P 93-003 Kommentierte Literaturübersicht zur Transformationsforschung - Band 1 Ökonomische Rahmenbedingungen der Transformation Rainer Schwarz Oktober 1993 Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung Reichpietschufer 50 D-10785 Berlin Das WZB legt hier den ersten Band einer Kommentierten Literaturübersicht zu ausge­ wählten Bereichen der Transformationsforschung: „Ökonomische Rahmenbedingungen der Transformation" von Rainer Schwarz vor. In Kürze erscheint erscheint der Band 2: „Arbeitsmarkt und Beschäftigung im Transformationsprozeß" (P 93 -004) von Holle Grünert. Dagmar Simon Presse- und Informationsreferat Inhalt: Seite 1. Einleitung 2. Wirtschaftswissenschaftliche 2 Forschungsschwerpunkte zur Transformation 7 3. Zum Terminus "Transformation" 11 4. Ordnungstheoretische und monetäre Ansätze zur Erklärung der Transformation 14 4.1 Der ordnungstheoretische Ansatz von EUCKEN 14 4.2 Die Fragestellung von PROPP 16 4.3 Weitere ordnungstheoretische Arbeiten 18 4.4 Monetäre Ansätze zur Erklärung der Transformation 25 5. Vergleiche zur westdeutschen Währungsreform von 1948 27 6. Ausgewählte makroökonomische und institutionelle Themenfelder 39 6.1 Wähiungsproblematik/deutsch-deutsche Währungsunion 39 6.2 Wettbewerbsfähigkeit und realwirtschaftliche Anpassung 46 6.3 Zu institutionellen Bedingungen ökonomischer Transformation 53 6.4 Privatisierung und Eigentumsrechte 59 6.5 Sequenzing 73 6.6 Prognoseversuche 80 Literaturverzeichnis 84 2 1. Einleitung Die wissenschaftliche Literatur zur Transformationsproblematik: ist besonders seit 1989 in rapider Expansion begriffen, so daß zunehmend ein Bedürfnis nach Sichtung und Überblick besteht. Die vorliegende Arbeit will dazu einen Beitrag leisten. Dabei erfolgte eine Beschränkung auf wirtschaftswissenschaftliche Arbeiten zu ökonomischen Rahmenbedingungen der Transformation, wobei die deutschsprachige Forschung überwiegt. Selektiv sind auch einige fremdsprachige Autoren und einige sozialwissenschaftliche Aspekte aufgenommen, die in bezug zu den Themen dieser Übersicht stehen. Die vorlie­ gende Übersicht ist also vorläufig und kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhe­ ben. Dennoch sind wichtige Forschungsfelder bearbeitet worden. Um einen generellen Einblick in Themenfelder der Literatur zu geben, werden im 2. Ab­ schnitt zunächst thematische Schwerpunkte aus relativ vollständigen Bibliographien der 1 wirtschaftwissenschaftlichen Forschung zur Transformation in Deutschland zusammen­ gefaßt und in ihrer Entwicklung zusammengestellt. Sozialwissenschaftliche Bibliogra­ phien sind nicht annähernd so vollständig, so daß dazu keine Auswertung erfolgte. In den folgenden Abschnitten werden dann die Auffassungen verschiedener Autoren re­ zipiert. Es wurde versucht, wichtige Gedankengänge und Positionen im Kontext der Gliederungspunkte zu erfassen und gegenüberzustellen. Der Verfasser hat sich dabei eigener Kommentierungen und Wertungen weitgehend enthalten. Die Zuordnung mehre­ rer Autoren zu den einzelnen Abschnitten ist insofern etwas willkürlich, als ihre Arbeiten Gedanken aus verschiedenen Themengebieten enthalten. Sie werden dann in einigen Fällen in verschiedenen Abschnitten aufgeführt, in anderen erfolgte eine Selektion von Aussagen, die nach Meinung des Verfassers für den Nutzer dieser Literaturübersicht von Interesse sein können. Der dritte Abschnitt bringt eine Übersicht zur historischen Entstehung des Terminus "Transformation", wobei vor allem BUCHARIN, POLANYI und EUCKEN rezipiert werden. Trotz der Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit der Transformationsrich­ tung ist diesen frühen Verwendungen des Terminus gemeinsam, daß die Transformation erstens im Kontext mit Situationen des Zusammenbruchs steht und zweitens die Öko­ nomie in Interdependenz zu anderen gesellschaftlichen Bereichen betrachtet wird. THOMSEN (1991), THOMSEN und SIEFKES (1991, 1992), in: Kieler Schnellbibliographien zu aktuellen Wirtschaftsthemen, Bd. 2, 3 und 6 3 Im vierten Abschnitt wird einigen theoretischen Ansätzen zur Erfassung von Transfor­ mationsprozessen nachgegangen. Im Vordergrund stehen die ordnungstheoretischen An­ sätze EUCKENs und PROPPs sowie deren Reflexion in der deutschen ordnungstheore­ tischen Diskussion. Es zeigt sich, daß die ordnungstheoretischen Prinzipien für den Bezugsrahmen der Diskurse über Transformation prägend sind. Bei den Vertretern der Ordnungstheorie zeichnen sich zwei Orientierungen ab. Der einen Richtung geht es vor­ rangig um die Durchsetzung der reinen Prinzipien, ohne die es sozusagen keine Träns­ formation gibt. Die andere Richtung, zu der EUCKEN selbst und Autoren aus der Tra­ ditionslinie des Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands ge­ rechnet werden können, geht vorrangig von der historisch konkreten Ausgangssituation aus und will diese schrittweise in Richtung der konstitutiven Prinzipien umformen. Es scheint jedoch, daß eher die erste Richtung das ordnungspolitische Handeln in Ost­ deutschland bestimmt hat. Ferner erfolgt eine kurze Würdigung des alternativen monetären Ansatzes nach RIESE. Er lehnt ein theoretisches Verständnis von Transformation als Übergang von der Zentralverwaltungswirtschaft in eine Verkehrswirtschaft, Wettbewerbsordnung oder Marktwirtschaft ab, weil es die Organisationsform der Verfügung über Ressourcen in den Vordergrund stellt. Er bevorzugt statt dessen das Gegensatzpaar Privateigentum versus gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln als zentralen theoretischen Bezugspunkt (der freilich auch in der Ordnungstheorie thematisiert wird). Dement­ sprechend ist Transformation für ihn wesentlich Übergang vom Sozialismus zum Kapita­ lismus bzw. von einer Planwirtschaft in eine Geldwirtschaft. Von anderen für die Transformationsforschung wichtigen theoretischen Ansätzen (insbesondere die Entwicklungsökonomie, die Institutionentheorie und die evolutorische Ökonomie), die hier nicht zusammenfassend rezipiert werden konnten, werden jedoch einige Vertreter in weiteren Abschnitten dieser Übersicht berücksichtigt. Dazu sei auf STAAR (1993) verwiesen, die eine kritische Wertung vornimmt. Sie zieht die Schlußfol­ gerung, daß der Neoinstitutionalismus eine bessere Grundlage für eine allgemeine Trans­ formationstheorie abgibt als die evolutorische Ökonomie und daß auf dieser Basis die Entwicklungsökonomie integriert werden sollte. Als Fazit kommt sie jedoch dann dahin, den traditionellen Theoriebegriff aufzugeben und die Transformationstheorie als Wis­ sensbank aufzufassen, in der verschiedene Wissenselemente zur Abarbeitung bereit liegen. Als Aufbereitung von Wissenselementen läßt sich denn auch die vorliegende Lite­ raturübersicht verstehen. Die Transformation der nationalsozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft in die west­ deutsche soziale Marktwirtschaft gilt vielen deutschen Autoren als bisher einziges erfolg- 4 reiches Transformationsmodell zur Marktwirtschaft. Dabei bleibt freilich die japanische Entwicklung nach 1945 unberücksichtigt. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben meist die Transformationen anderer planwirtschaftlich dominierter Kriegswirtschaften. Die Trans­ formation der westdeutschen Wirtschaft wird gern mit der einmaligen und spektakulären Währungsreform des Jahres 1948 identifiziert, obwohl der Transformationsprozeß früher einsetzte und auch viel später endete, als das Jahr 1948 bezeichnet. Der westdeutsche Transformationsprozeß wird von den meisten Autoren als Referenzmodell herangezogen, um - wesentliche Elemente eines Transformationsprozesses einer Zentralverwaltungswirtschaft herauszuarbeiten, - Unterschiede zu heutigen Transformationsprozessen ehemals sozialistischer Wirt­ schaftssysteme zu betonen oder - eine Schrittfolge von Transformationsprozessen zu fixieren. Der fünfte Abschnitt bringt einen Überblick zu diesen Arbeiten. Im sechsten Abschnitt werden makroökonomische Themenfelder der Transformation be­ handelt, wobei vor allem jene ausgewählt wurden, die in der Forschung stark vertreten sind (vgl. Abschnitt 2.): Währungsproblematilc/deutsch-deutsche Währungsunion, Wett­ bewerbsfähigkeit und realwirtschaftliche Anpassung, institutionelle Bedingungen öko­ nomischer Transformation, vordringlich Privatisierung und Eigentumsrechte und die Schrittfolge von Transformationsmaßnahmen (Sequenzing). Auch wird auf Prognose­ versuche eingegangen. Zunächst werden im Punkt 6. 1 die marktwirtschaftlich zentrale Frage solider Währung und die unterschiedlichen Positionen zur deutsch-deutschen Währungsunion behandelt. Hier wird deutlich, daß insbesondere von den Gegnern einer schnellen Währungsunion die eingetretenen Folgen weitgehend vorausgesagt worden sind, daß sie andererseits jedoch die politischen Realisierungsbedingungen einer Alternative in ihrer dominant öko­ nomischen Argumentation zu wenig berücksichtigt haben. Auf die Diskussion über den Zusammenhang von Wettbewerbsfähigkeit, Öffnung der Märkte, realwirtschaftlicher Anpassungzeit und -fähigkeit und Schutzbedürfnis vornehm­ lich im Hinblick auf die ostdeutschen Betriebe geht Punkt 6.2 ein. Die wichtigen institutionellen Bedingungen ökonomischer Transformation scheinen nur sehr knapp im Punkt 6.3 angedeutet zu sein. Er rezipiert vor allem die Argumentation 5 der Agenda '92 und von KORN AI. Der zentrale Punkt, wonach die Marktkräfte eines staatlichen bzw. institutionellen Rahmens bedürfen, wird jedoch auch von Autoren ver­ treten, die in anderen Abschnitten dieser Literaturübersicht aufgeführt wurden. Zudem wird mit einem breiten Spektrum von Standpunkten zur Privatisierung der Schwerpunkt der Diskussion ökonomisch-institutioneller Transformation zur Marktwirt­ schaft im Punkt 6.4 zusammengestellt. Es reicht von der unverzüglichen und schnellen Privatisierung über ein schrittweises Vorgehen bis hin zu einem späteren Zeitpunkt im Transformationsprozeß. Auch werden die Diskussionen über Privatisierungsformen sowie zur Rolle öffentlichen Eigentums und den damit verbundenen Problemen in einer Marktwirtschaft reflektiert. Bemerkenswerte Übereinstimmung gibt es jedoch bei den Autoren zum Wesen der Kredite und der sog. Altschulden in einer Planwirtschaft, so daß diese fast durchweg für eine Entschuldung ostdeutscher Betriebe eingetreten sind. Nur in einer versteckten Diskussionsbemerkung wurde der Grund genannt, warum es nicht zu einer Entschuldung kam: Die damit verbundene Geldmengenexpansion - die schon mit der Währungsunion überhöht ausfiel -, konnte die Bundesbank nicht mehr verantworten; und die Bundesrepublik konnte sie sich nicht leisten. Wenige Autoren, darunter aus Osteuropa, fragen nach, was denn Privatisierung bedeute, wenn doch die Eigentümerfunktion von der Managementfunktion getrennt sei und priva­ te Unternehmen in einer Marktwirtschaft von staatlichen Banken oder Angestellten privater Banken kontrolliert würden, oder wo die Grenzen der Privatisierung angesichts von Marktversagen, natürlichen Monopolen und des Kosten-Nutzen-Kalküls öffentlicher Finanzen liegen. Differenzierte Antworten darauf sind in den Plädoyers für die Privatisie­ rung selten zu finden. Wenig thematisiert wird auch das Problem, daß die Privatisierung dazu benutzt wird, die Konkurrenz auszuschalten oder zu reduzieren - ein für EUCKEN wichtiger Punkt. Zahlreiche Vorschläge zur Schrittfolge im Transformationsprozeß stellt Punkt 6.5 vor, wobei deren Heterogenität aufzeigt, daß noch ein erheblicher Forschungsbedarf bei der theoretischen Fundierung sowohl der Folgen einzelner Transformationsmaßnahmen als auch ihrer Auswirkungen im Gesamtzusammenhang besteht. Abschließend werden die Problematik von Prognoseversuchen mittels mathematischer Modelle, ihre Möglichkeiten zur Erfassung makroökonomischer Zusammenhänge und teilweise beachtenswerte Ergebnisse für ökonomische Entwicklungen im Transformati­ onsprozeß sowie der Forschungsstand zur Modellierung politisch-sozialen Wandels im Punkt 6.6 behandelt. 6 Da der Leser mit der vorgelegten Literaturübersicht keine Vollständigkeit erwarten kann, sei er zur Ergänzung auf STAAR (1993), ALBACH (1993) und GRÜNERT (1993) verwiesen, die - ebenfalls partielle - Übersichten bieten. Letztere hat sich in Abgrenzung zum Autor mit Forschungen auf Unternehmensebene und zur Arbeitsmarktproblematik befaßt. BRYSON (1992) bietet eine Übersicht von ökonomischer Literatur zur deut­ schen Wiedervereinigung. An dieser Stelle möchte sich der Verfasser einen Kommentar gestatten, der seinen Gesamteindruck nach bisheriger Durchsicht der Literatur betrifft. Vor allem in zwei Punkten scheint noch erheblicher Forschungsbedarf zu bestehen. Erstens sehen nur wenige Autoren, daß es sich bei der Transformation keineswegs um den bloßen Wandel eines Wirtschaftssystems handelt, sondern daß als Ausgangssituation zunächst der Bank­ rott und Zusammenbruch des planwirtschaftlichen Systems vorliegt. Dementsprechend sind die alten Koordinationsmechanismen zusammengebrochen, und die marktwirtschaft­ lichen sind noch nicht in der Lage, wirtschaftliche Kohärenz zu sichern. Transformation ist so wesentlich durch Turbulenzen und Chaos gekennzeichnet. In jedem Fall verlaufen Transformationsprozesse fern von den bisherigen wirtschaftlichen Gleichgewichten. Fragen des Kreislaufgleichgewichtes im Transformationsprozeß - und jene des Ungleich­ gewichtes - spielen in der Literatur jedoch kaum eine Rolle. Es erscheint jedoch proble­ matisch, Lehrsätze einer Wirtschaftstheorie, die auf Situationen des Gleichgewichtes und einer gewissen Stabilität wirtschaftlicher Daten fußen, unkritisch und voraussetzungslos auf aktuelle Transformationsprozesse anzuwenden. Zudem sind derlei Anwendungen häufig punktuell und wenig systematisch. Wenn man - wie im LEONTIEFF-Modell Wirtschaft als Geflecht von Input - Output- Beziehungen begreift, könnten Untersuchun­ gen der Transformation dieser Netzwerkbeziehungen, die den Zusammenbruch der Koeffizientenmatrix und des Nachfragevektors einschließen, einen nützlichen Beitrag leisten. Zweitens zeichnet die Literatur überwiegend das Bild einer Transformation in das blü­ hende Paradies einer prästabilierten Harmonie, in Candides beste aller Welten. Wenn schon EUCKENs Warnungen vor negativen Tendenzen des Monopols und des Laissezfaire spurlos verhallt zu sein scheinen, so hätte man sich doch etwas stärker der einfachen Tatsache erinnern können, daß der Kapitalismus oder die Marktwirtschaft, wenn schon keine Welt des Klassenkampfes, so doch eine des Konkurrenzkampfes ist; eine Welt, in der Kampf auch mit Absprachen und anderen Wettbewerbsverzerrungen und -gefährdungen verbunden ist. Die Theorien unvollkommener Konkurrenz und der Marktformen werden kaum auf die Neugestaltung einer Marktwirtschaft in den Transformations­ ländern bezogen. In diesem Zusammenhang findet man auch selten eine Reminiszenz an 7 das von vielen großen Ökonomen behandelte Problem wirtschaftlicher Macht. Zwar gibt es ein Plädoyer für die Entmachtung des bisherigen Managements im Kontext mit der Argumentation für einen big bang. Jedoch erfährt man kaum etwas darüber, wie das ent­ stehende Machtvakuum mit Kompetenz ausgefüllt wird und wie das Managementdefizit angesichts eines auch in gestandenen Marktwirtschaften nicht vorhandenen Überschusses an Spitzenmanagern beseitigt werden kann. Da das Machtproblem in den Wirtschafts­ und den Sozialwissenschaften gleichermaßen eine lange Untersuchungstradition hat, dürfte es bezüglich der Transformation ein interessantes interdisziplinäres Forschungsfeld abgeben. 2. Wirtschaftswissenschaftliche Forschungsschwerpunkte zur Transformation - eine Übersicht Um einen generellen Einblick in Themenfelder der Literatur zu geben, werden im folgen­ den zunächst thematische Schwerpunkte aus relativ vollständigen Bibliographien der 2 wirtschaftwissenschaftlichen Forschung zur Transformation in Deutschland zusammen­ gefaßt und in ihrer Entwicklung zusammengestellt. Sozialwissenschaftliche Bibliogra­ phien sind nicht annähernd so vollständig, so daß dazu keine Auswertung erfolgte. Die nachstehende Übersicht ist zwar nicht als komplett zu betrachten, sie ermöglicht jedoch eine erste grobe Orientierung zu den Schwerpunkten in der Literatur. Zu erwäh­ nen ist, daß nicht nur ökonomische Themen, sondern teilweise auch sozialwissenschaft­ liche Themen erfaßt werden. Sie betreffen insbesondere die Sozialpolitik, darunter das sozio-ökonomische Panel, die Arbeitsmarktpolitik und ähnliches. Die folgende Tabelle faßt die verschiedenen Gliederungen der drei Kieler Bibliographien (siehe Fußnote 1) zusammen, um deren Vergleichbarkeit zu verbessern. Beispielsweise umfassen die ordnungspolitischen Grundlagen hier: Finanz-, Wirtschafts-, Wettbewerbs­ und Geldpolitik, Wirtschaftsreform, Transformation, Marktwirtschaft, Ordnungspolitik, Eigentum, Privatisierung, Wirtschaftsrecht, Steuerpolitik. Die Gliederungspunkte Lohn­ politik, Arbeitsmarkt, Arbeitsmarktforschung, Gewerkschaften und Mitbestimmung sind zum Feld Arbeitsmarkt, Gewerkschaften zusammengefaßt. Einschränkend sei ferner er­ wähnt, daß die Zahlenangaben nur eine scheinbare Genauigkeit widerspiegeln, da ver­ schiedene Titel inhaltlich mehrere Sachgebiete überstreichen. Daher sollen sie hier nicht THOMSEN (1991), THOMSEN und SIEFKES (1991, 1992), in: Kieler Schnellbibliographien zu aktuellen Wirtschaftsthemen, Bd. 2, 3 und 6 8 kardinal, sondern ordinal interpretiert werden. D. h., es werden lediglich grobe Rangord­ nungen als sinnvolle Interpretation angesehen. In der Rangordnung der bearbeiteten Themenfelder stehen in allen drei Zeiträumen ord­ nungspolitische Grundfragen an erster Stelle. Hierzu muß man auch noch die währungs­ politischen Themen rechnen, die im ersten Schwerpunkt mit erfaßt sind. Zu den fünf am meisten bearbeiteten Themenfeldern gehören bis zur deutschen Vereini­ gung weiterhin: deutsche Einheit, Wirtschafts- und Währungsunion, Wirtschaftsstatistikund -berichte, Arbeitsmarkt und Gewerkschaften, sowie Sozialpolitik. Bis September 1991 schoben sich arbeitsmarktpolitische Themen auf den zweiten Platz nach der Ord­ nungspolitik und Themen aus der Landwirtschaft verdrängten die Sozialpolitik aus der Rangordnung der fünf am meisten bearbeiteten Themen. Bis März 1992 gelangte jedoch die Sozialpolitik hinter den ordnungspolitischen und den arbeitsmarktpolitischen Fragen auf den dritten Platz in der Rangordnung. Diese Rangfolge spiegelt die aktuelle Pro­ blemwahrnehmung beim Transformationsprozeß in Deutschland wider. Innerhalb ord­ nungspolitischer Themen sind am stärksten die Ordnungspolitik im engeren Sinne, Wäh­ rungsfragen und Privatisierung vertreten. Bei der Untersuchung zu einzelnen Wirtschaftsbranchen fuhrt die Landwirtschaft vor der Energiewirtschaft. Erstaunlich gering ist die Bearbeitung von Themen der Industrie als Kernbereich der Wirtschaft. Im Zeitraum bis zur deutschen Vereinigung erfuhren folgende Themenfelder die gering­ ste Bearbeitung: Forschung und Entwicklung (F&E), Handel, Banken und Versicherun­ gen, Bau- und Wohnungswirtschaft, Unternehmensführung, Umwelt, Verkehr und Tele­ kommunikation. Die Themenfelder Investition und Sparen, Mittelstand und Verwaltung fehlen in der Gliederung dieser Bibliographie völlig. Bedenkt man, daß in diesem Zeitraum der Aufbau eines zweistufigen Bankensystems ein zentraler Punkt bei der Transformation des Wirtschaftsystems war, so überrascht die ge­ ringe analytische und wissenschaftliche Durchdringung dieses Vorganges. 9 Nov. 89Okt. 90 Okt. 90Sept. 91 Okt. 91März 92 Wachstumsrate 92/91 (%) Deutsche Einheit, Wirtschafts- und Währungsunion 127 95 64 (130) 36 Int. Auswirkungen der deutschen Einheit 28 34 46 (92) 170 Ordnungspolitische Grundlagen 210 201 192 (284) 41 - 21 9(18) -14 DM-Bilanzgesetz, Bewertung 28 31 9(18) -42 Unternehmensführung 6 8 27 (54) 575 Wirtschaftsberichte und -Statistik 78 96 52 (102) 6 - 19 24 (48) 153 Sozialpolitik 52 25 83(166) 564 Arbeitsmarkt, Gewerkschaften 59 101 100 (200) 99 Außenwirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit 27 25 41 (82) 228 Industrie, Bergbau 18 23 21 (42) 83 Energiewirtschaft 20 31 31 (62) 100 Bau- und Wohnungswirtschaft 7 16 17 (34) 113 Handel, Banken, Versicherungen 8 26 21 (42) 62 Landwirtschaft, Genossenschaften 26 69 49 (98) 42 Umwelt 11 18 21 (42) 133 Verkehr, Telekommunikation 14 17 35 (70) 312 Regional- und Kommunalfragen 15 49 41 (82) 67 FuE 9 12 6(12) 0 Verwaltung - - 17 (34) - Unternehmensgründungen Investition und Sparen Tabelle: Rangordung und Entwicklung von Themengebieten der Transformationsforschung (nach Anzahl der Publikationen). 10 Bemerkenswert ist weiterhin, daß ausgerechnet jene Bereiche die geringste Bearbeitung erfahren haben, die für den Aufbau der Marktwirtschaft und für den wirtschaftlichen Aufschwung eine zentrale Bedeutung besitzen (Mittelstand, Innovation bzw. F&E und Investitionen). Eine ähnlich geringe wissenschaftliche Durchdringung haben jene Pro­ blembereiche erfahren, die für Ostdeutschland regelmäßig als defizitär beschrieben werden: Management, Infrastruktur (Verkehr, Telekommunikation und Verwaltung), Umwelt, Bau- und Wohnungswirtschaft. Auch im Zeitraum bis September 1991 waren Unternehmensführung, Forschung und Entwicklung, Bau- und Wohnungswirtschaft, Umwelt, Verkehr und Telekommunikation, Investition und Sparen, sowie Mittelstand die in der Bibliographie am wenigsten vertre­ tenen Themengebiete. Noch bis März 1992 waren die Themengebiete Mittelstand, For­ schung und Entwicklung sowie Verwaltung sehr gering vertreten. Interessant ist die Betrachtung der quantitativen Enwicklung einzelner Themenfelder. Dazu wurden die halbjährlichen Angaben im Zeitraum Oktober 1991 bis März 1992 ver­ doppelt und in Klammern beigefügt, um einen etwa einjährigen Vergleichszeitraum zu gewährleisten. Die darauf bezogene Wachstumsrate der letzten beiden Zeiträume ist in der letzten Spalte angegeben. Das höchste Wachstum erfuhren die Themenfelder Unter­ nehmensführung und Sozialpolitik, womit die wachsende wissenschaftliche Wahrneh­ mung der sozialpolitischen und Managementproblematik in Ostdeutschland widergespie­ gelt wird. Ein relativ hohes Wachstum weisen auch Themen wie Verkehr und Telekom­ munikation, Außenwirtschaft bzw. internationale Wettbewerbsfähigkeit, internationale Auswirkungen der deutschen Einheit sowie Investition und Sparen auf. Etwa eine Ver­ doppelung der Bearbeitung liegt bei Themen wie Arbeitsmarkt und Gewerkschaften, Industrie und Bergbau, Energiewirtschaft, Bau- und Wohnungswirtschaft sowie Umwelt vor. Den größten Rückgang gibt es bei DM-Bilanzgesetz und Unternehmensbewertung, er­ klärbar durch die Zeitweiligkeit der Problematik. Erstaunlich ist jedoch, daß auch beim Themenfeld Unternehmensgründungen und Mittelstand ein Rückgang zu verzeichnen ist. Die damit verbundenen Probleme werden ja allgemein als entscheidend für ein marktwirt­ schaftliches System und für den wirtschaftlichen Aufschwung in Ostdeutschland prokla­ miert. Ebenso problematisch erscheint, daß auch Forschung und Entwicklung keinen Zuwachs in der Bearbeitung erfahren, obwohl das Thema Innovation als entscheidend für das Wirtschaftswachstum betrachtet wird. 11 3. Zum Terminus "Transformation" Der Terminus "Transformation" wurde nach Wissensstand des Verfassers zuerst von BUCHARIN (1920, 1922, 1989) im sozialökonomischen Sinne verwendet. Teil 1 seines Buches trägt die Überschrift: "Allgemeine Theorie des Tranformationsprozesses", wor­ unter er den Prozeß der Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in die kommuni­ stische Gesellschaft versteht. LENIN kommentierte dazu sarkastisch : "Nun, Gott sei Dank: wenigstens nicht 'Transformation', und nicht allgemein, sondern man weiß, wessen in was!!" (zitiert nach BUCHARIN (1989, S. 29, alle Übersetzungen aus dem Russischen von R. S.). Für diese Transformation wird der vollständige politische und ökonomische Zusammenbruch der alten Gesellschaft 3 vorausgesetzt. BUCHARINs Terminus "Transformation" steht in Beziehung zu den MARX'schen Termini "Periode der revolu­ tionären Umwandlung", "Übergangsperiode" und "Gesellschaftsformation". Im Anschluß an Zusammenbruch und Zerstörung der alten Gesellschaft besteht die Transformationsperiode laut BUCHARIN aus vier Phasen oder Etappen: die ideolo­ gische, politische, ökonomische und technische Revolution. Damit bezeichnet er die typi­ schen Züge, die in der betreffende Phase dominieren. Bemerkenswert in dieser Auffas­ sung von Transformation ist, daß die Transformation nicht auf isolierte Merkmale oder Bereiche beschränkt wird, sondern daß eine Interdependenz verschiedener Bereiche ge­ sehen wird, wobei gleichzeitig die Vorstellung der Dominanz dieses oder jenen Bereiches eine Rolle spielt. In ökonomischer Hinsicht besteht diese Auffassung von "Transformation" wesentlich darin, daß das Geld aufhört, allgemeines Äquivalent zu sein und daß die ökonomische Theorie zum naturalwirtschaftlichen Denken übergehen muß (I.e., S. 159, 160). POLANYIs (1944) Ausgangsproblem war die "Transformation einer ganzen Zivilisation in den dreißiger Jahren" (S. 41). Der Terminus "Transformation" bezieht sich nicht allein 3 Diese kommunistische Auffassung von Transformation unterscheidet sich wesentlich von der sozialdemokratischen. BUCHARIN schreibt: "MARX sah wohl den langen Charakter der Kata­ strophe und der Transformationsperiode". In den "Enthüllungen über den Kommunistenprozeß in Köln" zitiert MARX seine Worte: "Wir sagen den Arbeitern: 'Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürger­ kriege und Völkerkämpfe durchzumachen, nicht nur, um die Gesellschaftsordnung (im Original: Verhältnisse) zu verändern, sondern um euch selbst zu ändern und zur politischen Herrschaft zu befähigen'". BUCHARIN (1989, S.103) BUCHARIN polemisiert gegen den deutschen sozialde­ mokratischen Sozialisierungsminister BAUER, der gefordert hatte: "Die Expropriation der Expropriateure soll sich....so vollziehen, daß der