Gauri R. Varadhachary, James L. Abbruzzese 120e Karzinom mit unbekanntem Primärtumor Für die deutsche Auflage Ulrich Keilholz Karzinome mit unbekanntem Primärtumor (CUP) sind histologisch gesicherte (überwiegend epitheliale) Tumorerkrankungen, deren primärer anatomischer Ursprung trotz intensiver Suche nicht identifiziert werden konnte. Mit 3–5 % aller Tumorerkrankungen ist das Karzinom mit unbekanntem Primärtumor eine der zehn häufigsten Krebserkrankungen weltweit. Die meisten Untersucher zählen Lymphome, metastasierte Melanome und metastasierte Sarkome ohne bekannten Primärtumor nicht zu den Karzinomen mit unbekanntem Primärtumor, da es für diese Tumorerkrankungen spezifische stadienund histologiebasierte Behandlungsrichtlinien gibt. Durch die Entwicklung ausgefeilter bildgebender, zuverlässiger immunhistochemischer (IHC) und genomischer sowie proteomischer Untersuchungsmethoden wird der Begriff „unbekannt“ immer häufiger aufgelöst. Außerdem haben die effektiven gezielten Therapien bei mehreren Krebsformen das Paradigma von einer empirischen zur individualisierten Behandlung von Karzinomen mit unbekanntem Primärtumor verschoben. Es ist nach wie vor unklar, warum Tumoren als Karzinome mit unbekanntem Primärtumor vorkommen. Eine Hypothese ist, dass sich der Primärtumor entweder nach Abschluss der Metastasierung spontan zurückbildet oder so klein bleibt, dass er nicht erkannt wird. Möglicherweise gehört das Karzinom mit unbekanntem Primärtumor zu den Tumoren, deren Primärtumor durch Abwehrmechanismen des Körpers begrenzt oder eliminiert wird. Alternativ könnten diese Karzinome durch eine spezifische maligne Transformation entstehen, die weniger die Entwicklung eines Primärtumors als die Metastasierung und das Überleben der Tumorzellen begünstigt. Es bleibt derzeit unklar, ob die Metastasen eines Karzinoms mit unbekanntem Primärtumor wirklich einen genetisch und phänotypisch distinkten Tumorklon repräsentieren. BIOLOGIE DES KARZINOMS MIT UNBEKANNTEM PRIMÄRTUMOR Typische Signaturen für Karzinome mit unbekanntem Primärtumor wurden nicht identifiziert. Es wurden bislang keine Charakteristika identifiziert, die Metastasen von Karzinomen mit unbekanntem Primärtumor von Metastasen bekannter Primärtumoren unterscheiden. Es wurden Veränderungen in den Chromosomen 1 und 12 und andere komplexe zytogene Veränderungen gefunden. Aneuploidie wurde bei 70 % der Patienten mit einem Karzinom mit unbekanntem Primärtumor und metastasierten Adenokarzinomen oder undifferenzierten Karzinomen beschrieben. In Karzinomen mit unbekanntem Primärtumor wurde die Überexpression unterschiedlicher Gene, wie ras, bcl-2 (40 %), her-2 (11 %) und p53 (26–53 %), untersucht, die allerdings keinen Einfluss auf Ansprechen auf Behandlung oder Überlebenszeit hat. Außerdem wurde untersucht, ob das Ausmaß der Angiogenese in Karzinomen mit unbekanntem Primärtumor im Vergleich zu Metastasen bekannter Primärtumoren unterschiedlich ist, hierbei zeigten sich jedoch keine konsistenten Unterschiede. Eine Studie mit der Sequenom(SQM)-Massenarray-Plattform an konsekutiven Patienten mit einem CUP ergab eine überraschend niedrige Gesamtmutationsrate (18 %). Mit einem Mutationspanel unter Einschluss des P13K-Signalwegs, des MEK-Signalwegs, von Rezeptoren und Downstream-Effektoren wurden keine „neuen“ seltenen Mutationen gefunden. Trotzdem ist es denkbar, dass neuere Techniken zur Tiefensequenzierung bei ausgewählten Patienten konsistente Anomalien ergeben. & KLINISCHE UNTERSUCHUNG Die initiale Evaluation hat zwei Ziele: die Suche nach dem Primärtumor anhand der pathologischen Evaluation der Metastasen und die Ermittlung des Ausmaßes der Erkrankung. Bei Patienten mit Karzinomen mit unbekanntem Primärtumor muss in jedem Fall eine sehr ausführliche Anamnese erhoben werden, wobei insbesondere auf