Fehler und Patientensicherheit

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Fehler und Patientensicherheit
M. Schmidt
1
Hintergrund
Alle Menschen machen Fehler, das gilt auch für die
Arbeit im Krankenhaus. Ein fehlerloses Krankenhaus
ist eine Utopie2, man kann Fehler und deren Folgen
nur minimieren. Inzwischen weiß man, dass die
Individualisierung von Fehlern incl. persönlicher
Schuldzuweisung die Fehlerhäufigkeit einer Klinik
insgesamt nicht senkt. Krankenhausbereiche mit
„Sicherheitskultur“ (s.u.) haben hingegen die
niedrigste Fehlerquote, d.h. Sicherheitskultur erhöht
die Patientensicherheit [Löber 10123].
Um welche Fehler geht es? 4
Ein unerwünschtes Ereignis (Adverse Event) ist ein
schädliches Vorkommnis bei der Arbeit am
Patienten. Ein vermeidbares unerwünschtes Ereignis
(Preventable Adverse Event) hätte bei optimalen
Bedingungen vermieden werden können. Ein
kritisches Ereignis bei der Arbeit (Critical Incident)
hätte zu einem unerwünschten Ereignis führen
können. Ein Fehler bei der Arbeit (Error) ist die
Handlung, bei der eine Abweichung vom Plan, ein
falscher Plan oder kein Plan vorliegt. Ob daraus ein
Schaden am Patienten entsteht, ist zunächst
irrelevant. Beinahe-Schaden am Patienten (Near
Miss) sind Fehler, die zu einen Schaden hätten
führen können. Der eingetretene Schaden am
Patienten ist ein Behandlungsfehler.
Fehlerdispositionen [nach Löber 20125]
Wir kennen drei individuelle und Umgebungsvariable, die das Risiko für kritische Ereignisse,
Fehler,
Beinaheschäden
und
Schäden
im
Krankenhaus steigern:
Individuelle Fehler-Dispositionen: Behinderungen,
langsames psychisches und körperliches Tempo,
fehlenden Langzeitausdauer, geringe emotionale
und
körperliche
Belastbarkeit,
reduzierte
Stressbarkeit, hohe Störempfindlichkeit und
Ablenkbarkeit, geringe Umschaltfähigkeit, langsames Reaktionstempo, hohe Risikobereitschaft,
geringe Fähigkeit ein Risiko abzuschätzen, schlechte
1 Prof. Dr. M. Schmidt, Universitätsklinikum Würzburg; Vortrag beim
Philosophicum für Mediziner, 25. April 2013
2 LT Kohn et al.: To err is human. Natl Academic Press
www.nap.edu/catalog/9728.html
3 N. Löber: Fehler und Fehlerkultur im Krankenhaus. Gabler Verlag
Wiesbaden, 2012
4 www.aktionsbuendnis-patientensicherheit.de {Zugriff 09.04.2013}
5 Op.cit.
Motivierbarkeit und Lernbereitschaft, mangelhafter
Umgang mit Kritik.
Es ist die Aufgabe der
Leitungsebene, die individuellen Fehlerdispositionen
der Mitarbeiter zu erkennen (Personalführung). Es
gibt gewisse Pflichten, die von allen geleistet
werden müssen und können. Das erreichen wir
durch Training, Schulung, Teaching etc. Aber jeder
Mitarbeiter hat seine Schwächen und Stärken und
deshalb ist nicht jeder für alle Einsätze geeignet.
Überforderung ist zu erkennen und zu benennen
(z.B. im Mitarbeitergespräch).
Technische Fehler-Dispositionen sind z.B. ungeeignetes, defektes, unsicheres Gerät, ungenügende
Wartung, problematische Mensch-Maschine-Schnittstellen, fehlende Einarbeitung oder Schulung,
falsche Anwendung.
Technik muss perfekt
funktionieren, auch die Schnittstelle MenschMaschine. Es muss Regeln für den Versagensfall
geben. Die Medizintechnik ist einzuschalten.
Das komplexe System Krankenhaus disponiert zu
Fehlern: verknüpfte, gekoppelte Abläufe, enge
Taktung von Arbeitsschritten, dynamische Änderung
des Problems im Zeitverlauf, undurchsichtige oder
parallele Zuständigkeiten, verschwommene Verantwortungsbereiche,
Kommunikationsstörungen,
Zeitdruck, Arbeitsverdichtung, fehlende Pausen,
mentale,
emotionale,
körperliche,
fachliche
Überforderung, fehlende Einarbeitung. Gefordert
sind klare Abläufe, definierte Zuständigkeiten und
Verantwortungsbereiche (Transparenz), sichere
Einarbeitung und eine offene Kommunikation.
Fehlerebenen [nach Reason 20006]
Auf vier Ebenen der Arbeit ereignen sich die
kritischen Ereignisse, Fehler, Beinaheschäden und
Schäden im Krankenhaus:
Ebene der Fähigkeiten/Fertigkeiten: Man ist unkonzentriert (müde), abgelenkt (ständige Unterbrechungen), löst mehrere Probleme gleichzeitig
(Multitasking). Auf der Ebene der Fertigkeiten
ereignen sich die meisten Fehler, es sind (Schnitzer
(slips) oder Patzer (lapses). Glücklicherweise sind sie
fast immer harmlos, schnell und folgenlos zu
beherrschen Diese Fehler werden aber durch
Systemprobleme eher verstärkt als abgefedert.
Ebene der Regeln: Man wendet Regeln falsch an, die
Regeln selbst sind fehlerhaft, man greift zu spät ein,
man hält an Regeln fest, obwohl sie nicht mehr
wirksam sind. Die Ebene der Regeln bleibt immer
fehlerbehaftet. Nicht jeder kennt alle Regeln,
Vorschriften, Leitlinien etc. Nicht jeder wendet sie
richtig an. Nicht jeder kennt ihre Geltungsgrenzen.
