VOLKSWIRTSCHAFT AKTUELL 4. Oktober 2013 ABGELTUNGSTEUER VOR DEM AUS? von Dr. Jörn Quitzau, Berenberg Volkswirt Die bevorstehenden Koalitionsgespräche in Berlin werfen steuerpolitische Schatten voraus. Sowohl SPD als auch die Grünen hatten sich im Wahlkampf für höhere Steuern ausgesprochen. Wenige Tage nach der Bundestagswahl hatten auch einige Vertreter der Unionsparteien dies als Koalitionskompromiss zumindest nicht ausgeschlossen. Abgeltungsteuer kommt wohl auf den Prüfstand Ziemlich sicher dürfte in den Koalitionsverhandlungen die Besteuerung der Kapitalerträge auf den Prüfstand kommen. Seit dem 01.01.2009 werden Kapitalerträge in Deutschland mit einem festen Abgeltungssatz von 25 % (incl. Solidaritätszuschlag 26,4 %) besteuert.1 Während die SPD gemäß ihrem Wahlprogramm den Abgeltungssatz um sieben Prozentpunkte auf 32 % anheben möchte, beabsichtigen die Grünen, die Abgeltungsteuer abzuschaffen und Kapitalerträge künftig wieder dem progressiven Einkommensteuertarif zu unterwerfen. Abgeltungsteuer fördert Wachstum Die öffentliche Diskussion hat das Thema Abgeltungsteuer bereits erreicht. Dabei dreht sich die Argumentation – wie so oft – fast nur um Gerechtigkeitsfragen: Ist es gerecht, dass quasi leistungslose Einkommen niedriger besteuert werden als Einkommen, die aus Arbeitsleistungen resultieren? Selbstverständlich müssen solche Gerechtigkeitsaspekte eine wichtige Rolle im Steuersystem spielen. Doch aus ökonomischer Sicht muss auch die Effizienz einer Steuer bewertet werden. Dabei spricht viel für die Abgeltungsteuer. Kapitalerträge steuerlich schonender zu behandeln fördert die Sparbereitschaft. Der so entstehende Kapitalstock ermöglicht höhere Wachstumsraten, mehr Beschäftigung und höheren Wohlstand. Wegen der ökonomischen Vorzüge hatte sich der Sachverständigenrat („5 Weise“) jahrelang für eine „Duale Einkommensteuer“ eingesetzt, bei der der mobile Produktionsfaktor Kapital steuerlich geringer belastet wird als der vergleichsweise immobile Faktor Arbeit. Mit der Abgeltungsteuer Steuerpflichtige, deren persönlicher Grenzsteuersatz unter dem Abgeltungssatz von 26,4 % liegt, haben ein Veranlagungswahlrecht, so dass sie durch die Abgeltungsteuer nicht schlechter gestellt werden. Für Ledige liegt die Schwelle bei knapp 19.000 Euro Jahreseinkommen. Zudem gilt es, den Sparer-Pauschbetrag zu berücksichtigen. 1 wurde die Idee des Sachverständigenrates in Grundzügen verwirklicht. Über die wachstumsfördernde Wirkung hinaus spricht auch die demographische Situation in Deutschland dafür, Kapitalerträge nur maßvoll zu besteuern. Da die gesetzliche Rente allein für viele Rentner nicht mehr ausreichen wird, muss die drohende Rentenlücke durch private Vorsorge geschlossen werden. Aus diesem Grund hat die rot-grüne Regierung vor gut zehn Jahren zum Beispiel die staatlich geförderte, aber privat finanzierte RiesterRente eingeführt. Wenig hilfreich wäre es deshalb, in einer alternden und auf private Vorsorge angewiesenen Gesellschaft die Steuern auf Kapitalerträge zu erhöhen. Sind höhere Kapitalertragsteuern wirklich gerecht? Auch die Gerechtigkeitsfrage ist nicht so leicht zu beantworten, wie es in vielen öffentlichen Diskussionen suggeriert wird. Natürlich erscheint es ungerecht, wenn Arbeitseinkommen höher besteuert werden als (vermeintlich risikolose) Einkommen aus Kapitalerträgen. Aber: Kapitalerträge werden aus bereits versteuerten (und gesparten) Einkommen erwirtschaftet. Viele Bürger empfinden deshalb die Steuer auf solche Erträge als unangemessene Doppelbesteuerung. Die Kapitalertragsteuer hat also aus Gründen des Gerechtigkeitsempfindens ein Akzeptanzproblem in der Bevölkerung. Die Abgeltungsteuer nimmt diesem Akzeptanzproblem aufgrund des niedrigeren Steuersatzes ein wenig die Schärfe. Auch unter akademischen Steuerexperten ist umstritten, ob Kapitalerträge überhaupt besteuert werden sollten. Eine Reihe von Fachleuten plädiert für konsumorientierte Steuersysteme und damit für den vollständigen Verzicht auf die