Produktionsapparat der Gesellschaft nicht zer­ stört, der Betrieb der Industrie und der Landwirtschaft nicht gehemmt wird", (zitiert nach: I.e., S. 97) 12 auf die Wirtschaft, sondern auf die Zivilisation. In der Tradition von HEGEL und MARX geht es um Form und Inhalt, insbesondere jedoch um die von Menschen geschaffenen Formen. Wie bei BUCHARIN ist der Ausgangspunkt ein Zusammenbruch, diesmal jedoch der drohende Zusammenbruch der internationalen Wirtschaftsordnung. POLANYI bemerkt, daß allerorten die Institutionen umgeformt wurden, und daß in den dreißiger Jahren die Produktion auf der Grundlage freier Märkte von neuen Wirtschafts­ formen verdrängt wurde. "Faschismus und Sozialismus waren lebendige Kräfte in jener Transformation der Institutionen, die unser Thema bildet." (S. 53) Die Ursprünge der Katastrophe sucht der Autor im Aufstieg und Fall der Marktwirt­ schaft. Das Buch behandelt die Transformation zur Marktwirtschaft, die wesentlich eine "Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren" bedeutet (S. 70). Vor der Marktwirtschaft haben Gewinne und Profit beim Güteraus­ tausch in der menschlichen Wirtschaftstätigkeit nie eine wichtige Rolle gespielt. Vorhe­ rige Wirtschaftsformen kannten keine Wirtschaft, "die auch nur annähernd von Märkten beherrscht und geregelt worden wäre" (S. 72). POLANYI untersucht die Einbettung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Menschen in seine Sozialbeziehungen. Erst mit der Marktform wurde die Gesellschaft als Anhängsel des Marktes behandelt. Die Verwandlung der Märkte in ein selbstregulierendes System war nicht das Ergebnis ihrer natürlichen Tendenz zur Ausuferung, sondern in West­ europa wurde der Binnenhandel durch das Eingreifen des Staates geschaffen.. "Mit jeder Maßnahme, die der Staat ergriff, um den Markt von partikularistischen Restriktionen, Zollschranken und Verboten zu befreien, gefährdete er das bestehende System von Pro­ duktion und Distribution, das nun von ungeregelter Konkurrenz und dem Eindringen von unbefugten Händlern bedroht wurde, die den Markt 'abschöpften', aber keine Gewähr für Stabilität boten." (S. 101) Daher wurden Märkte über lange Zeit mehr denn je von der gesellschaftlichen Macht kontrolliert und reguliert. "Wenn man den Marktmechanismus als ausschließlichen Lenker des Schicksals der Menschen und ihrer natürlichen Umwelt, oder auch nur des Umfangs und der Anwendung der Kaufkraft, zuließe, dann würde dies zur Zerstörung der Gesellschaft führen." (S. 108) Die endgültige Einführung der Marktwirtschaft datiert POLANYI auf das Jahr 1834, als in England der freie, wettbe­ werbsbestimmte Arbeitsmarkt geschaffen wurde. Jedoch setzte fast sofort der Selbst­ schutz der Gesellschaft ein in Form von Fabrikgesetzen, Sozialgesetzen und mit dem Entstehen der Arbeiterbewegung. Während sich die Marktwirtschaft in bezug auf echte Waren im neunzehnten Jahrhundert ausweitete, wurde gleichzeitig der Marktmechanis­ mus in bezug auf Arbeit, Boden und Geld eingeschränkt (S. 112). In diesem Zusammen­ hang haben RICARDO und HEGEL die Existenz einer Gesellschaft entdeckt, "die nicht 13 den Gesetzen des Staates unterworfen war, sondern, im Gegenteil, den Staat ihren eige­ nen Gesetzen unterwarf' (S. 157). "Damit war die vom politischen Staat zu trennende ökonomische Gesellschaft entstanden." (S. 163) Erst 1825 wurde "gesunde" Währung zu einem Prinzip des Wirtschaftsliberalismus erhoben. "Kaum hatten die Vertreter des Wirt­ schaftsliberalismus im Jahre 1832 Einfluß auf die Regierung gewonnen, als sich die Lage völlig zugunsten der administrativen Methoden veränderte." (S. 193, 194) Die durch­ gängige Einführung der Marktwirtschaft war gleichzeitig mit dem "Aufbau eines unge­ mein komplizierten Verwaltungsapparats" (I.e.) verbunden. Der Terminus "Transformation" geht in seiner heutigen Anwendung vornehmlich auf die ordnungstheoretischen Arbeiten von EUCKEN (1952) und HENSEL (1954) zurück, wenngleich es auch eine kybernetische bzw. systemtheoretische Traditionslinie gibt. In letzterer wird unter Transformation abstrakt der Übergang von einem Systemzustand zum anderen verstanden. In dieser abstrakten Sicht lassen sich nicht nur Wirtschafts­ systeme, sondern auch Gesellschaftssysteme, technische Systeme usw. unter den Termi­ nus "Transformation" subsumieren. Im Unterschied dazu geht EUCKEN (1952) von den konkreteren ökonomischen Markt­ formen aus, dehnt jedoch seine Betrachtung der Transformation über den ökonomischen Bereich auf damit zusammenhängende gesellschaftliche Bereiche aus. Er bezeichnet die Entwicklung bzw. Umwandlung der Marktformen vom Nachfragemonopol zur vollstän­ digen Konkurrenz, ebenso aber auch die Tendenz zur staatlichen Intervention und zu zentraler staatlicher Lenkung (S. 46) sowie schließlich den Übergang von Privat- zum Kollektiveigentum als Transformation (S. 106). HENSEL hat (vgl. Zweiter Tätigkeits­ bericht des Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands, Bonn 1957) diesen Terminus als Gegensatz zur Mutation als einer unbeabsichtigten Verände­ rung der Wirtschaftsordnung eingeführt. PROPP (1964, 1990) baut auf dieser Sicht der Transformation einer Wirtschaftsordnung auf, untersucht jedoch den umgekehrten Übergang von der Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft. 14 4. Ordnungstheoretische Ansätze zur Erklärung der Transformation 4. 1 Der ordnungstheoretische Ansatz von E U C K E N Unter "Wirtschaftsordnung" versteht er "die Gesamtheit der realisierten Formen, in denen in concreto jeweils der alltägliche Wirtschaftsprozeß abläuft" (S. 372). Von dieser zeitbezogenen Ordnung wird die Wesensordnung, Naturordnung bzw. gerechte Ordnung unterschieden, welche der Vernunft entspricht. Die konkrete, zeitbezogene Ordnung wird aus der "Verschmelzung relativ weniger reiner Formen gebildet" (S. 21). Das sind - zentral geleitete Wirtschaft: Eigenwirtschaft einer Kleinfamilie oder Zentralverwaltungswirtschaft eines Volkes - Verkehrswirtschaft selbständiger Einzelwirtschaften, die durch Märkte koordiniert werden: Naturalwirtschaft oder Geldwirtschaft. Entscheidend für die Analyse der realen Mischformen ist nun, welche der beiden reinen oder abstrakten Formen dominiert: "Die russische Wirtschaftsordnung von 1949 z. B. besteht aus einer bestimmten Verschmelzung der zentralverwaltungswirtschaftlichen Ordnungsform, die dominiert, mit verkehrswirtschaftlichen Marktformen und Geldsyste­ men verschiedener Art. Jede Veränderung der Wirtschaftsordnung ... ist ein Wechsel der reinen Ordnungsformen, die realisiert sind..." (S. 23) Bei der Zentralverwaltungswirtschaft unterscheidet er einen Typus mit Privateigentum und einen mit Kollektiveigentum an Produktionsmitteln (S. 60). Die gehaltvolle Darstel­ lung der Funktionsweise einer Zentralverwaltungswirtschaft verwendet vornehmlich das empirische Material des ersten Typus, das EUCKEN aus seiner Kenntnis der national­ sozialistischen Wirtschaft und der westdeutschen Wirtschaft bis 1949 bezieht. Verblüf­ fend ist hier die weitgehende Ähnlichkeit zur Funktionsweise einer Zentralverwaltungs­ wirtschaft sowjetischen Typs (vgl. PROPP und KORNAI). Bei letzterer sieht er die Ord­ nungsform der Zentralverwaltungswirtschaft reiner durchgesetzt. "Aber der Wirtschafts­ prozeß ist hier und dort nicht wesentlich verschieden." (S. 106) EUCKEN's ordnungstheoretischer Ansatz ist kein eingeschränkt ökonomischer. Viel­ mehr betont er die "Interdependenz der Ordnungen": Staatsverfassung, Wirtschaftsver­ fassung und Gesellschaftsordnung (S. 183). Weiterhin geht er ausführlich auf den Zusammenhang von Wirtschaftsordnung und sozialer Frage ein (S. 185 f f ) . 15 Als Alternative zur Zentralverwaltungswirtschaft konzipiert er die Wettbewerbsordnung, in der die Marktform vollständiger Konkurrenz dominiert (S. 244 ff.). Neben ihr ist die Ordnungsform der Eigenwirtschaft weitverbreitet. Für die Wettbewerbsordnung leitet er aus der Wirtschaftsgeschichte konstituierende Prinzipien ab, Forderungen allgemeiner Art: - Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz als Grund­ prinzip (ohne Subventionen, staatliche Zwangsmonopole, Kartelle, Einfuhrverbote, allgemeinen Preisstopp) - Währungspolitik als Primat: Sicherung einer gewissen Stabilität des Geldwertes - offene Märkte ohne Zulassungssperren - Zollsystem - wettbewerbskonformes Privateigentum an Produktionsmitteln als Voraussetzung, jedoch nicht in monopolistischen Marktformen ("...wenn Monopole entstehen, ... muß die Verfügungsmacht über das Privateigentum beschränkt werden." S. 275) - Vertragsfreiheit nur dort, wo vollständige Konkurrenz vorhanden ist, nicht um Monopole zu bilden oder deren Position zu festigen - Haftung ohne Beschränkungen - Konstanz der Wirtschaftpolitik: langfristige Festlegung von Rahmenbedingungen (Steuern, Handelsverträge, Währungseinheiten usw.) - Zusammengehörigkeit dieser Prinzipien. Von diesen normativen Prinzipien unterscheidet er strikt deren Anwendung. Diese habe die jeweilige geschichtliche Ausgangssituation der einzelnen Länder zu berücksichtigen. Auch im Hinblick auf die vierzigjährige deutsche Geschichte in der DDR und die heuti­ gen Transformationsprozesse in Ostdeutschland sind EUCKENs Sätze bedenkenswert: "Wenn man versuchen würde, die Geschichte auszustreichen so würde man an den Tatsachen selbst scheitern ... Die Wirtschaftspolitik hat die Neigung, entweder in einen unrealistischen Doktrinarismus zu verfallen, welcher die jeweilige historische Situation nicht berücksichtigt, oder in einen ungrundsätzlichen Punktualismus, welcher die Wirt­ schaftspolitik zu einem Chaos unzusammenhängender oder widerspruchsvoller Maßnah­ men macht. In jedem Falle wird das Ziel verfehlt." (S. 251) 16 Auch die Reihenfolge von Maßnahmen zur Einführung einer Wettbewerbsordnung - in heutigen Worten: die Schrittfolge im Transformationsprozeß - ist für EUCKEN kein all­ gemeingültiges Schema, sondern "eine besondere Frage, welche die Anwendung dieser Prinzipien auf die konkrete Situation" erfordert. (S. 252) Da die konkreten Wettbewerbsordnungen systemfremde Ordnungsformen enthalten und auch die vollständige Konkurrenz Mängel hat, stellt EUCKEN regulierende Prinzipien auf, um die Wettbewerbsordnung funktionsfähig zu erhalten: - Wettbewerbskonforme Monopolgesetzgebung und staatliches Monopolaufsichtsamt - Korrektur des Verteilungsprozesses durch begrenzte Progression der Einkommen­ steuer - Begrenzung der Planungsfreiheit der Betriebe in Fällen von Marktversagen: Arbeiter­ schutz, Umweltschutz - Eventuell Festsetzung von Minimallöhnen. Ähnlich thematisiert M A N N (1991) die Anwendungsproblematik abstrakter Prinzipien: "Angesichts der oben genannten Unterschiede der Völker und Nationen in Bezug auf Kultur, Sozialsystem, Wirtschaft, Geschichte, Mentalitäten, Raum und Zeit, Religion und Wertesystem ist auch zu fragen, wie tragfähig eine spezielle Theorie der Systemtrans­ formation für alle osteuropäischen bzw. mitteleuropäischen Staaten ist, d. h. wie hoch der Abstraktionsgrad einer Theorie sein muß, die auf die einzelnen Völker und Staaten anwendbar sein soll" (S. 74). 4. 2 Die Fragestellung von PROPP PROPP (1964, 1990) hat sich frühzeitig mit heute aktuellen Transformationsproblemen also mit dem Übergang von der Zentralverwaltungswirtsehaft zur Marktwirtschaft - aus­ einandergesetzt, wobei er - anknüpfend an EUCKEN (1952) und besonders an HENSEL (1954) - die normativen und realen ordnungstheoretischen Bedingungen einer Marktwirt­ schaft mit den realen Bedingungen in Ostdeutschland konfrontierte. Diese Arbeit zeich­ net sich besonders durch folgendes Anliegen aus: "Neben der Transformation der Wirt­ schaftsordnung steht als gleichberechtigtes Ziel die Sicherung der Kontinuität des Wirt­ schaftsprozesses ..." (S. 13). Die ausschließliche Zielsetzung der Transformation führt nach PROPP zum Chaos. Daher ist sein Ziel "nicht die optimale, sondern eine prakti- 17 kable marktwirtschaftliche Ordnung" mit "geringsten negativen Folgen für die Kontinui­ tät des Wirtschaftsprozesses" S. 118). Aufgrund einer realistischen Analyse der Bedingungen in Ostdeutschland benennt er einerseits Minimalbedingungen für die Marktwirtschaft, die sofort zu schaffen sind, ande­ rerseits Teile der geltenden Regelungen, die als Ansatzpunkt für die neuen Ordnungs­ formen genutzt werden können. Für ihn ist die Transformation der Wirtschaftsordnung vorrangig, nicht hingegen die der Eigentumsordnung. Daher empfiehlt er aufgrund der Erfahrungen der Bundesrepublik, den "in öffentlichem Eigentum stehenden Betrieben einen solchen Status zu geben, daß sie sich außer durch den speziellen Eigentümer nicht von privaten Unternehmen unter­ scheiden und als echte Wirtschaftssubjekte selbständig tätig sind" (S. 130). Nur so könne die Mehrzahl der Betriebe für eine Übergangszeit erhalten und die Kontinuität der Kreisläufe gesichert werden. Gleichzeitig soll die Zulassung neuer Privatunternehmen ge­ fördert werden. Hingegen sollte die zentrale Planung sofort beseitigt werden. Davon sollen aber tech­ nische Sicherheits- und Hygienevorschriften, Elemente des Finanz- und Vertragssystems u. ä. ausgenommen werden. Dem Autor geht es darum, die vertikale Bindung der Betrie­ be an die zentrale Planung sofort zu beseitigen, gleichzeitig aber das Netz der horizon­ talen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Betrieben zu erhalten, um Zeit für die Umstellung und Anpassung an die Marktbedingungen zu gewinnen (S. 147). Er unter­ scheidet also die Transformation der Wirtschaftsordnung als einheitlichen Akt und die sich daran anschließenden Anpassungsprozesse. PROPP macht das Managementdefizit als zentrale Frage der Transformation aus, also die Tatsache, "daß keine Menschen mit unternehmerischen Fähigkeiten und Kenntnissen zur Verfügung stehen" (S. 189). Er erkennt jedoch, daß die Werkleiter der VEB angesichts vielfältiger widersprüchlicher Vorschriften in der Planwirtschaft ein hohes Maß an Initia­ tive entwickeln mußten, um die Betriebe überhaupt führen zu können. Daher könne sich ein großer Teil von ihnen an die neuen Verhältnisse anpassen. Ausgeschlossen sei es, binnen kurzer Zeit alle oder auch nur einen großen Teil von ihnen zu ersetzen. Nach ihm muß die Geldordnung sofort verändert werden. Hingegen sollten die bisheri­ gen Kreditdispositionen der Betriebe zeitlich begrenzt aufrechterhalten werden, jedoch durch marktwirtschaftliche Kreditzinsen ergänzt werden. Realistisch sieht er, daß die Gewährung neuer Kredite in marktwirtschaftlichen Formen geraume Zeit erfordert, so 18 daß die "Einstellung der Kreditgewährung zu sehr nachteiligen Folgen für die Kontinuität der wirtschaftlichen Abläufe führen" würde (S. 215). Ebenso könne man nicht einfach die bisherigen Finanzbeziehungen zwischen den Betrie­ ben und dem Staatshaushalt abbrechen. Das gelte nur für die Abschaffung der Gewinnab­ führungen und Verluststützungen. Während "ein erheblicher Teil der auf die Wirtschaft bezogenen Staatsausgaben weiter zu leisten sei" (S. 283), müsse für die Sicherung der Staatseinnahmen sofort ein marktwirtschaftliches Steuersystem eingeführt werden. PROPP macht jedoch offenkundig eine Reihe stillschweigender Annahmen über den Transformationsprozeß in Ostdeutschland, die den heutigen Bedingungen nicht ent­ sprechen. Implizit geht er von einem souveränen Staatsgebiet oder zumindest von einer Sonderwirtschaftszone in Ostdeutschland aus. Es ist weder die Rede von der Wieder­ vereinigung, noch von einer Übernahme westdeutschen Wirtschaftsrechts oder gar der DM. Die sofortige Abschaffung von Zollgrenzen und die bedingungs- und übergangslose Konfrontation ostdeutscher Betriebe mit der überlegenen westdeutschen und europäi­ schen Konkurrenz werden nicht thematisiert, Währungsprobleme und Wettbewerbs­ fähigkeit kaum behandelt. 4. 3 Weitere ordnungstheoretische Arbeiten GRADL (1967, S. 608) erklärte: "Das Leitbild einer freiheitlich-demokratischen Ord­ nung und die Ablehnung des Prinzips der Zwangswirtschaft bedeuten nicht, daß not­ wendig alle Einrichtungen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens im kommunistisch beherrschten Teil Deutschlands geändert oder gar beseitigt werden sollen ... Die Frage des Eigentums an Produktionsmitteln ist ebenso wichtig wie schwierig ... Es gibt heute viele Formen öffentlichen, gemischtwirtschaftlichen und privaten Eigentums sowie der Mitbestimmung. Die Möglichkeit einer Weiterführung "Volkseigener Betriebe" und Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften hat der Forschungsbeirat in seinen Überlegungen vorgesehen. Bisherige fachlich geeignete Führungskräfte sollen selbstver­ ständlich in ihren Führungspositionen bleiben. Hinsichtlich der Landwirtschaft hat sich der Forschungsbeirat ausdrücklich gegen Restauration der alten Eigentumsverhältnisse ausgesprochen." Im zweiten Text in BIEDENKOPF (1990) trägt der Verfasser eine Argumentation für die marktwirtschaftliche Ordnung vor. Unter anderem begreift er die soziale Marktwirt- 19 schaft als das Ergebnis komplexer Planung. Alle Wirtschaftsordnungen in der EG enthal­ ten "Elemente staatlicher und genossenschaftlicher, privatrechtlicher und öffent­ lich/rechtlicher, privatwirtschaftlicher und gemeinwirtschaftlicher Strukturen und Organi­ sationsformen. Alle sind sie deshalb "Mischsysteme". Der Staat ist in ihnen ebenso Eigentümer wie Private, Genossenschaften oder internationale Konzerne Eigentümer sind" (S. 52). Jedoch muß die Staatsquote unter 50 % gehalten werden. Insgesamt geht dieser Text vom Dezember 1989 noch davon aus, daß die Erneuerung der Volkswirt­ schaft der DDR eine Gemeinschaftsaufgabe beider deutscher Staaten ist. Der Autor sieht die Volkswirtschaft der DDR auf dem Niveau Spaniens, noch vor Irland, Portugal oder Griechenland, und mit ungleich besseren infrastrukturellen Voraussetzungen (S. 72-73). Zahlreiche Standortvorteile der DDR werden erwähnt. "Die ökonomischen Probleme der DDR ... werden ... zum Teil überzeichnet." (S. 80) Vor allem heißt es: "Bei der Entwick­ lung der DDR-Volkswirtschaft zu einer international wettbewerbsfähigen Verkehrswirt­ schaft muß deshalb darauf geachtet werden, daß die Entwicklungssprünge nicht zu groß werden" (S. 81-82). Hier sieht der Autor noch die Gefahr eines Anpassungsschocks, der ebenfalls kontraproduktive Wirkungen auf die weiteren Entwicklungen der Wirtschaft in der DDR haben müßte. Reichlich einen Monat später (siehe unten) plädiert er für den Schock der Währungsunion und erkennt großartige Entwicklungssprünge nach maximal zwei Jahren Talfahrt. HERDER-DORNEICH (1991) sieht die klassische Ordnungstheorie als statisch an und fordert eine dynamische Theorie. Er geht davon aus, daß der definitorische Apparat der klassischen Ordnungstheorie in den dreißiger Jahren begründet worden ist und damals auf eine ganz andere Wirklichkeit ausgerichtet war. Sie habe sich auf den Dualismus "Zentralverwaltungs-Verkehrswirtschaft" konzentriert und den einen Pol dieses Dualis­ mus durch den anderen Pol erläutert. Während EUCKEN keineswegs vom dualistischen Ausschluß, sondern von einer_Dominanz der Ordnungsformen sprach (was die Vermi­ schung mit andersartigen Formen einschließt), sieht HERDER-DORNEICH eine duali­ stische Polarisierung. Dieses Paradigma habe sich mit dem Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaft in Osteuropa überlebt. "Die dualistische Ordnungstheorie kann Mischformen funktional nicht denken ..." (S. 30) Ausgehend davon schlägt er als neuen Ansatz das Denken in Netzen vor. Darunter versteht er die Interdependenz verschiedener Leistungs-Gegenleistungsmechanismen: Märkte und Bürokratie, Abwanderung und Widerspruch, Verhandlungen und Wahlen, technische Netze, Netze sozialer Sicherung, politische Verbünde, Netze der Verbände. In der Ordnungstheorie gelte es heute, die Vielfalt der vernetzten Steuerungssysteme und ihre Systemdynamik darzustellen. 20 CICHY (1991) macht ordnungspolitische Mängel der wirtschaftlichen Vereinigung Deutschlands aus. Statt der Wirtschafts- und Währungsunion hätte es einer schrittweisen Anpassung der außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen der DDR durch gezielte Ab­ wertungen der Mark der DDR, durch generellen Außenzoll und vorübergehende Importsteuer bedurft. Auch sieht er die Gefahr von Willkür und Machtmißbrauch bei der Schaffung einer neuen Eigentumsordnung. "Die zentrale Rolle einer effizienten staat­ lichen Verwaltung bei Aufbau und Fortentwicklung einer marktwirtschaftlichen Ordnung wurde ... nicht ausreichend vorhergesehen ... Die Probleme des personellen Neuaufbaus waren weder durch ehemalige DDR-Bürger noch durch sog. 'West-Importe' hinreichend zu lösen." (S. 26-27) Gleichwohl postuliert er für eine Ordnungspolitik des Übergangs, "daß am Anfang einer Systemtransformation die Schaffung einer stabilen Währung und die Ermöglichung einer freien Preisbildung auf den Märkten stehen muß" (S. 29), Es wäre sinnvoll gewesen, zunächst nur die wirtschaftlich relevanten Teile des westdeut­ schen Rechts auf die DDR zu übertragen. "Besonders problematisch ist eine voreilige Regelsetzung im Bereich der Eigentumsrechte ..." (S. 31) Auch habe sich gezeigt, "daß offene Märkte den Handel, aber nur bedingt Investoren zu mobilisieren vermögen" (S.31). "Eine vollständige außenwirtschaftliche Öffnung mit freiem Güter- und Geldver­ kehr ist erst dann möglich, wenn die Binnenwirtschaft eine gewisse Wettbewerbs- und Exportstärke erreicht hat." (S. 32) WERNER (1992) bemüht die Ordnungspolitik als Begründung für eine Außenhandels­ und Kapitalverkehrsliberalisierung osteuropäischer Länder, "bevor noch die EG ihre Handelsschranken gegenüber Osteuropa voll abbaut." (S. 33) Auf diese Weise komme Osteuropa zu Netto-Kapitalzuflüssen. Daher postuliert er bei den Transformationsschritten einen Vorrang von Geldwertstabilität, Konvertibilitätsfortschritten und Liberalisie­ rung des Kapitalverkehrs. In dieser Hinsicht setzt er sich mit gegenteiligen Auffassungen auseinander, wobei er insbesondere auf währungspolitische Maßnahmen in verschiedenen westlichen Ländern, aber auch in Entwicklungsländern eingeht. Er bemerkt: "Während die Verwirklichung offener Wettbewerbsmärkte nach aller Erfahrung ein sehr langwieri­ ger Prozeß ist, kann ein Land zumindest die Währungsverfassung schnell einführen, die Voraussetzung für stabiles Geld ist." (S. 39) "Dagegen scheint selbst in Deutschland der Zeitbedarf für die Verwirklichung von offe­ nen Wettbewerbsmärkten noch 1991 erheblich zu sein, so zum Beispiel auf dem Ener­ giemarkt, bei vielen Dienstleistungen einschließlich Banken, Versicherungen und Trans­ portleistungen, auf den Märkten für Kommunikation bzw. Informationsübertragung sowie im Agrarbereich - auf Märkten also, deren Angebot in praktisch jede Produktion von Gütern direkt einfließt, oder indirekt über den Produktionsfaktor Arbeit," (S. 40) 21 Er argumentiert scharf gegen die Inflation: Gutes Geld verläßt bei festen Zwangskursen das Land, in dem die Bürger durch Inflation betrogen werden sollen. "Inflation setzt man heute eher als (die unsozialste) Form der heimlichen Besteuerung ein, wenn ein effizien­ tes Steuersystem fehlt oder die Mehrzahl der Bürger politisch entmündigt ist, während die wirtschaftliche und politische Führungsschicht bei geringen Informationskosten und großen Vermeidungsmöglichkeiten mit der Inflation gut leben kann." (S. 40) Gegen mäßige Inflation spricht er sich für eine funktionsfähige Ordnung der Eigentumsrechte mit Privateigentum in Osteuropa aus. KRELLE (1991) skizziert kurz einige bekannte Charakteristika von Planwirtschaft und Marktwirtschaft, geht dann auf Statistiken der Wirtschaftsentwicklung für beide Systeme ein und leitet daraus einige Aussagen zur Transformation ab. Letztere beziehen sich im wesentlichen auf die Schrittfolge der Transformation (siehe unten). GUTMANN (1991) sah bereits im November 1990 den Transformationsprozeß in Ost­ deutschland rechtlich gesehen als im Kern abgeschlossen an. Für die osteuropäischen Länder stellt er fest, daß es eine Theorie über den Ablauf solcher Transformationsprozes­ se nicht gibt. Er zitiert KLOTEN (1989): "Gelingt es schon nicht, gesamtwirtschaftliche Modelle zu konstruieren, die die Prozeßabläufe in einer beliebigen Volkswirtschaft über längere Perioden hinweg zutreffend abbilden, so wird es noch weitaus schwieriger sein, den Anforderungen einer Theorie der Transformation von Wirtschaftssystemen ... zu genügen."(S. 100) GUTMANN stimmt WATRIN (1990) zu, das Projekt einer Theorie der Transformationsprozesse vorerst zu vertagen. Zur theoretischen Behandlung einzel­ ner Sachverhalte der Transformation verweist GUTMANN neben der traditionellen Ord­ nungstheorie auf systemtheoretische und bürokratietheoretische Ansätze und rekapitu­ liert insbesondere den Ansatz der neuen ökonomischen Institutionentheorie. Er möchte "einen Katalog phänotypischer Merkmale aus den empirisch beobachtbaren Transforma­ tionsprozessen ... gewinnen" (S. 36). Unter Rekapitulation der ordnungstheoretischen Prinzipien EUCKENs glaubt er leicht zu erkennen, "daß man bei der Umwandlung der osteuropäischen Zentralverwaltungswirtschaften in Marktwirtschaften tatsächlich weitgehend diesen Prinzipien entsprechend ver­ fährt". (S. 41-42) Gleichzeitig erfaßt er ein Transformationsdilemma, das aus zeitversetzten Realisierungen dieser Prinzipien bzw. der Teilordnungen herrührt. Folglich sei die Transformation in der Praxis weiterhin ein mit Fehlentwicklungen behafteter Prozeß des Trial and Error. 