vorherige Operationen, entfernte angeblich benigne Läsionen und die Familienanamnese zur Aufdeckung möglicher hereditärer Tumorerkrankungen geachtet werden muss. Die körperliche Untersuchung muss die digital-rektale Untersuchung bei Männern und die Untersuchung der Brustdrüse und des Beckens bei Frauen beinhalten. Die Rolle von Tumormarkern und Zytogenetik Die meisten Tumormarker, inkl. CEA, CA-125, CA 19-9 und CA 15-3, sind, wenn erhöht, nicht spezifisch und nicht hilfreich, um die Primärtumorlokalisation zu identifizieren. Bei Männern mit Adenokarzinomen und osteoblastischen Metastasen sollte das PSA bestimmt werden. Bei Patienten mit undifferenziertem oder schlecht differenziertem Karzinom (insbesondere mit Midline-Tumor), erhöhtem β-hCG und α-Fetoprotein besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen extragonadalen Keimzelltumor. Seitdem die Immunhistochemie zur Verfügung steht, sind zytogenetische Studien nur noch selten erforderlich. Bildgebende Verfahren Bei fehlenden Kontraindikationen ist eine Ausgangs-CT mit Kontrastmittel von Thorax, Abdomen und Becken der Standard. Sie erlauben gleichzeitig die Beurteilung des Ausmaßes der Erkrankung sowie die Identifikation von Läsionen, bei denen eine Biopsie möglich ist. Ältere Studien zeigten, dass bei ungefähr 20–35 % der Patienten durch ein CT des Abdomens und Beckens ein Primärtumor gefunden wird, allerdings gehört heute zur Definition eines Patienten mit einem Karzinom mit unbekanntem Primärtumor dazu, dass der Primärtumor nicht durch CT-Untersuchungen identifiziert wurde. Aus diesen Studien ergab sich eine Prävalenz von 20 % für latente Primärtumoren, die durch weitere detaillierte Bildgebung inzwischen auf ≤ 5 % reduziert wurde. Bei allen Frauen, die mit einem metastasierten Adenokarzinom auffällig werden, sollte eine Mammografie und bei unklarem oder negativem Befund evtl. ergänzend eine Sonografie oder MRT der Brust durchgeführt werden, insbesondere bei einem Adenokarzinom in axillären Lymphknoten. Die Ergebnisse dieser Bildgebung beeinflussen die Entscheidung zum chirurgischen Vorgehen, da bei negativem MRT der Brust die Wahrscheinlichkeit der Erkennung eines Tumors in einem Mastektomiepräparat sehr gering ist. Bei Plattenepithelkarzinom und zervikalem CUP (Lymphknotenbefall ohne bekannten Primärtumor) beinhaltet die Diagnostik neben der CT- oder MRT-Untersuchung der Kopf-Hals-Region eine umfassende invasive Diagnostik, die eine indirekte und direkte Laryngoskopie, Bronchoskopie und Ösophagogastroskopie beinhaltet. Einseitige oder beidseitige Tonsillektomie mit ausführlicher histologischer Untersuchung wird für Patienten mit zervikalem Karzinom mit unbekanntem Primärtumor empfohlen, vor allem wenn das Karzinom oberhalb der für Magen und Ösophaguskarzinome typischen supraklavikulären Lokalisation liegt. Die Fluorodesoxyglukose-PositronenEmissionstomografie (FDG-PET) ist bei Patienten mit zervikalem CUP ergänzend sinnvoll, um die günstigsten Lokalisationen für eine Biopsie, das präoperative Ausmaß der Erkrankung und die Planung einer möglichen Bestrahlung zu determinieren. Ein kleineres Bestrahlungsfeld, das den Primärtumor (sofern ermittelt) und die Lymphknotenmetastasen erfasst, senkt die Gefahr späterer Toxizität, insbesondere schwerer chronischer Xerostomie. Mehrere Studien haben die Bedeutung des PET bei Patienten mit zervikalem Karzinom mit unbekanntem Primärtumor untersucht. In diesen allerdings relativ kleinen Patientenserien wurden die Primärtumoren bei 21–30 % der Patienten identifiziert. Die Bedeutung der PET für die Untersuchung nicht zervikaler Karzinome mit unbekanntem Primärtumor wird sehr kontrovers beurteilt und PET daher nicht routinemäßig empfohlen. PET oder PETCT können für die Planung regionaler Therapieverfahren, insbesondere einer chirurgischen Resektion von Metastasen oder einer Bestrahlung, hilfreich sein, da die Präsenz weiterer Krankheitsmanifestationen sowohl die chirurgische Strategie als auch die Strahlentherapie beeinflusst. Invasive Untersuchungen wie Gastroösophagoskopie, Koloskopie und Bronchoskopie sollten bei Patienten durchgeführt werden, bei denen Laboruntersuchungen oder histologische Besonderheiten (insbesondere Zytokeratinmuster) nahelegen, dass diese Untersuchungen wahrscheinlich zur Diagnose führen. Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license. 120e-1 Teil 7 Onkologie und Hämatologie & HISTOPATHOLOGISCHE DIAGNOSE DES KARZINOMS MIT UNBEKANN- TEM PRIMÄRTUMOR Die Basis der Diagnostik des Karzinoms mit unbekanntem Primärtumor ist eine detaillierte pathologische Untersuchung des durch Biopsie gewonnen Gewebes. Typischerweise beinhaltet sie Hämatoxylinund Eosinfärbungen und immunhistologische Analysen. Elektronenmikroskopie und Zytogenetik sind nur selten von Nutzen. Lichtmikroskopische Untersuchung Eine ausreichende Gewebeprobe, die vorzugsweise mittels Exzisionsoder Stanzbiopsie (statt Feinnadelaspiration) gewonnen wurde, wird mit Hämatoxylin und Eosin gefärbt und lichtmikroskopisch untersucht. Dabei werden 60–65 % der Karzinome mit unbekanntem Primärtumor als Adenokarzinom und 5 % als Plattenepithelkarzinom identifiziert. Die übrigen 30–35 % sind schlecht differenzierte Adenokarzinome, schlecht differenzierte Karzinome oder undifferenzierte Neoplasien. In einem kleinen Prozentsatz der Biopsien ergeben sich neuroendokrine Karzinome (2 %), gemischte Tumoren (adenosquamöse oder sarkomatoide Karzinome) oder undifferenzierte Neoplasien (Tab. 120e-1). Immunhistologie Die Zahl der verfügbaren immunhistologischen Analysen nimmt stetig zu. Es werden Peroxidase-gekoppelte Antikörper verwendet, die gegen spezifische Tumorantigene gerichtet sind. Allerdings ist beim Karzinom mit unbekanntem Primärtumor eine unselektive Auswahl der immunhistologischen Färbungen nicht sinnvoll, diese müssen im Zusammenhang mit der klinischen Präsentation und dem Ergebnis der bildgebenden Verfahren stehen, um die beste Behandlung zu planen. Daher ist eine enge Kommunikation zwischen Kliniker und Pathologen essenziell. Es gibt keine zu 100 % spezifische Färbung und eine Überinterpretation muss vermieden werden. PSA und Thyreoglobulin gehören zu den spezifischen Markern und zeigen, wenn sie positiv sind, ein Prostatakarzinom oder Schilddrüsenkarzinom an. Dennoch ist der Beitrag dieser Färbungen gering, da das Prostatakarzinom und das Schilddrüsenkarzinom sehr selten als Karzinom mit unbekanntem Primärtumor auftauchen. Abbildung 120e-1 zeigt einen einfachen Algorithmus für die immunhistologischen Untersuchungen bei Patienten mit Karzinom mit unbekanntem Primärtumor. Tabelle 120e-2 listet zusätzliche Untersuchungen, die nützlich sein können, um die Organzugehörigkeit besser zu definieren. Eine TABELLE 120e-1 Häufige Histologien beim Karzinom mit unbekanntem Primärtumor Histologie umfassendere Diagnostik kann zwar die diagnostische Sicherheit erhöhen, allerdings die Untersuchung auch sehr komplex gestalten. Durch die Verfügbarkeit immunhistologischer Untersuchungen ist die aufwändige Elektronenmikroskopie heute praktisch nicht mehr notwendig. Es gibt mehr als 20 Subtypen des Cytokeratin(CK)-intermediären Filaments mit unterschiedlichem Molekulargewicht und Expression in unterschiedlichen Zelltypen und Tumoren. Daher sind molekulare Antikörper für spezifische CK-Sybtypen zur Einteilung von Tumoren entsprechend ihrer wahrscheinlichen Ursprungslokalisation hilfreich. Am häufigsten werden beim Adenokarzinom CK7- und CK20-FärTABELLE 120e-2 Ausgewählte immunhistochemische Färbungen, die bei der Diagnose des Karzinoms mit unbekanntem Primärtumor von Nutzen sind Vermutetes Primärprofil