75 Berichte Kreditportfoliorisikomodelle – Ein geeignetes Instrumentarium zur aufsichtsrechtlichen Erfassung von Ausfallrisiken? von Dipl.-Math. Dipl.-Kfm. Peter Grundke 1 Gliederung 1 Einleitung 2 Kreditportfoliorisikomodelle 3 4 2.1 Ziele und Einsatzmöglichkeiten 2.2 Darstellung der Modelle CreditMetrics™ und CreditPortfolioView™ 2.3 Modellunterschiede Verwendung von Portfoliomodellen zur Regulierung der Übernahme von Kreditrisiken 3.1 Problem: Fehlende Datenbasis 3.2 Problem: Mangelnde Möglichkeiten zur Modellvalidierung 3.3 Problem: Fehlanreize Fazit Abstract In Kreisen der Bankenaufsicht wird in zunehmenden Maße der Einsatz von Portfoliomodellen zur Regulierung der Übernahme von Kreditrisiken durch Banken diskutiert. Derartige Modelle messen Kreditrisiken auf Portfolioebene und berücksichtigen dabei stochastische Abhängigkeiten zwischen den Bonitätszustandsänderungen der Kreditnehmer. Der Verfasser stellt zwei kommerziell vertriebene Kreditportfoliorisikomodelle, CreditMetrics™ und CreditPortfolioView™, anhand von Ablaufdiagrammen dar und beschreibt die wichtigsten Modellunterschiede. Auf der Basis dieses Vergleiches werden gravierende Probleme diskutiert, die einer Verwendung der Modelle zu Regulierungszwecken derzeit im Wege stehen. 1 Der Verfasser dankt Herrn Prof. Dr. Thomas Hartmann-Wendels, Herrn Dipl.-Kfm. Wolfgang Spörk, M.I.M. (USA) und Herrn Professor Dr. Hartmut Schmidt für wertvolle Anmerkungen. Der vorliegende Beitrag wurde in unveränderter Form unter dem Titel „Kreditrisikomodelle und Regulierung“ in der Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (12. Jg., April 2000, S. 101-112) abgedruckt. 76 1 Einleitung Gegenstand der bankaufsichtsrechtlichen Diskussion ist derzeit die Überarbeitung der Basler Eigenkapitalübereinkunft von 1988. Hierzu hat der Basler Ausschuß für Bankenaufsicht im Juni 1999 ein Konsultationspapier veröffentlicht, in dem verschiedene Vorschläge für ein verbessertes Konzept zur Eigenmittelregelung den Marktteilnehmern zur Diskussion gestellt werden. 2 Es wird unter anderem angeregt, die bisherigen Standardverfahren zur Ermittlung der zur Unterlegung von Kreditrisiken erforderlichen Eigenmittel 3 dahingehend zu verfeinern, daß die individuelle Bonität der Schuldner in stärkerem Maße berücksichtigt wird. Dies könnte durch teilweise Berücksichtigung externer und interner Ratings anstelle der derzeit im Rahmen der Ermittlung der RisikoaktivaAnrechnungsbeträge verwendeten pauschalen Bonitätsgewichtungsfaktoren gewährleistet werden. Der Einsatz von Modellen zu Regulierungszwecken, die Kreditrisiken4 auf Portfolioebene messen, wurde den Banken dagegen nicht in Aussicht gestellt. Derartige Modelle ermöglichen die Erfassung stochastischer Abhängigkeiten zwischen den Bonitätszustandsänderungen der Schuldner und deren Berücksichtigung bei der Bestimmung der aufsichtsrechtlich erforderlichen Eigenmittel. Hier ergibt sich nun die Frage, warum es nicht möglich sein sollte, in naher Zukunft auch für den Kreditrisikobereich ein Analogon zu den seit der 6. KWG-Novelle (1998) in Deutschland zulässigen internen Risikomodellen für Marktrisikopositionen zu schaffen. 5 Der Basler Ausschuß selbst verweist hier auf einen im April 1999 veröffentlichten Bericht, in dem die derzeit von Banken eingesetzten und zum Teil kommerziell angebotenen Kreditportfoliorisikomodelle beschrieben und auf ihre Eignung zur bankaufsichtsrechtlichen Risikobegrenzung hin analysiert werden. 6 Als zentrale Hindernisse für ihren Einsatz zur Ermittlung der erforderlichen Eigenmittel zur Unterlegung von Kreditrisiken werden zum einen fehlende historische Datenreihen zur Schätzung der Parameter der Modelle und zum anderen die mit dem verhältnismäßig langen Zeithorizont von Kreditrisikomodellen verbundenen Schwierigkeiten der Modellvalidierung identifiziert. Im folgenden werden die Annahmen und die grundlegenden Funktionsweisen von zwei wichtigen Modellen (CreditMetrics™ und CreditPortfolioView™) im Rahmen eines schematischen Ablaufdiagramms vorgestellt und die wesentlichen Modellunterschiede herausgearbeitet. Hieran anschließend werden die 2 3 4 5 6 Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999b). Kreditrisiken des Anlagebuches werden mit haftendem Eigenkapital unterlegt, die des Handelsbuches mit Eigenmitteln. Da das haftende Eigenkapital Bestandteil der Eigenmittel ist, wird im folgenden durchgängig der Begriff Eigenmittel verwendet. Unter dem Begriff „Kreditrisiko“ wird im folgenden sowohl das reine Ausfallrisiko, also die Gefahr, daß ein Kreditnehmer seinen vertraglich vereinbarten Zahlungsverpflichtungen (Tilgung, Zinsen, Gebühren etc.) nicht oder nicht vollständig nachkommt, verstanden, als auch das Bonitätsrisiko, also die Gefahr von Marktwertverlusten von kreditsensitiven Finanztiteln aufgrund einer Verschlechterung des Bonitätszustandes des Kreditnehmers. Vgl. Grundsatz I über die Eigenmittel und die Liquidität der Institute, 7. Abschnitt. Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999a). 77 potentiellen Einsatzmöglichkeiten dieser beiden Modelle zur Regulierung von Kreditrisiken und insbesondere ihre diesbezüglichen Schwächen diskutiert. 