Familiengerechte Jobs statt jobgerechte Familien!

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Familiengerechte Jobs statt jobgerechte Familien!
Was können Politik, Gewerkschaften und Interessenvertretung tun, um die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern?
Berlin, 13.12.10
Statement von Edeltraud Glänzer
Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der IG BCE
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
• ist eines der zentralen Gegenwarts- und Zukunftsthemen,
• ist eine wesentliche Voraussetzung für Chancengleichheit von Frauen
und Männern,
• ist ein bedeutendes politisches und betriebliches Handlungsfeld geworden,
• hat die Ecke des „sozialen Gedöns“ verlassen und sich zu einem
Standort- und Wettbewerbsfaktor entwickelt – dies nicht zuletzt vor
dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und dem damit einhergehenden prognostizierten Fachkräftemangel.
Unsere Erfahrungen sind (dennoch) - Konzepte zur Vereinbarkeit entwickeln sich nicht von allein, sowohl Politiker(innen), als auch Sozialpartner
und Unternehmen müssen sich engagieren.
Wir brauchen einen Dreiklang aus Geld, Zeit und Infrastruktur, dann sind
Beruf und Familie so zu vereinbaren, dass alle gewinnen.
Die Politik hat mit
• der Einführung des Elterngeldes,
• der Flexibilisierung der Elternzeit und
• dem Ausbau der Kinderbetreuung
bessere Rahmenbedingungen für berufstätige Mütter und Väter geschaffen.
All das ist nicht vom Himmel gefallen, wir – die Gewerkschaften – haben
hierzu erheblich beigetragen und es gibt unbestritten weiterhin erheblichen
Handlungsbedarf, z. B. mit Blick auf die Kinderbetreuungssituation.
Wir brauchen kein Betreuungsgeld, sondern mehr Kinderbetreuungsangebote. Nach wie vor gibt es Probleme mit den „kommunalen“ Grenzen und
den wenig flexiblen Öffnungszeiten. Außerdem brauchen wir Lösungen für
Notsituationen und Modelle, die Platzsharing ermöglichen.
Also: Mehr Flexibilität, aber bezahlbar – das sind wesentliche Eckpunkte,
Eckpunkte auch für eine frühe Förderung von Kindern (PISA). Denn es
geht nicht „nur“ um den Aspekt „Betreuung“, um eine bessere Vereinbarkeit, sondern auch um Chancengleichheit von Kindern durch gemeinsames Lernen, durch Bildung.
Handlungsbedarf gibt es weiter – so unsere betrieblichen Erfahrungen vor allem mit Blick auf die Arbeitszeiten, die Rolle der Führungskräfte und
die Pflege-Situation.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die aktuellen Aktivitäten des Bundesministeriums. Im Herbst startete die Initiative „Familienbewusste Arbeitszeiten“ von BMFSFJ und DIHK im Rahmen des gemeinsamen Programms „Erfolgsfaktor Familie“. Es handelt sich um eine auf zwei Jahre
angelegte Kampagne zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. Hier liegt der
Schwerpunkt auf vollzeitnahe Teilzeitarbeit und im Fokus stehen vor allem
Führungskräfte.
Auch die Hans-Böckler-Stiftung forscht umfangreich zum Thema „Arbeitszeiten“. Hierzu liegt die aktuelle Veröffentlichung: „Zeitkonflikte. Renaissance der Arbeitszeitpolitik“ vor und in dem Forschungsprojekt „Pflegesensible Arbeitszeiten“, das sich noch in der Empiriephase befindet, geht
es um die Interessen der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hierfür zu sensibilisieren und entsprechende Lösungen in den Betrieben zu entwickeln ist zentrale Zielsetzung.
Außerdem stehen im Projekt des DGB „Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestalten! – Phase 3“ die familienbewussten Arbeitszeiten im Vordergrund. Wir freuen uns über die gerade zugesagte zweijährige Förderung
vom BMFSFJ (aus Bundes- und ESF-Mitteln), die es uns ermöglicht, gute
Beispiele aus gerade schwierigen Branchen und Kontexten zu entwickeln
und zu verbreiten.
Familienbewusste Personalpolitik – ist ein Gewinn für alle, ist betriebswirtschaftlich sinnvoll und trägt erheblich zum positiven Imagegewinn für Unternehmen bei.
Das haben zahlreiche Untersuchungen ja hinlänglich belegt. Angefangen
bei der Prognos-Studie aus dem Jahr 2003 bis hin zu der Untersuchung
zertifizierter Unternehmen des Forschungszentrums familienbewusste
Personalpolitik an der Universität Münster.
Die Beschäftigten in familienbewussten Unternehmen sind produktiver,
motivierter und zufriedener und fehlen seltener – so die Zusammenfassung der Ergebnisse und exemplarisch nachstehend folgende Einzelbefunde.
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Familienbewusste Unternehmen schneiden mit Blick auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter(innen) um 13 % besser ab.