22 MOLITOR bezieht sich Anfang 1990 auf die Transformation im Rahmen von Wirt­ schaftsreformen in der DDR. Vor dem Hintergrund der ordnungstheoretischen Prinzipien benennt er wichtige Aspekte der Transformation: Flexible Preise, Entflechtung der Kombinate, volle betriebswirtschaftliche Selbständigkeit der Unternehmen (was für die Treuhandunternehmen auch für 1993 noch nicht zutrifft), funktional ausgeglichene Staatshaushalte (was für das vereinigte Deutschland auch 1993 fraglich ist), Reduzierung der Geldmenge, allgemeiner Währungsschnitt, sukzessiver Abbau von Subventionen, Konvertibilität der Währung. Im übrigen sind weitere Feststellungen dieses Autors auch heute für eine Transforma­ tionstheorie bedenkenswert. Ähnlich wie vor ihm PROPP und GRADL sah er in der DDR keinen Mangel an Unternehmertalenten, weil insbesondere auf betrieblicher Ebene ein hohes Maß an Findigkeit gewachsen ist. Hinzukommen müßten Anstrengungen im Marketing und die Gewöhnung an behördliche Vorschriften. Die Sparguthaben müssen auf Zeit jenseits eines Mindestvolumens gesperrt werden, "es sei denn, sie würden zu Käufen aus dem Block des bisherigen Staatseigentums verwendet" (S. 17). "In der gege­ benen Ausgangssituation an allgemeine Lohnerhöhungen (Lohnsummensteigerung) zu denken, hieße, sich in die eigene Tasche lügen wollen." (S. 18) SCHLECHT (1990, 1991a, 1991b) liefert im wesentlichen eine ordnungspolitische Rechtfertigung für die Transformationspolitik der Bundesregierung in Ostdeutschland: Sicherung von Wettbewerb, freie Preisbildung, Öffnung der Märkte in der DDR, Gewährleistung des Eigentums privater Investoren an Grund und Boden, vollständiger Wegfall der Kontrollen an der innerdeutschen Grenze, staatliche Preisregulierungen auf dem Wohnungsmarkt, Dominanz des Privateigentums an den Produktionsmitteln und auch an Grund und Boden, Preisbindungen bei Energie und öffentlichem Personennah­ verkehr, Sicherung des Geldwertes usw. SCHLECHT (1990, S. 4) plädierte noch dafür, daß auch der Staat Eigentum an Unter­ nehmen halten kann: "Auch in der Bundesrepublik gibt es noch Unternehmen in Staats­ eigentum ... Voraussetzung ist allerdings, daß Unternehmen in Staatsbesitz privatrecht­ lichen Status haben und dem Wettbewerb voll ausgesetzt sind". SCHLECHT (1991b, S. 15) fordert dagegen: "Privatisierung durch schnellen Verkauf von Unternehmen muß weiterhin Priorität haben ... Bei vielen (Unternehmen; R. S.) ... muß die Privatisierung durch Konkurs und Liquidation erfolgen". Nur in besonderen Fällen ist er für eigene Sanierungsmaßnahmen der Treuhandanstalt, um für die Anpassung der Unternehmen Zeit zu kaufen. Die soziale Marktwirtschaft bezeichnet er als "dritten Weg" jenseits von Kapitalismus und Sozialismus (1990, S. 5). 23 Als irreales Soll erscheint heutzutage die Forderung von SCHLECHT (1991b, S. 14): "Wenn die weitere Abwanderung von Arbeitskräften verhindert werden soll, kann des­ halb die zügige Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West nur durch massive Zuwanderung von privatem und öffentlichem Kapital nebst Know-how und die damit bewirkte schnelle und kräftige Produktivitätssteigerung erfolgen". In diesem Zu­ sammenhang sieht er einen akuten Nachfragemangel für örtliche Kapazitäten der ost­ deutschen Wirtschaft und plädiert dafür, "im durchaus keynesianischen Sinne der Nach­ frage auf die Beine zu helfen" (1991b, S. 20). Der Autor nimmt den wettbewerbspolitischen Vorwurf ernst, "daß der Grundsatz der raschen Privatisierung durch Verkauf an westliche Unternehmen letztlich zu einer Konzernierung der gesamten ostdeutschen Wirtschaft führt, statt die Bürger insbesondere in den neuen Bundesländern an den Unternehmen zu beteiligen" (SCHLECHT 1991b, S. 18). Diesem Vorwurf hält er lediglich entgegen, daß - neue mittelständische Unternehmen entstehen und - die Voraussetzungen für die Ausgabe von Volksaktien nicht gegeben sind, da die Betriebe Ostdeutschlands ohne neues Kapital und Management auf lange Sicht nicht börsenfähig sein werden. Der Verfasser bringt die notwendige Flankierung des Anpassungsprozesses in Ost­ deutschland auf die Formel: "massive zeitlich befristete Hilfen für die Strukturanpassung: ja; dauerhafte Abhängigkeit von Stimulierungsdrogen und vom Subventionstropf: nein" (SCHLECHT 1991b, S. 23). SCHLECHT betrachtet Ostdeutschland offenkundig als Experimentierfeld für die Durch­ setzung reiner ordnungspolitischer Prinzipien. Die neuen Bundesländer sollten"... mit gutem Beispiel den alten Bundesländern vorangehen ..." (1991a, S. 17). Zwar bezieht er das explizit nur auf die private Organisation und Finanzierung von Infrastrukturmaßnah­ men, führt jedoch an anderer Stelle aus: "Der Abbau marktwidriger Regulierungen ist ein weiterer Kernbereich marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik. Der Staat interveniert noch immer viel zu viel. Auf zahlreichen Märkten, vor allem auf dem Arbeitsmarkt, im Banken- und Versicherungsbereich, im Verkehrsbereich, in der Energiewirtschaft und bei den Freien Berufen, wird der Wettbewerb vermindert und verzerrt sowie der Struktur­ wandel behindert. Auch werden viele Dienstleistungen vor dem Druck des Wettbewerbs geschützt. Der Zugang zu den Märkten ist beschränkt, die Preise und Konditionen sind reglementiert, Produktionskapazitäten werden knapp gehalten, Rationalisierungspoten- 24 tiale werden nicht genutzt (1991a, S. 13/14)." Das bezieht sich auf Westdeutschland, und der Kontrast zur in Ostdeutschland praktizierten Ordnungspolitik ist offensichtlich. B L U M (1991) kritisiert den Ansatz eines ordnungspolitischen Experimentierfeldes in Ostdeutschland: "Um die ordnungstheoretischen Handlungsmaximen für die neuen Bun­ desländer in der Praxis richtig zu gewichten, müßte man sich vorstellen, die zahlreichen Verstöße gegen marktwirtschaftliche Prinzipien würden von heute auf morgen auch in den alten Bundesländern behoben. Es gäbe also keine Subventionen bzw. begünstigende Rahmenbedingungen für einzelne Sektoren oder gar einzelne Unternehmen. Das wirt­ schaftliche System würde auch in den alten Bundesländern chaotische Ergebnisse hervor­ rufen." (S. 16) Er polemisiert insbesondere gegen die Meinung des Bundesministers für Wirtschaft, daß der Strukturwandel in Ostdeutschland "hart, brutal, aber dafür auch kurz" sein muß. Der Übergang zu marktwirtschaftlichen Prinzipien in Westdeutschland nach 1945 habe gerade Härte und Brutalität durch den "Stilgedanken" der sozialen Marktwirtschaft vermieden. Im übrigen darf man darauf verweisen, daß die Vorstellung eines kurzen Strukturwandels jeglicher Erfahrung widerspricht. ALBACH (1990, S. 31) unterscheidet Transformation durch Reform als "drittem Weg" von Transformation durch Revolution als "Königsweg". Er versteht unter Reform, "wenn in einem sozialistischen Land der Bankrott des Systems, nicht aber der Bankrott der Ideologie erklärt wird", und unter Revolution, "wenn der Bankrott des Systems von der Erkenntnis begleitet ist, daß der Konkurs des Systems ursächlich bedingt ist' durch den Bankrott der Ideologie". Zur Erkenntnis der Bedingungen für die optimale Steuerung eines Transformationsprozesses von Wirtschaftsordnungen "gehört die Analyse der An­ fangsbedingungen, die Formulierung eines Zielzustandes und die Untersuchung der Steuerungsgrößen für den Prozeß und der mit ihnen verbundenen gesamtwirtschaftlichen Kosten" (S. 31). Wie auch andere Autoren bezeichnet er das Vertrauen in die Währung als Voraussetzung für den Erfolg des Transformationsprozesses (S. 33). Da ALBACH vom Konkurs der Planwirtschaft ausgeht und für diese Konkurssituation auch Belege anführt, folgert er: "Mir schien ein Konkurs mit Anschlußsanierung wirk­ samer als ein langes Vergleichsverfahren mit Anschlußkonkurs." (1990, S. 35) Diese "Bruchlandung der DDR auf der Wirtschaft der Bundesrepublik" (S, 35) bezeichnet er als den Königsweg, der nach ihm durch drei Dinge charakterisiert wird: "gutes Geld, gutes Recht und gute Investitionen" (S. 39). 25 4. 4 Monetäre Ansätze zur Erklärung der Transformation RIESE (1992, ähnlich auch 1991) bemerkt, daß mit dem Dualismus der klassischen Ord­ nungstheorie zwischen Zentralverwaltungswirtschaft und Verkehrswirtschaft (vgl. EUCKEN) die Organisationsform der Verfügung über Ressourcen anstelle des Eigen­ tums an Produktionsmitteln zum Systemkriterium wird. Das bedeute, "daß Privateigen­ tum in der neoliberalen und, allgemeiner, in der neoklassischen Ökonomie nicht den ent­ scheidenden Blickwinkel abgibt" (S. 27). Er fordert demgegenüber eine Rückbesinnung auf das Begriffspaar Kapitalismus und Sozialismus und damit auf Privateigentum versus gesellschaftliches Eigentum_ein. "Kapitalismus bedeutet dann private Aneignung von Zins und Profit, Sozialismus gesellschaftliche Aneignung bzw. Eliminierung von Zins und Profit." (S. 28) In keynesianischer Tradition gibt der Autor dem Zinsanspruch eine mone­ täre Fundierung, "so spricht man genauer von einer Geldwirtschaft als von einer Markt­ wirtschaft" (S. 28). In dieser Auffassung vermag allein Geld im Kapitalismus die Kohä­ renz des ökonomischen Systems herzustellen, während der Markt für sich genommen keine Kohärenz des ökonomischen Systems zu begründen vermag. RIESE interpretiert den Transformationsprozeß als Wechsel einer Planwirtschaft in eine Geldwirtschaft. Dabei handele es sich weder um einen graduellen noch um einen abrup­ ten Übergang. Da nur die Planung oder Geld die Kohärenz des ökonomischen Systems garantieren kann, wird in bezug auf die Kohärenzfunktion eine eindeutige Lösung ver­ langt. Graduelle Reformen bilden daher eine inkonsistente Mixtur von Planungsökono­ mie und Geldökonomie ab, jedoch keine regulierte Marktwirtschaft. "Deshalb wies die Auflösung der DDR den Vorzug auf, mit der Einführung der Deutschen Mark die Kohä­ renzfunktion des Geldes zu etablieren - ungeachtet der Brutalität, der Ökonomie eine Aufwertung der Währung ... um 300 % zuzumuten: eine Aufwertung, die keine Öko­ nomie der Welt absorbieren kann und von jeder Ökonomie der Welt eine vollständige Erneuerung des Produktionsapparates verlangen würde." (S. 35) Diesem Vorzug steht das Handikap einer Peripherisierung der ostdeutschen Wirtschaft gegenüber. Für die ost­ europäischen Wirtschaften sieht er im ungünstigen Fall, daß sie keine funktionierende Geldwirtschaft zu etablieren vermögen oder im günstigen Fall deren Funktionsfähigkeit lediglich unter den Bedingungen einer restriktiven Geldpolitik erreichen, was zu ökono­ mischer Stagnation bei niedrigen Reallöhnen führt. RIESE (1991) vertritt die Auffassung, daß eine überlegene Effizienz des marktwirt­ schaftlichen Systems nicht das Kriterium für eine Transformationstheorie bieten kann, "weil es nicht auf die (nichtsozialistischen) Entwicklungsländer anwendbar ist" (S. 125). 26 Auch können soziologische Theorien eines Systemwandels das spezifische Scheitern des sozialistischen Systems nicht erklären. Nach RIESE erlaubt es allein die Antinomie von Kapitalismus und Sozialismus, auf das Kriterium der Systemüberlegenheit zu verzichten und es durch das Kriterium der Funktionsfähigkeit des Systems zu ersetzen. Allerdings räumt er ein, daß auch EUCKEN auf die Funktionsprinzipien von Systemen abhebt. In SCHUMPETERs Tradition und über den ordnungstheoretischen Ansatz hinaus hebt er das kreditäre Fundament des Entwicklungsprozesses und darüberhinaus in keynesianischer Tradition die Allokationsfunktion des Zinses hervor (S. 134). Auch WESTPHAL und HERR (1991) äußern sich über den Transformationsprozeß zur Geldwirtschaft. Zunächst betrachten sie Kohärenz und Instabilitätspotentiäle der Plan­ wirtschaft. Ihre Argumentation lehnt sich stark an KORNAI an, ohne jedoch die Ähn­ lichkeit dieser Argumentation zu derjenigen EUCKENs zu betonen. Hinsichtlich der Transformation zur Geldwirtschaft gehen sie vom keynesianischen Paradigma aus, nach dem der Vermögensmarkt sowohl den Güter- als auch den Arbeitsmarkt dominiert. Im Transformationsprozeß zur Geldwirtschaft müssen daher möglichst schnell diejenigen ökonomischen Strukturelemente etabliert werden, die die Kohärenz einer Geldwirtschaft herstellen: marktkonforme Geldverfassung, Knappheit des Geldes und eine harte mikroökonomische Budgetrestriktion (S. 150). Die Vernichtung des akkumulierten Geldvermögens durch Währungsreform ist eine Grundvoraussetzung des Transforma­ tionsprozesses, weil sie das Potential der Kapitalflucht eliminiert, den Unternehmens­ sektor von seinen Verbindlichkeiten entlastet und relativ die Akkumulationsbedingungen verbessert. Die Währungsreform muß jedoch mit einer Einkommenspolitik einhergehen, bei der auf Nominallohnsteigerungen verzichtet wird, die über das Produktivitätswachs­ tum hinausgehen. "Auf der mikroökonomischen Ebene müssen die Autonomie der Betriebe hergestellt und klare Eigentumsrechte definiert werden." (S. 153) In der ersten Phase des Transforma­ tionsprozesses müssen jegliche direkte Abhängigkeitsbeziehungen der Betriebe von den Instanzen der staatlichen Wirtschaftspolitik abgeschafft werden. "Zu Beginn des Trans­ formationsprozesses ist eine sofortige und umfassende Freigabe der Preisbildung und die Streichung aller produktbezogenen Subventionen notwendig, da anderenfalls eine harte mikroökonomische Budgetrestriktion nicht durchgesetzt werden kann ..." (S. 154) In wenigen Ausnahmefällen kann eine zeitliche Begrenzung der Preisregulierung und der stufenweise Abbau festgelegt werden. Transitorische und sukzessive abzubauende 27 Schutzzölle sind denkbar. Zum Zeitpunkt der Freigabe der Preisbildung muß neben der Währungsreform ein Sozialpakt vorliegen, wobei Realeinkommensverluste unumgänglich sind. Um dem Staat in den ehemaligen Planwirtschaften Einnahmequellen zu erschließen, wird die Einführung eines einfachen und effizient kontrollierbaren Steuersystems vorgeschla­ gen, dessen Schwerpunkt die Umsatz- und Einkommensteuer bilden (S. 160, 161). Hinsichtlich der Außenwirtschaftsstrategie wird eine einmalige drastische Abwertung der Währung empfohlen, um einen Exportüberschuß zu erreichen, weil die private Binnen­ nachfrage stagniert. "Sämtliche direkten Beschränkungen von Import und Export sind sofort aufzuheben." (S. 163) Trotzdem bleibt in gewissen Fällen ein selektiver Protek­ tionismus transitorisch notwendig. Aus ihren Ausführungen leiten WESTPHAL und HERR eine Reihenfolge der Transfor­ mationsschritte ab (siehe Abschnitt 6.5.). 5. Vergleiche zur westdeutschen Währungsreform von 1948 Die Transformation der nationalsozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft in die west­ deutsche soziale Marktwirtschaft gilt vielen deutschen Autoren als bisher einziges erfolg­ reiches Transformationsmodell zur Marktwirtschaft. Dabei bleibt freilich die japanische Entwicklung nach 1945 unberücksichtigt. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben meist die Transformationen anderer planwirtschaftlich dominierter Kriegswirtschaften. Die Trans­ formation der westdeutschen Wirtschaft wird gern mit der einmaligen und spektakulären Währungsreform des Jahres 1948 identifiziert, obwohl der Transformationsprozeß früher einsetzte und auch viel später endete, als das Jahr 1948 bezeichnet. Der westdeutsche Transformationsprozeß wird von den meisten Autoren als Referenzmodell herangezogen, um - wesentliche Elemente eines Transformationsprozesses einer Zentralverwaltungswirt­ schaft herauszuarbeiten, - Unterschiede zu heutigen Transformationsprozessen ehemals sozialistischer Wirt­ schaftssysteme zu betonen oder - eine Schrittfolge von Transformationsprozessen zu fixieren. 28 So betont etwa ARNDT (1992): "Die ökonomische Problematik von 1948 unterscheidet sich von derjenigen der Wiedervereinigung u.a. dadurch - daß es eine Besatzungsmacht gab, welche die Währungsreform durchführte und die Löhne - nach einer einmaligen Steigerung - einfror und daß auch in den folgenden Jahrzehnten die wieder gegründeten Gewerkschaften in ihren Lohnforderungen zurückhaltend waren, - daß es keine (technischen) Betriebseinheiten, sondern Unternehmen gab, die darauf bedacht waren, ihre Betriebe und Waren zu gestalten, wie überhaupt damals die marktwirtschaftliche Grundstruktur vorhanden war, die in den neuen Ländern erst geschaffen werden muß, und - daß im Jahr 1948 die deutsche Exportkraft durch den günstigen Wechselkurs ... ge­ kräftigt wurde, während man 1990 die ohnehin niedrige internationale Wettbewerbs­ fähigkeit der neuen Länder durch die Währungsrelation ... zusätzlich geschwächt hat." (S. 281) Demgegenüber bemerkt er hinsichtlich der deutschen Währungsunion von 1990 kritisch, daß sie weder die Belebung der Wirtschaft noch die Beendigung der Abwanderung be­ wirken konnte. "Die westdeutsche Währung ist kein Ersatz für die Leistungen der Marktwirtschaft, und die Abwanderungsbewegung wurde nicht durch die Einführung der D M West, sondern durch die Gewährung außerordentlicher Sozialleistungen gebremst. Die überstürzte Währungsunion erwies sich in den neuen Ländern eher als nachteilig, weil sie deren Außenhandel zusammenbrechen ließ und dadurch schon bei Beginn der Anpassung zusätzliche Arbeitslosigkeit hervorrief." (S. 283) Außerdem habe man volks­ eigene Betriebe und Unternehmen verwechselt. "So sind die Betriebe bei der Währungs­ union nicht in die Lage versetzt worden, Entwicklungsinvestitionen vorzunehmen, um den Wettbewerbsvorsprung der Unternehmen in den alten Ländern aufzuholen. Statt durch Streichungen der Altschulden die Umwandlung von Betrieben zu Unternehmen zu ermöglichen (was ohne weiteres möglich gewesen wäre, zumal es sich um Zwangskredite des alten DDR-Staates handelte), hat man diese Schulden lediglich halbiert ... Das Miß­ verständnis hat endlich dazu geführt, daß man die Wirtschaft der neuen Länder möglichst auf einmal ins Privateigentum überführen wollte, was praktisch auf eine Art von Ausver­ kauf hinauslief, der die Preise radikal drücken mußte. Es wäre weitaus sinnvoller gewe­ sen, einen Teil der Unternehmen zunächst in staatseigene Konzerne zu überführen und andere Betriebe nicht zu verkaufen, sondern zu verpachten." (S. 283, 284) Insgesamt klagt ARNDT, daß man die Hinweise und Forderungen des "Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands" mißachtet hat, auch im Hinblick auf die Herstellung klarer Rechtsverhältnisse in der Eigentumsfrage. 29 Die menschliche Komponente wurde unberücksichtigt gelassen. "Man hat nicht gesehen, daß nach vierzigjähriger Staatswirtschaft weder private Haushalte vorhanden sind, die ihre marktwirtschaftlichen Funktionen beherrschen, noch mit Firmen gerechnet werden kann, die ihre unternehmerischen Aufgaben wahrnehmen." (S. 287) ABELSHAUSER (1993) verweist darauf, daß der Währungsschnitt von 1948 im Gegen­ satz zur deutschen Währungsunion von 1990 93,5 % der gesamten Geldmenge vernichtet hat und damit eher zu einer Unter- denn zu einer Überbewertung der Substanz der deut­ schen Nachkriegsindustrie beigetragen hat. Die Substanz des Bruttoanlagevermögens der deutschen Industrie habe qualitativ nach technischem Standard als auch nach Altersauf­ bau 1945 den höchsten Stand seit dem ersten Weltkrieg erreicht und quantitativ war 1945 die Substanz im Vergleich zum Jahre 1936 um 20 % gewachsen. Er plädiert dafür, die Prognose von ADENAUER (1955): "Die Arbeit nach der Wiedervereinigung kommt ... einer neuen Kolonisation gleich. Dadurch wird die wirtschaftliche Stärke der Bundes­ republik auf Jahre hinaus absolviert. So überraschend es klingen mag, so richtig ist doch der Satz, daß durch die Wiedervereinigung das deutsche Potential nicht erhöht, sondern vermindert wird." und den Rat von ABS (1973) ernst zu nehmen: "Gezielte Planung und sinnvoller Einsatz der Mittel muß auch weiterhin Grundlage bleiben". ERHARD (1957) sieht das Kartellgesetz als wirtschaftliches Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft an (S. 9), ferner sind Währungsstabilität und Ausgabenstopp Grund­ prinzipien. Der Autor liefert ein Bild der Transformation, das sowohl das Moment des plötzlichen Aktes des "big bang" (vor allem Währungsschnitt, Abschaffung vieler - nicht aller -Be­ wirtschaftungsvorschriften), als auch das Moment schrittweiser Maßnahmen über lange Jahre umfaßt. Nachstehende Angaben des Autors, die implizit auch Unterschiede zur Transformation in Ostdeutschland markieren, mögen das illustrieren. Mit RÖPKE bezeichnet ERHARD den Ausgangszustand der Transformation als Chaos. Die verfügbaren Kapazitäten waren 1947 auf etwa 60 % von 1936 abgesunken (S. 19). Mit der Währungsreform begann ein plötzlicher Wiederaufstieg. Danach kam es jedoch zu einer starken Ausweitung der Geldmenge (S. 27), zu drastischer Preissteigerung und damit zu beträchtlichen Unternehmergewinnen, die wiederum den Investitionen zugute kamen. Es wurde ein Gesetz gegen Preistreiberei erlassen und ein Preisspiegel veröffent­ licht, der anzeigte, "... welcher Preis für einzelne Artikel bei ordnungsgemäßer Kalkula­ tion als angemessen gelten kann."(S. 35) Danach sanken die Preise. Im April 1950 wurden Steuersenkungen beschlossen. Die Lohnpolitik folgte zunächst nicht den Preis- 30 Steigerungen; bis November 1948 existierte sogar ein staatlicher Lohnstopp. 1949 gab es Reallohnsteigerungen um 20,5 %. Die bezahlten Wochenstunden sanken von 49 im Jahre 1950 auf 46,3 im Jahre 1959 (S. 30). Der Kohlebergbau blieb außerhalb des marktwirt­ schaftlichen Bereichs. (S. 40). Im Gegensatz zur Währungsreform war die Einführung der Konvertibilität - ebenso wie die Liberalisierung des Außenhandels - keineswegs ein schlagartiger Akt: Über lange Jahre gab es eine Fülle von Maßnahmen, um die D M immer mehr der De-facto-Konvertibilität anzunähern (S. 338). Im September 1949 wurde die D M um 20 % abgewertet und von Oktober 1949 bis Dezember 1950 verdreifachten sich die Exporte. Die Liberali­ sierung des Außenhandels umfaßte 1952 etwa 57 % der privaten Importe (S. 336). Erste individuelle Zollsenkungen für 700 Positionen gab es 1955 und die Liberalisierung des Außenhandels wurde mit der Einführung eines Höchstzollsatzes von 21 % schrittweise erweitert (S.341), wobei 1956 die privaten Importe aus dem OEEC-Raum zu fast 100 %, aus dem Dollar-Raum mengenmäßig zu fast 93 % liberalisiert waren (S.336, 337) ERHARD (1957) schreibt: "Die Wirtschaft hat nicht ein Eigenleben im Sinne eines seelenlosen Automatismus ..." (S. 247) "Ich bin nicht willens, die orthodoxen Spielregeln einer Marktwirtschaft, nach denen nur Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, und der Wirtschaftspolitiker sich darum jeder Einmischung auf die Preise zu enthalten habe, vorbehaltlos und in jeder Phase der Entwicklung zu akzeptieren ... Eine derart lässige Haltung wäre heute um so weniger zu rechtfertigen, als mangels eines wirklich freien Weltmarktes und frei konvertierbarer Währungen die Funktion eines internationalen Preisniveaus nicht voll spielt und das heilsame Regulativ eines weltweiten Wettbewerbs nicht zum Tragen kommt." (S. 253) Da sich die Argumentation für die Währungsunion 1990 auf Glaubenssätze stützte, die aus der Währungsreform 1948 abgeleitet wurden, benennt NOE(1991) vier realwirt­ schaftlich entscheidende Unterschiede: 1. Die 1948 eingeführte neue D-Mark war nicht frei konvertierbar. Die Deutschen konnten damit keine Waren im Ausland kaufen und blieben auf die eigene Produktion angewiesen. Erst ab 1956 wurde die D-Mark voll konvertierbar, nachdem wachsende Einkommen und Beschäftigung im Inland entstanden waren. 2. Gemessen an der deutschen Produktivität war die D-Mark damals gegenüber der Leitwährung unterbewertet. Damit hatten die deutschen Produzenten auf dem Welt­ markt einen Wettbewerbsvorteil, Das Gegenteil war für die ostdeutschen Produzen- 31 ten der Fall. Sie konnten ihre Auslandsmärkte weder halten, noch erobern und verlo­ ren zugleich den Binnenmarkt. 3. 1948 waren die westdeutschen Unternehmen marktwirtschaftliche Unternehmen des Privatrechts. Die Kombinatsbetriebe der DDR waren hingegen nicht für die Markt­ wirtschaft konstruiert. 4. 1948 hatten die Deutschen kaum Möglichkeiten abzuwandern. Deutschlands Grenzen waren geschlossen. LÖSCH (1990) nennt folgende Erfolgsbedingungen der Transformation: 1. Wettbewerbsstrukturen, d.h. autonome, harten Budgetrestriktionen unterworfene, konkurrierende Unternehmen, Gewerbefreiheit, stabiles Geld, freie Preisbildung und freier Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr mit dem Ausland bei konvertibler Währung. 2. Akzeptanz in großen Teilen der Bevölkerung. 3. "Die schlagartige Einführung der Marktwirtschaft ... muß durch die Schaffung ... der gesetzlichen und institutionellen (Re)konstruktion gründlich vorbereitet werden." (S. 81) 4. Liberalisierung von Preisen, Löhnen und Außenwirtschaft in einem Schritt. Ausnah­ mebereiche, Teilprotektion und gewisse Konvertibilitätsbeschränkungen können als Ausnahmen von der Regel zunächst noch beibehalten werden. "In der Anpassungsphase muß die Wirtschaftspolitik allzu eklatante Verfehlungen der Ziele des magischen Vierecks wirksam unterbinden." (S. 81) ALB ACH (1990) beschreibt die Transformation durch Revolution in Deutschland in den Jahren 1948 und 1949 durch Anfangsbedingungen, Zielzustand und Steuerungsgrößen. Als Anfangsbedingungen nennt er: Währungsreform, unabhängige Notenbank, Zerschla­ gung der Institutionen des Nationalsozialismus, weitgehende Freigabe der Preise, Aufhe­ ben des Lohnstopps. "Die Freigabe des Preises für Geld, also die Konvertibilität der D M ließ freilich noch zehn Jahre auf sich warten." (S. 31) Als Zielzustand nennt er: demokra­ tisches Gemeinwesen mit liberalen Grundrechten, Privateigentum, eine auf Privatinitiati­ ve, Privateigentum und marktwirtschaftlicher Koordination beruhende Wirtschaftsord­ nung. 32 "Als Steuerungsgrößen wurden eingesetzt; Die Geldpolitik der Bundesbank, die Tarif­ autonomie der Tarifpartner, die Wettbewerbspolitik des Staates." (S. 32) SCHLECHT (1991b, S. 13, 14) hält fest: "Beim gern angestellten Vergleich mit 1948/49 wurde übersehen, daß damals - die außenwirtschaftliche Absicherung und die Unterbewertung der D M noch einige Jahre vor dem internationalen Wettbewerb schützte, - andere europäische Volkswirtschaften auch noch nicht besonders wettbewerbsstark waren, - die Privatrechtsordnung, das Privateigentum, die Verwaltung und das Rechtswesen weitgehend intakt waren, - die Löhne einige Zeit hinter der Produktivitätssteigerung zurückblieben". WATRTN (1989) vergleicht die Wirtschaftssystemreformen in Deutschland 1989 und 1948 noch unter der Voraussetzung der existierenden DDR. Er geht davon aus, daß in beiden Fällen das System zentraler Wirtschaftssteuerung versagt hat. Als wichtigsten Unterschied zur westdeutschen Wirtschaft von 1948 sieht er, daß diese "...ein Lehr­ beispiel für eine geschlossene Volkswirtschaft war. Devisenbewirtschaftung, Handelsbe­ schränkungen und unüberwindliche Wanderungsbarrieren trennten die westlichen Zonen von den übrigen europäischen Ländern" (S. 78). Im Unterschied dazu ist die DDR offen zum europäischen Markt und auf dem Arbeitsmarkt gibt es Auswanderungsmöglich­ keiten. Beseitigung des Geldüberhanges und Freigabe der Preise seien jedoch ebenso un­ verzichtbar wie 1948. Als Substitute zu einer Währungsreform, die er für unrealistisch hält, faßt er ins Auge: Einfrieren von Geldbeständen, Preiserhöhungen oder Veräußerung von Unternehmen an die Bevölkerung bei gleichzeitiger Stillegung der Gelderlöse. Unter Verweis auf 1948 empfiehlt er eine Schocktherapie, weil "... Gradualismus der Gefahr des Scheiterns am Widerstand der Interessengruppen ausgesetzt ist" (S. 79). Er behauptet, daß der Krieg damals die traditionellen Herrschaftsgruppen dezimiert hat, daß sich aber in der DDR die alten Gruppierungen wieder fangen und schon aus Eigeninter­ esse einer Neuordnung der Wirtschaft Widerstand entgegensetzen werden. Als Hauptproblem der Transformation sieht er die Produktionsumstellung an. Während diese 1948 über die Selbstfinanzierung bei entsprechender Besteuerung von Gewinnen gelöst werden konnte, sieht er für die DDR die Gefahr, daß dann gerade die mobilen und fähigen Kräfte abwandern werden. 