„Revised Clinical Institute Withdrawal Assessment for Alcohol Scale

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Aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
Direktor Prof. Dr. Dieter Naber
„Revised Clinical Institute Withdrawal Assessment for
Alcohol Scale“ als Prädiktor für die Schwere des
Alkoholentzugs
Dissertation
zur Erlangung des Grades eines Doktors der Medizin
der Medizinischen Fakultät
der Universität Hamburg
vorgelegt von Luise Weitzdörfer
aus Kaiserslautern
Hamburg 2009
Angenommen von der Medizinischen Fakultät
der Universität Hamburg am: 19.11.2009
Veröffentlicht mit Genehmigung der Medizinischen
Fakultät der Universität Hamburg
Prüfungsausschuss, der Vorsitzende: Prof. Dr. C. Haasen
Prüfungsausschuss: 2. Gutachter: PD Dr. J. Reimer
Prüfungsausschuss: 3. Gutachter: Prof. Dr. D. Naber
La planète suivante était habitée par un buveur. Cette visite fut très courte mais
elle plongea le petit prince dans une grande mélancolie:
- Que fais-tu là? dit-il au buveur, qu’il trouva installeé en silence devant une
collection de bouteilles vides et une collection de bouteilles pleines.
- Je bois, répondit le buveur, d’un air lugubre.
- Pourquoi bois-tu? Lui demanda le petit prince.
- Pour oublier, répondit le buveur.
- Pour oublier quoi? s’enquit le petit prince qui déjà le plaignait.
- Pour oublier que j’ai honte, avoua le buveur en baissant la tête.
- Honte de quoi? s’informa le petit prince qui désirait le secourir.
- Honte de boire! acheva le buveur qui s’enferma définitivement dans la silence.
Et le petit prince s’en fut, perplexe.
Les grandes personnes sont décidément très bizarres, se disait-il en lui-même
durant le voyage.
“Le Petit Prince”, Antoine de Saint-Exupéry
INHALTSVERZEICHNIS
I
1
EINLEITUNG
1
2
THEORETISCHE GRUNDLAGEN
3
2.1
2.2
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.2.4
2.3
2.3.1
2.3.2
2.3.3
2.4
2.4.1
2.4.2
2.5
2.5.1
2.5.2
2.6
2.6.1
2.6.2
2.6.3
2.7
2.7.1
2.7.2
2.8
2.8.1
2.8.2
2.9
2.9.1
2.9.2
2.9.3
2.9.4
ABHÄNGIGKEITSSYNDROM
ALKOHOLENTZUGSBEHANDLUNG
ENTGIFTUNG – KÖRPERLICHER ENTZUG
ENTWÖHNUNG – PSYCHISCHER ENTZUG
AMBULANTE ODER STATIONÄRE BEHANDLUNG
QUALIFIZIERTE ENTZUGSBEHANDLUNG
ALKOHOLENTZUGSSYNDROM
VORKOMMEN
SYMPTOME DES ALKOHOLENTZUGS
PATHOPHYSIOLOGIE DES ALKOHOLENTZUGSSYNDROMS
KOMPLIKATIONEN
KRAMPFANFALL
DELIRIUM TREMENS
BEGLEITERKRANKUNGEN DER ALKOHOLABHÄNGIGKEIT
PSYCHIATRISCHE BEGLEITERKRANKUNGEN
SOMATISCHE BEGLEITERKRANKUNGEN
MEDIKAMENTÖSE THERAPIE
INDIKATION
ART DER MEDIKAMENTE
THERAPIE NACH SYMPTOMEN ODER FESTEM APPLIKATIONSSCHEMA
BEURTEILUNGSSKALEN ALS HILFSMITTEL ZUR DOSISFINDUNG
CIWA-AR
ÜBERBLICK ÜBER ANDERE BEURTEILUNGSSKALEN
DIAGNOSTISCH WICHTIGE LABORPARAMETER
MITTLERES ERYTHROZYTENEINZELVOLUMEN
LEBERFUNKTIONSPARAMETER
ALKOHOLENTZUG AM UNIVERSITÄTSKLINIKUM EPPENDORF
ABLAUF
MEDIKAMENTÖSE THERAPIE
PSYCHOTHERAPIE
CIWA-AR AM UKE
3
3
4
5
5
6
8
8
8
10
11
11
12
14
14
16
17
17
18
20
22
23
25
29
29
29
31
31
32
33
34
3
FRAGESTELLUNG
35
4
MATERIAL UND METHODEN
36
4.1
4.1.1
4.1.2
4.2
4.3
4.3.1
4.3.2
4.3.3
4.4
STICHPROBENBESCHREIBUNG
EINSCHLUSSKRITERIEN
AUSSCHLUSSKRITERIEN
DATENGEWINNUNG
AUFBAU UND INHALT DES ERFASSUNGSBOGENS
AUFNAHME UND ABHÄNGIGKEITSVERHALTEN
KOMORBIDITÄT
AKTUELLE ENTZUGSDOKUMENTATION
AUSWERTUNG DER DATEN
36
36
36
36
37
37
38
39
40
INHALTSVERZEICHNIS
5
ERGEBNISSE
II
42
5.1 PATIENTENKOLLEKTIV
5.1.1 ABHÄNGIGKEITSVERHALTEN
5.1.2 KOMORBIDITÄT
5.1.3 DATEN BEI AUFNAHME
5.1.4 DATEN ZUM THERAPIEVERLAUF
5.1.5 MEDIKAMENTÖSE THERAPIE
5.1.6 GETRENNTE BETRACHTUNG VON FRAUEN UND MÄNNERN
5.2 CIWA-AR
5.2.1 ALLGEMEINE ERGEBNISSE
5.2.2 BEDEUTENDE ZUSAMMENHÄNGE
5.2.3 BESCHREIBUNG DER CIWA-AR-BEWERTUNGSEINHEITEN
5.2.4 GEMEINSAME BEWERTUNGSEINHEIT „HALLUZINATION“
5.2.5 GRUPPENEINTEILUNG
5.2.6 VERGLEICH DER GRUPPEN
5.2.7 RELIABILITÄTSANALYSE DER EINZELNEN CIWA-AR-EINHEITEN
5.2.8 FAKTORENANALYSE MIT ANSCHLIEßENDER VARIMAXROTATION
42
43
43
44
45
45
46
47
47
48
50
52
52
53
60
62
6
64
DISKUSSION
6.1
6.1.1
6.1.2
6.1.3
6.1.4
6.2
6.2.1
6.2.2
6.2.3
6.3
6.4
6.4.1
6.4.2
6.5
METHODENKRITIK
STICHPROBE
BEWERTUNG DER SYMPTOMATIK
ERSTELLEN DER CIWA-AR
DATENAUSWERTUNG
BEWERTUNG DER CIWA-AR
EIGNUNG DER CIWA-AR ALS ENTZUGSINSTRUMENT
EINMALIGE VERWENDUNG DER CIWA-AR
CIWA-AR ALS PRÄDIKTOR FÜR EINEN SCHWEREN ENTZUGSVERLAUF
ANDERE RELEVANTE PARAMETER ALS PRÄDIKTOREN
OPTIMIERUNG DES CIWA-AR-BOGENS
WEITERE PARAMETER ZUR EINSCHÄTZUNG DER ENTZUGSSCHWERE
RELEVANZ EINZELNER BEWERTUNGSEINHEITEN
KLINISCHE RELEVANZ DER ERGEBNISSE
64
64
66
67
67
68
68
69
71
74
75
76
76
78
7
ZUSAMMENFASSUNG
79
8
LITERATURVERZEICHNIS
81
9
ANHANG
87
9.1
9.2
9.3
9.4
9.5
ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS
AUSWERTUNGSBOGEN
CIWA-AR
LEBENSLAUF
DANKSAGUNG
87
88
90
91
92
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
a
AAK
AES
AWMF
AWS
bzw.
ca.
CIWA
CIWA-AD
CIWA-Ar
d
DSM-IV
EU
fl
g
GABA
GGT
GOT
GPT
h
ICD-10
l
LARS
MAWS
MCV
min
mmHg
mmol
n
NMDA
p
PS 5
QE
r
s
U/l
UKE
WHO
z. B.
Jahre
Alkoholkonzentration in der Atemluft
Alkoholentzugssyndrom
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften
Alcohol Withdrawal Scale
beziehungsweise
circa
Clinical Institute Withdrawal Assessment for Alcohol
Clinical Institute Withdrawal Assessment for Alcohol Scale,
beruhend auf DSM-IV
Clinical Institute Withdrawal Assessment for Alcohol Scale,
revised
Tag
Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer
Störungen, Version IV
Europäische Union
Femtoliter
Gramm
γ-Aminobuttersäure
γ-Glutamyltransferase
Glutamat-Oxalacetat-Transaminase
Glutamat-Pyruvat-Transaminase
Stunde
Internationale Klassifikation der Krankheiten, 10. Revision
Liter
Lübeck Alcohol Withdrawal Risk Scale
Mainz-Alcohol-Withdrawal-Scale
Mittleres Erythrozyteneinzelvolumen
Minute
Millimeter Quecksilbersäule
Millimol
Anzahl
N-Methyl-D-Aspartat
Ergebnis eines statistischen Signifikanztests
Psychiatrische Station 5, Uniklinik Hamburg-Eppendorf
Qualifizierter Entzug
Korrelationskoeffizient
Standardabweichung
Units pro Liter
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Weltgesundheitsorganisation
zum Beispiel
III
1 EINLEITUNG
1
1
EINLEITUNG
Alkohol gilt in vielen Kulturkreisen als alltägliches Genuss- und Rauschmittel. Seine
Gefahren werden häufig unterschätzt. Es handelt sich um eine Substanz mit toxischer
Wirkung, die zu Abhängigkeit führen kann. In Europa ist Alkoholabhängigkeit die
häufigste Suchterkrankung. Etwa 90 Prozent (%) der erwachsenen Deutschen
konsumieren Alkohol, es wird von circa 2,5 Millionen Abhängigen ausgegangen
(Bühringer et al. 2000). Laut Deutscher Hauptstelle für Suchtfragen lag der
Alkoholverbrauch im Jahre 2007 pro Einwohner bei 9,9 Litern (l), immerhin 2,2%
weniger als im Vorjahr. Deutschland zählt zusammen mit Portugal, Luxemburg,
Tschechien und Frankreich zu den Spitzenverbrauchern an Alkohol im EUVergleich.
Bereits geringe Mengen Alkohol können schädigende Wirkungen hervorrufen. Nach
Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation liegt die Risikogrenze des Konsums
bei 20 Gramm (g) Reinalkohol täglich für Frauen und bei 30 g für Männer. Ein
halber Liter Bier enthält bereits 20 g Alkohol. Der Großteil der Bevölkerung
konsumiert täglich weit mehr als das (Bühringer et al. 2000).
Übermäßiger Alkoholkonsum führt neben sozialen auch zu schwerwiegenden
gesundheitlichen Problemen. Die Substanz beeinträchtigt nahezu jede Köperfunktion
und ist Ursache schwerer Folgeschäden. Das Risiko für Lebererkrankungen, erhöhten
Blutdruck oder bestimmte Krebserkrankungen verdoppelt sich bereits bei
regelmäßigem Konsums geringer Trinkmengen (Mundle et al. 2003). Laut
Statistischem Bundesamt starben im Jahr 2005 in Deutschland mehr Menschen im
Zusammenhang mit Alkoholkonsum als durch Verkehrsunfälle und Suizide
zusammengerechnet.
Als
häufigste
Todesursache
wurde
die
alkoholische
Leberzirrhose erfasst. Die an Alkohol Verstorbenen sind durchschnittlich 20 Jahre
jünger als die an anderen Ursachen Verstorbenen (Bühringer et al. 2000).
Trotz dieser bekannten Fakten ist die Entscheidung zum Alkoholentzug für Patienten
immer von starken Ängsten vor Entzugserscheinungen und der alkoholfreien Zukunft
begleitet. Betroffene zögern die Behandlung meist lange Zeit hinaus. Viele von ihnen
weisen deshalb zum Zeitpunkt des Entzuges bereits eine schwerwiegende
1 EINLEITUNG
2
Abhängigkeit auf. Es kann dann beim Entzug zu einer Vielzahl somatischer und
psychischer Symptome kommen. Nervosität, Tremor, Schlafstörungen und
Bluthochdruck bis hin zu schwerwiegenden Komplikationen wie Delirium tremens
oder Krampfanfälle können auftreten. Das Alkoholentzugssyndrom (AES) variiert
stark
von
Patient
zu
Patient.
Der
Übergang
vom
unkomplizierten
Alkoholentzugssyndrom zum lebensbedrohlichen Alkoholentzugsdelir ist fließend.
Zu Beginn sind individueller Verlauf und Komplikationen für den behandelnden
Arzt jedoch schwer vorhersehbar, auch die Indikation zur medikamentösen Therapie
sowie deren Dosierung ist im Vorfeld nicht planbar.
Mit Hilfe der Entzugsskala Clinical Institute Withdrawal Assessment for Alcohol
Scale, revised (CIWA-Ar), die häufige und seltene Symptome des Entzugs abfragt,
ist die Schwere des AES numerisch quantifizierbar und im Verlauf vergleichbar. Nur
bei
Überschreitung
Entzugsmedikamente.
einer
Durch
festgelegten
wiederholte
Punktzahl
erhält
Erstellung
der
ermöglicht
Patient
diese
symptomgesteuerte Behandlung eine optimale Dosierung der Medikamente, die auch
auf variierende Symptomatik flexibel reagieren kann. Während sich der Einsatz der
CIWA-Ar im angloamerikanischen Raum durchgesetzt hat, wird in der
Bundesrepublik in vielen Einrichtungen weiterhin ohne Entzugsskalen nach eigenen
fixen Arzneimittelschemata therapiert. Klare allgemeingültige Richtlinien fehlen. Die
Folge ist eine häufig zu hohe Dosierung von Medikamenten mit hohem
Suchtpotenzial und Nebenwirkungen (Hill und Williams 1993).
Aufgrund dieser Tatsache wurde in der vorliegenden Arbeit die Verlässlichkeit der
CIWA-Ar als Entzugsinstrument an einer deutschen Universitätsklinik untersucht. Es
erfolgte die Überprüfung einzelner Bewertungseinheiten zur Optimierung der Skala.
Darüber hinaus konnte eine neue Einsatzmöglichkeit der Skala vorgestellt und
evaluiert werden. Es wurde geprüft, ob die einmalige CIWA-Ar-Erhebung zu Beginn
des Entzugs bedeutende Hinweise für den Verlauf liefert. Eine dadurch ermöglichte
frühe Risikoabschätzung eröffnet neue Möglichkeiten für die Praxis des
Alkoholentzugs. Optimierung der Entzugsbehandlung im klinischen Bereich sowie
Entlastung von Patienten durch Vermeidung von Komplikationen waren die
Hauptanliegen dieser Studie.
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
3
2
THEORETISCHE GRUNDLAGEN
2.1
Abhängigkeitssyndrom
Das Abhängigkeitssyndrom wird nach dem Internationalen Klassifikationssystem der
Krankheiten (ICD-10, F10.2) beschrieben als eine Gruppe körperlicher, kognitiver
und sozialer Phänomene, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln.
Dabei besteht der starke Wunsch, die Substanz einzunehmen, selbst nach dem
Auftreten schädlicher Folgen. Betroffene verlieren die Kontrolle über Menge und
Frequenz des Konsums. Die Abhängigkeit führt zur Vernachlässigung anderer
Aktivitäten und Pflichten zugunsten des Substanzgebrauchs. Toleranzentwicklung
und körperliches Entzugssyndrom sind Folgen des regelmäßigen Konsums. Die
Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit dauert meist Jahre bis Jahrzehnte. Bei einem
Rückfall treten die genannten Symptome einer Abhängigkeit häufig schon innerhalb
von Tagen oder Wochen auf (Mundle et al. 2003).
2.2
Alkoholentzugsbehandlung
Die Therapie der Alkoholabhängigkeit beinhaltet die Akut- und Postakutbehandlung,
je nach individuellen Umständen ambulant, teilstationär oder stationär durchführbar.
Sie umfasst zunächst die körperliche Entzugsbehandlung, die ambulant eine Woche,
teilstationär oder stationär als qualifizierte Entzugsbehandlung drei Wochen dauert.
Daran schließt sich die vier- bis sechsmonatige Entwöhnungsbehandlung in
Suchtfachkliniken an. Bei guter sozialer Integration kann auch ambulant in
Suchtberatungsstellen
Aufrechterhaltung
eine
der
einjährige
Abstinenz
Therapie
sollte
durchgeführt
schließlich
der
werden.
Zur
Besuch
von
Selbsthilfegruppen und eine pharmakologische Behandlung als Rückfallprophylaxe
erwogen werden. Für den Behandlungserfolg sind individuelle Therapieplanung und
enge interdisziplinäre Zusammenarbeit von großer Bedeutung. Bei optimaler
Therapie und Nutzung der oben genannten einzelnen Interventionen sind
Abstinenzquoten von über 60% zu erzielen (Mann 2002).
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
2.2.1
4
Entgiftung – körperlicher Entzug
Während der Entgiftung steht die Behandlung körperlicher Entzugserscheinungen im
Vordergrund. Nach dem abrupten Absetzen von Alkohol dauern diese, je nach
körperlicher Verfassung, ein bis höchstens zwei Wochen an. Dabei sollte eine
somatisch gut fundierte Behandlung der Entzugssymptome mit Diagnostik und
Therapie der körperlichen Begleit- und Folgekrankheiten durchgeführt werden, um
das Auftreten von Komplikationen möglichst zu vermeiden. Die beobachteten
Symptome sind in ihrer Ausprägung sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht von
Zittern und Unwohlsein über gastrointestinale Beschwerden bis zum Alkoholdelir,
welches tödlich enden kann (Banger et al. 1997). Deshalb sollte die Behandlung
unbedingt unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt werden, unabhängig davon, ob
stationär oder zuhause entzogen wird. Bei Risikopatienten, also multimorbiden und
jenen
mit
vorangegangenen
schweren
Entzügen,
ist
die
Entgiftung
mit
Flüssigkeitszufuhr
und
entsprechenden Medikamenten unbedingt stationär durchzuführen.
Während
der
Behandlung
muss
auf
ausreichende
Elektrolytausgleich geachtet werden, außerdem sollte eine eventuell bestehende
Mangelernährung behandelt werden. Bei Bedarf werden Magnesium, Thiamin und
Flüssigkeit intravenös zugeführt (Kiefer und Mann 2007).
Die Therapie der körperlichen Symptome stellt nur einen Teil der Anforderungen an
die Behandlung dar, denn schon zu Beginn ist die grundlegende Auseinandersetzung
mit der eigenen Suchtproblematik für einen positiven Ausgang von großer
Bedeutung. Intensive psychotherapeutische Betreuung bereitet den Weg zur
dauerhaften Abstinenz. Nur wenn der Patient seine Krankheit verstehen und
akzeptieren lernt, wird er sich zur langfristigen Entwöhnungstherapie entschließen.
Eine deutsche multizentrische Studie ergab weitaus höhere Abstinenzquoten bei
Patienten, die sich zusätzlich zur kurzfristigen Entzugsbehandlung zu einer
langfristigen Entwöhnungsbehandlung entschlossen (Feuerlein und Küfner 1989).
Um Motivation für die langfristige Abstinenz zu wecken, sind folglich
Aufklärungsgespräche über die Erkrankung und die gemeinsame Erstellung von
Therapieplänen bezüglich der weiterführenden Behandlung essentiell.
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
2.2.2
5
Entwöhnung – psychischer Entzug
Die Rehabilitationsbehandlung sollte sich der Entgiftung direkt anschließen und
dauert mindestens mehrere Wochen, häufig Monate. Sie kann ambulant, teilstationär
oder stationär durchgeführt werden. Ambulant geschieht dies erfolgreich in
entsprechend qualifizierten Suchtberatungsstellen (Soyka et al. 1997). Auch für die
stationäre
Entwöhnungsbehandlung
in
spezialisierten
Einrichtungen
konnte
Wirksamkeit bewiesen werden (Mann et al. 2006). Psychotherapeutische
Behandlung und soziale Betreuung einerseits sowie das Miteinbeziehen von
Familienangehörigen
andererseits
sind
vordergründige
Aspekte
der
Entwöhnungstherapie. Die Langzeittherapie sollte genügend Zeit und Raum für
soziales Training und Persönlichkeitsschulung schaffen.
Der Entwöhnungsbehandlung folgt möglichst eine ambulante Nachbetreuung. In
regelmäßigen Abständen kann so Hilfestellung bei der Wiedereingliederung in den
Alltag und bei akuten psychischen Krisen mit Rückfallgefährdung gewährleistet
werden. Zusätzlich haben sich Selbsthilfegruppen wie die „Anonymen Alkoholiker“
für die Nachbetreuung bewährt.
2.2.3
Die
Ambulante oder stationäre Behandlung
Entscheidung
Entzugsphasen
über
die
(Krankenhaus,
Rahmenbedingungen
Tagesklinik,
während
betreutes
der
Wohnen,
einzelnen
ambulante
Behandlung) sollte abhängig von den Fähigkeiten des Patienten individuell getroffen
werden. Vorteilhaft für den Ausgang der Therapie ist eine wenig restriktive
Umgebung mit größtmöglicher Sicherheit.
Wirksamkeit und Kosteneffizienz wurden für eine stationäre Behandlung von
mindestens drei Wochen nachgewiesen (Driessen 1999a). Auch für ambulante
Entgiftungen liegen günstige Ergebnisse vor, sofern tägliche Arztbesuche gesichert
sind (Scherle et al. 2003). In einer katamnestischen Untersuchung (Soyka et al. 1997)
waren nach 18 bis 24 Monaten 47,7% der Patienten mit ambulanter Therapie
durchgehend abstinent (n = 65, nachuntersuchte Patienten = 51, durchgehend
abstinent = 31). Studien zufolge gibt es zwischen ambulant und stationär betreuten
Patienten keinen Unterschied bezüglich der Abstinenzrate nach sechs Monaten
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
6
(Hayashida et al. 1989). Der qualifizierte ambulante Entzug stellt zum stationären
also eine effiziente, kostengünstige Alternative dar.
Sehr selbstständige Patienten, bei denen keine schweren Komplikationen zu erwarten
sind und die zuhause sozial gut versorgt sind, können demnach ambulant entziehen
(Kiefer und Mann 2007). Sie dürfen weder therapiebedürftige Begleiterkrankungen
noch eine Vorgeschichte komplizierter Entzüge oder gescheiterter Entzugsversuche
haben. Für die Behandlung muss ein strenger Therapieplan vorliegen, auf dessen
Basis die Patienten vor allem in der ersten Woche täglich betreut werden und eine
ihren Symptomen entsprechende Arzneimitteltherapie erhalten. Als Medikament der
ersten Wahl wird Benzodiazepin für den ambulanten Entzug empfohlen. Die
Verschreibung von Clomethiazol ist dagegen wegen des hohen Suchtpotenzials und
der möglichen Komplikationen (bronchiale Hypersekretion, Atemdepression in
Kombination mit Alkohol) obsolet. Besonders geschwächte Patienten ohne
förderliches soziales Umfeld sollten unbedingt stationär entgiften, da mit schweren
Komplikationen gerechnet werden muss (Driessen 1999a). Außerdem können so
andere behandlungsbedürftige internistische oder psychische Begleiterkrankungen,
die während des Aufenthalts diagnostiziert werden, zeitnah optimal therapiert
werden.
Es muss folglich für jeden Patienten individuell entschieden werden, ob ein
stationärer Entzug gegenüber dem ambulanten vorzuziehen ist und ob die
erforderlichen Rahmenbedingungen erfüllt werden.
2.2.4
Qualifizierte Entzugsbehandlung
Unter Qualifiziertem Entzug (QE) versteht man die umfassende dreiwöchige
Entzugsbehandlung, die den körperlichen Entzugs mit Behandlungskonzepten der
Entwöhnungstherapie verbindet. Die umfassende Therapie der ersten Wochen des
Entzugs soll eine intensive psychologische Betreuung der Patienten von Anfang an
garantieren. Es ist hierbei von großer Bedeutung, dass der Patient über seine
Erkrankung aufgeklärt und sich seiner Abhängigkeit bewusst wird. Er soll
herangeführt werden an weitere Behandlungsschritte der langfristigen Therapie.
„Lebenslange Alkoholabstinenz“ heißt die Idealvorstellung des Entzugs, tatsächlich
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
7
demotiviert dieses scheinbar unerreichbare Ziel häufig Patienten (Kiefer und Mann
2007). Auch wenn in Kauf genommen werden muss, dass abstinente Perioden von
Rückfällen unterbrochen werden, gilt es, Patienten generell zur Entzugsbehandlung
zu motivieren (Mann et al. 2006). Das vorrangige Ziel ist eine Verbesserung der
Lebensqualität des Patienten, das heißt Stabilisierung seiner Gesundheit, Reduktion
der Trinkmenge und Erlangen von sozialer Sicherheit. Um dies zu erreichen, werden
im QE die klassischen Behandlungsweisen mit alternativen Therapieansätzen
kombiniert.