Sie erreichen auch das Ziel verminderter Fehlzeiten um 13 % besser:
Ihre Fehlzeitenquote ist um 16 %, ihr Krankenstand um 11 % geringer.
Sie haben eine geringere Fluktuationsrate (-15 %), eine geringere Beschwerdeintensität hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie
(-13%) sowie eine niedrigere Eigenkündigungsrate (- 9 %).
Außerdem liegt die Rückkehrquote aus der Elternzeit um 22 % höher
und die Elternzeitdauer um 8 % niedriger als in nicht familienbewussten Unternehmen.
Diese Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen der IG BCE aus unserer Kampagne zum Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ und diese Win-Win-Situation ist ein wichtiger Ansatzpunkt, um mehr Engagement
zu erreichen.
Wie sieht nun die Wirklichkeit in der Arbeitswelt aus? Was sind die Bedingungen der Menschen, die darin arbeiten?
• Die Arbeitswelt befindet sich in einem ständigen Wandel.
• In den Unternehmen wird immer mehr mit immer weniger Menschen
gearbeitet.
• Für die Beschäftigten bedeutet das, dass die Arbeitszeiten zu lang und
die Leistungsanforderungen zu hoch sind.
• Den Mitarbeiter(innen) fällt es außerordentlich schwer, ihr Berufs- und
Privatleben in einem Gleichgewicht zu halten.
• Noch weniger gelingt das, wenn die Arbeit sie psychisch stark belastet,
etwa durch ständige Arbeitsverdichtung oder den Mangel an Einflussund Gestaltungsmöglichkeiten.
• Darüber hinaus wirken sich unsichere Beschäftigungsperspektiven entsprechend negativ aus.
Vor diesem Hintergrund hat die IG BCE bereits 2006 die Kampagne „Familienbewusste Personalpolitik – Eltern sind Leistungsträger“ mit dem Ziel
gestartet,
• für die Bedeutung des Themas zu sensibilisieren,
• mehr Schwung in die Aktivitäten zu bringen und
• mehr Vereinbarungen in den Betrieben zu initiieren.
Wichtiger Bestandteil dieser Kampagne ist die ebenfalls in 2006 abgeschlossene Sozialpartnervereinbarung “Für eine chancengleiche und familienbewusste Personalpolitik“ mit dem Bundesarbeitgeberverband Chemie
(BAVC), mit der wir an eine Vereinbarung aus dem Jahr 1989 anknüpfen.
Damit haben wir hervorragende Bedingungen geschaffen für Arbeitnehmervertreter(innen), die familienorientierte Maßnahmen im Betrieb umsetzen wollen.
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Darüber hinaus haben wir das Thema in vielen gemeinsamen Veranstaltungen in verschiedene Regionen und Betriebe getragen. Wir organisieren
den Erfahrungsaustausch, verbreiten Best Practice und begleiten die Weiterentwicklung der Aktivitäten im paritätisch besetzten Arbeitskreis „Chancengleichheit“.
Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer erfolgreichen Vereinbarkeitspolitik war die gemeinsame Erklärung der IG BCE mit dem BAVC,
das Thema der Vereinbarkeit auch in Zeiten der Krise nicht zu vernachlässigen.
Mit unserer Kampagne haben wir bis heute eine Vielzahl von Betriebsvereinbarungen bzw. Aktivitäten entwickelt, die ganz unterschiedliche Antworten auf die jeweiligen Vereinbarkeitsprobleme geben.
Das Spektrum reicht von der familienorientierten Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten, über Kontakthaltemaßnahmen (Urlaubsvertretungen) und Angebote der Weiterbildung während der Elternzeit bis zur betrieblichen Unterstützung bei der Kinderbetreuung im Betrieb sowie der
notwendigen Sensibilisierung für das Thema „Pflege“. Wir unterstützen
diese Aktivitäten mit verschiedensten Materialien und begleiten die betriebliche Umsetzung.
Einige Beispiele:
So wurde in einem Hamburger Chemiebetrieb eine Betriebsvereinbarung
zur Teilzeit im Schichtbetrieb abgeschlossen. Eine Thematik, die häufig für
unlösbar gehalten wird.
In zwei Chemieparks konnten mit Unterstützung der IG BCE Servicebüros
eingerichtet werden, die Beschäftige in allen Fragen rund um die Themen
Kinderbetreuung, Pflege aber auch zu Aus- und Weiterbildungsfragen beraten. Es ist zum einen der Chemiepark Leuna und zum anderen der
Chemiepark Marl. An der Übertragbarkeit auf weitere Standorte wird
nachhaltig gearbeitet.
Im Bereich der Wasserwirtschaft konnten wir im Hinblick auf den demografischen Wandel einen Vertrag abschließen, der verschiedenste Themen bündelt. Darin geht es um Fragen der Vereinbarkeit mit allen Facetten, aber auch um Qualifizierung, Beschäftigungssicherung und alternsgerechtes Arbeiten.