2 Kreditportfoliorisikomodelle 2.1 Ziele und Einsatzmöglichkeiten Von Banken eigenständig entwickelte oder kommerziell angebotene Modelle zur Erfassung von Kreditrisiken auf Portfolioebene sind auf vielfältige Art und Weise im Rahmen des Risikomanagements, der Gesamtbanksteuerung oder der risikogestützten Preisgestaltung von Banken einsetzbar.7 Ausgangspunkt dieser Einsatzmöglichkeiten und damit notwendiger Output aller Kreditrisikomodelle ist die hinreichend exakte Quantifizierung des Portfoliorisikos in Form von Risikokennzahlen unter Berücksichtigung von Diversifikationseffekten. Zentrales Kennzeichen aller Kreditrisikomodelle ist somit die Erfassung von Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen (Ratingklassenwechsel oder Ausfall) verschiedener Schuldner des Bankkreditportfolios bei der Bestimmung der Wahrscheinlichkeit für Wertveränderungen des Portfolios. Aus der Portfoliotheorie ist seit den Arbeiten von Markowitz bekannt, daß außer im Falle einer vollständig positiven Korrelation aller Schuldner durch eine geeignete Mischung der im Portfolio enthaltenen Titel eine Risikoreduzierung bewirkt werden kann. 8 Bei der Bestimmung des Risikogehaltes eines Portfolios wird im Rahmen der Kreditrisikomodelle also berücksichtigt, „wie gut“ die Mischung der Kreditnehmer einer Bank ist. Typische Risikokennzahlen sind hierbei die Standardabweichung und die Value-at-Risk (VaR)-Kennzahl. 9 Der VaR-Wert gibt den Betrag der Wertminderung des Kreditportfolios an, der mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb eines festgelegten Zeitraumes nicht überschritten wird.10 Durch die Erfassung der Korrelationen ist es insbesondere möglich, den Einfluß von sog. Klumpenrisiken11 auf den Risikogehalt von Kreditportfolios zu messen. Die aus der Quantifizierung des Kreditportfoliorisikos gewonnenen Erkenntnisse können anschließend zu einem aktiven Portfoliomanagement (z.B. 7 8 9 10 11 Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999a, S. 1). Vgl. Markowitz (1952). Die Rendite eines Kreditportfolios ist typischerweise asymmetrisch verteilt, weil eine große Wahrscheinlichkeit für eine (relativ) geringe positive Rendite besteht, verbunden mit einer (relativ) geringen Wahrscheinlichkeit, einen großen Teil des Kreditbetrages zu verlieren und damit eine hohe negative Rendite zu erzielen. Aufgrund der Schiefe der Verteilung kann der maximale Gewinn beispielsweise nur eine Standardabweichung, der maximale Verlust dagegen mehrere Standardabweichungen vom Erwartungswert entfernt liegen. Somit wäre die Standardabweichung alleine keine geeignete Kennzahl, um eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit von extremen Verlusten in einem Kreditportfolio zu treffen. Vgl. Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber (1999, S. 330f.). Von Klumpenrisiken wird gesprochen, wenn ein Portfolio entweder einzelne Kreditnehmer mit sehr großen Kreditbeträgen oder viele einzelne Schuldner mit einer sehr hohen positiven Korrelation (z.B. weil sie in der gleichen Branche tätig sind) enthält. 78 durch den Einsatz von Kreditderivaten oder Asset-Backed-Securities) oder zu einer risikoangepaßten Margenbestimmung genutzt werden. 12 2.2 Darstellung der Modelle CreditMetrics™ und CreditPortfolioView™ Im folgenden werden zwei kommerziell angebotene Kreditrisikomodelle in Form von schematischen Darstellungen beschrieben (siehe Abbildungen 1 und 2): das von JP Morgan entwickelte Modell CreditMetrics, das 1997 veröffentlicht worden ist, und das im Jahr darauf erschienene Modell CreditPortfolioView von McKinsey&Company.13 Zu beachten ist hierbei, daß es sich um schematische Abbildungen der Modellfunktionsweisen handelt, die somit nicht sämtliche Spezialfälle der Modelle berücksichtigen, sondern nur deren grundlegenden Aufbau erklären sollen. Es wird insbesondere nicht darauf eingegangen, wie die Neubewertung am Risikohorizont für solche Finanztitel erfolgt, deren Wert neben der Bonität des Emittenten auch von der Entwicklung bestimmter Marktfaktoren, wie z.B. Zinssätzen oder Wechselkursen, abhängt. Bei derartigen Titeln schwankt die Höhe des Engagements (Exposure) im Zeitablauf.14 Die Darstellung der Neubewertung von Titeln in Abbildung 1 durch Diskontierung der zukünftigen Rückflüsse (Cash Flows) mit ratingklassenabhängigen Terminzinssätzen (Forward Rates) entspricht dem einfachsten Fall von Krediten oder Anleihen. Bei diesen Titeln liegt die Höhe der nominalen Zahlungen bereits bei Vertragsabschluß fest.15 Des weiteren werden auch die angewendeten Verfahren der Monte-Carlo–Simulation nicht detailliert erläutert. Einer der schwierigsten Schritte beim Verständnis des Modells CreditMetrics ist sicherlich der Teil, in dem die gemeinsamen Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Bonitätszustandskombinationen der im Portfolio enthalten Titel unter Berück- 12 13 14 15 Zur Berücksichtigung von Portfolioeffekten bei der Bewertung vgl. HartmannWendels/Pfingsten/Weber (1999, S. 554ff., S. 587ff.). Zu weiteren, bei einer Marktumfrage durch die BIZ festgestellten Einsatzmöglichkeiten von Kreditriskomodellen vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999a, S. 9f.). Andere bekannte kommerzielle Kreditrisikomodelle sind beispielsweise CreditRisk+™ von Credit Suisse Financial Products (CSFP) oder PortfolioManager™ von KMV. Hi nsichtlich weiterer vergleichender Literatur siehe z.B. Crouhy/Galai/Mark (2000), Gordy (2000), Henn/Wegmann (1998), Koyluoglu/Hickman (1998), Lehrbaß (1999), Saunders (1999), Wahrenburg/Niethen (1999). Typische Beispiele für diese Art von Titeln sind Derivate wie Swaps, Forwards oder Optionen. Bei diesen Produkten tritt bei einer Bonitätszustandsverschlechterung des Kontraktpartners nur dann ein Verlust ein, wenn der Titel aus Sicht der Bank „im Geld“ ist (vgl. JP Morgan (1997, S. 47ff.)). Strenggenommen schwankt auch bei Krediten und Anleihen (in Marktwerten gemessen) die Höhe des Engagements in Abhängigkeit vom Marktfaktor „risikoloser Zinssatz“. Dieser Einfluß wird jedoch bei Krediten und Anleihen im Modell nicht berücksichtigt. Vernachlässigt wird auch der Einfluß von schwankenden Spreads je Ratingklasse auf den Marktwert von Krediten und Anleihen. Bei diesen Titeln werden lediglich Wertveränderungen am Risikohorizont aufgrund von Bonitätszustandsänderungen erfaßt. 