33 In zwei weiteren wichtigen Punkten war die westdeutsche Situation 1948 günstiger: die Eigentumsrechte waren formal nicht aufgehoben sowie Unternehmer und marktwirt­ schaftliches Know-how waren noch vorhanden. SCHMIEDING (1990b, 1991a, 1991b) vergleicht ebenfalls Gemeinsamkeiten und Unterschiede beim Übergang zur Marktwirtschaft in Westdeutschland 1948 und in Mittel- und Osteuropa heute. Die westdeutsche Ausgangssituation wird wie folgt charak­ terisiert: kein echtes Geld, Lohn- und Preisstopp, Rationierung von Konsumgütern und Nahrungsmitteln, administrative Zuteilung von Rohstoffen, Zwischen- und Fertigproduk­ ten und vielfach auch von Arbeitskräften, weitgehender Zusammenbruch der alten deut­ schen Verwaltung auf überregionaler Ebene, Gebietsänderungen, die eine einfache Fort­ setzung der bisherigen internen Arbeitsteilung unmöglich machten, geringer Anreiz, zu den fixierten Preisen knappe Engpaßgüter herzustellen, zurückgestaute Inflation, direkte alliierte Außenhandelsrestriktionen, geringes Interesse der Produzenten, über die admi­ nistrativ festgesetzten Exportauflagen hinauszugehen, chaotische Vielfalt von pro­ duktspezifischen Wechselkursen. Im Außenhandel wurde "... die Lockerung und schließliche Abschaffung des alliierten Außenhandelsmonopols sowie die schrittweise Aufhebung von Einführquoten ab Mitte Dezember 1949" (SCHMIEDING 1991a, S. 4) erreicht. Eine weitreichende de-factoKonvertibilität war jedoch erst nach einer Halbierung der Auslandsschulden ab 1953 zu verzeichnen. Während der fünfziger Jahre ging man vom bilateralen Außenhandel schrittweise zu einem multilateralen Handelssystem über und erst Ende 1958 wurde die D-Mark voll konvertibel. Neben der Außenwirtschaft wurde auch der Kapitalmarkt von der schlagartigen Libera­ lisierung ausgeschlossen. Er blieb weiterhin reguliert und die Zinsen wurden nicht frei­ gegeben. Das trug dazu bei, daß die Unternehmen ihre Investitionen größtenteils aus eigenen Gewinnen finanzieren mußten (SCHMIEDING 1990b, S. 155). Gegenüber der heutigen Transformation sieht SCHMIEDING (1990b, S. 156-159, 1991a, S. 21-22) wesentliche Unterschiede. 1948 gab es in Westdeutschland: - einen hochmodernen Kapitalstock, - keinen Mangel an Sach- oder Humankapital, sondern eine absurde Unterauslastung der vorhandenen Kapazitäten, - Unternehmen im Privatbesitz und Unternehmer, - geringe Unsicherheit über die zukünftigen Eigentumsrechte, - die wesentlichen Institutionen einer ausdifferenzierten Marktwirtschaft, 34 - eine nur zwölfjährige Dauer fixierter Preise, - eine nur teilweise Anpassung der Produktionsstruktur an planwirtschaftliche Autar­ kietendenzen, - eine ungleichgewichtige Verteilung von Arbeitskräften, keine irreversible Fehlleitung von Sachkapital. Für die heutige Transformation werden daraus folgende Lehren gezogen: 1. Der monetäre Rahmen sollte eng gehalten werden. 2. Die Liberalisierung sollte umfassender sein, da sich viele der 1948 aus vorwiegend sozialen Gründen nicht liberalisierten Sektoren in den folgenden Jahrzehnten zu be­ sonderen Problemfällen entwickelt haben (z. B. Landwirtschaft, Bergbau, Verkehrs­ wesen und Wohnungsmarkt) und es heute in Westdeutschland schwierig sei, eine weitreichende Liberalisierung dieser Bereiche politisch durchzusetzen. 3. Über Währungsreform und Anpassungsinflation hinaus kann der Geldüberhang heute auch durch Privatisierung von Staatseigentum abgebaut werden. 4. Der Aufbau des Kapitalmarktes soll nicht verzögert werden. 5. Um die örtlichen Staatsmonopole dem Druck der Auslandskonkurrenz auszusetzen, sollte auch die Außenwirtschaft liberalisiert werden: Übergang zur Währungskonvertibilität für laufende Zahlungen, Abschaffung des Außenwirtschaftsmonopols sowie von Quoten und Prohibitivzöllen. 6. Stärkere Senkung der direkten Steuern als in Westdeutschland in 1948. Sonst wird der notwendige Zufluß von Kapital gebremst und die Tendenz zu Auswanderung mobiler Fachkräfte verstärkt. 7. Hohes Maß an sektoraler Lohndifferenzierung. 8. Ausbau der Infrastruktur auf privater Basis durch westliche Unternehmen. SCHMIEDING (1991a, S. 1) nimmt jedoch auch einen deutlichen Unterschied der beiden deutschen Währungsreformen im Ergebnis wahr: "Während damals im Westen die Industrieproduktion binnen eines halben Jahres um mehr als 50 Prozent anstieg, ist sie in Ostdeutschland trotz massiver Subventionen zunächst einmal um etwa 50 Prozent ge­ sunken". Ähnlich ist der Kontrast auf dem Arbeitsmarkt. Während nach 1948 die Zahl der Beschäftigten nahezu konstant blieb und ab 1950 deutlich anstieg (Graphik, S. 16), 35 fiel sie in Ostdeutschland binnen eines Jahres bis zum Dezember 1990 um 2,5 Millionen Beschäftigte (S. 15). Folgenden Unterschied nimmt der Autor jedoch nicht als Erklärung für diesen Kontrast: "Anders als in Westdeutschland 1948 bedeutete der Systemwechsel 1990 gleichzeitig die volle Integration in den Weltkapitalmarkt und eine umfassende Liberalisierung des Außenhandels ..." (SCHMIEDING 1991a, S. 12). Auch die oben angeführten Unter­ schiede der Ausgangssituationen in beiden deutschen Staaten erklären den Rückgang der Produktion nach SCHMIEDING nicht. Vielmehr wird der Grund darin gesehen, daß - Ostdeutschland mit dem zu wenig liberalen Regulierungsstandard Westdeutschlands überfordert ist, und - die Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Betriebe von den Konditionen der Währungs­ umstellung entscheidend beeinträchtigt wurde (I.e., S. 25). Ein Kurs von 2:1 für laufende Zahlungen wäre besser gewesen. Vor allem aber diagno­ stiziert SCHMIEDING für 1990 eine Vervierfachung der ostdeutschen Löhne, was in keiner Beziehung zur Wertproduktivität steht. Hingegen wurden in Westdeutschland die Löhne erst fünf Monate nach dem Übergang zur Marktwirtschaft freigegeben und auch in Polen gibt es heute eine rigorose Lohnkontrolle in der Staatswirtschaft. Darauf sei der geringere Rückgang von Industrieproduktion und Beschäftigung in Polen zurückzufüh­ ren. "Ökonomisch wäre es sinnvoll gewesen, das Ziel des Aufholens der ostdeutschen Wirtschaft gegenüber dem Westen mit einem Prozeß der 'schöpferischen Zerstörung' zu erreichen, bei dem das Alte entweder selbst modernisiert oder aber vom bereits aufstre­ benden Neuen verdrängt wird." (I.e., S. 28) Als wichtigste Unterschiede zu 1948 - und zu Polen - werden ferner die Einkommens­ hoffnungen und die Mobilität der Menschen in Ostdeutschland ausgemacht. Dennoch betrachtet SCHMIEDING das Dilemma zwischen dem Erfordernis produktivitätsgerech­ ter Lohnkosten und einer drohenden Massenauswanderung als nicht stichhaltig: - Das große Arbeitsplatzrisiko in Ostdeutschland stelle möglicherweise einen größeren Wanderungsanreiz dar. Die Zahl der Übersiedler hat sich nach der Währungsunion deutlich erhöht. - "Für Arbeitskräfte, deren Qualifikationen auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt be­ sonders gefragt sind, hätte der Effektivlohn ... schnell weit über den Ausgangswert steigen können." (I.e., S. 30) 36 Neben Lohnzurückhaltung und/oder Subventionen zählt der Autor zu den heutigen Lösungsstrategien: Entschädigung anstelle von Rückgabe sowie Deregulierung oder zumindest Sonderregelungen für die neuen Bundesländer. ALT VATER (1991a, b) verzeichnet folgende Unterschiede zwischen der Währungs­ reform 1948 und der Währungsunion 1990: 1. 1948 leitete die D-Mark eine Staatsgründung ein, während sie 1990 den Exitus eines souveränen Staates besiegelt. 2. Die Währung von 1948 war nur begrenzt konvertibel und wurde ein Jahr nach der Währungsreform abgewertet, während die neue Währung in Ostdeutschland nicht mehr über den Wechselkurs für die Anpassung der ostdeutschen Wirtschaft genutzt werden kann. 3. Öffnung zum Weltmarkt, keine (real)ökonomische Angleichung. 4. Während 1948 die Geldvermögensbesitzer gegenüber den Sachvermögensbesitzern benachteiligt wurden, geschah 1990 exakt das Gegenteil. Die Unternehmen wurden durch die Währungsreform von 1948 entschuldet, was eine Voraussetzung für die be­ schleunigte Kapitalbildung war. Es gab eine Gewinninflation durch Preisfreigabe für Konsumgüter, während der Lohnstopp erst einige Monate später aufgehoben wurde. Die Stimulierung der Gewinne und deren Lenkung in die Kapitalbildung war auch im folgenden Jahrzehnt Leitlinie der Wirtschafts- und Steuerpolitik. 5. Die Währungsunion von 1990 blockiert die reale Akkumulation in den neuen Bundesländern. Weiterhin wird auf einen institutionellen Unterschied aufmerksam gemacht: Die institu­ tionelle Transformation der frühen Bundesrepublik war eine Forniveränderung auf der Grundlage einer bestimmten gesellschaftlichen Reproduktions- und Hegemonialstruktur. Es kam darauf an, möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen und Bewegungen zu inte­ grieren, nicht nur einen Teil um den Preis der Exklusion des anderen Teils. Hingegen wurden in der DDR die gesellschaftlichen Institutionen aufgelöst und die ehemals Herr­ schenden völlig entmachtet (S. 702). Daher muß hier nicht von Transformation sondern von Transition gesprochen werden, der Übergang in das Hegemonialsystem eines bis dato anderen Staates im Konsens mit der überwältigenden Mehrheit des Volkes. Der Autor verweist darauf, daß Institutionen und individueller Habitus der Menschen Gren­ zen für eine Beschleunigung des Akkumulationsprozesses bilden, die bloße Freisetzung von Marktkräften ohne institutionelle Einbettung jedoch unzureichend ist. 37 Nach ALTVATER (1991b) überdeckt der liberale ordnungstheoretische Diskurs damals wie heute massive staatliche Interventionen in der Wirtschaftspraxis. Er verweist auf die Beschreibung weitreichender Interventionen in den ökonomischen Prozeß unmittelbar nach der Währungsreform durch ABELSHAUSER (1983). Die letztere Quelle liefert im übrigen eine genauere Beschreibung der tatsächlichen Vorgänge in der Wirtschafts­ geschichte der Bundesrepublik als die Untersuchungen der in diesem Literaturbericht an­ geführten Autoren beim Vergleich von 1948 und 1990. Ansonsten sind die beiden Texte ALTVATERs hinsichtlich des Vergleiches von 1948 und 1990 weitgehend identisch. Wortwörtliche Identität mit ALT VATER gibt es auch im Text von GRAF und STEINHÖFEL (1991). Dieser Text wurde bis Juni 1991 erarbei­ tet, während der Text von ALTVATER in Nummer 6 von 1991 erschienen ist. Anson­ sten gibt es keine wechselseitigen Zitate der Autoren. WILLGERODT (1991) bemerkt, daß eine Währungsreform allein keine Transformation bedeutet, denn auch in Ostdeutschland wurde 1948 eine ähnlich einschneidende Wäh­ rungsreform ohne marktwirtschaftliche Neuordnung durchgeführt. Hinzu kommen muß nach allgemeiner Auffassung vor allem die Liberalisierung der Preise. GRIMM (1988) errechnet für die Zeit von 1950 bis 1956 in Westdeutschland 40 % vom Staat freigege­ bene Preise und etwa 60 % staatlich administrierte Preise. Im Unterschied dazu schätzt WILLGERODT (1991) nach dem Anteil am Bruttoinlandsprodukt für das Jahr 1950 etwa 30 % kontrollierte Preise und 63 % freie Preise. RÖPKE (1950) sieht als unentbehrliche Bedingungen für die Marktwirtschaft die Libera­ lisierung von Devisenmarkt, Kapitalmarkt und Außenhandel an. Gerade in diesem Bereich brachte die Reform von 1948 zunächst keine wesentliche Liberalisierungen. Der Zins wurde erst ab 1. April 1967 formal freigegeben. WILLGERODT (1991) meint: "Die entscheidende Leistung der Markt- und Preisreform von 1948 bestand darin, mit einer Art von erweiterungsfähigem Brückenkopf freier Preise zu beginnen, der von vornherein so groß bemessen war, daß er die weitere Ent­ wicklung eindeutig bestimmt hat" (S.196). MATZNER et al. (1992) beziehen sich nicht allein auf die Nachkriegserfahrungen West­ deutschlands, sondern charakterisieren die Bedingungen für die Erfolge in markwirt­ schaftlichen Ländern Europas beim Wiederaufbau wie folgt: "(1) Damals waren die Wechselkurse fix und die Devisen wurden streng bewirtschaftet; Deregulierung fand nur 38 im Einklang mit der Zunahme der internationalen Wettbewerbsfähigkeit statt und dauerte länger als ein Vierteljahrhundert. (2) Preiskontrollen und Subventionierung von Schlüs­ selprodukten wurden über eine lange Periode aufrechterhalten; in manchen Fällen (z. B. bei Agrar- und Energieprodukten) bis zum heutigen Tag. (3) Privatisierung hatte damals keine Dringlichkeit. Im Gegenteil: Es gab weitreichende Nationalisierungen, und profit­ able Unternehmungen (wie z.B. die VW-Werke) blieben Jahrzehnte ohne private Eigen­ tümer. (4) Ein sorgsam geplantes Verfahren (die europäische Zahlungsunion) sorgte für den multilateralen Saldenausgleich im Handel zwischen OECD-Ländern. (5) Der Wie­ deraufbau der Infrastruktur sowie von Schlüsselsektoren ... fand in geplanter Form statt. (6) Die finanzielle und technische Hilfe der U.S.A. gab es nur nach Maßgabe der Erfül­ lung der Punkte (4) und (5) ... (7) Monetäre und fiskalische Reformen ... waren als Instrumente zum Wiederaufbau und für den Ausbau der Wirtschaftskraft konzipiert; kei­ nesfalls wurde, wie heute, die Erfüllung abstrakter monetärer Ziele durch die Zerstörung von Produktionskapazitäten erkauft. (8) Es existierte Einverständnis über die Notwen­ digkeit eines aktiven Staates ..." (S. 85) Auch der Erfolg bei der Expansion Japans und anderer ostasiatischer Länder beruht auf einer Lenkung der Märkte. GIERSCH (1991) widmet der Annahme, es werde in Ostdeutschland ein analoges Wirt­ schaftswunder wie im Westdeutschland der fünfziger Jahre geben, ganze sechs Zeilen, um sodann seiner Skepsis auf anderthalb Seiten Raum zu geben. "Der lange Lohn-lag, der der damaligen Bundesrepublik den raschen Produktivitätsanstieg der fünfziger Jahre brachte, war nicht zuletzt die Folge einer Verbesserung der Terms of Trade, die kaum einer vorhergesehen hatte. Auch in der damals vieldiskutierten Produktivitätsformel fehlten die Terms of Trade. So kam es zur nachhaltigen Expansion der Gewinne und der Investitionen, die ihrerseits einen unerwartet hohen Anstieg der Arbeitsproduktivität zur Folge hatten. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß heute im Raum der ehemaligen DDR positive Produktivitätsüberraschungen von derartigem Ausmaß an der nächsten Straßenecke lauern. Im Gegenteil: Der Zusammenbruch der Handelsbeziehungen in Ost­ europa erwies sich als unvorhergesehenes Handicap von immenser Bedeutung." (S. 1) Es gab_damals weniger Auswanderer als Heimkehrer; in Ostdeutschland ist das Gegenteil der Fall. Es gab weniger Regulierungshemmnisse. "Ebenso wie das Gleichheitsdenken war auch das Sicherheitsdenken in den Anfangsjahren der Bundesrepublik weniger aus­ geprägt ..."(S. 2) Unter Bezug auf die räumliche Wirtschaftstheorie THÜNENs plädiert der Verfasser für bessere Verkehrswege zum Zentrum und für Lohnsubventionen. In dieser Tradition müsse man den Raum wirtschaftstheoretisch ernst nehmen. Die traditionelle Regional- 39 Politik habe nicht viel an der räumlichen Struktur der deutschen Wirtschaft geändert. So war das Saarland nach seiner Rückgliederung 1959 nicht in der Lage, seinen Rückstand gegenüber den anderen Bundesländern drastisch zu verringern. GIERSCH setzt seine Hoffnung auf ein billiges Arbeitsangebot und auf größere Gewerbefreiheit in Ostdeutsch­ land. 6. Ausgewählte makroökononiische Themenfelder der Transformation 6. 1 Währungsproblematik/deutsch-deutsche Währungsunion Gegen das politische Drängen auf Währungsunion stellt MOLITOR Anfang 1990 fest, daß sachlich nicht der dritte vor dem ersten Schritt getan werden darf. Er plädiert für eine österreichische Lösung und stellt nüchtern fest, daß Währungsunionen einen ver­ gleichbaren Entwicklungsstand der beteiligten Volkswirtschaften voraussetzen. "Die Er­ fahrungen auf dem Wege zur EG-Währungsunion sprechen da eine deutliche Sprache. So sehr das auch den Herzensregungen zu schaffen macht: In der Währungsfrage muß mit Geduld die sachbedingte Schrittfolge eingehalten werden. Sonst stehen ökonomische Enttäuschungen ins Haus, die dann, wie üblich, dem marktwirtschaftlichen Kurs ange­ lastet werden, wo es sich in Wahrheit um politische Fehlentscheidungen handelt." (1990, S. 20) Im Februar 1990 schlug POHL (1990) ein Zehn-Punkte-Programm zur deutsch-deut­ schen Währungsunion vor. Hierbei geht er davon aus, daß mindesten zwei Jahre erfor­ derlich sind, um die Währungsunion seriös zu verwirklichen. Eine voreilige Realisierung der Währungsunion erzwinge einen anschwellenden Transferbedarf. Als Zwischenlösung wird eine von der Bundesbank in eigener Verantwortung zu emmitierende "DM-Ost" vorgeschlagen, die nicht sofort völlig unbegrenzt konvertibel sein müßte und mit der ein anderes Kursverhältnis als 1:1 realisiert werden könnte. "Der Fahrplan zur Währungs­ union muß so ausgelegt sein, daß die DDR-Wirtschaft in die Lage versetzt wird, nach der Liberalisierung des Handels- und Kapitalverkehrs im Wettbewerb bestehen zu können." (S. 1) Als weiteren wichtigen Punkt erwähnt der Autor die Vermeidung eines Anstiegs des Lohnniveaus in Ostdeutschland. "Das Lohngefälle zur Bundesrepublik muß entsprechend dem Produktivitätsrückstand aufrecht erhalten bleiben." (S. 1) Wenn die Bundesregierung die Einführung der D-Mark in der DDR vorschlägt, kann sie die daraus entstandenen Folgelasten nicht ignorieren und muß dafür einstehen (S. 9). Vor allem 40 sieht der Autor klar, daß die Währungsunion von der DDR eine weitaus größere lohn­ politische Disziplin erfordert, als es bei Beibehaltung des Instrumentariums der Wechsel­ kursänderungen der Fall gewesen wäre. Weiterhin werden das Management-Defizit und die westliche Konkurrenz als wichtige Faktoren im Anpassungsprozeß veranschlagt: "Markwirtschaftlich qualifiziertes Personal ist dringend erforderlich, damit die DDR-Wirtschaft nicht durch die Agilität ihrer west­ lichen Konkurrenten gelähmt wird." (S. 14) Die Überwindung dieses Defizits ist nur durch Qualifizierung in Ostdeutschland möglich, denn: "Qualifiziertes Personal ist in den Unternehmen und in den Verwaltungen der Bundesrepublik nicht im Überfluß vorhan­ den" (S. 14). Der Vorteil einer Einführung der D M liege darin, daß noch vorhandener Widerstand gegen eine grundlegende Wirtschaftsreform in der DDR unterminiert wird. "Aber der Preis besteht nach allen Erfahrungen mit strukturellem Wandel darin, daß sich die Frik­ tionen zunächst ausweiten." (S. 15) Ohne Transferzahlungen würden daher soziale Span­ nungen und Abwanderungstendenzen verstärkt. Auch der angeblich nicht vorauszusehende Zusammenbruch der Ost-Märkte wird vom Autor klar prognostiziert. "Mit der Währungsunion werden Lieferungen der DDR in die RGW-Staaten erschwert, da die Lieferungen dann grundsätzlich gegen D-Mark oder eine andere konvertible Währung vorgenommen werden müßten. Dies stößt angesichts der akuten Devisenknappheit der RGW-Staaten auf enge Grenzen." (S. 18) Ein Vorzug dieses Textes ist, daß ein Zeitbedarf für die Transformation thematisiert wird. Dies betrifft parlamentarische Abläufe und administrative Verfahren, die Schaffung neuer Institutionen, die Qualifizierung des Personals und die Einübung von marktwirt­ schaftlichem Verhalten. Angesichts dieses Zeitbedarfes wäre eine Vorbereitung der Wäh­ rungsunion über zwei Jahre schon schnell. "Es ist daran zu erinnern, daß die Bildung einer europäischen Währungsunion ein auf viele Jahre angelegter Prozeß ist." (S. 19) Daher prognostiziert POHL, daß bei einer übereilten Währungsunion die DDR-Wirt­ schaft Schaden nimmt und daß die finanziellen Belastungen für die Bundesrepublik unnötig anschwellen. Der erste Text von BIEDENKOPF (1990) bringt mit Datum vom 7. Februar 1990 zu­ nächst eine Kritik zum Sondergutachten des Sachverständigenrats vom 20. Januar 1990 hinsichtlich der Währungsunion in Deutschland. Die dort genannten Voraussetzungen für eine Währungsunion könnten von der gegenwärtigen Regierung der DDR gar nicht ge- 41 schaffen werden, weil diese nur noch bedingt handlungsfähig sei. Selbst die Handlungs­ und Entscheidungsfähigkeit jeder Bundesregierung würde mit diesem Programm weit überfordert. Er verweist auch auf zahlreiche andere reale Fakten in der DDR, die diesem Programm entgegenstehen, vor allem deren offene Grenze zur Bundesrepublik. Daher müsse man gegen theoretische Erkenntnisse handeln. Zwar ist es wahrscheinlich, daß die Produktion infolge der Währungsunion zunächst rasch absinken wird, doch "... wird es nicht mehr als ein bis zwei Jahre dauern, bis das gegenwärtige Niveau wieder erreicht sein wird. Durch schnellere Anpassung der Rahmenbedingungen läßt sich dieser Zeit­ raum eher weiter verkürzen" (S. 25). Nach dieser Anpassung mit relativ hoher Arbeitslosigkeit sieht er 8 bis 10 % Wachstum für realistisch an. Auch meint der Autor, daß Produktivität und Löhne, gemessen an der Produktivität und den Löhnen in der Bundesrepublik, einander entsprechen (S. 26). Weiterhin geht er davon aus, daß in Ostdeutschland direkte Steuern auf gewerbliche Ein­ kommen nicht erhoben werden und die fehlenden Steuereinnahmen durch den horizonta­ len Finanzausgleich kompensiert werden. Der Zustand in der DDR wird als Kriegsfolge­ last betrachtet, deren Überwindung Aufgabe aller Deutschen ist. Nur durch eine schnelle Währungsunion könne der Kollaps der DDR-Wirtschaft verhindert werden. HANKEL (1991) argumentiert zunächst, daß es zur Währungsunion keine Alternative gegeben hat. "Das Geld der DDR war reines Binnengeld, also inkonvertibel. Und es war reines Konsumgeld, unfähig, als Kreditgeld den Investitionsprozeß zu lenken und zu finanzieren." (S. 33) " Erst die Währungsunion vom 1.7.1990 hat die monetäre Sitzhaft der ehemaligen DDR-Bürger aufgehoben." (S. 34) "Um aus der Plan- eine Marktwirt­ schaft zu machen, braucht man vor allem eine Investitionslenkung über Kredit und Zins." (S. 34) Zweitens argumentiert er gegen die Verzögerungsvarianten eines befristeten Währungs­ parallelismus bzw. gegen eine Währungsunion bei befristetem Fortbestand des alten DDR-Regimes, weil es für beide Varianten abschreckende Beispiele gibt. Im ersten Falle wäre die DDR-Mark bei offenen Grenzen immer mehr abgewertet worden, im zweiten Fall hätte es das Ende der D M als harter Währung bedeutet. Gegen das Argument eines anderen Umtauschsatzes bringt er vor, daß auch dann für die ostdeutschen Betriebe die laufenden DM-Preise der westdeutschen Konkurrenz gegolten hätten. "Der Anpassungsdruck auf die Betriebe der früheren DDR wäre bei jedem Wech­ selkurs annähernd derselbe gewesen!" (S. 38) 42 Allerdings fehle es der Währungsunion an flankierenden Maßnahmen: offensive Investi­ tionspolitik der öffentlichen Hände, horizontaler Finanzausgleich zwischen alten und neuen Bundesländern, zeitweilig ausgesetzte Umsatz- und Mehrwertsteuern. Dem Regie­ rungskonzept bescheinigt er den Trugschluß, "... daß die Einführung der Marktwirtschaft in den neuen Bundesländern ein Selbstgänger sei" (S. 38). WILLGERODT (1990) bemerkt zunächst, daß der Staatsvertrag zwischen der Bundes­ republik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wesentliche Erweiterungen der Gesetze der Bundesrepublik beinhaltet. War das Grundgesetz in Fragen der Wirtschaftsordnung weitgehend neutral, so legt der Staatsvertrag diese Ordnung ausdrücklich fest. Er liest sich wie eine Kopie der Prinzipien EUCKENs. Mit der Forderung eines stabilen Geld­ wertes wurde auch das Bundesbankgesetz präzisiert. Weiterhin argumentiert er gegen eine eigene Währung der DDR mit flexiblem Wechsel­ kurs zur D M . Insbesondere hält er die damit möglichen Lohnsenkungen für unrealistisch, weil Wanderungsfreiheit innerhalb Deutschland besteht. Ferner: "Die innerdeutsche Wäh­ rungsunion entzieht der DDR die Droge einer eigenen Inflationspolitik und des Fiskal­ risikos unsolider Staatsfinanzierung ... Die höhere Qualität des neuen Geldes wird dazu fuhren, daß ... der deflatorische Kaufrausch mit Geldabfluß in den Westen überhaupt nicht stattfindet." (S. 315) Weiterhin sei es notwendig, die Wirtschaftsfunktionäre in der DDR "unter möglichst harten Wettbewerbsdruck zu setzen" (S. 317). Ein Jahr nach der Währungsunion diagnostiziert KANTZENBACH (1991) "eine Struk­ turkrise von einem Ausmaß, wie sie die Bundesrepublik seit ihrer Gründung noch nicht erlebt hat" (S. 36). Der Beitrag geht davon aus, daß in Deutschland 1990 drei grundlegende wirtschaftspoli­ tische Maßnahmen gleichzeitig und abrupt ergriffen werden mußten, "die unter anderen Umständen möglicherweise besser schrittweise und nacheinander durchgeführt worden wären": - der Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft, also die Transformation des Wirtschaftssystems im engeren Sinne, - die Öffnung der Märkte, - die Bildung einer Währungsunion (S. 37). 