Häufige bei der Diagnose des Karzinoms mit unbekanntem Primärtumor eingesetzte immunhistochemische Verfahrena Mamma Östrogenrezeptor (ER), Gross Cystic Disease Fibrous Protein-15 (GCDFP-15), Mammaglobin, HER2/neu Ovar/Müllerscher Mischtumor Östrogenrezeptor (ER), Wilms-Tumorgen (WT-1), CK7, PAX8, PAX2 Bronchiales Adenokarzinom Thyroid Transcription Factor (TTF-1; Kernfärbung), Napsin A, Surfactant Protein A precursor (SP-A1) Keimzelltumor β-hCG, AFP, OCT3/4, CKIT, CD30 (embryonal), SALL4 Prostata PSA, α-Methylacyl-CoA-Racemase/P504S (AMACR/P504S), P501S (Prostein) und prostataspezifisches Membranantigen (PSMA) Gastrointestinal CK7, CK20, CDX-2, karzinoembryonales Antigen (CEA) Neuroendokrin Chromogranin, Synaptophysin, CD56 Sarkom Desmin (Desmoidtumoren), Factor VIII (Angiosarkome), CD31, Smooth Muscle Actin (Leiomyosarkom), MyoD1 (Rhabdomyosarkom) Renal RCC, CD10, PAX8 Hepatozelluläres Karzinom Heppar-1, Arginase-1 (Arg-1), TTF-1 (granuläre Zytoplasmafärbung) Melanom S100, Vimentin, HMB-45, Tyrosinase und Melan-A Urothel CK7, CK20, Thrombomodulin Mesotheliom Calretinin, WT-1 Lymphom Leukocyte Common Antigen (LCA), CD3, CD4, CD5, CD20, CD45 Plattenepithelkarzinom p63, p40 (Plattenepithelkarzinom der Lunge), CK5/6 (SCC) Anteil, % Gut bis mäßig differenziertes Adenokarzinom 60 Plattenepithelkarzinom 5 Schlecht differenziertes Adenokarzinom oder undifferenziertes Karzinom 30 Neuroendokrines Karzinom 2 Undifferenzierte Neoplasie 3 a Muster der Koexpression identifizieren den möglichen Primärtumor besser als Einzelanfärbungen. Selbst bei Optimierung ist kein immunhistochemisches Panel 100 % sensitiv oder spezifisch (z. B. kann das muzinöse Ovarialkarzinom positiv mit gastriointestinalen Markern anfärben). Abkürzungen: AFP = α-Fetoprotein; β-hCG = β humanes Choriongonadotropin; CUP = Carcinoma of Unknown Primary; PSA = prostataspezifisches Antigen. CK7 CK7+ CK20+ Urotheliale Tumoren Muzinöses Ovarialkarzinom Adenokarzinom des Pankreas Cholangiokarzinom CK7+ CK20– Adenokarzinom der Lunge Mammakarzinom Schilddrüsenkarzinom Endometriumkarzinom Zervixkarzinom Speicheldrüsenkarzinom Cholangiokarzinom Pankreaskarzinom CK20 CK7– CK20+ Kolorektales Karzinom Merkel-Zell-Karzinom CK7– CK20– Hepatozelluläres Karzinom Nierenkarzinom Prostatakarzinom Plattenepithelzell- und kleinzelliges Lungenkarzinom Abbildung 120e-1 Zytokeratinmarker, insbesondere CK7 und CK20 beim Karzinom mit unbekanntem Primärtumor. 120e-2 Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license. Karzinom mit unbekanntem Primärtumor bungen benutzt. CK7 wird bei Tumoren der Lunge, Ovarien, Endometrium und der Brust gefunden und nicht bei Tumoren des unteren GI-Traktes, während CK20 üblicherweise im gastrointestinalen Epithel exprimiert ist, im Epithel der ableitenden Harnwege und in Merkel-Zellen. Zusätzlich wird für die Klärung gastrointestinaler Adenokarzinome eine Färbung für den nukleären CDX-2-Transkriptionsfaktor durchgeführt, der das Produkt eines Homöoboxgens ist, das für die intestinale Organogenese essenziell ist. Die nukleäre Färbung auf den thyreoidalen Transkriptionsfaktor 1 (TTF-1) ist typischerweise beim Lungenkarzinom und beim Schilddrüsenkarzinom positiv. Ungefähr 68 % der Adenokarzinome und 25 % der Plattenepithelkarzinome der Lunge sind TTF-1-positiv. Daher kann TTF-1 zur Differenzierung metastasierter Adenokarzinome in Pleuraergüssen, im Mediastinum sowie bei primären Lungentumoren oder metastasierten Adenokarzinomen im Lungenparenchym hilfreich sein. Das Gross Cystic Disease Fibrous Protein-15, ein 15-kDa monomeres Protein, dient als Marker für die apokrine Differenzierung und wird in 62–72 % der Mammakarzinome exprimiert. UROIII, ein hoch molekulares Cytokeratin, Thrombomodulin und CK20 sind Marker zur Diagnostik urothelialer Neoplasien. Die besten Ergebnisse