwendet heute automatische, hochauflösende Pulverdiffraktometer mit hochempfindlichen Detektoren (Szintillationszähler, Halbleiterdetektoren). Im Labor kommen dabei hauptsächlich Methoden, wie
das parafokussierende Bragg-Brentano Rückstrahl- oder das fokussierende SeemannBohlin Durchstrahl-Verfahren, zum Einsatz (Abb. 3.2.3-1).
Abb. 3.2.3-1 Fokussierende Verfahren mit Primärstrahlmonochromator: (a) Bragg-Brentano- und (b)
Seemann-Bohlin-Verfahren (Cahn, 4-42, 1992).
74
Mit diesen Techniken können Halbwertsbreiten der Reflexe in der Grössenordnung von
0.1° erreicht werden. Noch wesentlich höhere Auflösung lässt sich nur mehr mit nahezu
paralleler Synchrotronstrahlung erzielen. Dies ist vor allem für komplexere Strukturen
von Interesse, bei denen oft mehrere hundert bis tausend Linien in einem
Pulverdiagramm auftreten können. Je weniger Linien einander überlappen, desto
einfacher und genauer wird eine Strukturanalyse (Abb. 3.2.3-2).
Abb. 3.2.3-2 Beispiel eines Pulverdiagramms, Korund, α-Al2O3. Oben: die gepunktete Kurve entspricht
den Messwerten, die durchgezogene Kurve stammt aus der Rietveld-Verfeinerung; die Striche darunter
markieren die möglichen Reflexpositionen. Mitte und unten: Differenzkurven zwischen beobachteten und
berechneten Intensitäten (Young, 5-5, 1993).
Verwendet man einen ortsempfindlichen Detektor (Position Sensitive Detector, PSD)
können Pulverdiagramme wesentlich schneller aufgenommen werden (bis Faktor 1000)
und es lassen sich beispielsweise chemische Reaktionen verfolgen oder Phasenübergänge untersuchen (Abb. 3.2.3-3)
75
Abb. 3.2.3-3 Serie von Pulverdiffraktogrammen zur Untersuchung des peritektischen Zerfalls des
Hochtemperatursupraleiters YBa2 Cu3 O7 – δ als Funktion der Temperatur (Cahn, 4-45, 1992).
5. Phasenanalyse
Die Pulverdiffraktometrie ist auch zur qualitativen und quantitativen Analyse
mehrphasiger Systeme geeignet. Die Nachweisempfindlichkeit hängt dabei vom SignalUntergrund-Verhältnis ab, das durch längere Messzeiten verbessert werden kann,
während das inhärente Rauschen der Zählkette und zu geringe Reflex-Auflösung
praktisch kaum mehr zu verschiebende Grenzen setzen. Mit Standard-Laborgeräten
erzielt man meist eine Nachweisempfindlichkeit von ≈1%, mit Synchrotronstrahlung
und ortsempfindlichen Detektoren kann man bis zu 0.0001% erreichen (Abb. 3.2.4-1).
(a)
76
Log PSD data collection time
10 min
104
18 hrs
75 days
Log Conc in ppm
103
102
Al2O3 in Si
101
Si inAl2O3
SiO2 in Al2O3
100
0
(b)
1
2
3
4
5
6
7
Abb. 3.2.4-1 (a) Pulverdiffraktogramme von
verunreinigtem Silizium, aufgenommen mit
0.1, 1 und 10 Sekunden Messzeit pro
Messpunkt. (b) Theoretische Nachweisgrenze
für drei unterschiedliche Phasengemische bei
ausschliesslicher
Berücksichtigung
der
Zählstatistik (Cahn, 4-56,-57, 1992).
8
Log background counts
Kennt man die qualitative Zusammensetzung eines Phasengemischs, so kann man aus
den Intensitätsverhältnissen der zu den verschiedenen Phasen gehörigen Teildiffraktogramme seine Zusammensetzung quantitativ bestimmen. Besondere Probleme
verursacht dabei aber die im allgemeinen unterschiedliche Absorption der einzelnen
Komponenten. Die allgemeinste Methode zur Phasenanalyse, die diese Problematik
berücksichtigt, ist die sogenannte Eichstandard-Methode (Internal Standard Method).
Die Intensität Iiα einer Pulverlinie i der Phase α lässt sich durch
Kiα
I0 λ3 e4 Mi
Iiα = µ mit Kiα =
F
32πrm e2c4 2Vα2 iα
2
1 + cos22θicos 22θm
sin 2θ icosθi
beschreiben, wobei µ den linearen Absorptionskoeffizienten verkörpert, der
Multiplizitätsfaktor Mi eines Reflexes der Überlagerung symmetrieäquivalenter
Reflexe Rechnung trägt, und der Faktor 1 2 , mit dem Elementarzellvolumen Vα aus
2Vα
dynamischen Streueffekten folgt. Der Lorentz-Faktor 1/ sin2θicosθ i berücksichtigt die
für jeden Reflex unterschiedliche Durchtrittszeit durch die Ewald-Kugel, und der
Polarisationsfaktor 1 +cos 22θi cos22θm beschreibt den Einfluss der Polarisierung des
Primärstrahls durch den Monochromator und die Probe.
Die Intensität Iiα einer Pulverlinie i der Phase α in einem Phasengemisch ist dann durch
KiαXα
ρα(µ / ρ)m
gegeben, wobei Xα der Gewichtsanteil der Phase α ist, ρα ihre Dichte, und (µ / ρ)m
den Massenabsorptionskoeffizienten der Phasenmischung bedeuten. Dieser letzte Term
macht auch die grössten Probleme: um ihn zu berechnen müsste man die
Zusammensetzung der Mischung bereits kennen. Die Eichstandardmethode löst dieses
Problem nun durch Elimination dieses Terms durch Bildung des Verhältnisses
Iiα =
77
I iα
X
=k Xα
I js
s
wobei sich die Subskripte i, j auf verschiedene Pulverlinien beziehen; k entspricht der
Steigung einer experimentellen Kalibrierungskurve (Abb. 3.2.4-2). Fügt man zu einem
Phasengemisch nun definierte Mengen einer Standardsubstanz s zu, so können bei
Kenntnis der Eichstandarddiagramme ( I iα /I js Xs gegen Xα ) aus den Intensitätsverhältnissen der Pulverlinien die Gewichtsanteile aller Mischungskomponenten
quantitativ bestimmt werden (Abb. 3.2.4-2).
(a)
(b)
Abb. 3.2.4-2 (a) Eichstandarddiagramm zur Bestimmung von Quarz ( SiO2 ) in Fluorit ( CaF2 ); (b)
Profile durch eine Reflexgruppe eines Phasengemischs von CaCO3 / CaF2 nach Zugabe von 60%
(oben), 40% (Mitte) und 20% (unten) Quarz als Standard (Nuffield, 5-13,-14, 1966).
78
5.1.1 Linienverbreiterungen
Die Halbwertsbreite und Form der Linienprofile in Pulverdiagrammen wird von vielen
Faktoren beeinflusst. Dazu gehören einmal vom experimentellen Aufbau bestimmte
Grössen, wie spektrale Verteilung, Strahldivergenz, Fokusgrösse, Spaltparameter und
Detektorauflösung, und
andrerseits von der Probe herrührende Einflüsse wie
Probenvolumen, sowie Verteilung, Realstruktur und Grösse der Pulverkörner. Die
Instrumentenfunktion kann man berechnen bzw. mit möglichst perfekten und gut
definierten Standards experimentell bestimmen (Abb. 3.2.5-1). Damit lässt sich dann
der Beitrag des untersuchten Materials abtrennen.
Abb. 3.2.5-1 Instrumentell bedingte Halbwertsbreite der Linienprofile als Funktion des Beugungswinkels
für einige Neutronen- und Röntgen-Pulverdiffraktometer (Neutronen: HRPD, D2B, SEPD; Synchrotron:
CHESS) (Young, 5-1, 1993).
Die Grösse der Kristallite, also die Grösse der einkristallinen Bereiche, die nicht
notwendigerweise mit der Grösse der Pulverkörner identisch sein muss, lässt sich über
die Linienbreite ableiten (Abb. 3.2.5-2). Nach Scherrer (1916) ist die
Linienverbreiterung β τ mit der Kristallitgrösse (Korngrösse) τ über die Gleichung
τ=
λ
β τcos θ
verbunden. Mit dieser Scherrer-Gleichung können Kristallitgrössen im Bereich von 10
bis 10000 Å bestimmt werden. Die Grösse von Partikeln, die in einer Matrix fein
verteilt sind, kann mit Kleinwinkelstreumethoden untersucht werden.
79
Abb. 3.2.5-2 Neutronen-Pulverdiffraktogramme für Anglesit,
Kristallitgrösse von 1200 Å in (a) und von 150 Å in (b) (Young, 1993).
PbSO4 , mit einer mittleren
80
Eine weitere Ursache der Linienverbreiterung ist das Vorliegen innerer Verspannungen,
wie sie beispielsweise durch die Erzeugung von Defekten schon beim Pulverisieren
metallischer Proben auftreten können (Abb. 3.2.5-3). Die dadurch bedingte
Linienverbreiterung βε ist mit der innerern Spannung ε über die Gleichung
βε = 4εtan θ
verknüpft. Die unterschiedliche Abhängigkeit der Linienverbreiterung von θ , einmal
mit 1/cosθ und einmal mit tan θ , erlaubt den Beitrag der Kristallitgrösse von derjenigen
der inneren Spannungen zu separieren.
Strain free crystallite
d
d
Tensile and
compressive
stress
Abb. 3.2.5-3 Änderung von Netzebenenabständen d als Folge innerer Spannungen
(Cahn, 4-29, 1992).
5.2 Texturen und Polfiguren
In polykristallinen Materialien kann es zu einer Vorzugsorientierung der Kristallite
kommen. Dies ist zumeist eine Folge der Bearbeitung, wie das Walzen von Blechen und
das Ziehen von Drähten, oder der Rekristallisation bei der Wärmebehandlung plastisch
verformter Materialien (Abb. 3.3-1). In vielen Fällen ist die Kenntnis der Textur eines
Materials von Bedeutung, da seine Eigenschaften durch eine Vorzugsorientierung der
Kristallite erwünschter- oder unerwünschterweise stark verändert werden können: das
Material wird anisotrop.
(a)
81
(b)
Abb. 3.3-1 (a) Schematische Darstelllung des Beugungsbilds eines kaltgezogenen Aluminiumdrahts. Den
bei ideal statistischer Verteilung allein zu erwartenden Pulverringen (Laue-Kegel) sind Reflexe aus der
Vorzugsorientierung überlagert. (b) Beziehungen zwischen Beugungsbild und stereographischer
Projektion der Flächenpole (Barrett & Massalski, 9-1,-2, 1980).
Wie in Abb. 3.3-1 und 3.3-3 schematisch dargestellt, wird eine bestimmte
interessierende Netzebene (hkl) über den, ihr im Beugungsbild zuordbaren, Reflex S
identifiziert, und daraus eine bestimmte Orientierung des dazugehörigen Kristalliten
abgeleitet. Die Netzebenennormale für diese Kristallitorientierung durchstösst die
Lagenkugel im Flächenpol P, der dann auf die Projektionsebene in den Punkt P'
projiziert wird. Die Projektionsebene steht dabei bei Blechen gewöhnlich parallel zur
Blechoberfläche, bei Drähten senkrecht zur Drahtachse. Registriert man nun die
Häufigkeit des Auftretens einer bestimmten Orientierung der Netzebene (hkl) mit Hilfe
der stereographischen Projektion, so erhält man die für eine Textur typische Polfigur.
Die Bestimmung der Orientierungsverteilungsfunktion (ODF) der Kristallite kann mit
unterschiedlichen Methoden erfolgen, am umfassendsten jedoch mit Hilfe eines
Texturgoniometers (Abb. 3.3-2). Die Darstellung der ODF erfolgt dann in Form von
Polfiguren.
82
Abb. 3.3-2 Texturgoniometer
(Huber, 1994).
Abb. 3.3-3 (a) Darstellung der Netzebenebene (hkl) in der stereographischen Projektion; (b) Projektionsebene mit Winkelnetz; (c) drei Körner im gewalzten Blech; (d) Polfigur eines 90% kaltgewalzten
austeniti-schen Stahls: WR...Walzrichtung, QR...Querrichtung, 1-2 mittlere, 0-1 unter- und >2
überdurchschnittliche Häufigkeit der (111)-Ebenen in bestimmten Orientierungen (Hornbogen, 1-23,
1994).
83
5.3 Röntgentopographie
Unter Röntgentopographie fasst man alle Techniken zusammen, die die Empfindlichkeit
der Intensitäten abgebeugter Röntgenstrahlen auf Störungen des Kristallgitters
(Versetzungen, Korngrenzen, Einschlüsse,...) zur Abbildung eben dieser Defekte
nutzen. Die einfachste und schnellste Methode ist, an grossen Kristallen LaueAufnahmen mit Synchrotronstrahlung, also intensiver Parallelstrahlung mit grossem
Querschnitt,
zu machen; die innere Struktur (Intensitätsverteilung) der auf
hochauflösendem Röntgenfilm abgebildeten abgebeugten Röntgenstrahlen spiegelt dann
auf charakteristische Art und Weise die Kristalldefekte wieder. Im Labor verwendet
man haüfig die beiden folgenden Techniken:
Berg-Barrett-Methode: Diese apparativ sehr einfache Methode ist gut geeignet zur
Oberflächenuntersuchung von Kristallen, Vergrösserungen zwischen 1x bis
100x sind erzielbar (Abb. 3.4-1).
(a)
(b)
Abb. 3.4-1 (a) Experimenteller Aufbau für die Berg-Barrett-Methode: ein möglichst paralleler
monochromatischer Strahl von einer Strichfokusröhre oder einem Synchrotron-Speicherring fällt
möglichst flach auf einen grossen Kristall in Reflexionsposition. Der Film soll nicht weiter als etwa 1 mm
vom Kristall entfernt sein. (b)
Röntgentopographische Aufnahme eines
V3Si-Kristalls mit
Zwillingslamellen, 15x (Barrett & Massalski, 15-2,-3, 1980).
84
Lang-Methode: Bei dieser Methode können Probe und Film zusammen gegen den
monochromatischen Röntgenstrahl bewegt werden, die Probe wird dabei
durchstrahlt, Vergrösserungen 1x bis 300x sind erreichbar (Abb. 3.4-2)
(a)
(b)
Abb. 3.4-2 (a) Experimenteller Aufbau für die Lang-Methode: ein monochromatischer Strahl aus einer
Punktfokusröhre fällt durch einen Spalt auf die Probe. Der abgebeugte Strahl gelangt durch einen feststehenden zweiten Spalt auf den Film und erzeugt dort eine topographische Schnitt-Aufnahme. Bewegt
man nun Probe und Film gemeinsam gegen Röntgenstrahl und Spaltsystem, erhält man eine Abbildung
aller Defekte im Volumen, eine topographische Projektions-Aufnahme. (b) Topographische ProjektionsAufnahme eines LiF-Kristalls, Versetzungen und Korngrenzen zeigend (Barrett & Massalski, 15-5,-6,
1980).
85
6. Kristallphysik
6.1 Grundlagen
Die Kristallphysik ist jener Teil der Festkörperphysik bei dem die kristallographische
(strukturelle) Betrachtungsweise im Vordergrund steht. Besondere Berücksichtigung
findet dabei die auf dem atomaren Aufbau der Kristalle beruhende Anisotropie
elastischer, elektrischer, magnetischer und optischer Eigenschaften. Neben richtungsunabhängigen Grössen wie Masse, Dichte, spezifische Wärme etc. werden auch
richtungsabhängige Parameter wie thermische Ausdehung, elektrische und thermische
Leitfähigkeit etc. behandelt. Die Kristalleigenschaften, die die Beziehungen zwischen
richtungsabhängigen Grössen bestimmen, werden durch Tensoren beschrieben.
Skalare (Tensoren nullter Stufe) sind Funktionen des Ortes (Zeit,...), die jedem Punkt
einen Zahlenwert (Betrag) zuordnen (Temperatur, Massendichte, Elektronendichte,..).
Ein Pseudoskalar ist der Inversion gegenüber nicht invariant sondern ändert sein
Vorzeichen (optische Aktivität im isotropen Medium).
Vektoren (Tensoren erster Stufe) sind Funktionen des Ortes (Zeit,...), die jedem Punkt
einen Betrag und eine Richtung zuordnen (Kraft, dielektrische Verschiebung,
magnetische Feldstärke, Temperaturgradient,...). Man unterscheidet zwischen polaren
(Pfeil) und axialen (Pfeil und Drehsinn) Vektoren (Abb. 4.1-1). Mit polaren Vektoren
werden beispielsweise die elektrische Feldstärke oder Kräfte beschrieben, axiale
Vektoren (Pseudovektoren) kennzeichnen dagegen die magnetische Feldstärke oder
Drehmomente.
