Grundke, Peter

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Berichte
Kreditportfoliorisikomodelle – Ein geeignetes Instrumentarium zur aufsichtsrechtlichen Erfassung von Ausfallrisiken?
von Dipl.-Math. Dipl.-Kfm. Peter Grundke 1
Gliederung
1
Einleitung
2
Kreditportfoliorisikomodelle
3
4
2.1
Ziele und Einsatzmöglichkeiten
2.2
Darstellung der Modelle CreditMetrics™ und CreditPortfolioView™
2.3
Modellunterschiede
Verwendung von Portfoliomodellen zur Regulierung der Übernahme von
Kreditrisiken
3.1
Problem: Fehlende Datenbasis
3.2
Problem: Mangelnde Möglichkeiten zur Modellvalidierung
3.3
Problem: Fehlanreize
Fazit
Abstract
In Kreisen der Bankenaufsicht wird in zunehmenden Maße der Einsatz von
Portfoliomodellen zur Regulierung der Übernahme von Kreditrisiken durch Banken diskutiert. Derartige Modelle messen Kreditrisiken auf Portfolioebene und
berücksichtigen dabei stochastische Abhängigkeiten zwischen den Bonitätszustandsänderungen der Kreditnehmer. Der Verfasser stellt zwei kommerziell
vertriebene Kreditportfoliorisikomodelle, CreditMetrics™ und CreditPortfolioView™, anhand von Ablaufdiagrammen dar und beschreibt die wichtigsten Modellunterschiede. Auf der Basis dieses Vergleiches werden gravierende Probleme diskutiert, die einer Verwendung der Modelle zu Regulierungszwecken
derzeit im Wege stehen.
1
Der Verfasser dankt Herrn Prof. Dr. Thomas Hartmann-Wendels, Herrn Dipl.-Kfm. Wolfgang Spörk, M.I.M. (USA) und Herrn Professor Dr. Hartmut Schmidt für wertvolle Anmerkungen. Der vorliegende Beitrag wurde in unveränderter Form unter dem Titel „Kreditrisikomodelle und Regulierung“ in der Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (12. Jg.,
April 2000, S. 101-112) abgedruckt.
76
1
Einleitung
Gegenstand der bankaufsichtsrechtlichen Diskussion ist derzeit die Überarbeitung der Basler Eigenkapitalübereinkunft von 1988. Hierzu hat der Basler Ausschuß für Bankenaufsicht im Juni 1999 ein Konsultationspapier veröffentlicht, in
dem verschiedene Vorschläge für ein verbessertes Konzept zur Eigenmittelregelung den Marktteilnehmern zur Diskussion gestellt werden. 2 Es wird unter
anderem angeregt, die bisherigen Standardverfahren zur Ermittlung der zur
Unterlegung von Kreditrisiken erforderlichen Eigenmittel 3 dahingehend zu verfeinern, daß die individuelle Bonität der Schuldner in stärkerem Maße berücksichtigt wird. Dies könnte durch teilweise Berücksichtigung externer und interner
Ratings anstelle der derzeit im Rahmen der Ermittlung der RisikoaktivaAnrechnungsbeträge verwendeten pauschalen Bonitätsgewichtungsfaktoren
gewährleistet werden. Der Einsatz von Modellen zu Regulierungszwecken, die
Kreditrisiken4 auf Portfolioebene messen, wurde den Banken dagegen nicht in
Aussicht gestellt. Derartige Modelle ermöglichen die Erfassung stochastischer
Abhängigkeiten zwischen den Bonitätszustandsänderungen der Schuldner und
deren Berücksichtigung bei der Bestimmung der aufsichtsrechtlich erforderlichen Eigenmittel. Hier ergibt sich nun die Frage, warum es nicht möglich sein
sollte, in naher Zukunft auch für den Kreditrisikobereich ein Analogon zu den
seit der 6. KWG-Novelle (1998) in Deutschland zulässigen internen Risikomodellen für Marktrisikopositionen zu schaffen. 5 Der Basler Ausschuß selbst verweist hier auf einen im April 1999 veröffentlichten Bericht, in dem die derzeit
von Banken eingesetzten und zum Teil kommerziell angebotenen Kreditportfoliorisikomodelle beschrieben und auf ihre Eignung zur bankaufsichtsrechtlichen
Risikobegrenzung hin analysiert werden. 6 Als zentrale Hindernisse für ihren
Einsatz zur Ermittlung der erforderlichen Eigenmittel zur Unterlegung von Kreditrisiken werden zum einen fehlende historische Datenreihen zur Schätzung
der Parameter der Modelle und zum anderen die mit dem verhältnismäßig langen Zeithorizont von Kreditrisikomodellen verbundenen Schwierigkeiten der
Modellvalidierung identifiziert.
Im folgenden werden die Annahmen und die grundlegenden Funktionsweisen
von zwei wichtigen Modellen (CreditMetrics™ und CreditPortfolioView™) im
Rahmen eines schematischen Ablaufdiagramms vorgestellt und die wesentlichen Modellunterschiede herausgearbeitet. Hieran anschließend werden die
2
3
4
5
6
Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999b).
Kreditrisiken des Anlagebuches werden mit haftendem Eigenkapital unterlegt, die des
Handelsbuches mit Eigenmitteln. Da das haftende Eigenkapital Bestandteil der Eigenmittel ist, wird im folgenden durchgängig der Begriff Eigenmittel verwendet.
Unter dem Begriff „Kreditrisiko“ wird im folgenden sowohl das reine Ausfallrisiko, also die
Gefahr, daß ein Kreditnehmer seinen vertraglich vereinbarten Zahlungsverpflichtungen
(Tilgung, Zinsen, Gebühren etc.) nicht oder nicht vollständig nachkommt, verstanden, als
auch das Bonitätsrisiko, also die Gefahr von Marktwertverlusten von kreditsensitiven Finanztiteln aufgrund einer Verschlechterung des Bonitätszustandes des Kreditnehmers.
Vgl. Grundsatz I über die Eigenmittel und die Liquidität der Institute, 7. Abschnitt.
Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999a).
77
potentiellen Einsatzmöglichkeiten dieser beiden Modelle zur Regulierung von
Kreditrisiken und insbesondere ihre diesbezüglichen Schwächen diskutiert.