Ein weiterer Meilenstein in der Verwirklichung von einer chancengleichen
und familienbewussten Personalpolitik ist die Tatsache, dass wir die Umsetzung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie als wichtiges Handlungsfeld im Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie“ der chemischen
Industrie verankert haben.
Damit gibt die IG BCE im Rahmen ihrer Sozialpartnerschaft den betrieblichen Akteurinnen und Akteuren weitere Handlungssicherheit, wenn sie
das Thema Vereinbarkeit in ihrem Betrieb stärker in den Fokus nehmen
wollen.
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Unsere Erfahrungen aus der Kampagne zeigen:
1. Vereinbarkeit ist ein Top-Down-Thema.
Wo Führungskräfte aufgeschlossen sind, wo die Vorstände wissen,
dass auch Unternehmen von einer familienbewussten Personalpolitik
profitieren, lässt sich vieles zum Besseren regeln. Das gilt sowohl für
Großunternehmen als auch für klein- und mittelständische Betriebe.
Führungskräfte müssen nicht nur Umsetzen, sondern auch Vorbild
sein.
2. Vereinbarkeit ist nicht nur ein Frauenthema. Auch Männer haben ein
Vereinbarkeitsproblem.
Väter wollen zunehmend mehr an der Erziehung und Entwicklung ihrer
Kinder teilhaben und ihre Verantwortung aktiv wahrnehmen. Außerdem
stehen sie nicht selten vor der Situation, die Pflege von Angehörigen
mit beruflichen Anforderungen vereinbaren zu müssen. Wenn sie allerdings Familienaufgaben und berufliche Anforderungen als gleichwertig
betrachten, stoßen sie häufig auf wenig Verständnis und Akzeptanz.
3. Die Zeit ist reif für ein modernes Familienbild, das alte Rollenbilder
nicht mehr bedient.
Dazu muss eine Kommunikation in Betrieb und Gesellschaft entwickelt
werden, die die dringend notwendige Bewusstseinsveränderung unterstützt und einen Kulturwandel bewirkt.
4. Es helfen keine pauschalen, sondern nur zielgenaue Lösungsangebote
in den Betrieben.
Deshalb müssen die Beschäftigten befragt und eingebunden sein.
Nicht immer geht es um Kinder, wenn es Probleme gibt, Beruf und
Familie miteinander in Einklang zu bringen.
5. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben muss auch Pflege beinhalten. Auch dafür suchen wir das Gespräch mit den Arbeitgebern.
6. Wichtig ist die Vernetzung in der Region, in der Branche, um so von
guten Ideen anderer zu profitieren und gemeinsame Maßnahmen und
Aktivitäten zu entwickeln.
Übrigens: Die IG BCE ist Mitglied in der Allianz für Familie und im Bundesforum Familie. Wir haben die lokalen Bündnisse für Familie in Brunsbüttel
und Schwedt mitgegründet und engagieren uns in vielen Städten, wie z. B.
in Hannover oder Frankfurt/Main.
Wir fordern nicht nur von anderen, sondern die IG BCE lebt Familienbewusstsein auch nach innen und hat sich 2006 nach dem audit berufundfamilie zertifizieren lassen und sind seit 2009 ein rezertifiziertes „Unternehmen“.
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Folgende der festgelegten Ziele wurden bereits umgesetzt:
• Seminarangebote zur Stressbewältigung für alle Beschäftigtengruppen, die nun fortlaufend umgesetzt werden,
• Freischaltung eines Intranetauftritts, der vielfältige Informationen bereit
hält, wie z. B.:
Festlegung der Meilensteine und der Umsetzungsverantwortlichkeiten
für das audit, Fragebogen und Auswertung zur Bedarfserhebung in
Sachen Kinderbetreuung und Unterstützung pflegebedürftiger Angehöriger und einen Gesprächsleitfaden für Elternzeitler,
• Integration des Themas „Vereinbarkeit“ in unsere Führungskräftequalifizierung und -beurteilung.
• Wir geben finanzielle Unterstützung bei unvorhersehbaren, beruflich
bedingten Betreuungssituationen und
• bieten für familiär bedingte Belastungssituationen telefonische Beratung über den ElternService AWO.
Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird weiterhin ein zentrales Handlungsfeld für die IG BCE bleiben, auch und vor allem, weil es eine
Schlüsselrolle bei der Verwirklichung von Chancengleichheit von Frauen
und Männern einnimmt.
So belegt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2010: Die
Herausforderung bzw. die Problematik Beruf und Familie zu vereinbaren,
stellt für Frauen die entscheidende Karrierebremse dar, jede Zweite hat
deshalb mindestens einmal ihre Karrierewünsche aufgeben oder ändern
müssen.
Wir werden gemeinsam mit den Betriebsrätinnen und Betriebsräten in unseren Branchen im Interesse unserer Mitglieder weiterhin Anstöße geben
und die Umsetzung nachhaltig unterstützen. – Ganz im Sinne von familiengerechten Jobs, die sich im Kontext eines arbeitspolitischen Konzepts
an guter Arbeit ausrichten.
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