Strahlentherapie und Onkologie Risiko von

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Strahlentherapie
und Onkologie
Literatur kommentiert
Risiko von Prostatakarzinompatienten für kardiovaskuläre Erkankungen unter
primärer Hormontherapie
Ziel der Arbeit: Mit der hier vorgestellten Publikation aus
Schweden [4] wurde über das absolute und relative Risiko be­
züglich kardiovaskulärer Erkrankungen bei Prostatakarzinom­
patienten unter primärer Hormontherapie, kurativer Therapie
ohne Hormontherapie oder Surveillance berichtet.
Methodik: Das Nationale Prostatakarzinomregister (PCBaSe)
enthält mehr als 96 % der Prostatakarzinompatienten in Schwe­
den. Die standardisierten Inzidenz- und Letalitätsraten für
ischämische Herzerkrankungen, akute Myokardinfarkte, Ar­
rhythmien, Herzinsuffizienzen und Schlaganfälle in dieser Pati­
entenkohorte wurden errechnet und mit dem kardiovaskulären
Erkrankungsrisiko der männlichen Gesamtbevölkerung Schwe­
dens verglichen.
Ergebnisse: Zwischen 1997 und 2007 erhielten 30642 Prostata­
karzinompatienten in Schweden eine primäre Hormontherapie
(Antiandrogentherapie 3391, Orchiektomie 5340, GnRH-Ago­
nisten 9066, GnRH-Agonisten plus kurzzeitig Antiandrogene
11646, andere Hormontherapeutika oder Kombinationen 1199),
26432 weitere Patienten erhielten eine kurative Therapie und
19527 Patienten wurden mittels Surveillance kontrolliert. Das Ri­
siko für kardiovaskuläre Erkrankungen war interessanterweise in
allen drei Patientengruppen erhöht, am stärksten jedoch bei Pati­
enten unter Hormontherapie. Dieser Risikounterschied bedeutet
in absoluten Zahlen, dass zusätzlich weniger als zehn kardiovas­
kuläre Todesfälle pro 1000 Mann-Jahre unter Hormontherapie
auftraten.
Schlussfolgerung der Autoren: Ein erhöhtes Risiko für kardio­
vaskuläre Erkrankungen besteht bei allen Prostatakarzinompa­
tienten. Da die Hormontherapie momentan die einzige effektive
Therapie des metastasierten Prostatakarzinoms darstellt, sollten
kardiovaskuläre Erkrankungen bei der Indikationsstellung be­
achtet werden, stellen allerdings keine Kontraindikation dar,
wenn ein Therapieerfolg zu erwarten ist.
Kommentar
Bei der vorgestellten Studie handelt es sich um eine retro­
spektive Datenanalyse zum Risiko kardiovaskulärer Er­
krankungen über einen Zeitraum von 10 Jahren (1997–2007)
aus einem großen schwedischen Prostatakarzinomregister
mit insgesamt 76600 Patienten. Die Ergebnisse werden mit
dem kardiovaskulären Erkrankungsrisiko der männlichen
Gesamtpopulation Schwedens verglichen. Damit handelt es
sich um die größte Studie ihrer Art für diese Patientengrup­
pe. Van Hemelrijck et al. [4] zeigen interessanterweise, dass
das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bei Prostata­
karzinompatienten generell erhöht ist. Diese Erhöhung ist
jedoch deutlich stärker bei Patienten unter Hormontherapie
als bei solchen, die kurativ ohne Hormone behandelt oder
nur beobachtet wurden. Wir wissen, dass für die antiandro­
gene Monotherapie ein etwas niedrigeres Risiko besteht als
für androgenoprive Therapieformen [2]. Die hier vorgestellte
Publikation beleuchtet somit ein zentrales Gebiet der Prosta­
takarzinomtherapie.
Eine wichtige Patientengruppe im Kontext dieser Stu­
die sind sicherlich die zahlenmäßig zunehmenden jüngeren
Prostatakarzinompatienten, die eine Ersttherapie mit kura­
tiver Zielsetzung erhalten. Ein biochemisches PSA-Rezidiv
in der Nachsorge bleibt zunächst ohne Symptome, erhöht
jedoch die Wachsamkeit, was oft zu einer frühzeitigen und
dauerhaften Gabe von Hormonen führt, trotz der bekannten
Nebenwirkungen wie reduzierter Lebensqualität. Die vor­
144
liegende Publikation macht darauf aufmerksam, dass in die
therapeutischen Überlegungen auch das Risiko für kardio­
vaskuläre Erkrankungen einbezogen werden muss.