2
Kreditportfoliorisikomodelle
2.1
Ziele und Einsatzmöglichkeiten
Von Banken eigenständig entwickelte oder kommerziell angebotene Modelle
zur Erfassung von Kreditrisiken auf Portfolioebene sind auf vielfältige Art und
Weise im Rahmen des Risikomanagements, der Gesamtbanksteuerung oder
der risikogestützten Preisgestaltung von Banken einsetzbar.7 Ausgangspunkt
dieser Einsatzmöglichkeiten und damit notwendiger Output aller Kreditrisikomodelle ist die hinreichend exakte Quantifizierung des Portfoliorisikos in Form von
Risikokennzahlen unter Berücksichtigung von Diversifikationseffekten. Zentrales Kennzeichen aller Kreditrisikomodelle ist somit die Erfassung von Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen (Ratingklassenwechsel oder
Ausfall) verschiedener Schuldner des Bankkreditportfolios bei der Bestimmung
der Wahrscheinlichkeit für Wertveränderungen des Portfolios. Aus der Portfoliotheorie ist seit den Arbeiten von Markowitz bekannt, daß außer im Falle einer
vollständig positiven Korrelation aller Schuldner durch eine geeignete Mischung
der im Portfolio enthaltenen Titel eine Risikoreduzierung bewirkt werden kann. 8
Bei der Bestimmung des Risikogehaltes eines Portfolios wird im Rahmen der
Kreditrisikomodelle also berücksichtigt, „wie gut“ die Mischung der Kreditnehmer einer Bank ist. Typische Risikokennzahlen sind hierbei die Standardabweichung und die Value-at-Risk (VaR)-Kennzahl. 9 Der VaR-Wert gibt den Betrag
der Wertminderung des Kreditportfolios an, der mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb eines festgelegten Zeitraumes nicht überschritten
wird.10 Durch die Erfassung der Korrelationen ist es insbesondere möglich, den
Einfluß von sog. Klumpenrisiken11 auf den Risikogehalt von Kreditportfolios zu
messen. Die aus der Quantifizierung des Kreditportfoliorisikos gewonnenen Erkenntnisse können anschließend zu einem aktiven Portfoliomanagement (z.B.
7
8
9
10
11
Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999a, S. 1).
Vgl. Markowitz (1952).
Die Rendite eines Kreditportfolios ist typischerweise asymmetrisch verteilt, weil eine große Wahrscheinlichkeit für eine (relativ) geringe positive Rendite besteht, verbunden mit
einer (relativ) geringen Wahrscheinlichkeit, einen großen Teil des Kreditbetrages zu verlieren und damit eine hohe negative Rendite zu erzielen. Aufgrund der Schiefe der Verteilung kann der maximale Gewinn beispielsweise nur eine Standardabweichung, der
maximale Verlust dagegen mehrere Standardabweichungen vom Erwartungswert entfernt liegen. Somit wäre die Standardabweichung alleine keine geeignete Kennzahl, um
eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit von extremen Verlusten in einem Kreditportfolio zu treffen.
Vgl. Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber (1999, S. 330f.).
Von Klumpenrisiken wird gesprochen, wenn ein Portfolio entweder einzelne Kreditnehmer mit sehr großen Kreditbeträgen oder viele einzelne Schuldner mit einer sehr hohen
positiven Korrelation (z.B. weil sie in der gleichen Branche tätig sind) enthält.
78
durch den Einsatz von Kreditderivaten oder Asset-Backed-Securities) oder zu
einer risikoangepaßten Margenbestimmung genutzt werden. 12
2.2
Darstellung der Modelle CreditMetrics™ und CreditPortfolioView™
Im folgenden werden zwei kommerziell angebotene Kreditrisikomodelle in Form
von schematischen Darstellungen beschrieben (siehe Abbildungen 1 und 2):
das von JP Morgan entwickelte Modell CreditMetrics, das 1997 veröffentlicht
worden ist, und das im Jahr darauf erschienene Modell CreditPortfolioView von
McKinsey&Company.13
Zu beachten ist hierbei, daß es sich um schematische Abbildungen der Modellfunktionsweisen handelt, die somit nicht sämtliche Spezialfälle der Modelle
berücksichtigen, sondern nur deren grundlegenden Aufbau erklären sollen. Es
wird insbesondere nicht darauf eingegangen, wie die Neubewertung am Risikohorizont für solche Finanztitel erfolgt, deren Wert neben der Bonität des Emittenten auch von der Entwicklung bestimmter Marktfaktoren, wie z.B. Zinssätzen
oder Wechselkursen, abhängt. Bei derartigen Titeln schwankt die Höhe des
Engagements (Exposure) im Zeitablauf.14 Die Darstellung der Neubewertung
von Titeln in Abbildung 1 durch Diskontierung der zukünftigen Rückflüsse (Cash
Flows) mit ratingklassenabhängigen Terminzinssätzen (Forward Rates) entspricht dem einfachsten Fall von Krediten oder Anleihen. Bei diesen Titeln liegt
die Höhe der nominalen Zahlungen bereits bei Vertragsabschluß fest.15 Des
weiteren werden auch die angewendeten Verfahren der Monte-Carlo–Simulation nicht detailliert erläutert.
Einer der schwierigsten Schritte beim Verständnis des Modells CreditMetrics ist
sicherlich der Teil, in dem die gemeinsamen Eintrittswahrscheinlichkeiten für die
Bonitätszustandskombinationen der im Portfolio enthalten Titel unter Berück-
12
13
14
15
Zur Berücksichtigung von Portfolioeffekten bei der Bewertung vgl. HartmannWendels/Pfingsten/Weber (1999, S. 554ff., S. 587ff.). Zu weiteren, bei einer Marktumfrage durch die BIZ festgestellten Einsatzmöglichkeiten von Kreditriskomodellen vgl. Basel
Committee on Banking Supervision (1999a, S. 9f.).
Andere bekannte kommerzielle Kreditrisikomodelle sind beispielsweise CreditRisk+™
von Credit Suisse Financial Products (CSFP) oder PortfolioManager™ von KMV. Hi nsichtlich weiterer vergleichender Literatur siehe z.B. Crouhy/Galai/Mark (2000), Gordy
(2000), Henn/Wegmann (1998), Koyluoglu/Hickman (1998), Lehrbaß (1999), Saunders
(1999), Wahrenburg/Niethen (1999).
Typische Beispiele für diese Art von Titeln sind Derivate wie Swaps, Forwards oder Optionen. Bei diesen Produkten tritt bei einer Bonitätszustandsverschlechterung des Kontraktpartners nur dann ein Verlust ein, wenn der Titel aus Sicht der Bank „im Geld“ ist
(vgl. JP Morgan (1997, S. 47ff.)).