43 Diese drei Maßnahmen werden sodann analytisch getrennt, um ihre Auswirkungen ge­ trennt beurteilen zu können und damit aus den Erfahrungen in Deutschland Schlußfolge­ rungen für die Reformen in Mittel- und Osteuropa ziehen zu können. Die eigentliche Systemtransformation wird als Abbau der vertikalen Planungs-, Befehls­ und Kontrollhierarchien in der Wirtschaft und ihre Ersetzung durch horizontale Markt­ beziehungen begriffen. Dabei läßt sich die Beseitigung von Branchenmonopolen und die Schaffung wettbewerbsfähiger Betriebsgrößen nur durch Öffnung der Märkte erreichen. Jedoch bemerkt KANTZENBACH, daß die Integration in die internationale Arbeits­ teilung Zeit braucht. Um den Unternehmen Zeit zur Anpassung an die neuen Wettbe­ werbsbedingungen zu geben, wurde deshalb die Bildung des gemeinsamen Marktes in Europa schrittweise und über mehrere Jahre vollzogen. "Die Erfahrungen der DDR soll­ ten ... davor warnen, die Öffnung der Binnenmärkte für den internationalen Wettbewerb abrupt vorzunehmen." (S. 40) Ein schrittweises Vorgehen bei der Transformation wird vor allem deshalb abgelehnt, weil dann die bisherigen Führungseliten den Reformprozeß scheitern lassen könnten. Gleichzeitig wird ein ausgesprochener Mangel an geeigneten Führungskräften festge­ stellt. "Der Staat soll zwar klein, ... aber er soll auch stark ... sein. ... Erst das Fehlen einer entsprechenden öffentlichen Verwaltung in Ostdeutschland hat deren Bedeutung für die marktwirtschaftliche Ordnung wieder deutlich gemacht." (S. 38) Weiterhin betont der Autor, daß der durch die Währungsunion verursachte Produktions­ und Beschäftigungseinbruch vom Sachverständigenrat für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung vorausgesagt worden ist. "Daß die Transformation ... der ehemaligen DDR nicht ohne die Schließung vieler Betriebe und die Freisetzung einer großen Zahl von Arbeitskräften abgehen würde, war allgemein bekannt. ... Das tatsächliche Ausmaß des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, die Schnelligkeit, mit der er eintrat, und die Dauer der Krise hat aber kaum jemand vorhergesehen." (S. 42) Die Selbstheilungskräfte des Mark­ tes sind überschätzt worden. Die sich daraus ergebende Verschuldung des Bundes am Kapitalmarkt "geschah, entgegen allen Grundsätzen einer antizyklischen Fiskalpolitik, im Zeitpunkt der Hochkonjunktur" (S. 43). "Ein zweiter grundlegender Fehler der Wirtschaftspolitik bestand aus heutiger Sicht darin, daß mit der Einführung der marktwirtschaftlichen Ordnung in Ostdeutschland die dort ansässigen Betriebe nicht von allen Handelsbeschränkungen und finanziellen Bela­ stungen freigestellt wurden, die aus dem alten planwirtschaftlichen Regime herrührten." (S. 44) Vor allem habe die Entscheidung für eine Naturalrestitution von Alteigentümern 44 in der DDR anstelle eine bloßen finanziellen Entschädigung zu ungeklärten Eigentums­ verhältnissen geführt und eine schnelle Privatisierung verhindert. Nach einer Kritik an der Behandlung der Altschulden ostdeutscher Betriebe (s. unten) meint der Autor ferner: "Im Gegensatz zur Subventionierung der Investitionen, die prak­ tisch nur die bereits privatisierten Betriebe mit neuen anlagebereiten Eigentümern be­ günstigt, hätte eine Lohnsubvention dazu beigetragen, auch bestehende Betriebe in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und dadurch vorhandene Arbeitsplätze zu erhalten" (S. 46). HELMSTÄDTER (1990a) stellt die Frage: Gesamtdeutsche Wirtschaft - wie kann das funktionieren? Er hinterfragt zunächst die politisch attraktiven Worte Wirtschaftsunion, Währungsunion und Sozialunion nach ihrem ökonomischen Sinn. Dabei stellt er schlicht fest, daß es bei der Währungsunion nur am Rande auch um Währungsreform geht, der Begriff Wirtschaftsunion eigentlich auf Wirtschaftsreform abzielt und daß der Begriff Sozialunion funktional unergiebig ist, weil er nichts anderes als die Errichtung eines Transfersystems zur sozialen Abfederung bedeutet. Ferner fordert er strengste ordnungs­ politische Klarheit in der Frage des Privateigentums und sieht in einer individuellen Einkommenssubventionierung (negativen Lohnsteuer) mit eingebauter Reduktion eine bes­ sere Lösung als eine Produktionssubventionierung zur Eindämmung der Abwanderung von Arbeitskräften aus Ostdeutschland angesichts des nur langsam abzubauenden Wohl­ standsgefälles. NOE (1991) meint, daß mit der Währungsunion erstmals seit 1948 das Primat der Politik über die Währung ausgerufen wurde. Zugleich sieht er zwei wirtschaftspolitische Gründe für die Einführung der D-Mark. Erstens brauchte die DDR eine neue Währung, sonst wäre das wirtschaftliche Chaos bei offener Grenze unbeherrschbar geworden. Zweitens galt es, das alte Machtkartell der Planwirtschaft zu brechen. Durch die Hyperaufwertung um 300 bis 400 % mußte die ohnehin marode Wirtschaft der DDR im kollektiven Kon­ kurs untergehen. Eine solche Aufwertung verträgt keine noch so kräftige Volkswirt­ schaft. Der Autor weist nach, daß diese Folgen der Währungsunion für alle Verantwort­ lichen klar waren. Die Abwanderungswelle konnte nur so lange gebrochen werden, "... bis die DDR-Bürger bemerkten, daß die D-Mark mitnichten das Einkommen der West­ deutschen bringt" (S. 30). Ansonsten plädiert NOE für ein makroökonomisches Programm zur Minderung der negativen Folgen (globalwirtschaftliche Präferenzen für die Produktion, für die Löhne, für die Investitionen; Vergabe öffentlicher Aufträge zugunsten des Sonderwirtschafts- 45 gebietes DDR; andere Grundstücksregelung; Mehrwertsteuerpräferenz für Produkte aus den neuen Ländern). Im übrigen polemisiert NOE gegen das vom Bundeskanzleramt bestellte Gutachten WILLGERODTs, die Fehlprognosen BIEDENKOPFS und weitere Arbeiten, die nach seiner Meinung allesamt nur die positiven Folgen der Währungsunion zusammenstellten, die Nachteile aber unwissenschaftlich nicht berücksichtigten. "Im Konzept der schnellen Machtveränderungen durch die Währungsunion war kein Raum für eine Antwort auf die Frage: Wenn die Machteliten in Politik und Wirtschaft der DDR durch den schnellen Wechsel ausgehebelt seien, wer wird dann die notwendigen Fähigkeiten und die notwendige Loyalität zur neuen Ordnung haben, um den Aufbau und das Zusammenwachsen von den neuen Bundesländern aus zu betreiben? Westdeutsch­ land verfügt nicht über eine Reservearmee von Geeigneten und Bereiten für eine solche Arbeit." (S. 58) Gleichwohl sieht es der Verfasser im Rückblick auf den späteren Putschversuch in der Sowjetunion als angemessen an, mit der Währungsunion die politischen, administrativen und ökonomischen Institutionen der DDR zu entmachten. Um den negativen Folgen der Währungsunion entgegenzuwirken, schlägt er ein wirt­ schaftspolitisches Programm für Ostdeutschland vor, das dort Einkommensentstehung, Investition und Produktion makroökonomisch sichert. Folgende Elemente eines solchen Programmes werden genannt: - hohe steuerliche Begünstigung für Investoren; - Abbau von Investitionssubventionen in Westdeutschland; - steuerliche Begünstigung der Produktion; - Infrastruktur - und Modernisierungsprogramm; - Abgabenverzicht bei Löhnen in sanierungsfähigen Unternehmen; - befristete Absicherung der Lieferverträge mit Osteuropa; - hohe, befristete Prämien für Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung, die aus West- nach Ostdeutschland gehen; - Sanierung von DDR-Betrieben, womöglich in einem Joint-Venture von Staat und privaten westdeutschen Unternehmen, bei unternehmerischer Führung durch die pri­ vaten Unternehmen und Ausgliederung dieser Betriebe aus der Treuhand; - keine für ehemalige Grundbesitzer günstige, für Investitionen aber abschreckende Bodenrechtsordnung. 46 Das vom Bundeswirtschaftsminister entwickelte Programm sei hingegen nichts anderes als ein Gemenge von üblichen westdeutschen Regionalbeihilfen zur Beseitigung von kleinräumigen regionalen Strukturkrisen. Auch sei es wirtschaftspolitisch das falsche Signal, wenn ein Jahr nach Einführung der D-Mark der höchste Kaufkraftgewinn bei den Rentnern in Ostdeutschland zu finden ist. Die Bundesbank stellt ein Jahr nach der Währungsunion fest, daß die Transferzahlungen nach Ostdeutschland auf die Dauer kaum durchgehalten werden können. Durch die Wäh­ rungsunion ist die Geldmenge M3 um 15 % gestiegen, obwohl eine Zunahme um 10 % angemessen gewesen wäre. Die Geldmenge erscheint der Bundesbank auf längere Sicht immer noch zu hoch. (O.V.: Ein Jahr deutsche Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, 1991). Im übrigen gibt dieser Monatsbericht der Bundesbank eine gute Schilderung der Trans­ formation im monetären Bereich. Ein bemerkenswertes Paradox der Transformation ist, daß der öffentliche Sektor und nicht der private Sektor zur marktwirtschaftlichen Trans­ formation beigetragen haben. Die ostdeutschen Sparkassen verzichteten darauf, über die Finanzierung von Kundenabhebungen hinaus weitere Gelder von der Staatsbank Berlin abzuziehen. Dieses ist auch insofern bemerkenswert, als heute verschiedentlich die Pri­ vatisierung der Sparkassen gefordert wird. Im realwirtschaftlichen Teil ihres Berichtes wendet sich die Bundesbank gegen Lohnsub­ ventionen, weil damit der Abbau des überhöhten Personalbestandes unterbliebe und die erforderliche Wanderung von Arbeitskräften eingeschränkt würde. Außerdem würde vermutlich die Grenze des Finanzierbaren gesprengt. Als Investitionshemmnisse werden die ungeklärten Eigentumsverhältnisse, der Mangel an Gewerbeflächen, Umweltbela­ stungen und unzureichende öffentliche Infrastruktur benannt. 6. 2 Wettbewerbsfähigkeit und realwirtschaftliche Anpassung SIEBERT (1991a) diskutiert zwei Konzepte der Wettbewerbsfähigkeit: Wettbewerbs­ fähigkeit im Sinne des Handels mit Gütern, die einen starken absoluten Preisvorteil haben und Wettbewerbsfähigkeit im Sinne eines Investitäonsstandortes. Die Ausstattungsvortei­ le der Bundesrepublik liegen im Realkapital, im Humankapital, im technologischen Wissen und im Bereich der Organisation und des Managements. 47 HALSTRICK-SCHWENK, LOBBE und WENKE (1990) vergleichen die sektoralen Wirtschaftsstrukturen der Bundesrepublik und der DDR anhand der Angaben der amt­ lichen Statistik. Danach haben beide Volkswirtschaften die für hochentwickelte Gesell­ schaften typische Wirtschaftsstruktur: einen geringen und schrumpfenden Agrar- und Rohstoffsektor, einen hohen, aber rückläufigen Industrie- und Handwerksbereich und eine rasch wachsende Bedeutung der tertiären Wirtschaftsbereiche. Die Autoren verglei­ chen die jeweiligen Strukturanteile und Wachstumsraten einzelner Branchen. Sie bemer­ ken eine überraschend ähnliche branchenmäßige Zusammensetzung der Industrieproduk­ tion. Wesentliche Unterschiede machen sie vor allem hinsichtlich der obsoleten Kapital­ struktur und der geringeren Verflechtung der ostdeutschen Industriebereiche sowie der größeren westdeutschen Diversifikation auf der Produktebene aus. Abschließend konsta­ tieren sie, daß nur wenige ostdeutsche Betriebe die Voraussetzungen für das Überleben im internationalen Wettbewerb erfüllen. GERSTENBERGER (1991) untersucht, welchen Beitrag eine sektorale Strukturpolitik zur Bewältigung der Strukturprobleme in Ostdeutschland leisten kann. Hier gäbe es von den Arbeitskräften her bessere Bedingungen für die Umstellung der vorhandenen Betrie­ be im Bereich gehobener Technik als in vielen anderen Standorten in West- und Osteu­ ropa; allerdings nur so lange es nicht zu einem "brain-drain" kommt, ein Lohnkostenvor­ teil erhalten bleibt und die planwirtschaftlichen Verhaltensweisen der Arbeitnehmer und des Managements umgestellt werden können. Günstiger für Ostdeutschland sei, daß hier der mühsame Aufbau marktwirtschaftlicher Institutionen nicht mehr nötig ist, ein voller Zugang zum westeuropäischen Markt besteht und die Bereitschaft der westdeutschen Unternehmen zu Direktinvestitionen größer ist als zum Engagement in Osteuropa, sowie daß es eine massive Investitionsförderung gibt. Ungünstiger sei, daß der Umstrukturie­ rungsprozeß nicht durch Reallohnsenkungen mittels des Wechselkurses abgefedert werden kann. Der Autor sieht die Gefahr, "daß aus finanziellen Gründen Betriebe geschlossen werden, die von der Produktionstechnik und vom Produktionsprogramm her durchaus Über­ lebenschancen hätten". (S. 51). Zur Vermeidung von unnötigen Betriebsstillegungen und zur Beschleunigung des Strukturwandels müsse die Politik über konkrete Vorstellungen verfugen, auf welche Industrie- und Dienstleistungszweige sich die ostdeutsche Wirt­ schaft spezialisieren sollte. "Da der Tourismus nur in begrenztem Umfang den Ausbau eigenständiger Zentren erlaubt und das größere Deutschland kaum ein weiteres großes Finanzzentrum tragen wird, hängt ... die Entwicklung des Dienstleistungssektors in den 48 neuen Bundesländern ganz entscheidend am Erfolg der Restrukturierung der Industrie." (S.51) Der Autor untersucht dann Möglichkeiten und Grenzen der sektoralen Strukturpolitik im Bereich der Industrie hinsichtlich - der Integration in die westdeutsche und westeuropäische Arbeitsteilung, - der Neuordnung der Wirtschaftsbeziehungen zur Osteuropa, sowie - der Neuordnung der staatlichen Präsenz in Ostdeutschland. Er stellt komparative Vorteile Ostdeutschlands bei der Herstellung forschungsintensiver Produkte im Investitionsgüterbereich fest. Hier war die DDR-Industrie in der Lage, mit dem Export von Investitionsgütern West-Devisen zu erwerben. "Dies galt insbesondere für feinmechanisch-optische, elektrotechnische und elektronische Erzeugnisse sowie für Maschinenbauerzeugnisse. Bei Druck- und Papiermaschinen, mit Abstand auch bei Landmaschinen, Textilmaschinen, Hütten- und Walzwerksanlagen, und in der Optik spricht die Zahl der Patentanmeldungen im Westen für eine gute technologische Basis .... (im einzelnen vgl. GERSTENBERGER 1990, S. 209 ff.)." (S. 52) Allerdings könne sich der Spezialisierungsvorteil im Gefolge von Wanderungen bereits verflüchtigt haben; außerdem sei nicht auszuschließen, daß die Investitionsnachfrage in den nächsten Jahren zur Schwäche neigt. Eine sektorale Strukturpolitik sollte sich jedoch auf indirekt-spezifi­ sche Maßnahmen konzentrieren. Unter anderem müssen diese bei typischen Schwach­ stellen der ostdeutschen Industrie ansetzen. Eine Gründung von halbstaatlichen Organi­ sationen zur Absatzförderung im mittelständischen und Agrarbereich wird analog zu Westdeutschland empfohlen. Bei den großen westdeutschen Handelsunternehmen sei eine schärfere Mißbrauchsaufsicht wirtschaftlicher Macht neben Appellen nötig. Privatisierung und Erhaltung sanierungsfähiger Kapazitäten sieht der Autor in der Regel im Einklang. Die Treuhandanstalt sei "auf keinen Fall in der Lage ... zu entscheiden, welche Betriebe überlebensfähig sind" (S. 58). GERSTENBERGER ist einer der weni­ gen Autoren, die sich bei der Betrachtung der Transformation zur Marktwirtschaft noch daran erinnern, daß Marktwirtschaft auf Konkurrenz beruht: "Privatisierung und Sanie­ rung können dann in Widerspruch geraten, wenn potentielle Käufer aus der Branche nicht an einer mit der Erhaltung und Sanierung des Betriebs eventuellen verbundenen Verschärfung des Wettbewerbs interessiert, für branchenfremde Unternehmen die Marktzutritts- und Know-how-Barrieren zu hoch sind und aus finanziellen oder anderen Gründen die Alternative des 'management-buy-out' ausscheidet... Strategien der Wettbewerbsbeschränkung und 'Filetstück'-Strategien der Privatwirtschaft könnte jedoch auch dadurch begegnet werden, daß die ostdeutschen Bundesländer und 49 Kommunen grundsätzlich als Käufer von Betrieben in ihrem Bereich zugelassen und, von ihrer Finanzverfassung her, auch in die Lage versetzt werden, dabei mitzubieten. Zwar wäre dies dann natürlich keine Privatisierung. Mit dem Eigentumsübergang auf die regionale Ebene wäre aber die notwendige Dezentralisierung der Entscheidungen ver­ bunden." (S. 58, 59) SIEBERT (1991b) geht davon aus, daß nach der institutionellen und der monetären Integration nunmehr in Deutschland die Anpassung der Realwirtschaft dominiert. Seine Analyse der realwirtschaftlichen Integration orientiert sich an vier Elementen: Integra­ tionstheorie, wobei komparative Vorteile genutzt werden; Mobilität von Kapital und Arbeit; Wachstumsprozeß, der von geringer Produktivität und obsoletem Kapitalstock in Ostdeutschland ausgeht; politische Ökonomie der Transition. Er zeichnet ein durchweg optimistisches Szenario, bei dem sich die ostdeutsche Kapitalproduktivität mit der Zeit der westdeutschen annähert. Allerdings sieht er eine Einschränkung für den Kapitalzufluß nach Ostdeutschland: Wenn die economies of scale und die Produktqualitäten für den Marktanteil der Firmen relevant sind, wird die Produktion tendenziell am ursprünglichen Standort erhöht. Seine Annahme zweistelliger Wachstumsraten für Ostdeutschland stützt sich im wesentlichen auf die Analogie zu den westdeutschen und japanischen Nach­ kriegserfahrungen. Sein optimistisches Szenario sieht SIEBERT dann gefährdet, wenn die Marktprozesse so politisiert werden wie bei der Bestimmung des Umtauschsatzes anläßlich der Währungsunion und beim Strukturwandel in Westdeutschland. Insbeson­ dere "the Treuhand should not be allowed to invest in new projects or to use receipts from privatization to alleviate the adjustment of ailing firms" (Seite 600). Der Autor be­ merkt ferner, "that introducing private property as a general principle and establishing property rights for specific pieces of land and specific firms are two different things" (Seite 601). SCHMIEDING (1990a) betrachtet die Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Industrie aus­ schließlich im Kontext mit der Währungsunion, um Argumente für einen anderen Umstellungskurs als 1:1 vorzubringen. Da der effektive Wechselkurs für die DDR-In­ dustrie 1:4,4 betrage, entspräche ein Umstellungskurs für laufende Zahlungen von 1:1 einer massiven Aufwertung und damit einer Lohnkostenexplosion. SCHMIEDING vergleicht die Kilopreise der ost- und der westdeutschen Industrie und konstatiert, daß erstere im Bereich der Kunststoffe noch halbwegs mithalten kann, bei Verbrauchsgütern und vor allem bei Investitionsgütern jedoch besonders weit zurück­ liegt. Das Wertgefälle und die Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Industrie haben sich be­ sonders nach 1983 augenfällig verschlechtert. Die tatsächliche Wertproduktivität sei eher 50 bei 30 bis 35 Prozent anzusetzen, während die Ostmark-Lohnkosten höher sind, wenn man die zweite Lohntüte einrechnet. Bereits ERHARD (1953) wandte sich gegen eine vorläufige Sonderbehandlung der ost­ deutschen Wirtschaft, um strukturelle Verzerrungen zu verhindern. Statt einer Schutz­ politik empfahl er steuerliche Erleichterungen und Befreiungen, um "... den Unterneh­ mungen der Sowjetzone zu betriebs-, kosten- und ertragswirtschaftlich gleichartigen Startbedingungen im Wettbewerb zu verhelfen" (S. 163). Von dieser Gleichartigkeit kann allerdings heute keine Rede sein. Immerhin hat ERHARD seit 1948 für die westdeutsche Wirtschaft ein Schutzbedürfnis gesehen und zwischen sofortiger und gradueller Liberalisierung des Außenhandels abge­ wogen: "Bei der Entscheidung mußte einerseits geprüft werden, ob eine echte Chance gegeben war, unter dem Druck dieses Wettbewerbs schnell zu einer Leistungsanglei­ chung der deutschen Wirtschaft zu kommen, aber andererseits mußte berücksichtigt werden, daß die Wiederingangsetzung der deutschen Wirtschaft und eine ausreichende Beschäftigung in unserem Land nur dann zu bewerkstelligen war, wenn wir durch ausrei­ chende Exporte unseren Importbedarf an Nahrungsmitteln und Rohstoffen decken konnten." (S. 162) ERHARD (1960) setzte sich immer noch für weitere Liberalisierung ein und belegt, daß es sich tatsächlich um einen graduellen Prozeß handelte, der auch zehn Jahre nach der westdeutschen Währungsreform noch nicht abgeschlossen war (siehe oben). Selbst heute gibt es nicht voll liberalisierte Teilbereiche der deutschen Wirtschaft (vgl, SCHLECHT). Die Zusammenfassung der Diskussion zum "Experten Gespräch '90 der List Gesell­ schaft" erbringt einige interessante Aspekte zur Transformationsproblematik (O.V.: Dis­ kussion, 1990). Die Diskussion benennt die ostdeutsche Spezifik als Konflikt zwischen dem politischen Ziel, den Übersiedlerstrom einzudämmen und dem ökonomischen Ziel möglichst geringer Anpassungslasten. Die Politiker sind vorgeprescht und haben dabei kaum die Konsequenzen der Schocktherapie bedacht, zumindest aber hintangestellt. Intensiv wurde der Vorschlag DUBROWSKYs diskutiert, der DDR-Wirtschaft als Er­ satz für die jetzt fehlende Wechselkursbarriere einen Sonderstatus zuzugestehen, um sie während der Konsolidierungsetappe vor westlicher Konkurrenz zu schützen. Ein befristeter Sonderstatus wurde überwiegend abgelehnt, wenngleich einzelne Maßnahmen zur Minderung der Anpassungslast befürwortet wurden: individuelle Einkommen­ subvention oder negative Lohnsteuer (HELMSTÄDTER), zeitlich befristete Über- 51 brückungshilfen (KLOTEN), ein Strukturprogramm mit öffentlicher Unterstützung und die steuerliche Begünstigung von Lieferungen von Betrieben aus der DDR (OBERLÄNDER). Andere Diskussionsredner widersprachen selbst solchen befristeten Entlastungsmaßnah­ men. GUTMANN sah den weiteren Schutz monopolistischer Betriebe in scharfem Widerspruch zu einer wettbewerbsbestimmten Preisbildung. FELS erachtete eine Son­ derzone nur mit scharfen Grenzkontrollen für möglich und sprach sich statt dessen für eine vollständige Entschuldung der Betriebe als Alternative aus. BESKER meinte, daß Schutzmaßnahmen erfahrungsgemäß auch längerfristig nicht wieder abgebaut werden, sondern eher noch weiter zunehmen. STARBATTY glaubte gar, daß sich dann auch westdeutsche Länder zum Notstandsgebiet erklären könnten. In seiner Erwiderung wies DUBROWSKY darauf hin, daß bis zum Zeitpunkt der Wäh­ rungsumstellung noch gar nicht alle ordnungspolitischen Voraussetzungen für eine Marktwirtschaft in der DDR geschaffen werden könnten, so daß auch aus diesem Grunde die DDR-Wirtschaft so kurzfristig einfach nicht in der Lage wäre, sich im Wett­ bewerb mit westlichen Konkurrenten zu behaupten. Außerdem machte er darauf auf­ merksam, daß auch anderen Staaten in der EG Übergangsregelungen im Sinne einer Sonderzone gewährt worden seien. Alle Diskussionsteilnehmer waren sich darüber einig, daß in der DDR eine erhebliche Arbeitslosigkeit drohe. Am schärfsten und klarsten formulierte KLOTEN das Problem des Anpassungsprozesses. Die rasche Öffnung der DDR zur Marktwirtschaft revolutio­ niere die bisherige Produktions- und Absatzstruktur der gesamten DDR-Wirtschaft, so daß sogar mit einem Verfall der Arbeitsproduktivität und mit einer sehr hohen Über­ gangsarbeitslosigkeit zu rechnen sei. Hingegen glaubte FELS an einen echten Produktivi­ tätsschub. Hinsichtlich der Geld- und Finanzpolitik sah KLOTEN die Zunahme der Geldmenge nicht als das Problem an; das eigentliche Problem sei die Finanzpolitik und das Haus­ haltsgebaren der öffentlichen Hände. POHL (1991) fürchtet, "daß der Versuch des Staates, flächendeckend und kurzfristig eine möglichst große Zahl von Arbeitsplätzen zu erhalten, letztlich in eine Konservierung überholter wirtschaftlicher Strukturen mündet" (S. 150). Gleichzeitig bemerkt er, daß die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit der ganzen Volkswirtschaft in den neuen Bundes- 52 ländern viele Jahre dauern wird. Der Sachverständigenrat teilt nicht die Position, daß in den neuen Bundesländern ein Prozeß der Entindustrialisierung abläuft. Gegen Investitionshilfen führt er an, daß sie zur Begünstigung kapitalintensiver gegen­ über arbeitsintensiven und forschüngsintensiven Aktivitäten, zur Begünstigung größer gegenüber kleinen Unternehmen, zur Begünstigung alter gegenüber neugegründeten Unternehmen beitragen, zu Lasten der öffentlichen Infrastrukturinvestitionen gehen können oder zu Zinssteigerungen führen und damit das private Investieren beeinträch­ tigen (S. 152). Der Autor bestreitet, daß der Staat Sanierung im Sinne von Neuentwicklung marktfähi­ ger Produkte, Kostensenkung und Rationalisierung, des Produktionsprozesses, Erschlie­ ßung neuer Märkte, Aufgeben unrentabler Betriebsteile und Investieren in neue Produk­ tionszweige überhaupt leisten kann. "Soviel Manägementkapazität liegt nicht brach, um für alle diese Unternehmen qualifizierte Särtierungsteams engagieren zu können." (S. 153) Ferner: "Kaum jemand wird sich in einer Branche engagieren, in der er gegen staatlich subventionierte Betriebe konkurrieren muß" (S. 156). Weiterhirt fürchtet er, daß die Subventionierung zur Daueraktivität wird und es zu Steuerausfällen des Staates kommt. Ausdrücklich werden diese Bedenken auf eine flächendeckende Sanierung des Staates bezogen. Hingegen wird eine Sanierung einzelner Unternehmen unter Verweis auf die Erfahrungen in der früheren Bundesrepublik nicht ausgeschlossen. Träfe das Bild der Entindustrialisierung zu, blieben die neuen Bundesländer wirtschaftlich dauerhaft rückständig. Dem entgegen wird die Erwartung ausgesprochen, daß der positive Teil der Struktüränpassung zur Mitte des Jahrzehnts volle Fahrt gewinnt. Entgegen anderen Autoren, die auf das systematische Zurückbleiben des Saarländes verweisen, rechnet POHL nicht damit, daß die Standorte in den neuen Bundesländern systematisch hinter Standorten in den alten Bundesländern rangieren. Insbesondere wegen der Verfügbarkeit einer flexiblen Arbeitnehmerschaft und einer leistungsfähigen Forschungskapazität könnten die neuen Bundesländer ohne weiteres den Anschluß schaffen. "Entindustrialisierung drohte nur, wenn Unternehmen generell an ihrert angestammten Standorten verbleiben ... Entindu­ strialisierung drohte, wenn an den Märkten lediglich vorhandene Unternehmen etablierte Produkte in festgefügten Anbieter-Nachfrager-Beziehungen handeln; Neweomer hätten dort keine Chance." (S. 164) Allerdings werden auch erhebliche Risiken gesehen. "Eine konjunkturelle Abschwächung in Westdeutschland und in der Welt würde es ostdeut­ schen Unternehmen erschweren, an den Weltmärkten Fuß zu fassen." (S. 165) Westdeut- 53 sehe Investoren würden Betriebsübernahmen und Neugründungen in den neuen Bundes­ ländern zurückstellen. Auch kann in den osteuropäischen Staaten eine neue Standortkon­ kurrenz entstehen. SCHUMANN (1991) benutzt im Anschluß an SIEBERT (1990) die statische Theorie der Integration und von dynamischen Wachstumsimpulsen, um die Aussichten des real­ wirtschaftlichen Bereiches abzuschätzen. Der Autor meint, daß die Anwendung der neoklassischen statischen Integrationstheorie auf potentielle Vorzüge der Integration hinweist, daß sie jedoch unrealistisch ist, weil sie den heutigen Schwierigkeiten der Transformation nicht gerecht wird. Gleichwohl kommt er zum Ergebnis, daß Ostdeutsch­ land mindesten 10 Jahre und im langsamen Wachstumsszenario mindesten 16 Jahre braucht, um 80 % des westdeutschen Niveaus zu erreichen (S. 16). 