Dazu
gehören
sport-
und
verhaltenstherapeutische
Techniken
(schrittweise Exposition, Ergotherapie), Entspannungsverfahren wie autogenes
Training,
Akupunkturbehandlungen
sowie
regelmäßige
Gruppen-
und
Einzeltherapiesitzungen. Schon zu Beginn der Behandlung wird über weiterführende
Therapieeinrichtungen aufgeklärt, Selbsthilfegruppen werden vorgestellt. Patienten
haben die Möglichkeit, solche Einrichtungen zu besuchen, um über ihre weitere
Behandlung entscheiden zu können.
Der QE versteht sich demnach als flexibles, ganzheitliches Behandlungskonzept mit
dem Ziel, Motivation und Anleitung für Behandlung und Abstinenz zu geben.
Ermöglicht wird dies durch die Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen,
Sozialarbeitern und geschulten Pflegekräften, die den Patienten kompetent
unterstützen können.
Grundlage
für
das
Konzept
des
QE
sind
die
Empfehlungen
einer
Expertenkommission der Bundesregierung (BMG 1988). Um flächendeckende
Versorgung alkoholkranker Menschen zu garantieren, werden seither spezialisierte
psychiatrische Suchtkompetenzzentren gefordert, in denen medizinisch, psycho- und
sozialtherapeutisch geschultes Personal zusammenarbeitet.
Beim Vergleich des Qualifizierten Entzugs mit dem allgemeinpsychiatrischen
Entzug konnten langfristig finanzielle Vorteile für den QE nachgewiesen werden
(Driessen et al. 1999b). Trotz anfangs erhöhter Kosten für den aufwendigen QE
waren
die
Ausgaben
in
den
dem
Entzug
folgenden
fünf
Jahren
für
Krankenbehandlung und Krankengeld nur halb so hoch. Obwohl die Effizienz des
QE belegt ist, wird noch immer häufig konventionell behandelt, vor allem auf
internistischen Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern (Schwoon et al. 2002).
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
8
2.3
Alkoholentzugssyndrom
2.3.1
Vorkommen
Das Alkoholentzugssyndrom kann auftreten, wenn ein über lange Zeit regelmäßig
betriebener Konsum plötzlich unterbrochen oder stark vermindert wird. Durch den
plötzlichen Abfall des Blutalkoholspiegels beim Entzug kommt es zur Übererregung
des Zentralnervensystems (ZNS), auf dessen Transmittersysteme der chronische
Konsum einen dämpfenden Effekt hatte (Zilker 1999). Die sehr unterschiedlichen
Symptome beginnen sechs bis 24 Stunden nach Trinkende, häufig schon bevor die
Alkoholblutkonzentration den Wert Null erreicht hat (Hall und Zador 1997).
Abhängig vom Schweregrad treten über einen Zeitraum von drei bis fünf Tagen
typische Entzugserscheinungen auf, die meist am zweiten Tag am ausgeprägtesten
sind.
2.3.2
Symptome des Alkoholentzugs
Die Art und Schwere der Symptome können sehr variabel sein. Risikofaktoren für
einen schweren Entzug sind beispielsweise frühere Entzugssyndrome mit Delir oder
körperliche Komorbidität. Im Folgenden werden die möglichen internistischen,
vegetativen, neurologischen und psychischen Beschwerden aufgeführt (Feuerlein et
al. 1998).
Aus dem Bereich der somatisch-internistischen Symptome sind Unwohlsein und
Schwäche, gastrointestinale Störungen (Appetitmangel, Magenschmerzen, Durchfall,
Übelkeit, Erbrechen, Blutungen), Herz-Kreislaufstörungen (Pulsbeschleunigung und
Blutdruckerhöhung,
periphere
Ödeme)
und
Hypoglykämie
oder
Elektrolytveränderungen möglich. Vegetative Erscheinungen wie Mundtrockenheit,
übermäßiges Schwitzen, Juckreiz und Schlafstörungen treten häufig auf. Tremor
(Zittern der Hände, Zunge und Augenlider), Artikulationsstörungen, Ataxie,
Parästhesien, Nystagmus, Doppelbilder, Muskel- und Kopfschmerzen sowie erhöhte
Krampfneigung zählen zu den neurologischen Symptomen.
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
9
Auch psychische Auffälligkeiten wie Angst, Reizbarkeit, motorische und innere
Unruhe, depressive Verstimmungen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen,
selten Bewusstseinsstörungen und flüchtige Halluzinationen („weiße Mäuse“) sind
zu erwarten.
Das Spektrum reicht von milden vegetativen Entzugserscheinungen bis zu schweren
Entzugssymptomen mit lebensbedrohlichen Komplikationen. Neurologische und
psychische
Symptome,
wie
Halluzinationen,
Krampfanfälle
und
Orientierungslosigkeit, lassen auf ein schweres Entzugssyndrom schließen. Bei
schweren AES, die mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 15% auftreten, kann es
vorübergehend zu optischen und akustischen Halluzinationen kommen (SchröderRosenstock und Busch 1996).
In Tabelle 1 sind die zu beobachtenden Entzugserscheinungen in der Reihenfolge des
Auftretens aufgeführt. Abfolge und Dauer sind abhängig von der Schwere des
Entzugs und den einzelnen Symptomen selbst.
Tabelle 1: Auftreten von Alkoholentzugssymptomen (Bayard et al. 2004)
Symptome des Alkoholentzugs
Eintritt der Symptomatik
Milde Entzugssymptomatik: Schlafstörung,
Ängstlichkeit, Unruhe, Übelkeit, Erbrechen,
Kopfweh, Schwitzen, Herzklopfen
Nach 6 bis 12 h
Halluzinationen: visuelle, akustische und taktile
Nach 12 bis 24 h
Entzugskrampfanfälle: generalisierte tonischklonische Krämpfe
Nach 24 bis 48 h
Delirium tremens: Halluzinationen (meist
visuell), Desorientierung, Tachykardie,
Hypertension, leichtes Fieber, Unruhe
Nach 48 bis 72 h
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
10
Es wird davon ausgegangen, dass die Schwere der Symptomatik mit der Menge des
täglichen Alkoholkonsums und der Länge der letzten Konsumphase zusammenhängt.
Oft wiederholen sich Entzugsereignisse bei einzelnen Patienten (Bayard et al. 2004).
Delirien treten beispielsweise gehäuft bei jenen Patienten auf, die in ihrer
Krankengeschichte bereits ein Delir aufweisen (Kraemer et al. 2003).
Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung (Mundle et al. 2003)
empfehlen, Art und Verlauf des Entzugssyndroms gezielt zu beobachten und zu
dokumentieren, da sich die Symptomatik rasch verändern kann. Zur objektiven
Einschätzung der Entzugsschwere wird die Verwendung standardisierter Skalen als
Hilfsmittel gefordert. Die international am häufigsten verwendete Skala ist die
CIWA-Ar. Diese ermöglicht eine an numerischen Ergebnissen orientierte AESBehandlung (Sullivan et al. 1989). Sie wurde in vielen kürzlich erschienenen Studien
zur Pharmakotherapie des Alkoholentzugs verwendet (Favre et al. 2005; Addolorato
et al. 2006). Da vorangegangene Studien bezüglich prognostischer Faktoren für die
Entwicklung schwerer Entzugserscheinungen bis heute keine einheitlichen
Ergebnisse liefern, wird in der hier vorliegenden Arbeit geprüft, ob mit Hilfe der
CIWA-Ar-Erstellung zu Beginn eine Aussage über den zu erwartenden Verlauf des
individuellen Entzugs gemacht werden kann.
2.3.3
Pathophysiologie des Alkoholentzugssyndroms
Alkohol wirkt sich auf nahezu jedes Transmittersystem des Nervensystems aus.
Noch nicht alle pathophysiologischen Mechanismen des Alkoholentzugs sind
vollständig geklärt (Tiecks und Einhäupl 1994). Es wird im Folgenden nur auf die
wichtigsten eingegangen.
Im gesunden Nervensystem des Menschen besteht eine Balance zwischen
hemmenden (inhibitorischen) und erregenden (exzitatorischen) Neurotransmittern.
Der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter ist GABA (γ-Aminobuttersäure), der
über entsprechende Rezeptoren wirkt. Alkohol in hohen Dosen verstärkt die
hemmende Wirkung an den GABA-Neurorezeptoren, was in einer generellen
Minderung der Erregbarkeit resultiert. Bei chronischem Alkoholkonsum reagieren
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
11
diese Rezeptoren kompensatorisch weniger sensitiv auf die Aktivierung durch
GABA. Dies äußert sich in einer verstärkten Toleranz gegenüber Alkohol.
Einer der wichtigsten exzitatorischen Neurotransmitter ist Glutamat, die zugehörigen
Rezeptoren
sind
vom
NMDA-Typ
(N-Methyl-D-Aspartat-Typ).
Auf
diese
Rezeptoren hat Ethanol einen hemmenden Effekt. Sie werden deshalb nach langem
Alkoholkonsum kompensatorisch hochreguliert. Beim abrupten Absetzen des
Alkohols kommt es zu Übererregbarkeit, da die hemmende Wirkung des Alkohols
wegfällt (Rommelspacher et al. 1991; Schröder-Rosenstock und Busch 1996). Angst,
Nervosität, Zittern und auch Krampfanfälle oder Delirium tremens sind die Folgen.
Neurophysiologische Untersuchungen stellten ein Phänomen namens Kindling vor
(Ballenger und Post 1978). Durch die wiederholte Einwirkung schwacher Reize, die
alleine noch keine Reizantwort auslösen könnten, wird die Schwelle für Entladungen
gesenkt. Die Reizantwort auf schwache Reize wird nach mehrmals erlebten
Entzugssituationen fortlaufend stärker. Das bedeutet, dass bei langbestehender
Abhängigkeit durch vorangegangene Induktion des ZNS das Risiko für folgende
Entzugssymptome und epileptische Anfälle gesteigert ist.
2.4
Komplikationen
2.4.1
Krampfanfall
Bei circa 15% der Entziehenden treten generalisierte Krampfanfälle auf (Soyka
1999). Sie stellen eine ernste Komplikation des schweren AES dar. Krampfanfälle
können sich innerhalb von sechs bis 48 Stunden nach Absetzen des Alkohols
entwickeln und äußern sich durch starke Zuckungen und Krämpfe, bei denen
Patienten stürzen und sich ernsthaft verletzen können (Hughes 2009).
Es gibt bestimmte Prädispositionen, die ein Krampfgeschehen begünstigen. Das
Risiko steigt mit dem Ausgangsalkoholspiegel und beim Vorliegen eines
Hirntraumas oder einer metabolischen Störung, wie einer Elektrolytentgleisung. An
Epilepsie erkrankte Patienten erleiden häufiger entzugsbedingte Krampfanfälle.
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
12
Auch mehrere durchgeführte Entzüge und früheres Krampfgeschehen begünstigen
ihr Auftreten (Lechtenberg und Worner 1990).
In einem Drittel der Fälle geht das Krampfgeschehen in ein Delirium tremens über
(Zilker 1999). Patienten mit erhöhtem Anfallsrisiko sollten im Entzug zusätzlich zur
generellen
Entzugsmedikation
krampfprophylaktisch
behandelt
werden,
beispielsweise mit Carbamazepin.
2.4.2
Delirium tremens
Auftreten
Das Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens) ist ein lebensbedrohlicher Zustand, der
meist nach langjährigem Alkoholismus vorkommt. Auftreten kann ein Alkoholdelir
48 bis 96 h nach Absetzen von Alkohol, aber auch in einer Phase des extremen
Konsums (Wright et al. 2006). Es wird angenommen, dass circa fünf Prozent aller
hospitalisierten Menschen ein Delirium tremens entwickeln (Mayo-Smith et al.
2004). Abhängig von aktuellen Begleiterkrankungen wird das Risiko eines schweren
AES mit Delirium tremens auf fünf bis 20% geschätzt (Ferguson et al. 1996). Laut
Deutscher Krankenhausstatistik werden pro Jahr 15000 bis 20000 Patienten mit der
Diagnose Alkoholdelir behandelt (Soyka 2008). Etwa die Hälfte aller Delirien
beginnt mit einem zerebralen Krampfanfall (Soyka 1995a). Die Letalität des
unbehandelten Delirs liegt bei 15%, unter optimaler Therapie hingegen bei nur 0 bis
5% (Ferguson et al. 1996). Ursächlich für das Versterben sind meist kardiovaskuläre
Faktoren. Es ist die schwerste und gefährlichste Komplikation des Alkoholentzugs.
12 bis 23% der Alkoholiker, die ein Delir entwickeln, erleiden bei einem erneuten
Entzug abermals ein Delir. Deshalb ist bei der Anamnese die diesbezügliche
Vorgeschichte des Patienten sehr genau zu erfassen und für den bevorstehenden
Entzug
besonders
relevant
(Mayo-Smith
1997).
Für
die
Früherkennung,
medikamentöse Behandlung und mögliche Vermeidung des Delirs könnte die
Verwendung der CIWA-Ar hilfreich sein. Dies wird in der vorliegenden Arbeit
untersucht.
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
13
Symptome
Die klassischen Symptome des Delirium tremens sind nach Informationen der
Weltgesundheitsorganisation
Bewusstseinstrübung
und
Verwirrtheit,
lebhafte
Halluzinationen oder Illusionen jeglicher Wahrnehmungsqualität (besonders
optischer Natur) sowie ausgeprägter Tremor (Dilling et al. 1999). Charakteristisch
sind auch Temperaturanstieg, Tachykardie und vegetative Irritabilität. Das
Alkoholentzugsdelir dauert meist weniger als eine Woche, Bewusstseinstrübung und
Verwirrtheit können aber selbst unter medikamentöser Behandlung Wochen bis
Monate anhalten (Wright et al. 2006). Sogar nach Ende des Delirs kann ein
organisches Psychosyndrom mit Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen
sowie vegetativer Labilität bestehen bleiben. Auch der direkte Übergang in eine
Wernicke-Enzephalopathie und ein alkoholbedingtes Korsakow-Syndrom ist
möglich. Die Wernicke-Enzephalopathie zeichnet sich durch die Symptomtrias
Verwirrung und Bewusstseinsstörung, Augenmuskelparese sowie Ataxie aus. Sie tritt
gehäuft bei Alkoholikern mit Vitamin B1-Mangel aufgrund von Malabsorption auf
und kann durch Behandlung mit hochdosiertem Thiamin teilweise geheilt werden. Im
Gegensatz dazu ist das Korsakow-Syndrom meist irreversibel. Es geht häufig aus
einer unbehandelten Wernicke-Enzephalopathie hervor und ist gekennzeichnet durch
anterograde Amnesie und Konfabulationen. Patienten mit Korsakow-Syndrom füllen
Erinnerungslücken mit reinen Phantasieinhalten aus.
Risikofaktoren und Therapie
Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirium tremens sind schwere
Begleiterkrankungen, täglicher hoher Alkoholkonsum, Delir- und Krampfanfälle in
der Vorgeschichte und eine schwere generelle Entzugssymptomatik schon bei
Aufnahme im Krankenhaus (Bayard et al. 2004). Patienten, die aufgrund von
Alkoholfolgekrankheiten, wie Pankreatitis, Leberzirrhose, obere gastrointestinale
Blutung oder Schädel-Hirn-Trauma, stationär aufgenommen werden, entwickeln
durch das abrupte Trinkende häufig ein Alkoholdelir. Für die Therapie ist bei Fehlen
kardiopulmonaler Vorerkrankungen Clomethiazol das Mittel der ersten Wahl (Soyka
und Küfner 2008). Bei Bedarf wird zusätzlich als Antipsychotikum Haloperidol
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
14
(5-10 mg/Tag) gegeben. Alternativ können auch Benzodiazepine in Kombination mit
einem Antipsychotikum verabreicht werden. Generell muss geprüft werden, wie
schwerwiegend das Delir ist. Gegebenenfalls sollte die Weiterbehandlung des
Patienten von der Intensivstation übernommen werden.
2.5
Begleiterkrankungen der Alkoholabhängigkeit
2.5.1
Psychiatrische Begleiterkrankungen
Warum ist Alkoholismus in unserer Gesellschaft ein so häufig auftretendes Problem?
Welche Umstände führen zu diesem Verhalten? Auch wenn der Entzug Gegenstand
dieser Arbeit ist, sollte dabei Interesse an den gesellschaftlichen und psychischen
Aspekten der Erkrankung bestehen. Es ist durchaus wichtig, die mögliche
Komorbidität der Patientengruppe zu kennen. Entsprechende Therapiemaßnahmen
müssen gezielt und individuell angepasst werden. Da sich die psychische Situation
eines Patienten im Laufe des Entzugs und der Entwöhnung ändert, sollte der Patient
nicht nur während der Behandlung, sondern auch nach zwei- bis vierwöchiger
Abstinenz unbedingt psychiatrisch untersucht werden (Brown et al. 1995).
Überdurchschnittlich
häufig
besteht
bei
Alkoholikern
eine
psychiatrische
Begleiterkrankung. Nach dem ätiopathogenetischen Entstehungsmodell ist entweder
der Alkoholismus die Ursache der psychiatrischen Störung oder aber eine
psychiatrische
Erkrankung
führt
zum
Alkoholismus.
Das
pathologische
Trinkverhalten kann im Sinne einer Selbstmedikation der vorbestehenden
psychischen Störung gesehen werden (Wurmser 1987). Natürlich können beide
Erkrankungen entsprechend dem Zufallsmodell auch ganz unabhängig voneinander
auftreten. Das phänomenologische Modell jedoch sieht eine gemeinsame Ursache für
beide Störungen, beispielsweise eine genetische Grundlage.
Für den Verlauf der Alkoholerkrankung ist eine koexistente psychiatrische Störung
relevant. Solange eine depressive Symptomatik besteht, stellt die Abstinenz ein nur
schwer zu erreichendes Ziel dar. Beim Vorliegen einer Angststörung wiederum kann
eine Panikvorstellung vor der Entzugssituation den Konsum fördern, die
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
15
Entscheidung zum Entzug erschweren und so die Abhängigkeit entsprechend dem
interaktionalen Prinzip verstärken. Es ist bekannt, dass der Genuss von Alkohol als
Mittel zur Verringerung negativer psychophysiologischer Korrelate gilt. Die
alkoholbezogene Wirkung ist zwar nur von kurzer Dauer, hat aber einen starken
subjektiven Einfluss auf die Gemütslage
des
Menschen
und
ist
somit
alkoholismusfördernd. Der Langzeiteffekt des Alkohols hingegen scheint eher angstund depressionssteigernd zu sein. Es kommt zu einem circulus vitiosus, dem die
Patienten alleine nur schwer entkommen können.
Die fünf wichtigsten psychiatrischen Begleiterkrankungen des Alkoholismus werden
im folgenden Abschnitt vorgestellt:
Affektive Störungen lassen sich ursächlich in primäre und sekundäre Depressionen
einteilen. Während der überwiegende Anteil männlicher Alkoholabhängiger durch
die Alkoholabhängigkeit eine sekundäre Depression entwickelt, leiden Frauen
häufiger primär unter einer depressiven Störung und diese verursacht gesteigerten
Alkoholkonsum (Roy et al. 1991). Sekundäre Depressionen werden bei 12 bis 51%
der Erkrankten diagnostiziert. Depressive Alkoholiker weisen eine größere tägliche
Trinkmenge auf als Alkoholiker ohne depressive Störungen (Driessen 1999a). Es
wurde ein positiver Zusammenhang zwischen depressiven Symptomen und einem
erhöhten Rückfallrisiko festgestellt (Greenfield et al. 1998).
Angststörungen gehören neben affektiven Störungen zu den häufigsten komorbiden
Störungen bei Alkoholikern (Schuckit und Hesselbrock 1994). Meist handelt es sich
um soziale Phobien, Agoraphobien oder Panikstörungen. Angststörungen werden vor
allem als primäre Störungen vermutet, bei denen Alkohol im Sinne einer
Selbstmedikation verstanden werden kann.
Die Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen Alkoholabhängiger wird in der
Literatur
kontrovers
diskutiert.
Die
Diagnose
einer
antisozialen
Persönlichkeitsstörung wurde insbesondere in den angloamerikanischen Ländern bei
bis zu 50% der alkoholabhängigen Patienten gestellt (Bucholz et al. 2000). Es konnte
allerdings keine „Alkoholikerpersönlichkeit“ nachgewiesen werden.
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
16
Generell existiert eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Ausbildung einer
Abhängigkeitsstörung und für Substanzmissbrauch bei einer schizophrenen
Grunderkrankung. Die Angaben zur Lebenszeitprävalenz für Alkoholismus
schwanken zwischen 10 und 40% (Soyka 1995a), wobei sich die Abhängigkeit meist
nach der psychiatrischen Diagnose entwickelt (Hambrecht und Häfner 1996).
Das lebenslange Suizidrisiko schließlich ist bei Alkoholabhängigen im Vergleich zur
Gesamtbevölkerung 60- bis 120-fach erhöht (2,0-3,4%). Ein Viertel aller Suizide
wird durch Alkoholiker begangen. Die Todesursache von 5 bis 27% der Erkrankten
ist Suizid (Murphy und Wetzel 1990). Akute Risikofaktoren für einen Suizidversuch
sind Trennung vom Lebenspartner, Verlust eines nahen Angehörigen oder aber eine
gerade durchgemachte stationäre Entzugsbehandlung. Diese Tatsache bekräftigt die
Notwendigkeit einer psychotherapeutischen Behandlung während des Entzugs und
danach.
2.5.2
Somatische Begleiterkrankungen
Häufig fällt es schwer, den kausalen Zusammenhang zwischen Alkohol und seinen
negativen Folgen zu beweisen. Es gibt wahrscheinlich kein Organsystem, dass durch
chronischen Alkoholkonsum nicht geschädigt wird. Immer spielen jedoch auch
persönliche Variablen, wie Lebensstil und genetische Risikofaktoren, für die
Ausbildung verschiedenster Folgeerkrankungen eine Rolle. Einen Überblick über die
wichtigsten Begleiterkrankungen gibt folgender Auszug aus den Leitlinien der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
(AWMF).
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
17
Tabelle 2: Alkoholassoziierte Begleiterkrankungen (Mundle et al. 2003)
Neurologisch
Hepatologisch
Gastrointestinal
Kardiologisch
Genetisch
Polyneuropathie
Hepatozell.
Karzinom
Refluxösophagitis
Rhythmusstörung
Embryopathie
Krampfanfall
Hepatitis
Karzinome
Ataxie
Leberzirrhose
Gastritis
Hypertonus
Kardiomyopathie
Kleinhirnatrophie
Aszites, portale
Hypertonie
Laktoseintoleranz
Hypoglykämie
Pankreatitis
Porphyrien
Hypovitaminämie
Fehlbildung
Steatohepatis
Ösophagusvarizen
Enzephalopathie/Koma
2.6
Medikamentöse Therapie
2.6.1
Indikation
Im Vorfeld und im Laufe eines jeden Entzugs muss abgewogen werden, ob eine
medikamentöse Therapie erforderlich ist. Viele Patienten können den Entzug auch
sicher ohne pharmakologische Interventionen durchstehen (Shaw et al. 1981;
Naranjo et al. 1983). Für Patienten mit schwacher oder nicht vorhandener
Entzugssymptomatik ist keine pharmakologische Behandlung notwendig. Solche
milden Entzüge können bei Patienten auftreten, die täglich nur relativ kleine
Alkoholmengen konsumieren oder auch bei periodischen Trinkern. Periodische
Trinker können über Tage und Wochen alkoholfrei leben und trinken nicht, um
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
18
auftretenden Entzugssymptomen entgegen zu wirken, sondern konsumieren in
unregelmäßigen Abständen exzessiv Alkohol bis zum Kontrollverlust.
Schwere AES (mit Krampfanfall, Halluzinose oder Delirium tremens) müssen immer
pharmakologisch behandelt werden, da mit schwerwiegenden Komplikationen zu
rechnen
ist.
Auch
sollten
Patienten
mit
ernstzunehmenden
körperlichen
Erkrankungen schon bei nur milder Symptomatik medikamentös behandelt werden,
da die Wahrscheinlichkeit für einen prolongierten und schweren Entzugsverlauf
erhöht ist (Wojnar et al. 1999a). Generell ist eine pharmakologische Therapie bei
aktuellen und anamnestisch erfassbaren schweren Entzugssyndromen indiziert.
Schon bei mäßig ausgeprägten Symptomen können Pharmaka diese positiv
beeinflussen (Mayo-Smith 1997). Beispielsweise kann Carbamazepin zerebrale
Krampfanfälle verhindern, dadurch einen Antikindlingeffekt bewirken und
zukünftige schwere AES verhindern.
Studien zeigen, dass Entzugskomplikationen mit höherer Wahrscheinlichkeit
auftreten, wenn die medikamentöse Behandlung erst spät begonnen wird (Sellers et
al. 1983). Bevor die Blutalkoholkonzentration allerdings nicht auf mindestens 1‰
abgefallen ist, sollten Pharmaka vermieden werden, da die Wechselwirkungen
zwischen Alkohol und den verabreichten Medikamenten schwer einzuschätzen sind.