79 sichtigung der paarweisen Korrelationen berechnet werden. Daher wird dieser Teil des Ablaufdiagramms in Abbildung 1 im folgenden näher erläutert.16 Da es im allgemeinen problematisch ist, gemeinsame Eintrittwahrscheinlichkeiten direkt zu schätzen17, wird im Modell CreditMetrics ein indirekter Ansatz gewählt. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die Überlegung, daß letztlich der Wert der Aktiva eines Unternehmens darüber entscheidet, ob ein Unternehmen seine Verbindlichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt begleichen kann. Ist zu diesem Zeitpunkt, dem Risikohorizont, der Wert der Aktiva geringer als der Fremdkapitalrückzahlungsbetrag, so kommt es zu einem teilweisen Ausfall des Fremdkapitals in Höhe der Differenz der beiden Beträge. 18 Demnach besteht ein Zusammenhang zwischen den beiden Bonitätszuständen „Ausfall“ und „Kein Ausfall“ und dem zugehörigen Unternehmensaktivawert. In CreditMetrics wird dieser Gedanke weitergeführt und ein Zusammenhang zwischen allen möglichen Bonitätszuständen (Ratings und Ausfall19) und der Unternehmensaktivarendite hergestellt. Im ersten Schritt (vgl. Abbildung 1) werden diejenigen Intervalle von Aktivarenditen gesucht, die mit bestimmten Bonitätszuständen korrespondieren. Hierbei wird angenommen, daß die (stetige) Aktivarendite eine normalverteilte Zufallsvariable ist.20 Die Transformation der möglichen Bonitätszustände am Risikohorizont (ausgehend von einem bestimmten Bonitätszustand im Betrachtungszeitpunkt t=0) in entsprechende Renditeintervalle erfolgt mittels der Wahrscheinlichkeiten aus der zum Ausgangsbonitätszustand gehörenden Zeile der Übergangsmatrix. Zunächst wird diejenige Renditegrenze RI bestimmt, bei deren Unterschreitung ein Ausfall (schlechtester Bonitätszustand I) am Risikohorizont erfolgt. Dies ist der Wert, für den gilt, daß links von ihm genau die Wahrscheinlichkeitsmasse liegt, die der aus der Übergangsmatrix abgelesenen Ausfallwahrscheinlichkeit (für den betrachteten Ausgangsbonitätszustand) entspricht. Dieser Wert kann mit Hilfe der Umkehrfunktion F-1 der Standardnormalverteilung berechnet werden. Dann wird diejenige Renditegrenze RI-1 bestimmt,21 bei deren Unterschreitung das Unternehmen sich am Risiko16 17 18 19 20 21 Vgl. JP Morgan (1997, S. 85ff.). Vgl. JP Morgan (1997, S. 83ff.). Dies ist die Grundidee des Modells von Merton (1974) zur Bewertung von ausfallbedrohten Fremdkapitaltiteln. Wird beispielsweise die Skala für langfristige Ratings der Agentur Standard&Poor’s (S&P) zu Grunde gelegt (ohne Ratingmodifikationen durch Plus- und Minuszeichen), so sind dies die Ratingklassen AAA, AA, A, BBB, BB, B, CCC, CC, C und D. Finanztitel und Emittenten mit der höchsten Bonität erhalten das Rating AAA, wohingegen das Rating D erteilt wird, wenn ein Zahlungsverzug eingetreten ist oder der Schuldner das Insolvenzverfahren angemeldet hat. Dies entspricht der Modellannahme in Merton (1974), die auch in zahlreichen Erweiterungen dieses sog. „Unternehmenswertansatzes“ zur Bewertung ausfallbedrohter Finanztitel aufgegriffen wurde. Es läßt sich zeigen, daß für die Unternehmensaktivarendite ohne Beschränkung der Allgemeinheit eine Standardnormalverteilung zu Grunde gelegt werden kann (vgl. JP Morgan (1997, Kapitel 8.4)). Hierbei wird folgende Zählweise verwendet: die Zahl I bezeichnet den schlechtesten Bonitätszustand (bei S&P entspräche dies dem Rating D; aufgrund der zehn Ratingkategorien bei S&P würde also gelten I=10), I-1 steht für den zweitschlechtesten Bonitätszustand (bei S&P wäre dies C), I-2 steht für den drittschlechtesten Bonitätszustand (bei S&P wäre dies CC) usw. 80 horizont in dem zweitschlechtesten oder schlechtesten Bonitätszustand befindet. Diese Grenze ergibt sich durch die folgende Überlegung: Die Wahrscheinlichkeit, daß sich das Unternehmen am Risikohorizont im zweitschlechtesten Bonitätszustand I-1 befinden wird (diese kann aus der Übergangsmatrix abgelesen werden) muß der Wahrscheinlichkeit entsprechen, daß die Aktivarendite größer als die zuvor ermittelte Ausfallgrenze RI und kleiner als die gesuchte Grenze RI-1 ist. Da in dieser Gleichung alle Werte bis auf die Renditegrenze RI-1 bekannt sind, kann diese wiederum mit Hilfe der Umkehrfunktion F-1 der Standardnormalverteilung berechnet werden. Dieses Verfahren wird iterativ fortgesetzt, bis alle Renditegrenzen bestimmt sind. 22 Im zweiten Schritt werden nun die Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen der im Portfolio enthaltenen Schuldner integriert. Hierzu wird angenommen, daß die Unternehmensaktivarenditen aller Schuldner multivariat normalverteilt sind. Da zur Spezifizierung der multivariaten Normalverteilung die paarweisen Korrelationen der Aktivarenditen benötigt werden, diese jedoch im allgemeinen nicht ohne weiteres bestimmbar sind, werden als Näherung für diese die Korrelationen von Aktienrenditen verwendet.23 Würden für alle Schuldner des Portfolios Aktienkurszeitreihen vorliegen, so könnte individuell für jedes Schuldnerpaar die Korrelation der Aktienrenditen ermittelt werden. Da dies in der Realität jedoch nicht der Fall ist, werden in CreditMetrics die Korrelationen der Renditen von Aktienindizes, die bestimmte Länder und Branchen repräsentieren, verwendet. Werden dann noch die Anteile der Geschäftstätigkeit der Schuldner an diesen Ländern und Branchen sowie der Anteil des unsystematischen Renditerisikos 24 