Ulrich Schneekloth TNS Infratest Sozialforschung Die Lebenssituation Hilfe- und Pflegebedürftiger Ergebnisse der MuG-Studien Pflege be(ob)achten Vortrag auf der Fachtagung des Statistischen Bundesamtes in Kooperation mit der FH Münster 10. März 2010 TNS Infratest Sozialforschung Agenda • Methodischer Überblick zu den Studien „Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung“ • Privathaushalt oder Heim: Befunde im querschnittlichen Vergleich • Strukturen der häuslichen Pflege • Dilemmata: Grenzen der Versorgung • Resümee TNS Infratest Sozialforschung „Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung“ Methodischer Überblick TNS Infratest Sozialforschung Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung (MuG) Forschungsprogramm im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • MuG I (1991/93): Selbständigkeit, Hilfe- und Pflegebedarf, Versorgung – Situation in Privathaushalten • MuG II (1994/96): Selbständigkeit, Hilfe- und Pflegebedarf, Versorgung – Situation in stationären Einrichtungen • MuG III (2002/05): Selbständigkeit, Hilfe- und Pflegebedarf, Versorgung – Entwicklung in Privathaushalten • MuG IV (2005/07): Selbständigkeit, Hilfe- und Pflegebedarf, Versorgung – Entwicklung in stationären Alteneinrichtungen TNS Infratest Sozialforschung Stichproben MuG I bis MuG IV Stichprobe Privathaushalte Stichprobe Vollstationäre Einrichtungen Querschnitt 1991 n = 25.736 Haushalte, davon n = 2.950 mit Hilfe- und Pflegebedarf Querschnitt 1994 n = 535 Heime mit Auskünften über n = 4.261 Bewohner Querschnitt 2002 n = 25.095 Haushalte, davon n = 3.622 mit Hilfe- und Pflegebedarf Querschnitt 2005 n = 609 Heime mit Auskünften über n = 4.229 Bewohner TNS Infratest Sozialforschung Erhebungsdesign Private Haushalte (MuG III) Erhebungsmodul 1: Allgemeine Haushaltsbefragung Repräsentative Haushaltserhebung mit soziodemografischen Basisinformationen über alle Personen im Haushalt n = 25.095 Haushalte mit n = 57.617 Personen Erhebungsmodul 2: ADL-Abfrage (Selbst oder Fremdauskunft) Screeningstufe 1: Abfrage von 5 globalen Beeinträchtigungsindikatoren (n = 57.617) Screeningstufe 2: Erhebung von 24 ADL (ADL/IADL-Liste) (n = 7.947) Erhebungsmodul 3: Hilfe- und Pflegebedürftige Personen mit „Einschränkungen bei alltäglichen Verrichtungen“ N = 3.622 Haushalte / Personen (Selbst- oder Fremdauskunft) Screeningstufe 3: „Demenz“ (6-CIT - Selbstauskunft) TNS Infratest Sozialforschung Erhebungsdesign Einrichtungen (MuG IV) Repräsentativstichprobe: Grundgesamtheit: Bewohner/innen von vollstationären Alteneinrichtungen („heimmäßiger Betrieb“ ) Auswahlgrundlage: Altenheimadressbuch 2005 n = 4.229 Bewohner/innen aus n = 609 Heimen Erhebung: Modul 1: Institutionenbezogene Befragung (Heimleitung) Modul 2: Bewohnerbezogene persönlich-mündliche Befragung: Auskunftgeber war i.d.R. die zuständige Pflegekraft TNS Infratest Sozialforschung Privathaushalt oder Heim Befunde im querschnittlichen Vergleich TNS Infratest Sozialforschung Grundlegende Versorgungsformen von Pflegebedürftigen in Deutschland Der private Haushalt bleibt der zentrale Ort der Betreuung und Versorgung Projektion 2015 2005 1994 Privathaushalt 67% Privathaushalt 69% Privathaushalt 71% 1,23 Mio. 495 Tsd. 1,69 Mio. 1,42 Mio. Heim 29% Projektion gemäß Stat.BA (2006) 11. koord. Bevölkerungsvorausberechnung 638 Tsd. Heim 31% 833 Tsd. Heim 33% TNS Infratest Sozialforschung Pflegebedürftige in Privathaushalten „Im Falle von Pflegebedürftigkeit … stellt sich oft die Frage, ob ein Umzug in ein Heim sinnvoll sein könnte. Wie ist es in Ihrem Fall? Ist ein solcher Umzug …“ Die Sicht der Angehörigen Sehr wahrscheinlich Eher wahrscheinlich Nicht sehr wahrscheinlich Unwahrscheinlich Die Sicht der Pflegebedürftigen 2002/03 1991/92 4 6 7 Sehr wahrscheinlich Eher wahrscheinlich 6 16 Nicht sehr wahrscheinlich 14 23 Kommt auf gar keinen Fall in Frage Fehlend zu 100 = Keine Angabe Unwahrscheinlich 30 48 42 Kommt auf gar keinen Fall in Frage 9 8 10 14 19 11 24 23 38 43 TNS Infratest Sozialforschung Heimbewohner haben einen größeren Pflegebedarf Aber: auch in Privathaushalten werden Pflegebedürftiger aller Schweregrade versorgt und betreut Pflegestufe in % Stufe 3 22 Stufe 2 45 56 Stufe 1 Privathaushalt Heim 33 TNS Infratest Sozialforschung Pflegebedürftige in Privathaushalten und in Heimen im Vergleich Risikofaktor Alleinleben im Alter Senioren ab 70 Jahren in Privathaushalten Drei- und mehr Personenhaushalt Drei- und mehr Personenhaushalt 8 ZweiPersonenhaushalt Alleinlebend Pflegebedürftige in Privathaushalten 52 40 Zwei-PersonenHaushalt Alleinlebend Heimbewohner/innen vor dem Heimeintritt Andere Einrichtung / Sonstiges 22 42 36 Privathaushalt: mehrere Personen Privathaushalt allein 12 28 60 TNS Infratest Sozialforschung Pflegebedürftige in Privathaushalten und in Heimen im Vergleich Demenz als zentraler Risikofaktor für einen Heimübertritt Privathaushalte Heime Räumlich und zeitlich desorientiert 33% Räumlich und zeitlich desorientiert 11% Weitgehend unbeeinträchtigt 48% Irrtümer in der alltäglichen Lebensführung 38% Irrtümer in der alltäglichen Lebensführung 24% Weitgehend unbeeinträchtigt 11% Gedächtnis hat nachgelassen 17% Gedächtnis hat nachgelassen 18% TNS Infratest Sozialforschung Strukturen der häuslichen Pflege TNS Infratest Sozialforschung Häuslich-ambulantes Versorgungssystem - Pflegebedürftige in Privathaushalten 23% „mehrfach wöch.“ (Putzen, zusätzliche Pflege, Essen auf Rädern, Hilfen im Alltag) Privat finanzierte Dienstleistungen Allgemeine Beratungsangebote / Hilfen zur Selbsthilfe 16% „regelmäßig“ 37% „ab und an“ „Familiäre“ Hilfeleistungen 92% (Volumen ca. 5 Std. pro Tag) Ehrenamtliche Betreuung / sozialen Integration 11% ehrenamtliche Betreuung (einmal pro Woche) 9% allg. Freizeitangebote Leistungen der Pflegeversicherung Medizinische Versorgung Rehabilitation 71% Geldleistung / 29% Sach-/Kombileistung (Volumen: max. 1 Std. am Tag) TNS Infratest Sozialforschung Häusliche Pflegearrangements Die Angehörigen und Bekannten tragen als de fakto „größter Pflegedienst in Deutschland“ die Versorgung Nur private Pflege zzgl. selbst finanzierter sonstiger Hilfen 9% Mit familiären Hilfen insgesamt: 92%. Rein private Pflege: 64% Ausschließlich private Pflege 55% Private und professionelle Pflege 28% Nur professionelle Pflege 8% Arrangement mit prof. Pflege 36%. Rein prof. Arrangement: 8% TNS Infratest Sozialforschung Gründe für die Wahl der Geldleistung „Kostenerstattung und Honorierung“ Pflegegeld wird für die laufenden Kosten der Pflege gebraucht 79 Pflegebedürftiger soll