2.6.2
Art der Medikamente
Das Mittel der ersten Wahl für den Alkoholentzug in Deutschland ist Clomethiazol,
bekannt unter dem Handelsnamen Distraneurin
(Benkert und Hippius 2007). Es
sollte maximal 14 Tage eingesetzt werden, da es selbst ein hohes Suchtpotenzial
besitzt und schnell zu Abhängigkeit führen kann (Andritsch und Reimer 1976). Am
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) wird es meist in Form von
Kapseln verabreicht (1 Kapsel entspricht 194 mg Clomethiazol). Es verstärkt den
hemmenden Effekt der Neurotransmitter GABA und Glycin und therapiert folgende
Symptome des Alkoholentzugs: Pulsanstieg, Blutdruckspitzen, Ängstlichkeit und
psychomotorische Unruhe. Aufgrund der delirverhütenden, antikonvulsiven Wirkung
und der kurzen Halbwertszeit ist es im stationären Entzug gut steuerbar. Es ist
sowohl nach einem festgesetzten Applikationsschema als auch symptomorientiert
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
19
mit Hilfe einer Entzugsskala verabreichbar. Ziel bei der Dosisfindung ist es, den
Patienten genau so stark zu sedieren, dass er noch zu jeder Zeit erweckbar ist.
Nebenwirkungen von Clomethiazol sind vor allem kardiopulmonal, z. B. verstärkte
Bronchialsekretion, Blutdruckabfall, und dermatologisch, wie gehäuftes Auftreten
von Exanthemen (Huber 2005). Intravenös darf es nur in Beatmungsbereitschaft
verabreicht werden, da es zu Atemdepression, massivem Blutdruckabfall sowie
starker Bronchialsekretion führen kann.
Auch Benzodiazepine sind hervorragend als Entzugsmedikamente geeignet (MayoSmith 1997), allerdings in dieser Indikation in Deutschland nicht primär empfohlen.
In Nordamerika werden sie für den Alkoholentzug seit langem bevorzugt sowohl in
der symptomorientierten als auch in der schematischen Applikation eingesetzt
(O'Connor und Schottenfeld 1998). Die Wirkung von Benzodiazepinen beruht auf
Verstärkung der Wirkung von GABA. Das Risiko für die Entwicklung von Delirium
tremens und Krampfanfall wird durch die Gabe von Benzodiazepinen signifikant
reduziert (Mayo-Smith 1997; Saitz 1998). Im Gegensatz zu Clomethiazol können
Benzodiazepine sowohl parenteral als auch oral verabreicht werden. Ein
antipsychotischer Effekt besteht nicht. Häufigste Nebenwirkungen sind Schläfrigkeit,
Konzentrationsschwäche, Benommenheit und verlangsamtes Reaktionsvermögen.
Die Entscheidung für eines der beiden genannten Medikamente hängt von
individuellen Unverträglichkeiten oder etwaigen Kontraindikationen ab. Aufgrund
kardiopulmonaler Nebenwirkungen von Clomethiazol sind besonders bei älteren und
kreislauferkrankten Patienten Benzodiazepine zu bevorzugen. Eine vor kurzem
erstellte retrospektive Studie, die 786 Patienten einschloss, ergab eine stärkere und
effektivere Reduktion der Entzugssymptomatik durch Oxazepam. Weiterhin trat
unter Oxazepam seltener die lebensbedrohliche Komplikation des Delirium tremens
auf. Arzneimittelnebenwirkungen wurden hingegen in der mit Clomethiazol
behandelten Gruppe seltener beobachtet (Ganzer 2008). Es kann folglich noch immer
nicht von einem optimalen Entzugsmedikament ausgegangen werden. Die Wahl des
Medikaments sollte individuell getroffen werden.
Halluzinationen und andere Delirsymptome werden mit Hilfe von Antipsychotika,
beispielsweise Haloperidol, behandelt (Mayo-Smith 1997). Sie dürfen allerdings
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
20
nicht als Monotherapie beim Alkoholentzug verabreicht werden, da sie weder die
Krampfschwelle erniedrigen noch eine delirverhütende Wirkung haben (Finzen und
Kruse 1980).
Carbamazepin wird als Anfallsprophylaxe eingesetzt, hauptsächlich bei Patienten
mit Krampfanfällen in der Vorgeschichte. Carbamazepin kann auch eine schwache
bis mäßige Entzugssymptomatik mildern (Mayo-Smith 1997). Die fehlende
Interaktion mit Alkohol ermöglicht die frühzeitige Gabe bei noch bestehender
Blutalkoholkonzentration.
Clonidin kann bei leichtem AES eingesetzt werden, bevorzugt bei hohem Blutdruck.
Dieses Medikament entlastet den Kreislauf während des Entzugs und vermindert
Agitiertheit, Angst, Tremor und Muskelverspannung. Eine antikonvulsive oder
delirverhütende Wirkung besteht nicht.
Es gibt noch eine Reihe weiterer Medikamente in der Behandlung des AES, wie den
D2-Antagonist Tiaprid, den Betablocker Atenolol oder sedierende Antidepressiva
wie Doxepin, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.
2.6.3
Therapie nach Symptomen oder festem Applikationsschema
Für die pharmakologische Therapie des Alkoholentzugssyndroms existieren zwei
unterschiedliche Methoden zur Dosisfindung. Die Behandlung nach einem fixen
Applikationsschema sieht in festgelegten Zeitspannen zu verabreichende Dosen vor,
gegebenenfalls können zusätzliche Medikamente angesetzt werden. Dagegen wird
bei
der
symptomgesteuerten
Therapie
im
Falle
der
Entwicklung
von
Entzugssymptomen oder deren Verschlechterung entschieden, ob und wie stark
medikamentös behandelt werden muss.
Die symptomgesteuerte Therapie erfordert die ständige Überwachung des Patienten.
Gerade weil nicht zwingend medikamentös behandelt wird, ist beispielsweise auf
Zeichen eines beginnenden Delirs zu achten, um eine frühe Intervention ermöglichen
zu können. Die Entwicklung entsprechender Symptome kann mit Hilfe einer
Entzugsskala (Assessment-Scale) beobachtet, dokumentiert und quantifiziert werden
(Wartenberg et al. 1990; Sullivan et al. 1991). Es werden erst dann Medikamente
verabreicht, wenn eine bestimmte Punktzahl entsprechend der Entzugssymptomatik
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
21
erreicht wird (Jaeger et al. 2001). Der Vorteil dieser Therapie liegt in der geringeren
Medikation bei vergleichbarem Behandlungserfolg (Saitz et al. 1994; Reoux und
Miller 2000; Daeppen et al. 2002).
Bei der Therapie nach einem festgesetzten Dosierungsschema kann weniger flexibel
auf die je nach Patient variierenden Entzugsverläufe eingegangen werden. Es führt
zu übermäßiger oder sogar unnötiger Medikation und damit zu starker Sedierung,
häufigerem Auftreten
von Nebenwirkungen, Abhängigkeitsentwicklung und
verlängerten Krankenhausaufenthalten (Spies et al. 2003).
In einer vergleichenden Studie wurden zwei Gruppen gebildet. Die erste wurde nach
einem fixen Dosierungsschema behandelt, die zweite symptomgesteuert mithilfe der
CIWA-Ar. 100% der ersten Gruppe wurden medikamentös mit Oxazepam behandelt,
dagegen nur 39% der CIWA-Ar-Gruppe. Pro Patient der zweiten Gruppe wurde
außerdem signifikant weniger Oxazepam verabreicht (Daeppen et al. 2002).
In einer randomisierten Studie erhielten die mit einem festen Dosierungsschema
behandelten
Patienten
Chlordiazepoxid,
ein
im
Laufe
des
langwirksames
Entzugs
durchschnittlich
Benzodiazepin,
die
425
mg
Patienten
der
symptomgesteuerten Behandlungsgruppe dagegen nur 100 mg (Saitz et al. 1994).
Die mittlere medikamentöse Behandlungsdauer der ersten Gruppe lag bei 68
Stunden, verglichen mit neun Stunden in der zweiten Gruppe. Es gab keine
bedeutenden Unterschiede zwischen den zwei Gruppen hinsichtlich der Schwere des
Entzugs oder des Auftretens von Krämpfen und Delirien. Patienten, die
behandlungsbedürftige Begleiterkrankungen vorwiesen, wurden nicht in die Studie
eingeschlossen. Diese Studie bestätigte, dass bei der symptomgesteuerten
Behandlung Medikamente effizienter eingesetzt werden und die Behandlungsdauer
verkürzt werden kann.
Eine andere Untersuchung konnte diese Ergebnisse bestätigen (Reoux und Miller
2000). Patienten, die mittels CIWA-Ar symptomgesteuert behandelt wurden,
erhielten signifikant weniger Medikamente über kürzere Dauer hinweg und auch die
Anzahl der Medikationen war signifikant geringer. Alle Patienten mit einem CIWAAr-Wert von  10 nahmen Medikamente ein. Die Aufenthaltslänge wurde allerdings
durch die Verwendung der CIWA-Ar nicht verkürzt (Wartenberg et al. 1990). Es
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
22
zeigte sich weiterhin, dass Patienten, die mithilfe der CIWA-Ar behandelt wurden,
seltener ein Delirium tremens entwickelten (Wartenberg et al. 1990; Jaeger et al.
2001).
2.7
Beurteilungsskalen als Hilfsmittel zur Dosisfindung
Wie schon oben dargelegt, kann sich das Alkoholentzugssyndrom in neurologischen,
psychischen und vegetativen Symptomen äußern. Auftreten und Schwere der
Entzugserscheinungen sind schlecht vorhersehbar. Sie hängen von Trinkmenge,
Dauer des Alkoholkonsums, Komorbidität, Entzugsgeschichte und vielen anderen
Faktoren ab. Patienten können diesbezüglich häufig keine verlässlichen Angaben
machen. Standardisierte Beurteilungsskalen stellen ein Hilfsmittel dar, um
Alkoholentzugssymptome frühzeitig erkennen und entsprechend therapieren zu
können (McKay et al. 2004). Auch um die komplexe Symptomatik besser zu
kontrollieren, ist es vorteilhaft, sie summarisch in einer Skala zu erfassen, die alle
wichtigen Symptomgruppen beinhaltet. Das Ergebnis gestattet eine Therapie des
AES anhand von objektiven Kriterien. Der Punktestand der Skala entscheidet über
Notwendigkeit und Menge an benötigten Medikamenten. Das Risiko der Unter- bzw.
Überdosierung kann durch regelmäßige Durchführung der Tests vermindert werden.
Auch für wissenschaftliche Zwecke dienen die aus dem Fragebogen gewonnenen
Ergebnisse, da sich Punktzahlen zum Vergleich verschiedener Untersuchungen
eignen. Die AWMF-Leitlinien empfehlen für die medikamentöse Behandlung die
Verwendung von Alkoholentzugsskalen (Mundle et al. 2003). In den letzten
Jahrzehnten kam es zur Entwicklung verschiedener Versionen von Entzugsskalen
(Williams et al. 2001). Obwohl der Vorteil einer symptomorientierten Behandlung
anhand von Bewertungsskalen als erwiesen gilt, haben Beurteilungsskalen an
deutschen Kliniken in der Entzugsbehandlung bisher wenig Verwendung gefunden
(Mayo-Smith 1997). Die Einführung eines solchen Hilfsmittels ist ohne großen
Aufwand durchführbar. Für die Praxis eines skalengestützten Entzuges müssen
folgende Vorraussetzungen erfüllt werden: Die Skala sollte alle möglichen
Symptome beinhalten und diese in Form von Punktzahlen widerspiegeln. Geschultes
Pflegepersonal sollte die Erhebung durchführen können. Nach Addition der
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
23
einzelnen Punkte stellt die Gesamtsumme einen Anzeiger für die Schwere des
Entzugs dar. Die Skala muss prognostisch relevant, mehrmals durchführbar und für
die Qualität der momentanen Therapieeinstellung aussagekräftig sein (Wetterling et
al. 1997). Es wird in dieser Untersuchung unter anderem geprüft, inwieweit einige
dieser Anforderungen von der CIWA-Ar erfüllt werden.
2.7.1
CIWA-Ar
Die CIWA-Ar ist eine Skala zur Beurteilung der Schwere und medikamentösen
Behandlung des Alkoholentzugssyndroms, die eine am klinischen Befund orientierte
Medikation ermöglicht. Sie ist die am häufigsten untersuchte und empfohlene
Alkoholentzugsskala (Sullivan et al. 1989; Saitz 1998; Reoux und Miller 2000). Die
Erhebung der CIWA-Ar erfolgt durch das Pflegepersonal. Routinierte Mitarbeiter
füllen den einseitigen Fragebogen in nur einer Minute aus. Die Skala besteht aus
zehn Bewertungseinheiten. Vier davon (Schweißausbrüche, Tremor, Unruhe,
Übelkeit/Erbrechen) können anhand von klinischen Beobachtungen erhoben werden,
die anderen sechs Einheiten (Ängstlichkeit, Kopfschmerzen und Druckgefühle im
Kopf, Orientiertheit und Trübung des Bewusstseins, visuelle, taktile und akustische
Störungen) müssen explizit erfragt werden. Für Erhebung und Therapie anhand der
Ergebnisse muss das behandelnde Personal ausreichend geschult werden. Sollte dies
nicht möglich sein, ist die Behandlung nach einem fixen Applikationsschema
vorzuziehen (Mayo-Smith 1997).
Die zehn Erhebungseinheiten des Bogens (siehe Tabelle 3) werden je nach
Symptomen auf einer acht-, bei Einheit 10 fünfstufigen, numerisch verankerten
Likert-Skala bewertet. Die einzelnen Ergebnisse werden zu einer Endsumme addiert,
die zwischen null und 67 liegen kann. Ergebnisabhängig kann das Pflegepersonal
dann entscheiden, ob und wie viele Medikamente benötigt werden. Eine
Wiederholung des Tests alle vier bis acht Stunden ist vorgesehen, solange bis die
errechnete Summe länger als 24 Stunden unter acht bzw. zehn Punkten bestehen
bleibt und keine weiteren Komplikationen zu erwarten sind (Wetterling et al. 1997).
Ein Anliegen der Skala ist es, schwere Entzugssymptome frühzeitig zu registrieren
und lebensgefährliche Folgen zu verhindern. Patienten mit einer Punktzahl  15 (Foy
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
24
et al. 1988; Sellers 1988), bzw.  10 (Kraemer et al. 2003; Nuss et al. 2004)
entwickelten nachweislich häufiger ein kompliziertes AES als Patienten mit einer
kleineren CIWA-Ar-Summe.
Bayard teilte die CIWA-Ar-Ergebnisse zur Beurteilung in drei Gruppen ein (Bayard
et al. 2004). Acht oder weniger Gesamtpunkte entsprachen einer milden
Entzugssymptomatik, neun bis 15 Punkte deuteten auf einen moderaten Entzug hin
und bei mehr als 15 Punkten musste mit einem schweren Verlauf gerechnet werden,
der mit einer erhöhten Krampf- und Delirwahrscheinlichkeit einherging. Nach
Bayard ist bei einer CIWA-Ar-Summe von  8 Punkten keine Medikation
notwendig. Bei einer Summe von neun bis 15 profitierten die untersuchten Patienten
von einer Medikation aufgrund einer Reduktion des Komplikationsrisikos. Patienten
mit einer Gesamtsumme  16 müssen medikamentös behandelt werden, da dann ein
signifikant erhöhtes Komplikationsrisiko besteht (Bayard et al. 2004).
Bei der Verwendung der CIWA-Ar als Hilfsmittel des Alkoholentzugs ist zusätzlich
immer auf die klinische und psychiatrische Situation des Patienten zu achten, da sie
durch die Entzugssymptomatik verdeckt werden kann. Außerdem ist in Betracht zu
ziehen, dass einige Medikamente, die zur Behandlung anderer Krankheiten
eingesetzt werden (z. B. Betablocker), die zu beobachtende Entzugssymptomatik
mildern und das Ergebnis verfälschen können.
Entwicklung der CIWA-Ar
1978 wurde die CIWA-A (Clinical Institute Withdrawal Assessment for Alcohol
Scale) durch die Addiction Research Foundation in Toronto eingeführt und seither
regelmäßig für den Alkoholentzug verwendet. Erstmals in der Literatur wurde sie
1981 erwähnt durch Shaw et al. Es handelt sich um eine Bewertungsskala, die
speziell für das geschulte Pflegepersonal entwickelt wurde. Die CIWA-A beinhaltet
alle Bewertungseinheiten der heute gebräuchlichen CIWA-Ar und zusätzlich die
Aspekte Krampfgeschehen, Kontaktqualität, Halluzinationen, Rötung des Gesichts
und Gedankenstörungen. Die letztgenannten Punkte dieser ursprünglichen Skala
wurden in der Auswertung unterschiedlich gewichtet, was das Verfahren
komplizierte. Sullivan et. al überprüften deswegen 1989 alle Items auf Gültigkeit und
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
25
klinische Relevanz. Dabei wurde festgestellt, dass die Bewertungseinheit
„Krampfgeschehen“ ungenügend aussagekräftig war, da sich im Falle eines
auftretenden Krampfanfalls die Gesamtsumme um sieben Punkte erhöhte, fehlendes
Krampfgeschehen dagegen mit null Punkten bewertet wurde. Bei der Überprüfung
der Interrater-Reliabilität für das Item „Kontaktqualität“, also der Verlässlichkeit der
Ergebnisse bei unterschiedlichen Untersuchern (Objektivität), ergaben sich sehr
subjektive Ergebnisse. Die Interrater-Reliabilität war zu gering für eine allgemein
gebräuchliche Skala, deshalb wurde diese Kategorie entfernt. Zwei weitere Items
wurden nicht übernommen (Rötung des Gesichts und Gedankenstörungen). Sie
korrelierten am wenigsten mit der Gesamtpunktzahl. Der Punkt „Halluzinationen“
schien mit CIWA-A 6 - 8 schon abgedeckt und wurde ebenfalls entfernt. Die auf
zehn Betrachtungseinheiten gekürzte CIWA-Ar war das Ergebnis der Untersuchung
und stellt die heute meist verwendete Skala dar.
1991 wurde die CIWA-AD (Clinical Institute Withdrawal Assessment Scale for
Alcohol, based on DSM-IV) vorgestellt. Sie besteht aus acht Bewertungseinheiten,
die sich aus der CIWA-Ar ergaben und enthält zusätzlich noch den Parameter Puls
(Sellers et al. 1991). In der CIWA-AD werden die drei verschiedenen Arten der
Wahrnehmungsstörung in einer Bewertungseinheit zusammengefasst, die Einheit
“Orientiertheit” wurde aus dem Bogen entfernt. In einer vergleichenden Studie
konnte gezeigt werden, dass sowohl CIWA-Ar als auch CIWA-AD verlässliche
Hilfsmittel für den Entzug sind und beide die Parameter erfassen, die auf ein
Delirium hinweisen (Reoux und Oreskovich 2006).
Der prädiktive Wert der CIWA wurde in mehreren Studien nachgewiesen (Shaw et
al. 1981; Sellers et al. 1983; Foy et al. 1988; Kraemer et al. 2003).
2.7.2
Überblick über andere Beurteilungsskalen
Außer der CIWA-Ar werden derzeit verschiedene andere Entzugsskalen verwendet.
Die meisten beruhen auf der CIWA-A von 1978, sie wurden für unterschiedliche
Anwendungen modifiziert, Items wurden hinzugefügt oder gestrichen. Im Folgenden
soll ein Überblick über die wichtigsten Entzugsskalen gegeben werden.
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
26
Banger et al. entwickelten 1991 die Mainz-Alcohol-Withdrawal-Scale (MAWS). Sie
stellt ein Hilfsmittel für ärztliches Personal dar. Die ursprünglich zwölf Elemente
beinhaltende Skala wurde nach Überprüfung jedes einzelnen Parameters auf seine
Aussagekraft um die vier Elemente Bewusstseinbeeinträchtigung, Krampfanfall,
Blutdruck und Puls reduziert. Insbesondere Blutdruck und Puls konnten nicht direkt
mit der Schwere der Entzugssymptomatik in Verbindung gebracht werden. Die
gleiche überraschende Beobachtung hatten auch Sullivan et al. 1989 gemacht. Die
MAWS eignet sich vor allem als Instrument bei leichter bis mittlerer
Entzugssymptomatik.
Wetterling et al. erörterten, dass die Schwere der Alkoholentzugssymptomatik mit
Hilfe der Alcohol Withdrawal Scale (AWS) im Verlauf gut bestimmbar sei
(Wetterling et al. 1997). Die AWS stellt eine veränderte Version der CIWA-Ar dar.
Sie besteht aus zwei Komponenten, einer für körperliche und einer für psychische
Symptome. Patienten mit einer Punktzahl ≥ 10 wiesen ein hohes Risiko auf, ein Delir
zu entwickeln. Eine AWS-Summe ≥ 10 wurde folglich als Zeichen eines schweren
Entzugssyndroms gewertet. Die Entzugssymptomatik korrelierte mit der Dauer des
Alkoholkonsums, allerdings weder mit Trinkfrequenz noch täglicher Trinkmenge.
Von Wetterling et al. (1997) wurden ein der AWS-Punktzahl zugrunde liegender
Behandlungsplan entwickelt, um die Medikation möglichst gering zu halten. Die
Studie ergab, dass Patienten, die mit dem neu entwickelten Entzugsinstrument
behandelt wurden, seltener und weniger Clomethiazol benötigten.
Der Alkoholentzugssymptombogen (AESB) nach Lange-Asschenfeldt et al. hat zehn
Untereinheiten: Blutdruck (altersabhängige Skaleneinteilung), Ruhepuls, Tremor,
Schweißausbrüche,
psychomotorische
Übelkeit/Erbrechen/Durchfall,
Unruhe,
Orientiertheit
und
Ängstlichkeit/Nervosität,
Trübung
des
Bewusstseins,
Trugwahrnehmung/Halluzinationen und Krampfanfall. Je nach Bereich sind null bis
zwei, vier oder fünf Punkte erreichbar. Die Skala beruht auf der CIWA-Ar mit
Erweiterung
um
Halluzinationen
die
Items
akustischer,
Blutdruck,
visueller
und
Puls
und
taktiler
Entzugskrampfanfälle.
Art
wurden
in
einer
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
27
Bewertungseinheit zusammengefasst und das Item Kopfschmerzen wurde im AESB
gestrichen. Modifiziert wurde weiterhin die Skaleneinteilung, die abhängig von Alter
und Bewertungseinheit variiert. Vor der Entwicklung der Skala wurden 33 Patienten
symptomgesteuert mittels CIWA-Ar behandelt, während 32 anhand eines festen
Dosierungsschemas versorgt wurden. Die erste Gruppe erhielt signifikant weniger
Clomethiazol (4,4 ± 4,6 gegenüber 9,9 ± 6,6 mg) und über kürzere Dauer (4,2 ± 3,5
gegenüber 7,5 ± 3,3 Tage). Die statistischen Ergebnisse dieser Studie dienten der
Modifizierung der CIWA-Ar und damit der Entwicklung des AESB (LangeAsschenfeldt et al. 2003).