Strenggenommen schwankt auch bei Krediten und Anleihen (in Marktwerten gemessen)
die Höhe des Engagements in Abhängigkeit vom Marktfaktor „risikoloser Zinssatz“. Dieser Einfluß wird jedoch bei Krediten und Anleihen im Modell nicht berücksichtigt. Vernachlässigt wird auch der Einfluß von schwankenden Spreads je Ratingklasse auf den
Marktwert von Krediten und Anleihen. Bei diesen Titeln werden lediglich Wertveränderungen am Risikohorizont aufgrund von Bonitätszustandsänderungen erfaßt.
79
sichtigung der paarweisen Korrelationen berechnet werden. Daher wird dieser
Teil des Ablaufdiagramms in Abbildung 1 im folgenden näher erläutert.16
Da es im allgemeinen problematisch ist, gemeinsame Eintrittwahrscheinlichkeiten direkt zu schätzen17, wird im Modell CreditMetrics ein indirekter Ansatz
gewählt. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die Überlegung, daß letztlich der
Wert der Aktiva eines Unternehmens darüber entscheidet, ob ein Unternehmen
seine Verbindlichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt begleichen kann. Ist zu
diesem Zeitpunkt, dem Risikohorizont, der Wert der Aktiva geringer als der
Fremdkapitalrückzahlungsbetrag, so kommt es zu einem teilweisen Ausfall des
Fremdkapitals in Höhe der Differenz der beiden Beträge. 18 Demnach besteht
ein Zusammenhang zwischen den beiden Bonitätszuständen „Ausfall“ und
„Kein Ausfall“ und dem zugehörigen Unternehmensaktivawert. In CreditMetrics
wird dieser Gedanke weitergeführt und ein Zusammenhang zwischen allen
möglichen Bonitätszuständen (Ratings und Ausfall19) und der Unternehmensaktivarendite hergestellt. Im ersten Schritt (vgl. Abbildung 1) werden diejenigen
Intervalle von Aktivarenditen gesucht, die mit bestimmten Bonitätszuständen
korrespondieren. Hierbei wird angenommen, daß die (stetige) Aktivarendite eine normalverteilte Zufallsvariable ist.20 Die Transformation der möglichen Bonitätszustände am Risikohorizont (ausgehend von einem bestimmten Bonitätszustand im Betrachtungszeitpunkt t=0) in entsprechende Renditeintervalle erfolgt
mittels der Wahrscheinlichkeiten aus der zum Ausgangsbonitätszustand gehörenden Zeile der Übergangsmatrix. Zunächst wird diejenige Renditegrenze RI
bestimmt, bei deren Unterschreitung ein Ausfall (schlechtester Bonitätszustand
I) am Risikohorizont erfolgt. Dies ist der Wert, für den gilt, daß links von ihm
genau die Wahrscheinlichkeitsmasse liegt, die der aus der Übergangsmatrix
abgelesenen Ausfallwahrscheinlichkeit (für den betrachteten Ausgangsbonitätszustand) entspricht. Dieser Wert kann mit Hilfe der Umkehrfunktion F-1 der
Standardnormalverteilung berechnet werden. Dann wird diejenige Renditegrenze RI-1 bestimmt,21 bei deren Unterschreitung das Unternehmen sich am Risiko16
17
18
19
20
21
Vgl. JP Morgan (1997, S. 85ff.).
Vgl. JP Morgan (1997, S. 83ff.).
Dies ist die Grundidee des Modells von Merton (1974) zur Bewertung von ausfallbedrohten Fremdkapitaltiteln.
Wird beispielsweise die Skala für langfristige Ratings der Agentur Standard&Poor’s
(S&P) zu Grunde gelegt (ohne Ratingmodifikationen durch Plus- und Minuszeichen), so
sind dies die Ratingklassen AAA, AA, A, BBB, BB, B, CCC, CC, C und D. Finanztitel und
Emittenten mit der höchsten Bonität erhalten das Rating AAA, wohingegen das Rating D
erteilt wird, wenn ein Zahlungsverzug eingetreten ist oder der Schuldner das Insolvenzverfahren angemeldet hat.
Dies entspricht der Modellannahme in Merton (1974), die auch in zahlreichen Erweiterungen dieses sog. „Unternehmenswertansatzes“ zur Bewertung ausfallbedrohter Finanztitel aufgegriffen wurde. Es läßt sich zeigen, daß für die Unternehmensaktivarendite
ohne Beschränkung der Allgemeinheit eine Standardnormalverteilung zu Grunde gelegt
werden kann (vgl. JP Morgan (1997, Kapitel 8.4)).
Hierbei wird folgende Zählweise verwendet: die Zahl I bezeichnet den schlechtesten Bonitätszustand (bei S&P entspräche dies dem Rating D; aufgrund der zehn Ratingkategorien bei S&P würde also gelten I=10), I-1 steht für den zweitschlechtesten Bonitätszustand (bei S&P wäre dies C), I-2 steht für den drittschlechtesten Bonitätszustand (bei
S&P wäre dies CC) usw.
80
horizont in dem zweitschlechtesten oder schlechtesten Bonitätszustand befindet. Diese Grenze ergibt sich durch die folgende Überlegung: Die Wahrscheinlichkeit, daß sich das Unternehmen am Risikohorizont im zweitschlechtesten
Bonitätszustand I-1 befinden wird (diese kann aus der Übergangsmatrix abgelesen werden) muß der Wahrscheinlichkeit entsprechen, daß die Aktivarendite
größer als die zuvor ermittelte Ausfallgrenze RI und kleiner als die gesuchte
Grenze RI-1 ist. Da in dieser Gleichung alle Werte bis auf die Renditegrenze RI-1
bekannt sind, kann diese wiederum mit Hilfe der Umkehrfunktion F-1 der Standardnormalverteilung berechnet werden. Dieses Verfahren wird iterativ fortgesetzt, bis alle Renditegrenzen bestimmt sind. 22
Im zweiten Schritt werden nun die Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen der im Portfolio enthaltenen Schuldner integriert. Hierzu wird
angenommen, daß die Unternehmensaktivarenditen aller Schuldner multivariat
normalverteilt sind. Da zur Spezifizierung der multivariaten Normalverteilung die
paarweisen Korrelationen der Aktivarenditen benötigt werden, diese jedoch im
allgemeinen nicht ohne weiteres bestimmbar sind, werden als Näherung für
diese die Korrelationen von Aktienrenditen verwendet.23 Würden für alle
Schuldner des Portfolios Aktienkurszeitreihen vorliegen, so könnte individuell
für jedes Schuldnerpaar die Korrelation der Aktienrenditen ermittelt werden. Da
dies in der Realität jedoch nicht der Fall ist, werden in CreditMetrics die Korrelationen der Renditen von Aktienindizes, die bestimmte Länder und Branchen
repräsentieren, verwendet. Werden dann noch die Anteile der Geschäftstätigkeit der Schuldner an diesen Ländern und Branchen sowie der Anteil des unsystematischen Renditerisikos 24 bestimmt, so können mit Hilfe dieser Werte die
paarweisen Korrelationen der Aktienrenditen ermittelt werden.