Tensoren m-ter Stufe sind Funktionen des Ortes (Zeit,...), die in jedem Punkt z.B.
einem dort gegebenen Vektor einen Tensor (m-1)-ter Stufe zuordnen. Man
unterscheidet auf Grund ihrer Symmetrieeigenschaften polare und axiale Tensoren
(Pseudotensoren). Tensoren (Pseudotensoren) gerader Stufe sind der Inversion
gegenüber (nicht) invariant.
(-)
(+)
≡
(+)
≡
(-)
(a)
(b)
Abb. 4.1-1 Schematische Darstellung von (a) polaren und (b) axialen Vektoren (Paufler, 1-3, 1986).
Aus der Symmetrie der Eigenschaftstensoren lässt sich im Vergleich mit der
Punktsymmetrie der untersuchten Kristalle auch die prinzipielle Möglichkeit des
Auftretens eines bestimmten physikalischen Effekts leicht feststellen. So ist z.B. aus
der Form des piezoelektrischen Tensors, eines Tensors dritter Stufe, zu erkennen, dass
Substanzen mit Inversionszentrum keinen piezoelektrischen Effekt zeigen können.
86
Diese Kenntnisse sind bei der Suche nach Materialien mit genau definierten
Eigenschaften ausserordentlich hilfreich.
Wir werden uns im Folgenden mit der Anisotropie von Gleichgewichtseigenschaften
(thermodynamisch reversibel) sowie von Transporteigenschaften (thermodynamisch
irreversibel) beschäftigen. In Abb. 4.1-2 sind die Beziehungen zwischen den
thermischen, elektrischen und mechanischen Eigenschaften gegeben.
Abb. 4.1-2 Schematische Darstellung der Beziehungen zwischen mechanischen, thermischen und
elektrischen Eigenschaften eines Kristalls. Die Stufe der jeweiligen Eigenschaftstensoren ist in
eckigen Klammern angegeben, die der Variablentensoren in runden (Nye, 10-1a, 1995).
In den drei äusseren Kreisen sind als induzierende Grössen (i.e. auf den Kristall
einwirkende “Kräfte”) die Temperatur T (skalar), das elektrische Feld E (Vektor) und
die mechanische Spannung
(Tensor 2. Stufe) gegeben. In den drei dazu
korrespondierenden inneren Kreisen findet man die induzierten Grössen als direktes
Resultat einwirkende “Kräfte”: die Entropie S (skalar), die dieelektrische
Verschiebung D (Vektor) sowie die Deformation (Tensor 2. Stufe). Die (dicken)
87
Verbindungslinien zwischen den direkt benachbarten Kreisen bezeichnen die
Primäreffekte:
•
Eine kleine Änderung der absoluten Temperatur T bewirkt eine Änderung der
Entropie S
dS=(cp/T)dT,
wobei cp (skalar) die Wärmekapazität pro Volumseinheit des Kristalls bedeutet.
•
Eine kleine Änderung des elektrischen Feldes E bewirkt eine Änderung der
dielektrischen Verschiebung D (beides Vektoren)
dD= dE,
wobei (Tensor 2. Stufe) die Permittivität des Kristalls bedeutet.
•
Eine kleine Änderung der mechanischen Spannung σ bewirkt eine Änderung der
Deformation (beides Tensoren 2. Stufe)
dε=sdσ,
wobei s (Tensor 4. Stufe) die Elastizität des Kristalls bedeutet.
Das Diagramm zeigt auch die gekoppelten Effekte (längs dünner Verbindungslinien).
Dazu gehören beispielsweise:
•
Die Deformation eines Kristalls, hervorgerufen durch eine Temperaturänderung
d = dT,
mit , dem Tensor (2. Stufe) der thermischen Ausdehnung.
88
7. Bezugssysteme
Kristallographische Koordinatensysteme ai (i=1,..,3) sind der Symmetrie und Metrik
der Kristallgitter angepasst und daher im allgemeinen nicht kartesisch. Die praktische
Behandlung von anisotropen physikalischen Grössen wird damit sehr schnell
unbequem. Anders als zur Beschreibung morphologischer Eigenschaften benutzt man
deshalb zur Darstellung physikalischer Eigenschaften eines Kristalls fast ausnahmslos
ein kartesisches Bezugssystem e k (k=1,..,3), welches gemäss folgender Konvention
mit dem kristallographischen System verknüpft ist: Die Basisvektoren a 1 und a3
spannen eine Ebene mit den Miller-Indizes (010) auf. Das kristallphysikalische
Bezugssystem wird nun so gelegt, dass
e2 ⊥ (010) und e3 || a3 verläuft (Abb.
4.1.1-1 und Tab. 4.1.1-1). In den
orthogonalen Koordinaten-systemen
gilt ei || ai.
Abb. 4.1.1-1
Zusammenhang
zwischen kristallographischem und
kristallphysikalischem Bezugssystem
im monoklinen Kristallsystem.
Tabelle 4.1.1-1 Orthonormierte kristallphysikalische Koordinatensysteme (Kleber, 4-2, 1990).
Kristallsystem
Triklin
Monoklin
Rhombisch
Tetragonal
Hexagonal
β ≠ 90°
γ ≠ 90°
Orthonormierte Basisvektoren
e1
e2
||(010) und
⊥(010)
⊥[001]
⊥(100)
||[010]
||[100]
⊥(010)
||[100]
||[010]
||[100]
||[010]
||[10.0] bzw.
||[12.0] bzw.
⊥(21 10)
⊥(011 0)
e3
||[001]
||[001]
||[001]
||[00.1] bzw.
⊥(0110)
Rhomboedrisch
|| 110
|| 112
|| 111
Kubisch
||[100]
||[010]
||[001]
89
8. Definition von Eigenschaften
Für die Definition von Eigenschaften hat sich das Konzept der induzierenden und
induzierten Grössen bewährt. Lässt man auf einen Probenkörper eine oder mehrere
unabhängige Grössen Ai einwirken, so rufen diese Effekte hervor, die man mit Hilfe
der abhängigen Grössen Bi (Antwort- oder Responsefunktionen) darstellen kann.
Beispiele für Ai sind Temperatur T, Temperaturgradient ∆T bzw. grad T,
hydrostatischer Druck p, allgemeine mechanische Spannungszustände , elektrisches
oder magnetisches Feld E bzw. H. Die induzierten Grössen B i können z.B.
kalorischer Wärmeinhalt cp, Wärmestromdichte jQ, mechanische Deformationen ,
elektrische Stromdichte j, elektrische oder magnetische Polarisation P bzw. J sein.
Formal lässt sich der Zusammenhang zwischen induzierenden und induzierten
Grössen gemäss
Bi=fijkl...AjAkAl...
darstellen. Die Funktionen fijkl... (Materialkonstanten) beschreiben dabei diejenige
Eigenschaft des Kristalls, welche unter den Einwirkungen der Aj, Ak, A l usw. die
Grösse Bi hervorruft. Der Zusammenhang zwischen induzierenden und induzierten
Grössen kann vollständig reversibel sein, eine Hysterese aufweisen oder irreversibel
sein (Abb. 4.1.2-1). Weiters kann die Antwortfunktion linear oder nichtlinear sein.
Abb. 4.1.2-1 Beispiele funktioneller Abhängigkeiten von Antwortfunktionen Y=f(X) in schematischer
Darstellung: (a) reversibel linear, (b) reversibel nichtlinear, (c) mit Hysterese (Göpel/Ziegler, 4.0-1,
1996).
90
9. Symmetrie kristallphysikalischer Eigenschaften
Da alle physikalischen Eigenschaften eines Kristalls auf die geometrische Anordnung
(Kristallstruktur) und Verknüpfung (chemische Bindung) seiner Strukturelemente
zurückgehen, muss die Symmetrie der physikalischen Eigenschaften auch die
Symmetrie des Kristalls zum Ausdruck bringen (Abb. 4.1.2.-1 und 4.1.3-1). Wenn
man vom idealen Kristall ausgeht, gilt das
Neumannsche Prinzip: Die räumliche Symmetrie einer Eigenschaft kann nicht
geringer sein als die strukturelle Symmetrie des Kristalls.
Für alle makroskopischen Eigenschaften tritt an Stelle der Raumgruppensymmetrie
der Kristallstruktur die dazugehörige Punktgruppensymmetrie, da die Translationsoperationen makroskopisch keine unmittelbare Bedeutung haben. Das Neumannsche
Prinzip manifestiert sich, beispielsweise, unmittelbar in der Tracht eines idiomorphen
Kristalls. Die ausgebildeten Flächenformen spiegeln einerseits die Punktsymmetriegruppe wider und bilden andrerseits eine Art natürliche Bezugsfläche für die
Anisotropie der Grenzflächenenergie.
In der Sprache der Gruppentheorie lautet das Neumannsche Prinzip
GE ⊇ GK ,
d.h. die Symmetriegruppe GE der Eigenschaft ist entweder gleich der
Symmetriegruppe GK des Kristalls oder einer ihrer Obergruppen (Abb. 4.1.3-2).
(a)
(b)
(c)
(d)
Abb. 4.1.3-1 (a) Stereographische Projektion der Punktgruppe 32. (b) Morphologie von α-Quarz. (c)
Piezoelektrischer Longitudinal-Effekt von Quarz in der Ebene (001). (d) Longitudinaler elastischer
Widerstand in der (001)-Ebene von Quarz (Haussühl, 1993, 75; Klockmann, 1978, 102; Haussühl,
1983, 37).
91
Abb. 4.1.3-2 Gruppen-Untergruppen-Beziehungen der 32 kristallographischen Punktgruppen
(International Tables for Crystallography, 10.3-2, 1992).
Zur Beschreibung der Symmetrie physikalischer Eigenschaften als Obergruppen zu
den 32 kristallographischen Punktgruppen
benötigt man noch die sieben kontinuierlichen
Punktgruppen, auch Curie-Gruppen genannt
(Abb. 4.1.3-2 und Tab. 4.1.3-1): die Gruppen
∞, ∞2 und 2∞ sind enantiomorph, können
also in Rechts- und Linksform auftreten. Die
Gruppen ∞, ∞2, ∞m, ∞/m weisen eine
ausgezeichnete Achse auf, während 2∞ und
m∞ isotrope Medien kennzeichnen. Ein
Symmetriezentrum besitzen nur die Gruppen
∞/m, ∞/mm und m∞ . Polare Achsen treten
nur in den Gruppen ∞ und ∞m auf. Ein
Beispiel für die Symmetrieklassifizierung von
physikalischen Feldern ist in Tab. 4.1.3-1
gegeben.
Abb. 4.1.3-2 Geometrische Darstellung der kontinuierlichen Punktgruppen (Kleber, 4-2, 1990).
92
Tabelle 4.1.3-1 Charakteristika der sieben kontinuierlichen Punktgruppen (Kleber, 4-4, 1990)
Vollständiges
Symbol
Kurzsymbol
Andere
gebräuch
-liche
Symbole
∞
∞
∞
m
∞/ m
∞
∞2
∞2
∞m
∞2
mm
Symbol
nach
SCHÖN-
Inversionszentrum
Enantiomorphie
Optische
Aktivität
Piezoelektrizität
Pyroelektrizität
C∞
—
+
+
+
+
FLIES
Beispiele
nematischer flüssiger
Kristall aus optisch
aktiven, polaren
Molekülen
+
—
—
—
—
∞22
C∞h
S∞
C∞i
D∞
—
+
+
+
—
∞m
∞mm
C∞v
—
—
—
+
+
∞/mm
∞m
2
∞m
D∞h
+
—
—
—
—
nematischer flüssiger
Kristall
2∞
∞∞
K
—
+
+
—
—
m∞
∞∞∞
∞∞
∞∞m
∞∞∞
m mm
optisch aktive
Flüssigkeit
Kh
+
—
—
—
—
isotrope Flüssigkeit
nematischer flüssiger
Kristall aus
paramagnetischen
Molekülen
nematischer flüssiger
Kristall aus optisch
aktiven Molekülen
nematischer flüssiger
Kristall aus polaren
Molekülen
∞/mmm
2∞
2
m∞
Tabelle 4.1.3-2 Punktsymmetrien physikalischer Felder (Paufler, 1986)
_____________________________________________________________________
Punktgruppe
Feld
_____________________________________________________________________
∞m
homogenes elektrisches Feld E
∞/m
homogenes magnetisches Feld H
∞/mm
uniaxiale mechanische Zug-oder Druckspannung σii
mmm
reine Scherspannung σ ij mit i ≠ j
m∞
hydrostatischer Druck p
_____________________________________________________________________
Unter dem Einfluss induzierender Grössen können sich nicht nur die physikalischen
Eigenschaften eines Kristalls ändern, sondern auch seine Symmetrie. Curie studierte
den Zusammenhang zwischen der Punktsymmetrie elektrischer und magnetischer
Felder im Vakuum und der Symmetrie der elektrischen und magnetischen
Eigenschaften von Kristallen in diesen Feldern (Tab. 4.1.3-2).
Curiesches Prinzip: ein unter einer äusseren Einwirkung stehender Kristall weist
diejenigen Symmetrieelemente auf, die dem Kristall ohne diese Einwirkung und der
Einwirkung ohne den Kristall gemeinsam sind.
93
Im Formalismus der Gruppentheorie wird dieses Prinzip durch
GEF ⊇ GKF = G F ∩ G K
beschrieben. Die Punktgruppe GKF des Kristalls im Feld ergibt sich als Schnittmenge der Punktgruppen GF des Feldes und GK des Kristalls. Dies bedeutet im
allgemeinen eine Symmetrieerniedrigung für den Kristall im Feld, so dass nun
physikalische Effekte auftreten können, welche im feldfreien Kristall aus
Symmetriegründen verboten sind.
Beispiel:
4 3m uniaxialen Druck
Üben wir auf einen kubischen Kristall mit der Punktgruppe m
längs der vierzähligen Achse aus, so erhalten wir als mögliche Punktsymmetrie
beliebiger physikalischer Effekte an diesem Kristall
4 2 = ∞ 2 ∩432
GEF ⊇ m
m mm m m
4 2 2 . So wird z.B. ein im
eine Obergruppe der tetragonalen Punktgruppe m
mm
spannungsfreien Zustand optisch isotroper Kristall damit anisotrop, d.h. man
beobachtet eine Doppelbrechung ∆n (vgl. § 4.3.2), die sogenannte
Spannungsdoppelbrechung.
94
10. Thermische Eigenschaften
11. Der Tensor der thermischen Ausdehnung
Die thermische Ausdehnung von Kristallen ist im allgemeinen richtungsabhängig
(Tabelle 4.2.1-1). Die relative Längenänderung eines Materials in einer Richtung von
lo auf l ist proportional zu einer Temperaturerhöhung von To auf T
l –l 0 /l = α T– T0
wobei α, der lineare thermische Ausdehnungskoeffizient, eine Materialeigenschaft ist.
Tabelle 4.2.1-1 Lineare thermische Ausdehnungskoeffizienten α einiger Materialien zwischen 0° und
100°C (Kleber, 4-1, 1990; Göpel/Ziegler, 2.1-3, 1996)
Material
Kristallklasse
Ausdehnungskoeffizient α in 10 -6 K-1
Diamant C
Steinsalz NaCl
Fluorit CaF2
Invar Fe64Ni36
m3m
m3m
m3m
m3m
1,2
40
19
1,6
Wolfram W
m3m
4,5
Kupfer Cu
m3m
16,5
Silber Ag
m3m
19
Aluminium Al
m3m
23,6
Cesium
m3m
97
Quarzglas SiO2
m∞
0,5
Al2O3-Keramik
MgO-Keramik
Polystyrol
Teflon
Polyisopren
m∞
m∞
m∞
m∞
m∞
Quarz SiO2
Zink Zn
Graphit C
Brucit Mg(OH)2
Portlandit Ca(OH)2
Calcit
32
6/mmm
6/mmm bzw.
3m
3m
3m
8,8
13,5
50−85
135−150
220
||
9
55
26
45
33
26
a
Aragonit
Chrysoberyll
α ||
α⊥
αa ,αb ,αc
14
14
-1,2
11
10
-6
b
mmm
10
16
mmm
6,0
6,0
Ausdehnungskoeffizient parallel zur c-Achse
Ausdehnungskoeffizient senkrecht zur c-Achse
Ausdehnungskoeffizienten in Richtung der a-, b- bzw. c-Achse
c
33
5,2
95
Die thermische Ausdehnung eines Materials könnte man experimentell dadurch
veranschaulichen, dass man eine Kugel mit Radius R aus dem Material
herausschneidet und erwärmt. Aufgrund der Richtungsabhängigkeit von α würde die
Kugel im allgemeinsten Fall zu einem allgemeinem Ellipsoid verformt werden (Abb.