Von Wetterling et al. wurde schließlich die Lübeck Alcohol Withdrawal Risk Scale
(LARS) vorgestellt. Mit deren Hilfe soll zu Beginn des Entzugsgeschehens
eingeschätzt werden können, ob bei Patienten mit einem schwachen, mittelstarken
oder schweren AES gerechnet werden muss. Dementsprechend kann entschieden
werden, ob ein Patient ambulant oder stationär entziehen sollte. Die LARS beinhaltet
14 Einheiten mit je ein bis vier Unterpunkten. Es wird unter anderem Ernährungs-,
Trink- und Schlafverhalten der letzten Woche erfasst. In Tabelle 3 sind nur einige
der Items aufgeführt. Die Parameter, die am meisten mit dem Auftreten schwerer
Entzugssymptome korrelierten sind Delirien oder Krämpfe in der Vorgeschichte,
Ataxie,
Polyneuropathie,
Tremor,
Schwitzen,
Puls
>
100
/min
Blutalkoholkonzentrationen > 1 g/l bei Aufnahme (Wetterling et al. 2006).
und
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
28
Tabelle 3: Bewertungseinheiten der verschiedenen Entzugsskalen
CIWA-Ar[a]
MAWS[b]
AWS[c]
LARS[d]
AESB[e]
Orientiertheit,
Trübung des
Bewusstseins
Desorientiertheit
Orientiertheit
Entzugsdelir
Orientiertheit
Taktile
Störungen
Halluzination
Halluzination
Entzugskrampfanfall
Taktile,
akustische,
visuelle
Störungen;
Halluzination
Akustische
Störungen
Unaufmerksamkeit
Blutdruck,
diastolisch
Polyneuropathie
Blutdruck
Visuelle
Störungen
Kontaktqualität
Puls
Puls ≥ 100/min
Puls
Antriebsniveau
Antrieb
Antrieb
Ataxie
Antrieb
Tremor
Tremor
Tremor
Tremor
Tremor
Schweißausbrüche
Schwitzen
Schwitzen
Schwitzen
Schweißausbrüche
Atemfrequenz
[min-1]
Chlorid < 96
mmol/l
Ängstlichkeit
Schlafstörungen
Ängstlichkeit
Übelkeit,
Erbrechen
Temperatur
Albträume
Übelkeit,
Erbrechen
Kopfschmerz,
Druckgefühl im
Kopf
Kontaktqualität
Alkoholspiegel
Entzugskrampfanfälle
Ängstlichkeit
[a]
Ängstlichkeit
Clinical Institute Withdrawal Scale for Alcohol, revised (Sullivan et al. 1989); [b] MainzAlcohol-Withdrawal-Scale (Banger et al. 1992); [c] Alcohol Withdrawal Scale (Wetterling
et al. 1997); [d] Lübeck Alcohol Withdrawal Risk Scale (Wetterling et al. 2006);
[e]
Alkoholentzugssymptombogen (Lange-Asschenfeldt et al. 2003)
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
2.8
29
Diagnostisch wichtige Laborparameter
Biologische Marker sind seit langem Teil der Alkoholismusdiagnostik, -anamnese
und Verlaufskontrolle. Sie müssen in Zusammenhang mit klinischen Befunden
interpretiert werden. Um Blutbild und Leberfunktionsparameter zu überprüfen, wird
am UKE bei allen Patienten in den ersten Tagen Blut abgenommen. Bei auffälligen
Werten wird die Untersuchung wiederholt oder gegebenenfalls weiterführende
Diagnostik betrieben. In diesem Kapitel sollen die am häufigsten verwendeten
Marker der Alkoholismusdiagnostik vorgestellt werden (Edwards et al. 1997).
2.8.1
Mittleres Erythrozyteneinzelvolumen
Das mittlere Erythrozyteneinzelvolumen (MCV) gibt die durchschnittliche Größe der
roten Blutkörperchen an, die bei starkem Alkoholkonsum durch toxisch bedingte
Knochenmarksschädigung erhöht sein kann. Die Sensitivität des Tests beträgt je nach
Studien und Stichprobe 20 bis 50%, die Spezifität 55 bis 100% (Conigrave et al.
1995). MCV ist mit wenig Aufwand bestimmbar und gehört zu den aussagekräftigen
Parametern der Alkoholismusdiagnostik. Auch noch einige Monate nach Beendigung
des Alkoholkonsums können erhöhte Werte festgestellt werden, was auf die relativ
lange Lebensdauer der roten Blutkörperchen (ca. 120 Tage) zurückzuführen ist.
Kurze Perioden der Abstinenz verändern das Ergebnis nicht, deshalb zählt MCV zu
den langfristigen Markern. Es kann allerdings auch erhöht sein bei Patienten mit
nicht alkoholisch bedingten Erkrankungen, wie toxischer Knochenmarksschädigung,
Retikulozytosis, Folsäure- und Vitamin B12-Mangel sowie bei starken Rauchern
(Wurst 2001).
2.8.2
Leberfunktionsparameter
γ-Glutamyltranspeptidase (GGT)
Die GGT wird seit über 30 Jahren als Marker für Alkoholscreeningverfahren
eingesetzt. Trotz der in unterschiedlichen Studien stark variierenden Sensitivität von
20 bis 90% und einer Spezifität von 55 bis 100% gilt sie als Leitenzym für Screening
und Diagnose von Alkoholmissbrauch (Conigrave et al. 1995).
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
30
Liegt ein erhöhtes GGT zusammen mit anderen Enzymen vor, beispielsweise mit der
Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT), ist auf eine Leberfunktionsstörung zu
schließen. Das im Blut gemessene GGT stammt ausschließlich aus der Leber.
Erhöhte
Werte
des
membrangebundenen
Enzyms
weisen
eher
auf
eine
Enzyminduktion hin als auf Zellschäden. Schneller als das MCV, sinkt die GGT
schon einige Wochen nach Absetzen von Alkohol auf Normalwerte. In
experimentellen Studien wurde festgestellt, dass bei einem dreiwöchigen Konsum
von täglich 60 g reinem Alkohol die GGT nicht erhöht war (Wurst 2001). Das lässt
darauf schließen, dass nur extremes Trinkverhalten zu auffälligen Werten führt.
Außer Alkohol gibt es viele andere Einflussgrößen, die zu einer Erhöhung der GGT
führen, wie z. B. virale Hepatitiden, Schwangerschaft, Zytostatika und Barbiturate.
Glutamat-Oxalacetat- und Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GOT und GPT)
Obwohl Sensitivität und Spezifität der GOT und GPT relativ gering sind, gilt ihre
Bestimmung als Standarduntersuchung zur Diagnostik von Lebererkrankungen und
Myopathien Alkoholkranker. Eine erhöhte Serumaktivität der GOT allein ist bereits
Ausdruck einer unspezifischen hepatozellulären Schädigung. Die Sensitivität kann
durch Bildung des de-Ritis-Quotienten (GOT/GPT) erhöht werden. Ein Ergebnis
größer zwei spricht mit hoher Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer
alkoholinduzierten
Lebererkrankung.
Erhöhte
GPT-Spiegel
weisen
relativ
unspezifisch auf eine Leberschädigung hin. Um für die Diagnosestellung
aufschlussreich zu sein, sollten GPT-Werte im Verhältnis zu anderen Leberenzymen
interpretiert werden.
Durch gemeinsame Beurteilung der genannten Laborparameter erhöht sich deren
Aussagekraft beträchtlich. Die Sensitivität steigt bei einer kombinierten Betrachtung
von GGT und GOT auf 92%, bei Hinzunahme von MCV je nach Studienaussagen
auf 65 – 100% (Soyka 1995b). Auf der Psychiatrischen Station 5 (PS 5) des UKE
werden bei Aufnahme und gegebenenfalls im Verlauf GGT, GOT, GPT und MCV
bestimmt.
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
31
Tabelle 4: Laborparameter der Alkoholismusdiagnostik (Conigrave et al. 1995;
Soyka und Küfner 2008)
Parameter
Normalwert[a]
Diagnostische
Sensitivität [%]
Diagnostische
Spezifität [%]
Normalisierung
nach Entzug
GGT
< 60 U/l[b]
20-90
55-100
2-5 Wochen
GOT
< 50 U/l[b]
30-50
Ca. 90
1-3 Wochen
GPT
< 50 U/l[b]
20–45
Ca. 70
1-4 Wochen
MCV
< 92 fl[c]
20-50
55-100
1-3 Monate
[a]
Normalwerte für Männer; [b] Units pro Liter; [c] Femtoliter
2.9
Alkoholentzug am Universitätsklinikum Eppendorf
2.9.1
Ablauf
In der psychiatrischen Abteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
werden für den Qualifizierten Entzug gewöhnlich drei Wochen Aufenthalt
eingeplant. Bei Aufnahme wird bei allen Patienten die Atemalkoholkonzentration
gemessen und eine Urinprobe auf Benzodiazepine und Cannabis untersucht. Der
Atemalkohol wird, wenn positiv, so lange überprüft, bis der Wert 0,0‰ erreicht, um
den Zeitpunkt für den Beginn der Medikamentengabe optimal abzupassen. Am
Abend des ersten Tages wird vom Pflegepersonal ein ausführlicher Entzugsstatus
erhoben und auf dem CIWA-Ar-Bogen nach Punkten bewertet. Der behandelnde
Arzt teilt dem Patienten nach eigenem Ermessen und entsprechend der
Risikofaktoren ein Entzugsschema zu, nach dem die Medikamentengabe durch das
Pflegepersonal durchgeführt wird. Das Pflegepersonal erfasst regelmäßig alle zwei
Stunden die Vitalparameter der Patienten und überprüft die Schwere der
Entzugserscheinungen, um bei Bedarf medikamentös zu behandeln. Bei erfolgloser
Therapie oder Unsicherheiten seitens des Pflegepersonals erfolgt Rücksprache mit
dem Arzt bezüglich der Medikamente. Falls der Patient ein Entzugsdelir entwickeln
sollte, wird er in das Überwachungszimmer verlegt, um eine ständige Kontrolle zu
garantieren. Bei komplikationslosen Entzügen wird ab dem dritten Tag die
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
32
Medikamentendosis reduziert und der Patient nur noch viermal täglich zur Erfassung
der Vitalparameter ins Schwesternzimmer einbestellt, um die Entzugsmedikation zu
erhalten. Nach sieben Tagen ist der akute Alkoholentzug für gewöhnlich beendet
(Hentschke 2007). Die Patienten verbleiben noch circa zwei weitere Wochen auf der
Station, um den psychischen Entzug zu beginnen und sich einen Überblick über die
verschiedenen Möglichkeiten der Weiterbehandlung zu verschaffen.
Während der ersten Woche befinden sich alle Patienten in einer „Sperre“, das
bedeutet, sie dürfen das Krankenhaus nicht verlassen und bleiben auch am
Wochenende auf Station. Die Ausgangssperre kann sich bei schweren Entzügen
verlängern. Möglichst schnell üben die Patienten durch „Belastungsproben“ wie
Spaziergängen und Übernachtungen zuhause, auch in normaler Umgebung ohne
Alkohol zurechtzukommen. Die Patienten dürfen nachmittags und am Wochenende
nach Hause oder z. B. eine Selbsthilfegruppe besuchen, mit der sie eventuell eine
weiterführende Therapie planen.
2.9.2
Medikamentöse Therapie
Wie in Kapitel 2.6.2 erwähnt, bewies die am UKE durchgeführte vergleichende
Studie zwischen den Entzugsmedikamenten Oxazepam und Clomethiazol, dass
Oxazepam Entzugserscheinungen stärker vermindert (Ganzer 2008). Die meisten
Entzugsbehandlungen auf der PS 5 werden mit dem Benzodiazepin Oxazepam
(Handelsname
Adumbran )
durchgeführt,
alternativ
wird
Clomethiazol
(Handelsname Distraneurin ) verwendet. Der Arbeitsbereich Sucht der Klinik für
Psychiatrie und Psychotherapie des UKE sieht folgendes medikamentöses
Entzugsschema
vor:
Am
ersten
Tag
erfolgt
eine
zweistündliche
Entzugsüberwachung, bei beginnender Entzugssymptomatik wird mit Oxazepam
aufdosiert in Schritten von jeweils 25 mg (entspricht 2 Kapseln Distraneurin , hier
Medikation bei einem Alkoholspiegel von > 1‰ nur nach ärztlicher Rücksprache).
Eine Dosis von 300 mg Oxazepam sollte nur in medizinisch indizierten
Ausnahmefällen überschritten werden. Am zweiten Tag wird die hochgerechnete
Tagesdosis vom Vortag auf vier Einzeldosen verteilt, abhängig von der
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
33
Entzugssymptomatik muss in der Findungsphase eventuell adaptiert werden. Wenn
höhere Dosen als am Vortag verabreicht wurden, muss entschieden werden, ob der
nächste Tag nochmals zur Dosisfindung notwendig ist. Ab dem dritten Tag wird die
Dosis im Regelfall reduziert. Wenn die Dosis bei bis zu 100 mg Oxazepam täglich
liegt, wird um 50 mg Oxazepam pro Tag reduziert, bei einer Tagesdosis über 100 mg
wird um 25 mg reduziert, verteilt auf mindestens zwei Einzeldosen (tägliche
Reduzierung um 2 Kapseln Distraneurin ).
Bei besonders hohem Blutdruck kann zusätzlich Clonidin verabreicht werden. Wenn
ein epileptischer Krampfanfall in der Patientenvorgeschichte bekannt ist, wird
Carbamazepin oder Valproat zur Anfallsprophylaxe verordnet. Bei der Behandlung
des alkoholinduzierten Delirs wird die Gabe eines hochpotenten Neuroleptikums
empfohlen (Haloperidol), jedoch muss beachtet werden, dass dieses die Gefahr eines
Krampfanfalles durch Senkung der Krampfschwelle erhöht.
2.9.3
Jeder
Psychotherapie
Patient
wird
am
Aufnahmetag
einer
von
zwei
verschiedenen
Behandlungsgruppen (gelb oder grün) zugeteilt. Der gelben Gruppe werden
hauptsächlich Patienten zugeordnet, die das erste Mal einen stationären Entzug
absolvieren und allgemeine Informationen benötigen. In der grünen Gruppe befinden
sich Patienten, die schon mehrfach mit dem Suchthilfesystem in Berührung
gekommen
sind
und
über
ausreichend
Basiswissen
verfügen.
In
den
Therapiesitzungen wird beispielsweise die Situation des Rückfalls analysiert. Jede
Woche beinhaltet drei Therapiesitzungen à 90 Minuten in der jeweiligen Gruppe.
Einzelgespräche
sind
Akupunkturbehandlungen,
medizinischer
Information
zusätzlich
von
Ergotherapie,
sind
Beginn
Sportangebote
weitere
unterstützende
an
vorgesehen.
sowie
Vermittlung
Maßnahmen
der
Entzugsbehandlung. Während der gesamten Aufnahmedauer wird jeder Patient
außerdem von einer fest zugeteilten Bezugsperson begleitet, die auch für persönliche
Fragen als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Schon während des Aufenthalts im
Krankenhaus
werden
dem
Patienten
andere
Einrichtungen
der
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
34
Suchtkrankenversorgung vorgestellt, damit genügend Zeit besteht, weiterführende
Therapie und Art der Einrichtung zu wählen.
2.9.4
CIWA-Ar am UKE
Im April 2006 wurde die CIWA-Ar auf der PS 5 des Universitätsklinikums
Hamburg-Eppendorf neu eingeführt. Die Punktzahl wurde bei jedem Patienten
einmalig gegen 18:30 am ersten Abend des Aufenthalts vom Pflegepersonal erhoben.
Gewöhnlich
lagen
mindestens
sieben
Stunden
zwischen
Aufnahme
und
Durchführung des Tests, somit auch zwischen dem letzten Alkoholkonsum des
Patienten und der Testerhebung. Die Patienten wurden über ihr Befinden befragt und
die zehn Items der CIWA-Ar nacheinander entsprechend bewertet. Das gesamte
Vorgehen dauerte nicht länger als circa fünf Minuten. Der Test wurde pro Patient nur
einmal durchgeführt und das Ergebnis bei der Medikationsgabe nicht berücksichtigt.
Nach zwölf Monaten wurde die Erstellung der CIWA-Ar vorerst eingestellt, um die
Ergebnisse der vorliegenden Arbeit abzuwarten und dann zu entscheiden, ob eine
Wiedereinführung sinnvoll wäre.
3 FRAGESTELLUNG
3
35
FRAGESTELLUNG
In dieser Arbeit gilt es, folgende Fragen zu beantworten:
1. Ist die CIWA-Ar ein geeignetes Instrument zur Einschätzung der Schwere
des Entzugs?
2. Korrelieren die CIWA-Ar-Punktzahlen mit den Ergebnissen der Parameter,
die üblicherweise für die Einschätzung der Entzugsschwere an Kliniken
gemessen werden (Blutdruck, Puls, Vegetativum, Laborwerte)? Wenn ja,
wären sie eventuell durch die CIWA-Ar-Erhebung ersetzbar?
3. Welche Aussagekraft hat die einmalige Erstellung der CIWA-Ar am
Aufnahmetag? Hatten Patienten mit einer hohen Punktzahl in Folge auch
einen schweren Entzug oder entwickelten sie ein Delir?
4. Wenn ja, ist es möglich, die Patienten anhand der CIWA-Ar-Punktzahl in
Hoch- und Niedrigrisikogruppen einzuteilen? Könnten mit Hilfe dieser
Gruppeneinteilung im Vorfeld Entzugsverlaufsprognosen für die jeweiligen
Patienten gestellt werden?
5. Welche der zehn CIWA-Ar-Items sind besonders richtungsweisend? Gibt es
Bewertungsparameter, die nicht aussagekräftig sind und entfernt werden
könnten?
6. Klinische Relevanz: Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wird der
Alkoholentzug medikamentös nach einem Dosierungsschema durchgeführt.
Anhand der Ergebnisse dieser Arbeit wird erörtert werden, ob die CIWA-Ar
auf der PS 5 als Hilfsmittel zur symptomgesteuerten Behandlung eingeführt
werden sollte.
4 MATERIAL UND METHODEN
36
4
MATERIAL UND METHODEN
4.1
Stichprobenbeschreibung
4.1.1
Einschlusskriterien
In die Untersuchung wurden alle männlichen und weiblichen Patienten
eingeschlossen, die zwischen dem 01.04.2006 und dem 31.03.2007 zum stationären
Alkoholentzug
auf
die
Suchtstation
der
psychiatrischen
Abteilung
am
Universitätsklinikum Eppendorf aufgenommen wurden. Die Stichprobe beinhaltet
auch Patienten mit bestehendem Medikamenten- oder Drogenabusus, bei denen
vorrangig die Alkoholabhängigkeit therapiert wurde.
Bei allen eingeschlossenen Patienten wurde eine Alkoholabhängigkeit nach den
Kriterien des DSM-IV diagnostiziert.
4.1.2
Ausschlusskriterien
Patienten, die zu einer kombinierten Entzugsbehandlung erschienen, beispielsweise
von Alkohol und Benzodiazepinen, wurden ausgeschlossen. Genauso wurde mit
Patienten verfahren, die schon seit über drei Tagen vor Aufnahme abstinent waren.
Dabei handelte es sich um Patienten, die von einer anderen Station auf die PS 5
verlegt worden waren, den körperlichen Entzug weitestgehend zuhause durchgeführt
hatten oder aus Angst vor einem Rückfall zur erneuten Behandlung erschienen
waren. Wenn Patienten schon zum Zeitpunkt der Aufnahme ein Delirium tremens
aufwiesen, wurden sie ebenfalls nicht in die Untersuchung einbezogen.
4.2
Datengewinnung
Die Patienten der Stichprobe wurden engmaschig überwacht. Außer regelmäßigem
Atemalkoholspiegel wurden vom Pflegepersonal bis zu zweistündlich Puls,
Blutdruck, Allgemeinbefinden und psychovegetative Symptome erfasst. Das
Pflegepersonal war vorab über die durchzuführende CIWA-Ar-Studie aufgeklärt
4 MATERIAL UND METHODEN
worden.
Der
37
Behandlungsverlauf
wurde
auf
Aufnahmebögen,
Untersuchungsberichten, Entzugs- und Medikamentenprotokollen sowie anhand von
Laborergebnissen dokumentiert.
Dieses Material wurde retrospektiv ausgewertet. Zusätzlich wurden Daten aus
Krankengeschichte,
CIWA-Ar
und
Entlassungsbriefen
entnommen.
Alle
Informationen sind auf einem speziell dafür zusammengestellten Erfassungsbogen
dokumentiert (siehe Anhang) und mit einer laufenden Nummer versehen worden.
Weder Name, Geburtsdatum noch Adresse des Patienten waren dem Bogen zu
entnehmen. Die statistischen Tests, die zur Datenverarbeitung eingesetzt wurden,
werden in Kapitel 4.4 beschrieben.
4.3
Aufbau und Inhalt des Erfassungsbogens
4.3.1
Aufnahme und Abhängigkeitsverhalten
Alter und Geschlecht des Patienten wurden mit dem Aufnahmedatum und der
Aufenthaltsdauer notiert.
Aus den anamnestischen Angaben der Patienten wurde die Dauer des regelmäßigen
sowie des problematischen Konsums in Jahren errechnet. Es wurde nach Art und
Menge der täglich konsumierten alkoholischen Getränke gefragt. Die Patienten
gaben ihre Trinkmengen in der Regel in den Einheiten Flaschen bzw. Gläsern an. Die
entsprechende Alkoholmenge wurde, wie in Tabelle 5 ersichtlich, errechnet.
Außer
Alkohol
wurde
der
Beikonsum
weiterer
Substanzen
erfasst
und
gegebenenfalls notiert, ob es sich um einen kombinierten Entzug handelte. Bei diesen
Patienten ist zusätzlich noch ein Urindrogenscreening durchgeführt worden.
Der Erfassungsbogen beinhaltet die Anzahl der jeweils lebenslang schon
durchgeführten Alkoholentzüge, den aktuellen Entzug mit einbezogen. Falls
Patienten nur etwaige Angaben machten wie „viele“ oder „einige“, wurde hierfür der
Durchschnittswert aller Antworten eingesetzt.
4 MATERIAL UND METHODEN
38
Tabelle 5: Alkoholgehalt verschiedener Getränke in Gewichtsprozent, eigene
Berechnung
Art des Alkohols
Alkoholgehalt [g/l]
handelsübliche Flasche
Alkoholgehalt [g/l]
Bier
13
40
Wein
70
95
Sekt
63
90
Wodka
225
320
Boonekamp
225
320
Weinbrand
230
325
Likör
175
250
Sherry
112
160
Schließlich wurde festgehalten, ob Patienten schon schwere Komplikationen
(Alkoholdelir und Krampfanfall) während eines vorherigen Entzuges entwickelt
hatten oder an Epilepsie litten.
4.3.2
Komorbidität
Fünf verschiedene Gruppen psychiatrischer Diagnosen wurden gebildet. In Tabelle 6
werden die zugehörigen Erkrankungen aufgeführt.
Internistische
und
neurologische
Begleiterkrankungen,
die
auf
erhöhten
Alkoholkonsum zurückzuführen sind, wurden mit entsprechender Diagnose
vermerkt.
4 MATERIAL UND METHODEN
39
Tabelle 6: Einteilung psychiatrischer Begleiterkrankungen
Angst-,
Panikstörung
Affektive
Störung
Agoraphobie mit
Panikstörung
Depressive
Erkrankungen
Abhängige PS
Paranoid
Akute
Gefährdung
Agoraphobie ohne
Panikstörung
Manische
Erkrankungen
Ängstliche PS
Hebephren
Anamnestisch
erfasste ernste
Versuche
Soziale Phobie
Bipolare
Störung
Emotional
instabile PS
Kataton
Panikstörung
Dysthymien
Generalisierte
Angststörung
Zyklothymien
4.3.3
Der
PersönlichSchizophrenie
keitsstörung
Suizidalität
Aktuelle Entzugsdokumentation
bei
Aufnahme
und
Beginn
der
medikamentösen
Therapie
erfasste
Alkoholspiegel in der Atemluft (in ‰) wurde im Erfassungsbogen notiert. Die
Laborergebnisse aus der innerhalb von 24 Stunden nach stationärer Aufnahme
erfolgten Blutentnahme wurden in den Erfassungsbogen aufgenommen. Als
relevante Marker galten GGT, GPT, GOT und MCV.
Der nächste Teil des Auswertungsbogens beschäftigte sich mit der Schwere des
körperlichen Entzugs. Es wurde erfasst, ob im Verlauf des Entzugs ein Krampfanfall
oder ein Delirium tremens aufgetreten war und falls ja, am wievielten Tag dies
begonnen hatte.
Während der Entgiftung wurde regelmäßig das körperliche Befinden der Patienten
durch das Pflegepersonal protokolliert. Die Messungen von Blutdruck, Puls und
Fragen nach vegetativen Symptomen wurden anfangs zweistündlich (auch nachts)
durchgeführt, bei Abklingen der Entzugserscheinungen seltener, jedoch zumindest
viermal täglich. Die vom Pflegepersonal notierten Ergebnisse bezüglich Blutdruck,
Puls, Schwitzen und Zittern wurden zur Auswertung folgendermaßen vereinheitlicht:
4 MATERIAL UND METHODEN
40
Jeder Tag, an dem der systolische oder diastolische Blutdruck bei mindestens einer
Messung über 160 bzw. 100 mmHg lag, wurde gezählt. Genauso wurde verfahren
mit jedem Tag, an dem der Puls über 100 Schläge pro Minute gemessen wurde. Die
vegetative Symptomatik beinhaltete Schwitzen, Zittern, Übelkeit, Erbrechen und
Durchfall. Nach Abfragen dieser Symptome teilte das Pflegepersonal die vegetativen
Erscheinungen in schwer, mittel, leicht oder nicht vorhanden ein. Für die statistische
Auswertung zählte jeder Tag, an dem mindestens einmal eine mittlere oder schwere
Symptomatik verzeichnet wurde.
Die medikamentöse Therapie wurde für die ersten zwei Wochen des Aufenthalts
erfasst. Als Hauptentzugsmedikament galten Oxazepam oder Clomethiazol. Weitere
aufgelistete Medikamente sind Carbamazepin und Valproat (Krampfprophylaxe und
–therapie) sowie entzugsbegleitende Mittel, wie Clonidin oder das Neuroleptikum
Haloperidol, die in der Therapie des Alkoholdelirs eingesetzt werden. Für jeden Tag
wurden die Einzelgaben addiert und als Tagesdosen notiert.