erbringt die Immunhistochemie, wenn für bestimmte Profile typische Gruppen eingesetzt werden, wie die Phänotypen TTF-1/CK7+ und CK20+/CDX-2+/CK7–, die einen hohen Verdacht auf Krebserkrankungen der Lunge bzw. des Gastrointestinaltrakts bedeuten, obwohl die Validität dieser Muster nicht prospektiv in Abwesenheit eines Primärtumors überprüft wurde. Auch die Immunhistochemie unterliegt gewissen Einschränkungen; mehrere Faktoren beeinflussen die Antigenität des Gewebes (Antigenerkennung, Probenverarbeitung und -fixierung), die Interpretation der Tumorfärbungen (nukleär, zytoplasmatisch, membranös) im Vergleich zur Anfärbung von normalem Gewebe, die Inter- und Intrauntersucher-Variabilität und die Heterogenität der Gewebe (zu kleine Proben). Die Kommunikation mit dem Pathologen ist wichtig, um zu klären, ob zusätzliches Gewebe die pathologische Evaluation erleichtert. & DNS-MICROARRAY UND REVERSE TRANSKRIPTASE-POLYMERASE- KETTENREAKTION (RT-PCR) BEIM KARZINOM MIT UNBEKANNTEM PRIMÄRTUMOR Ohne bekannten Primärtumor ist es häufig schwierig, therapeutische Strategien für ein CUP zu entwickeln. Derzeit beträgt die diagnostische Trefferrate mittels bildgebender Verfahren und Immunhistochemie etwa 20–30 %. Genexpressionsuntersuchungen versprechen eine erhebliche Erhöhung der diagnostischen Effizienz. Am häufigsten werden Genexpressionsprofile mittels quantitativer RT-PCR oder DNS-Microarray generiert. Zur Entwicklung prädiktiver Algorithmen und zur Auswertung der Genexpressionsprofile dienen neuronale Netzwerkprogramme. Typischerweise werden genetische Profile bekannter Karzinome (bevorzugt aus Metastasen) benutzt, um die Programme zu trainieren. Die Programme können dann angewandt werden, um die Herkunft eines Tumors vorherzusagen und möglicherweise ein echtes Karzinom mit unbekanntem Primärtumor zu definieren. Genexpressionsdatenbanken sind für häufige Tumorerkrankungen verfügbar und können für das Karzinom mit unbekanntem Primärtumor nützlich sein. Diese Ansätze wurden durch Testung bekannter Primärtumoren und deren Metastasen entwickelt. Mehrere mRNS- oder mikroRNS-basierte Profiling-Assays zur Erkennung des Ursprungsgewebes wurden in prospektiven und retrospektiven Studien beim Karzinom mit unbekanntem Primärtumor untersucht. Dabei wurde meistens die Qualität der Tests ermittelt, obwohl das Problem beim Validieren der Präzision eines Assays für Karzinome mit unbekanntem Primärtumor per definitionem darin besteht, dass die primäre Krebsdiagnose nicht gestellt werden kann. Daher stützen sich die derzeitigen Schätzungen der Präzision der Gewebezuordnung auf indirekte Werte, wie den Vergleich mit der Immunhistochemie, das klinische Bild und die Situation latenter Primärtumoren. Bezogen darauf, schlagen die Assays bei etwa 70 % der untersuchten Patienten plausibel einen Primärtumor vor. Es gibt nur eine einzige Behandlungsstudie, die einarmig angelegt war und bei Patienten, die eine auf die Gewebezuordnung ausgerichtete Therapie erhalten hatten, ein medianes Überleben von 12,5 Monaten ermittelte. Diese Studie erlaubt keine verbindlichen Rückschlüsse auf die Effekte der Therapie, da sie nicht randomisiert ist, statistische Fehlerquellen 120e aufweist und zusätzliche Variablen, wie eine nachfolgende empirische Therapie, enthält. Weiter erschwerend kommt die Heterogenität der Karzinome mit unbekanntem Primärtumor hinzu. Es sind weitere Studien erforderlich, um die Effizienz und Präzision der Profiling-Instrumente für die Organzuordnung, ihren Beitrag zusätzlich zur Immunhistochemie und die Bedeutung für eine Behandlung besser zu verstehen. BEHANDLUNG: KARZINOM MIT UNBEKANNTEM PRIMÄRTUMOR ALLGEMEINE ÜBERLEGUNGEN Behandlungsrichtlinien für das Karzinom mit unbekanntem Primärtumor entwickeln sich langsam. Die mediane Überlebenszeit der Patienten mit