4.2.1-1). Ein ursprünglich auf der Kugeloberfläche liegender Punkt X mit dem
Ortsvektor r würde um den Vektor u nach X' auf der Ellipsoidoberfläche
verschoben.
Diese Zuordnung, die die Komponenten
ui von u linear mit den Komponenten
xi von r verknüpft kann in der Form
u=εr geschrieben werden. Da u und r
unterschiedliche Richtungen haben
können muss man für die Komponenten
angeben
u1 = ε11x1 + ε 12x2 + ε13x3
u2 = ε21x1 + ε 22x2 + ε23x3
u3 = ε31x1 + ε 32x2 + ε 33x3
Summarisch kann man schreiben
ui = Σ ε ijx j oder kürzer, der Einsteinj
Konvention gemäss, ui = εijx j , wobei
über mehrfach vorkommende Indizes
auf der rechten Seite des Gleichheitszeichens aufsummiert wird.
Abb. 4.1.1-1
Anisotrope thermische Ausdehnung, bei der aus einer Kugel ein
allgemeines Ellipsoid wird (Kleber, 4-1, 1990)
Die Koeffizienten ε ij repräsentieren die Komponenten eines Tensors zweiter Stufe
und können in Matrixdarstellung geschrieben werden. Damit kann man die Beziehung
ui = εijx j als Matrixmultiplikation formulieren
u1
ε11 ε 12 ε 13 x1
u2 = ε21 ε22 ε 23 x2
u3
ε31 ε 32 ε33 x3
Bei einer thermischen Deformation sind innerhalb eines linearen Ansatzes die
Komponenten ε ij proportional zur Temperaturänderung ∆T
ε ij = α ij∆T
Die Komponenten εii beschreiben Longitudinaleffekte, die Grössen εij (i≠j) geben
direkt die Scherung eines Volumelements an. Von den neun Tensorelementen sind
sechs voneinander unabhängig, die drei longitudinalen und die drei transversalen
96
Komponenten εii bzw. εij (i≠j, j>i). Beachte, hier wird die Einstein-Konvention nicht
angewandt, da auf der rechten Seite der Gleichung keine Indizes doppelt vorkommen.
Die Koeffizienten αij bilden ihrerseits gleichfalls einen Tensor, den Tensor der
linearen thermischen Ausdehnung.
Um die thermische Ausdehnung über einen grösseren Temperaturbereich zu
beschreiben benötigt man jedoch noch weitere Terme
ε ij = α ij∆T + β ij ∆T + γij ∆T +...
2
3
Die Tensoren der thermischen Ausdehnung αij , βij, γij sind alle von zweiter Stufe.
(a)
(b)
Abb. 4.2.1-2 (a) Potentialverlauf für ein Teilchen im Kraftfeld eines ruhenden zweiten Teilchens als
Funktion des Abstands r. (b) Potential eines Lithium-Atoms in Li 3N in der Richtung -N-Li-Li-N- bei
888 K. In beiden Fällen ist das harmonische Potential gestrichelt eingezeichnet (Paufler, 6-6,-7 1986).
Atomistisch lässt sich das Zustandekommen der thermischen Ausdehnung durch den
wachsenden Einfluss anharmonischer Terme bei zunehmenden Amplituden der
Wärmeschwingungen der Atome erklären: in Abb. 4.2.1-2 (a) ist schematisch der
Potentialverlauf für ein Atom als Funktion des Abstands von einem weiteren Atom
eingezeichnet. Im Zustand Vo hält sich das Atom im Gleichgewichtsabstand r o auf,
im Zustand V1 zwischen r 1 und r1 '. Während bei harmonischem Potential (gestrichelt)
die Auslenkungen u=r-ro im zeitlichen Mittel verschwinden, muss die Bewegung im
anharmonischen Potential zu einer mittleren Abstandsänderung u =r – r 0 führen. Je
steiler die Potentialkurve verläuft, d.h. je stärker die interatomaren Bindungen sind,
desto geringer fällt die thermische Ausdehnung aus. Geringvernetzte Polymere (van
der Waals-Bindungen dominieren gegenüber kovalenten Bindungen) haben
demzufolge typischerweise sehr hohe, Metalle hohe und Keramiken niedrige
thermische Ausdehnungskoeffizienten (Tab. 4.2.1-1). Mit der Temperatur
zunehmende thermische Schwingungen können aber auch zu einer Verringerung der
Abstände zwischen Atomen führen (Abb. 4.2.1-3).
97
Die Kenntnis der αij von Werkstoffen ist von grosser
technologischer Bedeutung. Kubisches α-Fe hat beispielsweise einen linearen Ausdehnungskoeffizienten
von α=∆l/l=11.5•10-6K-1. Dementsprechend würde
eine 1000 m lange Eisenbahnschiene bei einer Temperaturänderung von 10K ihre Länge um 11.5 cm
ändern! Beim Bau von Maschinen und Motoren muss
daher sorgfältig darauf geachtet werden, dass
Materialien mit ähnlichen Ausdehnungskoeffizienten
verwendet werden um mechanische Verspannungen
während des Betriebs zu vermeiden. Nachteilig macht
sich die unterschiedliche thermische Ausdehnung von
epitaktischen Schichten und Substrat in der
Dünnschichttechnik bemerkbar, beim Entstehen
innerer Spannungen während des Erstarrens aus der
Schmelze, etc.
Abb. 4.2.1-3 Kontraktion der
Einheitszelle mit zunehmender
thermischer Schwingung der
Sauerstoffatome in kubischem
ZrV 2-xP xO7 (Nature 386 (1997) p.23).
Für spezielle Anwendungen, wie z.B. Glasdurchführungen von Metalldrähten (in
Fernsehröhren), die in Anwendung und/oder Herstellung starken Temperaturänderungen ausgesetzt sind, verwendet man Legierungen, die den Invar Effekt zeigen.
Als Invar Effekt bezeichnet man die Kompensierung der thermischen Ausdehnung
durch die mit zunehmender Temperatur abnehmende magnetostriktive Dehnung
(siehe § 4.5.2). Das System Fe-Ni bildet wegen der starken Konzentrationsabhängigkeit der Magnetostriktion die Grundlage für Legierungen mit kontrollierter
thermischer Ausdehnung (Abb. 4.2.1-4).
Abb. 4.2.1-4
Thermischer Ausdehnungskoeffizient im System Fe-Ni bei 0°C und
200°C als Funktion des Nickel-Gehalts
(Hornbogen/ Warlimont, 18-16,1996).
98
Die Messung der bei der thermischen Ausdehnung auftretenden Längenänderungen
kann über Dilatometer (Abb. 4.2.1-5) oder, ungenauer, über die röntgenographische
Präzisionsmessung der Temperaturabhängigkeit der Gitterkonstanten erfolgen. Mit
der letzgenannten Methode lassen sich auch die Tensorkoeffizienten aus
polykristallinem Material emitteln.
(a)
(b)
(c)
Abb. 4.2.1-5 (a) Induktiver und (b) kapazitiver Wegaufnehmer, (c) optisches Interferenzdilatometer.
F...Ferritstab bzw. Fernrohr, G...Grundplatte, H...halbdurchlässiger Spiegel, K...Kristall,
L...Lichtquelle, R...Distanzring und Spulenträger aus Invar oder Quarzglas, O...obere Elektrodenplatte,
P...Referenzplatte, S...HF-Spule (Haussühl, 30, 31, 32, 1983).
12. Symmetrie der Tensoren
Die Symmetrie kristallphysikalischer Eigenschaften widerspiegelt sich natürlich in
der Symmetrie der sie beschreibenden Tensoren. Man unterscheidet dabei zwischen
äusserer und innerer Tensorsymmetrie.
Die Gesamtheit der orthogonalen Koordinatentransformationen, die alle
Komponenten eines Tensors unverändert lassen, bildet die Gruppe seiner äusseren
Symmetrie.
Betrachten wir beispielsweise die Wirkung einer Spiegelebene senkrecht zur kristallographischen b-Achse im monoklinen Kristallsystem auf die Form des
Deformationstensors. Nach Tab. 4.1.1-1 ist die b-Achse eines monoklinen Kristalls
parallel zum kristallphysikalischen Basisvektor e2. Zu jedem Vektor
r = (x1,x2 ,x3) muss es daher einen spiegelbildlichen Vektor r =(x 1,–x 2,x 3) geben und
zum Vektor u = (u 1,u2 ,u3) ebenfalls einen spiegelbildlichen Vektor u =(u 1,–u2,u3 ) .
Beide Vektorpaare sind durch denselben Deformationstensor miteinander verknüpft:
u = εr sowie u = εr oder ausgeschrieben
u1 = ε11x1 + ε 12x2 + ε13x3
u1 = ε11x1 – ε 12x2 + ε 13x3
u2 = ε21x1 + ε 22x2 + ε23x3 sowie –u2 = ε21x1 – ε22x2 + ε 23x3
u3 = ε31x1 + ε 32x2 + ε 33x3
u3 = ε 31x1 – ε 32x2 + ε33x3
99
Gelten alle Gleichungen simultan, findet man durch Koeffizientenvergleich
ε 12 =– ε12 ,
ε 21 =– ε21 ,
ε 23 =– ε23
und ε 32 =– ε32 , was nur durch
ε 12 = ε21 = ε23 = ε32 = 0 erfüllt werden kann. Berücksichtigt man noch, dass der
Deformationstensor ein symmetrischer Tensor ist, für den ε ij = ε ji gilt, so erhalten wir
ε11 0 ε13
0 ε 22 0
ε13 0 ε33
mit nur noch vier unabhängigen Komponenten. Eine Zusammenstellung der äusseren
Symmetrie und Form polarer Tensoren zweiter Stufe ist in der Tabelle 4.2.2-1
gegeben. Aus der Form des Tensors lässt sich die Zahl der zu messenden
unabhängigen Tensorkomponenten sofort ablesen.
Als weiteres Beispiel betrachten wir die Einfluss eines im Kristall vorhandenen
Inversionszentrums auf die Möglichkeit bestimmter physikalischer Effekte. Die
Symmetriematrix des Inversionszentrums ist durch
1 00
R1 = 0 1 0
0 01
gegeben. Daraus resultiert unter Berücksichtigung der Transformation polarer
Tensoren m-ter Stufe im n-dimensionalen Raum
t 'ijk...s =u ii* u jj* ... uss* ti*
j*...s*
= tijk...s
wobei über m Indizes i*, j*, k*,..., s* mit dem Wertevorrat 1,..., n summiert wird,
t 'ijk...s =(– 1) m tijk...s
weil uii = –1 und u ji = 0 für alle i ≠ j ist . Dies bedeutet, dass alle polaren Tensoren
ungerader Stufe bei Existenz eines Inversionszentrums völlig verschwinden!
Insbesondere gibt es dort keinen pyroelektrischen (Tensor 1.Stufe) und
piezoelektrischen Effekt (Tensor 3.Stufe). Auch die elektrooptischen Effekte erster
Ordnung und die nichtlinearen optischen Effekte erster Ordnung sowie die nichtOhmsche Leitfähigkeit treten dort nicht auf (Tensoren 3.Stufe). Da Tensoren gerader
Stufe invariant gegen das Inversionszentrum sind, kann man sie als
zentrosymmetrisch unabhängig von der Symmetrie des Mediums bezeichnen.
Gerade umgekehrt verhält es sich bei den axialen Tensoren (Pseudotensoren). Da das
Transformationsverhalten sich um das Produkt mit der Determinante
u ij der
Transformationsmatrix uij
t 'ijk...s = uij uii* u jj* ... uss* t i*
j*...s*
=t ijk...s
100
von dem polarer Tensoren unterscheidet, existieren bei Anwesenheit eines
Inversionszentrums gerade die axialen Tensoren ungerader Stufe und die geraden
verschwinden.
Tensoren weisen oft innere Beziehungen (innere Symmetrie) zwischen ihren
Komponenten, unabhängig vom Medium und dessen Symmetrie, auf. Am wichtigsten
ist die bereits genannte Beziehung t ij = t ji, die für den symmetrischen Tensor zweiter
Stufe gilt. So lässt sich jeder Tensor zweiter Stufe in einen symmetrischen Anteil t (ij)
und in einen antisymmetrischen Anteil t ij trennen gemäss
t ij =
t ij +t ji t ij – t ji
2 + 2 = t ij + t ij
wobei t ij nur drei unabhängige Komponenten hat. Ein totalsymmetrischer Tensor mter Stufe ist dann durch die Beziehung t ij...s = t(ij...s) charakterisiert, wobei (ij...s) eine
beliebige Permutation der Anordnung ij...s bedeutet. Der Symmetriecharakter ist
gegen einen Wechsel des Bezugssystems invariant.
Tabelle 4.2.2-1 Form von polaren symmetrischen Tensoren zweiter Stufe am Beispiel des
Deformationstensors ε (Kleber, 4-3, 1990)
Kristallsystem
Triklin
Monoklin
β ≠ 90°
γ ≠ 90°
Rhombisch
Tetragonal
Trigonal
Hexagonal
Kubisch
Tensorfläche
dreiachsiges
Ellipsoid in beliebiger
Lage
Symmetrie des
Tensors
mmm
dreiachsiges Ellipsoid,
eine Haupt-achse || zur
b-Achse
Schema der
Komponen-ten
εij = εij
ε 11 ε12 ε13
ε12 ε 22 ε23
ε13 ε 23 ε33
ε11 0 ε13
0 ε 22 0
ε13 0 ε 33
Bezug zu
den Hauptwerten
Anzahl unabhängiger
Komponenten
—
6
ε22 = εb
mmm
dreiachsiges Ellipsoid,
eine Hauptachse || zur bAchse
dreiachsiges Ellipsoid,
Hauptachsen || zur a-, bund c-Achse
Rotationsellipsoid,
Rotationsachse || zur
c-Achse
Kugel
mmm
∞/mm
m∞
4
ε11 e12 0
e12 ε22 0
0 0 ε 33
ε33 = εc
ε11 0 0
0 ε22 0
0 0 ε 33
ε11 = εa
ε22 = εb
ε33 = εc
ε11 0 0
0 ε11 0
0 0 ε 33
ε11=εa =εb=ε
ε11 0 0
0 ε11 0
0 0 ε 11
3
⊥
2
ε11 = ε
1
ε33=εc =ε||
101
13. Der Wärmeleitfähigkeitstensor
Die Wärmeleitfähigkeit ist ein Mass für die Wärmemenge Q, die in der Zeit t durch
einen Kristallstab mit dem Querschnitt A und der Länge l fliesst, wenn zwischen
seinen Enden die Temperaturdifferenz ∆T besteht:
Q = λAt∆T
l
Dabei ist die Wärmeleitzahl (Wärmeleitfähigkeitskoeffizient) λ eine richtungsabhängige Materialeigenschaft. Die Masseinheit W/(mK) gibt die Wärmemenge in
Joule (Wattsekunden), die in 1s durch einen Stab von 1m Länge und 1m 2 Querschnitt
bei einer Temperaturdifferenz von 1° fliesst.
Eine aus der Wärmeleitzahl λ abgeleitete Grösse ist die ebenfalls häufig verwendete
Temperaturleitzahl (Temperaturleitfähigkeit)
λ
a = ρc
mit der Dichte ρ und der spezifischen Wärmekapazität c. Eine weitere wichtige
abgeleitete Grösse ist die Wärmestromdichte jQ
jQ = λ∆T
l
die proportional zum Temperaturgradienten ist. Der Temperaturgradient ∆T, oder
anders geschrieben grad T
∂T e + ∂T e + ∂T e
grad T = ∇T = ∂x
1
∂x2 2 ∂x3 3
1
ist ein polarer Vektor, dessen Komponenten dem Temperaturgefälle in Richtung der
Koordinatenachsen entsprechen. Die Wärmestromdichte jQ ist ebenfalls ein polarer
Vektor, der die in eine bestimmte Richtung in der Zeiteinheit transportierte Wärme
angibt. Diese beiden Vektoren sind dann durch den Tensor der Wärmeleitfähigkeit λ ,
einem polaren Tensor zweiter Stufe verknüpft:
jQ = – λ∇T oder ijQ = – λ ij ∂T
∂x
j
Das negative Vorzeichen resultiert aus der Konvention, dass die positive Richtung des
Temperaturgradienten von der niedrigeren Temperatur zur höheren weist, der
Wärmefluss aber umgekehrt erfolgt. In einem isotropen Material fliesst die Wärme
längs dem steilsten Temperaturgradienten, im Kristall ist dies im Allgemeinen nicht
so. Aufgrund der physikalischen Natur der Wärmeleitung, wie auch der anderen
Transportvorgänge (elektrische Leitung, Diffusion), gilt
λij = λ ji , der
Wärmeleitfähigkeitstensor ist also symmetrisch.