Besondere Aufmerksamkeit wurde der CIWA-Ar geschenkt. Das Pflegepersonal
füllte
im
Untersuchungszeitraum
am
ersten
Abend
des
Aufenthalts
die
Beurteilungsskala aus. Die zehn Items wurden mit jeweils 0 - 7 Punkten
(Bewertungseinheit 10: 0 - 4 Punkte) bewertet. Die Ergebnisse wurden für jede
Bewertungseinheit gesondert auf den Auswertungsbogen übertragen, um Aussagen
sowohl über Einzel- als auch Gesamtpunktzahl treffen zu können.
Schließlich gab es auf den Bögen noch Platz für Bemerkungen, wo Verlegungen,
Abbruchgründe,
4.4
Medikamentenwechsel
und
ähnliches
dokumentiert
wurde.
Auswertung der Daten
Abhängig von der CIWA-Ar-Punktzahl wurden die Patienten in zwei Gruppen
eingeteilt. Gruppe 1 (G1) enthielt alle Patienten mit einer Summe von 0 - 9.
Gruppe 2 (G2) jene, die eine Gesamtpunktzahl  10 aufwiesen. Die übrigen
Patienten ohne CIWA-Ar-Erhebung wurden zum Vergleich in Gruppe 3
zusammengefasst.
4 MATERIAL UND METHODEN
41
Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgte mittels verschiedener statistischer
Verfahren. Nominalskalierte Daten wurden mittels Chi-Quadrat-Test auf signifikante
Unterschiede
untersucht.
Für
die
Beurteilung
der
Mittelwertsvergleiche
intervallskalierter Daten wurden entweder T-Tests oder ANOVAs herangezogen.
Korrelationstechniken wurden angewendet, um die Enge von Zusammenhängen
zwischen Merkmalen zu erfassen. Um Beziehungen zwischen einer abhängigen
Variablen (CIWA-Ar-Wert) und mehreren unabhängigen Variablen zu bestimmen,
wurde eine Regressionsanalyse gerechnet. Die Überprüfung der CIWA-Ar-Skala auf
die ihr zugrunde liegende Dimensionalität erfolgte durch Faktorenanalyse mit
anschließender Varimaxrotation. Um die Homogenität der CIWA-Ar-Skala
abzuschätzen, wurde die Interne Konsistenz durch Berechnung von Cronbachs Alpha
bestimmt. Das Signifikanzniveau wird bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von fünf
Prozent angesetzt und jeweils angegeben. Die statistische Bearbeitung erfolgte mit
dem Statistik-Programm SPSS, Version 10.
Bei
der
Durchführung
mehrerer
Tests
an
identischen
Daten
ist
die
Wahrscheinlichkeit, sich irrtümlich gegen die Nullhypothese zu entscheiden, erhöht.
Zur Absicherung gegen ein fälschlicherweise signifikantes Ergebnis ist eine AlphaFehler-Adjustierung möglich, üblicherweise eine Bonferoni-Korrektur, die jedoch
eher zu konservativ ausfällt und zudem von orthogonalen, d.h. voneinander
unabhängigen Einzeltests ausgeht. Hierbei wird die Irrtumswahrscheinlichkeit in
Abhängigkeit von der Anzahl der Einzelvergleiche neu festgesetzt. Auf eine AlphaFehler-Adjustierung wurde in der vorliegenden Arbeit verzichtet, da davon
ausgegangen werden kann, dass die einzelnen Tests nicht perfekt voneinander
unabhängig sind und die Arbeit einen deskriptiv-explorativen Charakter hat.
5 ERGEBNISSE
5
ERGEBNISSE
5.1
Patientenkollektiv
42
Insgesamt wurden 409 Patienten in die Untersuchung einbezogen. Nach Prüfung der
Einschlusskriterien verblieben 366 (siehe Tabelle 7), 43 Patienten wurden
ausgeschlossen (siehe Ausschlusskriterien 4.1.2). Es verstarb kein Patient während
des Krankenhausaufenthalts.
Tabelle 7: Ausschlusskriterien des Patientenkollektivs 01.04.06 - 31.03.07
Ausschlusskriterium
Anzahl Patienten
Benzodiazepinentzug
18
Schlafmittelentzug
1
Cannabisentzug
1
Opiatentzug
2
Distraneurinabhängigkeit
1
Übernahme von anderer Station,
Aufnahme in bereits delirantem Zustand
12
Drei Tage vor Aufnahme abstinent
8
Summe
43
Die Stichprobe weist nicht stets einen Umfang von n = 366 auf, da er aufgrund
fehlender Daten in den Akten variiert. Je nach Untersuchung wurden nur Patienten
mit erstellter CIWA-Ar verglichen. In diesem Fall beträgt die Anzahl der Patienten
245. Wenn das gesamte Patientenkollektiv eingeschlossen wurde, handelt es sich um
366 Patienten.
Das durchschnittliche Alter der Patienten am Aufnahmetag betrug 44,36 Jahre
(n = 366, s = 10,55), wobei der jüngste Patient 19 und der älteste 75 Jahre alt waren.
Durchschnittlich 15,25 Tage (n = 366, s = 7,34) dauerte der Aufenthalt auf Station 5,
5 ERGEBNISSE
43
mindestens einen Tag und höchstens 42 Tage. 54 Patienten (14,8%) wurden vor
Ende der Therapie entlassen. Gründe hierfür waren entweder Regelverstöße oder der
Wunsch, die Einrichtung zu verlassen, obwohl die Therapie aus ärztlicher Sicht noch
nicht als beendet galt.
5.1.1
Abhängigkeitsverhalten
Im Mittel hatten die Patienten lebenslang schon 3,02 Alkoholentzugsbehandlungen
(n = 353, s = 4,37) erlebt. Die Angaben bezüglich der Anzahl vorheriger Entzüge
variierten von null bis 60. Über einen erlebten Krampfanfall berichteten 79 Patienten
(21,9%, n = 360), über ein Alkoholdelir 70 Patienten (19,4%, n = 360).
Die Patienten gaben an, seit durchschnittlich 23,68 Jahren (n = 314, s = 10,75)
regelmäßigen und seit 12,89 Jahren (n = 318, s = 9,33) problematischen
Alkoholkonsum betrieben zu haben.
Die täglich konsumierte Reinalkoholmenge betrug im Mittel 282,11 g/d (n = 333,
s = 146,41). Die angegebenen Mengen reichten von 28 bis 1100 g/d.
206 Patienten (56,3%, n = 366) konsumierten gelegentlich bis häufig Drogen und
Medikamente. In Tabelle 8 ist die Häufigkeit des Missbrauchs der einzelnen
Substanzen aufgelistet.
Tabelle 8: Beikonsum Drogen und Medikamente
Beikonsum
[%]][a]]
[a]
Benzodiazepine
Cannabis
Kokain
Opiate
Sedativa
Weckamine
20,5
18,3
3,3
1,6
0,3
0,8
Prozentualer Anteil der beikonsumierenden Patienten (n = 366)
5.1.2
Komorbidität
Mindestens eine neurologische Komorbidität bestand bei 45 der Patienten
(12,3%, n = 355) und bei 136 Patienten (37,3%, n = 355) wenigstens eine
5 ERGEBNISSE
44
internistische,
vermutlich
alkoholassoziierte
Erkrankung.
Psychiatrische
Begleiterkrankungen bestanden bei 44,8% (n = 364). Affektive Störungen (32,9%,
n = 365) konnten am häufigsten gezählt werden. Die gestellten psychiatrischen
Diagnosen und ihre Häufigkeiten sind in folgender Tabelle aufgeführt.
Tabelle 9: Psychiatrische Komorbidität
Angst-,
Affektive PersönlichkeitsSuizidalität Schizophrenie
Panikstörung Störung
störung
Anteil
[%]]
10,2
32,9
4,4
7,4
2,5
n[a]]
364
365
365
365
364
[a]
Anzahl
5.1.3
Daten bei Aufnahme
Tabelle 10: Laborwerte und AAK bei Aufnahme
Laborwert
Mittelwert
Min
Max
n
s[a]]
GGT [U/l]][b]]
182,1
7
2426
346
289,3
GOT [U/l]][b]]
86,5
3
645
350
85,8
GPT [U/l]][b]]
67,4
4
425
350
63,1
MCV [fl]][c]]
95,5
12
113
348
7,6
AAK [ ‰]]
1,2
0
4,9
357
1,2
[a]
Standardabweichung; [b] Units pro Liter; [c] Femtoliter
Durchschnittlich wiesen die Patienten bei Aufnahme eine Alkoholkonzentration in
der Atemluft (AAK) von 1,16‰ (n = 357, s = 1,15) auf. Die Werte lagen zwischen
0‰ und 4,9‰. 118 Patienten (33%) kamen nüchtern, mit einem Atemalkoholspiegel
von 0‰ auf Station. Für Informationen zu den Laborwerten der ersten Blutentnahme
siehe Tabelle 10.
5 ERGEBNISSE
5.1.4
45
Daten zum Therapieverlauf
Zum Zeitpunkt der ersten Medikamentengabe lag der Alkoholgehalt in der Atemluft
im Durchschnitt bei 0,45‰ (n = 315, s = 0,56). Der maximale Wert betrug 2,13‰.
Aus den Untersuchungen durch das Pflegepersonal bezüglich Blutdruck, Puls und
vegetativen Entzugserscheinungen konnten die in Tabelle 11 ersichtlichen Daten
gewonnen werden.
Im Laufe der Behandlung erlitten drei Patienten (0,8%, n = 366) einen Krampfanfall.
Elf Patienten (3%, n = 366) entwickelten ein Alkoholentzugsdelir.
Tabelle 11: Tage mit erhöhtem Blutdruck und Puls sowie vegetativen
Entzugserscheinungen
Mittelwert
Min[e]]
Max[e]]
n
s
RR systolisch[a]]
0,95
0
15
365
1,9
RR diastolisch[b]]
0,54
0
10
365
1,4
Puls[c]]
1,58
0
14
365
2,1
Vegetativum[d]]
1,52
0
10
362
1,9
[a]
Blutdruck > 160 mmHg, Anzahl Tage; [b] Blutdruck > 100 mmHg, Anzahl Tage;
[c]
Puls pro Minute > 100, Anzahl Tage; [d] mindestens mittelstarke
Entzugssymptomatik, Anzahl Tage; [e] kleinste bzw. größte erfasste Anzahl an Tagen
5.1.5
Medikamentöse Therapie
Insgesamt wurden 74,6% der Patienten (n = 366) medikamentös behandelt. Bei den
übrigen 25,4% der Patienten wurde kein Entzugsmedikament benötigt. 19,7% der
untersuchten Gruppe (n = 365) nahm während der Entzugsbehandlung Carbamazepin
oder Valproat zur Krampfprophylaxe oder -therapie ein.
Für die 168 Patienten, die mit Oxazepam behandelt wurden, konnte eine
durchschnittliche Dosis am Tag der höchsten Medikamentengabe von 99,30 mg
berechnet werden (min = 7, max = 250, s = 52,41). Im Mittel wurde den Patienten
insgesamt 320,85 mg Oxazepam verabreicht (s = 258,23). Den 116 mit Clomethiazol
5 ERGEBNISSE
46
behandelten Patienten wurden am Tag der Höchstdosis durchschnittlich 10,49
Kapseln verabreicht (min = 1, max = 22 Kapseln, s = 4,65) und als Gesamtdosis
36,93 Kapseln (s = 25,86). Bei 3,6% der Untersuchten kam es unter der
medikamentösen Therapie zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen, auf die mit
Medikamentenumstellung reagiert wurde. Falls durch solche Wechsel am selben Tag
Clomethiazol (Kapseln oder Mixtur) und Oxazepam (Tabletten) verabreicht worden
waren, wurden die Mengen entsprechend ihrer Äquivalenzdosen ineinander
umgerechnet. Daraus resultierten die teilweise unüblichen Mengenangaben der
statistischen Ergebnisse.
5.1.6
Getrennte Betrachtung von Frauen und Männern
Die gewonnenen Ergebnisse zeigen bei gesonderter Betrachtung von Männern und
Frauen keine ausgeprägten Unterschiede. Männer wiesen eine größere tägliche
Trinkmenge auf und erhielten höhere Tages- und Gesamtdosen an Oxazepam. Die
Entzugsverlaufsparameter
hoher
Blutdruck,
schneller
Puls
und
vegetative
Symptomatik traten bei Männern häufiger auf als bei Frauen. Die Tages- und
Gesamtdosis an Clomethiazol unterscheidet sich im Gegensatz zu Oxazepam nicht
nennenswert zwischen Männern und Frauen (siehe Tabelle 12).
Aufgrund der Tatsache, dass generell eine große Übereinstimmung der Ergebnisse
vorliegt, wurde in den folgenden Untersuchungen auf eine nach Geschlechtern
getrennte Betrachtung verzichtet.
5 ERGEBNISSE
47
Tabelle 12: Gegenüberstellung der Ergebnisse für Frauen (w) und Männer (m)
Geschlechtl Mittelwert
n[c]
s[d]
T[e]
p[f]
m
43,81
258
10,9
1,54
0,124
w
45,67
108
9,6
m
15,22
258
7,5
0,10
0,920
Aufenthaltsdauer [d][b]
w
15,31
108
6,9
m
3,13
251
4,8
Anzahl Entzüge
0,75
0,452
w
2,75
102
3,3
m
235 147,5
302,18
3,96
0,000
Tägl. Trinkmenge [g/l]]
w
98
132,6
233,96
m
112
56,4
108,86
3,95
0,000
Oxazepam max. [mg]]
w
56
36,8
80,18
m
10,45
94
4,5
0,17
0,868
Clomethiazol max. [mg]
w
10,64
22
5,5
m
112 287,1
369,71
4,38
0,000
Oxazepam insg. [mg]]
w
56
146,7
223,13
m
37,02
94
25,5
0,08
0,472
Clomethiazol insg. [mg]
w
36,55
22
28,0
m
257
1,9
1,09
2,20
0,028
RR, syst. [d][b]
w
108
1,7
0,62
m
0,61
257
1,4
1,75
0,082
RR, diast. [d][b]
w
0,36
108
1,2
m
1,63
257
2,2
0,65
0,516
Puls [d][b]
w
1,47
108
1,9
m
1,61
256
1,9
1,50
0,320
Vegetativum [d][b]
w
1,29
106
1,6
[a] [a]
Jahre; [b] Tage; [c] Anzahl; [d] Standardabweichung; [e] T des T-Tests; [f] Signifikanz
Alter [a][a]
5.2
CIWA-Ar
5.2.1
Allgemeine Ergebnisse
Bei 66,9%, entsprechend 245 Patienten, wurde eine CIWA-Ar erstellt. 79 davon
waren Frauen mit einem Mittelwert von 9,42 Punkten. Die 166 Männer erreichten
durchschnittlich 9,71 Punkte. Für die beschriebene Gruppe wurde eine mittlere
CIWA-Ar-Gesamtpunktzahl von 9,6 errechnet (n = 245, s = 7,87). Die Ergebnisse
reichten von 0 - 37 (siehe Abbildung 1). 9,8% aller Fragebögen wurden mit 0
Punkten bewertet.
5 ERGEBNISSE
48
25
20
15
10
5
0
0
5
10
15
20
25
30
35
CIWA-Ar Gesamtpunktzahl 0 - 37
Abbildung 1: Häufigkeitsverteilung CIWA-Ar-Gesamtpunktzahl
5.2.2
Bedeutende Zusammenhänge
Die CIWA-Ar-Punktzahl korreliert hochsignifikant mit der maximalen Tagesdosis an
Clomethiazol (r = 0,376, p = 0,001, n = 73) und Oxazepam (r = 0,291, p = 0,001,
n = 119). Die Gesamtdosen an Clomethiazol (r = 0,337, p = 0,004, n = 73) sowie
Oxazepam (r = 0,185, p = 0,043, n = 119) stehen in signifikantem Zusammenhang
mit der CIWA-Ar.
Für die erfassten Entzugverlaufsparameter konnten folgende Zusammenhänge
gefunden werden: Das CIWA-Ar-Ergebnis steht sowohl mit der Anzahl der Tage
erhöhten Pulses (r = 0,344, p = 0,000, n = 245) als auch mit der Häufigkeit starker
vegetativer Entzugserscheinungen (r = 0,278, p = 0,000, n = 244) hochsignifikant in
positiver Wechselwirkung.
Die Alkoholkonzentration in der Atemluft bei Aufnahme bezieht sich positiv auf den
CIWA-Ar-Wert (r = 0,430, p = 0,000, n = 241), mit der AAK zum Zeitpunkt des
medikamentösen Therapiebeginns verhält es sich ähnlich (r = 0,361, p = 0,000,
n = 213).
40
5 ERGEBNISSE
49
Ein solcher Zusammenhang konnte auch zwischen der Anzahl schon durchgeführter
Entzüge und den im CIWA-Ar-Bogen erreichten Punktzahlen gefunden werden
(r = 0,185, p = 0,004, n = 239).
Tabelle 13: CIWA-Ar: Korrelationen und Signifikanz
Clome- Oxazethiazol[a]] pam[a]]
Puls
Vegetativum
AAKA[b]]
AAK-T[c]]
Anzahl
Entzüge
Korrelation r
0,376
0,291
0,344
0,278
0,430
0,361
0,185
Signifikanz p
0,010
0,010
0,000
0,000
0,000
0,000
0,004
[a]
[c]
Tag der höchsten Dosis; [b] Alkoholkonzentration im Atem bei Aufnahme;
Alkoholkonzentration im Atem bei Therapiebeginn
Die einzigen Laborwerte, die signifikant in Wechselbeziehung zu den CIWA-ArErgebnissen stehen, sind GOT (r = 0,152, p = 0,018, n = 241) und GPT (r = 0,127,
p = 0,045, n = 241). Der errechnete Korrelationskoeffizient ist allerdings für beide
Parameter relativ klein.
Nichtsignifikante Ergebnisse ergab die Gegenüberstellung der CIWA-Ar-Werte mit
dem Alter der Patienten (r = 0,036, p = 0,580, n = 245) und der Aufenthaltsdauer
(r = -0,081, p = 0,204, n = 245).
Mit r = 0,047 (p = 0,461, n = 245) für die systolischen sowie r = 0,014 (p = 0,823,
n = 245) für die diastolischen Blutdruckwerte besteht kein signifikanter
Zusammenhang zwischen Blutdruck und CIWA-Ar-Punktzahl. Üblicherweise wird
die Höhe des Blutdrucks jedoch als Hilfsmittel zur Entzugseinschätzung verwendet.
Kein Zusammenhang fand sich für die Laborparameter MCV (r = 0,075, p = 0,244,
n = 240) und GGT (r = 0,08, p = 0,219, n = 238). Überraschenderweise verhielt es
sich so auch bezüglich der Dauer des regelmäßigen (r = 0,115, p = 0,09, n = 220) und
problematischen (r = 0,088, p = 0,194, n = 222) Konsums sowie der täglich
konsumierten Alkoholmenge (r = 0,067, p = 0,307, n = 231).
5 ERGEBNISSE
50
Regressionsanalyse
Um zu untersuchen, welche der oben aufgeführten Parameter auf das CIWA-ArErgebnis den größten Einfluss hatten, wurde eine Regressionsanalyse durchgeführt.
Es wurden nur Parameter eingeschlossen, die in signifikantem Zusammenhang mit
der CIWA-Ar-Punktzahl standen und bei Beginn der Entzugsbehandlung bekannt
gewesen waren. Die Atemalkoholkonzentration bei Aufnahme und medikamentösem
Therapiebeginn
sowie
die
Anzahl
der
vorherigen
Entzüge
wurden
als
Einflussfaktoren auf die abhängige Variable CIWA-Ar geprüft. Der Alkoholpegel
bei Aufnahme ist mit Beta = 0,389 als wichtige Einflusskonstante errechnet worden
(p = 0,000). Dem Alkoholpegel bei Therapiebeginn konnte hingegen keine solche
Bedeutsamkeit zugewiesen werden. Bezüglich der Anzahl durchgeführter Entzüge
konnte ein tendenzieller Einfluss mit Beta gleich 0,110 belegt werden (p = 0,087).
5.2.3
Beschreibung der CIWA-Ar-Bewertungseinheiten
In Tabelle 14 werden die CIWA-Ar-Bewertungseinheiten 1 - 10 mit den jeweils
errechneten Mittelwerten und Höchstpunktzahlen einzeln aufgeführt. Aus ihr ist
ersichtlich, dass die Einheiten 6 - 10 nicht ein einziges Mal den möglichen
Höchstwert erreichten.
Tabelle 15 stellt die Häufigkeit von minimal und maximal erreichter Punktzahl für
jede der Bewertungseinheit einzeln dar.
5 ERGEBNISSE
51
Tabelle 14: Mittelwerte der einzelnen CIWA-Ar-Bewertungseinheiten
Möglicher
max. Wert
Erreichter
max. Wert
Mittelwert
s
Übelkeit und Erbrechen
7
7
0,86
1,7
2
Tremor
7
7
2,33
2,1
3
Schweißausbrüche
7
7
1,37
1,7
4
Angst
7
7
1,42
1,6
5
Unruhe
7
7
1,54
1,9
6
Taktile Störungen
7
5
0,39
0,9
7
Akustische Störungen
7
4
0,38
0,8
8
Visuelle Störungen
7
5
0,45
1,0
9
Kopfschmerzen/Druckgefühl
7
6
0,80
1,3
10
Orientiertheit/Trübung des
Bewusstseins
4
2
0,07
0,3
Einheit
Beschreibung
1
Tabelle 15: Auftreten Minimal- und Maximalpunktzahl
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
0 P.[a]]
69,4
27,3
44,1
38,0
52,7
78,4
78
78
62,4
93,5
7/4 P.[b]]
2,9
4,9
2,9
0,4
0,4
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
[a]
Prozentualer Anteil mit 0 Gesamtpunkten in der CIWA-Ar; [b] Prozentualer Anteil mit
Höchstpunktzahl 7 für Items 1-9; 4 für Item 10
5 ERGEBNISSE
5.2.4
52
Gemeinsame Bewertungseinheit „Halluzination“
Es fiel auf, dass die Bewertungseinheiten 6, 7 und 8 innerhalb eines CIWA-ArBogens häufig ähnliche Ergebnisse lieferten. Es handelt sich um drei verschiedene
Formen nichtrealer Wahrnehmung (taktil, akustisch und visuell). Die Bildung von
nicht-parametrischen Korrelationen bestätigte die vorherige Annahme. CIWA-Ar 6
und 7 korrelieren mit r = 0,349, CIWA-Ar 6 und 8 mit r = 0,393 (p jeweils = 0,000).
CIWA-Ar 7 und 8 wiesen bei gleicher Signifikanz sogar eine Korrelation von
r = 0,408 auf. Die Bildung einer gemeinsamen Bewertungseinheit für Item 6, 7 und 8
ist zu erwägen.
5.2.5 Gruppeneinteilung
Bei 245 von 366 Patienten wurde eine CIWA-Ar ausgefüllt. 54,7% erreichten eine
Punktzahl von höchstens 9, die übrigen 45,3% lagen zwischen 10 und 67 Punkten.
Für die Auswertung wurden drei Gruppen gebildet (siehe Tabelle 16).
Die 134 Patienten mit einer CIWA-Ar-Summe < 10 bildeten Gruppe 1, die 111
übrigen mit einem CIWA-Ar-Ergebnis  10 wurden in Gruppe 2 zusammengefasst.
Alle 121 Patienten ohne CIWA-Ar gehörten Gruppe 3 an.
Hinsichtlich des Geschlechts gab es bei der Gruppenzugehörigkeit keine relevanten
Unterschiede, beispielsweise sind 29% aller Männer und 31% aller Frauen mit einem
CIWA-Ar > 9 der Gruppe 2 zugehörig (chi2 = 2,923, p = 0,232).
Tabelle 16: CIWA-Ar-Einteilung in 3 Gruppen
Erreichte Punktzahl
Gruppe
Häufigkeit[a]]
%
0-9
1
134
36,6
10-67
2
111
30,3
Ohne CIWA-Ar
3
121
33,1
[a]
Gesamtanzahl n = 366: chi2 = 2,923; p = 0,232
5 ERGEBNISSE
5.2.6
53
Vergleich der Gruppen
Die Aufenthaltsdauer betrug in Gruppe 1 durchschnittlich 16,8 Tage (s = 6,66), in
Gruppe 2 nur 15,74 Tage (s = 6,958), (T = 1,215, p = 0,226, n = 245). Zur
Überprüfung
dieses
nichtsignifikanten
Ergebnisses
wurde
eine
gesonderte
Berechnung ohne „Abbrecherpatienten“ erstellt. Es konnte für Gruppe 1 eine
signifikant längere Aufenthaltsdauer von durchschnittlich 17,92 (s = 5,942) im
Vergleich zu 16,59 Tagen (s = 6,540) in Gruppe 2 bestätigt werden. Weiterhin wurde
die mittlere Aufenthaltsdauer der Patienten ohne CIWA-Ar errechnet. Sie lag bei
15,04 (s = 7,295), (F = 4,07, p = 0,007, n = 366).