bestimmt, so können mit Hilfe dieser Werte die paarweisen Korrelationen der Aktienrenditen ermittelt werden. Im dritten Schritt werden schließlich die (letztlich gesuchten) gemeinsamen Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Bonitätszustandskombinationen der im Kreditportfolio enthaltenen Titel berechnet. Hierzu wird die jeweils betrachtete Bonitätszustandskombination in die im ersten Schritt ermittelten Intervalle für Unternehmensaktivarenditen „übersetzt“. Über diese Intervalle wird dann die Dichtefunktion der im zweiten Schritt bestimmten multivariaten Normalverteilung integriert. Das Ergebnis entspricht der gemeinsamen Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Bonitätszustandskombination am Risikohorizont. Das oben beschriebene Verfahren weist den Nachteil auf, daß bereits bei einem relativ kleinen Portfolio die Anzahl der möglichen Bonitätszustandskombinationen sehr groß wird. 25 Für jede dieser Kombinationen müßte eine Neubewertung des Portfolios am Risikohorizont erfolgen und die gemeinsame Ein- 22 23 24 25 Die Transformation der Bonitätszustände am Risikohorizont in Intervalle von Unternehmensaktivarenditen muß für jeden Ausgangsbonitätszustand durchgeführt werden. Alternativ kann der Anwender auch eine für alle Schuldnerpaare konstante paarweise Korrelation der Unternehmensaktivarenditen unterstellen. Die Festlegung der Höhe des Anteils des unsystematischen Renditerisikos unterliegt der subjektiven Bewertung des Anwenders (vgl. Jackson/Perraudin (2000, S. 5)). Bezeichnet S die Anzahl der möglichen Bonitätszustände und N die Anzahl der Titel im Kreditportfolio, so sind SN Bonitätszustandskombinationen möglich. 81 trittswahrscheinlichkeit bestimmt werden. Hierzu muß jeweils das Integral über eine multivariate Normalverteilung numerisch berechnet werden (vgl. dritter Schritt), deren Dimension der Anzahl der im Portfolio enthaltenen Titel entspricht. Da diese Vorgehensweise zu aufwendig wäre, ist es notwendig, mit Hilfe einer Stichprobe eine zufällige Menge der möglichen Bonitätszustandskombinationen am Risikohorizont auszuwählen. 26 Diese zufällige Auswahl erfolgt, indem Vektoren von korrelierten normalverteilten Zufallszahlen gezogen werden. Die Dimension des Vektors ist gleich der Anzahl der im Portfolio enthaltenen Titel und der Ziehung liegt die im zweiten Schritt ermittelte multivariate Normalverteilung der Aktivarenditen zu Grunde. 27 Die so ermittelten zufälligen Vektoren von Unternehmensaktivarenditen werden dann mit Hilfe der im ersten Schritt berechneten Renditeintervalle in die zugehörigen Bonitätszustandskombinationen transformiert. Für diese erfolgt eine Neubewertung des Kreditportfolios am Risikohorizont. Die Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Bonitätszustandskombinationen und damit für bestimmte Ausprägungen des Kreditportfoliowertes am Risikohorizont ergeben sich im Rahmen des Simulationsansatzes als relative Häufigkeiten der aufgetretenen Werte.28 26 27 28 Eine Beispielrechnung zur Simulation der Bonitätszustandskombinationen findet sich in Lesko/Vorgrimler (1999). Zum Simulationsansatz vgl. außerdem JP Morgan (1997, Kapitel 10). Genauer gesagt, werden zunächst unkorrelierte standardnormalverteilte Zufallszahlen gezogen und dann die paarweisen Korrelationen der Unternehmensaktivarenditen über die sog. Cholesky-Zerlegung berücksichtigt (vgl. Lesko/Vorgrimler (1999, S. 33) sowie Abbildung 2 zum Modell CreditPortfolioView). Dies bedeutet, daß der dritte Schritt, also die numerische Integration der Dichtefunktion einer multivariaten Normalverteilung zur Bestimmung der gemeinsamen Eintrittswahrscheinlichkeiten, bei der Monte-Carlo-Simulation entfällt. 82 Abbildung 1: CreditMetrics™ - eine schematische Darstellung29 29 Vgl. auch Heidorn (1999), JP Morgan (1997), Schulte-Mattler/Stausberg (1998), Schwicht/Neske (1997). 83 84 Abbildung 2: CreditPortfolioView™ - eine schematische Darstellung 30 30 Vgl. McKinsey&Co (1998), Wilson (1997a, b). 85 86 2.3 Modellunterschiede Beide vorgestellten Modelle ermöglichen die Berechnung der Wahrscheinlichkeitsverteilung für den Kreditportfoliowert am Ende eines vorgegebenen Zeitraumes und damit die Ermittlung von Risikokennzahlen, wie z.B. der Standardabweichung oder α-Quantilen. In beiden Modellen werden hierzu Monte-CarloSimulationsverfahren eingesetzt. Weiterhin können in beiden Modellen Wertänderungen der Portfoliopositionen aufgrund von Bonitätszustandsänderungen, die sowohl Ratingveränderungen als auch Ausfälle umfassen, berücksichtigt werden. 31 Um dies zu gewährleisten, benötigen die Modelle vollständige Übergangsmatrizen. Während jedoch CreditMetrics mit durchschnittlichen, also vom aktuellen Stand der Wirtschaft unabhängigen Übergangsmatrizen arbeitet, werden bei CreditPortfolioView auf die aktuelle wirtschaftliche Lage konditionierte, segmentspezifische Übergangsmatrizen verwendet. Ein weiterer zentraler Unterschied zwischen den Modellen besteht in der Berücksichtigung von Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen der im Portfolio enthaltenen Schuldner: Bei CreditMetrics wird der Anteil der Geschäftstätigkeit der Schuldner an bestimmten Branchen und Ländern bestimmt und dann die paarweise Korrelation der Aktienrenditen der Schuldner über die entsprechende Gewichtung der Korrelationen der diese Länder und Branchen repräsentierenden Aktienindizes berechnet. Diese Werte werden dann als Näherung für die Korrelationen der Aktivarenditen der Schuldner verwendet und gehen in die multivariate Normalverteilung ein, die annahmegemäß die Stochastik der stetigen Aktivarenditen aller Schuldner beschreibt. Mit Hilfe