nicht von Fremden gepflegt werden 75 Pflegegeld bringt mehr als Sachleistungen 58 Kein Einfluss auf die Art der Hilfeerbringung 56 MDK-Empfehlung Kein geeigneter Pflegedienst in der Nähe 38 23 TNS Infratest Sozialforschung Gründe für die Wahl der Sachleistung „Weil es nicht (mehr) anders geht“ Pflegedienst, weil professionelle Hilfen notwendig sind 84 Pflegedienst weil sonst die Angehörigen überlastet würden 72 MDK-Empfehlung 60 Nicht genügend Pflegepersonen verfügbar 59 Pflegedienst, um Angehörige nicht zu belasten Pflegedienst weil Pflegegeld zu niedrig ist 51 30 TNS Infratest Sozialforschung Nutzung von Beratungsangeboten „Privat erbrachte Pflege als Privatangelegenheit? Es fehlt die Einbindung in die verfügbaren (Alten-)Hilfestrukturen Ab und an 37% Keine externe Beratung 47% regelmäßig ab und an Austausch mit Fachkraft 7% 14% Telefon 4% 19% Angehörigencafé 6% 12% Angehörigengruppe 3% 8% Private Initiative 2% 9% Regelmäßige Nutzung von Beratung 16% TNS Infratest Sozialforschung Dilemmata: „Grenzen“ der Versorgung TNS Infratest Sozialforschung Grenzen der häuslichen Pflege Pflegebedürftige in Privathaushalten mit nicht gedecktem Hilfebedarf Nicht gedeckter Bedarf: Pflege Signifikante Prädiktoren für einen nicht gedeckten Bedarf 14 - Fehlende private Hauptpflegeperson - Demenz / Kognitive Beeinträchtigungen Nicht gedeckter Bedarf: Haushalt 12 - Niedrige Pflegestufe / Pflegestufe 1 - Defizite in der Hilfsmittelversorgung - Niedrige Einkommen - (Wohnort alte Bundesländer) Nicht gedeckter Bedarf insgesamt 18 TNS Infratest Sozialforschung „Grenzen“ der stationären Pflege Personal in Alteneinrichtungen: Die Situation bleibt angespannt Modellrechnung Personal pro 100 „pflegebedarfsgewichteter“ Bewohnerinnen und Bewohner (Mittelwerte, Personal in Vollzeit) 1994 27,2 44,4 2005 40,9 29 10,3 1,2 Pflege 1,5 Therapeuten 1,9 7,1 0,8 Zivis Hauswirtschaft 3,8 2,4 Verwaltung Personal insgesamt TNS Infratest Sozialforschung Resümee • „Häuslich vor Stationär“ bleibt der zentrale Wunsch von Pflegebedürftigen und Angehörigen. Die Stärkung der häuslichen Pflege ist trotz demografischem Wandel auch weiterhin der Drehund Angelpunkt in der Versorgung • Professionell erbrachte Hilfeleistungen haben im häuslichen Bereich eine Doppelfunktion: - Verbesserung der Lebensqualität der Pflegebedürftigen gemäß deren individuellen Bedürfnissen und Bedarfen (Pflegehandlung), - Stärkung der Nachhaltigkeit des häuslichen Arrangements (Hilfe zur Selbsthilfe / Management von Alltag) • Auch die Pflege der eigenen Angehörigen muss „kündbar“ sein. Eine würdevolle Pflege funktioniert nur dann, wenn die Angehörigen diese auch tragen können. Vollstationäre Pflege muss als komplementäre Struktur erhalten bleiben • Ambulant und Stationär müssen kooperieren und sich vernetzen. Häusliche- und vollstationäre Pflege sind unterschiedliche Angebote in der gleichen lokalen Versorgungskette. Stationäre Einrichtungen können ebenfalls ambulante Aufgaben übernehmen (Altentagesstätte, ambulante Dienste…) und sich dadurch öffnen. • Pflege geht nicht ohne professionelle Infrastruktur: hinreichend (und auch hinreichend qualifiziertes) Personal ist eine Grundvoraussetzung für die Sicherung der Lebensqualität in vollstationären Einrichtungen TNS Infratest Sozialforschung