SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Damit es nie wieder passiert Der Kampf gegen den Rückfall von Straftätern Von Nick Schader Sendung: Mittwoch, 16. November 2016, 08.30 Uhr Redaktion: Sonja Striegl Regie: Sonja Striegl Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. 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O-Ton 6 - Häftling Stefan: Auch wenn ich nur ein Opfer habe – tatsächlich ist es ein viel größerer Kreis, den ich damit schädige. Und da hat man auch selbst die Verantwortung, und die Pflicht, alles dafür zu tun, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Musik 1: (Ende Intro!) Sprecherin: „Damit es nie wieder passiert - Der Kampf gegen den Rückfall von Straftätern“. Eine Sendung von Nick Schader. Atmo 1: (Summton Türöffner) Sprecherin: Wer die JVA-Ludwigshafen betreten will, muss mehrere Sicherheitsschleusen passieren. Hinter der ersten Tür muss man bei einem Wachmann seinen Personalausweis und sein Handy abgeben. Hinter der nächsten Eisen-Tür muss man warten, bis man abgeholt wird. Atmo 2: (Schlüssel, Tür wird aufgeschlossen) 2 Sprecherin: Gefängnisdirektor Michael Händel öffnet die Tür. Die Sonne scheint in die langen, weißen Gänge, die den Charme eines alten Schulgebäudes versprühen. Wären da nicht immer wieder diese dicken Gitter-Türen, die den Weg versperren. Atmo 3: (Tür wird aufgeschlossen) Sprecherin: Die Justizvollzugsanstalt Ludwigshafen ist eine Art „Spezial-Knast“. Sie ist eine sogenannte „Sozialtherapeutische Anstalt“, die anders als normale Justizvollzugsanstalten ein umfangreiches therapeutisches Angebot macht. So leben die Gefangenen in der Regel in einer personell gut begleiteten Wohngruppe. Alle, die hier einsitzen, haben schwere Straftaten begangen: Mord, Vergewaltigung oder sexuellen Missbrauch von Kindern, schwerer Raub. Alle sind zu langen Haftstrafen verurteilt worden und durchlaufen eine mehrjährige Therapie. Das Ziel: sie sollen nach der Entlassung nie wieder Straftaten begehen. Anstaltsleiter Michael Händel: O-Ton 7 - Michael Händel (Leiter der JVA Ludwigshafen): Das Ziel ist, die Rückfallgefahr möglichst weit abzusenken. Also in dem Sinne, dass die Wiederholungsgefahr gebannt ist oder sehr stark gemindert. Und das aus der Absicht heraus, dass es keine neuen Opfer geben möge. Sprecherin: Bevor die Häftlinge einen Therapieplatz erhalten, sitzen sie zunächst in normalen Gefängnissen ein. Dort können sie sich für eine Sozialtherapie „bewerben“. So wie Franco, 38 Jahre alt, verurteilt wegen schweren sexuellen Missbrauchs an Kindern in 54 Fällen: O-Ton 8 - Häftling Franco: Man muss sich schon bemühen, hier hin zu kommen. Also das ist nicht einfach so, ja, ich will hier hin und dann kommt man hier hin, sondern man muss im Vorfeld schon Gespräche geführt haben, mit Sozialarbeiter und Psychologen etc. Und dann wird in einer Konferenz entschieden, ob man dafür geeignet ist, oder nicht, hier in die Anstalt zu kommen. Weil, die nehmen nicht jeden. Sprecherin: Eine Therapie gegen den Willen der Verurteilten ist sowieso sinnlos, wissen Psychologen. Franco kam irgendwann zur Einsicht, dass er sein Leben und vor allem sich selbst ändern muss. O-Ton 9 - Häftling Franco: Jeder der inhaftiert wurde, weiß wie schwer das ist, die erste Zeit da drin zu verbringen. Und da stellt man sich einen Haufen Fragen. Und wenn man dann schmerzlich feststellen muss, was man da überhaupt getan hat, und wen man damit geschädigt hat, und man durchläuft diesen ganzen Prozess der Gerichtsverhandlung – das ist ein unbeschreibliches Gefühl von…das man eigentlich gar nicht mehr möchte. Denn man fühlt sich schmutzig, dreckig und versucht Antworten zu finden. 