Der Atemalkoholgehalt bei Aufnahme unterschied sich hochsignifikant mit
Durchschnittswerten von 0,73‰ (s = 0,99) in Gruppe 1 und 1,62‰ (s = 1,14) in
Gruppe 2 (T = 6,418, p = 0,000, n = 241). Mit gleichem p unterschieden sich die
jeweiligen Atemalkoholspiegel bei medikamentösem Therapiebeginn. Gruppe 1 wies
durchschnittlich 0,28‰ (s = 0,49) auf, Gruppe 2 hingegen 0,68‰ (s = 0,55),
(T = 4,19, p = 0,000, n = 213).
1,8
G2
Atemalkoholkonzentration [ä]
1,6
1,4
1,2
1
0,8
G1
G2
0,6
0,4
G1
0,2
0
AAK-Aufnahme
AAK-Therapiebeginn
Abbildung 2: Alkoholgehalt in der Atemluft (G1: Gruppe 1; G2: Gruppe 2)
5 ERGEBNISSE
54
Auch hinsichtlich der Anzahl vorheriger Entzüge konnten unterschiedliche
Durchschnittswerte ermittelt werden. Patienten aus Gruppe 1 hatten im Mittel bisher
2,26 Entzüge (s = 2,36), jene aus Gruppe 2 bereits 4,3 (s = 6,91), (T = 2,92,
p = 0,004, n = 239). Bezüglich der konsumierten Alkoholmenge zeigte sich lediglich
die Tendenz, dass Patienten aus Gruppe 2 größere Mengen (296,63 g, s = 162,20) als
in Gruppe 1 (260,65 g, s = 139,88) konsumierten (T = 1,81, p = 0,072, n = 231).
Puls und Vegetativum sind weitere Parameter, die sich signifikant unterschieden. Die
Anzahl der Tage mit erhöhtem Puls betrug in Gruppe 1 durchschnittlich 0,96 Tage
(s = 1,45), in Gruppe 2 dagegen 2,28 Tage (s = 2,53), (T = 4,89, p = 0,000, n = 245).
1,14 Tage lang (s = 1,57) hatten Patienten der Gruppe 1 vegetative
Entzugserscheinungen, deutlich weniger als die durchschnittlich errechneten 2,12
Tage (s = 2,06) in Gruppe 2 (T = 4,09, p = 0,000, n = 244).
2,5
G2
G2
Anzahl Tage
2
1,5
G1
1
G1
0,5
0
Erh!hter Puls
Vegetative Symptome
Abbildung 3: Entzugsverlauf (erhöhter Puls, vegetative Entzugserscheinungen)
5 ERGEBNISSE
55
Der systolische Blutdruck lag in Gruppe 2 häufiger, jedoch nicht signifikant, über
160 mmHg (1,22 Tage, s = 2,35) als in Gruppe 1 (0,8 Tage, s = 1,64), (T = 1,53,
p = 0,115, n = 245). Auch für die diastolischen Blutdruckergebnisse liegt keine
Signifikanz vor (T = 0,61, p = 0,54, n = 245), die Mittelwerte in Gruppe 1 lagen bei
0,51 (s = 1,4) und in Gruppe 2 bei 0,63 Tagen (s = 1,56).
GOT erwies sich als einziger Laborwert, der signifikante Unterschiede in den zwei
Gruppen zeigte. In Gruppe 1 lag der Wert durchschnittlich bei 75,80 U/l (s = 78,68)
und in Gruppe 2 bei 102,26 U/l (s = 98,99), (T = 2,31, p = 0,022, n = 241). Beim
Vergleich von psychiatrischen und internistischen Begleiterkrankungen in den zwei
CIWA-Ar-Gruppen konnten weder signifikante noch tendenzielle Zusammenhänge
gefunden werden.
Medikamente
64,2% der Patienten (86) aus Gruppe 1 wurden medikamentös behandelt, entweder
mit Oxazepam oder Clomethiazol. In Gruppe 2 wurden 88,3% der Patienten (98)
medikamentös unterstützt. Zum Vergleich wurde auch Gruppe 3 untersucht. Mit 74%
lag der Anteil medikamentös therapierter Patienten hier genau zwischen Gruppe 1
und 2 (chi2 = 18,72, p = 0,000, n = 366).
21 Patienten der Gruppe 1 (15,8%) wurden mit Carbamazepin oder Valproat
behandelt, in Gruppe 2 wurden 29 Patienten (18,2%) mit einem dieser Medikamente
behandelt (chi2 = 3,97, p = 0,046, n = 244).
In Abbildung 4 sind die Tagesgesamtdosen für jede der zwei Gruppen aufgeführt. Es
werden sowohl Ergebnisse für Oxazepam als auch Clomethiazol verarbeitet. Zur
Vergleichbarkeit wurden Äquivalenzdosen berechnet. Eine Kapsel Clomethiazol
entspricht 12,5 mg Oxazepam.
5 ERGEBNISSE
56
G1, Oxazepam
G2, Oxazepam
G1, Clomethiazol
G2, Clomethiazol
160
140
120
100
80
60
40
20
0
1
2
3
4
5
6
7
Tag
Abbildung 4: Trendlinie aus Tagesgesamtdosen, Gruppe 1 (G1) und 2 (G2)
Tageshöchstdosen
Aus der Untersuchung der Tageshöchstdosis von Oxazepam und Clomethiazol gehen
folgende Ergebnisse hervor: In Gruppe 1 wurde im Mittel eine Höchstdosis von
88,53 mg Oxazepam (s = 47,55) verabreicht, in Gruppe 2 waren es 117,54 mg
(s = 53,50). Für diese Ergebnisse lag die Signifikanz bei 0,002 (T = 3,13, n = 119).
Die Höchstdosis an Clomethiazol (T = 2,89, p = 0,005, n = 73) lag pro Patient in
Gruppe 1 bei durchschnittlich 9,07 Kapseln am Tag der höchsten Medikamentengabe
(s = 3,86), in Gruppe 2 bei 11,95 Kapseln (s = 4,37).
Gesamtdosen
Diese Ergebnisse bezüglich der Höchstdosis wurden durch Vergleich der
Gesamtdosen tendenziell bestätigt (T = 1,81, p = 0, 73, n = 119). In Gruppe 1 lag die
5 ERGEBNISSE
57
Gesamtmenge an Oxazepam im Mittel bei 298,78 mg (s = 294,85), in Gruppe 2 bei
389,75 mg (s = 251,99).
An Clomethiazol (T = 2,91, p = 0,005, n = 73) wurden im Verlauf des Entzugs in
Gruppe 1 durchschnittlich 28,25 Kapseln (s = 19,00) verabreicht, in Gruppe 2
deutlich mehr mit 45,68 Kapseln (s = 28,30).
G2
600
Entzugsmedikation [mg]
500
G2
400
G1
G1
300
200
G2
G2
100
G1
G1
0
TD
GD
Oxazepam
TD
GD
Clomethiazol
Abbildung 5: Vergleich Tageshöchstdosis (TD) und Gesamtdosis (GD)
Delir und Krampfgeschehen
Neun von 245 Patienten mit erstellter CIWA-Ar entwickelten ein Delirium tremens.
Sie hatten im Durchschnitt eine Punktzahl von 18,0 (mindestens 5, höchstens 31
Punkte), wohingegen die restlichen Patienten im Durchschnitt 7,67 Punkte hatten
(p = 0,001, n = 245). Die Zellenbesetzung „Delir“ ist für die statistische Auswertung
sehr gering, deshalb sind die Ergebnisse nur bedingt verwendbar. Acht von neun
Patienten, die ein Delir entwickelten, gehörten bei der CIWA-Ar-Erhebung zu
Gruppe 2, wiesen also mindestens 10 CIWA-Ar-Punkte am ersten Abend auf.
5 ERGEBNISSE
58
Aufgrund der geringen Anzahl betroffener Patienten wurde die „Exakte Signifikanz“
errechnet (chi2 = 9,828, Exakte Signifikanz = 0,012). Zum Vergleich entwickelten in
Gruppe 3 drei Patienten ein Delirium tremens.
Die zwei Patienten mit ausgefülltem CIWA-Ar, die im Laufe des Aufenthaltes einen
Krampfanfall erlitten, erreichten bei Erhebung 5 und 17 Gesamtpunkte. Einer der
Patienten mit Krampfanfall gehörte damit zu Gruppe 1, der andere zu Gruppe 2. In
Gruppe 3 entwickelte ein weiterer Patient einen Krampfanfall im Verlauf des
Entzuges.
Die 57 Patienten mit Krampfgeschehen in der Vorgeschichte hatten einen CIWA-ArMittelwert von 12,37 (s = 8,60) im Vergleich zu den 186 ohne bisheriges
Krampfgeschehen mit einem Mittelwert von 8,78 (s = 7,46); (T = 3,06, p = 0,002,
n = 243). 31% der Patienten (34 von 110) aus Gruppe 2 hatten schon mindestens
einen Krampfanfall vor Aufnahme, bei Gruppe 1 waren es mit 23 von 133 nur 17%
(chi2 = 6,22, p = 0,013, n = 243).
Ähnlich verhielt es sich bezüglich früherer Delirzustände. Insgesamt hatten 49 der
CIWA-Ar-Patienten ein alkoholassoziiertes Delir in der Vorgeschichte erlebt. Diese
lagen mit ihrem CIWA-Ar-Mittelwert von 13,61 (s = 8,36) höher als die übrigen
Patienten mit 8,62 (s = 7,43), (T = 4,09, p = 0,000, n = 243). 29% (32 von 110) in
Gruppe 2 hatte ein Delir in der Vergangenheit, wohingegen es bei Gruppe 1 nur
12,8% (17 von 133) waren (chi2 = 9,95, p = 0,002, n = 243).
5 ERGEBNISSE
59
40
G2
35
G2
Positive Anamnese [%]
30
25
20
15
G1
G1
10
5
0
Delirium tremens
Krampfanfall
Abbildung 6: Delirium tremens und Krampfanfall in der Vorgeschichte
Übrige Parameter
Hinsichtlich des Alters, der Dauer regelmäßigen und problematischen Konsums
sowie der Laborwerte MCV, GGT und GPT konnten keine signifikanten Ergebnisse
bezüglich der CIWA-Ar-Gruppenzugehörigkeit gefunden werden. Die folgende
Tabelle 17 gibt einen Überblick der erhaltenen Ergebnisse.
5 ERGEBNISSE
60
Tabelle 17: Nichtsignifikante Resultate
Mittelwert
Mittelwert
s G1[e]
s G2[e]
G1
G2
N[f]
p[g]
T[h]
Alter [a][a]
44,0
10,6
44,7
10,5
245
0,870
0,50
Regelmäßiger
Konsum [a][a]
23,1
10,9
24,8
10,3
230
0,481
1,17
Problematischer
Konsum [a][a]
12,5
12,5
13,7
13,7
222
0,570
1,00
MCV [fl][c]
94,8
9,3
96,1
6,3
240
0,395
1,24
GGT [U/l][d]
176,8
356,8
195,2
250,7
238
0,858
0,45
GPT [U/l][d]
61,8
62,4
71,0
61,9
241
0,427
1,15
[a]
[b]
[c]
[d]
in Jahren;
Liter;
Femtoliter;
Units pro Liter;
Gruppe 1 und 2; [f] Anzahl; [g] Signifikanz; [h] T des T-Tests
5.2.7
[e]
Standardabweichung
Reliabilitätsanalyse der einzelnen CIWA-Ar-Einheiten
Die Reliabilität ist ein Maß der Replizierbarkeit einer Likert-Skala; sie gibt die
formale Genauigkeit an. Beurteilt wurde in diesem Teil der Arbeit die Trennschärfe
(r) der einzelnen Bewertungseinheiten, also die Korrelation jedes Items mit der
Summe der übrigen Items – dem Gesamtergebnis. Hohe Trennschärfen bedeuten,
dass Punktzahlen eines einzelnen Items Vorhersagen über das gesamte Testergebnis
möglich machen. Keine der untersuchten Bewertungseinheiten korreliert negativ mit
einer anderen. Werte r > 0,3 gelten als verwendbar, Werte über 0,5 gelten als gut
(Bortz und Döring 1995). Mit Ausnahme der Kriterien 9 und 10 erfüllen alle Items
diese Auflage. Wie im folgenden Diagramm dargestellt, liegt die Trennschärfe für
Items 3 und 4 über 0,5.
Die durchschnittliche Inter-Item-Korrelation beträgt 0,2349. Der kleinste Wert liegt
bei 0,0596 (CIWA 10 mit CIWA 6), der größte bei 0,5031 (CIWA 3 mit CIWA 2).
Die Varianz beträgt 0,0118.
Das Cronbachs Alpha gibt die Reliabilität einer Skala an. Damit lässt sich berechnen,
inwieweit alle Items der CIWA-Ar gemeinsam als Messung einer einzelnen Variable
5 ERGEBNISSE
61
angesehen werden können. Es gilt als Maß der internen Konsistenz einer Skala. Für
die CIWA-Ar wurde ein Alpha-Koeffizient von 0,7385 errechnet. Er kann zwischen
minus und plus eins liegen, eine verwendbare Skala sollte mindestens 0,7 erreichen
(Cronbach 1951).
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
CIWA-Ar-Bewertungseinheiten
Abbildung 7: Trennschärfe einzelner CIWA-Ar-Items
Aufgrund der geringen Trennschärfe von Bewertungseinheit 10 (Orientiertheit und
Trübung des Bewusstseins) wurde Alpha für die gleiche Skala ohne Item 10
berechnet. Der Alpha-Koeffizient erhöht sich durch die Streichung von Item 10 auf
0,7427. Nach Elimination des Items 10 steigt die Inter-Item-Korrelation auf 0,2597,
die Varianz sinkt auf 0,111.
Die geringe Reliabilität der Einheit Orientiertheit und Trübung des Bewusstseins und
die Tatsache, dass nur einmal 2 Punkte vergeben wurden, kein einziger Patient also
die Höchstpunktzahl erhielt, führt zur Überlegung, dieses Item zu streichen. Die
Aussagekraft der gesamten Skala wird hierdurch vergrößert. Es muss bei der
Interpretation der Ergebnisse allerdings beachtet werden, dass diese Untersuchung
5 ERGEBNISSE
62
nur die CIWA-Ar-Werte des Aufnahmetags berücksichtigt. Sie überprüft demnach
nicht die Bedeutung der Bewertungseinheit 10 im Entzugsverlauf. Am ersten Tag des
körperlichen Entzugs jedenfalls waren nahezu nie Trübung des Bewusstseins und
Desorientiertheit zu beobachten.
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
CIWA-Ar-Bewertungseinheiten 1-9
Abbildung 8: Korrigierte Trennschärfe nach Streichung von Item 10
5.2.8
Faktorenanalyse mit anschließender Varimaxrotation
Um zu überprüfen, ob die feststehenden Items 1 – 9 in voneinander unabhängige
Gruppen aufgeteilt werden können, wird die Faktorenanalyse durchgeführt.
Voraussetzung für die Faktorenanalyse ist eine Korrelation zwischen den einzelnen
Items (siehe oben). Bei der Analyse der einzelnen Faktoren ergaben sich drei
Faktoren mit einem Eigenwert über eins. Diese drei Faktoren machen 59,9% der
Aussagekraft der CIWA-Ar aus.
5 ERGEBNISSE
63
Tabelle 18: Faktorenanalyse
CIWA-Ar-Items
Gesamt
% der Varianz
Kumulierte
Varianz
Faktor 1
1, 2, 3, 4, 5
3,118
34,641
34,641
Faktor 2
6, 7, 8
1,266
14,067
48,708
Faktor 3
9
1,005
11,162
59,870
Rotierte Komponentenmatrix
Die Varimaxrotation ist eine mathematische Rechenmethode, die eine inhaltliche
Interpretationshilfe für die Faktorenanalyse darstellt (Kaiser 1958). Nur Variablen
mit einem absoluten Faktorwert > 0,5 wurden als repräsentativ für einen gegebenen
Faktor gewertet (Pittman et al. 2007).
Faktor 1 wird durch CIWA-Ar 1 – 5 gestellt. CIWA-Ar 6, 7 und 8 bilden Faktor 2.
Faktor 3 wird alleine durch CIWA-Ar 9 gebildet. Das bedeutet offenbar, dass Item 9
(Kopfweh) eine eigene Variable darstellt, die unabhängig von den restlichen
Ergebnissen
steht.
Übelkeit
und
Erbrechen,
Tremor,
Schweißausbrüche,
Ängstlichkeit und Unruhe stellen Faktor 1 dar, sie scheinen die vegetative
Symptomatik gemeinsam zu repräsentieren. Die drei verschiedenen Formen der
Wahrnehmung (akustisch, taktil und visuell) bilden, wie zu erwarten, einen eigenen
Faktor (Faktor 2). Die errechneten Faktorwerte sind in Tabelle 19 nachzulesen.
Tabelle 19: Komponentenmatrix
Faktor 1
1
2
3
0,57
0,80
0,73
0,54
0,15
0,36
0,12
0,32
Faktor 2 < 0,01 < 0,01
Faktor 3
CIWA-Ar
4
5
0,44
< 0,01
6
7
8
9
0,61
0,34
< 0,01
0,12
< 0,01
0,26
0,70
0,77
0,71
0,23
0,21
0,28
0,85
< 0,01 < 0,01
6 DISKUSSION
6
DISKUSSION
6.1
Methodenkritik
6.1.1
Stichprobe
64
Bei den 366 Patienten der Stichprobe handelte es sich ausschließlich um Abhängige,
die zu einer Qualifizierten Entzugsbehandlung in der psychiatrische Klinik des UKE
aufgenommen wurden. Mit einer täglichen Alkoholmenge von durchschnittlich 282 g
sind sie der Hochkonsumgruppe zuzuordnen (Soyka und Küfner 2008). Es kann
davon ausgegangen werden, dass viele Patienten, die zum Entzug in eine
spezialisierte Einrichtung wie das UKE kamen, schon zuvor Kontakt zum
Suchthilfesystem hatten. Es wurde über durchschnittlich drei vorangegangene
Entzüge und langjährigen regelmäßigen Alkoholkonsum berichtet (durchschnittlich
24 Jahre). 37,3% der Patienten litten an mindestens einer schwerwiegenden,
vermutlich alkoholassoziierten, internistischen Begleiterkrankung. Aus diesen
Bedingungen resultiert eine gewisse Selektion der Patienten dieser Studie. Schwere
und Dauer der Abhängigkeit kann nicht als durchschnittlich im bundesdeutschen
Vergleich gesehen werden. Viele alkoholkranke Menschen führen Entzüge ambulant
oder stationär in nichtspezialisierten Kliniken durch, nur 3,1% aller Patienten werden
in psychiatrischen Abteilungen wie der des UKE behandelt (Mann 2002). 90% der
stationären Aufnahmen Alkoholabhängiger erfolgen in Allgemeinkrankenhäusern.
Bei der Interpretation der Ergebnisse muss also zunächst berücksichtigt werden, dass
die Studie an einer spezialisierten Suchtklinik, die eine Selektion der Patienten mit
sich bringt, durchgeführt wurde.
Der Vorteil, der sich jedoch aus diesem Umstand ergibt, besteht in der Auswertung
der CIWA-Ar. Die Skala wurde für spezialisierte Entzugskliniken, wie die PS 5,
entwickelt. Noch ist nicht abschließend geklärt, ob die Verwendung auch in anderen
Kliniken sinnvoll ist. Es existiert eine Studie, in der nachgewiesen wurde, dass die
erste Version der Skala (CIWA-A) auch in großen Allgemeinkrankenhäusern zur
Bewertung von Entzugserscheinungen geeignet ist (Foy et al. 1988).
6 DISKUSSION
65
Alle in die Studie eingeschlossenen Patienten wurden mit der Hauptdiagnose
„Alkoholabhängigkeit“ aufgenommen. Ein- und Ausschlusskriterien wurden genau
festgelegt.
Es
wurden
behandlungsbedürftige
Patienten
ausgeschlossen,
Substanzabhängigkeit
vorwiesen.
die
eine
Patienten
zweite
mit
nur
gelegentlichem Drogen- und Medikamentenbeikonsum mit Suchtpotenzial wurden
nicht ausgeschlossen. 56,3% der Untersuchten gaben solch einen Beikonsum an, es
handelte sich also um mehr als die Hälfte der Patienten. Da die Menge der
konsumierten Substanzen nicht immer exakt bestimmbar und die Auskunft der
Patienten
oft
ungenau
war,
muss
davon
ausgegangen
werden,
dass
Entzugserscheinungen nicht nur durch das Absetzen von Alkohol auftraten, sondern
auch aufgrund von anderweitigem Substanzmangel hervorgerufen oder verstärkt
worden sind. 20,5% aller Studienteilnehmer gaben eine gelegentliche Einnahme von
Benzodiazepinen an. Bei Patienten, die an diese Substanz gewöhnt waren, können
entsprechend mehr Medikamente während des Entzugs nötig gewesen sein.
Benzodiazepinmissbrauch ist ein bei Alkoholkranken sehr häufig auftretendes
Phänomen, in einer Studie mit 906 Patienten wurde er bei 78,4% der Entziehenden
festgestellt (Soyka 1995a). Die unter diesen Umständen beobachteten Ergebnisse
sind demnach als repräsentativ einzuschätzen.
Jeder aufgenommene Patient vom 01.04.2006 bis zum 31.03.2007 wurde in die
Studie einbezogen, sofern die Einschlusskriterien erfüllt wurden. Auch mehrmals
aufgenommene Patienten wurden berücksichtigt. Gewertete Mehrfachaufnahmen
könnten die Ergebnisse beeinflusst und verzerrt haben.
Ein anderes methodisches Problem stellen Behandlungsabbrecher dar. 54 Patienten
brachen aus unterschiedlichen Gründen den Aufenthalt auf der PS 5 ab. Meist
handelte es sich um Abbrüche gegen den Willen der Ärzte, es gab aber auch einzelne
Fälle disziplinarischer Maßnahmen, beispielsweise wegen Alkoholkonsums auf
Station oder anderer regelwidriger Handlungen. Die aus der Entzugsbehandlung
gewonnenen Daten wurden generell bis zum letzten Aufenthaltstag verwendet.
6 DISKUSSION
66
Patienten aus Gruppe 2, bei denen von einem schweren AES ausgegangen werden
konnte, hatten eine durchschnittlich kürzere Aufenthaltsdauer (15,74 Tage) im
Vergleich zu Gruppe 1 (16,80 Tage). Eine Erklärung für dieses überraschende
Ergebnis könnte darin liegen, dass Patienten mit Rückfall in den ersten sechs
Monaten nach Entzug am UKE die Möglichkeit eines erneuten körperlichen Entzugs
im Rahmen einer einwöchigen Kurzintervention hatten. Es kann davon ausgegangen
werden, dass Patienten der Gruppe 2 häufiger rückfällig wurden und deshalb die
durchschnittliche Aufenthaltsdauer kürzer war. Hinzu kommt, dass Patienten mit
besonders starker Entzugssymptomatik aufgrund von Komplikationen gehäuft
verlegt werden mussten, beispielsweise auf die Intensivstation bei deliranten
Zuständen. Ihre statistische Aufenthaltsdauer betrifft allerdings nur die Tage, die sie
auf der PS 5 verbracht haben.
6.1.2
Bewertung der Symptomatik
Die Einschätzung von Symptomen und Befinden der Entzugspatienten ist im
Allgemeinen subjektiv (Fiellin et al. 1998). Durch lange Erfahrung und Schulung ist
das Personal der PS 5 auf das Erkennen von Entzugssymptomen spezialisiert. Die
Einschätzung des Befindens gehört auf einer Entzugsstation wie der PS 5 zum
Stationsalltag. Es kann davon ausgegangen werden, dass konstante und objektive
Bewertungen auch bei teilweise wechselndem Personal vorgenommen worden sind.
Folgende Umstände führten zu eingeschränkter Vergleichbarkeit der Patientendaten:
Der Zeitpunkt der letzten Alkoholaufnahme war bei jedem Patienten unterschiedlich.
Auch wenn die CIWA-Ar immer am ersten Abend erstellt wurde, variierten die
Stadien der Entgiftung bedingt durch den differierenden Alkoholpegel bei
Aufnahme. Solch unterschiedliche Umstände sind bei Studien unter realen
Bedingungen jedoch nicht vermeidbar und werden auch bei vergleichbaren
Untersuchungen vorgefunden.
Weiterhin wurde in der Entzugsverlaufsdokumentation festgehalten, wenn die
Parameter Puls, Vegetativum oder Blutdruck mindestens einmal täglich über eine
festgelegte Grenze stiegen. Dabei ist ungewiss, wie hoch und wie häufig diese
Grenze überschritten wurde.
6 DISKUSSION
67
Der Umstand, dass die Patienten während der Studie keine andere relevante
Behandlung erhielten und beim Auftreten internistischer oder chirurgischer
behandlungsbedürftiger Komplikationen verlegt und damit aus der Studie
ausgeschlossen wurden, spricht für Aussagekraft und Vergleichbarkeit der gewonnen
Daten.