dissiminiertem Karzinom mit unbekanntem Primärtumor beträgt 6–10 Monate. Bei den meisten Patienten mit disseminierter Erkrankung ist die systemische Chemotherapie die primäre Behandlungsmodalität, aber die überlegte Integration von Operationen, Strahlentherapie und auch Zeiten abwartenden Verhaltens sind für die Behandlung dieser Erkrankung wichtig (Abb. 120e-2 und Abb. 120e-3). Prognostische Faktoren sind der Allgemeinzustand, die Lokalisation und Zahl der Metastasen, das Ansprechen auf die Chemotherapie und der Serum-LDH-Spiegel. Culine und Kollegen haben ein prognostisches Modell entwickelt, welches mittels Allgemeinzustand und Serum-LDH die Einteilung der Patienten in zwei Subgruppen mit unterschiedlicher Prognose ermöglicht. Dieses Modell muss allerdings noch durch prospektive Studien bestätigt werden. Klinisch gehören Karzinome mit unbekanntem Primärtumor häufig zu prognostisch günstigen Subgruppen, allerdings haben Karzinome mit unbekanntem Primärtumor und disseminierter Erkrankung, die zu keiner Untergruppe passen, häufig eine ungünstige Prognose. BEHANDLUNG GÜNSTIGER SUBGRUPPEN DES KARZINOMS MIT UNBEKANNTEM PRIMÄRTUMOR Frauen mit isolierter axillärer Adenopathie Frauen mit isolierter axillärer Adenopathie durch ein Adenokarzinom oder undifferenziertes Karzinom werden analog zu den Patientinnen mit Mammakarzinom im Stadium II oder III behandelt. Bei diesen Patientinnen sollte eine MRT der Brust durchgeführt werden, sofern Mammografie und Ultraschalluntersuchungen negativ sind. Bei positivem MRT ist eine Strahlentherapie der ipsilateralen Brust indiziert. Zusätzliche Chemotherapie oder hormonelle Therapie werden durch das Alter der Patientin sowie den Menopausenstatus, die Größe der Lymphknotenmetastasen und den Hormonrezeptorstatus indiziert (Kap. 108). Vor der Therapieentscheidung muss eine pathologische Typisierung wie beim Mammakarzinom vorliegen (Morphologie, immunhistochemische Mammamarker, wie Östrogenrezeptor, Mammoglobin, GCDFP-15, HER2-Status). Frauen mit Peritonealkarzinose Zur Beschreibung des Karzinoms mit unbekanntem Primärtumor und peritonealer Karzinose wurde der Terminus primäre peritoneale papilläre seröse Karzinose (PPSC) definiert. Bei diesen Fällen sind die pathologischen und Laborcharakteristika (erhöhtes CA-125-Antigen) wegweisend für ein Ovarialkarzinom, aber es wurde kein Ovarialkarzinom durch Sonografie und Histologie der Ovarien identifiziert. Die Genexpressionsprofile von Ovarialkarzinomen und PPSC, die beide von den Müller-Gängen ausgehen, sind sehr ähnlich. Analog zu dem Vorgehen beim Ovarialkarzinom werden beim PPSC möglichst optimale Debulking-Operationen durchgeführt, gefolgt von ergänzender oder adjuvanter Behandlung mit Taxanen und Platinsalzen. In einer retrospektiven Untersuchung von 258 Frauen mit Peritonealkarzinose, bei denen Debulking-Operationen und Chemotherapie durchgeführt wurden, hatten 22 % eine komplette Remission nach Chemotherapie und das mediane Überleben betrug 18 Monate (Konfidenzintervall 11–24 Monate). Nicht alle Peritonealkarzinosen bei Frauen beruhen jedoch auf einer PPSC. Bei sorgfältiger pathologischer Untersuchung finden sich häufiger auch Hinweise auf ein Kolonkarzinom (CDX-2+, CK-20+, CK7–), ein pankreatikobiliäres Karzinom oder sogar ein falsch markiertes peritoneales Mesotheliom (Calretinin-positiv). Schlecht differenziertes Karzinom mit Midline-Adenopathie Männer mit schlecht differenzierten oder undifferenzierten Karzinomen, die sich als Midline-Adenopathie manifestierten, sollten auf Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license. 