3 Da ist die Entscheidung sehr nah, dass man sagt: Ich muss an mir arbeiten, ich möchte wissen warum. Sprecherin: Die gleichen Gedanken haben auch Stefan in die Therapie geführt. Der 27-Jährige wurde wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. O-Ton 10 - Häftling Stefan: Ich bin sehr froh hier zu sein. Ich hab jede Menge über mich gelernt. Auch über meine Straftat und vor allem auch, wie ich das in Zukunft zu vermeiden habe. Im Regelvollzug, wär ich dazu nie gekommen, das muss ich offen und ehrlich sagen. Wirklich die gesamten Hintergründe, die habe ich erst hier erfahren. Sprecherin: Die meisten Inhaftierten in den 71 Sozialtherapeutischen Anstalten in Deutschland sind Sexualstraftäter. Eine Ursache dafür ist, dass Ende der 1990er gleich mehrere Paragraphen im Strafgesetzbuch geändert wurden. Unter anderem wurden die Regelungen zur Sicherungsverwahrung verschärft. Für Sexualstraftäter konnte dadurch die Sicherungsverwahrung schon beim ersten Rückfall verhängt werden, gestrichen wurde das Höchstmaß von zehn Jahren. Zudem wurden die Bewährungsauflagen erhöht. Auf der anderen Seite wollte der Gesetzgeber erreichen, dass mehr Straftäter eine Therapie bekommen, erläutert Anstaltsleiter Michael Händel: O-Ton 11 - Michael Händel (Leiter der JVA Ludwigshafen: Das Thema Sexualstraftäter kam tatsächlich erst 1998 zum Zuge. Als es ein Gesetz gab, zur Bekämpfung von Sexualstraftaten und anderen gefährlichen Straftaten. Das ging zurück auf eine Reihe schwerer Sexualstraftaten in der Bundesrepublik, wo der Gesetzgeber dann gedacht hat, da muss man etwas tun. Dann wurde in der Folge das so gesetzlich geregelt, dass Sexualstraftäter unter bestimmten Voraussetzungen, bevorzugt sich in eine sozialtherapeutische Behandlung begeben müssen. Sprecherin: Ende der 90er Jahre hatten mehrere grausame Fälle von Kindesmisshandlung für Schlagzeilen gesorgt. In Niedersachsen war die zehnjährige Kim Kerkow vor dem Haus ihrer Eltern entführt, dann vergewaltigt und ermordet worden. Der Täter hatte Jahre zuvor schon einmal ein Mädchen missbraucht und getötet – und war nach vier Jahren aus der Haft entlassen worden. Für ebenso großes Entsetzen sorgte die Ermordung der siebenjährigen Natalie in Bayern. Auch sie war Opfer eines Wiederholungstäters. Außerdem beschäftigte die deutsche Öffentlichkeit die Gräueltaten des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux. Bürgerinitiativen gründeten sich und sammelten Unterschriften mit dem Ziel, das Sexualstrafrecht zu ändern. Als Folge wurden deutlich mehr Therapie-Plätze geschaffen. Straftäter sollten nicht mehr nur weggesperrt, sondern auch therapiert werden. Zu dieser Gruppe gehört der 53-jährige Thomas. Er wurde wegen mehrfachen Besitzes von Kinderpornografie zu vier Jahren verurteilt. 4 O-Ton 12 - Häftling Thomas: Ich bin in die Untersuchungshaft gekommen und hab mich gefragt, was kann ich tun, damit sowas nicht mehr vorkommt. Ich hab mich dann in der Anstalt in der ich war erkundigt und hab mich mit dem dortigen Psychologen zusammen gesetzt. Die haben mir dann dort die Möglichkeiten aufgezeigt und haben mir Info-Material gegeben. Und nach dem Studium vom dem hab ich klipp und klar gesagt: Da möchte ich hin, das hilft mir am meisten weiter. Sprecherin: Thomas: Kinderpornografie, Stefan: Totschlag, Franco: sexueller Kindesmissbrauch. Drei Täter, drei verschiedene Taten. Und damit drei unterschiedliche Prognosen, wie hoch die Gefahr ist, dass sie nach der Entlassung aus der Haft rückfällig werden. Am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg erforscht Dr. Carina Tetal seit