Rudolf Hickel Kommentar: Die Acht verbriefen - Die IG Metallforderung in der Finanzmarktkrise _________________________________________________________________ Die tiefe Finanzmarktkrise hat eine überraschend radikale Forderungsrhetorik ausgelöst, die noch vor wenigen Wochen als sozialistische Wahnvorstellung diffamiert worden wäre. Wenn auch noch kein neues Paradigma sichtbar ist, heute wird selbst in den Chefetagen der Banken von der Kernschmelze des Kapitalismus, vom Ende des „Laissez faire“ auf den Finanzmärkten gesprochen. Nachdem permanentes Foulen das Megaspiel auf den Finanzmärkten bestimmte, werden jetzt selbst durch die noch vor wenigen Wochen beinharten Verfechter der reinen Lehre vom deregulierten Markt, der alles zum besten richtet, streng kontrollierte Spielregeln auf den Finanzmärkten gefordert. Gegenüber diesem Gesinnungswandel ist jedoch Skepsis angesagt. Die Gefahr ist viel zu groß, dass nach einer gigantischen Sozialisierung der Verluste durch die Übernahme der faulen Kredite in den Staatshaushalt in den USA von einer neu formierten Basis zur Tagesordnung übergangen wird. Wenn nicht die eigentlichen Ursachen abgestellt werden, ist die nächste Megakrise jedoch gewiss. All die vielen Regulierungen, die jetzt vorgeschlagen werden, richten sich viel zu wenig auf die Triebkräfte der außer Rand und Band geratenen Finanzmärkte. Es reicht nicht aus, nur an der Oberfläche die Zockerinstrumente zu bekämpfen. Entscheidend ist die Frage nach den Quellen, aus denen das Geldkapital stammt, auf dem sich heute die Herrschaft der Finanzmärkte gründet. Im Mittelpunkt stehen die milliardenschweren Kapitalsammelstellen. Sie ziehen einem Staubsauger vergleichbar überschüssige Liquidität aus aller Welt an. Da dominieren vor allem die Investmentbanken sowie die aggressiven Nebenbanken, wie Hedge- und Private Equity-Fonds. Der in den letzten Jahren gigantische Mittelzufluss ist die bittere Folge einer tiefgreifenden Umverteilung der Einkommen zu Gunsten der Kapitalgewinne und zu Lasten der Masseneinkommen. Die neoliberale Vorfahrtsregel für Gewinne hat bei den Unternehmen und den Reichen zu massiven Liquiditätsüberschüssen geführt. Diese drängen in die Kapitalsammelstellen mit dem Ziel, schnell hohe Profitraten zu erzielen. Übrigens auch die Produktionsunternehmen selbst ins renditetreibende Visier der konzentrierten Anlagespekulanten. Dabei haben diese gesellschaftlich organisierten Verteilungsverluste der Lohnbezieher eine brutale Nebenwirkung auf die produzierende Wirtschaft. Erzeugt wird unzureichende Kaufkraft, die die Binnenwirtschaft belastet. Auch in Deutschland sind exzessiver Spekulationskapitalismus und binnenwirtschaftliche Stagnation 1 die zwei Seiten der Medaille der neoliberalen Gewinnpflege. Schließlich war es die neoliberalen Internationale, forciert durch die Reaganomics und den Thatcherismus, die den Kapitalzufluss auf die Finanzmärkte im Verhältnis zur Produktion vorangetrieben hat. Auch die sozial-grüne Regierungspolitik hat mit ihrer neoliberalen Agenda 2010 diese Umverteilung forciert. So ist von 2000 mit 72,2% der Anteil der Arbeitseinkommen am Bruttoinlandsprodukt auf 64,6% im letzten Jahr zurückgefallen. Darin schlägt sich der rapide Bedeutungsgewinn des Niedriglohnsektors nieder. Im Widerspruch zur Rechtfertigung, dieser Gewinnvorsprung ist von der Unternehmenswirtschaft nicht nur in die Finanzierung von Sachinvestitionen gelenkt worden. Während laut Deutscher Bundesbank 2006 bei den Produktionsunternehmen die Eigenmittel auf 235,7 Mrd. € gestiegen sind, flossen mit insgesamt 74,3 Mrd. € gegenüber dem Vorjahr 14 Mrd. € mehr in die Geldvermögensbildung. Also, die überschüssigen Gewinne landen am Ende zusammen mit dem Großteil der Dividenden auf den Finanzmärkten. Insoweit hat sich die zurückhaltende Lohnpolitik nicht gelohnt. Zur Rückgewinnung der Vorherrschaft der Produktionswirtschaft über die hoch riskanten Finanzmärkte zählt auch, die gesamtwirtschaftlich schädlichen Renditeansprüche aus der Unternehmenswirtschaft zugunsten der Beteiligung der Wertschöpfenden zurückzudrehen. Denn diese gerechte Umverteilung zugunsten der Arbeits- und Sozialeinkommen schafft ein Nachfragepotenzial, das der (realen) Binnenwirtschaft nützt. Hierbei kommt neben einem mittelfristig angelegten öffentlichen Zukunftsinvestitionsprogramm der Lohnpolitik eine besondere Rolle. Es wäre also binnenwirtschaftlich absolut falsch, der Lohnpolitik zur Rettung aus dem Abwärtsstrudel der Finanzmärkte Opfer abzuverlangen. Bezogen auf die die Binnenwirtschaft stärkende, gerechte Verteilungspolitik weist die Lohnforderung der IGM von acht Prozent in die richtige Richtung. Sie zielt darauf, die überschüssigen Gewinne, die spekulativ angelegt werden, zugunsten der Arbeitseinkommen zu reduzieren. Gerade in der Metall- und Elektroindustrie ist der Anteil der Gewinne, die nicht zur Finanzierung von Sachinvestitionen geflossen sind, besonders stark gestiegen. Die Forderung nach acht Prozent orientiert sich am verteilungsneutralen Spielraum: Die Teilhabe am Zuwachs der Arbeitsstundenproduktivität, der in den letzten Jahren zwischen 5 und 7 Prozent lag, zusammen mit dem Ausgleich der Inflationsrate wird gesichert. Dabei ist ein Nachschlag für den Verteilungsverlust der Beschäftigten in den letzten Jahren nicht einmal berücksichtigt. Sicherlich sind die konjunkturellen Risiken in der Phase des derzeitigen Abschwungs groß. Aber einerseits ist die internationale Konkurrenzfähigkeit dieser Branche überdurchschnittlich hoch. Deshalb sollten die Lohnerhöhung am realen Produkti2 vitätspotenzial ausgerichtet werden. Andererseits führt der Lohnzuschlag von acht Prozent auch nach Abzug der Inflation und der Abgabenlast zu Verbesserung der Kaufkraft. Die Stärkung der Binnenwirtschaft durch eine gerechtere Verteilung der Einkommen ist ein probates Mittel gegen den Abschwung, der durch die Folgen der Finanzmarktkrise beschleunigt wird. Den Finanzmärkten ist zu raten, diese Lohnforderung von acht Prozent als werthaltig zu verbriefen. _______________ 3