102
Die Wärmeleitung erfolgt über die thermischen Schwingungen der Atome
(Gitterschwingungen = Phononen) und, falls vorhanden, über freie Elektronen. Sie
verringert sich wenn die Elektronen oder Phononen an Baufehlern (Punktdefekten
etc.), an Elektronen oder anderen Phononen gestreut werden (Abb. 4.2.3-1) und sich
ihrer mittlere freie Weglänge dadurch verringert. Dies ist auch die Ursache der meist
deutlich geringeren Wärmeleitfähigkeit von (polykristallinen) Keramiken im
Vergleich zu Einkristallen. Die Wärmeleitfähigkeit ist stark temperaturabhängig und
wächst bei Gläsern mit zunehmender Temperatur während sie bei Kristallen abnimmt
(Abb. 4.2.3-2). Polymere sind meistens sehr schlechte Wärmeleiter, da sie
normalerweise keine freien Elektronen enthalten und die Wärmeenergie in Form von
Schwingungen und Rotationen von einzelnen Kettenteilen lokal gespeichert und nur
schwer transportiert wird. Am absoluten Nullpunkt verschwindet generell jegliche
thermische Leitfähigkeit.
Abb. 4.2.3-1 Einfluss der Dotierung auf die Wärmeleitfähigkeit von Silicium: Dotierung mit (a) 1.10 13cm-.3,
(b) 4.1016cm-.3 und (c) 5.10 20cm-.3 Boratomen (p-Leitung)
(Paufler, 6-50, 1986).
(a)
(b)
Abb. 4.2.3-2 Temperaturabhängigkeit der Wärmeleitfähigkeit λ (a) von einkristallinem synthetischem
Saphir, und (b) von Gold unterschiedlicher Reinheit (Paufler, 6-49, 1986).
103
In Tab. 4.2.3-1 sind die Wärmeleitfähigkeiten λ einiger Materialien
zusammengestellt. Metallische Elemente haben die grössten Werte, dann folgen
Legierungen und mit grossem Abstand Ionenkristalle und kovalente Kristalle.
Kristalline Strukturen leiten besser als glasartige, bei Vorliegen starker Bindungen
leiten Materialien besser als bei nur schwachen Bindungen. Wärmedämmstoffe mit
Porendurchmessern <10-7 m, wie Microtherm, erreichen bessere Werte als Luft.
Stoffe mit hoher Wärmeleitfähigkeit werden z.B. als Temperaturmessfühler
eingesetzt. Wichtiger ist jedoch die Anwendung von Stoffen besonders niedriger
thermischer Leitfähigkeit zur Wärmedämmung.
Die Messung der Wärmeleitfähigkeit ist nicht ganz einfach. Man kann sich dazu eines
Wärmekonduktometers (Abb. 4.2.3-3) bedienen: die plattenförmige Probe wird
zwischen zwei Platten mit hoher Wärmeleitfähigkeit (Kupfer) gebracht. Auf einer der
Platten wird mit einem Heizer Wärme erzeugt, die dann über die Probe der Dicke D
und dem Querschnitt F zu einer gekühlten (gleichmässiger Strom eines Kühlmittels
oder Peltier-Element) zweiten Platte strömt. Die eingespeiste elektrische Energie W el
entspricht dann der transportierten Wärme Q:
Q=
– λ11(T1 – T2)
=W el / F
D
wobei T1 und T2 die sich im Gleichgewicht einstellenden Plattentemperaturen sind.
104
Tabelle 4.2.3-1 Wärmeleitfähigkeit λ einiger Materialien (Paufler, 6-16, 1986; Göpel/Ziegler, 2.12,1996)
Substanz
Punktsymmetrie
CaSO4 (Anhydrit)
BaSO4 (Baryt)
Al2[(F, OH)2/SiO4] (Topas)
CaCO3 (Calcit)
Fe2O3 (Hämatit)
Al2O3 (Korund)
SiO 2 (α-Quarz)
Cd
Zn
C (Graphit)
H2O (Eis) (O°C)
Te
TiO2 (Rutil)
ZrO 2 . SiO2 (Zirkon)
Fe3O4 (Magnetit)
MgO . Al 2O3 (Spinell)
NaCl
TeBr 4 . TeJ4
SiO 2 (Glas)
Sand (trocken)
Polystyrol
Nylon
Teflon
Polyethylen
Si
Ge
GaP
InAs
Al
Ag
Cu
Fe
Cs
Ni
W
C (Diamant)
mmm
mmm
mmm
3m
3m
3m
32
6/mmm
6/mmm
6/mmm
32
4/mmm
4/mmm
m3m
m3m
m3m
∞∞m
∞∞m
∞∞m
∞∞m
∞∞m
∞∞m
m3m
m3m
43m
43m
m3m
m3m
m3m
m3m
m3m
m3m
m3m
m3m
λ/Wm-1 K-1
|| a
|| a
|| a
⊥c
⊥c
⊥c
⊥c
⊥c
⊥c
⊥c
⊥c
⊥c
⊥c
⊥c
5,6
1,8
21,9
4,2
14,7
31,2
6,5
105,0
120,4
355,0
1,9
20,2
9,3
9,7
13,8
6,5
0,2
1,3
0,3
0,13
0,24
0,25
0,38
136,5
54,2
77
6,7
247
422
402
73,3
18,4
58,6
168
545,3 (300K)
≈ 3000 (55K)
|| b
|| b
|| b
|| c
|| c
|| c
|| c
|| c
|| c
|| c
|| c
|| c
|| c
|| c
5,3
1,7
22,3
5,0
12,1
38,9
11,3
83,7
124,2
89,4
2,3
39,4
12,9
4,8
|| c
|| c
|| c
5,9
1,6
23,4
105
Abb.4.2.3-3Wärmekonduktometer:
H...Heizplatte,
Platten I1 und I2 mit den
Temperaturen T1 und T 2,
K... Kristall (Haussühl,25,
1983).
Wesentlich einfacher gestaltet sich eine Relativmessung der Wärmeleitfähigkeitskoeffizienten, wie sie in einem historischen Experiment von Senarmont (1847)
durchgeführt wurde: man überzieht einen Kristall mit Wachs und drückt die Spitze
eines heissen Nagels in das festgewordene Wachs. Dieses schmilzt von innen nach
aussen, jedoch der Wärmeleitfähigkeit des Kristalls entsprechend, sich in
unterschiedlichen Richtungen unterschiedlich rasch ausbreitend. So erhält man eine
Bezugskurve des Wärmewiderstandstensors w (Abb. 4.1.4-4). Der Wärmewiderstandstensor w ist der zu λ reziproke Tensor
Q
–∇T = –w jQ oder – ∂T
∂x j = wij ij .
Abb. 4.2.3-4 Schmelzisotherme in einer
Wachsschicht auf einer (010)-Fläche von Gips
(Kristallklasse 2/m) (Kleber, 4-3, 1990).
106
14. Elektrische Eigenschaften
15. Elektrische Leitfähigkeit
Phänomenologisch wird die elektrische Leitfähigkeit analog zur thermischen
Leitfähigkeit beschrieben: die elektrische Stromdichte j (Strom pro Flächeneinheit)
wird durch den Tensor der elektrischen Leitfähigkeit mit dem Gradienten des
elektrischen Potentials ϕ verknüpft
∂ϕ
j=– σ∇ϕ bzw. ji =– σ ij ∂x
j
Da aber der negative Gradient des elektrischen Potentials die elektrische Feldstärke,
E =– ∇ϕ , darstellt, können wir schreiben
j= σ E bzw. ji =– σ ij E j
Wie beim Wärmeleitfähigkeitstensor λij handelt es sich bei σ ij um einen symmetrischen, polaren Tensor zweiter Stufe. Der dazu reziproke Tensor ist der Tensor
ρ des elektrischen Widerstands und es gilt
E = ρ j bzw. Ei = ρij jj
In Tab. 4.3.1-1 sind die Werte für den elektrischen Widerstand einiger Materialien
angegeben. Die Werte differieren um etwa dreissig Grössenordnungen! Die Leitfähigkeit ist temperaturabhängig und nimmt bei Metallen zu tiefen Temperaturen hin zu.
Tabelle 4.3.1-1 Elektrischer Widerstand ρ einiger Materialien (Paufler, 6-13, 1986).
Stoff
Bernstein
Quarzglas
/
el
m
1023
≥ 10
16
10
Diamant
1010...10 11
10
13
Porzellan
10 ...10
B
1,8 . 10 10
Ge
0,46
∞∞m
Bi
.
|| c 2,8 10
-4
⊥ c 6,1 10
|| a 16,1 . 10 -8
|| b 7,5 . 10 -8
Symmetrie
m
|| c 1,30 . 10 -6
.
⊥ c 1,02 10
∞∞m
Mn
2,78 . 10 -6
Cu
1,55 . 10 -8
Ag
1,49 . 10 -8
32 (hex)
mmm
3m
-6
1,45 . 10 -6
Kanthal A1
-4
|| c 50,5 . 10 -8
/
el
m3m
m3m
m3m
.
Ga
Stoff
∞∞m
15
NaCl
Te
Symmetrie
(Fe,Cr,Al,Co)
43m
m3m
m3m
107
Der Transport der Ladungen durch den Leiter kann dabei wie in Metallen durch
Elektronen erfolgen oder auch durch Ionen. Die Ionenleitung läuft über Diffusionsvorgänge, die eine Aktivierungsenergie benötigen, die bei Raumtemperatur zumeist
nicht zur Verfügung steht. Es gibt jedoch eine ganze Anzahl von Festkörperelektrolyten (Superionenleiter), die bereits bei relativ niedrigen Temperaturen beachtliche
Leitfähigkeit erreichen. Ein Beispiel dafür ist Silberiodid, AgI, das sich bei 146°C
von einer hexagonalen in eine kubische Modifikation umwandelt. Dabei steigt die von
den Ag+-Ionen getragene Leitfähigkeit sprunghaft von 10– 2 Ω– 1 m– 1 auf über
100 Ω– 1 m– 1 an. Superionenleiter werden u.a. in elektrochemischen Batterien und
Sensoren, sowie als Membranen in Brennstoff- und elektrolytischen Zellen
angewendet.
16. Elektrische Polarisation, Pyroelektrizität, Ferroelektrizität
Bringt man ein elektrisch nichtleitendes Material (Dielektrikum) in ein elektrisches
Feld, so verschieben sich die in ihm enthaltenen elektrischen Ladungen, es wird
polarisiert. Dabei können Elektronenhüllen gegen Atomkerne verschoben werden,
oder Ionen gegeneinander; es kann aber auch eine Umorientierung bereits
vorhandener
Dipole
auftreten.
Die
elektrische
Polarisation
P
(Dipolmoment/Volumen) ist ebenso wie die elektrische Feldstärke E eine vektorielle
Grösse, beide werden durch einen symmetrischen, polaren Tensor zweiter Stufe, dem
Tensor der dielektrischen Suszeptibilität χ miteinander verknüpft:
P = ε0χeE bzw. Pi = ε0χ eijE j
wobei ε 0 = 8,854.10–12 As / (Vm) die elektrische Feldkonstante (Dielektrizitätskonstante des Vakuums) darstellt.
Führt man eine Kapazitätsmessung einmal im Vakuum und einmal mit einem
Dielektrikum zwischen den Kondensatorplatten aus, so erhält man als Verhältnis der
beiden gemessenen Kapazitätswerte die Dielektrizitätszahl (relative Dielektrizitätskonstante) εr , die bei den meisten Materialien Werte zwischen 1 und 100 annimmt.
Die absolute Dielektrizitätskonstante (Permittivität) ist dann ε = ε0εr und es gilt
χe = εr – 1= ε /ε0 – 1
Auch ε r und ε sind Materialeigenschaften, die bei einem anisotropen Material durch
einen Tensor zweiter Stufe darzustellen sind
χije = εrij – δij= εij /ε0 – δij mit δ ij =
Beide Tensoren stellen gemäss
D = ε0ε rE = εE
i= j
{ 10 für
für i ≠ j
108
die Beziehung zwischen dem Vektor der elektrischen Feldstärke E und der
dielektrischen Verschiebung D = ε0E + P her.
Aufgrund der direkten Proportionalität von P und E folgt, dass bei Abschalten des
elektrischen Feldes die Polarisation verschwindet. Bei bestimmten Kristallen ist dies
jedoch nicht der Fall, es tritt eine spontane Polarisation auf, die beispielsweise in
Alkali- und Erdalkaliniobaten Werte von 0.1 bis 1 Asm-2 annehmen kann. Man findet
die spontane Polarisation in Kristallen, die ein permanentes Dipolmoment aufweisen
und deren Symmetrie eine nicht verschwindende Gesamtpolarisation erlaubt. Dies ist
nur in Punktgruppen der Fall, die ausgezeichnete polare Achsen erlauben (Tab. 4.3.21). Auch in polykristallinen Materialien aus polaren Kristallen (z.B.Keramiken) kann
spontane Polarisation auftreten, wenn deren Textur eine polare Richtung aufweist.
Tabelle 4.3.2-1 Kristallklassen, in denen spontane Polarisation und damit auch Pyroelektrizität
auftreten können (Kleber, 4-6, 1990).
Punktgruppen1)
Komponenten
1
P 1, P 2, P 3
m
P 1, P 3
2
P2
|| zur b - Achse (d.h. || zur zweizähligen
Drehachse)
mm2
3, 3m
4, 4m
6, 6m
∞, ∞m
P3
|| zur c - Achse
Richtung
der spontanen Polarisation2)
jede Richtung
⊥ zur b -Achse (d.h. in der Spiegelebene)
1
) einschliesslich der kontinuierlichen Punktgruppen (Texturen mit Pyroelektrizität)
) Entsprichendes gilt für den Vektor der pyroelektrischen Koeffizienten.
2
Die spontane Polarisation nimmt mit steigender Temperatur im allgemeinen ab. Dies
bedeutet eine Verschiebung von elektrischen Ladungen, die als pyroelektrischer
Effekt unmittelbar nach der Temperaturänderung nachgewiesen werden kann. Die
Änderung der spontanen Polarisation beträgt bei Temperaturänderung um 1K etwa
105 V/m.
Beispiel:
Ein Turmalinkristall (Ringsilikat mit Kristallklasse 3m) wird in einem klassischen
Experiment auf etwa 120°C erwärmt und während des Abkühlens mit einem
feingepulverten Gemisch aus Schwefel (gelb) und Mennige (rot) bestäubt. Die durch
Reibung negativ geladenen Schwefelteilchen lagern sich am positiv geladenen Ende
des Kristalls, die positiv geladenen Mennigeteilchen am negativ geladenen Ende an.
109
Die Änderung der spontanen Polarisation P wird durch einen Vektor beschrieben,
der mit der skalaren Temperaturänderung ∆T über einen pyroelektrischen
Koeffizienten p verknüpft ist, der ebenfalls durch einen Vektor (polarer Tensor erster
Stufe) dargestellt wird:
∆P = p∆T bzw. ∆Pi =p i ∆T
Turmalin besitzt aufgrund seiner Symmetrie nur eine unabhängige Komponente mit
dem Wert p =3,8.10 – 6 As / (m2K) . Höhere Werte findet man beispielsweise in
Triglycinsulfat ( p =0,2.10 – 3 As / (m2K) ), Lithiumniobat ( p =0,083.10 – 3 As / (m2K) )
oder komplexeren Niobaten. Pyroelektrika finden Anwendung in Detektoren für
Wärmestrahlung
(Infrarotdetektoren),
Laserkalorimetern
und
anderen
thermoelektrischen Messgeräten.
Ein spezielle Gruppe der Pyroelektrika wird durch die Ferroelektrika gebildet, bei
denen die Orientierung der spontanen Polarisation durch ein angelegtes elektrisches
Feld geändert werden kann. Das bedeutet, dass die Strukturbereiche, die Träger der
Polarisation sind, spontan bei Anlegung eines äusseren elektrischen Feldes
umklappen. Dies ist in Abb. 4.3.2-1 am Beispiel des Lithiumniobat gezeigt, das eine
vom kubischen Perowskittyp abgeleitete Struktur mit der polaren Punktsymmetrie 3m
besitzt: die innerhalb der verzerrten Sauerstoffoktaeder asymmetrisch sitzenden
Lithiumionen besetzen beim Umpolen die entgegengesetzten asymmetrischen
Positionen und kehren damit die Polarität um. Bei weiterer Erhöhung der Temperatur
findet am Curie-Punkt eine Umwandlung in eine höhersymmetrische, paraelektrische
Phase statt, bei der die Lithiumionen dann im Mittel zwischen den beiden
asymmetrischen Positionen liegen und das permanente Dipolmoment verschwindet.
Die Symmetrie der Hochtemperaturphase wird dann durch eine Obergruppe der
Punktgruppe der Tieftemperatuphase beschrieben.