vielen Jahren, bei welchen Tätern die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall am größten ist. O-Ton 13 - Carina Tetal (Max-Planck-Institut für ausl. u. int. Strafrecht): Das höchste Rückfallrisiko haben Raubtäter und schwerer Diebstahl, sprich Einbruch. Das sind die mit den höchsten Rückfallraten. Die Rückfallraten sind im 3Jahres-Zeitraum über 50 %. Und im 9-Jahres-Zeitraum etwa 2/3 der Raubtäter werden rückfällig. Also das ist schon sehr, sehr hoch. Sprecherin: Ganz anders, als viele Boulevard-Medien mit ihrer Art der Berichterstattung suggerieren, ist das Rückfall-Risiko bei Sexualstraftätern, statistisch gesehen, ziemlich gering. O-Ton 14 - Carina Tetal (Max-Planck-Institut für ausl. u. int. Strafrecht): Also es gibt dann eben wieder einen der da ausbricht, den gibt`s natürlich, und der erscheint in den Medien. Also man vergisst dann sozusagen den größten Teil der Personen, der Täter. Der einschlägige Rückfall ist sehr, sehr, sehr gering. Also unter 1 Prozent der Vergewaltiger werden auch wieder wegen einer Vergewaltigung innerhalb von 3 Jahren sanktioniert. Sprecherin: Obwohl die Rückfallgefahr gering ist, bei Vergewaltigern wie auch bei Mördern, sei eine Therapie bei diesen Tätern sehr wichtig, betont der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Dr. Martin Rettenberger. Denn jeder einzelne Rückfall hätte verheerende Folgen – im schlimmsten Fall eine Vergewaltigung oder ein Mord. O-Ton 15 - Martin Rettenberger (Direktor Kriminologische Zentralstelle): Im Strafvollzug gibt es bestimmte Tätergruppen, die aufgrund von besonders schwer wiegenden Delikten, vor allem sexuell motivierte Delikte, aber auch nicht-sexuell motivierte Delikte, wie sehr schwerwiegende Gewaltdelikte, inhaftiert sind. Bei dieser Tätergruppe ist es dann natürlich besonders wichtig, dass man alles dafür tut, die Zeit im Vollzug zu nutzen, damit die Rückfallgefahr nach der Entlassung möglichst gering ist. 5 Sprecherin: Gerade Sexualstraftäter sind gut therapierbar, betont der Kriminologe. Daher sei die Unterbringung in einer Sozialtherapeutischen Anstalt sinnvoll: O-Ton 16 - Martin Rettenberger (Direktor Kriminologische Zentralstelle): Die Antwort da drauf, ob man Sexualstraftäter therapieren kann ist ganz klar: Ja. Zum einen sehen wir das an den Studien, die die Wirksamkeit von Therapieprogrammen überprüfen, dass bei den behandelten Personen die Rückfallraten in der Regel deutlich niedriger liegen, als bei den Unbehandelten. Sprecherin: Verschiedene Studien haben die Wirksamkeit der Sozialtherapie bestätigt. Bei einer der größten Untersuchungen wurden Mitte der 90er mehr als 1300 Sexualstraftäter in Nordamerika begleitet. Das Ergebnis: Durch die Therapie sank die RückfallHäufigkeit um rund ein Viertel. Eine andere große Studie aus Kanada im Jahr 2002 kam zu dem Schluss, dass die Therapie die Zahl der Rückfälle um rund 12 Prozent senken kann. Und eine sogenannte „Meta-Analyse“ des Rückfallforschers Martin Schmucker aus Deutschland, die 2009 im Auftrag des Bundesjustizministeriums ausgewertet wurde, kam zu dem Ergebnis, dass durch eine Sozialtherapie etwa ein Drittel der Rückfälle bei Sexualstraftätern verhindert werden kann. In der Justizvollzugsanstalt Ludwigshafen werden die Häftlinge umfangreich behandelt. Dazu gehören eine Monate lange Einzeltherapie bei Psychologen, AntiGewalttrainings oder auch spezielle Gruppentherapien für Sexualstraftäter. Atmo 4: Therapie-Sitzung (kurz offen, Stühle rücken, viele Stimmen durcheinander) Sprecherin: Ein nüchterner, kleiner Besprechungsraum in der JVA Ludwigshafen. 