6.1.3
Erstellen der CIWA-Ar
Das Pflegepersonal vervollständigte die CIWA-Ar-Bögen am ersten Abend des
Aufenthalts. Von den insgesamt 366 Patienten des untersuchten Zeitraums wurde bei
nur 245 eine CIWA-Ar erstellt. Da es sich um eine retrospektive Studie handelt,
konnte auf diese Tatsache kein Einfluss genommen werden. Der Vorteil, der sich
aber aus der unvollständigen Arbeit des Pflegepersonals ergibt, liegt in der Schaffung
einer Vergleichsgruppe, der zufällig Patienten zugeordnet wurden. Sie macht genau
ein Drittel der gesamten Stichprobe aus und beinhaltet sowohl Patienten mit
schweren als auch milden Entzugsverläufen.
6.1.4
Datenauswertung
Es kam vor, dass Patientenakten nicht vollständig geführt wurden oder bestimmte
Werte fehlten. Diese fehlenden Daten wurden nicht in die statistische Auswertung
einbezogen,
die
Felder
leer
gelassen.
Folglich
liegen
unterschiedliche
Stichprobengrößen bei verschiedenen Berechnungen vor.
Die Daten, die aus Anamnesegesprächen gewonnen wurden, können nicht immer als
exakt gewertet werden. Patienten machen oft ungenaue Angaben, besonders
bezüglich
Alkoholmenge,
Abhängigkeitsdauer,
Anzahl
vorheriger
Entzugsbehandlungen und Drogenbeikonsum. Es kann angenommen werden, dass
diese potenzielle Fehlerquelle bei den meisten Studien vorhanden ist, in denen
Patienteninformationen verwendet werden. Selbstaussagen von Patienten sind
mehrfach in Studien untersucht worden und als hinreichend valide eingestuft worden
(Wolber et al. 1990; Babor und Del Boca 1992). Mit Fehlerquoten von sechs bis
neun Prozent insbesondere bei Katamnesen zum Trinkverhalten muss allerdings
6 DISKUSSION
68
gerechnet werden. Es ist davon auszugehen, dass dieser Fehler unsystematisch und
gleichverteilt in allen gebildeten Patientengruppen auftritt.
Bei der Auswertung der Daten aus der CIWA-Ar-Erhebung muss das Konzept der
Studie bedacht werden. Es beinhaltet nur die einmalige CIWA-Ar-Erstellung am Tag
der Aufnahme, also nicht, wie ursprünglich für die CIWA-Ar vorgesehen, die
mehrmalige Erhebung in regelmäßigen Abständen als Hilfestellung zur Dosierung
der Medikamente. Die Ergebnisse dieser Untersuchung bezüglich der CIWA-Ar
können
nur
dementsprechend
interpretiert
werden.
Es
erfolgte
keine
punktzahlorientierte Medikamentengabe. Es konnte retrospektiv lediglich untersucht
werden, inwiefern die erhaltene Punktzahl prognostisch relevant für den
Entzugsverlauf war. Es bleibt in einer prospektiven Studie zu prüfen, ob die
Ergebnisse der zu Beginn erstellten CIWA-Ar-Untersuchung für Therapie und
Verlauf des Entzugs vorteilhaft sind.
6.2
Bewertung der CIWA-Ar
Durch die Untersuchung wurde deutlich, dass ohne professionelle Schulung das
Ausfüllen der CIWA-Ar beim Personal auf ablehnende Haltung stößt. Nur für zwei
Drittel der Patienten wurde eine CIWA-Ar erstellt. Auf Nachfrage gaben die
Mitarbeiter an, nicht genau gewusst zu haben, welchen Zweck diese zusätzliche
Arbeit erfüllen sollte. Vor der Einführung der CIWA-Ar muss also unbedingt über
den Sinn dieses Auswertungsbogens aufgeklärt werden. Das Addiction Research
Foundation Clinical Institute in Toronto, in dem die ursprüngliche CIWA entwickelt
wurde, stellt Filme zur Verfügung, mit denen der Umgang mit der CIWA-Ar gelehrt
werden kann.
6.2.1
Eignung der CIWA-Ar als Entzugsinstrument
Die CIWA-Ar hat optimale Voraussetzungen, ein verlässliches Instrument für die
Entzugsbehandlung zu sein (Holbrook et al. 1999). In vorangegangenen
Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die erhaltenen Ergebnisse sich
unabhängig vom Untersucher ähneln, sie weisen bei vorangegangener Schulung des
6 DISKUSSION
69
Personals mit r > 0,8 eine gute interpersonelle Übereinstimmung auf (Sullivan et al.
1989). Konstruktvalidität der CIWA wurde schon 1981 nachgewiesen (Shaw et al.
1981). Das bedeutet, die Ergebnisse können als zuverlässig gewertet werden.
Die Erhebung der CIWA-Ar durch das Pflegepersonal ist vorteilhaft. Pflegerinnen
und Pfleger haben über lange Zeiträume sehr engen Kontakt zu den Patienten und
können deshalb deren Befinden bestmöglich einschätzen. Falls sich der Zustand des
Patienten ändern oder sich beispielsweise ein Delir entwickeln sollte, kann das
Pflegepersonal Symptome früh bemerken und eine entsprechende Behandlung in die
Wege leiten (Brogdon 1993).
In dieser Untersuchung konnte ein hochsignifikant positiver Zusammenhang
zwischen
der
Menge
verabreichter
Entzugsmedikamente
(Maximaldosis
Clomethiazol und Oxazepam) und der erreichten Punktzahl nachgewiesen werden.
Weiterhin war die Summe umso größer, je größer die Anzahl vorheriger Entzüge
gewesen war. Es kann davon ausgegangen werden, dass Patienten, die hohe Dosen
Oxazepam bzw. Clomethiazol erhielten bzw. schon viele Entzüge erlebt hatten, auch
eine schwere Entzugssymptomatik und starke Abhängigkeit aufwiesen. Der erhaltene
CIWA-Ar-Wert liefert demzufolge wichtige Hinweise für die Entzugsbehandlung.
Die Eignung der CIWA-Ar zur Einschätzung der Schwere des Entzugs konnte
bestätigt werden.
6.2.2
Einmalige Verwendung der CIWA-Ar
Während viele Studien die Vorteile der symptomgesteuerten Behandlung mittels
CIWA-Ar gegenüber der Therapie nach einem festgesetzten Applikationsschema
bewiesen haben (Wartenberg et al. 1990), gibt es nur wenige Analysen über die
Aussagekraft der einmaligen CIWA-Ar-Erstellung (Pittman et al. 2007). Ein
richtungsweisendes Hilfsmittel wäre von großer Bedeutung, da im Vorfeld die
Schwere des Entzugs schlecht zu beurteilen ist. Eine Risikoabschätzung anhand der
CIWA-Ar-Summe zu Beginn des Entzugs könnte dem behandelnden Arzt bei der
Entscheidung helfen, ob und wie stark medikamentös therapiert werden soll.
Für eine entsprechende Bewertung anhand des CIWA-Ar-Ergebnisses müssen
zunächst Einteilungskriterien geschaffen werden. In der Vergangenheit wurde schon
mehrfach versucht, Patienten anhand ihrer CIWA-Ar-Punktzahl in unterschiedliche
6 DISKUSSION
70
Gruppen zu gliedern. Kraemer stellte 2003 fest, dass Patienten mit einem
Anfangswert  10 ein erhöhtes Risiko für einen schweren Entzugsverlauf haben
(Kraemer et al. 2003). Die Gruppeneinteilung für die vorliegende Studie wurde
dementsprechend gewählt. Es konnte gezeigt werden, dass die Gesamtdosis an
Medikamenten in der Risikogruppe 2 (CIWA-Ar  10) fast doppelt so hoch wie in
der Nichtrisikogruppe war. Patienten mit einer Punktzahl  10 wurden zu 88,2%
medikamentös behandelt, im Vergleich dazu nur 64,2% aus der Gruppe mit Werten
< 10. Patienten aus Gruppe 2 weist folglich schwerere Entzugssymptome mit
Indikation zur höherdosierten Medikamentengabe auf als Gruppe 1. Schon im
Vorfeld können unter Verwendung der CIWA-Ar also Informationen über den
Entzugsverlauf gewonnen werden.
Die Möglichkeit, Patienten mit erhöhtem Risiko im Vorfeld zu identifizieren, wäre
für die Therapie generell von großem Nutzen, vergleiche hierzu (Ferguson et al.
1996). Bei einer Punktzahl  10 von einem Risikopatienten auszugehen, erscheint
nach den vorliegenden Ergebnissen sinnvoll. Patienten mit mehr als 10 Punkten
hatten
deutlich
häufiger
erhöhte
Pulswerte
und
starke
vegetative
Entzugserscheinungen. Von den neun Patienten, die während des Entzugs ein Delir
entwickelten, gehörten acht der Risikogruppe (Gruppe 2) an. Nur ein Delirpatient
hatte bei der CIWA-Ar-Untersuchung des ersten Abends weniger als zehn
Gesamtpunkte.
Eine Einteilung in Risiko- und Nichtrisikopatienten könnte zudem erstellt werden,
um eine Selektion bezüglich des Behandlungsumfelds der Patienten (ambulant,
stationär, teilstationär) zu treffen. Es wurde belegt, dass bei mildem bis moderatem
AES ohne schwere psychiatrische oder internistische Begleiterkrankung durchaus
ambulant oder teilstationär entzogen werden kann (Asplund et al. 2004). So das
soziale Umfeld es erlaubt, stellt der ambulante bzw. teilstationäre Entzug eine
wirtschaftlich günstige Alternative bei gleichwertigem Erfolg für den Patienten dar.
Durch Einsparung stationärer Behandlungsplätze könnten demnach Kosten reduziert
werden und Plätze auf spezialisierten Stationen für wirklich schwere Entzugsverläufe
gesichert werden. Die Aussagekraft der CIWA-Ar diesbezüglich sollte in folgenden
Untersuchungen geprüft werden.
6 DISKUSSION
71
Die Relevanz der Punktzahl bei einmaliger Erstellung der CIWA-Ar zu Beginn des
Entzuges hat sich als hervorragend erwiesen. Die CIWA-Ar kann als Hilfsmittel
bezüglich der Prognose des Entzugsverlaufs gesehen werden. Der Zeitpunkt der
Durchführung am ersten Abend ist sinnvoll, da in den ersten 36 Stunden nach
Trinkende mit den schwersten Entzugserscheinungen gerechnet werden muss
(Wetterling et al. 2006). In einer anderen CIWA-Ar-Studie erreichten Patienten, die
bei Aufnahme eine Punktzahl < 10 hatten, auch bei erneuten CIWA-ArBeurteilungen alle acht Stunden keinen Wert > 9 (Nuss et al. 2004). Dies bekräftigt
die Vermutung, dass eine CIWA-Ar-Erhebung am Anfang des Entzuges für den
Verlauf repräsentativ ist. Die Bewertung der Symptomatik am ersten Aufnahmetag
erscheint außerdem sinnvoll, da die Symptome noch nicht durch verabreichte
Medikation verdeckt oder gemildert wurden.
6.2.3
CIWA-Ar als Prädiktor für einen schweren Entzugsverlauf
Bei stationärer Aufnahme erscheint der Zustand vieler Patienten ähnlich. Jeder
Einzelne ist nervös und ängstlich bezüglich des bevorstehenden Entzuges und der
folgenden Wochen und Monaten ohne Alkohol. Es ist schwer vorherzusehen,
welcher Patient einen besonders schweren Entzug mit möglichem Krampfanfall oder
Delir durchmachen wird. Für Pflegepersonal und Ärzte wäre deshalb eine
Behandlungsrichtlinie zu Beginn hilfreich. Patienten mit erhöhtem Risiko könnten
besonders aufmerksam beobachtet werden. Engmaschige Kontrollen würden beim
Auftreten von Komplikationen schnellere Interventionen ermöglichen. Ein Delirium
tremens könnte durch frühzeitige Intervention sogar verhindert werden.
Schon 1988 wurden Ergebnisse bezüglich des Zusammenhangs von CIWA-A-Wert
und Auftreten schwerer Entzugserscheinungen veröffentlicht (Foy et al. 1988).
Patienten, die Halluzinationen, Desorientiertheit oder Krampfanfälle im Verlauf des
Entzugs entwickelten, hatten als Höchstwert durchschnittlich 21,8 Punkte, die
Gruppe ohne Komplikationen dagegen nur 15,6 Punkte. Dieses Resultat wird durch
die vorliegende Studie bestätigt. Patienten, die ein Delir entwickelten, hatten schon
am ersten Tag des Entzuges hochsignifikant größere Gesamtpunktzahlen (18,0) im
Vergleich zu Patienten ohne Delir (7,7). Die durchschnittliche Punktzahl der zwei
Patienten mit Krampfanfall lag bei 11,0. Folgende Untersuchungen hierzu mit
6 DISKUSSION
72
größerer Stichprobe sind wünschenswert, da die vorliegende geringe Anzahl der
betroffenen Patienten keine gültigen Aussagen zulässt.
Die 2003 erschienene Studie „Independent Clinical Correlates of Severe Alcohol
Withdrawal“ beschrieb verschiedene klinische Variablen als Prädiktoren für einen
schweren Entzugsverlauf (Kraemer et al. 2003). Patienten, die mehr als 600 mg
Benzodiazepin im Verlauf des Entzugs benötigten, wurden in die Gruppe der
schweren Entzugsverläufe eingeteilt. Es wurden sechs unabhängige Parameter
gefunden. Bezüglich des CIWA-Ar-Werts wurde festgestellt, dass ein zu
Entzugsbeginn erreichter Wert  10 signifikant mit einem schweren Entzug
korrelierte. Andere unabhängige Variablen, die mit der Entzugsschwere eindeutig in
Zusammenhang gebracht werden konnten, waren mindestens zwei vorangegangene
Entzüge, mindestens ein Delirium tremens in der Vorgeschichte und eine gemessene
GOT  80 U/l. Patienten, die nach Kraemer et al. einen schweren Entzug gehabt
hätten, wiesen in der vorliegenden Studie auch einen erhöhten CIWA-ArAnfangswert auf. Der Durchschnittswert lag bei Patienten mit Delir in der
Vorgeschichte auffallend hoch bei 13,6 im Vergleich zu 8,6 bei den übrigen. Ein nur
tendenzieller Zusammenhang bestand zwischen den Laborparametern GOT und GPT
und dem CIWA-Ar-Wert. Die Höhe der GOT bzw. GPT und die CIWA-ArPunktzahl korrelierten mit r = 0,152 bzw. 0,127 signifikant. Patienten der CIWA-ArGruppe 2 hatten signifikant höhere GOT-Werte als diejenigen aus Gruppe 1. Für
GPT und GGT wurde in vorherigen Studien ein positiver Zusammenhang mit dem
Auftreten von Delirien entdeckt (Wetterling et al. 1994). Für den Laborparameter
GGT konnte bezüglich der CIWA-Ar-Summe in dieser Untersuchung kein
signifikantes Ergebnis erbracht werden.
Ein positiver Zusammenhang zwischen Anzahl vorheriger Entzüge und CIWA-ArPunktzahl wurde erfasst. Patienten der Gruppe 2 hatten im Mittel schon 4,3 Entzüge
erlebt, die der Gruppe 1 hingegen nur 2,3. Neben Kraemer et al. fanden auch
Wetterling et al. einen Zusammenhang zwischen der Anzahl vorheriger Entzüge und
Schwere des Entzugsverlaufs (Wetterling et al. 1994). Frühere Untersuchungen
(Wojnar et al. 1999b) konnten keine Korrelation zwischen der Anzahl vorheriger
Entzüge und dem Auftreten von Komplikationen nachweisen.
6 DISKUSSION
73
Zwei weitere beschriebene Parameter sind „use of morning eye-opener“, also ein
alkoholisches Getränk direkt nach dem Aufstehen, und Benzodiazepinabusus in der
Vorgeschichte (Kraemer et al. 2003). Diese beiden Faktoren wurden in der
vorliegenden Arbeit nicht untersucht.
In einer Stockholmer Studie (Palmstierna 2001) wurden fünf Faktoren identifiziert,
die bei Patienten mit Delirentwicklung bei Aufnahme bereits vorhanden waren. Es
wurden 334 Patienten untersucht, 25 davon erkrankten im Laufe des Entzugs an
einem Delir. Sie hatten bei Aufnahme eine Herzfrequenz von über 120 Schlägen pro
Minute. Der CIWA-Ar-Wert korreliert in der vorliegenden Studie hochsignifikant
mit der Anzahl der Tage erhöhten Pulses (r = 0,344). Patienten mit hoher Punktzahl
bei Aufnahme (Gruppe 2) hatten durchschnittlich 2,28 Tage erhöhten Puls (> 100),
dagegen nur 0,96 Tage in Gruppe 1. Dieses Ergebnis unterstützt die Aussage, dass
ein hoher CIWA-Ar-Wert richtungsweisend für einen komplizierten Entzug ist. Den
Parameter Puls in die Entzugsskala zu integrieren, wie bei der CIWA-AD, scheint
überlegenswert. In einer vergleichenden Studie wurde jedoch festgestellt, dass die
Pulsfrequenz im Vergleich zu anderen Entzugsindikatoren keine hohe Korrelation
mit der CIWA-Ar-Punktzahl aufwies (Reoux und Oreskovich 2006). Ebenso wenig
konnte eine hohe Herzfrequenz im Zusammenhang mit dem Auftreten eines Delirs
bewiesen werden (Fiellin et al. 2002). Tachykardie könnte beispielsweise auf
Dehydrierung zurückführbar sein und muss behandelt, jedoch
nicht als
Entzugssymptom gesehen werden. Trotzdem wird Puls immer wieder als wichtiger
klinischer Prädiktor für das Alkoholentzugsdelir genannt (Lee et al. 2005) und sollte
deshalb in der Diagnostik nicht fehlen.
Entzugssymptome, die schon bei einer Blutalkoholkonzentration von > 1 g/l
auftraten, wurden als weiterer Hinweis identifiziert. Hochsignifikant korreliert der
CIWA-Ar-Wert in der vorliegenden Studie mit der AAK bei Aufnahme (0,430) und
bei Therapiebeginn (0,361). Die Atemalkoholkonzentration bei Aufnahme hatte den
stärksten
Einfluss
auf
die
CIWA-Ar-Punktzahl
des
ersten
Tages
(Regressionsanalyse). Das bedeutet, dass mit ihr theoretisch das CIWA-Ar-Ergebnis
am besten voraussagbar ist. Patienten mit einer hohen CIWA-Ar-Punktzahl zu
6 DISKUSSION
74
Beginn mussten auch früher, bei noch höherem Alkoholpegel, schon medikamentös
behandelt werden. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass Patienten mit einem hohen
CIWA-Ar
bei
Aufnahme
bereits
früher
stärkere
behandlungsbedürftige
Entzugssymptome entwickeln.
Als drei weitere Risikofaktoren wurden eine aktuell bestehende infektiöse
Erkrankung sowie Delir bzw. Krampfgeschehen in der Vorgeschichte erkannt.
Delirium tremens bzw. komplizierter Entzug in der Vorgeschichte wurde schon in
einigen Studien als Risikofaktor für weitere Komplikationen identifiziert (Wetterling
et al. 1994; Wojnar et al. 1999a; Palmstierna 2001; Fiellin et al. 2002; Kraemer et al.
2003; Lee et al. 2005). Studien über vorangegangenes Krampfgeschehen als
prognostisches Kriterium ergaben kein eindeutiges Ergebnis (Wetterling et al. 1994;
Palmstierna 2001; Fiellin et al. 2002). Infektiöse Krankheiten bei Aufnahme wurden
in dieser Arbeit nicht untersucht.
6.3
Andere relevante Parameter als Prädiktoren
Einige Parameter, die in der Literatur mit einem erhöhten Risiko für schwere
Entzugsverläufe in Verbindung gebracht wurden, lieferten in dieser Studie
nichtsignifikante Ergebnisse im Zusammenhang mit der CIWA-Ar oder wurden nicht
näher untersucht. Um einen vollständigen Überblick zu geben, werden die relevanten
Parameter im Folgenden aufgeführt und gegebenenfalls Ergebnisse genannt.
Es konnte lediglich ein tendenzieller Zusammenhang zwischen täglich konsumierter
Alkoholmenge und CIWA-Ar-Punktzahl gefunden werden. Da die Informationen
über das Trinkverhalten nicht nachprüfbar sind und sich nur auf Angaben der
Patienten stützen, kann von ungenauen Werten ausgegangen werden. In anderen
Studien
wird
dieser
Zusammenhang
kontrovers
diskutiert.
Ein
positiver
Zusammenhang zwischen Trinkmenge und Entzugsschwere wurde mehrfach erkannt
(Shaw et al. 1981; Schuckit et al. 1995; Wojnar et al. 1999a).
Bezüglich der Dauer des regelmäßigen bzw. problematischen Konsums und der
Punktzahl
wurde
kein
signifikanter
Zusammenhang
gefunden.
Schon
in
verschiedenen anderen Untersuchungen konnte diesbezüglich kein eindeutiges
Ergebnis veröffentlicht werden (Wojnar et al. 1999a; Wojnar et al. 1999b; Kraemer
6 DISKUSSION
75
et al. 2003). Es kann auch hier von ungenauen Angaben aufgrund von Leugnen und
Bagatellisieren durch Patienten ausgegangen werden.
Der Einfluss des Alters auf die Ausprägung des AES wird kontrovers diskutiert.
Einige Autoren (Wojnar et al. 1999a) haben positive Zusammenhänge zwischen
Alter und Symptomatik gefunden, andere konnten keine relevanten Unterschiede
zwischen den Altersgruppen aufdecken (Wetterling et al. 2001; Lange-Asschenfeldt
et al. 2003; Lee et al. 2005). Die Ergebnisse der vorliegenden Studie lassen keine
signifikanten Unterschiede der CIWA-Ar-Werte in verschiedenen Altersgruppen
erkennen.
Darüber, ob Patienten mit psychiatrischen Begleiterkrankungen wie Depression,
Angst- oder Persönlichkeitsstörungen besonders schwere Entzugsverläufe vorweisen,
gibt es keine einheitlichen Erkenntnisse (Ferguson et al. 1996; Wetterling und
Junghanns
2000).
In
einer
US-Studie
wurde
die
Anwesenheit
einer
Begleiterkrankung als bester Prädiktor für die Entwicklung eines Delirium tremens
beschrieben (Ferguson et al. 1996). Pneumonie, koronare Herzkrankheit,
Leberfunktionsstörung und Anämie standen in positivem Zusammenhang mit der
Schwere des Entzugs (Wojnar et al. 1999a). Nicht-akute Begleiterkrankungen
scheinen die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung eines Delirium tremens zu
erhöhen (Fiellin et al. 2002). Psychiatrisch erkrankte Patienten entwickelten keine
schwereren Entzugssymptome als Patienten ohne psychiatrische Komorbidität
(Wetterling und Junghanns 2000). In der vorliegenden Untersuchung konnte weder
für psychiatrische noch für somatische Begleiterkrankungen ein Zusammenhang mit
der CIWA-Ar-Punktzahl nachgewiesen werden.
6.4
Optimierung des CIWA-Ar-Bogens
Für die Praxis des Qualifizierten Alkoholentzugs wird ein verlässliches,
allgemeingültiges Instrument zur Beurteilung der Schwere der Symptome benötigt,
besonders um die adäquate Behandlungsform für jeden einzelnen Patienten zu finden
(Knott et al. 1981). Obwohl die CIWA-Ar eine validierte Skala zur Erfassung der
Symptome ist, musste überprüft werden, inwieweit sie auch für prognostische
Zwecke einsetzbar ist. Es wurde festgestellt, dass die Höhe der CIWA-Ar-Punktzahl
6 DISKUSSION
76
mit verschiedenen Parametern korrelierte, die bei einem schweren Entzug häufig als
auffällig beschrieben wurden. Es wird davon ausgegangen, dass anhand der
Punktzahl eine Einschätzung der Entzugsschwere möglich ist. Nach erfolgter
Interpretation der Ergebnisse werden Vorschläge zur Optimierung einer für die
Prognostik verwendeten Skala aufgestellt, die in nachfolgenden Studien überprüft
werden müssten.
6.4.1
Weitere Parameter zur Einschätzung der Entzugsschwere
Für eine Prognose über den Entzugverlauf sollten unbedingt Angaben bezüglich
vorangegangenem Delir, Krampf und der Anzahl der erfolgten Entzüge beachtet
werden. Patienten mit mindestens einem Delir in der Vorgeschichte hatten einen
deutlich erhöhten CIWA-Ar-Wert von 13,6 Punkten im Vergleich zu denen ohne
(8,6). Ähnlich verhielt es sich bei vorherigen Krampfgeschehen (12,4 gegenüber
8,8). Die Anzahl vorheriger Entzüge korreliert hochsignifikant mit der CIWA-ArPunktzahl. Sie kann als Prädiktor für die Schwere des Entzuges verwendet werden.
Bestätigt wird diese Annahme durch Erstellung der Regression in dieser
Untersuchung und vorangegangene Studien (Schuckit et al. 1995; Wojnar et al.