6 J Reason: Human error: models and management. Brit Med J
2000; 19: 116-122
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Es ist oft nicht klar, was bei einem Versagen der
Regeln zu tun ist.
Ebene des Wissens: Es gibt für eine schwierige
Situation keine Routine oder Regel, man muss
nachdenken (Zeitfaktor), sich informieren (Erreichbarkeit, Verfügbarkeit), erinnert sich an ähnliche
Situationen (Analogschlüsse), man muss sehr
vereinfachen, um unter Stress überhaupt eine
Lösung zu finden. Womöglich ändert sich das
Problem dynamisch während der laufenden
Lösungsversuchs. Die Ebene des Wissens ist mit
Nachdenken verbunden und das kostet Zeit. Zeit ist
oft knapp, unter Stress denkt man sehr fokal. Hinzu
kommt, dass wir mit Lösungsansätzen nachhinken.
Die vierte Ebene, die Ebene der absichtlichen
Fehlhandlungen (grobe Fahrlässigkeit, bewusste
Inkaufnahme von Patientenschädigung, Sabotage)
lassen wir für unsere Diskussion zunächst beiseite.
Sicherheitskultur
Der Mitarbeiter macht seine individuellen Fehler in
seinem komplexen Arbeitsumfeld. Diese Fehler sind
meist für den Patienten harmlos, d.h. schnell
beherrschbar ohne schädliche Folgen. Man schätzt,
dass in einem High Risk Environment (wie es
Krankenhäuser sind) auf 300 kleine, beherrschbare
Fehler etwa 29 Fehler mit erkennbarem Schaden
kommen und ein Fehler mit katastrophalen Folgen:
„Heinrichs Eisberg“ [Heinrich und Grannis 19597].
Übliches Fehlermanagement (oder Beschwerdemanagement) kümmert sich um die schweren Fehler
und versucht die Folgen für Patient, Mitarbeiter und
Krankenhaus zu begrenzen. Risikomanagement
(oder besser Sicherheitsmanagement) kümmert sich
um die vielen kleinen Fehler und versucht
fehlerverhindernde und fehlerfolgendämpfende
Sicherheitsstrukturen aufzubauen.
Wer einen schwereren Fehler am Patienten („first
victim“) gemacht hat und dadurch zum zum „second
victim“ wird, wird selbstunsicher, unproduktiv und
hat eine höhere Fehlerquote8. Sein individuelles
Risiko von Behandlungsfehlern wird dadurch
vervielfacht. Es muss für diese Kollegen eine
Beratung, ggf. Supervison geben, natürlich auch
fachliche Schulung.
annehmen können, die keinen Rückschluss auf die
Identität des Meldenden erlauben (es sei denn,
dieser wünscht ausdrücklich eine Rückmeldung).
Wer dem CIRS Ereignisse meldet, darf daraus keine
persönlichen oder zivilrechtlichen Nachteile erleiden.
Ist hingegen ein erkennbarer Schaden am Patienten
aufgetreten9, besteht ein Behandlungsfehler und
damit ein juristisch relevanter Straftatbestand. Dies
ist dem Patienten anzuzeigen, wenn eine Gefahr für
Leib und Leben besteht. Es ist ihm andernfalls nur
auf Nachfrage mitzuteilen. Die Klinikverwaltung
(Rechtsabteilung) muss informiert werden, denn es
sind ggf. strafrechtliche Ermittlungen zu erwarten.
Das CIRS ist nur ein Informationswerkzeug. Das
Krankenhaus aber muss aus gemeldeten Fehlern
lernen, um eine Sicherheitskultur zu entwickeln. Alle
CIRS-Meldungen müssen deshalb von den
zuständigen
Spezialisten
(Ärzte,
Pflegende,
technische Berufe, Verwaltung) diskutiert werden.
Daraus sind Fehlerkorrekturen zu entwickeln und
durchzusetzen. Dazu braucht man Entscheidungsgremien aus den erfahrensten Mitarbeitern der
Arbeitsebenen. Deren Zeitkontingent ist immer
besonders knapp. Eine entsprechende Personalausstattung ist deshalb unvermeidlich. Die
verbesserte Patientensicherheit wird es nicht
kostenfrei geben.
Begleitende Maßnahmen, wie retrospektive
Fallbesprechungen in Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen [M&M] können in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll sein. Voraussetzung ist dabei,
dass
kritische Ereignisse, Fehler bei der Arbeit,
Beinahe-Schäden und Behandlungsfehler von der
persönlichen Schuldfrage entkoppelt werden, d.h.
dass M&M keinen bestrafenden Charakter
annehmen dürfen. Nur dann wird der Blick auf das
High Risk Environment frei, wo die fehlerverhindernden
und
fehlerfolgen-dämpfenden
Veränderungen erreicht werden müssen.
Primäres Ziel bleibt die Sicherheit des Patienten
(safety first), nicht der Schutz der Institution
Krankenhaus.
Es muss klar definiert sein, welche Fehler bekannt zu
machen sind. Ein typisches Critical Incident
Reporting System [CIRS] erfasst kritische Ereignisse
bei der Arbeit (Critical Incident), Fehler bei der
Arbeit (Error) und Beinahe-Schäden am Patienten
(Near Miss). Das CIRS muss anonyme Meldungen
7 Zit. nach Löber 2012, op. Cit.
8 Quintus Horatius Flaccus: „In vitium ducit culpae fuga, si caret
arte“
9 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und
Patienten, Bundesgesetzblatt 2013, Teil I Nr. 9, Bonn, 25. Februar
2013
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