8 Stühle in einem Halbkreis und davor der Psychologe Christian Broszio. Immer mittwochs treffen sich hier die Teilnehmer der Gruppentherapie. Die Häftlinge sind alle Sexualstraftäter. Männer unterschiedlichen Alters, die normal aussehen. Würde man ihnen auf der Straße begegnen würde man bei keinem eine gewalttätige Vergangenheit vermuten. Das Thema dieser Gruppen-Sitzung ist die „Opfer-Empathie“. Dafür sollen sich die Täter in ihre früheren Opfer „hinein fühlen“ – verstehen, was sie angerichtet haben. Und in der Gruppe ganz offen darüber sprechen. Atmo 5: Therapie-Sitzung Sexualstraftäter O-Ton 17 - Collage Therapie-Sitzung: Broszio: Ich würde gerne von Ihnen wissen, wenn wir so eine kurze Bilanz machen, wie sie die letzten Runden erlebt haben, was Ihnen das Thema „Opfer-Empathie“ bisher gegeben hat. Häftling: Das ist belastend. Man muss damit umgehen können und man muss es halt lernen sich in die Rolle reinzufühlen und auch mal die Sicht von der anderen Seite zu sehen. 6 Atmo 6: Therapie-Sitzung Sexualstraftäter O-Ton 18 - Collage Therapie-Sitzung: Broszio: Haben Sie denn bis zum heutigen Zeitpunkt das Gefühl, dass sich in Ihrer Perspektive, in Ihrer Haltung etwas verändert hat durch das „BPS“? Häftling 1: Ja. Häftling 2: Man muss halt viel an sich arbeiten, sag ich. Steinchen für Steinchen. Und dadurch lernt man auch, dass man wirklich einen Fehler gemacht hat. O-Ton 19 - Christian Broszio (Psychologe): Viele Gefangene sagen, warum soll ich das in einer Gruppe machen, das geht doch niemanden etwas an. Aber die Gruppe erzieht sich selber, und alle erleben vor allem selber als Täter Entsetzen, wenn jemand anderes über seine Straftaten berichtet. Und da wollen wir hin, dass wir Gefühle wecken, Entsetzen wecken und Risikosituationen aufdecken. Sprecherin: Diese Gruppentherapie findet in der Regel einmal pro Woche statt und dauert 90 Minuten. Rund ein Jahr lang dauert das gesamte Programm. Alle acht Männer sollen durch die Therapie lernen, ihre Schuld anzuerkennen und zu verstehen, dass sie das Leben ihrer Opfer zerstört haben. Viele Täter wollen das am Anfang nicht wahrhaben – der Psychologe Christian Broszio nennt das „Bagatellisierung“. O-Ton 20 - Christian Broszio (Psychologe): Wir lesen das meist schon aus den Urteilen raus, dass der Gefangene recht locker mit seiner Geschichte umgeht und sagt: Da war ja gar nix, die hat gelogen. Was da im Urteil steht ist ja gar nicht richtig, ich hab das nur gemacht, damit`s schnell vorbei ist und damit das Mädchen nicht aussagen musste…und solche Geschichten. Die lernen dann aber mit der Zeit genau diese Bagatellisierung raus zu arbeiten und anzuerkennen, dass es eine Schutzbehauptung ist. Sprecherin: Der wegen Mordes verurteilte Stefan hat diese Phase ebenfalls durchlebt. Nach der Verurteilung und am Anfang seiner Haft in einem normalen Gefängnis suchte er die Schuld immer bei anderen. Dann kam er in die Therapie – und fing langsam an, seine Tat und seine Schuld anzuerkennen. Ein harter, tränenreicher Weg, wie er erzählt. O-Ton 21 - Häftling Stefan: Der menschliche Verstand oder auch wir alle, sind sehr fähig dazu uns alles gut zu reden oder halt zu verharmlosen. Und das alles erst mal heraus zu graben und die tatsächliche Wahrheit hervorzubringen, dass man eigentlich ein ganz mieser Kerl ist, zumindest was man gemacht hat damals, dass das was richtig mieses ist und das es da nichts zu beschönigen gibt, das ist verdammt schwer. Und auch sich selbst die eigene Schuld einzugestehen und das nicht auf andere abzuwälzen sondern als allererstes die Schuld bei sich zu suchen. Atmo 7: Gang über den Flur mit Aufschließen 7 Sprecherin: Das ehrliche, schmerzhafte Gespräch über