Im dritten Schritt werden schließlich die (letztlich gesuchten) gemeinsamen
Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Bonitätszustandskombinationen der im
Kreditportfolio enthaltenen Titel berechnet. Hierzu wird die jeweils betrachtete
Bonitätszustandskombination in die im ersten Schritt ermittelten Intervalle für
Unternehmensaktivarenditen „übersetzt“. Über diese Intervalle wird dann die
Dichtefunktion der im zweiten Schritt bestimmten multivariaten Normalverteilung
integriert. Das Ergebnis entspricht der gemeinsamen Wahrscheinlichkeit für
eine bestimmte Bonitätszustandskombination am Risikohorizont.
Das oben beschriebene Verfahren weist den Nachteil auf, daß bereits bei einem relativ kleinen Portfolio die Anzahl der möglichen Bonitätszustandskombinationen sehr groß wird. 25 Für jede dieser Kombinationen müßte eine Neubewertung des Portfolios am Risikohorizont erfolgen und die gemeinsame Ein-
22
23
24
25
Die Transformation der Bonitätszustände am Risikohorizont in Intervalle von Unternehmensaktivarenditen muß für jeden Ausgangsbonitätszustand durchgeführt werden.
Alternativ kann der Anwender auch eine für alle Schuldnerpaare konstante paarweise
Korrelation der Unternehmensaktivarenditen unterstellen.
Die Festlegung der Höhe des Anteils des unsystematischen Renditerisikos unterliegt der
subjektiven Bewertung des Anwenders (vgl. Jackson/Perraudin (2000, S. 5)).
Bezeichnet S die Anzahl der möglichen Bonitätszustände und N die Anzahl der Titel im
Kreditportfolio, so sind SN Bonitätszustandskombinationen möglich.
81
trittswahrscheinlichkeit bestimmt werden. Hierzu muß jeweils das Integral über
eine multivariate Normalverteilung numerisch berechnet werden (vgl. dritter
Schritt), deren Dimension der Anzahl der im Portfolio enthaltenen Titel entspricht. Da diese Vorgehensweise zu aufwendig wäre, ist es notwendig, mit
Hilfe einer Stichprobe eine zufällige Menge der möglichen Bonitätszustandskombinationen am Risikohorizont auszuwählen. 26 Diese zufällige Auswahl erfolgt, indem Vektoren von korrelierten normalverteilten Zufallszahlen gezogen
werden. Die Dimension des Vektors ist gleich der Anzahl der im Portfolio enthaltenen Titel und der Ziehung liegt die im zweiten Schritt ermittelte multivariate
Normalverteilung der Aktivarenditen zu Grunde. 27 Die so ermittelten zufälligen
Vektoren von Unternehmensaktivarenditen werden dann mit Hilfe der im ersten
Schritt berechneten Renditeintervalle in die zugehörigen Bonitätszustandskombinationen transformiert. Für diese erfolgt eine Neubewertung des Kreditportfolios am Risikohorizont. Die Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Bonitätszustandskombinationen und damit für bestimmte Ausprägungen des Kreditportfoliowertes am Risikohorizont ergeben sich im Rahmen des Simulationsansatzes
als relative Häufigkeiten der aufgetretenen Werte.28
26
27
28
Eine Beispielrechnung zur Simulation der Bonitätszustandskombinationen findet sich in
Lesko/Vorgrimler (1999). Zum Simulationsansatz vgl. außerdem JP Morgan (1997, Kapitel 10).
Genauer gesagt, werden zunächst unkorrelierte standardnormalverteilte Zufallszahlen
gezogen und dann die paarweisen Korrelationen der Unternehmensaktivarenditen über
die sog. Cholesky-Zerlegung berücksichtigt (vgl. Lesko/Vorgrimler (1999, S. 33) sowie
Abbildung 2 zum Modell CreditPortfolioView).
Dies bedeutet, daß der dritte Schritt, also die numerische Integration der Dichtefunktion
einer multivariaten Normalverteilung zur Bestimmung der gemeinsamen Eintrittswahrscheinlichkeiten, bei der Monte-Carlo-Simulation entfällt.
82
Abbildung 1: CreditMetrics™ - eine schematische Darstellung29
29
Vgl. auch Heidorn (1999), JP Morgan (1997), Schulte-Mattler/Stausberg (1998),
Schwicht/Neske (1997).
83
84
Abbildung 2: CreditPortfolioView™ - eine schematische Darstellung 30
30
Vgl. McKinsey&Co (1998), Wilson (1997a, b).
85
86
2.3
Modellunterschiede
Beide vorgestellten Modelle ermöglichen die Berechnung der Wahrscheinlichkeitsverteilung für den Kreditportfoliowert am Ende eines vorgegebenen Zeitraumes und damit die Ermittlung von Risikokennzahlen, wie z.B. der Standardabweichung oder α-Quantilen. In beiden Modellen werden hierzu Monte-CarloSimulationsverfahren eingesetzt. Weiterhin können in beiden Modellen Wertänderungen der Portfoliopositionen aufgrund von Bonitätszustandsänderungen,
die sowohl Ratingveränderungen als auch Ausfälle umfassen, berücksichtigt
werden. 31 Um dies zu gewährleisten, benötigen die Modelle vollständige Übergangsmatrizen. Während jedoch CreditMetrics mit durchschnittlichen, also vom
aktuellen Stand der Wirtschaft unabhängigen Übergangsmatrizen arbeitet, werden bei CreditPortfolioView auf die aktuelle wirtschaftliche Lage konditionierte,
segmentspezifische Übergangsmatrizen verwendet.