120e-3 Teil 7 Onkologie und Hämatologie ALGORITHMUS FÜR ADENOKARZINOM MIT UNBEKANNTEM PRIMÄRTUMOR Adenokarzinom Schlecht differenziertes Adenokarzinom CUP IHC-Hinweis auf wahrscheinlichen Primarius Isolierte axilläre Lymphknoten bei der Frau Brust-MRT, sofern Ultraschall und Mammographie negativ Osteoblastische Knochenmetastasen beim Mann Bei nicht erhöhtem PSA Strahlentherapie oder Chemotherapie, sofern indiziert MRT (+). Mastektomie oder Bestrahlung. Chemooder Hormontherapie wie beim Mammakarzinom PSA (im Tumor u. Serum). Wenn erhöht, Strahlentherapie oder medikamentöse Therapie wie bei Prostatakarzinom MRT (–). Keine Operation, evtl. Bestrahlung. Chemooder Hormontherapie wie beim Mammakarzinom Solitäre Metastase Peritonealkarzinose Wenn resektabel, dann OP mit oder ohne vorherige Chemotherapie oder Radiochemotherapie. Wenn nicht resektabel, dann Chemo-, Radio- oder Radiochemotherapie, je nach Lokalisation des Tumors Wenn kein Hinweis auf primär peritoneal, GI-Diagnostik (nur bei gutem Allgemeinzustand) Wenn Hinweis auf primär peritoneales Karzinom, dann Behandlung wie Ovarialkarzinom Disseminiertes Karzinom, 2 oder mehr Manifestationen Chemotherapie bei gutem Allgemeinzustand Abbildung 120e-2 Behandlungsalgorithmus für das Adenokarzinom und das schlecht differenzierte Adenokarzinom mit unbekanntem Primärtumor. GI = gastrointestinal; IHC = Immunohistochemie; MRT = Magnetresonanztomografie; PSA = prostataspezifisches Antigen. ALGORITHMUS FÜR PLATTENEPITHELKARZINOM MIT UNBEKANNTEM PRIMÄRTUMOR PlattenepithelCUP Disseminiert, viszerale Metastasen Metastatische inguinale Adenopathie Invasive Diagnostik, sofern nötig Perineale Untersuchung, evtl. Anoskopie. Beckenuntersuchung bei der Frau. PET optional Chemotherapie bei gutem Allgemeinzustand. Strahlentherapie nach Indikation Wenn lokalisiert, dann Lymphknotendissektion, gefolgt von lokaler Strahlentherapie bei ausgewählten Patienten Metastatische zervikale Adenopathie Tripelendoskopie, Tonsillektomie erwägen. CT von Hals und Thorax. PET optional Plattenepithelkarzinom der zervikalen Lymphknoten Patienten mit frühen Stadien von Plattenepithelkarzinomen mit Befall der zervikalen Lymphknoten sind Kandidaten für Neck Dissection und Strahlentherapie, wodurch Langzeitüberleben erreicht werden kann. Die Rolle der Chemotherapie bei diesen Patienten ist nicht definiert, aber durch Chemoradiotherapie oder Induktionstherapie können im N2/N3-Stadium gute Ergebnisse erzielt werden. Wenn keine extrazervikale Manifestation, dann Neck Dissection, gefolgt von adjuvanter Strahlentherapie vs. Strahlentherapie allein. Chemotherapie bei Tumorbulk Solitäre Metastase Patienten mit solitärer Metastase haben eine gute Prognose. Einige Patienten mit lokoregional fortgeschrittenen Erkrankungen können durch aggressive multimodale Behandlung ebenfalls lange erkrankungsfreie Intervalle und gelegentlich Heilungen erreichen. Abbildung 120e-3 Behandlungsalgorithmus für Plattenepithelkarzinome mit unbekanntem Primärtumor. CT = Computertomografie; PET = Positronen-Emissionstomografie; RT = Radiotherapie. einen extragonadalen Keimzelltumor hin untersucht werden. Diese sprechen mit Remissionsraten von über 50 % und 10 % Langzeitüberleben oft gut auf eine Chemotherapie an. Ältere Patienten (vor allem Raucher) mit mediastinaler Lymphknotenbeteiligung haben eher ein Bronchialkarzinom oder einen Tumor von Kopf oder Hals. Neuroendokrine Karzinome Differenzierte neuroendokrine Karzinome haben häufig einen indolenten Verlauf, daher sind Therapieentscheidungen durch Symptome und Tumorgröße determiniert. Die Spiegel von 5-Hydroxyindolessigsäure im Urin und Chromogranin im Serum können erhöht sein und als Verlaufsparameter dienen. Häufig werden die Patienten mit Somatostatinanaloga behandelt, um hormonbedingte Symptome (Diarrhö, Flush, Übelkeit) zu vermindern. Spezifische regionale oder systemische Be- 120e-4 handlungsmodalitäten sind nur bei Patienten mit Schmerzen aufgrund signifikanter Progression oder hormonbedingter Symptome, die durch endokrine Behandlung