6. 3 Institutionelle Bedingungen ökonomischer Transformation Einer der wichtigsten Berührungspunkte interdisziplinärer Transformationsforschung ist die Institutionenproblematik, zu der es sowohl sozial- als auch wirtschaftswissenschaft­ liche Theorieansätze gibt. Die traditionelle institutionelle Ökonomie reicht von VEBLEN, AYRES und COMMONS bis zu heutigen Vertretern wie GALBRAITH und BOULDING. Diese heterodoxe Schule ist mit einer Kritik der neoklassischen Ökonomie hervorgetreten und für sie ist die Wirtschaft mehr als der Marktmechanismus. Eine neuere Kritik von NORTH (1988, S. 5) lautet: "Vom Standpunkt des Wirtschaftshistori­ kers scheint diese neoklassische Formulierung allen interessanten Fragen auszuweichen. Sie hat es mit einer reibungslosen Welt zu tun, in der es keine Institutionen gibt und in der jede Veränderung auf einem vollkommen funktionierenden Markt vor sich geht. Kurz gesagt, es gibt keine Informationskosten, keine Unsicherheit und keine Transaktions­ kosten." Nicht der Preismechanismus, sondern Machtstruktur und Rechtsordnung stehen bei der institutionellen Ökonomie im Vordergrund, wobei die Interdependenz des Mark­ tes mit anderen gesellschaftlichen Institutionen betont wird - was auch bei EUCKEN der Fall ist. Um das institutionelle Vakuum der neoklassischen Ökonomie aufzufüllen, wurden Theoriebereiche wie die Theorie sozialen Wandels, kollektiven Handelns, der Eigentumsrechte, die ökonomische Theorie des Rechts, der Verfassung und des Staates, die Transaktionskostenökonomie und andere entwickelt. Vom Neoinstitutionalismus werden inzwischen wichtige Teile dieser Theorien auf die neoklassische Methodik gestützt. "Demgemäß werden sowohl Entstehung und Wandel 54 als auch Wirkungen von Institutionen systematisch auf Kosten-Nutzen-Kalküle rational handelnder Individuen zurückgeführt und erklärt." LEIPOLD (S. 19). Nach diesem Autor macht das Gefangenendilemma den paradigmatischen Kern der neuen Institutio­ nenökonomie aus. Er rekapituliert einige Aussagen wichtiger Vertreter, um daraus Fol­ gerungen für die Transformationspolitik zu ziehen. Vorrangig wird die Transformation in private Eigentumsrechte gesehen. "Die Wirkungsweise der Marktkräfte ist jedoch an institutionelle Vorleistungen gebunden. Wettbewerbliche Märkte kommen nicht spontan zustande, sondern sind bewußt zu gestalten." (S. 33, 34) Entsprechend ist die "weitgehende Entmachtung bürokratischer Apparate und Interessen" eine notwendige Vorbedingung, um marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Eine gradualistische Strategie sei dafür weniger geeignet. Die Aufbruchstimmung flache ab, wenn die Veränderungskosten spürbar werden und die Effekte auf sich warten lassen. KRUG (1991, S. 199 ) trägt ebenfalls Überlegungen zur Transformation aus der Sicht des Neoinstitutionalismus vor. Sie erörtert 1991 das Dilemma zwischen politischer und ökonomischer Reform. Weiterhin nimmt sie als Alternative der Transformation zur Marktwirtschaft die Transformation zur Mafiawirtschaft zur Kenntnis, die über die Schattenwirtschaft verläuft. Auch STAAR (1993) hat Folgerungen des Neoinstitutionalismus zusammengestellt. Wenn der Neoinstitutionalismus von politischen und ökonomischen Kosten und Nutzen bzw. Erträgen der Transformation spricht, so scheint das eher eine andere Institution nenökonomische facon de parier zu sein; denn weder wird deren Meß-, noch deren Aggregierbarkeit zum Problem gemacht. Es handelt sich keineswegs um quantitative oder logisch-mathematische Folgerungen aus einem Kosten-Nutzen-Kalkül, sondern schlicht um qualitative Interpretationen einer ebenso qualitativ bedachten Wirklichkeit der Transformation. Daher ist die Unterscheidbarkeit von den Folgerungen anderer An­ sätze der institutionellen Ökonomie eher eine Frage der Position bzw. der Meinung. Eine Gemeinsamkeit aller institutionenökonomischer Ansätze besteht jedoch darin, daß die Interaktion von Gesellschaft, Politik und Ökonomie zur Debatte steht. KORNAI (1990) hat ein umfassendes Konzept für die Transformation zur Marktwirt­ schaft vorgelegt. Eine zentrale Idee ist die These: Erst wenn staatliche Betriebe nur kleine Inseln im Meer des Privateigentums sind, werden sie sich so verhalten, als ob sie Privateigentum wären. Dementsprechend stellt er sechs Forderungen für die Entwicklung des Privatsektors auf: Vollständige Liberalisierung (bei Betriebsgründungen, Preisbil­ dung, Außenhandelstätigkeit, Einstellung von Arbeitskräften, Kauf und Verkauf von Wertgegenständen, Devisen und Immobilien usw.), Garantie von Privatverträgen, Dekla- 55 ration der vollständigen Sicherheit des Privateigentums, kein Bremsen von Privatinvesti­ tionen durch das Steuersystem, Förderung von Privatinvestitionen durch Kredite, gesell­ schaftliche Anerkennung des Privatsektors. Im Gegensatz dazu muß der Sektor der staatlichen Betriebe beschränkt werden bei der Kreditversorgung, hinsichtlich der fiskalischen Disziplin, der Lohnpolitik, der Devisen (falls es keine Konvertibilität gibt) und bei den Bankkrediten für Investitionen. Auch dürfen die Leiter der staatlichen Betriebe nicht das Recht haben, Betriebe zu verkaufen. Allerdings müssen die Leiter der staatlichen Betriebe über Menge und Zusammensetzung des Produktionsausstoßes, die Input-Kombinationen und die Technologie sowie (bis auf Ausnahmen) die Preise völlig selbständig entscheiden können. Ferner behandelt der Verfasser verschiedene Maßnahmen makroökonomischer Stabilisie­ rung. Wichtigster Punkt ist der Inflationsstopp. Die Makronachfrage muß mit eiserner Hand kontrolliert werden, wobei insbesondere hinsichtlich der Staatsbetriebe Löhne und Kredite zu begrenzen sind. Weiterhin muß das Haushaltsgleichgewicht gesichert werden, wobei das Steueraufkommen die jährlichen Ausgaben decken muß. Hierzu werden Grundsätze des Steuersystems aufgestellt. Weitere Punkte betreffen die Herausbildung vernünftiger Preise, insbesondere durch die Orientierung der Preisbildung bei Staatsbe­ trieben an den Weltmarktpreisen, die Einführung eines einheitlichen Devisenkurses und der Konvertibilität. KORNA I (1990) sieht klar, daß die Transformation ein kostenintensiver Prozeß ist, auf dessen Operationen man sich mit ausreichend Reserven vorbereiten muß. KORN A I (1993) bescheinigt vielen Experten die Naivität, daß ein Markt automatisch funktionieren wird, sobald die Kommandowirtschaft entfällt. Man müsse aber erkennen, daß eine Koordinierungslücke entsteht. "Hungary and other transition economies cannot rely exclusively on market forces. Private business and the market are still weak, and these countries would likely suffer low-level economic activity and high unemployment in a word, Stagnation." (S. 4) Er plädiert daher für staatliche Programme, welche die Pri­ vatinvestition stimulieren. Dazu gehören: - Steuervergünstigungen für Investitionen, - Steuersenkungen für Unternehmen, - staatliche Institutionen für Kreditgarantien, - Beschleunigung der Privatisierung durch attraktive Kredite für potentielle Investoren; - Stimulierung von ausländischen Investitionen; - Verbesserung der Infrastruktur. 56 KORNAI führt den Begriff "Transformationsrezession" für die osteuropäischen Wirt­ schaften ein. Da es sich hier nicht um konventionelle Konjunkturzyklen handele, könne diese Rezession auch nicht durch die klassische antizyklische Politik kuriert werden. Eine erhöhte aggregierte Nachfrage würde in diesen Ländern zur Reetablierung alter Struk­ turen führen, unprofitable Unternehmen am Leben erhalten und obsolete Arbeitsplätze erhalten. "They must move forward and continue the parallel processes of destruction and creation ..." (S. 4) Während KORNAI 1989 einer antiinflationären Politik oberste Priorität beimaß, fordert er 1993 Veränderungen in den Prioritäten. Maßnahmen gegen die Depression müssen ohne Verzögerung eingeleitet werden. Bei einer einstelligen In­ flationsrate würde sich die gegenwärtige Rezession verschlimmern. Der nationale Kon­ sens von 1989 ist 1993 zerstoben. Unter diesen Umständen kann man keine hohe Arbeitslosenrate riskieren. Er erinnert an das Schicksal der Weimarer Republik nach der großen Depression. "That depression had a smaller impact in terms of economic decline and unemployment than the present demise of many postcommunist economies." (S. 4) Eine Gruppe internationaler Wissenschaftler hat eine Agenda '92 herausgegeben (MATZNER et al. 1992), die sich als Alternative zu den IMF-inspirierten Transforma­ tionsprogramm versteht. Die Notwendigkeit der grundlegenden Maßnahmen (wirtschaftliche Liberalisierung, Kontrolle der Geldmenge, Beseitigung des Defizits des Staatshaushaltes, Verkauf des Staatseigentums an Privatpersonen und Institutionen) wird nicht bestritten. Die Alternative besteht vielmehr in Ausmaß und wechselseitiger Ab­ stimmung dieser Maßnahmen. Als Hauptfehler bestehender Transformationsprogramme wird der Irrglauben betrachtet, das als Vorbedingung für die Schaffung von Wohlstand gilt. Vielmehr muß die Schaffung des Marktmechanismus mit einem sozioökonomischen Kontext von Regelungen verbunden werden. Betont wird die Notwendigkeit der Regu­ lierung von Marktkräften derart, daß zusätzliche Produktion angeregt wird. Die Alterna­ tive wird nach fünf Themen gegliedert: - Schaffung eines sozioökonomischen Kontextes; - Schaffung des Marktes; - Pfad von der Destruktion zur Produktion; - Weg aus dem Wirtschaftsnotstand zum Wirtschaftswachstum; - Schaffung des internationalen Kontextes. Neben der Rolle staatlicher Institutionen wird die Rolle von Marktmachern betont (Großhändler, Geld- und Kredithändler sowie Ein- und Verkäufer). 57 Bei Transformationsprogrammen, die weder den Marktmacher noch den sozioökonomischen Kontext berücksichtigen, kritisieren die Autoren außer dem Hauptfehler der Re­ duktion auf die oben genannten drei Maßnahmebündel weitere Kurzschlüsse: "1. Privatisierung von Staatsbetrieben (eine Art 'Zwangsprivatisierung') ist der so drin­ gend notwendigen Reorganisation des Produktionsprozesses nicht förderlich ... 2. Bei den gegebenen Ungleichgewichten auf den Märkten folgt aus der Freigabe der Preise nicht notwendigerweise eine Ankurbelung der Produktion oder eine Verbesse­ rung der Distribution ... 3. Die Stabilisierung der Nachfrageseite ist viel rascher möglich als die Verbesserung der Angebotsseite. 4. Die rasche Einführung der vollen Währungskonvertibilität ... verringert die Produk­ tionsmöglichkeiten zusätzlich ... 5. Die Rolle des Staates... wird zu eng gesehen ..." (S. 83, 84) Die Autoren konzipieren eine Reihe von Bauelementen für ein Wiederaufbauprogramm in Osteuropa. Übergreifendes Kriterium ist dabei die Stabilisierung der Produktion und die Anregung zusätzlicher Produktion. "Die Privatisierung von Unternehmungen ist nur dort vorzuziehen, wo dies zur Stabilisierung der Produktion beiträgt. Unabdingbar ist hingegen die sofortige Privatisierung des Managements bei Beibehaltung des öffentlichen Eigentums. ... Die Privatisierung sollte in der Regel auf einen Zeitpunkt verschoben werden, zu dem das Management und andere einheimische Interessenten in der Lage sind, Eigentum an den Unternehmungen zu erwerben. ... Das Problem, Opfer zu mindern, ist wohl das vordringliche Problem überhaupt." (S. 87) "Es gibt keinen ersichtlichen Grund, der für eine rasche und umfassende Privatisierung der produktiven Anlagen, für die sofortige und volle Liberalisierung von Preisen und Einkommen, für die abrupte Einführung der vollen Konvertibilität und freier Aktien- und Devisenbörsen spricht. Keines diese Postúlate ist in den reifen kapitalistischen Marktwirtschaften voll verwirklicht. Eine volle Verwirklichung sollte nur dann erfolgen, wenn sie überwiegend zusätzliche Produktion anregt und Ungleichgewichte zu verrin­ gern verspricht." (S. 88, 89) 58 Weitere Bauelemente sind: - eine Währung, die stabil genug ist, - die Durchsetzbarkeit von vertraglichen Verpflichtungen, - die Marktmacher, - eine mäßig expansive Geld- und Fiskalpolitik, - eine Einkommenspolitik, die den sozioökonomischen Wiederaufbau unterstützt, - Industrie- und Regionalpolitik, - degressive und selektive Protektion, die sich auf das Innovationspotential stützt, - beschränkte Konvertierbarkeit, Bereitstellung von Devisen nur für Investitionsgüter, - Bildung einer Zahlungsunion, um frühere Lieferbeziehungen zwischen den osteuro­ päischen Staaten wieder aufzunehmen, - Zulassung von Importen aus den Transformationsländern in Hartwährungsländer, - aktiver Staat und sozialer Konsens. SCHUMANN (1991) gibt vier Regeln für die institutionelle Transformation an: 1. Wiederherstellung von privaten Eigentumsrechten. 2. Wiederherstellung des Marktpreismechanismus, einschließlich der Abschaffung des staatlichen Außenhandelsmonopols und der Beseitigung von Subventionen für Kon­ sumgüter und Wohnungswirtschaft. 3. Wiederherstellung eines Kapitalmarktes, einschließlich des privaten Bankensystems und Schaffung eines Aktienmarktes. 4. Definition des öffentlichen Sektors, einschließlich der Gestaltung der föderalen_Verwaltungsstruktur, der ökonomischen Infrastruktur, der monetären Verfassung, des Steuersystems und des sozialen Sicherungssystems eines Landes (S. 5). Einen guten Einblick zu Notwendigkeit, Umfang und Problemen institutioneller Regulie­ rung funktionierender Marktwirtschaften gibt die deutsche Deregulierungskommission (O.V.: Marktöffnung ... 1991). Sie geht ganz im Sinne institutioneller Ökonomie davon aus, daß es ohne Regulierung kein erfolgreiches Gemeinwesen gibt. Andererseits ver­ merkt sie in der Bundesrepublik in sehr vielen Bereichen vielfältige Regulierungen, "die den Marktzugang und den Marktaustritt behindern oder verhindern und Produktions­ mengen und Preise bestimmen" (S. V)."Die Regulierung der Wirtschaft, großenteils Frucht der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre und nur teilweise zurückgenommen durch den befreienden Akt der Erhardschen Reformen, ist in den vergangenen Jahrzehnten immer dichter geworden."(S. 1) Das Material belegt die umfangreichen Detailüberlegun­ gen, die notwendig sind, um Sinnfälligkeit und Sinnlosigkeit jeder einzelnen Regulierung 59 sorgfältig abzuwägen. Es zeugt von einem graduellen, entwicklungsorientierten Vorge­ hen, keineswegs von einem big bang, der sich allein aus abstrakten Prinzipien legitimiert und die reale Ausgangssituation nicht zur Kenntnis nimmt. Das beherrschende Thema der Literatur zu institutionellen Bedingungen der Marktwirt­ schaft wird im nächsten Punkt gesondert behandelt. 6. 4 Privatisierung und Eigentumsrechte HELMSTÄDTER (1990b) betont, daß das Einmalige heutiger Transformation nicht der Übergang von der Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft ist. Das sei eine oberflächliche Sicht. "Die Einmaligkeit ... besteht vielmehr darin, daß es ... kein Privat­ eigentum an den Produktionsmitteln mehr gibt. ... Man kann das Privateigentum zwar durch einen Federstrich abschaffen, aber es bedarf weit mehr als eines Federstrichs, um es wieder einzuführen!" (S. 283). Ähnlich äußert sich KORNA I (1990, S. 49). SCHMIEDING (1990c) warnt hingegen: "Zeitraubende Gründlichkeit wäre völlig falsch. Bei einer unverzüglichen Privatisierung ließe sich dank des rasch wachsenden Kuchens der gesamtwirtschaftlichen Leistung später auch manche Fehlentscheidung korrigieren." (S. 171, 172) Die staatliche Treuhand sollte nicht selbst als Sanierer auftreten, weil staat­ liche Stellen die Zukunftschancen einzelner Branchen nicht zutreffend zu beurteilen ver­ mögen. Allein die Banken sollen entscheiden, welcher Privatisierte Kredit bekommt. Im Konkurs von Betrieben sieht er die Chance zum unbelasteten Neuanfang. Er plädiert dafür, die Altschulden der Betriebe, die durch "... recht willkürliche Transaktionen zwischen DDR-Staatshaushalt, Staatsbanken und Staatsbetrieben entstanden, ... völlig zu streichen" (S. 172). "Mit der Privatisierung der bisherigen Staatsunternehmen erhält der Staat jeden Pfennig zurück, da der Marktwert der Unternehmen und damit der Verkaufs­ erlös um exakt den Betrag der gestrichenen Verbindlichkeiten einschließlich der Zinsaus­ fälle steigt." (S. 175) Ferner plädiert er für den Aufbau der ostdeutschen Infrastruktur durch private Unternehmen, den "Verzicht auf die ohnehin wenig sinnvolle Gewerbe­ steuer" in Ostdeutschland, die Freigabe der Mieten und Pachten einschließlich der Kom­ pensation der damit verbundenen unerwünschten sozialen Folgen durch Wohngeldzah­ lungen. SCHMIEDING (1992) unterscheidet die Privatisierung einer Wirtschaft, d. h. das Wachstum des Privatsektors relativ zum staatlichen Sektor, von der Privatisierung von 60 Firmen, d.h. den Transfer von Eigentumstiteln in private Hände. Er benennt Hemmnisse für eine schnelle Privatisierung und plädiert für offene Auktionen als Privatisierungsform. Ferner diskutiert er die Verteilung von Anteilscheinen. SIEBERT (1991a) bezeichnet die Privatisierung der staatlichen Kombinate als eine zen­ trale Voraussetzung für die Transformation, weil der Kapitalmarkt das Kontrollorgan für die Unternehmen, insbesondere für das Management ist. Da der ostdeutsche Kapitalstock obsolet ist, wird man eine private Kapitalzufuhr nur erreichen, wenn die Unternehmen in Privateigentum überführt werden. Für die möglichen Verfahren zur Privatisierung werden als Anforderungen gestellt: - die zu veräußernde Firma zu bewerten, - einen Mechanismus bereitzustellen, der neue Eigentümer und in der Regel auch neues Management etabliert, - in aller Regel neues Kapital zuzuführen und - einen schnellen Übergang in eine privatwirtschaftliche Verantwortung zu gewähr­ leisten. Für den deutschen Fall faßt er drei Grundtypen von Privatisierungsverfahren ins Auge: - informelle Vergabe durch Verhandlung mit einem einzigen Käufer, wobei schnell pri­ vatisiert werden kann, - Bewertung durch den Aktienmarkt, d.h. durch eine Vielzahl von Käufern, was sehr viel Zeit braucht, - das dazwischenliegende Bietverfahren. Das Verfahren, Gutscheine an staatlichem Eigentum einzuführen, wird nur für Osteuropa für möglich erachtet. Als Argument wird angeführt, daß die ostdeutschen Unternehmen eine wesentlich größere Chance haben, Kapital zu attrahieren. Außerdem dürfe die Pri­ vatisierung ostdeutscher Unternehmen nicht viel Zeit in Anspruch nehmen, da ansonsten die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland so groß werden, daß die Ver­ suchung zu einer fragwürdigen Strukturpolitik besteht. Der Autor lehnt ab, daß - die Treuhandunternehmen saniert werden, - Erlöse aus der Privatisierung zur Stützung von Unternehmen verwendet werden, die aus dem Markt ausscheiden müssen und - Landesregierungen und Kommunen eingeschaltet werden. 61 Für Osteuropa vermerkt der Autor Interesse an einer Zertifikatslösung, weil damit eine neue Schicht von Eigentümern entsteht. Weder die kostenlose Abgabe von Anteil­ scheinen noch ihr Verkauf zwecks Abschöpfung des Geldüberhanges erfüllt eine zentrale Funktion der Privatisierung, die Zuführung neuen Kapitals. Auch wird das alte Manage­ ment erst allmählich ersetzt. Bezüglich der Ausgabe von Beteiligungsrechten an die Belegschaft einer Unternehmung wird der Nachteil gesehen, daß - das Risiko der Beschäftigung und das Risiko des Kapitalverlustes auf eine Gruppe konzentriert wird, was zu Widerstand bei strukturellen Änderungen führt, - Arbeitnehmer die ökonomischen Entscheidungen der Unternehmung dominieren, strukturelle Veränderungen behindern, an schnellen Auszahlungen interessiert sind und der Unternehmung in der Regel auch kein Kapital zuführen können. Zumindest sollten die Beteiligungsscheine, die an die Belegschaft gegeben werden, transferierbar sein, damit sich ein Kapitalmarkt herausbilden kann. Ähnliche Positionen vertritt der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft in seinem Gutachten vom Februar 1991 (O.V.: Bundesminister für Wirt­ schaft/Wissenschaftlicher Beirat: Gutachten ...). Ostdeutsche Unternehmen sind zügig in privates Eigentum zu überführen. Im Kontrast zur westdeutschen Wirklichkeit meint der Beirat, daß die rechtliche Verselbständigung der staatlichen Unternehmen nicht genügt. Nur durch materielle Privatisierung könne Risikokapital aus privaten Quellen aufgebracht und unternehmerische Konzeptionen eingebracht werden. Überlebensfähige Unterneh­ men oder Unternehmensteile sollen schnell privatisiert, nicht überlebensfähige Unterneh­ men schnell stillgelegt werden. Die Sanierung ist regelmäßig Aufgabe der Erwerber, nur ausnahmsweise Aufgabe der Treuhandanstalt. Es darf nicht ausgeschlossen werden, daß es nach der Privatisierung zur Liquidation oder Teilliquidation kommt. Regionalpolitik und Sozialpolitik sind nicht Aufgabe der Treuhandanstalt, außer wenn eine begrenzte Überlebenshilfe oder ein Abschlag beim Privatisierungserlös die billigste Möglichkeit darstellen, gravierende regionale oder soziale Probleme in verläßlicher Weise zu vermei­ den. "Eine generelle Entschuldung der Unternehmen empfiehlt sich nicht." (S. 5) Die Forderung nach Schnelligkeit ist der wichtigste Grundsatz des Beirates. Denn ohne Pri­ vatisierung in der Breite werden auch weiterhin Entscheidungen über künftige Belastun­ gen durch Personen getroffen, die für die Folgen nicht aufkommen müssen. Der Beirat plädiert für den Konkurs nicht überlebensfähiger Unternehmen, damit die noch gebunde­ nen Produktivkräfte für zukunftsträchtige Verwendungen frei werden. Entschuldungen 62 sollten nur dann vorgenommen werden, wenn die Überlebensfähigkeit der Betriebe nicht in Frage steht. Der Beirat vermerkt, daß durch den Grundsatz der Restitution die Privatisierung blockiert wird. Als bessere Lösung schlägt er vor, daß sämtliche Enteignungen im Aus­ gangspunkt Bestand haben und alle Enteigneten entschädigt werden. Wo kein öffent­ liches Interesse entgegensteht, könnte die Entschädigung im Wege der Naturalrestitution ohne Rechtsanspruch vorgenommen werden. "Die hier skizzierte Neuregelung ... nähert sich der ursprünglich eingenommenen Verhandlungsposition der früheren DDR stärker an, als es der im Einigungsvertrag konzipierte Kompromiß getan hat." (S. 11) Letztlieh handele es sich bei dieser Neuregelung noch um eine Bewältigung von Kriegsfolgelasten, sie sei aber nur dann sinnvoll, wenn sie rasch erfolgt. Hinsichtlich der Privatisierung öffentlicher Leistungen heißt es: "Man sollte die Um­ bruchsituation dazu nutzen, die in den alten Bundesländern auf Gemeindeebene weitge­ hend steckengebliebene Privatisierung jedenfalls auf dem Gebiet der früheren DDR zu verwirklichen." (S. 13) Auch sollte jener Paragraph des Bürgerlichen Gesetzbuches, der die Pflicht zur Über­ nahme des Personals regelt, temporär außer Kraft gesetzt werden. Da die Privatisierung über Aktienmärkte viel Zeit braucht (vgl. SIEBERT 1991a), wird die Veräußerung an einzelne Interessenten präferiert, auch wegen der Zufuhrung neuen Kapitals und der Einsetzung eines neuen Managements. Als Anreiz für Erwerber sei ein nicht unerheblicher Wertzuwachs, eine Sanierungsprämie wünschenswert. Der Beirat lehnt mehrheitlich die Zuweisung einer Restbeteiligung an einen Fonds zu­ gunsten der Bürger der ehemaligen DDR ab, weil die Treuhandanstalt Einnahmen braucht, um ihre Ausgaben zu decken und weil der verteilbare Restwert sehr unsicher sei. Eine Minderheit von Beiratsmitgliedern sah das anders (vgl. SINN 1991a). "Die (westlichen - R. S.) Partnerfirmen erhalten Beteiligungsrechte, deren Umfang den Wert des investierten Kapitals und des eingebrachten Know-hows widerspiegelt, und die Treuhandanstalt erhält statt eines Verkaufserlöses eine Restbeteiligung, die über zu er­ richtende Fonds unverzüglich an die Bevölkerung der ehemaligen DDR übergeben werden muß." (S. 18) Dieses Beteiligungsmodell gründet sich auf die Befürchtung, daß ein schneller Verkauf der Treuhandobjekte zu angemessenen Preisen kaum möglich ist, weil 63 - das Realzinsniveau weltweit ungewöhnlich hoch ist, was die Ertragswerte der Treu­ handobjekte und die Zahlungsbereitschaft der Kaufinteressenten vermindert, - durch die Beschleunigung der Privatisierung ein Angebotsdruck mit der Gefahr eines endogenen Preisverfalls für die Treuhandobjekte und damit einer Verschleuderung von Volksvermögen entsteht. Die Finanzierung der Kaufsummen über den Kapital­ markt würde das Realzinsniveau weiter erhöhen. Als Vorteile dieses Beteiligungsmodelles werden vor allem angeführt: "1. Mehr westliche Firmen lassen sich für Treuhandobjekte interessieren, weil der Finanzbedarf eines Engagements verringert wird. Mittel, die im Falle der Veräuße­ rung dem Kapitalmarkt entzogen würden, stehen für Nettoinvestitionen in den zu sanierenden Betrieben zur Verfügung. Die Privatisierung geht zügiger vonstatten, und der Wirtschaftsaufschwung kann früher erwartet werden. ... 