Ein weiterer zentraler Unterschied zwischen den Modellen besteht in der Berücksichtigung von Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen
der im Portfolio enthaltenen Schuldner: Bei CreditMetrics wird der Anteil der
Geschäftstätigkeit der Schuldner an bestimmten Branchen und Ländern bestimmt und dann die paarweise Korrelation der Aktienrenditen der Schuldner
über die entsprechende Gewichtung der Korrelationen der diese Länder und
Branchen repräsentierenden Aktienindizes berechnet. Diese Werte werden
dann als Näherung für die Korrelationen der Aktivarenditen der Schuldner verwendet und gehen in die multivariate Normalverteilung ein, die annahmegemäß
die Stochastik der stetigen Aktivarenditen aller Schuldner beschreibt. Mit Hilfe
dieser multivariaten Normalverteilung können dann die gemeinsamen (unter
Berücksichtigung der bestehenden Korrelationen) Eintrittswahrscheinlichkeiten
für die Bonitätszustandskombinationen berechnet werden, die im nächsten
Schritt in die Ermittlung der Portfoliowertverteilung eingehen. Im Modell CreditPortfolioView werden dagegen Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen der im Portfolio enthaltenen Schuldner durch die Abhängigkeit von
denselben makroökonomischen Faktoren sowie durch die Korrelationen der
faktor- und segmentspezifischen Störgrößen erfaßt. Über die Abhängigkeit von
denselben makroökonomischen Faktoren und die Korrelation der Störgrößen
sind auch die segmentspezifischen, makroökonomischen Indexwerte yj,t und
damit auch die segmentspezifischen, konditionierten Ausfallwahrscheinlichkeiten pj,t miteinander korreliert. Da vom Verhältnis zwischen den konditionierten
Ausfallwahrscheinlichkeiten pj,t zu den durchschnittlichen Ausfallwahrschein-
31
Vgl. auch Henn/Wegmann (1998, S. 100f.). Im Modell CreditRisk+ von CSFP beispielsweise werden dagegen nur Wertänderungen der im Portfolio enthaltenen Titel aufgrund
möglicher Ausfälle berücksichtigt und die Verlustverteilung des Portfolios analytisch bestimmt, wodurch der durch eine Simulation entstehende Rechenaufwand vermieden wird.
87
lichkeiten wiederum über den Verschiebungsoperator32 auch die Ausprägung
der auf den aktuellen Stand der Wirtschaft konditionierten, segmentspezifischen
Übergangswahrscheinlichkeiten abhängt, sind durch den gewählten Modellansatz auch die Bonitätszustandsänderungen der Kreditnehmer miteinander korreliert. Die gemeinsamen Eintrittswahrscheinlichkeiten (je Simulationslauf) für
die Bonitätszustände der Schuldner können dann einfach bestimmt werden,
indem die individuellen, konditionierten Übergangswahrscheinlichkeiten miteinander multipliziert werden. Diesem Vorgehen liegt jedoch die Annahme zu
Grunde, daß die Korrelationen der individuellen Bonitätszustandsänderungen
vollständig durch die Korrelationen der das systematische Kreditrisiko erklärenden Faktoren und der Segmente beschrieben werden. 33
Des weiteren unterscheiden sich die Modelle durch den zur Implementierung
erforderlichen statistischen Aufwand und den damit verbundenen Datenanforderungen. Diese sind bei CreditPortfolioView höher als bei CreditMetrics, weil
bei diesem Modell zusätzlich die Art und Anzahl der je Segment zu berücksichtigenden makroökonomischen Faktoren identifiziert sowie die Ordnungen und
Koeffizienten des die Stochastik der Faktoren beschreibenden ARIMA(p,q)Prozesses und die segmentspezifischen Regressionskoeffizienten für yj,t geschätzt werden müssen. Der hierdurch erkaufte Vorteil liegt in der Integration
der aktuellen Wirtschaftslage in das Kreditportfoliorisikomodell und der damit
(vermutlich) verbundenen höheren Prognosegenauigkeit.
In Tabelle 1 werden noch einmal die wichtigsten Merkmale der beiden Modelle
CreditMetrics und CreditPortfolioView zusammengefaßt.
32
33
Grundsätzlich bewirkt der Verschiebungsoperator für den Fall, daß die geschätzte, konditionierte Ausfallwahrscheinlichkeit größer als die durchschnittliche Ausfallwahrscheinlichkeit ist, innerhalb der durchschnittlichen Übergangsmatrix eine Verschiebung der Wahrscheinlichkeitsmasse von links nach rechts. Hierdurch werden Bonitätszustandsverschlechterungen wahrscheinlicher. Im umgekehrten Fall findet entsprechend eine Verschiebung von rechts nach links statt.
Vgl. McKinsey&Co. (1998, S. 63f.).
88
Tabelle 1: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen CreditMetrics
und CreditPortfolioView
CreditMetrics
CreditPortfolioView
Gemeinsamkeiten
Berechnungsverfahren
Simulationsansatz (→ Rechenaufwand!)
Berücksichtigung von
Wertveränderungen
sowohl aufgrund von Ratingveränderungen als auch
aufgrund von Ausfällen (bei CreditPortfolioView wahlweise auch nur Berücksichtigung von Ausfällen)
Unterschiede
Berücksichtigung der aktuellen Wirtschaftslage
nein
ja
Berücksichtigung von Korrelationen
Auf die Korrelation der Bonitätszustandsänderungen
der einzelnen Titel wird aus
den Korrelationen der Aktienrenditen der zugehörigen
Schuldner geschlossen.
Die Korrelation der Bonitätszustandsänderungen
der einzelnen Titel wird
durch die Abhängigkeit
von denselben makroökonomischen Faktoren sowie
durch deren Korrelationen
und die der Segmente bestimmt.