Abb. 4.3.2-1 Die Struktur von Lithiumniobat LiNbO3: (a) längs c projizierte Elementarzelle, (b)
Verknüpfung der verzerrten Sauerstoffoktaeder längs c, (c) Anordnung der Lithiumionen bei spontaner
Polarisation, (d) nach der Umpolung, (e) in der paraelektrischen Phase (Kleber, 4-5, 1990).
110
Man kennt heute bereits einige hundert ferroelektrische Materialien (Tab. 4.3.2-2), die
sich durch anomal grosse Werte für die Dielektrizitätskonstante (1000 und mehr)
sowie für die elektrooptischen, nichtlinear optischen und piezoelektrischen Koeffizienten, auszeichnen. Sie finden daher u.a. Anwendung in Kondensatoren,
Thermistoren, Ultraschallgebern, akustischen und optischen Frequenzvervielfachern
und Frequenz-modulatoren, etc..
Tabelle 4.3.2-2 Einige ferroelektrische Materialien (Kleber, 4-7, 1990)
Substanz
Bariumtitanat BaTiO3
Kristallklasse der
ferroelektrischen
Phase
4mm
Lithiumniobat LiNbO3
3m
m3m
3m
4mm
4/mmm
570
4mm
4/mmm
20...100
mm2
42m
159
Kaliumdihydrogenphosphat
(KDP) KH 2PO4
mm2
42m
-150
Kaliumdideuteriumphosphat
(KD*P) KD 2PO4
mm2
42m
-60
2
2/m
47
2
3
222
24...-16
178
Bariumnatriumniobat
(Banana) Ba2NaNb5O15
Strontiumbariumniobat
(SBN) Sr 1-xBaxNb2O6
Gadoliniummolybdat
(GMO) Gd2(MoO4)3
Triglycinsulfat (TGS)
Kaliumnatriumtartrat
(Seignettesalz)
Bleigermanat Pb5Ge 3O11
Kristallklasse der
paraelektrischen
Phase
6
CurieTemperatur in
°C
120
1140
Ähnlich, wie man beim pyroelektrischen Effekt eine elektrische Polarisation hervorrufen kann, die sich innerhalb eines kleinen Temperaturbereichs proportional zur
Temperaturdifferenz ändert, kann auch durch eine mechanische Spannung σ eine
elektrische Polarisation P erzeugt werden. Diese Erscheinung heisst piezoelektrischer
Effekt und es gilt
Pi = d ijkσ jk mit i, j,k = 1,2,3
Der Spannungstensor σ ist ein symmetrischer, polarer Tensor zweiter Stufe, der
piezoelektrische Tensor d ein Tensor dritter Stufe. Da σ jk = σkj muss auch für die
piezoelektrischen Moduln (Koeffizienten) die innere Symmetrie dijk =d ikj bestehen.
Daraus folgt, dass von den 27 Koeffizienten dijk nur maximal 18 unabhängig sein
können. Wie wir bereis in Kapitel 4.2.2 gesehen haben, verschwinden polare
Tensoren ungerader Stufe bei Vorliegen eines Inversionszentrums, und aufgrund der
111
Beziehung dijk =d ikj scheidet auch noch die Kristallklasse 432 aus. Damit verbleiben
nur noch 20 Kristallklassen, die den piezoelektrischen Effekt erlauben (Tab. 4.3.2-3).
Tabelle 4.3.2-3 Kristallklassen, die den piezoelektrischen Effekt erlauben (Kleber, 4-8, 1990).
Punktgruppen
1
m
2 3 mm2
Anzahl
der unabhängigen
Tensorkomponenten
18
10
8 6 5
4 4
6
∞
4 4
3m
222
4
3
4mm
6mm
∞m
3
4m2
32
6
2
2
2
422
622
∞2
1
6m2
23
43m
1
1
Aufgrund der Gestalt des Tensors lassen sich 16 Typen von Piezoelektrika
unterscheiden. Die in der Tabelle angeführten kontinuierlichen Punktgruppen ∞, ∞m,
∞2 können die Symmetrie axial polar texturierter polykristalliner Keramiken
beschreiben: technisch bedeutsam sind in diesem Zusammenhang die PZT-Keramiken
aus Pb(Zr,Ti)O3 Mischkristallen, die bei hoher Temperatur in einem starken
elektrischen Feld gepolt werden und bis zu hundertfach höhere piezoelektrische
Koeffizienten als Quarz erreichen können (328≤Tc ≤370°C). Auch speziell behandelte
Polymere, wie Polyvinylidendifluorid (PVDF), (CH2-CH2)n, können piezoelektrisch
sein. Dies ist darauf zurückzuführen, dass diese Polymere einen hohen Anteil (5080%) an kristallinen Bereichen besitzen (Abb. 4.3.2-2). Heute sind bereits mehr als
1000 Substanzen mit piezoelektrischem Effekt bekannt. Sie finden Anwendung in
Quarzuhren, Lautsprechern, Ultraschallsendern, Tonabnehmern, mechanischen
Sensoren, Mikropositionierern, Tintenstrahldruckern, etc.
Abb. 4.3.2-2
Schematische
Darstellung eines teilkristallinen
Polymers (Göbel/Ziegler, 3.122,1996).
112
Beispiel:
Man schneidet aus einem Quarzkristall, SiO 2 , Tiefquarz mit Kristallklasse 32, eine
Platte senkrecht zu einer der drei zweizähligen polaren Achsen (a-Achse). Wird die
Platte nun in X-Richtung zusammengedrückt (Abb. 4.3.2-3), dann erscheinen auf
beiden Plattenflächen senkrecht zur X-Achse Ladungen. Ein Druck von 1N/m 2
ergibt bei diesem longitudinalen Piezoeffekt eine Ladungsdichte von
2,3 .10–12 As / m2 . Ein Druck parallel zur Y-Achse (transversalerPiezoeffekt) erzeugt
genausoviele Ladungen auf den beiden gleichen Plattenflächen senkrecht zur XAchse, nur diesmal mit entgegengesetzten Vorzeichen. Beim Phasenübergang zum
Hochquarz verschwindet der longitudinale piezoelektrische Effekt entlang der polaren
zweizähligen Achsen, obwohl er in der Kristallklasse 622 von der Symmetrie her
möglich wäre.
Der Piezoeffekt lässt sich auch umkehren: legt man an die Quarzplatte eine
elektrische Spannung an, zeigt diese Kontraktion bzw. Dilatation. Der reziproke
piezoelektrische Effekt (lineare Elektrostriktion) wird gewöhnlich durch die lineare
Beziehung zwischen der elektrischen Feldstärke E und der durch sie bewirkten
Verzerrung (Deformationstensor ε) beschrieben
ε = dE bzw. ε ij = dijk Ek mit i, j,k =1,2,3
Dieser Effekt kann bei einer Spannung von 1 V eine Dilatation von etwa 0.5 nm
bewirken.
(d)
Abb. 4.3.2-3 Detail der Quarzstruktur: (a) ungestört, (b) mit Druck parallel zu X und (c) Y , (d)
natürlicher Rechtsquarzkristall (Kleber, 4-10, 1990; Paufler, 7-2, 1986).
113
17. Optische Eigenschaften
Licht, als räumlich und zeitlich veränderliches transversales elektromagnetisches
Feld, tritt mit einem durchstrahlten Material im wesentlichen über die elektrische
Polarisation der Elektronenhüllen durch die elektrische Feldkomponente in
Wechselwirkung. Damit sind die massgebenden Materialeigenschaften für die
Kristalloptik
die
dielektrische
Permittivität
ε
bzw.
die
relative
Dielektrizitätskonstante ε r (siehe Kapitel 4.3.2). Die theoretische Ableitung erfolgt
über die Lösung der Maxwellschen Gleichungen für die Ausbreitung des Lichts in
einem anisotropen Medium.
Abb. 4.4-1 Elektromagnetische Welle der Wellenlänge λ mit elektrischem Feldvektor E,
Magnetischem Feldvektor H und Poyntingvektor S=E×H in Ausbreitungsrichtung. Die
Polarisationsrichtung der Strahlung wird durch die Richtung von E definiert. Sichtbares Licht besitzt
Wellenlängen im Bereich von 400 bis 700 nm. (Göpel/Ziegler, 4.5-1, 1996).
18. Lichtbrechung
In einem isotropen Material breitet sich eine elektromagnetische Welle kugelförmig
aus: jedes Atom, dessen Elektronenhülle durch das räumlich und zeitlich
veränderliche elektromagnetische Feld zur Schwingung gebracht wird, wird zum
Ausgangspunkt einer Kugelwelle. Alle diese Wellen überlagern sich so, dass die mit
der Geschwindigkeit v fortschreitende Wellenfront durch die Tangentialebene mit
dem senkrecht dazu stehendem Wellennormalenvektor N definiert wird (Abb. 4.4.1-1
(a)).
Da die Lichtgeschwindigkeiten vi in unterschiedlichen Medien unterschiedlich sind,
verändert das Licht beim Übertritt vom einen Medium ins andere seine Ausbreitungsrichtung, es wird gebrochen. Die Lichtbrechung lässt sich leicht anhand Abb. 4.4.1-1
(b) verstehen: eine Wellenfront W1 im Medium 1 erreicht das Medium 2 zuerst im
Punkt A. Die sich dort ausbildende Kugelwelle nimmt den Radius AA'= v2t an,
während die Wellenfront von B nach B', also um die Strecke BB'= v1t fortschreitet.
Sind die Ausbreitungsgeschwindigkeiten v1 , v2 unterschiedlich, so sind es auch die
114
Ausbreitungsrichtungen. Vergleicht man nun die beiden rechtwinkligen Dreiecke
ABB' und AA'B' miteinander, so erhält man das Brechungsgesetz von Snellius (1610)
sin i /sin r =v1 / v2 = const.
wobei i für den Einfalls- und r für den Brechungswinkel steht. Kommt der Lichtstrahl
aus dem Vakuum ( v1 =c), so wird durch
sin i /sin r =c/ v2 = n
der Brechungsindex n definiert. Damit kann man auch für die Brechung an der
Grenzfläche zweier Medien schreiben
sin i /sin r =v1 / v2 = n2 / n1
Der Brechungsindex n ist eine Temperatur- und Wellenlängenabhängige Materialkonstante mit Werten, die im Bereich zwischen 1 und 3 liegen (Luft: 1.0003,
Wasser: 1.33, Glas 1.50, Diamant 2.42).
(a)
(b)
Abb. 4.4.1-1 Huygenssche Konstruktion (1690) (a) für die Fortpflanzung einer ebenen Welle in einem
Medium und (b) für die Lichtbrechung an einer ebenen Grenzfläche zwischen zwei Medien (b)
(Kleber, 4-15,-16, 1990).
115
Es gilt für isotrope Medien ausserdem die Maxwellsche Relation
n2 = εr
Da diese Regel jedoch die atomistische Struktur ausser Acht lässt, gilt sie für Kristalle
und sichtbares Licht bei Vernachlässigung der Dispersionskorrekturen nur
näherungsweise. Für NaCl, besipielsweise, berechnet man n = εr = 2.41 , während
die Messung (Na D-Linie) den Wert n=1.54 ergibt.
Ist der Brechungsindex des ersten Materials höher als der des zweiten, n1 > n 2 , so ist
auch der Brechungswinkel grösser als der Einfallswinkel, r > i. Bei einem bestimmten
Wert i t , dem Grenzwinkel der Totalreflexion, nimmt der Brechungswinkel den Wert
rt =90° an. Licht, das mit einem Einfallswinkel i ≤ it einfällt, tritt daher nicht mehr in
das zweite Medium über, sondern wird totalreflektiert (Abb. 4.4.1-2). Wegen
sin rt= sin90° = 1 kann man dann schreiben
sin it /sin r t =v 1 / v2 = n2 / n1=sin i t bzw. n2 = n 1 sin it
Bei bekanntem n1 lässt sich somit n2 durch eine Winkelmessung ermitteln. Diese
Methode wird beim Totalrefraktometer verwendet: der zu untersuchende Kristall wird
auf einen optischen Prüfkörper mit möglichst hohem bekannten Brechungsindex
aufgesetzt, und der Winkel der Totalreflexion gemessen.
Abb.
4.4.1-2
Brechung
und
Totalreflexion von Lichtstrahlen in
einem Prisma (Hecht/Zajac, 4-29,
1974).
Eine wichtige Anwendung findet die Totalreflexion in Glasfasern zur Lichtleitung.
Man verwendet dafür hauptsächlich Quarzglas (SiO 2). Durch Dotierung mit Boroxid
(B2O3) oder Germaniumoxid (GeO 2) erhält ein Kernbereich von 5-50 µm
Durchmesser im Inneren der Glasfaser einen etwas höheren Brechungsindex. Licht
116
wird dann durch Totalreflexion an der inneren Grenzfläche im dotierten Kernbereich
innerhalb der Faser geführt (Abb. 4.4.1-3).
Abb. 4.4.1-3 Schematische Darstellung zweier wichtiger Ausführungsformen optischer Fasern (a)
Stufen-Index-Faser mit stufenförmiger Brechungsindex-Charakteristik. Strahlen, die schräg zur
Faserachse laufen, legen einen längeren Weg zurück als solche, die sich parallel dazu ausbreiten. Der
Lichtpuls wird dadurch verwischt. (b) Glasfaser mit parabolischer Brechungsindex-Charakteristik.
Strahlen, die in den äusseren Faserbereich geraten, werden wegen des geringeren Brechungsindexes
beschleunigt, so dass eine Verbreiterung des Lichtpulses weitgehend vermieden werden kann
(Göpel/Ziegler, 3.10-7, 1996).
Der grösste Lichtverlust wird für Wellenlängen < 1µm durch Rayleigh-Streuung
verursacht. Dafür verantwortlich sind statistischen Brechungsindex-Schwankungen
durch thermische Gitterschwingungen (Phononen) oder Gitterdefekte. Für grössere
Wellenlängen überwiegen Absorptionseffekte, die vor allem durch Anregung von
OH-Schwingungen entstehen.
19. Die Indikatrix
Die Richtungsabhängigkeit des Brechungsindex n im anisotropen Medium kann durch
eine Fläche zweiter Ordnung, ähnlich wie die Repräsentationsflächen von Tensoren
zweiter Stufe, dargestellt werden. Trotz ihrer engen Beziehung zum Dielektrizitätstensor ε über die Maxwellsche Relation n2 = εr bilden die Brechungsindizes als
solche jedoch keinen Tensor. Ordnet man nun zweckmässigerweise dem reziproken
Tensor ε –1 eine charakteristische Fläche zu,
x2 /ε ra + y2 /εrb +z 2 /εrc =1
so erhält man ein allgemeines dreiachsiges Ellipsoid, von Fletcher als Indikatrix
bezeichnet, dessen Radien
ε ra =n α , ε rb =n β, εrc =n γ mit nα ≤ nβ ≤ n γ
117
als die Hauptbrechungsindizes des betreffenden Kristalls bezeichnet werden. Ein
Hauptbrechungsindex ist dann der Brechungsindex einer Welle, die in Richtung der
betreffenden Hauptachse der Indikatrix schwingt. Abb. 4.4.2-1 zeigt wie mit der
Indikatrix das Verhalten von Lichtwellen beliebiger
Fortpflanzungsrichtung veranschaulicht werden kann.
Die Wellennormale N des einfallenden Strahls und
eine dazu senkrechte Ebene wird durch den Mittelpunkt der Indikatrix gelegt. Die Hauptachsen der
Schnittellipse repräsentieren dann die Brechungsindizes nα' und n'γ der in den betreffenden Achsrichtungen schwingenden Wellen.
Abb. 4.4.2-1 Dreiachsiges Ellipsoid (Indikatrix) mit
Schnittellipse zur Konstruktion der zur Wellennormalen
N gehörenden beiden Hauptschwingungsrichtungen
(Kleber, 4-24, 1990).
Tab. 4.4.2-1 gibt die Hauptbrechungsindizes für einige Kristalle mit anisotropen
Brechungseigenschaften. Die Symmetrie der Indikatrix genügt natürlich dem
Neumannschen Prinzip: in isotropen Körpern und im kubischen Kristallsystem ist sie
eine Kugel, im trigonalen, tetragonalen und hexagonalen ein Rotationsellipsoid,
dessen Rotationsachse mit der optischen Achse (c-Achse) zusammenfällt; im
triklinen, monoklinen und orthorhombischen Kristallsystem ist sie ein dreiachsiges
Ellipsoid.
Tabelle 4.4.2-1 Hauptbrechungsindizes einiger Kristalle unterschiedlicher Symmetrie (Paufler, 1986).