2. Die Partnerfirmen tragen weniger Risiko, weil Zahlungen an ostdeutsche Anteils­ eigner nur erfolgen, wenn tatsächlich Gewinne anfallen. Auch dies wird das westliche Interesse an einem Engagement erhöhen" (S. 19, 20). Einer der wenigen Autoren, die nach PROPP in der Transformation überhaupt ein volkswirtschaftliches Kreislaufproblem erkannt haben, ist SINN (1991a). Allerdings re­ kurriert er nicht wie PROPP auf das realwirtschaftliche Kreislaufproblem, sondern auf das monetäre Kreislaufproblem, das mit der Privatisierung verbunden ist. "Es besteht in der Frage, ob überhaupt auf kurze bis mittlere Sicht eine für den Kauf einer ganzen Volkswirtschaft hinreichende Zahlungsbereitschaft mobilisiert werden kann." (S. 78) "Deutschland sollte nach dem Ersten Weltkrieg für die Verluste der Sieger aufkommen. Jetzt sollen private Käufer die Wirtschaft der Ex-DDR bezahlen. Derart immense Geld­ transfers in adäquate Gütertransfers umzusetzen, kann selbst die flexibelste Volkswirt­ schaft überfordern." (S. 78) Das seien Denkfehler von der Art des Versailler Vertrages. Der Geldüberhang der DDR-Bürger sei mit der Währungsunion weitgehend beseitigt worden, und sie haben dabei nur die für laufende Transaktionen benötigte Liquidität, darüber hinaus aber keine Finanzaktiva erhalten. "Damit verbleibt allein die Möglichkeit, die östlichen Vermögensbestände gegen den laufenden Strom westlicher Ersparnisse zu verkaufen ... Nicht gegen Finanztitel, sondern gegen Güter aus der laufenden Produktion verkauft die Treuhandanstalt die Wirtschaft der ehemaligen DDR ... Dies ist das volks­ wirtschaftliche Fundamentalproblem der Privatisierung der DDR-Wirtschaft." (S. 79) SINN zieht jedoch im Januar 1991 daraus nicht die logische Konsequenz, daß damit im Jahre 1993 eine westdeutsche Rezession befördert wird. Er fixiert lediglich eine theoreti­ sche und praktische Unmöglichkeit: "Man muß lange warten, bis aus dem Strom ein 64 Bestand akkumuliert worden ist." (S. 79) Folglich hält er es nicht für sinnvoll, die ost­ deutsche Wirtschaft schlagartig zu verkaufen, weil so nur Schleuderpreise erzielbar sind. Daraus folge jedoch nicht, daß die Privatisierung verzögert werden sollte. Vielmehr schlägt der Autor ein anderes Privatisierungsmodell vor. Danach sollte die Zuteilung von Vermögenswerten Vorrang vor dem Ziel der Einnahmeerzielung haben. Die zu privatisie­ renden ostdeutschen Unternehmen sollten nicht gegen Zahlung eines Kaufpreises, son­ dern unter Verbleib einer Beteiligung bei der Treuhandanstalt übergeben werden. "Der Interessent selbst würde eine Beteiligung für das gelieferte Kapital und Know-how erhal­ ten ..." (S. 81) Jedoch sollte die Treuhandanstalt keine Stimmenmehrheit behalten und keinen Einfluß auf die Geschäftspolitik ausüben. Die Anteile der Treuhandanstalt sollten dann später der Bevölkerung Ostdeutschlands übertragen werden. Analog schlägt er für Kleinbetriebe und Verkaufsniederlassungen eine Vergabe an ostdeutsche Interessenten gegen Eintrag einer festverzinslichen Schuld gegenüber der Treuhandanstalt vor. Nach diesem Modell müssen nicht die vorhandenen Bestände, sondern nur die Zuwächse dieser Bestände in der Form zukünftiger Nettoinvestitionen finanziert werden. Da diese Zu­ wächse selbst Ströme sind, bestehen keine prinzipiellen Probleme, sie aus dem Strom der Ersparnisse zu finanzieren. Diese Art der Privatisierung würde den Vorwurf der Ver­ schleuderung von Volksvermögen vermeiden. Ähnlich und ausführlicher äußern sich dann SINN und SINN (1991). SINN hat auch an oben genanntem Gutachten des Wis­ senschaftlichen Beirats mitgewirkt. BÖS (1991) räumt ein, daß der Verkauf von Unternehmen zu Billigpreisen in Ost­ deutschland eine weitergehende Privatisierung ermöglicht hat als in der Tschechoslowa­ kei oder in Polen, meint jedoch, daß das Ausmaß der Weggabe von staatlichem Eigen­ tum durch die Anwendung eines modifizierten Privatisierungsmodells nach SINN und SINN verringert werden kann. Als Hintergrund der ostdeutschen Privatisierungspolitik macht er ein spezifisches Migrationsdilemma der Politik aus: Einerseits gibt es Migration wegen hoher Arbeitslosigkeit infolge hoher ostdeutscher Löhne. Andererseits gibt es auch bei geringen Löhnen eine Migration wegen der Lohnunterschiede zu Westdeutsch­ land, wobei die ostdeutschen Löhne schwierig an die Entwicklung der Arbeitsproduk­ tivität anzupassen sind. In diesem Zusammenhang macht er nicht allein die Gewerkschaf­ ten für die ostdeutsche Lohnkostenexplosion verantwortlich. Diese hätten die westdeut­ schen Arbeitgeberverbände wahrscheinlich auch deshalb nicht verhindert, weil sie nicht an Billiglohn-Konkurrenten innerhalb Deutschlands interessiert waren. Er bemerkt, daß die deutsche Regierung niemals an einem Modell der Anteilscheine interessiert war, daß dieses Modell jedoch zur Privatisierung in Wirtschaften beitragen kann, welche nicht über genügend Kaufkraft verfugen und daß es die Probleme von Bewertung von Unter­ nehmen vermeidet. Er zitiert ESTRIN (1991), wonach die polnischen Sparer etwa ein 65 Prozent des staatlichen Eigentums und die tschechischen Sparer etwa zehn Prozent des staatlichen Eigentums kaufen könnten. Selbst in Deutschland sei es fraglich, ob man alle ostdeutschen Unternehmen zu einem Preis verkaufen könne, der ihrem geschätzten Wert entspricht. Im Modell von SINN und SINN macht er fünf Elemente aus, von denen er jedoch einige für verzichtbar erklärt. Die Reduzierung der ostdeutschen Lohnerhöhungen durch Ver­ gabe von Anteilscheinen erachtet er für unrealistisch. Auch die Vergabe von allgemeinen Anteilscheinen an Ostdeutsche lehnt er ab, ebenso wie die Unterstützung ostdeutscher Sparer, die nur im Verhältnis 2:1 umtauschen konnten. Jedoch hält er statt des Verkaufs des Vermögens dessen Zuteilung für sinnvoll, wobei jedoch jeder staatliche Einfluß aus­ geschlossen werden muß. Die Treuhandanstalt dürfe nur eine stille Beteiligung halten, und auch das nur zu 25 % oder zu 49 %. Die stille Beteiligung könnte eine Quelle für staatliche Einnahmen dann werden, wenn die Anteile später verkauft würden. Vor allem würde die Weggabe des staatlichen Eigentums auf 75 oder 51 % des Unternehmens be­ grenzt, wohingegen die gegenwärtige Politik der Treuhandanstalt das Risiko hat, 100 % wegzugeben. Ferner wendet sich der Autor gegen die von verschiedenen Autoren vorge­ schlagenen Lohnsubventionen. Im übrigen wirft der Autor die interessante Frage auf, wann die Transformation zu Ende sei bzw. wie sie zu beenden sei, allerdings im alleinigen Sinne der Privatisierung. Ende 1993 sieht er nur noch nicht überlebensfähige Betriebe im Bestand der Treuhandanstalt, insbesondere in den Branchen des Schiffbaus, der Stahlindustrie, der Kohleindustrie und der chemischen Industrie. Mit Ausnahme der letzteren, die sich aus ihren Gewinnen in Westdeutschland selbst reproduzieren konnte, deren Gewinne in der DDR aber weitge­ hend dem Staat zufielen, handelt es sich um Branchen, die auch in Westdeutschland sub­ ventioniert werden. Hier teilt BÖS die Befürchtung des oben genannten Beirates, daß die Treuhandanstalt zu einer Subventionsveranstaltung wird, wobei er auf den politischen Druck der Bundestagswahl von 1994 verweist, die einen Druck zur Liquidation von nicht zu vielen Firmen erzeugt. NORTH (1992) argumentiert, daß die Übertragung des Eigentums von öffentlichen in private Hände nur eine wesentliche Aufgabe ist. Weiterhin gehört zur Privatisierung ein effektives Rechtssystem und dessen Durchsetzung. Dieses braucht breite gesellschaftliche Unterstützung und die Entwicklung entsprechender Organisationen. Dieser komplexe institutionelle Rahmen des Privateigentums hat sich über eine lange Zeitperiode ent­ wickelt. 66 RAPACZYNSKI (1982) macht darauf aufmerksam, daß es eine gewisse Dissonanz zwischen der Befürwortung des Privateigentums und der Fähigkeit gibt, exakt den Unterschied zu bezeichnen, den es real macht, Er stützt sich dabei einerseits auf die Be­ obachtung, daß die Eigentümerfünktion in den Unternehmen von der Managementfunk­ tion unterschieden ist, und daß andererseits viele Unternehmen von Banken dominant kontrolliert werden. In einigen Ländern wie Österreich und Frankreich sind diese Banken selbst staatliche Unternehmen. Sofern private Banken die Unternehmen kontrollieren wie in Deutschland, erfolgt diese Kontrolle wiederum durch angestellte Manager und nicht durch die tatsächlichen Eigentümer. Außerdem ist das staatliche Eigentum nicht der ein­ zige Weg, womit die Politik in die Wirtschaft interveniert; die Regulierung macht das oft noch effektiver. Weiterhin ist die Verbindung zwischen Staat und Industrie in Ländern wie Japan und Korea viel stärker als in anderen Ländern, die nicht solche Erfolge haben. Gleichzeitig seien diese Länder mit starker staatlicher Einflußnahme auf die Wirtschaft langfristiger orientiert als andere. Außerdem bezweifelt der Autor, daß sich Märkte beim Fehlen von staatlicher Interven­ tion spontan entwickeln. Die historische Entwicklung von vielen modernen Wirtschaften wie in Deutschland und in Japan scheine im Gegenteil stark gesteuert worden sein. Wegen des hohen Anteils an sehr großen staatlichen Unternehmen in Osteuropa würde der Rückzug des Staates eine Lücke im Hinblick auf die Eigentumsrechte und das System der institutionellen Kontrolle aufreißen. ROSA (1992) betrachtet die Privatisierung vom Standpunkt der Theorie öffentlicher Finanzen und der Theorie der Transaktionskosten. Eine rationale Regierung wendet den Kosten-Nutzen-Kalkül auf das Problem optimaler Privatisierung an. "A rational government should keep the firms in the public sector or even nationalize new firms when the cost to public funds is lower than the cost of capital to privat investors." (S. 94) Eine kostenlose Verteilung von Anteilscheinen an alle Bürger bedeute, daß der Wert der staatlichen Unternehmen für die Regierung null ist, aber daß ihr Wert für private Investo­ ren ebenfalls null ist. Hinsichtlich der Privateigentumsformen thematisiert COX (1991) das Gemeinschaftsbzw. Gruppeneigentum, das in allen westlichen Industriegesellschaften bei Dominanz des Individualeigentums vorhanden ist. Daher ist die Wirtschaftsordnung unter dem Aspekt der Eigentumsform eine gemischte Ordnung. Unter Bezug auf die Theorien des natür­ lichen Monopols sowie der öffentlichen und meritorischen Güter fordert der Autor: "Vor Privatisierungsaktionen ist eine Grundsatzentscheidung darüber zu fällen, welche Betrie­ be langfristig und dauerhaft in öffentlicher Trägerschaft verbleiben, und welche Betriehe 67 zur Privatisierung freigegeben werden sollen." (S. 119) Diese sollen öffentliche Aufgaben wahrnehmen, die aufgrund von Marktversagen, Unmöglichkeit von Wettbewerb oder Unerwünschtheit bestimmter Marktergebnisse nicht oder nicht optimal von privaten Unternehmen im Wettbewerb erfüllt werden können. Insbesondere bei Sanierungsfällen, d. h. Betrieben, die nur mittelfristig privatisiert werden können, um sie wettbewerbsfähig zu machen, plädiert er für eine Übergangsphase in staatliche oder gemischte Träger­ schaft. "Nicht jeder zum Zeitpunkt unwirtschaftliche Betrieb sollte aufgegeben werden. Auch in der Bundesrepublik Deutschland sind über Jahrzehnte hinweg defizitäre Indu­ strieunternehmen bzw. ganze Branchen von öffentlichen Trägern am Leben gehalten worden, bis die Sanierungspolitik erfolgreich abgeschlossen war, und auch andere, z. B. struktur- und regionalpolitische Gründe ... einer Privatisierung nicht mehr im Wege stan­ den. So ist das bundeseigene Stahlwerk Peine-Salzgitter erst nach Überwindung der Stahlkrise für die Privatisierung freigegeben worden. Öffentliche bzw. gemischt-öffent­ liche Trägerschaft ist in diesen Fällen kein ordnungspolitisches Problem, da es sich um 'Privatisierungsfälle auf Abruf handelt. Diese Art von Sanierungspolitik wäre marktkon­ form, da es sich um Anpassungsprozesse am Markttrend handelt." (S. 121) Er bemerkt, daß die breitere Streuung von Produktiwermögen in Arbeitnehmerhand in den neuen Bundesländern eine nachrangige oder gar keine Bedeutung hat und findet hinsichtlich der Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt die Bezeichnungen "Hals-über-Kopf-Privatisierungen" und "Ramsch-und Basar-Verkäufe" (S, 123). Die breite Vermögensstreuung und die Dekonzentration des produktiven Erwerbsvermögens sei ein konstitutives Merkmal der sozialen Marktwirtschaft. FINK und SCHEDIWY (1992) untersuchen typische Schwächen von staatlichem und genossenschaftlichem Eigentum. Es wird begründet, daß sich Manager in staatlichen Be­ trieben so verhalten müssen, als wären sie von den Arbeitnehmern gewählt worden. Dies ändert sich auch nicht durch die Gründung von Holding-Gesellschaften. So sei es die primäre Strategie von Spitzenmanagern in öffentlichen Unternehmen, keine politischen Schwierigkeiten zu verursachen. Arbeitskräftefreisetzungen sind schwierig und man be­ gnügt sich mit einem geringen Gewinn oder sogar mit Verlusten. Erst wenn aus Haus­ haltsgründen keine zusätzlichen Investitionen mehr bereit gestellt werden können, kommt es zu Personaleinsparungen. Nach der ökonomischen Stabilisierung erfolgt jedoch ein Rückfall in alte Verhaltensweisen. Es treten erneut Verluste auf, die wiederum durch Subventionen aufgefangen werden - bis die Subventionen erneut gestoppt werden müssen und eine neue Krisis auftritt. Dergestalt sind die Zyklen welche den langfristigen Niedergang der staatlichen Industrien begleiten. 68 Wegen der engen politischen Verbindungen gibt es eine zu große Unternehmenszentrale, die jedoch über relativ geringe Marktkenntnisse verfügt. Durch die subventionierten Be­ triebe werden effizientere Privatanbieter vom Markt verdrängt. Im weiteren wird der Aufstieg und Niedergang der westeuropäischen Genossenschaften nachgezeichnet. Die Genossenschaften haben überwiegend zur Modernisierung in stark regulierten, monopolistischen und technologisch rückständigen Verkäufermärkten beige­ tragen. Sie scheinen jedoch auf Probleme zu stoßen, wenn die Konkurrenz zunimmt und Käufermärkte einen Druck auf Kostensenkung und exzellentes Marketing ausüben. Sie haben einen besonderen Aufschwung nach dem ersten Weltkrieg genommen, der riesige Knappheiten und einen Verkäufermarkt hervorgebracht hat. Die technokratische Man­ agerelite konnte dann diese Erfolge bis etwa gegen 1955 fortsetzen. Infolge der inneren egalitären Verhaltensmuster werden jedoch nicht die besten Kräfte gefördert und man scheut vor solchen Organisationsformen zurück, welche das Personal drastisch reduzieren. Ein Klima von Kameradschaft scheint zumindest in einigen Ländern Korruption und Ineffizienz zu fördern (S. 191). Die osteuropäischen Genossenschaften verfügen jedoch nicht über die genossenschaft­ lichen Pionierunternehmer der zwanziger Jahre mit ihrer hohen Motivation und markt­ wirtschaftlichen Erfahrung. Sie entsprechen eher ihren westeuropäischen Gegenstücken am Ende von deren Evolution mit den Merkmalen Bürokratisierung, interne Korruption, fehlende Motivation. In Osteuropa sollte man daher die Schaffung von diffusen Eigentümerstrukturen vermei­ den, die sich eher auf quasi-politische Mächtkämpfe zwischen rivalisierenden Gruppen konzentrieren als auf den Erfolg und die Qualität der Leistungen des Unternehmens selbst. Nach WESTPHAL und HERR (1991) ist eine schnelle Privatisierung keineswegs Vor­ aussetzung. "Die transitorische Beibehaltung des Staatseigentums von Unternehmen ist dadurch zu rechtfertigen, daß auch die sich im staatlichen oder genossenschaftlichen Eigentum befindenden Betriebe autonom wirtschaften und einer harten mikroökonomischen Budgetrestriktion unterworfen werden können ... Eine schnelle Privatisierung würde zunächst auf das Problem stoßen, daß sie auf der Grundlage eines unentwickelten Kapitalmarktes stattfinden muß. Somit sind willkürliche Bewertungen von Unternehmen und daraus resultierende willkürliche Umverteilungen von Vermögen und Einkommen unvermeidbar." (S. 156, 157). Das Staatseigentum erfahrt daher eine niedrige Bewertung 69 und bei der Verteilung von handelbaren Anrechtsscheinen wird es gar verschenkt, so daß in beiden Fällen die zukünftigen Steuersätze höher sein müssen. Die Privatisierung sollte daher zeitlich erst nach der Etablierung eines leistungsfähigen neuen Steuersystems an­ gesiedelt werden. "Der Privatisierung voraus gehen sollte ebenfalls die Entflechtung der ...Monopole." (S. 157) Die Autoren schlagen eine Entwicklungsbank vor, welche marktmäßige Bedingungen der Kreditvergabe in einer Phase simulieren soll, in der der Markt dazu noch nicht in der Lage ist (S. 159). Außerdem wird eine staatliche Holding-Gesellschaft empfohlen, die als Sanierungs- und Privatisierungsagentur für die sich transitorisch in Staatseigentum be­ findlichen Unternehmen fungiert. WILLGERODT (1990) hält "die beliebte These, die ganze DDR-Wirtschaft sei ein einzi­ ger Schrotthaufen", für wenig überzeugend (S. 319). "Richtig ist allerdings, daß ein ganz erheblicher Abschreibungsbedarf besteht ... Es kommt nun der Abschreibungsbedarf durch den Systemwechsel hinzu. Gemessen an ihrer Verschuldung, wie sie heute noch zu Buche steht, müßte ein großer Teil der volkseigenen Betriebe ... Konkurs wegen Über­ schuldung oder gar Zahlungsunfähigkeit anmelden. In generalisierender Betrachtung ent­ hält diese verbreitete These jedoch einen betriebswirtschaftlichen Rechenfehler. Die von dem staatlichen Banksystem den Betrieben gewährten Kredite sind keine Bankkredite, die fremde Kapitaleigner den Unternehmungen zur Verfügung gestellt haben ... Dem Staat gehören die Betriebe, dem Staat gehört das bisherige kreditgewährende Bank­ system, dem Staat gehört das Fiskalvermögen. Die vom Staat den Betrieben gewährten Kredite sind Gesellschafterdarlehen, die wie Eigenkapital behandelt werden sollten ... Die marktwirtschaftliche Reform soll Betriebe, Banksystem und Fiskus eigentumsrechtlich voneinander trennen. Es wäre aber völlig abwegig, aus Anlaß dieser Trennung etwa dem staatlichen Banksystem oder dem Fiskus zu Lasten der Unternehmungen ein erhebliches Netto-Vermögen zuzuweisen, indem den Betrieben hohe Schulden gegenüber dem Staat oder dem staatlichen Banksystem angelastet werden, ... während sich der Staat selbst ... mit einem hohen Nettovermögen davonstiehlt. Die in Zukunft verselbständigten Unternehmungen müssen wirtschaftlich so weit von Schulden gegenüber dem Staat und staatlichen Instanzen als ihren Eigentümern entlastet werden, wie es der Zeitwert des noch vorhandenen Vermögens erfordert. Für die dabei entstehenden Buchverluste hat allein der Eigentümer aufzukommen, nämlich der Staat." (S. 319, 320) Da der Erfolg der Reform von den Unternehmungen in höherem Grad ab­ hängt als vom Fiskus, müßten diese durch Entschuldung wettbewerbsfähig gemacht werden. Die derzeitige Behandlung der planwirtschaftlichen Schulden sieht er als "bloße 70 Kulissenschieberei zwischen staatlichen Instanzen" an (S. 320). "Hier scheint nun eine nicht ganz heilige Allianz zwischen Bankbuchhaltern, Fiskalisten, Sozialpolitikern und Anhängern staatlicher Strukturpolitik zustande gekommen zu sein."(S. 321) "Um die staatliche Manipulationsmasse gering zu halten, hätte sich eine vollständige Ent­ schuldung der Unternehmungen und der Verzicht des Staates auf Verzinsung und Til­ gung der Kredite angeboten, die er seinen eigenen Unternehmungen gewährt hat. Dies hätte ihn für den Fall der Privatisierung keineswegs ärmer gemacht. Denn entschuldete Unternehmungen sind mehr wert und bringen einen höheren Verkaufserlös ..." (S. 321) "Wichtiger als dies ist jedoch Folgendes: Entschuldete Unternehmungen könnten sich am Markt und auch bei der Kreditaufnahme freier bewegen ..." (S. 322) KANTZENBACH (1991) stellt für die sog. Altschulden ostdeutscher Betriebe fest: "Sie alle haben mit den wirtschaftlichen Entscheidungen der neuen Eigentümer und Manager nicht das geringste zu tun und sind deshalb in der neuen marktwirtschaftlichen Ordnung willkürlich und funktionslos. Sie erhöhen jedoch die Kosten und Risiken neuer Investi­ tionen. Da es sich um die Ergebnisse zentraler politischer Entscheidungen des alten Regimes handelt, hätten diese Lasten auch von vornherein von der öffentlichen Hand übernommen werden sollen." (S. 44) Bemerkenswerte Klarheit herrschte auch in der Diskussion zum "Experten Gespräch '90 der List Gesellschaft" (O. V.: Diskussion 1990) sowohl über das Wesen der Schulden von DDR-Betrieben als auch über den Grund, warum sie nicht ihrem Wesen gemäß als Staatsschulden behandelt werden. FELS erinnerte daran, daß im Unterschied zum bun­ desdeutschen Staat der DDR-Staat kaum verschuldet sei, hingegen seine Betriebe hoch verschuldet sind. Praktisch handelte es sich um eine Umbuchung innerhalb des öffent­ lichen Sektors, um die Staatsschulden zu verstecken. Daher solle der Staat die Schulden der Betriebe übernehmen, womit die DDR-Betriebe praktisch saniert würden, Demzu­ folge wären sie bei späterer Privatisierung auch mehr wert. OBERLANDER nannte als Ursache für die Verschuldung der DDR-Betriebe, daß diese ständig ihren gesamten Ge­ winn an den Staat abfuhren mußten, ihre Abschreibungen vom Staat zu niedrig angesetzt und damit die Gewinnabführungen künstlich überhöht waren, sowie daß Importe west­ licher Investitionsgüter durch den Staat unsinnig verteuert wurden. Auch MICHAELIS stellte fest, daß der DDR-Staat einen Teil seiner Schulden bei den Betrieben unterge­ bracht habe. HARTWIG nannte schließlich den entscheidenden Grund, weshalb die Bun­ desbank die Betriebsschulden nicht gegen Ausgleichsforderungen übernehmen könne: die 71 damit verbundene "Geldmengenexpansion, die bedenkliche Inflationsgefahren beinhalten würde" (S. 236). Auf diesem Expertengespräch schlug SPETHMANN ein interessantes Privatisierungs­ modell unter Bezug auf die westdeutschen Nachkriegserfahrungen vor. "Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die für die Fortführung einer Stahlproduktion in Westdeutsch­ land vorgesehenen wirtschaftlichen Einheiten aus ihrem bisherigen Konzernverbund ge­ löst und neu gegründeten Betriebsführunggesellschaften anvertraut, die aufgrund eines sog. Betriebsbenutzungvertrages die Produktion ohne Verzug aufnehmen konnten. Diese Maßnahme war für eine Übergangszeit vorgesehen, in der die schwierigen Fragen der Neubewertung der Produktionsanlagen und der Neugestaltung der Rechts- und Eigen­ tumsverhältnisse sachgerecht gelöst werden konnten." ( 0 . V.: Diskussion, 1990, S. 238) Dieses Pachtmodell zur Entflechtung der deutschen Eisen- und Stahlindustrie sei zu empfehlen, weil auch heute die Privatisierung durch die Bewertungsproblematik stark behindert wird. Danach soll die Beteiligung an einem DDR-Unternehmen (Altgesellschaft) mittelbar über eine Betriebsführungsgesellschaft hergestellt werden. Deren Anteile können die Treuhandanstalt, die Altgesellschaft oder ein privater Investor übernehmen. Die Betriebsführungsgesellschaft pachtet von der Altgesellschaft das not­ wendige Anlagevermögen, wobei das Pachtentgelt nach einer gewissen Anlaufzeit fest­ gestellt und bezahlt wird. Sie übernimmt das erforderliche Personal und erwirbt das Um­ laufvermögen des angepachteten Bereiches im Kaufwege. Die Schulden können bei der Altgesellschaft verbleiben. Nach Ablauf einer Übergangsperiode kann die Betriebsfüh­ rungsgesellschaft das gepachtete Anlagevermögen einschließlich der Grundstücke erwer­ ben. Der private Investor hat dabei bei zukünftigen Kapitalerhöhungen ein Vorkaufsrecht auf die weiteren Kapitalanteile. NOE (1991) schreibt: "Ende der vierziger und in den fünfziger Jahren gab es das Pro­ blem, was mit den zahlreichen, unter kriegswirtschaftlichen Bedingungen entstandenen Produktionsstätten geschehen sollte. Privatisierung hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Stillegung von wesentlichen Teilen der damaligen industriellen Basis bedeutet. Daher entstand - wohlgemerkt zu Erhards Zeiten - das industrielle Bundesvermögen: VW ge­ hörte dazu, Salzgitter, die Veba, Viag, die Lufthansa, die GBAG, die Steinkohle an der Saar. Der Staat übernahm die Rolle des Eigentümers, um zu vermeiden, daß die Basis geschliffen wurde. Die meisten dieser Unternehmen entwickelten sich - mit viel Geld aus der Bundeskasse - zu wettbewerbsfähigen Einheiten und wurden Schritt für Schritt pri­ vatisiert. 72 Ist dies ein Modell für die DDR? Folgt man dem orthodox wirtschaftlichen Zeitgeist auf der Ebene der MikroÖkonomie und läßt gesamtwirtschaftliche Ansätze draußen vor, dann heißt die Parole: Was Private nicht kaufen oder als Geschenk in unternehmerische Verantwortung nehmen, muß vom Markt verschwinden. Faktisch bedeutet dies aber, daß die industrielle Basis der DDR mit 3,2 Millionen Beschäftigten sich überwiegend im Konkurs auflöst. Mit der Konsequenz, daß die marktwirtschaftliche Einkommensent­ stehung in der DDR zusammenbricht und die Chancen für die mittelständische Wirtschaft zugleich massiv sinken, weil die Industrieunternehmen deutlich weniger typisch mittel­ ständische Leistungen nachfragen und weil mangels Einkommen die Nachfrage nach Handels-, Bau- und Freizeitangeboten weitgehend entfällt." (S. 98) Ein neues industriel­ les Bundesvermögen sei daher die letzte Chance, den unverzichtbaren industriellen Kern der DDR-Wirtschaft durch die nächsten Jahre zu bringen. Für die transitorischen Bun­ desunternehmen fordert er die Staatsbeteiligung am unternehmerischen Risiko, eine weitgehende Dezentralisierung, Minderheitsbeteiligung privater Unternehmen. Die Be­ teiligung privater Großunternehmen sollte nicht durch Beschränkungen des Kartellamtes verhindert werden. AUDRETSCH (1993) sieht im Gegensatz zu SACHS das Problem weniger in der Neu­ verteilung staatlichen Eigentums, d.h. der Privatisierung, sondern vielmehr in der Schaf­ fung neuer produktiver Sachanlagen. Er bezweifelt, daß die Quelle des Aufschwungs existierende Unternehmen und Betriebe sein werden, selbst wenn sie privatisiert sind. Neue kleine Unternehmen werden der Motor des Wachstums, nicht privatisierte Staats­ betriebe. Gleichwohl erachtet AUDRETSCH (1992) Elemente des ostdeutschen Privatisierungs­ modells als anwendbar für Osteuropa. Dazu gehören eine Form der Auktion und ein minimaler akzeptabler Preis. Jedoch sei in Osteuropa ein gradueller und längerer Zeitpfad notwendig. Private Monopole sollen nicht erlaubt werden. Handelsbarrieren sollen nicht angewendet werden, mit Ausnahme junger Industrien oder vielversprechender Schlüssel­ produkte. Ein Lohnwachstum muß vermieden werden. Der Staat muß für alle Altschul­ den der Unternehmen verantwortlich gemacht werden, ebenso wie für ökologische Alt­ lasten. Er schlägt ferner eine Risiko-Kapital-Finanzierung sowie ein Management-Train­ ing-Programm vor. Neue Klein- und Mittelbetriebe sollten geringere Steuerraten, höhere Abschreibungen und verbilligte Kredite erhalten, um die unternehmerische Aktivität zu fördern. Auch SCHUMANN (1991) geht auf Probleme des Privatisierungsansatzes in Ost­ deutschland und auf Investitionshemmnisse ein. Unter anderem vermerkt er: "Ost- 73 deutsche Unternehmen können von ihren westdeutschen potentiellen Konkurrenten ge­ kauft werden, um deren eigenen Marktanteil zu erhöhen und die Konkurrenz zu redu­ zieren" (S. 10). 