Niedriger
höher
Datenanforderungen
3
Verwendung von Portfoliomodellen zur Regulierung der Übernahme von Kreditrisiken
Grundsätzlich könnte – analog zur Vorgehensweise bei den internen Risikomodellen für Marktrisikopositionen – die mit den Kreditrisikomodellen ermittelte
VaR-Kennzahl den Anknüpfungspunkt dafür darstellen, die aufsichtsrechtlich
erforderlichen Eigenmittel zu bestimmen. So wäre denkbar, daß der erforderliche Eigenmittelbetrag als das Maximum aus dem aktuellen Value-at-Risk-Wert
89
und dem mit einem Faktor gewichteten Durchschnitt historischer Value-at-RiskBeträge festgesetzt wird.34
Dies erscheint schon alleine deswegen wünschenswert, da die zuvor beschriebenen Portfoliomodelle Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen der Kreditnehmer berücksichtigen. Somit würden durch eine geeignete
Durchmischung des Gesamtbankportfolios erzielte Diversifikationseffekte in
Form niedrigerer Eigenmittelanforderungen „belohnt“ und andererseits eine geringe Durchmischung oder Klumpenrisiken durch höhere Eigenmittelanforderungen „bestraft“ werden. 35 Da Eigenmittel eine knappe Ressource für Kreditinstitute darstellen, würde daher für diese ein ökonomischer Anreiz zu einem unter risikopolitischen Gesichtspunkten wünschenswerten Verhalten – die Diversifizierung des Gesamtkreditportfolios – gesetzt werden. Wie durch die BIZ im
Rahmen einer Marktanalyse festgestellt, stehen jedoch allen derzeit verfügbaren Kreditportfoliorisikomodellen zwei fundamentale Hindernisse gegenüber, die
auch gegen einen Einsatz dieser Modelle im Rahmen der Eigenmittelberechnung für Kreditrisiken sprechen und die nach Ansicht der BIZ vermutlich auch
nicht innerhalb des für die Überarbeitung der Eigenkapitalvereinbarung angestrebten Zeitraumes überwunden werden können. 36
3.1
Problem: Fehlende Datenbasis
Eine Hürde besteht in dem unzureichenden Datenmaterial, das es im allgemeinen nicht ermöglicht, die Vielzahl der im Modell benötigten Parameter hinreichend verläßlich zu schätzen. Dies gilt insbesondere auch für den für alle Kreditrisikomodelle zentralen Parameter der Korrelation zwischen den Bonitätszustandsänderungen der im Portfolio enthaltenen Titel. Genügend Daten zur direkten Schätzung dieser Art von Korrelation existieren im allgemeinen nicht,37
34
35
36
37
Dies entspräche dem Vorgehen bei der Ermittlung der Anrechnungsbeträge für Marktrisikopositionen unter Verwendung interner Risikomodelle (vgl. § 33 Grundsatz I über die
Eigenmittel und die Liquidität der Institute).
e höher der Diversifikationsgrad des Kreditportfolios ist, desto kleiner ist der Value-atRisk-Betrag und damit der zur Unterlegung von Kreditrisiken erforderliche Eigenmittelbetrag. Im Rahmen der zur Zeit geltenden Vorschriften erfolgt eine „Bestrafung“ für die Aufnahme von Klumpenrisiken in das Kreditportfolio bereits in beschränktem Maße durch die
Großkreditobergrenzen (vgl. §§ 13, 13a, 13b KWG): Überschreiten einzelne Großkredite
oder die Summe aller Großkredite bestimmte Grenzen, so muß dies dem BAKred geme ldet werden und dessen Zustimmung ist erforderlich; zusätzlich muß der Überschreitungsbetrag vollständig mit Eigenmitteln unterlegt werden. Die Idee, den erforderlichen
Eigenkapitalbetrag mit der Höhe eines Kreditengagements und damit letztlich mit dem
Diversifikationsgrad eines Kreditportfolios zu verbinden, wurde bereits 1964 von Stützel
entwickelt. Um die Bankgläubiger zu schützen und dabei auch eine ausreichende Kreditstreuung zu gewährleisten, schlug Stützel die Erstellung einer Sonderbilanz, der sog.
Einlegerschutzbilanz, vor. In dieser sollten neben den normalen Vorsichtsabschreibungen
für Kreditrisiken noch Sonderabschreibungen für solche Forderungen an einen Schuldner
vorgenommen werden, die ein bestimmtes Volumen überschritten. Der Sonderabschreibungssatz sollte dabei mit der Höhe der Forderung steigen (vgl. Stützel (1983, S. 41ff.)).
Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999).
Genauer gesagt, existieren nicht genügend Daten zur direkten Bestimmung der eigentlich
gesuchten gemeinsamen, bestehende Korrelationen berücksichtigenden Eintrittswahrscheinlichkeiten für Bonitätszustandskombinationen (vgl. JP Morgan (1997, S. 83f.)).
90
so daß in beiden Modellen auf vereinfachende Annahmen und Näherungen
ausgewichen werden muß, um Korrelationswerte zu bestimmen und diese dann
bei der Berechnung gemeinsamer Eintrittwahrscheinlichkeiten für Bonitätszustandskombinationen zu verwenden. Im Modell CreditMetrics werden die Korrelationen von Branchen- und Länderaktienindizes als Näherungen für die Korrelationen der (stetigen) Aktivarenditen der Kreditnehmer verwendet. Für die
Aktivarenditen wird die zusätzliche Annahme getroffen wird, daß diese normalverteilt sind. Unter der Normalverteilungsannahme und unter Berücksichtigung
der Korrelationen der Aktivarenditen kann dann auf die gemeinsamen Eintrittwahrscheinlichkeiten für Bonitätszustandskombinationen geschlossen werden.
Bei CreditPortfolioView wird, wie im vorherigen Abschnitt erläutert, die Korrelation zwischen den Bonitätszustandsänderungen der einzelnen Kreditnehmer
durch die Abhängigkeit von denselben makroökonomischen Faktoren sowie
durch die Korrelation der faktor- und segmentspezifischen Störgrößen berücksichtigt. Der Datenumfang, der zur Schätzung der in das Modell eingehenden
Korrelationswerte und Gewichtungsfaktoren erforderlich ist, nimmt dabei mit der
Anzahl der je Segment zu berücksichtigenden Faktoren und der Anzahl der betrachteten Segmente zu.
Ein weiterer zentraler Baustein beider Modelle sind die Matrizen der Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den Bonitätszuständen. In CreditMetrics
werden durchschnittliche Übergangswahrscheinlichkeiten verwendet, die durch
Auswertung historischer Daten über die Häufigkeit von Bonitätszustandsänderungen berechnet und von Ratingagenturen wie Moody’s oder S&P bereitgestellt werden. Voraussetzung zur Bestimmung der Übergangsmatrix ist also zunächst einmal, daß ausreichend lange Datenreihen über Bonitätszustandsänderungen vorliegen. Gerade für den europäischen Kapitalmarkt, in dem das Rating von Unternehmen deutlich weniger verbreitet ist als beispielsweise in den
USA, erscheint diese Anforderung nicht unproblematisch. Des weiteren stellen
die derart ermittelten Übergangswahrscheinlichkeiten zeitliche Durchschnittswerte dar, die die aktuellen, tatsächlichen Übergangswahrscheinlichkeiten sowohl über- als auch unterschätzen können. Diese Schwäche wird im Modell
CreditPortfolioView behoben, indem die Übergangsmatrizen auf den aktuellen
Stand der Wirtschaft konditioniert werden. Hierdurch wird berücksichtigt, daß
die Übergangswahrscheinlichkeiten tendenziell zu- oder abnehmen können, je
nach dem in welcher Phase eines Konjunkturzyklus eine Volkswirtschaft sich
gerade befindet. 38 Jedoch ist die Spezifikation der Verschiebungsoperatoren,
die die Konditionierung der durchschnittlichen Übergangsmatrix bewirken, mehr
oder weniger willkürlich. 39 Somit ist auch hier nicht gewährleistet, daß im Modell
die aktuell „wahren“ Übergangswahrscheinlichkeiten verwendet werden. Zudem
wird durch die Konditionierung ein im Vergleich zu CreditMetrics höherer statistischer Aufwand verursacht, wodurch auch höhere Anforderungen an das notwendige Datenmaterial gestellt werden.