dieser multivariaten Normalverteilung können dann die gemeinsamen (unter Berücksichtigung der bestehenden Korrelationen) Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Bonitätszustandskombinationen berechnet werden, die im nächsten Schritt in die Ermittlung der Portfoliowertverteilung eingehen. Im Modell CreditPortfolioView werden dagegen Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen der im Portfolio enthaltenen Schuldner durch die Abhängigkeit von denselben makroökonomischen Faktoren sowie durch die Korrelationen der faktor- und segmentspezifischen Störgrößen erfaßt. Über die Abhängigkeit von denselben makroökonomischen Faktoren und die Korrelation der Störgrößen sind auch die segmentspezifischen, makroökonomischen Indexwerte yj,t und damit auch die segmentspezifischen, konditionierten Ausfallwahrscheinlichkeiten pj,t miteinander korreliert. Da vom Verhältnis zwischen den konditionierten Ausfallwahrscheinlichkeiten pj,t zu den durchschnittlichen Ausfallwahrschein- 31 Vgl. auch Henn/Wegmann (1998, S. 100f.). Im Modell CreditRisk+ von CSFP beispielsweise werden dagegen nur Wertänderungen der im Portfolio enthaltenen Titel aufgrund möglicher Ausfälle berücksichtigt und die Verlustverteilung des Portfolios analytisch bestimmt, wodurch der durch eine Simulation entstehende Rechenaufwand vermieden wird. 87 lichkeiten wiederum über den Verschiebungsoperator32 auch die Ausprägung der auf den aktuellen Stand der Wirtschaft konditionierten, segmentspezifischen Übergangswahrscheinlichkeiten abhängt, sind durch den gewählten Modellansatz auch die Bonitätszustandsänderungen der Kreditnehmer miteinander korreliert. Die gemeinsamen Eintrittswahrscheinlichkeiten (je Simulationslauf) für die Bonitätszustände der Schuldner können dann einfach bestimmt werden, indem die individuellen, konditionierten Übergangswahrscheinlichkeiten miteinander multipliziert werden. Diesem Vorgehen liegt jedoch die Annahme zu Grunde, daß die Korrelationen der individuellen Bonitätszustandsänderungen vollständig durch die Korrelationen der das systematische Kreditrisiko erklärenden Faktoren und der Segmente beschrieben werden. 33 Des weiteren unterscheiden sich die Modelle durch den zur Implementierung erforderlichen statistischen Aufwand und den damit verbundenen Datenanforderungen. Diese sind bei CreditPortfolioView höher als bei CreditMetrics, weil bei diesem Modell zusätzlich die Art und Anzahl der je Segment zu berücksichtigenden makroökonomischen Faktoren identifiziert sowie die Ordnungen und Koeffizienten des die Stochastik der Faktoren beschreibenden ARIMA(p,q)Prozesses und die segmentspezifischen Regressionskoeffizienten für yj,t geschätzt werden müssen. Der hierdurch erkaufte Vorteil liegt in der Integration der aktuellen Wirtschaftslage in das Kreditportfoliorisikomodell und der damit (vermutlich) verbundenen höheren Prognosegenauigkeit. In Tabelle 1 werden noch einmal die wichtigsten Merkmale der beiden Modelle CreditMetrics und CreditPortfolioView zusammengefaßt. 32 33 Grundsätzlich bewirkt der Verschiebungsoperator für den Fall, daß die geschätzte, konditionierte Ausfallwahrscheinlichkeit größer als die durchschnittliche Ausfallwahrscheinlichkeit ist, innerhalb der durchschnittlichen Übergangsmatrix eine Verschiebung der Wahrscheinlichkeitsmasse von links nach rechts. Hierdurch werden Bonitätszustandsverschlechterungen wahrscheinlicher. Im umgekehrten Fall findet entsprechend eine Verschiebung von rechts nach links statt. Vgl. McKinsey&Co. (1998, S. 63f.). 88 Tabelle 1: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen CreditMetrics und CreditPortfolioView CreditMetrics CreditPortfolioView Gemeinsamkeiten Berechnungsverfahren Simulationsansatz (→ Rechenaufwand!) Berücksichtigung von Wertveränderungen sowohl aufgrund von Ratingveränderungen als auch aufgrund von Ausfällen (bei CreditPortfolioView wahlweise auch nur Berücksichtigung von Ausfällen) Unterschiede Berücksichtigung der aktuellen Wirtschaftslage nein ja Berücksichtigung von Korrelationen Auf die Korrelation der Bonitätszustandsänderungen der einzelnen Titel wird aus den Korrelationen der Aktienrenditen der zugehörigen Schuldner geschlossen. Die Korrelation der Bonitätszustandsänderungen der einzelnen Titel wird durch die Abhängigkeit von denselben makroökonomischen Faktoren sowie durch deren Korrelationen und die der Segmente bestimmt. Niedriger höher Datenanforderungen 3 Verwendung von Portfoliomodellen zur Regulierung der Übernahme von Kreditrisiken Grundsätzlich könnte – analog zur Vorgehensweise bei den internen Risikomodellen für Marktrisikopositionen – die mit den Kreditrisikomodellen ermittelte VaR-Kennzahl den Anknüpfungspunkt dafür darstellen, die aufsichtsrechtlich erforderlichen Eigenmittel zu bestimmen. So wäre denkbar, daß der erforderliche Eigenmittelbetrag als das Maximum aus dem aktuellen Value-at-Risk-Wert 89 und dem mit einem Faktor gewichteten Durchschnitt historischer Value-at-RiskBeträge festgesetzt wird.34 Dies erscheint schon alleine deswegen wünschenswert, da die zuvor beschriebenen Portfoliomodelle Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen der Kreditnehmer berücksichtigen. Somit würden durch eine geeignete Durchmischung des Gesamtbankportfolios erzielte Diversifikationseffekte in Form niedrigerer Eigenmittelanforderungen „belohnt“ und andererseits eine geringe Durchmischung oder Klumpenrisiken durch höhere Eigenmittelanforderungen „bestraft“ werden. 