Limitiert wird die Aussagekraft dieser Studie durch die
retrospektive Analyse der verschiedenen Patientengrup­
pen, die unterschiedlichen Therapiemodalitäten unterzogen
wurden. Eine kurativ intendierte Therapie wird natürlicher­
weise eher bei gesünderen und vor allem auch jüngeren Pa­
tienten durchgeführt als eine palliative Hormontherapie.
Die Surveillancestrategie im Sinne eines watchful waiting er­
folgte laut Autorenangabe bei solchen Patienten, die aus ge­
sundheitlichen Gründen nicht operiert werden konnten. So
leidet die Studie unter einem Selektionsbias. Zudem liefert
die Publikation leider keine Daten bezüglich des allgemei­
nen Risikos kardiovaskulärer Erkrankungen aufgrund von
definierten Risikofaktoren wie Rauchen, Hypertonie und
Diabetes. Sie könnten theoretisch in der Gruppe der Pro­
statakarzinompatienten im Vergleich mit der Allgemeinbe­
völkerung oder in den verschiedenen Behandlungsgruppen
anders sein.
Außerdem beschreiben die Autoren zwar einleitend
die präventive kardioprotektive Wirkung des Testosterons
und belegen dies mit einigen Literaturzitaten. Doch bei der
Auswertung geben sie keine Testosteronwerte an. Die im Al­
ter fallenden Testosteronwerte bedingen nämlich ebenfalls
ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen [3].
Strahlenther Onkol 2011 · No. 2 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
Ebenfalls kann der Publikation nicht entnommen werden, zu
welchem Zeitpunkt die Hormontherapie begonnen und wie
lange sie durchgeführt wurde. Wir vermuten, dass eine inter­
mittierende Hormontherapie wegen erhöhter PSA-Werte
eine bessere Lebensqualität und möglicherweise auch gerin­
gere kardiovaskuläre Nebenwirkungen bedingen kann trotz
unveränderter Letalität. Allerdings konnte das Cochrane Re­
view von De Conti et al. [1] diese Vermutung nicht bestätigen.
Sie verglichen die intermittierende mit der kontinuierlichen
Hormontherapie auf der Grundlage von fünf randomisierten
Studien mit insgesamt 1382 Patienten mit einem fortgeschrit­
tenen Prostatakarzinom. Keine der beiden Therapieformen
war bezüglich des allgemeinen Überlebens, des prostatakar­
zinomspezifischen Überlebens sowie der Erkrankungspro­
gression der anderen überlegen. Als Grund dafür wurden
hier zu kurze Nachsorgezeiten und zu kleine Kollektivgrößen
genannt.
Fazit: Die hier diskutierte Studie [4] zeigt, dass man einer
Hormontherapie durchaus auch kritisch gegenüberstehen
kann. Sie sollte immer im Kontext von Patientenalter, Komor­
bidität und momentaner Lebensqualität diskutiert werden.
Allerdings gibt es momentan beim fortgeschrittenen Prosta­
takarzinom keine sinnvolle Alternative. Aufgrund der vor­
liegenden Studie muss die intermittierende Hormontherapie
stärker in den Fokus rücken. Auch sollten die kardiovaskuläre
Toxizität besser beobachtet und die Patienten kardiologisch
betreut werden.
Literatur
1. Conti PD, Atallah AN, Arruda H, et al. Intermittent versus continuous androgen suppression for prostatic cancer. Cochrane Database Syst
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risk of cardiovascular disease in men with prostate cancer: results from
the population-based PCBaSe Sweden. J Clin Oncol 2010; 28:3448–56.
Frank Kunath, Bernd Wullich; Erlangen
Bei welchen Patienten mit Plattenepithelkarzinom der Kopf-Hals-Region
verbessert die Positronen-Emissions-Tomographie mit 18F-Fluordesoxyglucose
die Diagnostik und Therapie?
Ziel der Arbeit: Definition der Wertigkeit der 18F-Fluordes­
oxyglucose-PET in der primären Diagnose und Behandlung von
Patienten mit Plattenepithelkarzinomen der Kopf-Hals-Region
(HNSCC) [2].
Patienten und Methodik: Die Studie schloss 233 Patienten mit
einem erstmals diagnostizierten und unbehandelten HNSCC
ein. Die TNM-Klassifikation und die Therapieempfehlung wur­
den zunächst mit konventionellen diagnostischen Methoden
(klinische Untersuchung, CT/MRT von Hals, ggf. auch Thorax)
entschieden. Danach wurde eine Ganzkörper-FDG-PET durch­
geführt. Veränderungen in der TNM-Klassifikation und den The­
rapieempfehlungen wurden dokumentiert. Klinische Ergebnisse
und Histopathologie wurden als Goldstandard verwendet, um
die Tumorausdehnung zu validieren. Die Ergebnisse wurden mit
dem McNemar-Test verglichen.