38 Zur Zeitvariabilität von Übergangsmatrizen vgl. auch Nickell/Perraudin/Varotto (2000).
39
Vgl. hierzu genauer McKinsey&Co. (1998, S. 86ff.).
91
Für beide Modelle gleichermaßen relevant sind zudem die grundsätzlichen
Schwächen einer Modellierung der Bonitätszustandsänderungen von Kreditnehmern über einen Ratingansatz: So wird dabei beispielsweise unterstellt, alle
Unternehmen, die derselben Ratingklasse angehören, seien völlig homogen
hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Bonitätszustandsänderungen.
Zudem muß jedem Kreditnehmer ein seine derzeitige Bonität widerspiegelndes
Rating zugeordnet werden, also auch solchen Unternehmen, die kein externes
Rating besitzen. Dies erfordert die Verwendung bankinterner Ratings. Die Definition des internen Ratingsystems und der Kriterien, die für die Vergabe eines
bestimmten Ratings als erforderlich angesehen werden, sowie deren Auslegung
bei der konkreten Feststellung eines internen Ratings beinhalten wieder ein
gewisses Maß an Willkür. Dies kann dazu führen, daß die bei verschiedenen
Kreditinstituten berechneten Risikokennzahlen auch bei Verwendung ident ischer Modelle voneinander abweichen können. Wären diese Risikokennzahlen
dann Anknüpfungspunkt zur Eigenmittelbestimmung, hätte dies von Bank zu
Bank unterschiedliche Eigenmittelanforderungen bei gleichen Risiken zur Folge. 40 Nicht zu unterschätzen ist zudem die bei Verwendung interner Ratingsysteme zu Regulierungszwecken bestehende Anreizproblematik: Banken könnten versucht sein, bewußt „zu gute“, das ökonomische Risiko nicht korrekt widerspiegelnde Ratings an ihre Kreditnehmer zu vergeben, um so den erforderlichen Eigenmittelbetrag möglichst gering zu halten.
Weitere mit Unsicherheit behaftete Inputwerte beider Modelle sind die je nach
Rangstellung, Art des Finanztitels und Umfang der gestellten Sicherheiten unterschiedlichen Befriedigungsquoten. Bei CreditMetrics beispielsweise wird diese Unsicherheit berücksichtigt, indem angenommen wird, daß die Befriedigungsquoten durch eine Beta-Verteilung 41 modelliert werden können. Die Parameter der Verteilung, der Erwartungswert und die Standardabweichung, hängen von der Rangstellung des Titels ab und werden entsprechend der in der
Vergangenheit beobachteten Werte gewählt.42 Fraglich ist hier zum einen, ob
die Verteilung korrekt spezifiziert ist und zum anderen, wie üblich bei der Verwendung historischer Daten, ob historisch beobachtete Parameterwerte auch in
der Zukunft gelten. Als weitere unsichere Größen der vorgestellten Modelle wären Finanztitel mit variablen Engagementhöhen zu nennen, bei denen also die
Höhe des Betrages, der von einer Bonitätszustandsänderung betroffen wäre, im
Zeitablauf schwankt. Hier ist beispielsweise an Swaps, Forwards oder Optionen
zu denken, bei denen die Entwicklung des Basiswertes (z.B. Wechselkurse,
Zinsen) dafür maßgeblich ist, ob der Titel bei einer Bonitätszustandsänderung
40
41
42
Das Problem, daß unterschiedlich genutzte Entscheidungsspielräume zu unterschiedlichen Eigenmittelanforderungen führen können, besteht grundsätzlich auch bei internen
Modellen für Marktrisikopositionen. Allerdings sind bei diesen die Entscheidungsspielräume enger gefaßt, was tendenziell zu geringeren Abweichungen bei den berechneten
Eigenmitteln führen dürfte.
Vgl. Embrechts/Klüppelberg/Mikosch (1997, S. 137).
Vgl. JP Morgan (1997, S. 77ff.).
92
„im Geld“ ist und ob somit überhaupt ein Verlust durch die Bonitätszustandsänderung entsteht.43
Insgesamt scheint es, als ob die vorgestellten Kreditrisikomodelle zahlreiche
Unsicherheitsquellen, vereinfachende Annahmen und subjektive Beurteilungsspielräume 44 beinhalten. Somit ist nicht gesichert, daß es sich bei der beispielsweise durch die Berücksichtigung von Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen der Kreditnehmer angestrebten höheren Genauigkeit
bei der Bestimmung des Risikogehaltes eines Portfolios nicht nur um eine
„Scheingenauigkeit“ handelt. Dies bedeutet, daß der Vorteil der Modelle, daß
zahlreiche wertbestimmende Faktoren für ein Kreditportfolio berücksichtigt werden, unter Umständen überkompensiert wird durch die Auswirkungen schlecht
geschätzter Parameter oder bestimmter Modellannahmen und somit der Risikogehalt eines Portfolios durch die Kreditrisikomodelle auch nicht besser erfaßt
wird als durch einfache, pauschalere Verfahren. Solange diese Möglichkeit
nicht ausgeschlossen werden kann, dürften sich Kreditportfoliorisikomodelle
auch nicht zur Regulierung der Übernahme von Kreditrisiken eignen, da der mit
Hilfe der Modelle berechnete Eigenmittelbetrag unter Umständen nicht in einem
adäquaten Verhältnis zu dem tatsächlichen Portfoliorisiko steht.