1999b).
6.4.2
Relevanz einzelner Bewertungseinheiten
Bei der Analyse der einzelnen CIWA-Ar-Bewertungseinheiten konnten folgende
Ergebnisse errechnet werden. CIWA-Ar 6, 7 , 8 und 10 erzielten auffällig niedrige
Punktzahlen. Das bedeutet, die entsprechenden Symptome wurden nur selten schwer
oder gar nicht bei Patienten beobachtet. CIWA-Ar 6 – 10 wurden nicht ein einziges
Mal mit ihrer Höchstpunktzahl 7 (bzw. 4 bei CIWA 10) bewertet.
Tabelle 20: CIWA-Ar-Gesamtkorrelation
CIWA-Ar
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Korrelation[a]] 0,582 0,679 0,685 0,699 0,624 0,495 0,442 0,516 0,448 0,258
[a]
Korrelation r zwischen Gesamtpunktzahl und einzelnen Bewertungseinheiten
6 DISKUSSION
77
Aus Tabelle 20 ist zu entnehmen, dass vor allem die Einheiten 1 – 5 für die
Gesamtpunktzahl relevant sind und am stärksten mit ihr korrelieren.
Einheit 10 (Orientiertheit und Trübung des Bewusstseins) weist eine besonders
niedrige Korrelation mit der Gesamtpunktzahl auf. Sie wurde in der gesamten
Untersuchung nie mit der Höchstpunktzahl von vier bewertet und nur ein einziger
Patient erreichte zwei Punkte. CIWA-Ar 10 gilt mit einer sehr geringen Trennschärfe
als schlechter Indikator des erstellten Konstrukts und verarbeitet offensichtlich
Informationen, die nicht mit dem Gesamtergebnis der CIWA-Ar übereinstimmen. Es
wird deshalb vorgeschlagen, Item 10 zukünftig zu vernachlässigen. Schon vorherige
Analysen der CIWA-Ar und anderer Entzugsskalen (z. B. Alcohol Withdrawal
Symptom Checklist) führten zur Streichung der entsprechenden Bewertungseinheit
(Pittman et al. 2007).
Ein einziges Item für die Beurteilung taktiler, akustischer und visueller Störungen
scheint ausreichend. Bei der Faktorenanalyse konnte festgestellt werden, dass
Bewertungseinheiten 6 – 8 stark miteinander korrelieren. Unter dem Überbegriff
„Halluzinationen“ wären die drei genannten Aspekte zusammenfassbar. Aus
Gründen der Zeitersparnis und Übersichtlichkeit erscheint eine um zwei
Bewertungseinheiten gekürzte Skala sinnvoll. Schon im Zuge einer vorangegangenen
Überprüfung der Skala kam es zur Streichung des damals noch vorhandenen Items
„Halluzinationen“, da sich durch Items 6 – 8 die Symptome als bereits erfasst
erwiesen (Sullivan et al. 1989). Auch die AESB-Skala sieht eine gemeinsame
Bewertungseinheit für Halluzinationen vor (Lange-Asschenfeldt et al. 2003).
Die Bewertungseinheiten „akustische und visuelle Wahrnehmungsstörungen“
hingegen ganz aus dem CIWA-Ar-Erfassungsbogen zu streichen, wie es durch
Pittman et al. postuliert wurde, ist nicht im Sinne einer optimalen Behandlung
(Pittman et al. 2007). Trotz des relativ seltenen Vorkommens hoher Punktzahlen
handelt es sich bei Vorliegen einer Wahrnehmungsstörung jeglicher Art um einen
ernst zu nehmenden Zustand. Dieser sollte unbedingt erfasst werden, damit sofort
gehandelt werden kann, um lebensbedrohliche Entwicklungen zu vermeiden.
6 DISKUSSION
6.5
78
Klinische Relevanz der Ergebnisse
Auf der Psychiatrischen Station des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf wird
der Alkoholentzug medikamentös anhand von Dosierungsschemata durchgeführt.
Wie oben erläutert, wurden in zahlreichen Studien Zuverlässigkeit, Effizienz und
Vorteil einer CIWA-Ar-Behandlung bewiesen. Eine Einführung der CIWA-Ar auf
der PS 5 als Hilfsmittel zur symptomgesteuerten Behandlung ist zu empfehlen.
Besondere Aufmerksamkeit ist der Punktzahl am Tag der Aufnahme zu schenken,
um Patienten in Hoch- oder Niedrigrisikogruppe einzuteilen.
Die symptomgesteuerte Behandlung stellt unabhängig von der vorliegenden
Untersuchung eindeutig eine sehr gute Alternative zur Therapie nach festgesetztem
Schema dar und vermindert personellen sowie finanziellen Aufwand (Ferguson et al.
1996).
Bei jeder Untersuchung der Patienten auf der PS 5 werden Pulsfrequenz und
Blutdruck bestimmt. Überraschenderweise konnte Bluthochdruck in dieser
Untersuchung nicht als Risikofaktor für einen schweren Entzugsverlauf identifiziert
werden. Die gleiche Erkenntnis brachten schon vorangegangene Studien (Sullivan et
al. 1989; Banger et al. 1992; Kraemer et al. 2003). Banger stellte bei der
Entwicklung seiner Entzugsskala fest, dass von den ursprünglich aufgenommenen
zwölf Items der Parameter Bluthochdruck nicht aussagekräftig war und zur
Einschätzung der Schwere des Alkoholentzugssyndroms nicht beitrug. Zur
Abschätzung der erforderlichen Medikation ist der Höhe des Blutdrucks zukünftig
also weniger Aufmerksamkeit zu schenken.
Parameter, wie vorheriges Delir oder Anzahl der bisherigen Entzüge, sollten
zukünftig mehr Beachtung finden. Es hat sich nämlich in der vorliegenden Erhebung
gezeigt, dass diese Parameter einen hohen CIWA-Ar-Wert mit sich bringen und auch
für die Erkennung von Risikopatienten stark richtungsweisend sind. Das Delirium
tremens stellt die gefährlichste Komplikation des Alkoholentzugs dar. Durch
Identifizierung
erster
Anzeichen
Entzugspatienten gesenkt werden.
könnten
Morbidität
und
Mortalität
der
7 ZUSAMMENFASSUNG
7
79
Zusammenfassung
409 Patienten erschienen im Laufe eines Jahres im UKE zum Qualifizierten
Alkoholentzug.
Ihre
Daten
wurden
erfasst,
um
die
Bedeutung
der
Alkoholentzugsskala CIWA-Ar zu überprüfen. Die CIWA-Ar ist ein geeignetes
Instrument zur Einschätzung der Schwere des Entzugs. Sie wird vielfach eingesetzt
als Hilfsmittel zur kontinuierlichen Dosisfindung im Entzugsverlauf. Interne
Konsistenz und Reliabilität der Skala wurden überprüft. In der vorliegenden Studie
konnte ein starker Zusammenhang zwischen dem CIWA-Ar-Ergebnis und der
verabreichten Medikamentendosis erwiesen werden. Ein bis dato nicht beschriebenes
Verfahren wurde in dieser Arbeit überprüft: Die mittels CIWA-Ar quantifizierte
Symptomatik des ersten Abends wurde als prognostischer Faktor für den
Entzugsverlauf untersucht. Die erhaltene Punktzahl korreliert nicht mit allen
üblicherweise eingesetzten Entzugsverlaufsparametern. Blutdruck und Laborwerte
MCV und GGT beispielsweise standen in keinem Zusammenhang mit dem Ergebnis.
Pulsfrequenz sowie vegetative Symptomatik korrelierten dagegen stark mit der
Punktzahl.
Als
größter
Einflussfaktor
für
das
Ergebnis
konnten
Atemalkoholkonzentration bei Aufnahme und Anzahl an vorherigen Entzügen
identifiziert werden. Die Dauer des betriebenen Alkoholkonsums sowie die tägliche
Trinkmenge standen in keinem Zusammenhang mit der errechneten Punktzahl. Diese
aus anamnestischen Angaben gewonnenen Daten schienen im Bezug auf die
medikamentöse Therapieplanung keine Relevanz zu haben. Für die weiteren
Untersuchungen wurden die Patienten je nach erreichter Punktzahl in Niedrig- und
Hochrisikogruppe (G1 und G2) eingeteilt. Patienten aus Gruppe 1 erlebten halb so
viele Tage mit erhöhtem Puls oder vegetativer Symptomatik und bekamen ein Drittel
weniger Medikamente. Acht der neun Patienten, die ein Delir entwickelten, gehörten
zu Gruppe 2. Es konnte folglich gezeigt werden, dass eine schon zu Beginn des
Entzugs erstellte CIWA-Ar prognostische Aussagekraft für den weiteren
Entzugsverlauf hat. Für den klinischen Alltag bedeutet ein solches Hilfsmittel die
Möglichkeit der Patientenselektion schon zu Beginn der Behandlung anhand eines
objektivierbaren numerischen Ergebnisses.
7 ZUSAMMENFASSUNG
80
Im zweiten Teil der Arbeit wurde jede einzelne Bewertungseinheit der Skala getrennt
überprüft. Für Item 10 Orientiertheit und Trübung des Bewusstseins konnte eine sehr
geringe Trennschärfe errechnet werden. Die Streichung des Items erhöhte die
Aussagekraft der Gesamtskala und ist durch eine zukünftige Studie zu überprüfen.
Weiterhin
konnte
gezeigt
werden,
dass
ein
zusammengefasstes
Item
„Halluzinationen“ die bisherigen Items 6 – 8 (taktile, akustische und visuelle
Wahrnehmungsstörungen) ersetzen könnte. Die Bildung nicht-parametrischer
Korrelationen
ergab
einen
sehr
starken
Zusammenhang
der
einzelnen
Bewertungseinheiten. Sie bildeten außerdem eine der drei Hauptkomponenten der
Skala bei der Faktorenanalyse. Sowohl Streichung von Einheit 10 als auch
Zusammenführung der Einheiten 6 – 8 würde zur Optimierung der Skala bezüglich
Zeitaufwand und Aussagekraft führen.
Die Einführung der CIWA-Ar als Hilfsmittel zur Entzugsverlaufseinschätzung
erscheint sinnvoll. Als Risikofaktoren für die Entstehung eines Delirium tremens
wurden bisher Begleiterkrankungen, Delir- und Krampfgeschehen in der
Vorgeschichte und hohe Trinkmengen identifiziert. Nach den Ergebnissen dieser
Arbeit stellt eine hohe CIWA-Ar-Punktzahl am Aufnahmetag ein weiteres Kriterium
zur Einschätzung der Schwere des Entzugs dar.
Mit Hilfe der CIWA-Ar Punktzahl als quantifiziertes Ergebnis können wichtige
Hinweise zur Identifizierung von Risikopatienten relativ objektiv gestellt werden.
Das Verfahren ermöglicht die gezielte und engmaschige Untersuchung der
gefährdeten Patienten von Anfang an. Das Ergebnis kann zudem als Richtlinie für
die Findung der bestmöglichen Therapiebedingungen gesehen werden. Die
Entscheidung, ob ambulant oder stationär entzogen werden soll oder ob
medikamentöse Unterstützung überhaupt nötig ist, kann auf Basis der CIWA-ArPunktzahl erfolgen. Eine prospektive Überprüfung ist durchzuführen, um den
prognostischen Wert der CIWA-Ar zu bestätigen.
In Anbetracht der erwiesenen Effektivität der CIWA-Ar als Hilfsmittel zur
medikamentösen Dosisfindung im Verlauf des Entzug und der damit verbundenen
deutlichen Reduzierung der verabreichten Medikation sollte eine Einführung dieser
Skala in deutschen Suchtkliniken dringend diskutiert werden.
8 LITERATURVERZEICHNIS
8
81
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9 ANHANG
9
Anhang
9.1
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
87
Abbildung 1: Häufigkeitsverteilung CIWA-Ar-Gesamtpunktzahl............................ 48
Abbildung 2: Alkoholgehalt in der Atemluft (G1: Gruppe 1; G2: Gruppe 2)........... 53
Abbildung 3: Entzugsverlauf (erhöhter Puls, vegetative Entzugserscheinungen)..... 54
Abbildung 4: Trendlinie aus Tagesgesamtdosen, Gruppe 1 (G1) und 2 (G2)........... 56
Abbildung 5: Vergleich Tageshöchstdosis (TD) und Gesamtdosis (GD) ................. 57
Abbildung 6: Delirium tremens und Krampfanfall in der Vorgeschichte ................. 59
Abbildung 7: Trennschärfe einzelner CIWA-Ar-Items ............................................. 61
Abbildung 8: Korrigierte Trennschärfe nach Streichung von Item 10 ...................... 62
Tabelle 1: Auftreten von Alkoholentzugssymptomen (Bayard et al. 2004) ................ 9
Tabelle 2: Alkoholassoziierte Begleiterkrankungen (Mundle et al. 2003) ................ 17
Tabelle 3: Bewertungseinheiten der verschiedenen Entzugsskalen .......................... 28
Tabelle 4: Laborparameter der Alkoholismus-Diagnostik (Conigrave et al. 1995;
Soyka und Küfner 2008).................................................................................... 31
Tabelle 5: Alkoholgehalt verschiedener Getränke in Gewichtsprozent, eigene
Berechnung ........................................................................................................ 38
Tabelle 6: Einteilung psychiatrischer Begleiterkrankungen ...................................... 39
Tabelle 7: Ausschlusskriterien des Patientenkollektivs 01.04.06 - 31.03.07 ............ 42
Tabelle 8: Beikonsum Drogen und Medikamente ..................................................... 43
Tabelle 9: Psychiatrische Komorbidität..................................................................... 44
Tabelle 10: Laborwerte und AAK bei Aufnahme ..................................................... 44
Tabelle 11: Tage mit erhöhtem Blutdruck und Puls sowie vegetativen
Entzugserscheinungen ....................................................................................... 45
Tabelle 12: Gegenüberstellung der Ergebnisse für Frauen (w) und Männer (m)...... 47
Tabelle 13: CIWA-Ar: Korrelationen und Signifikanz ............................................. 49
Tabelle 14: Mittelwerte der einzelnen CIWA-Ar-Bewertungseinheiten ................... 51
Tabelle 15: Auftreten Minimal- und Maximalpunktzahl........................................... 51
Tabelle 16: CIWA-Ar-Einteilung in 3 Gruppen ........................................................ 52
Tabelle 17: Nichtsignifikante Resultate..................................................................... 60
Tabelle 18: Faktorenanalyse ...................................................................................... 63
Tabelle 19: Komponentenmatrix ............................................................................... 63
Tabelle 20: CIWA-Ar-Gesamtkorrelation ................................................................. 76
9 ANHANG
9.2
88
Auswertungsbogen
Patientencode:
_____________
Datum:
_____________
Aufenthaltsdauer: ______ Tage
Alter:_____ Jahre
Geschlecht:
O männlich O weiblich
Anamnese
Suchtanamnese:
Dauer des regelmäßigen Konsums __________________Jahre
Dauer des problematischen Konsums __________________Jahre
Menge des täglichen Alkoholkonsums__________________g/d
_________________________________________________
_________________________________________________
Beikonsum
O Cannabis
O Benzodiaz.
O andere: ___________
Entzugsanamnese: Anzahl Entzüge lebenslang (inklusiv aktueller Entzug):_____
Schwere Komplikationen bisher
O Krampf
O Delir
__________________________________________________
Psychiatr. Komorbidität:
O Angst-/Panikstörung
O Affektive Störungen
O Persönlichkeitsstörungen O Schizophrenie
O Suizidalität________________________________
Somatische Komorbidität: O Neurologisch______________________________
O Internistisch ______________________________
______________________________
O andere
______________________________
Aktuelle Behandlung
Laborparameter
AAK -bei Aufnahme ___‰ -bei Therapiebeginn ___‰
Bemerkung: _________________________________
MCV
max. GGT
max. ALT/GPT
max. AST/GOT
schwere Komplikationen
___________fl
___________U/l
___________U/l
___________U/l
Epileptischer Anfall
Delirium tremens
weitere Entzugserscheinungen
Blutdruck RR syst. >160 mmHg
Blutdruck RR diast. >100 mmHg
Puls pro Minute > 10
Vegetativum (++)
am _____________Tag
am _____________Tag
am _____________Tag
am _____________Tag
am _____________Tag
am _____________Tag
_________Anzahl Tage
_________Anzahl Tage
_________Anzahl Tage
_________Anzahl Tage
9 ANHANG
89
Medikationsschema
Behandlungstag
Oxazepam
Clomethiazol
Carbamazepin/
Valproat
Andere
Dosis in mg
Dosis in mg
Dosis in mg
Dosis in mg
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW)
O Atem-/Kreislaufdepression
O Müdigkeit
O Herzrasen
O Missempfindungen
O Gastrointest. Beschwerden
O allergische Reaktionen
O Speichel-/Tränen-/Bronchialsekretionssteigerung
O Kopfschmerzen
O Benommenheit
O Juckreiz/Hauterscheinungen
O Atemwegsbeschwerden
O sonstige___________________________
CIWA-Punktzahl
1:
2:
3:
4:
5:
6:
7:
8:
9:
10:
Weitere Bemerkungen
____________________________________________________________________
____________________________________________________________________
____________________________________________________________________
____________________________________________________________________
____________________________________________________________________
____________________________________________________________________
____________________________________________________________________
9 ANHANG
9.3
90
CIWA-Ar
Name: __________________________
Datum: _____________________
1. Übelkeit und Erbrechen
Frage: „Ist Ihnen schlecht? Haben Sie sich übergeben?“
(0) keine Übelkeit und kein Erbrechen
(1) leichte Übelkeit ohne Erbrechen
(2)
(3)
(4) gelegentlich Übelkeit mit Brechreiz und Würgen
(5)
(6)
(7) dauernde Übelkeit, häufiger Brechreiz, Würgen und
Erbrechen
6. Taktile Störungen
Fragen: „Spüren Sie irgendein jucken oder Ameisenlaufen,
irgendein Brennen oder Taubheitsgefühle oder haben Sie das
Gefühl, dass Käfer auf oder unter Ihrer Haut krabbeln?“
(0) keine Störungen
(1) kaum Jucken oder Ameisenlaufen, Brennen oder Taubheitsgefühle
(2) leichtes Jucken oder Ameisenlaufen, Brennen oder leichte
Taubheitsgefühle
(3) mäßiges Jucken oder Ameisenlaufen, Brennen, oder mäßige
Taubheitsgefühle
(4) mäßig starke taktile Halluzinationen
(5) starke taktile Halluzinationen
(6) sehr starke taktile Halluzinationen
(7) anhaltende taktile Halluzinationen
2. Tremor (Arme ausgestreckt und Finger gespreizt)
(0) kein Tremor
(1) Tremor nicht sichtbar, aber an Fingerspitze zu
fühlen
(2)
(3)
(4) mäßiger Tremor bei ausgestreckten Armen
(5)
(6)
(7) starker Tremor auch bei nicht ausgestreckten
Armen
3. Schweißausbrüche
(0) kein Schweiß sichtbar
(1) kaum wahrnehmbares Schwitzen, Handflächen
feucht
(2)
(3)
(4) deutliche Schweißtropfen auf der Stirn
(5)
(6)
(7) durchgeschwitzte Kleidungsstücke
4. Ängstlichkeit
Frage: „Sind Sie nervös oder ängstlich?“
(0) keine Ängstlichkeit, entspannt
(1) leicht ängstlich
(2)
(3)
(4) mäßige Angst oder Wachsamkeit, die auf Angst
schließen lässt
(5)
(6)
(7) vergleichbar mit akuter Panik, wie sie bei schweren
Delirien
oder bei akuten schizophrenen Episoden auftritt
5. Antriebsniveau
(0) normale Aktivität
(1) etwas mehr als normale Aktivität
(2)
(3)
(4) mäßige Unruhe oder Ruhelosigkeit
(5)
(6)
(7) geht während des Interviews meist auf und ab oder
schlägt
bzw. nestelt mit den Händen hin und her
Gesamtpunktzahl:
höchstmögliche Punktzahl: 67
7. Akustische Störungen
Fragen: „Sind Sie geräuschempfindlicher? Sind die Geräusche
greller als sonst? Erschrecken die Geräusche Sie? Hören Sie
etwas, dass Sie stört? Hören Sie Dinge, von denen Sie wissen,
dass sie nicht da sind?“
(0) nicht vorhanden
(1) ganz leichte Geräuschverzerrung oder Schreckhaftigkeit
(2) leichte Geräuschverzerrung oder Schreckhaftigkeit
(3) mäßige Geräuschverzerrung oder Schreckhaftigkeit
(4) mäßig starke akustische Halluzinationen
(5) starke akustische Halluzinationen
8. Visuelle Störungen
Fragen: „Erscheint Ihnen das Licht heller als sonst?
Sind die Farben anders? Schmerzen dadurch die Augen?
Sehen Sie irgendetwas, dass Sie stört? Sehen Sie Dinge,
von denen Sie wissen, dass Sie nicht da sind?
(0) nicht vorhanden
(1) ganz leicht vermehrte Lichtempfindlichkeit
(2) leicht vermehrte Lichtempfindlichkeit
(3) mäßig vermehrte Lichtempfindlichkeit
(4) mäßig starke optische Halluzinationen
(5) starke optische Halluzinationen
(6) sehr starke optische Halluzinationen
(7) anhaltende optische Halluzinationen
9. Kopfschmerzen, Druckgefühle im Kopf
Fragen: „ Fühlt sich Ihr Kopf anders an? Haben Sie das Gefühl
als hätten Sie einen Ring um den Kopf?“
Schwindelgefühle und Benommenheit sollen nicht beurteilt werden.
(0) keine Kopfschmerzen
(1) ganz leicht Kopfschmerzen
(2) leicht Kopfschmerzen
(3) mäßige Kopfschmerzen
(4) mäßig starke Kopfschmerzen
(5) starke Kopfschmerzen
(6) sehr starke Kopfschmerzen
(7) extrem starke Kopfschmerzen
10. Orientiertheit und Trübung des Bewusstseins
Fragen: „Welcher Tag ist heute?
Wo sind Sie? Wer bin ich (der Befragende)?
(0) orientiert und kann fortlaufend ergänzen
(1) kann nicht fortlaufend ergänzen oder ist unsicher hinsichtlich
des Datums
(2) desorientiert über das Datum um nicht mehr als zwei
Kalendertage
(3) desorientiert über das Datum um mehr als zwei Kalendertage
(4) desorientiert über Ort und /Person
9 ANHANG
9.4
91
Lebenslauf
Persönliche Daten
Bildungsgang
Name
Luise Sonnele Weitzdörfer
Geburtstag
24.09.1983
Geburtsort
Kaiserslautern
02/09 – 06/09
Praktisches Jahr, UKE Hamburg
Innere Medizin
02/08 – 07/08
Auslandssemester Augenheilkunde
Università degli studi di Palermo,
Italien
2005 – 2010
Medizinstudium, UKE Hamburg
(5. – 12. klinisches Semester)
2003 – 2005
Medizinstudium, Universität Leipzig
(1. – 4. Semester, Physikum)
1993 – 2003
Leibnizschule Gymnasium, Leipzig
Abitur 2003
2008
Policlinico Palermo, Italien
Notaufnahme
Augenheilkunde
2007
Mnazi Moji Zanzibar, Tansania
Innere Medizin
2006
Praxis Dr. Zeilinger, Berlin
Chirurgie
2005
Hospital Vargas Pt. Alegre, Brasilien
Anästhesie
Gynäkologie
2004
Uni-Kinderklinik, Leipzig
Kinderchirurgie
Praktika
9 ANHANG
9.5
92
Danksagung
Ich möchte mich bei Herrn Prof. Dr. Christian Haasen bedanken für die Überlassung
des Themas sowie die motivierende persönliche Betreuung während der Erstellung
der Promotionsschrift.
Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Silke Kuhn, mit der ich im Laufe der drei Jahre
zusammenarbeiten durfte. Ihrer Hilfsbereitschaft, Geduld und Unterstützung in
jeglicher Hinsicht verdanke ich das Gelingen dieses Werks.
Vielen Dank auch an Florian Ganzer, dessen hervorragende Arbeit mir eine große
Hilfe war.
An dieser Stelle möchte ich auch meinen Eltern Ulla und Peter danken für all das,
was sie für mich getan haben. Für ihre bedingungslose Unterstützung, ihr
Verständnis und für die vielen Dinge, dich ich von ihnen lernen durften.
Danke für Eure Liebe, um die ich stets weiß.
9 ANHANG
93
Eidesstattliche Versicherung
Ich versichere ausdrücklich, dass ich die Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe
verfasst, andere als die von mir angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt
und die aus den benutzten Werken wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen
einzeln nach Ausgabe (Auflage und Jahr des Erscheinens), Band und Seite des
benutzten Werkes kenntlich gemacht habe.
Ferner versichere ich, dass ich die Dissertation bisher nicht einem Fachvertreter an
einer anderen Hochschule zur Überprüfung vorgelegt oder mich anderweitig um
Zulassung zur Promotion beworben habe.
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