Schuld und Sexualität sollen die Häftlinge in der Gruppentherapie lernen. Die Gruppendynamik gibt dabei oft entscheidende Impulse. Zum Angebot der sozialtherapeutischen Anstalt Ludwigshafen gehören deshalb auch die Wohngruppen. Sie bestehen aus zwölf Einzelhafträumen, einer gemeinsamen Küche und einem Gemeinschaftsraum. Hier sollen die Männer trainieren, die Grenzen anderer zu respektieren, eigene Grenzen mit adäquaten Mitteln zu markieren und ein Verständnis für die Bedeutung von Normen und Regeln für das menschliche Miteinander zu entwickeln. Sozialarbeiterin Ulrike Gräf leitet eine solche Wohngruppe. O-Ton 22 - Ulrike Gräf (Sozialarbeiterin): Die Wohngruppen sind für uns ein ganz wichtiges Regulativ mit den Gefangenen. Die leben da zusammen, wir können da alles super beobachten, wir sehen alles, die Gefangenen beobachten sich gegenseitig und geben sich Rückmeldungen. Sprecherin: Außerdem erleben die Häftlinge hier zum Teil zum ersten Mal, wie sie Konflikte, Ärger und Stresssituationen lösen können – ohne Gewalt. O-Ton 23 - Ulrike Gräf (Sozialarbeiterin): Da leben 12 Männer unterschiedlicher Herkunft zusammen und die kriegen natürlich auch mal Streit. Und auf der Wohngruppe ist dann ein Klima wo diese Konflikte besprochen werden und auch gelöst werden. Und es ist oftmals so, dass die Männer das zum ersten Mal erleben, dass ein Konflikt ausgetragen wird und für alle Seiten zufriedenstellend gelöst wird. Sprecherin: Anders als in normalen Haftanstalten sind in einer Sozialtherapeutischen Anstalt auch die Justizvollzugsbeamten Teil des Behandlungskonzeptes. Claudia Batzler macht diesen Job seit über 20 Jahren. Sie ist mit ihren Kollegen in erster Linie für die Sicherheit in der JVA zuständig und überwacht daher die Schließzeiten der Häftlinge. Die Beamten sind aber auch die ersten Ansprechpartner für die Gefangenen, wenn es Probleme gibt. O-Ton 24 - Claudia Batzler (Justizvollzugsbeamtin): Ich bin Teil des Behandlungsteams. Wir haben zugewiesene Psychologen und Sozialarbeiter, mit denen arbeite ich zusammen. Wir haben das sogenannte „Bezugsbeamtensystem“, das bedeutet, dass jeder Bezugsbeamte bei uns 3 bis 4 oder 2 bis 3 Gefangene, die auf der Station liegen, betreut. Sprecherin: Claudia Batzler und die anderen Justizvollzugsbeamten betreuen die Häftlinge über mehrere Jahre, bis zur Entlassung. Dadurch entsteht ein sehr persönliches Verhältnis. Es schmerze, wenn sie vom Rückfall eines ihrer ehemaligen Häftlinge erfährt. 8 O-Ton 25 - Claudia Batzler (Justizvollzugsbeamtin): Ja, wenn´s ein Rückfall war mit einem Sexualdelikt, da muss ich schon immer wieder sagen, das nimmt mich schon mit. Vor allem wenn ich denjenigen gut kannte und der 3 oder 4 Jahre bei uns war. Das war jetzt erst, vor 2 oder 3 Jahren, da war das so. O-Ton 26 - Christian Broszio (Psychologe): Das sind natürlich schon Momente, die uns persönlich betreffen und auch betroffen machen. Sprecherin: Ergänzt der Psychologe Christian Broszio. O-Ton 27 - Christian Broszio (Psychologe): Weil wenn man sich über 2 oder 3 Jahre intensiv mit einander beschäftigt, dann kennt man sich und dann hat man auch irgendwie eine Beziehung aufgebaut. Wenn die Männer hier entlassen werden, sag ich immer: Der einzige Erfolg, den ich hier mit meiner Arbeit habe ist, dass wenn sie nicht wieder kommen müssen. Sprecherin: Franco, Stefan und Thomas, die drei Häftlinge, sind guten Willens, nach der Entlassung straffrei zu leben. Der wegen vielfachen, sexuellen Missbrauchs verurteilte Franco glaubt nach einigen Monaten der Therapie, dass er auf dem richtigen Weg ist. Er habe hier erst gelernt über seine Gefühle und Probleme