35 Da Eigenmittel eine knappe Ressource für Kreditinstitute darstellen, würde daher für diese ein ökonomischer Anreiz zu einem unter risikopolitischen Gesichtspunkten wünschenswerten Verhalten – die Diversifizierung des Gesamtkreditportfolios – gesetzt werden. Wie durch die BIZ im Rahmen einer Marktanalyse festgestellt, stehen jedoch allen derzeit verfügbaren Kreditportfoliorisikomodellen zwei fundamentale Hindernisse gegenüber, die auch gegen einen Einsatz dieser Modelle im Rahmen der Eigenmittelberechnung für Kreditrisiken sprechen und die nach Ansicht der BIZ vermutlich auch nicht innerhalb des für die Überarbeitung der Eigenkapitalvereinbarung angestrebten Zeitraumes überwunden werden können. 36 3.1 Problem: Fehlende Datenbasis Eine Hürde besteht in dem unzureichenden Datenmaterial, das es im allgemeinen nicht ermöglicht, die Vielzahl der im Modell benötigten Parameter hinreichend verläßlich zu schätzen. Dies gilt insbesondere auch für den für alle Kreditrisikomodelle zentralen Parameter der Korrelation zwischen den Bonitätszustandsänderungen der im Portfolio enthaltenen Titel. Genügend Daten zur direkten Schätzung dieser Art von Korrelation existieren im allgemeinen nicht,37 34 35 36 37 Dies entspräche dem Vorgehen bei der Ermittlung der Anrechnungsbeträge für Marktrisikopositionen unter Verwendung interner Risikomodelle (vgl. § 33 Grundsatz I über die Eigenmittel und die Liquidität der Institute). e höher der Diversifikationsgrad des Kreditportfolios ist, desto kleiner ist der Value-atRisk-Betrag und damit der zur Unterlegung von Kreditrisiken erforderliche Eigenmittelbetrag. Im Rahmen der zur Zeit geltenden Vorschriften erfolgt eine „Bestrafung“ für die Aufnahme von Klumpenrisiken in das Kreditportfolio bereits in beschränktem Maße durch die Großkreditobergrenzen (vgl. §§ 13, 13a, 13b KWG): Überschreiten einzelne Großkredite oder die Summe aller Großkredite bestimmte Grenzen, so muß dies dem BAKred geme ldet werden und dessen Zustimmung ist erforderlich; zusätzlich muß der Überschreitungsbetrag vollständig mit Eigenmitteln unterlegt werden. Die Idee, den erforderlichen Eigenkapitalbetrag mit der Höhe eines Kreditengagements und damit letztlich mit dem Diversifikationsgrad eines Kreditportfolios zu verbinden, wurde bereits 1964 von Stützel entwickelt. Um die Bankgläubiger zu schützen und dabei auch eine ausreichende Kreditstreuung zu gewährleisten, schlug Stützel die Erstellung einer Sonderbilanz, der sog. Einlegerschutzbilanz, vor. In dieser sollten neben den normalen Vorsichtsabschreibungen für Kreditrisiken noch Sonderabschreibungen für solche Forderungen an einen Schuldner vorgenommen werden, die ein bestimmtes Volumen überschritten. Der Sonderabschreibungssatz sollte dabei mit der Höhe der Forderung steigen (vgl. Stützel (1983, S. 41ff.)). Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999). Genauer gesagt, existieren nicht genügend Daten zur direkten Bestimmung der eigentlich gesuchten gemeinsamen, bestehende Korrelationen berücksichtigenden Eintrittswahrscheinlichkeiten für Bonitätszustandskombinationen (vgl. JP Morgan (1997, S. 83f.)). 90 so daß in beiden Modellen auf vereinfachende Annahmen und Näherungen ausgewichen werden muß, um Korrelationswerte zu bestimmen und diese dann bei der Berechnung gemeinsamer Eintrittwahrscheinlichkeiten für Bonitätszustandskombinationen zu verwenden. Im Modell CreditMetrics werden die Korrelationen von Branchen- und Länderaktienindizes als Näherungen für die Korrelationen der (stetigen) Aktivarenditen der Kreditnehmer verwendet. Für die Aktivarenditen wird die zusätzliche Annahme getroffen wird, daß diese normalverteilt sind. Unter der Normalverteilungsannahme und unter Berücksichtigung der Korrelationen der Aktivarenditen kann dann auf die gemeinsamen Eintrittwahrscheinlichkeiten für Bonitätszustandskombinationen geschlossen werden. Bei CreditPortfolioView wird, wie im vorherigen Abschnitt erläutert, die Korrelation zwischen den Bonitätszustandsänderungen der einzelnen Kreditnehmer durch die Abhängigkeit von denselben makroökonomischen Faktoren sowie durch die Korrelation der faktor- und segmentspezifischen Störgrößen berücksichtigt. Der Datenumfang, der zur Schätzung der in das Modell eingehenden Korrelationswerte und Gewichtungsfaktoren erforderlich ist, nimmt dabei mit der Anzahl der je Segment zu berücksichtigenden Faktoren und der Anzahl der betrachteten Segmente zu. Ein weiterer zentraler Baustein beider Modelle sind die Matrizen der Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den Bonitätszuständen. In CreditMetrics werden durchschnittliche Übergangswahrscheinlichkeiten verwendet, die durch Auswertung historischer Daten über die Häufigkeit von Bonitätszustandsänderungen berechnet und von Ratingagenturen wie Moody’s oder S&P bereitgestellt werden. Voraussetzung zur Bestimmung der Übergangsmatrix ist also zunächst einmal, daß ausreichend lange Datenreihen über Bonitätszustandsänderungen vorliegen. Gerade für den europäischen Kapitalmarkt, in dem das Rating von Unternehmen deutlich weniger verbreitet ist als beispielsweise in den USA, erscheint diese Anforderung nicht unproblematisch. Des weiteren stellen die derart ermittelten Übergangswahrscheinlichkeiten zeitliche Durchschnittswerte dar, die die aktuellen, tatsächlichen Übergangswahrscheinlichkeiten sowohl über- als auch unterschätzen können. Diese Schwäche wird im Modell CreditPortfolioView behoben, indem die Übergangsmatrizen auf den aktuellen Stand der Wirtschaft konditioniert werden. Hierdurch wird berücksichtigt, daß die Übergangswahrscheinlichkeiten tendenziell zu- oder abnehmen können, je nach dem in welcher Phase eines Konjunkturzyklus eine Volkswirtschaft sich gerade befindet. 38 Jedoch ist die Spezifikation der Verschiebungsoperatoren, die die Konditionierung der durchschnittlichen Übergangsmatrix bewirken, mehr oder weniger willkürlich. 