6.5 Sequenzing Am Beispiel der deutschen Entwicklung im 19. Jahrhundert, leitet HERDER-DOR­ NEICH (1991) folgende Schrittfolge ab: Eigentumsrechte, Liberalisierung der Märkte, freie, gleiche und geheime Wahlen, Institutionen der sozialen Sicherung, Koalitionsfrei­ heit. Dieselbe Typenfolge erkennt er in Westdeutschland nach 1945. Im Unterschied zu EUCKEN sieht er die Schrittfolgenreihe als ziemlich starr an. Ausgehend von den westdeutschen Nachkriegserfahrungen formuliert SCHMIEDING (1991b) drei getrennte Schritte für die Transformation: 1. Währungsreform, einschließlich unabhängiger Zentralbank, Verbot von staatlichen Budgetdefiziten, 2. Abschaffung der Bewirtschaftungsvorschriften und Preisfreigabe mit Ausnahme von Grundnahrungsmitteln, zahlreichen Rohstoffen, dem Montanbereich und öffentlichen Dienstleistungen, 3. Schaffung von Steueranreizen durch Änderungen des Steuersystems gleichzeitig mit der Währungsreform. Alle drei Schritte erfolgten mehr oder weniger zeitgleich. LÖSCH (1990) rekapituliert folgende Transformationsschritte der ERHARDschen Reform: 1. Unabhängiges und funktionsfähiges Zentralbankensystem 2. Währungsreform vom Juni 1948 3. Zeitgleich mit der Währungsreform weitgehende Freigabe der Preise und Aufhebung des größten Teils der Bewirtschaftungsvorschriften. "Bestehen blieb die Preisbindung und zum Teil auch die Rationierung für Grundnah­ rungsmittel, Erdöl und Benzin, Düngemittel und Erzeugnisse der eisenschaffenden 74 Industrie, auch die Mieten und Pachten blieben gebunden. Die Aufhebung des Lohn­ stopps erfolgte erst im November 1948 ..." (S. 74) 4. Liberalisierung der Außenwirtschaft in mehreren Stufen. Erst 1951 trat die Bundes­ republik dem GATT bei. 5. Temporäre Zurücknahme der Liberalisierungsmaßnahmen wegen des Defizits der bundesrepublikanischen Handelsbilanz. Wiedereinführung von Einfuhrkontingenten 1951, Wiedereinführung einer Bardepot- Pflicht von 50 % des DM-Gegenwertes der für Importe beantragten Devisen. 6. Konvertibilität der D M zur Bezahlung des Handels- und Dienstleistungsverkehrs ab 1952, Einführung der Kapitalkonvertibilität erfolgte erst sehr viel später. 7. Die Deregulierung einzelner Bereiche erfolgte sehr viel später bzw, steht heute noch aus (z.B. Wohnungsmarkt und Verkehrswirtschaft). Außerdem habe der realistische Währungsschnitt 1948 bewirkt, daß die neuen Preise nicht sehr weit von den 1936 gestoppten Preisen entfernt waren. KRELLE (1991) schlägt folgende Schrittfolge für die Transformation vor: 1. Beseitigung des Geldüberhanges: Beendigung der Finanzierung des staatlichen Budgetdefizites durch die Notenbank, Währungsreform oder Inflationsstoß durch Freigabe von Preisen und Löhnen. 2. Einrichtung eines zweistufigen Bankensystems (parallel zu l . ) 3. Freigabe der Wechselkurse nach Beseitigung des Geldüberhanges, bei anfänglicher Kontrolle von Kapitalbewegungen, um den Wechselkurs zu stabilisieren und massive Kapitalflucht zu verhindern. 4. Wiederherstellung von Eigentumsrechten, Definition geeigneter Rechtsformen fur private wirtschaftliche Tätigkeit. 5. Verpflichtung aller Unternehmen zur Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Kostenstellenrechnung für alle Aktivitäten. 6. Gleichzeitige Umorganisation der Unternehmungen, insbesondere Stärkung des Marketings. 7. Einführung eines Sozialversicherungssystems. 75 8. Nach diesen Vorbereitungen: Freigabe von Preisen und Löhnen. 9. Auflösung aller mit der Wirtschaftslenkung befaßten Organisationen. 10. Sofortige Privatisierung von kleineren Unternehmungen und Wohnungen, Verkauf an den Meistbietenden, Einführung notwendiger Kontrollen, "damit Bestechungen, Nepotismus und eine Verschleuderung öffentlichen Eigentums verhindert wird" (S. 25). Größere Firmen sollen privatisiert werden oder in private Rechtsformen über­ führt werden. Bei öffentlichen Unternehmen und Versorgungseinrichtungen muß "klar sein, wer der Eigentümer ist, auch wenn diese im öffentlichen Eigentum ver­ bleiben." (S. 25) 11. Abschaffung von Subventionen, allerdings während einer befristeten Umstellungszeit: "Oft hängt eine ganze Stadt und manchmal sogar eine Region von einer Großunter­ nehmung ab. Selbst wenn diese unrentabel ist, wird man sie nicht sofort schließen können." (S. 25) Als eine relativ kurze Übergangsperiode sieht der Autor drei bis fünf Jahre an. Diese setzt jedoch den Zufluß von investivem Kapital voraus. "Im Falle eines großen Landes wie der Sowjetunion wird dabei die Hilfe der Industriezentren der Welt notwendig sein, um einen friedlichen Übergang zustande zu bringen, also die Einkommensentwicklung vorübergehend von der Produktionsentwicklung abzukoppeln. Ist das nicht erreichbar, so wird man den Übergangsprozeß langsamer und schonender vornehmen müssen, aller­ dings mit der Konsequenz, daß Ineffizienz und der niedrige Lebensstandard sehr lange noch bestehen bleiben werden." (S. 26) Als weitere fundamentale Voraussetzungen der Transformation nennt der Autor eine starke Regierung und die Änderung der Denk- und Verhaltensweise der Bevölkerung. WESTPHAL und HERR (1991) empfehlen (vgl. auch oben die Argumentation unter 4.4) folgende Reihenfolge von Transformationsschritten: "tj: Realisierung der Mindestschwelle der Transformation: Einführung eines zweistufi­ gen Bankensystems, Inkrafttreten eines privatwirtschaftlichen Bedingungen entsprechen­ den Gesellschafts- und Konkursrechtes, Streichung der Subventionen, Preisbildungs­ reform. tj: Begleitende wirtschaftspolitische Maßnahmen: Währungsreform, Abschluß eines eine funktionierende Einkommenspolitik anstrebenden Sozialpaktes, Gründung der Holdinggesellschaft, der Entwicklungsbank und des Strukturrates, Übertragung von in 76 Staatseigentum befindlichen Unternehmen an die Holdinggesellschaft, Inkrafttreten der neuen Steuergesetze, kompetitive Abwertung, Ankopplung der Währung an eine oder mehrere Fremdwährungen, Konvertibilisierung der Währung in bezug auf Leistungs­ bilanztransaktionen, Etablierung eines Zollsystems und evtl, einer Bardepotpflicht. tj - t : Stabilisierung der Preise, Demonopolisierung, sukzessiver Abbau der noch für 2 einige Produkte beibehaltenen staatlichen Preisregulierung, Durchführung der 'kleinen Privatisierung', Aufbau der im Rahmen der neuen Steuergesetze erforderlichen Institu­ tionen und Umschichtung der Steuereinnahmenstruktur zugunsten der Umsatz- und Ein­ kommensteuer. ti - ty. Sukzessiver Abbau des Protektionismus. tj - 1 : Aufbau und Diversifikation des Kapitalmarktes (Börse etc.), Privatisierung (vor 4 allem in t2 -14). t : Herstellung vollständiger Konvertibilität, Auflösung der Holdinggesellschaft und der 4 Entwicklungsbank." (S. 165) Unter Bezug auf die Währungsreform von 1948 begreift LÖSCH (1990) die Trans­ formation als Prozeß aus drei Phasen: I. Gesetzlicher und institutioneller Aufbau: Aufbau eines zweistufigen Bankensystems* Reduzierung der Geldmenge durch Währungsreform, wobei Legalsystem und wettbe­ werbsgeeignete Mikrostruktur noch vorhanden waren. I I . Liberalisierung: Preisfreigabe, Liberalisierung der Außenwirtschaft, Einfuhrung der Konvertibilität der DM. I I I . Anpassungsphase der Preis-, Beschäftigungs- und Produktionsstruktur. Die Phase I braucht Zeit, weil Institutionen gesetzgeberisch vorbereitet und praktisch installiert werden müssen. Die Phase I I , die Liberalisierung könne als einziger Akt zeit­ punktbezogen durchgeführt werden. In der Phase I I I hätte die Transformation 1948 noch scheitern können, wenn es nicht gelungen wäre, die Ungleichgewichtstendenzen in den Griff zu bekommen. GENBERG (1992) bietet eine Aufarbeitung von Literatur im Hinblick auf die Schrittfol­ ge von Maßnahmen im Transformationsprozeß. Dabei hält er unter anderem folgende 77 Sequenzen fest: Die Preisreform muß der Unternehmensreform voran gehen. Eigentums­ rechte bezüglich der Maschinen und der Lagerbestände müssen vor einer Privatisierung staatlicher Firmen klar definiert werden. Vor der Preisliberalisierung müssen die Mono­ pole entflochten werden. Die Preisreform muß der Finanzreform vorhergehen. Zu Beginn der Reform muß ein soziales Netz geschaffen werden. Aus der Erfahrung von Entwicklungsländern ergeben sich folgende Sequenzen: Makroökonomische Stabilität ist eine Voraussetzung für die Liberalisierung. Hierzu sind oft restriktive finanzpolitische Maßnahmen nötig. Eine hohe Inflation reduziert den Informationsgehalt der Preise. Die Liberalisierung der Gütermärkte reduziert den Infor­ mationsgehalt der Preise. Die Liberalisierung der Gütermärkte muß der Liberalisierung der Finanzmärkte vorausgehen. Einerseits führen verzerrte Güterpreise zu verzerrten Preisen des Anlagevermögens. Andererseits kommt es zu großen Kapitalflüssen mit un­ erwünschten Konsequenzen für die Wechselkurse. Die Liberalisierung der Finanzmärkte setzt eine straffe Bankaufsicht voraus, diese wie­ derum erfordert entsprechendes Personal und Informationssysteme. Da letzteres in Ost­ europa fehlt, plädiert der Autor für die Beibehaltung einer zentralen Kontrolle über die Finanzsysteme. Gleichzeitig präferiert der Verfasser gegenüber graduellen Reformen deren schnellen Verlauf. NEWBERY (1992) geht davon aus, daß es wenig Sinn macht, Schrittfolge und Ge­ schwindigkeit der Transformation zu diskutieren, ohne die Ausgangsbedingungen und den präferierten Zielzustand der Wirtschaft zu identifizieren. Die unterschiedliche poli­ tische Situation erfordert unterschiedliche Prioritäten und Begrenzungen in jedem Land. Ebenso länderspezifisch ist das makroökonomische Ungleichgewicht, der Umfang der Auslandsschulden, die Inflationsrate, das Haushaltsdefizit sowie der Grad der inneren und äußeren Konvertibilität. Daher präsentiere die Debatte über graduelle oder rapide Transformation die Wahl in einer ahistorischen Form. Es mache mehr Sinn, die künftigen Folgen verfügbarer Maßnahmen zu betrachten, als einen Ablaufplan für die Reihenfolge der Maßnahmen zu entwerfen. Auch beinhalte der Zielzustand der Marktwirtschaft ein weites Spektrum möglicher Modelle. Ferner untersucht der Autor die Firmengrößen in verschiedenen Transformationsländern. Das Privateigentum verbessere die Effektivität wenig, wenn das Unternehmen ein Mono- 78 pol bleibt. Folglieh sei die Privatisierung weniger wichtig als die Marktstruktur. Daher müsse die Dekonzentration vor der Privatisierung erfolgen. Die MakroStabilisierung ist eine Voraussetzung für mikroökonomische Effekte, anderer­ seits sei sie ohne mikroökonomische Reformen qualvoll und möglicherweise auch nicht erfolgreich. Schließlich diskutiert der Verfasser das Steuersystem und das Management der Staats­ unternehmen während der Transformation, Er sieht die Gefahr, daß eine Verringerung der zentralen Kontrolle und eine erhöhte Dezentralisierung zu exzessiven Lohnerhöhun­ gen führt und damit die Überschußnachfrage der Wirtschaft gesteigert wird. Daher müssen Steuern für exzessive Lohnerhöhungen beibehalten werden. "Weak state ownership combined with a tax system designed for a market economy ... is likely to achieve the worst outcomes of both systems - little incentive for efficiency, and low returns to the owner (the state)." (S. 180) In seinem Kommentar zu NEWBERYs Paper argumentiert HINDS (1992) für die genau entgegengesetzte Sequenz: Die Privatisierung muß vor der Verbesserung der Markt­ struktur kommen. Die Marktkräfte funktionieren nicht, wenn nicht die meisten Firmen in der Wirtschaft in privaten Händen sind (KORNAIs (1990) Argument). Das Realproblem sei nicht die Firmengröße, sondern die Tatsache, daß die Unternehmen ständig auf Lohn­ erhöhungen drücken. Es gäbe niemanden in den Staatsunternehmen, der die Interessen des Kapitals verteidigt. Die Dekonzentration bzw. die Dezentralisierung sei genauso ineffizient und makroökonomisch noch instabiler, wie das jugoslawische Beispiel gezeigt habe. Das typische Verhalten sozialistischer Staatsunternehmen ändert sich nicht, wenn die Größe der Unternehmen verringert wird. "To go bankrupt, one first needs to own c a p i t a l ( S . 205) Der Kernprozeß sei daher die Schaffung eines starken Privatsektors, um einen Wettbewerbsmarkt zu etablieren. Hinsichtlich der Liberalisierung des Außenhandels argumentiert er, daß diese ein doppel­ seitiges Schwert sei. " I f premature, a full liberalization could backfire because the immense majority of the enterprises in these countries cannot stand open competition from abroad. A failure of practically all enterprises is something that the government cannot afford to have - excepting the case of the eastern region of Germany. For this reason, it seems to be advisable to carry out the trade liberalization in stages ... To avoid the collapse of the productive sectors, this could be coupled with an increase in tariffs, set at a uniform level/Then, the tariffs should be reduced, in accordance with a schedule, to OECD levels." (S. 209) 79 FISCHER und GELB (1990) stellen die makroökonomische Stabilisierung voran. Bald danach empfehlen sie eine Preisreform, die sich auf Weltmarktpreise stützt. Sie empfeh­ len eine Umstrukturierung der Unternehmen, bevor sie privatisiert werden. So lange nicht eine größere Zahl von Firmen privatisiert ist, müssen die Löhne kontrolliert werden. Die Reform der Finanzmärkte soll in späteren Phasen erfolgen. Gleichzeitig mit der MakroStabilisierung muß ein Netz sozialer Sicherung geschaffen werden. Ebenfalls von Anbeginn an soll die kleine Privatisierung und die Entwicklung des Privatsektors er­ folgen. Ihre Schrittfolge lautet also: 1. Stabilisieren, 2. die Gütermärkte liberalisieren und 3. die Finanzmärkte liberalisieren. HINDS (1990) sieht die Privatisierung als sine qua non an und betrachtet sie zusammen mit der monetären Stabilisierung als ersten Schritt der Reform. Eine Preisfreigabe sollte erst erfolgen, wenn ein großer Teil der Unternehmen in privaten Händen ist. Preisfrei­ gabe und Liberalisierung des Außenhandels sollten miteinander verbunden werden, um die Preise an den Weltmarktpreisen zu orientieren. Die Liberalisierung der Finanzmärkte wird als letzter Schritt der Transformation empfohlen. NUTI (1990) will erst die Bedingungen für den Wettbewerb auf den Inlandsmärkten schaffen, bevor der Außenhandel liberalisiert wird. Er schlägt folgende Schrittfolge vor: 1. Schaffung knappen Geldes und von Haushaltsdeziplin 2. Schaffung von markträumenden Gleichgewichten in existierenden Märkten 3. Schaffung von Wettbewerbsbedingungen 4. Ablösung von Unternehmens- und Produktsubventionen durch Einkommenssubven­ tionen 5. Zerschneiden der hierarchischen Beziehungen zwischen Unternehmen und der zentra­ len Verwaltung durch staatliche Holdings und durch Privatisierung 6. Graduelle Liberalisierung des Außenhandels 7. Übergang zur vollen Konvertibilität. 80 GENBERG (1992) hingegen will die erste Phase der Transformation mit einem breiten Spektrum von Maßnahmen beginnen: Stabilisierung, die sich auf die Abschaffung der Subventionen für Unternehmen stützt; Preisreform, die auf äußerer Konvertibilität basiert, um größeren Wettbewerb in der Wirtschaft zu induzieren; schnelle Privatisie­ rung; Liberalisierung des Außenhandels; Gewerbefreiheit; Schaffung eines sozialen Netzes. Auf spätere Phasen der Transformation verlegt er die Schaffung des Steuer­ systems, des Bankensystems und der Finanzmärkte. 6.6 Prognoseversuche Vorhersagen über den Zusammenbruch des sowjetischen Systems hat es schon sofort nach dessen Errichtung im Jahre 1917 gegeben. Berühmt geworden ist die Analyse von MISES (1921, 1932), der die Unmöglichkeit einer exakten Wirtschaftsrechung im Sozia­ lismus nachgewiesen hat und daraus ineffiziente Investitionen und den Verfäll der wirt­ schaftlichen Substanz in einem längeren Zeitraum ableitete. Zwar haben mehrere Auto­ ren, vor allem BARONE und LANGE, in ihrer Entgegnung die theoretische Möglichkeit einer Wirtschaftsrechnung im Sozialismus nachgewiesen. Die Voraussetzungen dieses theoretischen Modells, insbesondere die an der Grenznutzenlehre orientierte flexible Preisbildung, sind jedoch nie in den sozialistischen Staaten realisiert worden. Wir wissen heute, daß die Analyse von MISES und seine Schlußfolgerungen empirisch zutreffend gewesen sind. Seit den achtziger Jahren sind erneut geopolitisch argumentierende Vorhersagen von Sozialwissenschaftlern über den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums gemacht worden (COLLINS 1980, KENNEDY 1987). Auch diese Vorhersagen sind inzwischen weitgehend bestätigt worden. Allen genannten Vorhersagen ist jedoch gemeinsam, daß sie sich auf qualitative Argu­ mente stützten und keine Vorhersage über den Zeitpunkt des Zusammenbruchs machten. Auch erklären sie nicht, warum das sowjetische Wirtschaftssystem über einen so langen Zeitraum funktioniert hat und Erfolge bei der Modernisierung im Sinne der Industrialisie­ rung zeitigte. Relativ jüngeren Datums sind systemdynamische und/öder ökonometrische mathema­ tische Modelle, die bedingte Prognosen mit Hilfe von Szenarien über die Entwicklung planwirtschaftlicher Systeme bzw. deren Transformation gestatten. Bei Simulationsrech- 81 nungen, die MATTHES und SCHWARZ im Jahre 1982 mit einem systemdynamischen Modell der DDR-Volkswirtschaft für eine Periode von 30 Jahren durchgeführt haben, ergaben sich ab 1985 wachsende Defizite im Nettoproduktaufkommen der DDR. Das traf allerdings nur für ein Szenarium zu, bei dem sich der beobachtete Trend sinkender Kapitalproduktivität des neuen Anlagevermögens weiterhin fortsetzte (KOZIOLEK, MATTHES und SCHWARZ, 1988). Ökonometrische Modelle für die polnische Volkswirtschaft hat WELFE entwickelt. Die für eine sozialistische Volkswirtschaft erarbeitete Modellversion (WELFE 1985) konnte nach Modifikation vieler Gleichungen und Erweiterung des Finanzsektors auch für Vor­ ausberechnungen der polnischen Volkswirtschaft im Transformationsprozeß genützt werden. WELFE (1992) beschreibt die dazu notwendigen Veränderungen der Modell­ version. Die Szenarioanalyse mit Hilfe dieser Modellversion aus dem Jahre 1990 be­ schreibt die tiefe Rezession der polnischen Volkswirtschaft seit 1989 und umfaßt Vor­ ausberechnungen bis zum Jahre 1995. Danach setzt sich die Rezession bis zum Jahre 1991 fort, wobei sich die Wirtschaft bis zum Jahre 1995 nicht vollständig erholt. Szena­ rien wurden sowohl für die Angebotversion des Modells, als auch für die Nachfragever­ sion des Modells entwickelt. Erstere setzen eine aktive Industriepolitik voraus, welche attraktive Bedingungen für private und öffentliche Investoren schafft. Letztere benutzen lediglich finanz- und geldpolitische Instrumentarien. An dieser Modellversion ist interes­ sant, daß einige makroökonomische Zusammenhänge gegenüber der Transformation der Wirtschaft invariant sind, andere jedoch in der gleichen Modellversion im Einklang mit den Veränderungen im Transformationsprozeß modifiziert werden können. Andererseits beabsichtigen die Autoren, die Modellversion selbst grundlegend zu verändern, um die Marktsignale, diefinanziellen_Begrenzungensowie die finanz- und geldpolitischen Maß­ nahmen besser zu erfassen. Die Spezifikation eines neuen Gleichungssystems wird ein längerer Prozeß sein. Der Autor bemerkt jedoch, daß die Deregulierung des staatlichen Sektors in Polen ebenfalls ein längerer Prozeß ist und daß sich die Marktmechanismen nur graduell durchsetzen werden. Für die Analyse des Transformationsprozesses gruppe ein einsektorales, systemdynamisches in Ostdeutschland hat eine Forscher­ Ungleichgewichtsmodell erarbeitet (BIEBLER et al. 1992). Obwohl es als Makromodell für die DDR konzipiert war, gestat­ tet es interessante Aussagen über den Transformationsprozeß. Da es allgemeine Zusam­ menhänge ökonomischer Kreislaufprozesse abbildet, sehen es die Autoren als invariant gegenüber der spezifischen planwirtschaftlichen oder marktwirtschaftlichen Struktur einer Wirtschaft an. Es handelt sich um ein regionales Modell, daß die frühere DDR als autonome ökonomische Einheit erfaßt. Das Anlagevermögen und die Produktivitätslücke 82 zu Westdeutschland spielen eine zentrale Rolle im Modell. Dem entsprechend bauen die vier Szenarien der Autoren auf unterschiedlichen Annahmen über Investitionen und die Rate der Fabrikschließungen in Ostdeutschland auf. Szenario I nimmt eine Liquidations­ rate von 25 % und eine Verdoppelung der Investitionen gegenüber dem Niveau von 1988 und 1989 an. Im Szenario I V wird das Niveau von 1989 gehalten und eine Liqui­ dationsrate von 40 % angenommen. Die übrigen beiden Szenarien liegen in ihren An­ nahmen zwischen diesen Extremfällen. Alle Szenarien ergeben, daß ein kurzfristiger Auf­ schwung nicht möglich ist. Ebenso sagen alle ein wachsendes Defizit der öffentlichen Haushalte in Ostdeutschland voraus. In Szenario I fällt die Beschäftigung von fast 8 Mil­ lionen Menschen 1990 auf 4,3 Millionen im Jahre 1992. Ab 1993 wächst das Brutto­ sozialprodukt und erreicht 1995 125 % des Niveaus von 1990. Die Arbeitsproduktivität steigt und erreicht 1995 62 % des Niveaus von Westdeutschland. Das Haushaltsdefizit wächst beständig bis auf 136 Milliarden D M im Jahre 1995. Im Szenario I V fällt die Beschäftigung von 8 Millionen Menschen im Jahre 1990 auf 3,3 Millionen im Jahre 1992 und steigt dann bis auf 3,6 Millionen im Jahre 1995 wieder an. Ab 1993 wächst auch das Bruttosozialprodukt und erreicht 1995 87 % des Niveaus von 1990. Das Haushaltsdefizit erhöht sich bis auf 182 Milliarden D M im Jahre 1995 und der Produktivitätsrückstand beträgt in diesem Jahr 59 % des Niveaus von Westdeutschland. Trotz einiger Modellvereinfachungen gehen die Autoren davon aus, daß wesentliche makroökonomische Zusammenhänge des Transformationsprozesses mit einem system­ dynamischen Modell erfaßt werden können. Die von ihnen vorausberechneten Werte kommen jedenfalls der Wirklichkeit näher als manch andere ad-hoc-Schätzungen. EBERWEIN und GROENEN (1992) untersuchen verschiedene mathematische Modeile zur Erfassung politischen Wandels im Hinblick auf ihre Eignung für die heutigen Trans­ formationsprozesse in Osteuropa. Vorhandene dynamische Makromodelle nehmen meist an, daß die grundlegende Systemstruktur unverändert bleibt. Der Zusammenbruch eines politischen Systems und der Aufbau eines neuen werde bisher nicht berücksichtigt. Auch die vorhandenen Mikromodelle seien unzureichend. Dennoch sind Simulationsmodelle ein unverzichtbares Instrument für die Theoriebildung auf dem Gebiet des Wandels poli­ tischer Systeme. "Simply adapting the existing models is not enough. The crucial task consists of identifying the central theoretical and methodological issues first before even considering the improvement of existing models." (S. 54) Es wird vorgeschlagen, die verfügbaren Modelle schrittweise zu verbessern, 83 JELLEMA (1992) bietet eine kritische Analyse zahlreicher makroökonomischer Modelle und leitet daraus Schlußfolgerungen und Anforderungen an die Modellierung des Trans­ formationsprozesses ab. Er unterscheidet zwischen Modellen vor der Transformation, welche die Planwirtschaft beschreiben, Modellen während der Transformation und Modellen nach der Transformation. Dabei geht er davon aus, daß ein Verständnis der planwirtschaftlichen Periode wesentlich für das Verständnis des Transformationsprozes­ ses ist. Er stellt fest, daß Privatisierungsprozesse außerhalb der Reichweite der meisten existierenden, empirischen und theoretischen Makromodelle liegen. Hinsichtlich der Nach-Transformations-Modelle bemerkt er, daß sie bestimmte ökonomische Transfor­ mationen voraussetzen und deshalb spekulativ sind, weil Ergebnisse der Modellrechnun­ gen und Szenario-Annahmen nicht getrennt werden können. Der Autor unterscheidet bei der Transformation eine Stabilisierungsphase und eine nachfolgende Transforma­ tionsphase, in der die ökonomische Struktur verändert und das Privateigentum eingeführt wird. Der Verfasser meint einerseits, daß wegen der begrenzten Datenbasis die Modellierung ökonomischer Transformationsprozesse eine Sache der Simulation bleiben wird. Gleich­ zeitig bevorzugt er analytische Modelle gegenüber Simulationsmodellen vor allem im Hinblick auf ihre Funktion für die Theoriebildung. "Scenario models have an advantage over analytical models in that they conveniently provide policy makers with urgently needed, albeit unreliable, figures." (S. 118) 84 Literaturverzeichnis ABELSHAUSER, W. (1983): Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Frankfurt/M.: Suhrkamp ABELSHAUSER, W. (1993): "Erhards Illusion. 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