zu sprechen, erzählt er. Dadurch würden sich seine Aggressionen auch nicht mehr so aufstauen, wie früher. O-Ton 28 - Häftling Franco: Ich merk ja auch selbst, dass ich mich verändere – und das zum Guten. Dieses Negative hat bei mir überhaupt nicht mehr die Oberhand. Und jeder kleine Schritt den ich mache, ist die richtige Entscheidung bei mir, das klappt alles wunderbar. Sprecherin: Für die Therapeuten ist aber auch klar: Pädophilie kann man nicht einfach „wegtherapieren“. Bei manchen Tätern wird sie für immer bleiben. Das hat der Kriminologe Martin Rettenberger in seiner Forschung herausgefunden: O-Ton 29 - Martin Rettenberger (Direktor Kriminologische Zentralstelle): Bei Tätern, die eine sehr ausgeprägte pädophile Störung aufweisen, also die ausschließlich prä-pubertierende Kinder als Sexualpartner sehen oder erleben können, das ist eine Gruppe bei der die Behandlung deswegen schwierig ist, weil sie diese Sexualstörung eigentlich kaum behandeln können oder beheben können. Das heißt, es wird kaum möglich sein, dass solche Personen dann irgendwann andere, also erwachsene, ältere Personen als Sexualpartner akzeptieren können. Da können sie nur drauf hinwirken, dass in Zukunft ein Leben ohne jegliche Sexualität möglich wird. 9 Sprecherin: Therapie-Angebote wie „Kein Täter werden“ sollen solchen Straftätern helfen ein Leben ohne ausgelebte Sexualität zu führen. Gewalttäter und Mörder sollen in der Therapie vor allem lernen, ihre Wut rechtzeitig zu erkennen und gegen zu steuern – anstatt einem anderen weh zu tun. Dieses Anti-Gewalttraining ist das Spezialgebiet von Sozialarbeiter Rainer Herbold. Der zwei Meter große Hüne bringt zur Begrüßung zwei große Schaumstoff-Schläger mit. O-Ton 30 - Rainer Herbold (Sozialarbeiter): Ich schlag jetzt mal auf den Tisch, ich schlag jetzt mal an die Wand, und ich kann Ihnen auch mal auf den Arm schlagen. Nach festen Regeln, jeder hält einen Schläger in der Hand. Es geht darum, dass man sich auf eine faire und abgesprochene Art und Weise nach festen Regeln bekämpfen kann. Eine Regel wäre man schlägt sich nicht ins Gesicht, nicht in den Schoß. Eine Regel wäre, wenn einer „Stopp“ ruft, ist es rum. Sprecherin: Einmal pro Woche findet dieses Anti-Gewalt-Training statt. Jeweils 3 Stunden lang. Regeln einzuhalten und ihre Aggressionen in den Griff zu bekommen. Alle Häftlinge, die wegen Gewalttaten verurteilt wurden, durchlaufen dieses mehrwöchige Training. O-Ton 31 - Rainer Herbold (Sozialarbeiter): Das ist immer in einer Gruppe, das sind immer verschiedene von uns ausgewählte Gefangene, üblicherweise 6 bis 8 mit einem Team von 2 oder 3 Trainern. Wir machen viele Vertrauensübungen, wir machen viele Übungen wo´s drauf ankommt was auszuhalten. Wir machen auch Konfrontationsübungen, machen ProvokationsTests – also wie weit muss ich zum Beispiel bei Ihnen gehen, bis es Ihnen zu viel wird und Sie sagen „stopp“.“ Sprecherin: Bei den allermeisten Häftlingen sei dieses Training wirksam, sagt der Psychologe. Gewaltbereite Menschen würden hier zwar nicht plötzlich zu harmlosen Lämmern – aber man könne ihnen Methoden beibringen, um ihre Aggressionen zu erkennen und rechtzeitig gegen zu steuern. O-Ton 32 - Rainer Herbold (Sozialarbeiter): Die Leute sollen lernen die Aggressionen, die sie haben, die sie auch in irgendeiner, vielleicht abgeschwächten Form behalten, dass sie die steuern können und das sie die so steuern, dass keiner mehr unter ihnen leidet – darum geht`s. Musik 2: (Häftlingsband) Sprecherin: Eine Aufnahme der Häftlingsband „Pätchwörk“, die in der JVA Ludwigshafen entstanden ist. Die Proben und das individuelle Üben fördern – neben