39 Somit ist auch hier nicht gewährleistet, daß im Modell die aktuell „wahren“ Übergangswahrscheinlichkeiten verwendet werden. Zudem wird durch die Konditionierung ein im Vergleich zu CreditMetrics höherer statistischer Aufwand verursacht, wodurch auch höhere Anforderungen an das notwendige Datenmaterial gestellt werden. 38 Zur Zeitvariabilität von Übergangsmatrizen vgl. auch Nickell/Perraudin/Varotto (2000). 39 Vgl. hierzu genauer McKinsey&Co. (1998, S. 86ff.). 91 Für beide Modelle gleichermaßen relevant sind zudem die grundsätzlichen Schwächen einer Modellierung der Bonitätszustandsänderungen von Kreditnehmern über einen Ratingansatz: So wird dabei beispielsweise unterstellt, alle Unternehmen, die derselben Ratingklasse angehören, seien völlig homogen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Bonitätszustandsänderungen. Zudem muß jedem Kreditnehmer ein seine derzeitige Bonität widerspiegelndes Rating zugeordnet werden, also auch solchen Unternehmen, die kein externes Rating besitzen. Dies erfordert die Verwendung bankinterner Ratings. Die Definition des internen Ratingsystems und der Kriterien, die für die Vergabe eines bestimmten Ratings als erforderlich angesehen werden, sowie deren Auslegung bei der konkreten Feststellung eines internen Ratings beinhalten wieder ein gewisses Maß an Willkür. Dies kann dazu führen, daß die bei verschiedenen Kreditinstituten berechneten Risikokennzahlen auch bei Verwendung ident ischer Modelle voneinander abweichen können. Wären diese Risikokennzahlen dann Anknüpfungspunkt zur Eigenmittelbestimmung, hätte dies von Bank zu Bank unterschiedliche Eigenmittelanforderungen bei gleichen Risiken zur Folge. 40 Nicht zu unterschätzen ist zudem die bei Verwendung interner Ratingsysteme zu Regulierungszwecken bestehende Anreizproblematik: Banken könnten versucht sein, bewußt „zu gute“, das ökonomische Risiko nicht korrekt widerspiegelnde Ratings an ihre Kreditnehmer zu vergeben, um so den erforderlichen Eigenmittelbetrag möglichst gering zu halten. Weitere mit Unsicherheit behaftete Inputwerte beider Modelle sind die je nach Rangstellung, Art des Finanztitels und Umfang der gestellten Sicherheiten unterschiedlichen Befriedigungsquoten. Bei CreditMetrics beispielsweise wird diese Unsicherheit berücksichtigt, indem angenommen wird, daß die Befriedigungsquoten durch eine Beta-Verteilung 41 modelliert werden können. Die Parameter der Verteilung, der Erwartungswert und die Standardabweichung, hängen von der Rangstellung des Titels ab und werden entsprechend der in der Vergangenheit beobachteten Werte gewählt.42 Fraglich ist hier zum einen, ob die Verteilung korrekt spezifiziert ist und zum anderen, wie üblich bei der Verwendung historischer Daten, ob historisch beobachtete Parameterwerte auch in der Zukunft gelten. Als weitere unsichere Größen der vorgestellten Modelle wären Finanztitel mit variablen Engagementhöhen zu nennen, bei denen also die Höhe des Betrages, der von einer Bonitätszustandsänderung betroffen wäre, im Zeitablauf schwankt. Hier ist beispielsweise an Swaps, Forwards oder Optionen zu denken, bei denen die Entwicklung des Basiswertes (z.B. Wechselkurse, Zinsen) dafür maßgeblich ist, ob der Titel bei einer Bonitätszustandsänderung 40 41 42 Das Problem, daß unterschiedlich genutzte Entscheidungsspielräume zu unterschiedlichen Eigenmittelanforderungen führen können, besteht grundsätzlich auch bei internen Modellen für Marktrisikopositionen. Allerdings sind bei diesen die Entscheidungsspielräume enger gefaßt, was tendenziell zu geringeren Abweichungen bei den berechneten Eigenmitteln führen dürfte. Vgl. Embrechts/Klüppelberg/Mikosch (1997, S. 137). Vgl. JP Morgan (1997, S. 77ff.). 92 „im Geld“ ist und ob somit überhaupt ein Verlust durch die Bonitätszustandsänderung entsteht.43 Insgesamt scheint es, als ob die vorgestellten Kreditrisikomodelle zahlreiche Unsicherheitsquellen, vereinfachende Annahmen und subjektive Beurteilungsspielräume 44 beinhalten. Somit ist nicht gesichert, daß es sich bei der beispielsweise durch die Berücksichtigung von Korrelationen zwischen den Bonitätszustandsänderungen der Kreditnehmer angestrebten höheren Genauigkeit bei der Bestimmung des Risikogehaltes eines Portfolios nicht nur um eine „Scheingenauigkeit“ handelt. Dies bedeutet, daß der Vorteil der Modelle, daß zahlreiche wertbestimmende Faktoren für ein Kreditportfolio berücksichtigt werden, unter Umständen überkompensiert wird durch die Auswirkungen schlecht geschätzter Parameter oder bestimmter Modellannahmen und somit der Risikogehalt eines Portfolios durch die Kreditrisikomodelle auch nicht besser erfaßt wird als durch einfache, pauschalere Verfahren. Solange diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dürften sich Kreditportfoliorisikomodelle auch nicht zur Regulierung der Übernahme von Kreditrisiken eignen, da der mit Hilfe der Modelle berechnete Eigenmittelbetrag unter Umständen nicht in einem adäquaten Verhältnis zu dem tatsächlichen Portfoliorisiko steht. 