3.2
Problem: Mangelnde Möglichkeiten zur Modellvalidierung
Das zweite essentielle Hindernis, das nach Ansicht der BIZ dem Einsatz von
Kreditrisikomodellen zu Regulierungszwecken im Weg steht, liegt darin, daß zur
Zeit die Prognosegenauigkeit der verwendeten Modelle nur schwer überprüfbar
ist.45 Um die Prognosefähigkeit der Modelle beurteilen zu können, müßten die
vom Modell vorhergesagten Wertveränderungen des Portfolios mit den am Risikohorizont tatsächlich eingetretenen Wertveränderungen verglichen werden.
Ausgehend vom aktuellen Portfolio könnte beispielsweise geprüft werden, wie
häufig der prognostizierte Value-at-Risk-Wert überschritten würde, wenn in der
Vergangenheit tatsächlich eingetretene Bonitätszustands- und Wertänderungen
(jeweils bezogen auf den gewählten Risikohorizont) zu Grunde gelegt würden.
Während Marktrisikomodelle im allgemeinen einen Planungszeitraum von wenigen Tagen verwenden, beträgt dieser bei Kreditrisikomodellen häufig ein Jahr
oder länger. Dieser Umstand führt dazu, daß für eine zuverlässige Validierung
der Modelle Daten benötigt würden, die möglicherweise Jahrzehnte zurückliegen und somit nicht zur Verfügung stehen. 46
3.3
Problem: Fehlanreize
Ein grundsätzliches Problem beim Einsatz interner Modelle besteht in Fehlanreizen für die Banken, Freiheitsgrade innerhalb dieser Modelle so zu nutzen,
43
44
45
46
Vgl. JP Morgan (1997, S. 47ff.).
Vgl. auch Basel Committee on Banking Supervision (1999a, S. 5f.); Jackson/Perraudin
(2000, S. 5).
Zum Aspekt der Modellvalidierung vgl. auch Basel Committee on Banking Supervision
(1999a, S. 48ff.).
Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999a, S. 2).
93
daß der berechnete Eigenmittelbetrag möglichst gering wird. Um diesen Fehlanreizen entgegenzuwirken, besitzen die Aufsichtsbehörden grundsätzlich zwei
Möglichkeiten: Zum einen können sie die Anzahl der Freiheitsgrade in den internen Modellen beschränken, indem sie beispielsweise vorschreiben, daß nur
die Verwendung objektivierbarer Inputgrößen zulässig ist. Dies ist jedoch derzeit aufgrund der geringen Datenbasis nicht möglich. In der gegenwärtigen Situation ist es daher nicht zu vermeiden, daß Banken auf institutsinterne, objektiv
nicht nachprüfbare Daten zurückgreifen. Zum anderen könnten die Aufsichtsbehörden Anreize setzen, daß die Banken die ihnen zur Verfügung stehenden
Freiheitsgrade in der Weise nutzen, daß ihre Modelle den Risikogehalt ihrer
Portfolios möglichst gut erfassen. Ein solcher Anreiz könnte beispielsweise dadurch geschaffen werden, daß Fehlprognosen, also die im Rahmen eines
Backtesting ermittelte mehrfache Überschreitung der prognostizierten Wertveränderungen durch die tatsächlich eingetretenen Wertveränderungen, durch eine Erhöhung der Eigenmittelanforderungen sanktioniert werden. 47 Da, wie bereits ausgeführt, aufgrund mangelnder Daten jedoch eine zeitnahe Überprüfung
der Modellgüte nicht möglich ist, scheitert auch dieser Steuerungsmechanismus.48
4
Fazit
Die obige Diskussion macht deutlich, daß eine der zentralen Voraussetzungen
dafür, daß Kreditrisikomodelle zu regulatorischen Zwecken eingesetzt werden
können, im Aufbau einer geeigneten Datenbasis liegt, die es ermöglicht, die
Zulässigkeit von Modellannahmen zu überprüfen, notwendige Modellparameter
verläßlich zu schätzen und die Prognosegüte der Modelle im Nachhinein zu
testen.
Zusätzlich ist noch weitere theoretische und empirische Arbeit zu leisten, um
die Auswirkungen bestimmter Modellannahmen auf die Modellergebnisse, wie
Portfoliowertverteilung und Risikokennzahlen, besser verstehen und deren
47
48
Bei den internen Risikomodellen für Marktrisikopositionen ist ein solcher Ansatz bereits
realisiert worden: Überschreitungen der prognostizierten durch die tatsächlichen Wertveränderungen werden durch eine schrittweise Erhöhung des VaR-Multiplikators „bestraft“ (vgl. § 37 Grundsatz I über die Eigenmittel und die Liquidität der Institute). Ab zehn
Überschreitungen ergeben sich starke Zweifel an der Güte des Modells, was im Einzelfall
dazu führen kann, daß seine Verwendung untersagt wird.
Vgl. auch die Diskussion in Jackson/Perraudin (2000, S. 7ff.) über die Möglichkeiten der
Bankenaufsicht, Anreize zu setzen, damit Banken beim Einsatz von Kreditrisikomodellen
zu Regulierungszwecken ihr Kreditportfoliorisiko nicht unterschätzen, um Eigenmittel zu
sparen.
94
Sensitivität gegenüber Parameterschätzungen besser beurteilen zu können. 49
Dies könnte die Sorge der Aufsichtsbehörden verringern, daß das tatsächliche
Kreditrisiko eines Portfolios unterschätzt und damit auch die erforderlichen Eigenmittel zu niedrig angesetzt werden.
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49
Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999a, S. 2). Ein Beispiel für diese Art
von Arbeiten ist die von Wahrenburg/Niethen (1999). Diese stellen fest, daß die anhand
eines Musterportfolios mit den Modellen CreditMetrics und CreditRisk+ berechneten VaRWerte stark voneinander abweichen können. Sie zeigen, daß die Ursache für diese Abweichungen hauptsächlich in den unterschiedlichen empirischen Inputdaten zu suchen
ist, die zu differierenden impliziten Korrelationsannahmen führen. Ähnliche Arbeiten
stammen von Gordy (2000), der die mit den Modellen CreditRisk+ und einer modifizierten
CreditMetrics-Version berechneten Risikokennzahlen miteinander vergleicht, und Ni kkell/Perraudin/Varotto (1999), die die mit Hilfe von ratingbasierten Kreditrisikomodellen
(wie z.B. CreditMetrics) und unternehmenswertbasierten Modellen (wie z.B. KMV) prognostizierten VaR-Werte mit den real eingetretenen Verlusten eines Portfolios vergleichen.
95
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