nicht kontrolliert werden können, indiziert. Patienten mit hochmalignen neuroendokrinen Karzinomen werden wie solche mit kleinzelligem Lungenkarzinom behandelt, sprechen mit einer kompletten Remissionsrate von 20– 25 % relativ gut auf eine Chemotherapie an und haben eine 5-Jahres-Überlebensrate von etwa 10 %. Männer mit osteoblastischen Knochenmetastasen und erhöhtem PSA Isolierte osteoblastische Knochenmetastasen sind selten. In diesen Fällen kann ein erhöhtes Serum-PSA oder der Nachweis von PSA im Tumorgewebe die Verdachtsdiagnose eines Prostatakarzinoms unterstützen. Diese Patienten sind Kandidaten für eine Hormontherapie wie beim Prostatakarzinom, es ist allerdings wichtig, andere Primärtumoren auszuschließen, insbesondere Primärtumoren der Lungen. Management des disseminierten Karzinoms mit unbekanntem Primärtumor Patienten mit Erkrankungsmanifestationen in Leber, Gehirn und Nebennieren haben üblicherweise eine schlechte Prognose. Bei nicht seröser papillärer primärer Peritonealkarzinose gibt es zahlreiche Differenzialdiagnosen überwiegend aus dem gastrointestinalen Bereich, wie Magen, Appendix, Kolon, Pankreas und Gallenwegen. Traditionell wurde bei diesen Patienten eine platinbasierte Kombinationschemotherapie angewandt. In den letzten 20 Jahren wurden mehrere breit eingesetzte Protokolle untersucht; dazu gehören Paclitaxel-Carboplatin, Gemcitabin-Cisplatin, Gemcitabin-Oxaliplatin sowie Irinotecan- und Fluoropyrimidin-haltige Therapien. Mit diesen empirisch eingesetzten Zytostatika-Kombinationen Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license. Karzinom mit unbekanntem Primärtumor wurden Ansprechraten von 25–40 % und mediane Überlebenszeiten von 6–13 Monaten erreicht. Abgesehen von den günstigen Untergruppen gibt es eine kleine Gruppe von Patienten mit „definitiver“ Immunhistochemie. Bei diesen Patienten liegt aufgrund des klinischen und pathologischen Bildes eine spezifische Diagnose nahe, und sie werden oft spezifisch für den vermuteten Primärtumor behandelt. Dies garantiert natürlich kein Ansprechen, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit dafür, sofern Substanzen aus einer bei diesem Tumor bekanntermaßen wirksamen Gruppe gewählt werden. Bei Patienten, die in keine dieser Kategorien fallen, werden breit wirksame platinhaltige Chemotherapieprotokolle eingesetzt oder klinische Studien und zusätzliche studienbasierte Genom- und Proteomtests durchgeführt. Auch heute noch gibt es einerseits mehrere Profile von Karzinomen mit unbekanntem Primärtumor, für die keine effektiven Substanzen zur Verfügung stehen, und andererseits überschneiden sich die Behandlungen mancher Karzinome. Durch die rasche Entwicklung neuer Substanzen für viele Krebsarten nimmt die Bedeutung der korrekten Zuordnung des Ursprungsgewebes und der molekularen Eigenschaften eines Tumors immer weiter zu und eine selektivere Behandlung wird häufiger möglich. 120e ZUSAMMENFASSUNG Bei Karzinomen mit unbekanntem Primärtumor sollte die Diagnostik zielgerichtet anhand der klinischen und pathologischen Daten erfolgen. Ein Teil der Patienten, die durch klinische oder histologische Kriterien definiert sind, haben eine günstigere Prognose und können nach intensiver Behandlung lange Überlebenszeiten erreichen. Bei den meisten Patienten mit fortgeschrittenem Karzinom mit unbekanntem Primärtumor ist die Prognose jedoch weiterhin schlecht und das Ansprechen auf zytostatische Behandlung gering. Inzwischen sind Studien zur empirischen Chemotherapie in den Hintergrund getreten und die Aufmerksamkeit richtet sich auf das Verständnis des Metastasenphänotyps, das Profiling des Karzinoms mit unbekanntem Primärtumor und die Evaluation der molekularen Angriffspunkte bei den betroffenen Patienten. Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license. 120e-5