der Musikalität – Fähigkeiten wie die soziale Kompetenz und die Konzentration der Häftlinge. Musik 3: (Häftlingsband) 10 Sprecherin: Deshalb macht die JVA neben den umfangreichen therapeutischen Angeboten auch Angebote für die Freizeit. Von der Häftlingsband über den Gefängnischor bis zur Sportgruppe. Die Häftlinge haben dadurch soziale Kontakte. So wie bei der täglichen Arbeit, zum Beispiel in der Küche oder den hausinternen Verpackungsbetrieben, erzählt Sozialarbeiterin Ulrike Gräf. O-Ton 33 - Ulrike Gräf (Sozialarbeiterin): Arbeit ist aus unserer Sicht was ganz Wichtiges. Die Gefangenen sollen ja auch lernen einen geregelten Tagesablauf zu führen und da ist Arbeit natürlich etwas ganz existentiell Wichtiges. Und es dient natürlich auch dazu, den Lebensunterhalt zu sichern. O-Ton 34 - Häftling Thomas: Für jeden von uns ist es schon wichtig, dass er ein bisschen finanziellen Ausgleich bekommt. Weil wir alle 14 Tage die Möglichkeit haben einen Einkauf zu machen, über eine externe Firma. Das heißt also, wir werden zwar nicht hoch entlohnt, aber es reicht meistens aus, sich die Kleinigkeiten des Lebens zu holen. Sprecherin: Kleinigkeiten wie mal ein Duschgel oder was Süßes zum Essen, ergänzt Thomas. Wenn er weiter gut mitarbeitet, wird der 53-Jährige in rund einem Jahr entlassen. Natürlich denkt er oft an diesen Tag. Einerseits sehnt er ihn herbei, andererseits hat er Angst vor der Freiheit. O-Ton 35 - Häftling Thomas: Wir haben alle Schiss – wir haben wirklich alle Schiss! Das liegt (zum einen) da dran, dass wir vielleicht zum ersten Mal in Haft sind und nicht wissen was auf uns zu kommt, wenn wir raus kommen. Sprecherin: Diese Angst vor der Freilassung ist durchaus begründet. Wer vom strukturierten Leben in einer Vollzugsanstalt in das unstrukturierte Leben in Freiheit komme, erlebt Verunsicherung. Deshalb ist direkt nach der verbüßten Strafe die Gefahr am größten. Warnt die Rückfallforscherin Carina Tetal, vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. O-Ton 36 - Carina Tetal (Max-Planck-Institut für ausl. u. int. Strafrecht): Das Rückfallrisiko ist direkt nach dem Zeitpunkt – also bei uns ist es eben nicht nur die Haft sondern auch die Geldstrafe – direkt danach ist es am höchsten. Und schon nach 1,5 Jahren ist es deutlich flacher, also wird die Rückfallgeschwindigkeit deutlich flacher. Also das meiste passiert in den ersten 1,5 Jahren. Sprecherin: Die Freilassung wird in der JVA Ludwigshafen durch ein mehrstufiges System abgesichert. Kurz vor Haftende kommen die Männer in eine Übergangsabteilung, in der sie auf die Freilassung vorbereitet werden. Danach in die Freigängerabteilung, erläutert Psychologe Christian Broszio. 11 O-Ton 37 - Christian Broszio (Psychologe): Das sind meistens gestaffelte Freiheitsgrade. Einmal Ausgänge mit Mitarbeitern, stundenweise. Im nächsten Schritt dann mit der Familie, also mit eigenen Angehörigen, die wir allerdings kennen müssen, also persönlich kennen müssen. Und in einem weiteren Schritt, vielleicht nach einer nochmaligen kurzen Überprüfung, auch Alleinausgänge und Besuche bei der Familie zu Hause. Sprecherin: Selbst nach der Entlassung können die Häftlinge noch weiter betreut werden, ergänzt Anstaltsleiter Michael Händel. O-Ton 38 - Michael Händel (Leiter der JVA Ludwigshafen): Strafgefangene, die von hier entlassen werden und bei denen man noch einen weiteren Behandlungsbedarf sieht, haben dann die Möglichkeit nochmal in der Psychotherapeutischen Ambulanz weiter behandelt zu werden. Sprecherin: Dieses gesamte System, von der Einzel- bis zur Gruppentherapie, vom Freigang bis zur Nachsorge habe sich