Material
Quarz
SiO2
Rutil
TiO2
Zirkon ZrSiO4
Turmalin
Apatit Ca 5[F/PO4)3]
Aragonit CaCO 3
Gips CaSO4.2H2O
Muskovit
Punktsymmetrie
32
4/mmm
4/mmm
3m
6/m
mmm
2/m
2/m
n1
n2= n1
n3
1.544
2.616
1.92
1.637
1.646
n1
n2
1.553
2.903
1.97
1.619
1.642
n3
1.530
1.520
1.572
1.681
1.523
1.611
1.686
1.530
1.615
118
Der Zusammenhang zwischen Struktur und Anisotropie der optischen Eigenschaften
soll an zwei Beispielen (Abb. 4.4.2-2 und 4.4.2-3) illustriert werden:
Abb. 4.4.2-2 Brechungsindizes und Molekülpackung in einem Naphtalinkristall. Der grösste
Brechungsindex
wird
längs
der
Richtung
dichtester Packung gefunden (Glusker, 5-11,
1994).
(a)
(b)
electric vector
of light
119
+
O
-
C+
O-
+
O
-
electron
displacements
electric vector
of light
small refractive index
(c)
+
O
C
electron
displacements
+
+
O
O
large refractive index
(d)
Abb. 4.4.2-3 Brechungsindizes in rhomboedrischem Calcit (CaCO3, Raumgruppe R3c , Punktgruppe
3m , a=b=4.9898 Å, c=17.060 Å, γ=120° ). Kristallstruktur (a) perspektivisch, (b) Projektion längs der
hexagonalen c-Achse, (c) Projektion senkrecht zur in (b) gezeigten Ansicht. (d) Veranschaulichung der
unterschiedlichen Brechungsindizes als Funktion von Elektronenverschiebungen (Glusker, 5-12, 1994).
Anders als bei den optisch einachsigen Kristallen,
ist bei den Materialien, deren Indikatrix durch ein
allgemeines Ellipsoid dargestellt wird, in allen drei
Hauptachsenrichtungen Doppelbrechung (siehe §
4.4.3) zu beobachten. Nichtsdestotrotz findet man
zwei ausgezeichnete Richtungen, in denen keine
Doppelbrechung auftritt, da die Schnittellipsen zu
Kreisen entarten (Abb. 4.4.3-4). Diese beiden
Richtungen stellen dann die beiden in diesen
Kristallen möglichen optischen Achsen dar. Darum
spricht man auch in diesen Fällen von optisch
zweiachsigen Kristallen.
Abb. 4.4.2-4 Indikatrix für den optisch zweiachsigen Fall. Die
optischen Achsen schliessen den optischen Achswinkel 2V
miteinander ein (Kleber, 4-26, 1990).
120
20. Doppelbrechung
Im Falle optisch anisotroper Materialien findet man, dass das einfallende
Lichtstrahlenbündel aufgespalten wird: ein Strahl folgt dem Snelliusschen Brechungsgesetz (ordentlicher Strahl), der andere tut dies scheinbar nicht (ausserordentlicher
Strahl). Dieses erstmals am Calcit (Kalkspat, CaCO 3,, 3m ) beobachtete Phänomen
(Abb. 4.4.3-1) wurde von Huygens so interpretiert, dass sich im anisotropen Kristall
zwei Wellen ausbreiten. Die ordentliche, die sich wie im isotropen Medium verhält,
sowie die ausserordentliche, für die die Ausbreitungsgeschwindigkeit richtungsabhängig ist und die Wellenfläche die Form eines Rotationsellipsoids hat. Die
Rotationsachse (optische Achse) fällt im Fall des Calcits mit der c-Achse zusammen.
Abb. 4.4.3-1 Doppelbrechung beim Calcit (Kleber, 4-17, 1990; Hecht/Zajac, 8-20, 1974).
121
Nach Huygens, breitet sich also von jedem Punkt im Calcit-Kristall eine zweischalige
Wellenfläche, aus einem Rotationsellipsoid mit eingeschriebener Kugel bestehtend,
aus. Beide berühren einander in den Durchstosspunkten der optischen Achse (cAchse). Die Wellenfronten für den ordentlichen und den ausserordentlichen Strahl
ergeben sich als Tangenten zu den beiden Wellenflächen, die sich mit
unterschiedlichen Geschwindigkeiten veN
(Wellennormalengeschwindigkeiten)
fortpflanzen (Abb. 4.4.3-2 und 4.4.3-3). Beim ausserordentlichen Strahl unterscheidet
sich zudem die Strahlengeschwindigkeit ve =AA e' / t von der Wellennormalengeschwindigkeit veN = AANe / t . Damit gilt auch beim ausserordentlichen Strahl das
Brechungsgesetz wieder
sin i /sin reN =c / veN =n e'
mit ne' als Brechungsindex des ausserordentlichen Strahls. Mit no als Brechungsindex
des ordentlichen Strahls wird dann die Grösse der Doppelbrechung durch die
Differenz ∆n ' =n e' – no der Brechungsindizes angegeben.
Abb. 4.4.3-2 Huygenssche Konstruktion für die Fortpflanzung von Licht in einem Calcit-Rhomboeder.
(a) Ein Lichtstrahl mit zwei orthogonalen Feldkomponenten spaltet in einen ordentlichen und einen
ausserordentlichen Strahl auf. Eine einfallende ebene Welle (b) senkrecht bzw. (c) parallel zur
Abbildungsebene polarisiert verhält sich unterschiedlich (Hecht/Zajac, 8-22,-23,-24, 1974).
122
(a)
(b)
Abb. 4.4.3-3 Huygenssche Konstruktion für die Fortpflanzung von Licht in einem Calcit-Rhomboeder
bei (a) senkrechtem, und (b) schrägem Einfall. O...optische Achse, S o...ordentlicher und
S e...ausserordentlicher Strahl (Kleber, 4-19,-20, 1990).
123
Für die Brechung an der Grenzfläche zweier Medien erhalten wir dann
sin ieN / sinr eN =ve1N / ve2N =n 'e2 / n 'e1
mit n'e1 und n'e2 als Brechungsindizes des ausserordentlichen Strahls.
Bei Einstrahlung des Lichts parallel zur optischen Achse besitzen ordentlicher und
ausserordentlicher Strahl die gleiche Wellenfront und Ausbreitungsgeschwindigkeit.
Bei Einstrahlung senkrecht zur optischen Achse ist die Ausbreitungsrichtung
ebenfalls gleich, die Ausbreitungsgeschwindigkeit und damit auch die
Brechungsindizes sind jedoch am unterschiedlichsten (Abb. 4.4.3-4) .
Abb. 4.4.3-4 Grenzfälle für die Fortpflanzungsrichtung von Licht in Calcit bei Einstrahlung (a) parallel
und (b) senkrecht zur optischen c-Achse (Kleber, 4-21, 1990).
Beispiel:
Calcit: ne = 1.4864, no = 1.6584 für Na D-Linie mit λ=589.3 nm, Grösse der Doppelbrechung ∆n = ne – no = 1.4864 – 1.6584 = – 0.172 , optisch negativ. Das negative
Vorzeichen bedeutet, dass die Geschwindigkeit der ausserordentlichen Welle grösser
ist als die der ordentlichen. Das Maximum der Strahlaufspaltung wird mit 6.25° bei
einem Eintrittswinkel des Lichts von ν = arctan (ne /n o) = 41.87° erreicht.
124
Unpolarisiertes Licht kann in einem optisch anisotropen Medium linear polarisiert
werden, d.h. der elektrische Feldvektor E besitzt nur mehr noch eine Schwingungsrichtung senkrecht zur Strahlrichtung S. Der Vektor der dielektrischen Verschiebung
D = εE = ε0 E + P (vgl.Kapitel 4.3.2) schwingt dagegen senkrecht zur Wellenormalen
N (Abb. 4.4.3-2). Bei den optisch einachsigen Kristallen (Kristallsystem: trigonal,
tetragonal, hexagonal) liegt die optische Achse in der Schwingungsebene der
ausserordentlichen Welle (Abb. 4.4.3-2), die Schwingungsebene der ordentlichen
Welle steht senkrecht dazu.
Dieser Effekt kann zur Erzeugung linear polarisierten Lichtes genutzt werden. Beim
Nicolschen Prisma verwendet man einen in bestimmter Orientierung in zwei Teile
gesägten und mit Kanadabalsam wieder zusammengekitteten Calcit-Spaltrhomboeder.
Der Schnitt und die Strahlrichtungen sind so gewählt, dass der Brechungsindex der
ausserordentlichen Welle mit ne =1.54 den gleichen Wert wie der Brechungsindex von
Kanadabalsam erhält und der Strahl deshalb den Kitt ohne Brechung durchlaufen
kann. Der ordentliche Strahl mit no=1.66 wird dagegen am Kanadabalsam
totalreflektiert (Abb. 4.4.3-5). Einfacher aufgebaut sind Polarisationsfilter, die sich
die in manchen Substanzen (z.B. Herapathit, ein Periodid des Chininsulfats oder
orientierte langkettige organische Farbstoffmoleküle) extrem unterschiedliche
Absorption des ordentlichen und des ausserordentlichen Strahls (Pleo- oder
Dichroismus) zunutze machen. Auch optisch isotrope kubische Kristalle können unter
mechanischer Spannung doppelbrechend werden (Spannungsdoppelbrechung).
Abb. 4.4.3-5 Strahlengang im Nicolschen Prisma (Kleber, 4-22, 1990)
125
21. Optische Aktivität
Wird die Polarisationsebene des Lichts beim Durchgang durch ein Medium gedreht,
spricht man von optischer Aktivität oder Gyrotropie.Die Drehung (Drehwinkel ϕ ) ist
dabei proportional zur Schichtdicke D des durchstrahlten Mediums
ϕ = ρD
das auch isotrop (kubisch, Flüssigkeit) sein kann (Abb. 4.4.4-1). Die spezifische
Drehung ρ ist wellenlängenabhängig (Rotationsdispersion) und stellt eine
Materialeigenschaft dar (Tab. 4.4.4-1).
Abb. 4.4.4-1 Drehung der Polarisationsebene von Licht beim Durchgang durch ein optisch aktives
Material (Hecht/Zajac, 8-54, 1974).
Tabelle 4.4.4-1 Spezifisches Drehvermögen
Material
NaClO3
NaBrO3
HgS (Zinnober)
SiO 2 (Tiefquarz)
Punktgruppe
23
23
32*)
32*)
*) Parallel zur optischen Achse
ρ einiger Materialien (Paufler, 1986)
λ (nm)
T (°C)
ρ (°mm-1)
489.12
491.64
589.3
589.3
1040
152.35
0.154
11.9
18.5
18.6
20
20
20
4.587
3.67
554.98
21.72
6.69
779.9
0.35
126
Die Drehung der Polarisationsebene kann man wie folgt interpretieren: eine linear
polarisierte Welle lässt sich in zwei gegenläufig zirkular polarisierte Wellen
aufspalten (Abb. 4.4.4-2). Beide durchlaufen ein optisch aktives Medium mit
unterschiedlichen
Geschwindigkeiten.
Der
Gangunterschied bewirkt bei der Superposition
beider
Wellen
eine
Drehung
der
Polarisationsebene. Im Bogenmass lässt sich dies
anschreiben als
ρ = π(n 1 – nr)λ vac
wobei n1 und nr die Brechungsindizes der
links- und der rechts-zirkularpolarisierten Welle
sind
und
auch
gleichzeitig
die
Wellenlängenabhängig-keit des Drehwinkels
zum Ausdruck kommt.
Abb. 4.4.4-2 Aufspaltung einer linear polarisierten Welle
in zwei gegenläufig zueinander zirkular polarisierte Wellen
(Kleber, 4-50, 1990).
Phänomenologisch kann man die optische Aktivität durch Erweiterung des
Zusammenhangs zwischen der dielektrischen Verschiebung D und der elektrischen
Feldstärke E darstellen
∂E
Di = εijE j +g ijk ∂x j
k
gijk bedeutet einen in den ersten beiden Indexpositionen antisymmetrischen, polaren
Tensor dritter Stufe, denn man zur Vereinfachung durch
2π g =γ und G = γ g
i
ij j
λ ijk lk
ersetzt und damit
Di = εijE j –i(G × E) i
erhält. Da D und E polare Vektoren sind, muss (G × E) auch einen polaren Vektor
liefern. Daraus folgt, dass der Vektor G ein Pseudotensor ist. Damit ist auch der
Gyrationstensor γ ein Pseudotensor (axialer Tensor) zweiter Stufe. Bei Existenz eines
Inversionszentrums ist dann optische Aktivität nicht möglich; ebenso nicht in den
Kristallklassen 4mm, 3m, 6 , 6m2, 6mm und 43m . Optische Aktivität können auch
flüssige Kristalle sowie Texturen mit der Symmetrie ∞, ∞2 oder 2∞∞ aufweisen. Die
optische Aktivität von Kristallen, die keine chiralen Moleküle enthalten ist eine Folge
der Enantiomorphie (Chiralität) ihrer Struktur.
127
22. Nichtlineare optische Effekte
Die bisher verwendete Beschreibung des Zusammenhangs zwischen elektrischer
Feldstärke und der durch sie hervorgerufenen Polarisation
P = ε0χeE bzw. Pi = ε0χ eijE j
beruht auf der Annahme einer linearen Beziehung. Bei hohen Feldstärken (Laser)
beobachtet man jedoch Abweichungen davon und man muss schreiben
P = χ(1)E + χ (2)E2 + χ (3)E3 +.....
wobei χ(1)= ε 0 χe die lineare dielektrische Suszeptibilität und χ(2) , χ(3) ,... die
nichtlinearen Suszeptibilitäten unterschiedlicher Ordnung repräsentieren. In
Komponentenschreibweise erhält man dann
(2)
(3)
Pi = χ(1)
ij E j +χijk E jEk + χijkl E jEkEl...
Die nichtlinearen optischen Effekte 2.Ordnung werden durch einen Tensor 3.Stufe
(2)
beschrieben. Da χijk
= χ (2)
ikj gilt, entspricht die innere Symmetrie dieses Tensors
derjenigen des Tensors des piezoelektrischen Effekts (Kapitel 4.3.2). Oft numeriert
man die Koeffizienten so um, dass sie nur zwei Indizes enthalten
(1)
χijk
2ε 0 = dim mit m=j=k=1,2,3 für j=k und m=9-(j+k)=4,5,6 für j≠k
Ein wichtiger nichtlinearer optischer Effekt 2.Ordnung ist die Erzeugung der zweiten
Harmonischen (second harmonic generation, SHG). Es kommt dabei zur Frequenzverdopplung: beschreibt man eine Lichtwelle der Frequenz ω, deren elektrischer
Feldvektor in einem Punkt des Mediums der Funktion E 1 = E0 cos ωt folgt und eine
Polarisation
(2)
(1)
(2) 2
2
P1 = χ(1)
11 E 1 +χ111E 1E1 +... = χ11 E0 cos ωt + χ 111E 0cos ωt +...
erzeugt, so erhält man wegen cos2 ωt =1/2(1+cos 2ωt) in der nichtlinearen
Polarisation einen konstanten Anteil und einen periodischen Beitrag doppelter
Frequenz. Besitzen die Grundwelle und die Oberwelle in einer bestimmten Richtung
die gleiche Ausbreitungsgeschwindigkeit, kommt es zur Verstärkung der Oberwelle.
128
23. Magnetische Eigenschaften
24. Grundbegriffe, Magnetische Anisotropie und Ordnung
Wird ein Material in ein magnetisches Feld gebracht, so wird in ihm ein magnetisches
Moment induziert. Das pro Volumeneinheit erzeugte magnetische Moment (magnetische Polarisation) J ist proportional zur magnetischen Feldstärke H
J = µ 0χm H bzw. J i = µ0χmij H j
wobei µ0 =4π.10– 7 Vs / (Am) die magnetische Induktionskonstante (Permeabilität
des Vakuums) ist, und die magnetische Suszeptibilität χm einen symmetrischen
polaren Tensor zweiter Stufe darstellt. In Analogie zur Beschreibung dielektrischer
Eigenschaften (Tabelle 4.5.1-1), führt man die magnetische Induktion B ein
B = µH = µ0 µr H = µ 0H +J =µ0 (H +M)
µr , der relativen, und µ , der absoluten
mit den polaren Tensoren zweiter Stufe
Permeabilität, für die gilt
µrij = µrij / µ 0 =χ mij + δij mit δ ij =
{
1 für i = j
0 füri ≠ j
Tabelle 4.5.1-1 Analogie magnetischer zu elektrischen Grössen (Kleber, 4-12, 1990)
Elektrische Grössen
bzw. Eigenschaften
Magnetische Grössen
bzw. Eigenschaften
E
H
P
J
P/
M
0
D
B
χe
m
χ
ε0
0
ε
εr
p
d
µ
µr
q
Q
Während E, P und D als polare Vektoren durch einen Betrag und eine Richtung
gekennzeichnet sind, besitzen H, J, M und B als axiale Vektoren (Pseudovektoren)
nur Betrag und Drehsinn um eine Achse. Erst durch die Konvention einer
Rechtsschraube
in
einem
rechtshändigen
Koordinatensystem wird ihnen eine
Richtung zugeordnet (Abb.