Besteuerung von Kapitalerträgen. Dem gegenüber verlangen Befürworter von einkommensorientierten Steuersystemen, alle Einkommensarten gleichmäßig zu erfassen – sie fordern also die Besteuerung der Kapitalerträge mit dem individuellen Einkommensteuersatz. Die Abgeltungsteuer ist insofern ein praktischer Kompromiss zwischen konsum- und einkommensbasierten Ansätzen. Eine scharfe Besteuerung von Kapitalerträgen kann aber auch aus einem anderen Grund kaum als gerecht eingestuft werden: Im VOLKSWIRTSCHAFT AKTUELL aktuellen Niedrigzinsumfeld ist es für Anleger fast nicht möglich, Zinsen oberhalb der Inflationsrate zu erzielen. Derzeit müssen Sparer schon in Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit investieren, um einen leicht positiven Realzins zu erzielen (siehe Abbildung). Dagegen rentieren Bundesanleihen mit fünfjähriger Laufzeit momentan lediglich mit rund 0,8 % und gleichen somit gerade einmal die Hälfte der aktuellen Inflationsrate (1,5 %) aus. Damit wird deutlich: Niedrigzinsen zu besteuern heißt Scheingewinne zu besteuern. Ein höherer Abgeltungssatz oder die Rückkehr zum progressiven Einkommensteuertarif würde das Problem weiter verschärfen.2 Der Verstoß gegen das steuerliche Leistungsfähigkeitsprinzip ist offensichtlich, denn wenn Zinsen allenfalls den Kaufkraftverlust ausgleichen, können Zinseinnahmen nicht Ausdruck steuerlicher Leistungsfähigkeit sein. Eine wichtige Funktion der Abgeltungsteuer ist gerade, der Besteuerung von Scheingewinnen entgegenzuwirken. in % Realzinsen Deutschland 6 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 0 -1 Jan 96 4. Oktober 2013 ∙ Seite 2 Zugriff auf Kapitalerträge zu verschärfen. Selbstverständlich muss die aktuelle Version der Abgeltungsteuer nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Falls die neue Regierung eine grundlegende Reform der Kapitalertragsbesteuerung für notwendig hält, sollte sie sich dafür allerdings ausreichend Zeit nehmen. Das Thema ist zu komplex, um es binnen weniger Wochen im Zuge von Koalitionsverhandlungen abzuhandeln. Bevor die Abgeltungsteuer eingeführt wurde, haben Sachverständige und Politiker über viele Jahre Vor- und Nachteile abgewogen. Es wurde hart verhandelt, um zu einer tragfähigen Lösung zu kommen. Diese Lösung sollte nicht vorschnell geopfert werden. Letztlich muss die Art der Besteuerung auch in das politische Gesamtkonzept passen. Und beim Gesamtkonzept wird es künftig vorrangig darum gehen, die Folgen des demographischen Wandels zu bewältigen. Private Vorsorge wird hierbei sehr wahrscheinlich eine tragende Rolle spielen. Die Bürger brauchen die richtigen Anreize, um privat entsprechend vorzusorgen. Eine Abkehr von der Abgeltungsteuer wäre der falsche Weg und das auch noch zum falschen Zeitpunkt. -1 Jan 98 Jan 00 Jan 02 Jan 04 Jan 06 Jan 08 Jan 10 Jan 12 Anmerkung: Realzins = Nominalzins abzgl. Inflationsrate. Quellen: Bloomberg, eigene Berechnungen. Fazit: Schlechter Zeitpunkt für höhere Kapitalertragsteuern Die aktuelle Niedrigzinsphase, in der Sparer und Anleger aufgrund der Inflation mit realen Vermögensverlusten zu kämpfen haben, ist wohl kaum der geeignete Zeitpunkt, den steuerlichen Der Anleger hat zwar die Möglichkeit, höhere Zinsen oder andere Kapitalerträge zu erzielen, doch muss er dafür höhere Risiken eingehen. Ein nahezu risikoloser (Real-) Zins, der Anlegern in den vergangenen Jahrzehnten immer zu Verfügung stand, existiert nicht mehr. 2 Wichtige Hinweise: Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des § 34b WpHG, keine Anlageberatung, Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche und finanzielle Beratung. Die in diesem Dokument enthaltenen Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen und berücksichtigen den Stand bis zum Tag vor der Veröffentlichung. Nachträglich eintretende Änderungen können nicht berücksichtigt werden. Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG Neuer Jungfernstieg 20 20354 Hamburg Telefon +49 40 350 60-0 www.berenberg.de · [email protected]