3.2 Problem: Mangelnde Möglichkeiten zur Modellvalidierung Das zweite essentielle Hindernis, das nach Ansicht der BIZ dem Einsatz von Kreditrisikomodellen zu Regulierungszwecken im Weg steht, liegt darin, daß zur Zeit die Prognosegenauigkeit der verwendeten Modelle nur schwer überprüfbar ist.45 Um die Prognosefähigkeit der Modelle beurteilen zu können, müßten die vom Modell vorhergesagten Wertveränderungen des Portfolios mit den am Risikohorizont tatsächlich eingetretenen Wertveränderungen verglichen werden. Ausgehend vom aktuellen Portfolio könnte beispielsweise geprüft werden, wie häufig der prognostizierte Value-at-Risk-Wert überschritten würde, wenn in der Vergangenheit tatsächlich eingetretene Bonitätszustands- und Wertänderungen (jeweils bezogen auf den gewählten Risikohorizont) zu Grunde gelegt würden. Während Marktrisikomodelle im allgemeinen einen Planungszeitraum von wenigen Tagen verwenden, beträgt dieser bei Kreditrisikomodellen häufig ein Jahr oder länger. Dieser Umstand führt dazu, daß für eine zuverlässige Validierung der Modelle Daten benötigt würden, die möglicherweise Jahrzehnte zurückliegen und somit nicht zur Verfügung stehen. 46 3.3 Problem: Fehlanreize Ein grundsätzliches Problem beim Einsatz interner Modelle besteht in Fehlanreizen für die Banken, Freiheitsgrade innerhalb dieser Modelle so zu nutzen, 43 44 45 46 Vgl. JP Morgan (1997, S. 47ff.). Vgl. auch Basel Committee on Banking Supervision (1999a, S. 5f.); Jackson/Perraudin (2000, S. 5). Zum Aspekt der Modellvalidierung vgl. auch Basel Committee on Banking Supervision (1999a, S. 48ff.). Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (1999a, S. 2). 93 daß der berechnete Eigenmittelbetrag möglichst gering wird. Um diesen Fehlanreizen entgegenzuwirken, besitzen die Aufsichtsbehörden grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Zum einen können sie die Anzahl der Freiheitsgrade in den internen Modellen beschränken, indem sie beispielsweise vorschreiben, daß nur die Verwendung objektivierbarer Inputgrößen zulässig ist. Dies ist jedoch derzeit aufgrund der geringen Datenbasis nicht möglich. In der gegenwärtigen Situation ist es daher nicht zu vermeiden, daß Banken auf institutsinterne, objektiv nicht nachprüfbare Daten zurückgreifen. Zum anderen könnten die Aufsichtsbehörden Anreize setzen, daß die Banken die ihnen zur Verfügung stehenden Freiheitsgrade in der Weise nutzen, daß ihre Modelle den Risikogehalt ihrer Portfolios möglichst gut erfassen. Ein solcher Anreiz könnte beispielsweise dadurch geschaffen werden, daß Fehlprognosen, also die im Rahmen eines Backtesting ermittelte mehrfache Überschreitung der prognostizierten Wertveränderungen durch die tatsächlich eingetretenen Wertveränderungen, durch eine Erhöhung der Eigenmittelanforderungen sanktioniert werden. 47 Da, wie bereits ausgeführt, aufgrund mangelnder Daten jedoch eine zeitnahe Überprüfung der Modellgüte nicht möglich ist, scheitert auch dieser Steuerungsmechanismus.48 4 Fazit Die obige Diskussion macht deutlich, daß eine der zentralen Voraussetzungen dafür, daß Kreditrisikomodelle zu regulatorischen Zwecken eingesetzt werden können, im Aufbau einer geeigneten Datenbasis liegt, die es ermöglicht, die Zulässigkeit von Modellannahmen zu überprüfen, notwendige Modellparameter verläßlich zu schätzen und die Prognosegüte der Modelle im Nachhinein zu testen. Zusätzlich ist noch weitere theoretische und empirische Arbeit zu leisten, um die Auswirkungen bestimmter Modellannahmen auf die Modellergebnisse, wie Portfoliowertverteilung und Risikokennzahlen, besser verstehen und deren 47 48 Bei den internen Risikomodellen für Marktrisikopositionen ist ein solcher Ansatz bereits realisiert worden: Überschreitungen der prognostizierten durch die tatsächlichen Wertveränderungen werden durch eine schrittweise Erhöhung des VaR-Multiplikators „bestraft“ (vgl. § 37 Grundsatz I über die Eigenmittel und die Liquidität der Institute). Ab zehn Überschreitungen ergeben sich starke Zweifel an der Güte des Modells, was im Einzelfall dazu führen kann, daß seine Verwendung untersagt wird. Vgl. auch die Diskussion in Jackson/Perraudin (2000, S. 7ff.) über die Möglichkeiten der Bankenaufsicht, Anreize zu setzen, damit Banken beim Einsatz von Kreditrisikomodellen zu Regulierungszwecken ihr Kreditportfoliorisiko nicht unterschätzen, um Eigenmittel zu sparen. 94 Sensitivität gegenüber Parameterschätzungen besser beurteilen zu können. 49 Dies könnte die Sorge der Aufsichtsbehörden verringern, daß das tatsächliche Kreditrisiko eines Portfolios unterschätzt und damit auch die erforderlichen Eigenmittel zu niedrig angesetzt werden. Literaturverzeichnis Basel Committee on Banking Supervision (1999a): Credit risk modelling: current practices and applications, Basel, April 1999. Basel Committee on Banking Supervision (1999b): A new capital adequacy framework, Basel, June 1999. Crouhy, M./Galai, D./Mark, R. (2000): A comparative analysis of current credit risk models, in: Journal of Banking & Finance, Vol. 24, 2000, S. 59-117. Embrechts, P./Klüppelberg, C./Mikosch, T. 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KMV) prognostizierten VaR-Werte mit den real eingetretenen Verlusten eines Portfolios vergleichen. 95 Markowitz, H. (1952): Portfolio selection, in: Journal of Finance, Vol. 7, 1952, S. 77-91. McKinsey&Co. (1998): CreditPortfolioView - Approach Document, 1998. Merton, R.C. (1974): On the pricing of corporate debt: the risk structure of interest rates, in: Journal of Finance, Vol. 29, 1974, S. 449-470. Nickell, P./Perraudin, W./Varotto, S. (1999): Ratings- versus equity-based credit risk modelling: an empirical analysis, Working Paper, July 1999. Nickell, P./Perraudin, W./Varotto, S. (2000): Stability of rating transitions, in: Journal of Banking & Finance, Vol. 24, 2000, S. 203-227. Saunders, A. (1999): Credit risk management: new approaches to value at risk and other paradigms, New York 1999. Schulte-Mattler, H./Stausberg, T. (1998): Quantifizierung von Kreditrisiken unter Verwendung von Übergangswahrscheinlichkeiten, in: Bank, 10/98, S. 633-638. Schwicht, P./Neske, C. 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