4.5.1-1). Ein polarer Vektor hat
für sich die Symmetrie ∞m, ein
axialer Vektor ∞/m.
Abb. 4.5.1-1 Spiegelung von (a)
polaren und (b) axialen Vektoren
(Kleber, 4-59, 1990).
129
Man unterscheidet folgende Gruppen magnetischen Verhaltens:
Diamagnetismus: diamagnetische Substanzen besitzen kein eigenes magnetisches
Moment. Sie werden von einem Magnetfeld abgestossen, da dieses eine schwache,
dem äusseren Feld entgegengerichtete Magnetisierung induziert. Diese hängt kaum
von der Temperatur ab. Typische Vertreter sind die Edelgase, Metalle wie Zn, Au,
Hg, Nichtmetalle wie Si und P, anorganische Salze der Hauptgruppenelemente wie
NaCl, CaF2 , CaCO3 , SiO 2 , sowie viele organische Verbindungen. χm < 0 ,
Grössenordnung 10– 6 (Abb. 4.5.1-2).
Paramagnetismus:
paramagnetische Substanzen besitzen Atome, Ionen oder
Moleküle mit permanenten magnetischen Momenten. Sie werden in ein Magnetfeld
hineingezogen, da sich die magnetischen Momente im äusseren Feld ausrichten. Die
Wärmebewegung wirkt dieser Orientierungsordnung entgegen und es gilt
Cij
m
χm = C
T bzw. χij = T
wobei C als Curie-Konstante bezeichnet wird. Typische Vertreter sind die Übergangselemente und Seltenen Erden sowie ihre Salze. χm > 0 , Grössenordnung
10– 5 (Abb. 4.5.1-2).
Die in Metallen durch die Ausrichtung der mit dem Spin der Leitungselektronen
assoziierten magnetischen Momente hervorgerufene Magnetisierung wird als PauliParamagnetismus bezeichnet.
Abb. 4.5.1-2 Molsuszeptibilität χm .Vm , mit V m als Molvolumen, der Elemente als Funktion der
Ordnungszahl Z. (Göppel/ZIegler, 2.6-2, 1996).
130
Dia- und Paramagnetismus sind Eigenschaften der einzelnen Atome, Ionen oder
Moleküle selbst, unabhängig von ihrer Fernordnung (kristallin, amorph, flüssig,
gasförmig) im Gegensatz zu den folgenden Fällen:
Ferromagnetismus: ferromagnetische Materialien besitzen magnetische Momente mit
spontan paralleler Anordnung innerhalb bestimmter Bereiche (Weisssche Bezirke).
Im äusseren Magnetfeld kommt es zu einer Parallel-Ausrichtung der magnetischen
Mo-mente aller Weissschen Bezirke durch Verschiebung der Bloch-Wände (Abb.
4.5.1-3).
[100]
[010]
(a)
(b)
Abb. 4.5.1-3 Weisssche Bezirke im (a) unmagnetisierten und (b) magnetisierten Kristall (Cahn, 5-76,
1992, 14-9, 1994).
Dabei treten Richtungen besonders leichter Magnetisierbarkeit auf: beim krz α-Eisen
sind das die sechs [100]-Richtungen, während die [111]-Richtungen am ungünstigsten
sind. Beim kfz Nickel dagegen, sind die acht [111]-Richtungen diejenigen leichtester
Magnetisierbarkeit; beim hdp Kobalt sind es die beiden Richtungen parallel zur cAchse (2.5.1-4). Diese magnetokristalline Anisotropie ist eine Folge des kristallinen
elektrischen Felds: die Atomorbitale nehmen eine bestimmte energetisch günstige
Orientierung zum Gitter an, und damit sind auch ihre Bahnmomente und über die
Spin-Bahn-Koppelung die Spinmomente an das Gitter gekoppelt (Abb. 4.5-4).
131
(a)
(c)
(b)
(d)
Abb. 4.5.1-4 Magnetisierungskurven von Einkristallen: (a) krz α-Eisen, (b) hdp Kobalt. dxy -Orbitale
im elektrischen Kristallfeld: (c) energetisch günstige und (d) ungünstige Orientierung (Cahn , 5-17,18,-19,1994).
Bringt man ein Ferromagnetikum mit statistisch orientierten Weissschen Bezirken in
ein
Magnetfeld,
so
wird
ab
einer
bestimmten
Feldstärke
eine
Sättigungsmagnetisierung Ms (alle Weissschen Bezirke sind orientiert) erreicht.
Schaltet man das Magnetfeld ab, so bleibt eine Restmagnetisierung Mo (Remanenz)
bestehen. Erst mit dem Anlegen eines entgegengesetzt gerichteten Koerzitivfelds mit
dem Betrag H o geht die Magnetisierung wieder auf Null zurück (Abb. 4.4-5). Die
Form dieser Hystereseschleifen ist dabei auch stark von der kristallographischen
Orientierung der Magnetisierungsrichtung abhängig. Materialien mit kleinen Werten
für M o und H o nennt man weich, solche mit grossen Werten hartmagnetisch. In
Spulenkernen oder Transformatorblechen, in denen magnetische Wechselfelder
induziert werden sollen, verwendet man zur Minimierung der Verlustenergie
(Wärme) weichmagnetische Materialien (Fe, Co, Ni,...). Für Permanentmagnete, die
nicht schon bei kleinen Magnetfeldern wieder entmagnetisiert werden sollen (z.B.
durch das Erdmagnetfeld), finden hartmagnetische Materialien Verwendung (Abb.
4.5.1-5).
132
(a)
(b)
Abb. 4.5.1-5 (a) Magnetisierung M eines Ferromagneten in Abhängigkeit von einem Magnetfeld H
(Kleber, 4-52, 1990). (b) Remanenz und Koerzitivfeldstärke magnetischer Werkstoffe (Göpel/Ziegler,
2.6-9, 1996).
Der für Dia- und Paramagnetismus geltende lineare Zusammenhang zwischen Feldstärke H und Magnetisierung M trifft hier nicht mehr zu. χm ist nicht mehr konstant
sondern stark feldabhängig. Die Sättigungsmagnetisierung M s nimmt mit steigender
Temperatur ab, bei der Curie-Temperatur Tc bricht die ferromagnetische SpinOrdnung zusammen, der Kristall wird paramagnetisch (Eisen T c=768°C, Nickel
Tc=360°C). Es gilt dabei das Curie-Weiss-Gesetz
Cij
m
χm = T C
bzw.
χ
=
ij
– Tc
T – Tc
Typische Ferromagnetika sind Fe, Co, Ni, Gd und ihre Legierungen, aber auch z.B.
CrTe, EuO, MnP, CrBr3 oder CdCr2Se4 (Tab. 4.5.1-2). χm > 0 , Grössenordnung bis
etwa 106 .
Tabelle 4.5.1-2 Magnetische Eigenschaften einiger Ferromagnetika (Jäger/Perthel, 4-1, 1966).
Substanz
Fe
Co
Ni
Gd
CrO2
CrBr3
EuO
EuS
α-UH3
CdCr 2Se4
Curie-Temperatur
TC [K]
1043
1400
630
292
405
37
69
16,5
182
129
Magnetisches Moment bei 0K
pro Volumeneinheit, M0 [Am-1]
1,74.106
1,46.106
0,524.106
2,12.106
0,666.106
0,27.106
1,91.106
1,22.106
0,23.106
0,36.106
Magnetisches Moment bei 0K
pro Molekül/Atom,
nB
2,217
1,729
0,617
7,55
2,03
3,0
7,0
7,0
0,9
3,0
133
Antiferromagnetismus: antiferromagnetische Substanzen besitzen eine antiparallele
Ausrichtung der magnetischen Momente. Ob parallele oder antiparallele Ordnung der
magnetischen Momente auftritt, hängt vom Vorzeichen des Austauschintegrals ab
(Abb. 4.5.1-6). Die Art der magnetischen Ordnung kann mit Hilfe von
Neutronenstreuung untersucht werden.
Abb. 4.5.1-6 Austauschintegral
als Funktion des Verhältnisses
von Atomabstand ra zu Elektronenbahnradius re (Lindner,
12-8, 1978).
Erstmals wurde Antiferromagnetismus in MnO bobachtet. Manganoxid kristallisiert
im NaCl-Typ und die Spins der Mn 2+ Ionen sind in aufeinanderfolgenden (111)Ebenen jeweils entgegengerichtet orientiert (Abb. 4.5-7). Die Zahl der bekannten
Antiferromagnetika übertrifft die der Ferromagnetika bei weitem. Einige Beispiele
sind in Tab. 4.5.1-3 angeführt.
Abb. 4.5.1-7 Spinorientierung der Mn2+ Ionen
in MnO (Kleber, 4-55, 1990).
134
Tabelle 4.5.1-3 Magnetische Eigenschaften einiger Antiferromagnetika (Jäger/Perthel, 4-2, 1966).
Substanz
Néel-Temperatur
TN [K]
308
72
53
116
198
291
525
130
150
340
100
307
Cr
MnF2
CrF 2
MnO
FeO
CoO
NiO
α-MnS
β-MnS
VO2
MnSe2
α-Cr2O3
Bravais-Gittertyp
cI
tI
mC
cF
cF
cF
cF
cF
cF
tI
cF
R
Effektives Magnetisches Moment
bei 0K pro Molekül/Atom,
neff
(0,40)
5,7
5,1
5,95
4,6
5,10
4,6
5,82
5,97
1,73
5,93
3,73
Die magnetische Suszeptibilität der Antiferromagnetika nimmt bis zur NeelTemperatur TN zu, dann bricht die antiferromagnetische Ordnung zusammen, die
Substanz wird paramagnetisch. Ein Vergleich der Temperaturabhängigkeit von ferro-,
antiferro- und paramagnetischen Materialien ist in Abb. 4.5.1-8 gegeben.
1
χ
)
0K
ro
ifer
ant (at
a
par
T=
Abb. 4.5.1-8 Schematische
Darstellung der Temperaturabhängigkeit
der
reziproken
magnetischen
Suszeptibilitäten (Cahn, 5-9,
1992).
ro
fer
0
p
T
Ferrimagnetismus: ferrimagnetische Substanzen besitzen antiparallel orientierte
magnetische Momente, wobei die Anzahl der magnetischen Momente in den beiden
Orientierungen unterschiedlich ist (Abb. 4.5.1-9). Typisch ist für Ferrimagnetika,
dass sie sich bei tiefen Temperaturen ähnlich wie Ferromagnetika und bei hohen
Temperaturen ähnlich wie Antiferromagnetika verhalten.
Der Name rührt von den Ferriten her; das sind Verbindungen der Art
n(MeO).m(Fe2 O3 ), Me steht für ein Übergangselement, die die Spinellstruktur
besitzen: Die Sauerstoffionen bilden eine kubisch dichteste Kugelpackung, in der die
Fe3 + die Oktaederlücken und die Me2 + die Tetraederlücken besetzen.
135
(e)
Abb. 4.5.1-9 Spinordnung in (a) Ferromagnetika, (b) Antiferromagnetika, (c) und (d) in
Ferrimagnetika; (e) Spinellstruktur (Kleber, 4-54, 1990; Kittel, 17, 1993).
Beispiel:
Beim Magnetit FeO.Fe2 O3 enthalten die beiden Fe3 + je 5 und das Fe2 + 4 Magnetonen
µB (Einheit des magnetischen Spinmoments), was bei paralleler Anordnung zu einem
magnetischen Moment von 14 µB führen würde. Man beobachtet aber ein
magnetisches Moment von lediglich etwa 4 µB . Daraus kann man schliessen, dass die
magnetischen Momente der beiden Fe3 + antiparallel zueinander stehen und einander
gegenseitig aufheben (Abb. 4.5-10).
8 Fe
3+
Tetraederplätze A
S=
5
2
Oktaederplätze B
S=
S=2
5
2
8 Fe
3+
8 Fe
2+
Abb. 4.5.1-10 Spinanordnung
in Magnetit (Kittel,
16,
1993).
Die 3d-Valenzelektronenspins der Metallionen sind durch einen Superaustausch über
Sauerstoffionen gekoppelt (Abb. 4.5.1-11).
136
(a)
(b)
(c)
Abb. 4.5.1-11 (a) Oktaeder und Tetraeder durch Sauerstoffionen in einer kubischen Spinellstruktur
gebildet; (b) Lage der Metallionen in den Oktaeder und Tetraederlücken; (c) Superaustausch zwischen
den Spins zweier Metallionen über ein Sauerstoffion (Lindner, 12-19,-20,-21, 1978).
Die grosse praktische Bedeutung der Ferrite beruht auf ihrem hohen spezifischen
Widerstand, der sie wegen geringerer Wirbelstromverluste als Kernmaterial für
Hochfrequenzspulen besonders geeignet macht.
Zur Beschreibung der Symmetrie von magnetisch geordneten Strukturen benötigt man
eine weitere Symmetrieoperation, die die Spinorientierung umkehrt: symbolisch von
+1 nach -1. Eine allgemeine Symmetrieoperation besteht dann aus einer räumlichen
Bewegung, die wie bisher symmetrieäquivalente Atome in einer Struktur ineinander
überführt sowie einem zusätzlichen Operator, der die Spinorientierung belässt oder
umkehrt. Bei Spinumkehr spricht man von einer Antisymmetrieoperation. Die Zahl
der kristallographischen Antisymmetrie-Punktgruppen erhöht sich dabei von 32 auf
122 (davon 90 magnetische Punktgruppen) (Tabelle 4.5.1-4), die der Raumgruppen
auf 1651 Antisymmetrie-Raumgruppen (davon 1421 Schwarz-Weiss-Raumgruppen).
Tabelle 4.5.1-4 Klassifizierung der 122 Antisymmetrie-Punktgruppen (Paufler, 4-5, 1986).
Farbe nach
Zweifarbensymmetrie
graue
weisse
schwarz-weisse
Anzahl
32 krist. +
7 kontin.
32 krist. +
7 kontin.
58 krist. +
7 kontin.
Einteilung nach
magnetischer Ordnung
ungeordnet
magnetische
(unmagnetische)
Anzahl
32 + 7
Gesamtzahl
122 krist. + 21 kontin. = 143
geordnet magnetische
90 + 14
Eine Darstellung weisser, grauer und schwarz-weisser Punktgruppen ist in Abb. 4.512 gegeben.
137
Abb. 4.5.1-12 Die antisymmetrischen, tetragonalen Dipyramiden in Seitenansicht und Draufsicht
(Kleber, 4-58, 1990).
25. Magnetostriktion
Bei der Magnetisierung eines Kristalls tritt eine spontane Verformung ein. Dies
bedeutet, dass die durch die Deformation verursachte Verringerung der Kristall- bzw.
Austauschenergie grösser ist als die Erhöhung der elastischen Energie des Kristalls.
Die mit der Deformation verbundenen Längen- und Volumenänderungen, werden als
spontane Magnetostriktion λs bzw. ωs bezeichnet. Die Längenänderung hängt vom
Winkel zwischen Feldrichtung und Achsrichtung (magnetischer Vorzugsrichtung,
siehe auch magnetokristalline Anisotropie in § 4.5.1), gegeben durch den
Richtungscosinus α i, ab. Damit gilt für die magnetostriktive Dehnung ε ijM
ε ijM = λijklαkαl mit i, ,jk,l =1,2,3
Der Tensor vierter Stufe reduziert sich im kubischen auf die zwei Komponenten
λ 100 und λ 111. Die Indizes sind hier die Millerschen Indizes der entsprechenden
Kristallrichtungen. Im Falle polykristalliner Materialien ergibt sich aufgrund der
statistischen Orientierung der Körner der Näherungswert
λs =
2λ100 + 3λ111
5
Für amorphe (d.h. isotrope) Materialien gibt es nur eine unabhängige
Tensorkomponente. Die Sättigungs-Magnetostriktionskonstanten der meisten ferround ferrimagnetischen Materialien liegen zwischen 10 -6 und einigen 10 -3 (Tab. 4.5.21). Sehr hohe Magnetostriktionswerte sind von Interesse für Anwendungen in der
Mikromechanik zur Umwandlung elektrischer Signale in mechanische Bewegungen
(Aktoren). Für weichmagnetische Materialien soll die Magnetostriktion dagegen
möglichst klein sein. Die Magnetostriktion spielt auch eine wichtige Rolle bei den
Invar-Legierungen, die sich durch eine sehr geringe thermische Ausdehnung
auszeichnen (siehe § 4.2.1).
138
Tabelle 4.5.2-1 Sättigungs-Magnetostriktionskonstanten einiger Materialien (Hornbogen/Warlimont,
18-2, 1996; Jäger/Perthel, 1996).