bewährt, resümiert der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden, Martin Rettenberger. O-Ton 39 - Martin Rettenberger (Direktor Kriminologische Zentralstelle): Wenn wir aktuelle Studien nehmen sehen wir, dass ca. 25 % Verbesserungsquote erreicht werden kann. Das heißt im Vergleich zu einer unbehandelten Gruppe hat die behandelte Gruppe, die mit sozialtherapeutischen Maßnahmen behandelt wird, eine um 25 % geringere Rückfallquote. Und das ist, wenn wir uns jetzt nochmal diese schwerwiegenden Delikte in Erinnerung rufen, durchaus als ein sehr großer Erfolg zu bewerten. Sprecherin: Dafür muss ein großer Aufwand betrieben werden. Eine Sozialtherapeutische Anstalt ist deutlich teurer als ein normales Gefängnis. Die Wohngruppenleiter, die Psychologen, die intensive Betreuung – all das kostet viel Geld, räumt auch Anstaltsleiter Michael Händel ein. O-Ton 40 - Michael Händel (Leiter der JVA Ludwigshafen): Weil wir haben eine Betreuungsquote, die sehr viel besser ist als im Regelvollzug. Wir sind hier in einem Rahmen von 1 zu 12. Das ist etwas ganz anderes als im Regelvollzug wo sie vielleicht auf einen Psychologen über 200 Gefangene haben. Sprecherin: Nach Angaben der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden kostet ein Haftplatz in einer Sozialtherapeutischen Anstalt im Schnitt etwa doppelt so viel wie im Regelvollzug – nämlich rund 220 Euro pro Häftling und Tag. Dr. Martin Rettenberger kommt in seinen Forschungen dennoch zu dem Ergebnis, dass die Sozialtherapie auch wirtschaftlich Sinn macht. 12 O-Ton 41 - Martin Rettenberger (Direktor Kriminologische Zentralstelle): Wir wissen aus Untersuchungen, dass sich dieser Mehraufwand, dieser finanzielle und personelle Mehraufwand, dass sich der unter dem Strich rechnet. Das heißt, dadurch dass Personen früher entlassen werden können und dadurch dass die Personen, die entlassen werden können auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit selbst wieder am Arbeitsmarkt Fuß fassen und nicht auf Dauer angewiesen sind auf soziale Leistungen, haben wir rein volkswirtschaftlich durch diese Behandlungsmaßnahmen einen Gewinn. Sprecherin: Noch dazu gibt es bei den therapierten Häftlingen weniger Rückfälle, und damit auch weniger Opfer. Stefan, der verurteilte Mörder, ist sich jedenfalls sicher, dass er nie wieder einem anderen Menschen weh tun wird. O-Ton 42 - Häftling Stefan: Von daher kann ich mir echt an den Kopf fassen und denken, was ist mir damals durch den Kopf gegangen, das ist dermaßen krank. Also da hat sich deutlich was geändert. Sprecherin: Auch Franco ist optimistisch, dass er keinen sexuellen Missbrauch mehr begehen wird. O-Ton 43 - Häftling Franco: Das kann gar nicht mehr passieren, weil das Problem war, das nicht auszusprechen, was einen belastet, welche Gefühle man hat. Und das hat jetzt alles stattgefunden, schon in diesem halben Jahr. Und da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Und solche Opfer nochmal produzieren: niemals! Ist für mich…steht außer Frage, könnte ich gar nicht. Sprecherin: Thomas wird als erster der drei aus der Sozialtherapeutischen Anstalt Ludwigshafen entlassen. Er hat seine Vorliebe für Kinderpornografie im Griff, wie er glaubt. Und trotzdem bleibt eine gewisse Unsicherheit. O-Ton 44 - Häftling Thomas: Ich steh schon so ein bisschen vor einer Blackbox. Und hab halt auch so ein bisschen Bammel. Aber ich geh das Ganze mit Optimismus und mit Tatkraft an. Und in wie weit ich das alles umsetzen kann und wie weit ich dagegen steuern muss und wie weit ich mir wieder Hilfe holen muss, das wird sich dann erst in der Realität zeigen. ******************** 13