Material
Fe
Co
Ni
Co-Fe-Si-B amorph
Fe14Nd2B tetragonal
TbFe2
Tb0.27 Dy0.73 Fe2 amorph
λ100
[10-6]
λ111 [10-6]
19,5
-18,8
-45,9
-24,3
> 30
λhk0 > 125
2450
λs [10-6]
-9
-50
-34
<1
175
1750
> 5000
Magnetostriktive Materialien können sehr hohe Kräfte erzeugen. So erreicht man
beispielweise mit einem Bauelement von 10 mm Durchmesser bei 0.1% Dehnung
Kräfte bis zu einigen kN (Abb. 4.5.2-1). Das Material mit der höchsten
Magnetostriktionskonstante ist Terfenol-D (TERbium, FE, Naval Ordinance
Laboratory, Dysprosium) im Zusammensetzungsbereich TbxDy1-xFey mit 0.27≤x≤0.3
und 1.9≤y≤1.95. In einkristalliner Form kann Terfenol in Stäben bis zu 20 cm
erhalten werden. Es wird vor allem in Sonar Systemen eingesetzt.
Abb.
4.5.2-1
Verformungs-/Feldstärke-Diagramm eines typischen magnetostriktiven Aktors
(Culshaw, 4-16, 1996).
139
26. Elastische Eigenschaften
Wird ein Kristall durch mechanische Spannungen (Druck, Zug) verformt, so ist die
Verformung innerhalb eines gewissen Bereichs reversibel (elastische Deformation).
Bei höheren Spannungen kann es zur bleibenden Deformation (plastische
Deformation) und schliesslich zum Bruch kommen (Abb. 4.6-1).
Abb. 4.6-1 Zerreissdiagramm: Dehnung ε
als Funktion der mechanischen Spannung
σ an einer metallischen Probe (Kleber, 460, 1990).
Eine elastische Deformation ist in erster Näherung proportional zur mechanischen
Spannung. Wird ein Stab der Länge l durch eine Zugspannung σ längs der Stabachse
belastet, so erfährt er eine longitudinale Dilatation ∆l , und für die elastische Dehnung
ε = ∆l/ l gilt das Hooksche Gesetz
ε = ∆l =s σ bzw σ = E ∆l = Eε
l
l
mit dem Elastizitätskoeffizienten s=1/E und dem Elastizitätsmodul (Youngscher
Modul) E.
Für eine vollständige Beschreibung der elastischen Eigenschaften muss das Hooksche
Gesetz allgemeiner formuliert werden: der Deformationszustand wird durch den
Deformationstensor ε (siehe Kapitel 4.2.1) und der Spannungszustand durch den
Spannungstensor σ (siehe Kapitel 4.3.2) beschrieben
ε ij = sijkl σ kl bzw. σij = cijkl ε kl i, j,k,l = 1,2,3
wobei die Elastizitätskoeffizienten sijkl und die Elastizitätsmoduln c ijkl zueinander
reziproke, polare Tensoren vierter Stufe sind. Aufgrund der inneren Symmetrie des
Deformationstensors mit ε ij = ε ji folgt sijkl = s jikl , und da für den Spannungstensor
σ kl = σlk gilt, ergibt sich sijkl = sijlk . Sowohl die vorderen als auch die hinteren Indizes
sind somit vertauschbar, und wegen der Reversibilität der Deformationsarbeit ebenso
das vordere Indexpaar mit dem hinteren. Damit bleiben von den ursprünglich 34 = 81
möglichen Tensorkomponenten im allgemeinsten Fall lediglich noch 21 unabhängige
Materialkonstanten übrig. Diese Zahl wird durch die äussere Symmetrie des Tensors
noch weiter reduziert (Tabelle 4.6.1-1).
140
Tabelle 4.6.1-1 Zahl unabhängiger Elastizitätskoeffizienten (Kleber, 4-13, 1990).
Kristallsystem
Triklin
Monoklin
Rhombisch
Trigonal
Tetragonal
Hexagonal
Kubisch
Isotrop
Kristallklasse
alle
Klassen
alle
Klassen
alle
Klassen
3
4
alle
Klassen
*)
alle
Klassen
**)
5
3
2
Anzahl der
unabhängigen
Komponenten
21
13
9
32
3 3m 4
3m 4/m
7
6
7
4mm
42m
422
4/mmm
6
*) sowie die “wirteligen” kontinuierlichen Punktgruppen ∞; ∞/m; ∞2; ∞m; ∞/m
**) kontinuierliche Punktgruppen 2∞ und m ∞
Trägt man den Betrag des Elastizitätsmoduls eines Kristalls in Richtung des
Radiusvektors auf, so erhält man "Elastizitätsmodulkörper", Flächen vierten Grades,
die auch für den kubischen Fall von der Kugelsymmetrie abweichen. Das heisst, dass
sich auch kubische Kristalle nicht isotrop verhalten, und dass auch isostrukturelle
Metalle (Gold und Aluminium; Magnesium und Zink) sehr unterschiedliche
"Elastizitätsmodul-körper" haben können (Abb. 4.6.1-1)
Abb. 4.6.1-1 "Elastizitätsmodulkörper" von kubischem (a) Gold und (b) Aluminium mit der Symmetrie
m3m sowie von hexagonalem (c) Magnesium und (d) Zink mit der Symmetrie 6/mmm (Kleber, 4-62,
1990).
Es ist gebräuchlich, die Viererindizes der Einfachkeit halber durch Zweierindizes zu
ersetzen: ii→ i, ij→ 9-i-j für i ≠ j, also z.B. c 1122 → c12, c1232 → c 64 . Man erhält dann
ε µ = sµν σν bzw. σµ = cµν εν µ,ν =1,...,6
wobei sµν und c µν in der Form symmetrischer, zueinander inverser, 6x6-Matrizen
geschrieben werden können.Das bedeutet jedoch keineswegs eine Reduktion eines
141
Tensors 4.Stufe auf einen Tensor 2.Stufe! Tab. 4.6.1-2 gibt elastische Konstanten
einiger Materialien.
Tabelle 4.6.1-2 Elastische Konstanten
c µν 1010Nm –2 (Haussühl, XII(a), 1983).
c11
Diamant
Si
LiF
NaCl
λ-NaCN
CsCl
CaFl2
Y3Ga 5O12
KAl(SO4)2 . 12H2O
CsAl(SO 4)2 . 12H2O
NaBrO3
KH2PO4 ( 4 2)
α-Quarz (32)
Ga (mmm)
c11
c13
c12
104
16,5(1)
11,37(2)
4,944(8)
2,534(2)
3,64(1)
16,357(20)
28,70(1)
2,465(3)
3,118(5)
5,478(5)
= 7,165(5)
= 1,494(8)
c33
c66
c44 = c66
17
6,4(1)
4,76(3)
1,29(2)
1,444(6)
0,92(2)
4,401(16)
11,60(6)
1,021(8)
1,541(9)
1,628(6)
= 5,640(5)
= 0,621(4)
c12
c44
55
7,92(3)
6,35(3)
1,266(5)
0,033(1)
0,80(1)
3,392(13)
9,04(4)
0,867(5)
0,840(5)
1,505(5)
= -0,627(6)
=
1,248(6)
c E11 = 8,674
c E13 = 1,19
c E33 = 10,72
c E44 = 5,79
c E12 =
6,98
c E14 = -1,79
c11
c12
c66
c22
c13
c55
c33
c23
c44
= 10,16(1)
= 4,601(10)
= 4,079(10)
= 9,156(10)
= -3,057(10)
= 4,155(10)
= 13,64(1)
=
2,804(10)
=
3,499(10)
Die elastischen Konstanten isotroper Körper (z.B. auch polykristalline Metalle ohne
Textur) werden üblicherweise durch den Elastizitätsmodul E = 1 / s11 , den
Torsionsmodul G = 1 /2 (s 11 – s12) und das Poisson-Verhältnis
ν = – s12 / s11
beschrieben, wobei 2G = E/ (1 +ν) gilt.
27. Index
abbildenden Methoden, 22
Absorptionskante, 29
AFM, 21, 22
Anisotropie, 85
Anregungsspannung, 27, 28
Antiferromagnetismus, 133
Antisymmetrieoperation, 136
Atomformfaktor, 33
Auger-Elektronen Erzeugung, 30
Auslöschungen, 50
Ausscheidungen, 4, 14, 18
ausserordentlicher Strahl, 120, 122, 123
Austauschintegral, 133
axiale Vektoren, 85, 128
axialen Tensor, 99, 100
Berg-Barrett-Methode, 83
Beugungsbild, 47
Beugungsmethoden, 21, 24, 47
Beugungssymmetrie, 47
Beugungsvektor, 43
Bildplatte, 32, 62, 63
Bloch-Wände, 130
Bragg-Reflexe, 36
Braggsche Gleichung, 36, 38, 41, 43, 59
Brechungsgesetz, 114, 121
Brechungsindex, 114
Bremsstrahlung, 26, 27
Burgers-Vektor, 9, 10, 11, 12
Calcit, 94, 104, 119, 120, 121, 122, 123, 124
CCD ("Charge Coupled Device"), 64
charakteristische Strahlung, 26
chiral, 126
Compton-Streuung, 30
Crowdion, 6, 7
Curie-Gruppen, 91
Curie-Punkt, 55, 109
Curiesches Prinzip, 92
Curie-Weiss-Gesetz, 132
Deformationstensor, 98, 99, 100, 139
142
Detektoren, 31, 32, 33, 55, 58, 62, 63, 64, 65,
66, 73, 74, 75, 78, 109
Diamagnetismus, 129
dielektrische Verschiebung, 108, 124, 126
Dielektrizitätskonstante, 107
Diffusion, 1, 7, 18, 19, 20, 101, 107
Dilatometer, 98
Domänen, 4
Doppelbrechung, 93, 119, 120, 121
Drehanode, 25
Eichstandard-Methode, 76
Eigenschaftstensor, 85
elastische Deformation, 139
elastische Neutronenstreuung, 54
Elastizitätskoeffizienten, 139, 140
Elastizitätsmodul, 139, 140, 141
elektrische Feldstärke, 43, 85, 106, 107, 108,
112, 126
elektrische Leitfähigkeit, 106
elektrische Polarisation, 107, 110, 113
Elektronenmikroskopie, 21, 22
Elektronenstörstellen , 3
Elektrostriktion, 112
Ewaldkonstruktion, 41
Ewaldkugel, 41
Farbzentren, 8, 32, 63
Ferrimagnetismus, 134
Ferrite, 134, 136
Ferroelektrika, 109
Ferromagnetismus, 130
Flächendetektor, 32, 62, 63, 64, 65
Fluoreszenz, 30
Formgedächtnislegierungen, 1
Frenkel-Defekt, 5, 8
Frequenzverdopplung, 127
Friedelsches Gesetz, 48
Gitter-Diffusion, 19
Gitterschwingung, 3, 29, 54, 102, 116
Glasfaser, 64, 115, 116
Grenzflächen, 4, 19, 90
Grösse der Doppelbrechung, 121
Grosswinkelkorngrenze, 15, 16, 17
Guinier-Preston Zonen, 4
Guinier-Verfahren, 71
Gyrotropie, 125
Halbleiter-Detektor, 31
Hauptbrechungsindizes, 117
Hooksche Gesetz, 139
HRTEM, 21, 22
Idealkristall, 1
Imaging Plate Detektor, 63
Indikatrix, 116, 117, 119
induzierende Grösse, 89
induzierte Grösse, 89
inelastische Neutronenstreuung, 54
Inelastische Streuung, 29
Innere Spannungen, 1
innere Symmetrie, 100
Intensität der Braggreflexe, 47
Interferenz, 34, 35
Invar Effekt, 97
Kleinwinkelkorngrenze, 15, 16
Koerzitivfelds, 131
Koinzidenzgitter, 16, 17
Korngrenzen, 4, 7, 19, 83, 84
Korngrenzen-Diffusion, 19
Kristallphysik, 85
Lang-Methode, 84
Laser, 32, 63, 109, 127
Lauegleichungen, 35, 36
Laue-Gruppe, 48
Laue-Methode, 58, 61
Lauesche Interferenzfunktion, 45
Laue-Symmetrie, 58
Leerstellen, 1, 5, 7, 8, 11, 12, 18, 19
Lichtbrechung, 1, 113, 114
Linear-Detektor, 31
Liniendefekte, 4
Luminiszenz, 3, 63
magnetische Feldstärke, 128
magnetische Induktion, 128
magnetische Polarisation, 128
magnetische Punktgruppe, 136
magnetische Suszeptibilität, 128, 134
magnetisches Feld, 89, 92, 113, 128
magnetisches Moment, 128, 130, 134
magnetokristalline Anisotropie, 130, 137
Magnetostriktion, 97, 137, 138
Martensitische Phasenumwandlung, 2
Materialkonstante, 89
Maxwellsche Relation, 115, 116
Millersche Indizes, 37
Mischkristall, 4, 111
Mosaikbau, 15
Neel-Temperatur, 134
Neumannsche Prinzip, 90
Neutronenstreung, 2
nichtlinearer optischer Effekt, 99, 127
Nicolsches Prisma, 124
Nitinol, 1
optisch zweiachsig, 119
optisch einachsig, 119, 124
optische Achse, 120, 122, 124
optischr Aktivität, 125
ordentlicher Strahl, 120, 122, 123
Orientierungsverteilungsfunktion (ODF), 81
Paramagnetismus , 129
Pauli-Paramagnetismus, 129
Permeabilität, 128
Permittivität, 107, 113
Phasenanalyse, 25, 76
Phononen , 2, 3, 29, 54, 102, 116
Photoelektrischer Effekt, 30
Photographischer Film, 31
Piezoelektrika, 111
piezoelektrischer Effekt, 110
piezoelektrischer Tensor, 110
plastische Deformation, 139
Poisson-Verhältnis, 141
polare Vektoren, 126, 128
polarer Tensor, 99, 100
Polarisationsfilter, 124
Polfigur, 81
Polymere, 96, 102, 111
143
Poyntingvektor, 113
Pseudotensor, 85, 99, 126
Pulverdiagramm, 66
Punktdefekte , 3, 4, 5, 7, 8, 11, 19, 102
Pyroelektrika, 109
pyroelektrischer Effekt, 108
PZT-Keramik, 111
Quarz, 77, 90, 94, 98, 104, 106, 111, 112, 115,
117, 141
Realkristall, 1
Realstruktur, 1, 22, 24, 25, 78
Reflexionsbedingung, 52
Remanenz, 131
Ringdiffusion, 18, 19
Röntgenbeugung, 21, 25, 31, 46, 54, 63, 65, 66
Röntgenröhre, 25, 26, 27, 28, 66, 71, 72
Röntgenstrahlung, 25, 28, 29, 33, 43, 46, 54,
58, 59, 63, 66, 67
Röntgentopographie, 83
Rotationsdispersion, 125
RTM, 23
Schottky-Defekt, 5, 7, 8
Schraubenversetzung, 9, 10, 14
Schwarz-Weiss-Raumgruppe, 136
second harmonic generation, SHG, 127
shape memory alloys, 1
Spannungsdoppelbrechung, 93, 124
Spannungstensor, 110, 139
Spektroskopische Methoden, 21, 24
spontane Polarisation, 108
STM, 21, 22
Strahlengeschwindigkeit, 121
Streuquerschnitte, 53
Strukturamplitude, 46
Strukturfaktor, 46
Stufenversetzung, 9, 10, 14, 15
Subkorngrenze, 15
Superaustausch, 135
Superionenleiter, 107
Synchrotronstrahlung, 28, 46, 74, 75, 83
Szintillationszähler, 31
Temperaturleitfähigkeit, 101
Temperaturleitzahl, 101
Tensor, 85
Tensor der elektrischen Leitfähigkeit, 106
Tensor des elektrischen Widerstands, 106
Tensorsymmetrie, 98
Terfenol, 138
Textur, 80
thermische Ausdehnung, 94, 95, 96, 97, 137
thermische Leitfähigkeit, 106
thermische Neutronen, 53
thermischer Ausdehnungskoeffizient, 94, 96
Torsionsmodul, 141
Totalreflexion, 115
Versetzungen, 1, 4, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15,
16, 83, 84
Versetzungsdichte, 13, 14
Versetzungskern, 10
Versetzungslinie, 9, 10, 13, 14
Versetzungsring, 10, 12
Vorzugsorientierung, 80
Wärmedämmung, 103
Wärmekonduktometer, 103
Wärmeleitfähigkeit, 101, 102, 103, 104, 105,
106
Wärmeleitfähigkeitstensor, 101, 106
Wärmeleitzahl, 101
Wärmestromdichte, 89, 101
Wärmewiderstandstensor, 105
Weisssche Bezirke, 130
Wellennormalengeschwindigkeit, 121
Youngscher Modul, 139
Zwillingsgrenze, 4, 15, 17
Zwischengitterdiffusion, 18, 19
Zwischengitterplätze, 5, 8
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