Strahlenther Onkol 2011 · No. 2
Ergebnisse: Eine Diskrepanz zwischen konventionellem Staging
und dem Staging mithilfe von PET fand sich in 100/233 Patienten
(43 %). Bei diesen erwies sich die PET in 47 Fällen als zutreffend
und in 13 als unzutreffend. In 40 Fällen blieb die TNM-Klassifi­
kation wegen fehlender therapeutischer Konsequenz letztendlich
ungeklärt. Die Kombination aus konventioneller und PET-Dia­
gnostik war bei der Stadienzuordnung der Patienten signifikant
genauer als die konventionelle Diagnostik ohne PET (p<0,001).
Insgesamt änderte sich das Therapieregime durch die zusätzliche
PET-Untersuchung bei 32 (13,7 %) Patienten.
Schlussfolgerung der Autoren: Die Ganzkörper-FDG-PET zu­
sätzlich zur herkömmlichen Diagnostik von HNSCC trägt dazu
bei, die Tumorausdehnung akkurater festzustellen, und verändert
die Therapie, die ohne PET-Untersuchung eingeleitet worden
wäre, in 13,7 % der Patienten. Die PET sollte in der klinischen
Routine regelmäßig eingesetzt werden.
145
Literatur kommentiert
Kommentar
Es handelt sich um die bisher größte multizentrische, pro­
spektive PET-Studie zur prätherapeutischen Diagnostik der
HNSCC. Die Ergebnisse sind sowohl für die klinische Praxis
als auch für mögliche therapeutische Konsequenzen interes­
sant. Allerdings müssen die Ergebnisse auch kritisch hinter­
fragt werden.
1. Die Autoren verzichten bei der prätherapeutischen
Diagnostik sowohl auf die Panendoskopie als auch auf
die Halslymphknotensonographie. Beide Methoden sind
aber unverzichtbarer Bestandteil der HNO-ärztlichen
klinischen Staging-Untersuchungen. Hierdurch wird die
tatsächliche Tumorausdehnung besser erkennbar, und
kleine synchrone Zweitmalignomen, die der PET-Diag­
nostik auch entgehen können, werden beizeiten erkannt.
Zusätzlich ist die Panendoskopie für den Kopf-Hals-Chir­
urgen eine wesentliche Hilfe bei der Planung des therapeu­
tischen Eingriffs. Die Halssonographie ihrerseits stellt eine
kostengünstige, schnelle und sehr genaue Methode zur Be­
urteilung des Halslymphknotenstatus dar [5].
2. Die Therapieempfehlung wurde in der hier kommentierten
Studie bei 13,7 % der Patienten aufgrund der PET geän­
dert: bei 8,6 % aufgrund der M-Kategorie und bei 5,2 %
aufgrund des Lymphknotenstatus. Betrachtet man dies
näher, muss man sich die Frage stellen, ob sich nicht nach
Halssonographie und Panendoskopie diese Zahl von geän­
derten Therapiekonzepten auf die Detektion von Fernme­
tastasen reduziert hätte. Sie kann mit der genannten Unter­
suchungsstrategie nicht beantwortet werden.
3. Das Ergebnis zeigt, dass sieben Patienten mit der FDGPET untersucht werden müssten, um den Therapieplan
für einen Patienten zu optimieren. Die damit verbundenen
Mehrkosten, die Strahlenbelastung und die zeitliche Ver­
zögerung des Therapiebeginns stimmen uns kritisch.
4. Hinsichtlich der Beurteilung der Tumorausdehnung und
der N-Kategorie gibt es auch zahlreiche Studien, welche
keinen Vorteil der PET/CT gegenüber der von uns emp­
fohlenen Standard-Diagnostik finden konnten [1, 3]. Beim
derzeitigen Stand der klinischen Forschung erscheint die
Anwendung der PET bzw. PET/CT vor allem bei Pati­
enten mit einem hohen Fernmetastasierungsrisiko sinnvoll
(UICC-Stadium III–IV) [4].
Literatur
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Johannes Zenk, Georgios Psychogios; Erlangen
Bessere lokale Kontrolle des nicht kleinzelligen Bronchialkarzinoms durch
stereotaktische Strahlentherapie als durch Keilexzision
Hintergrund: Die operative Resektion ist derzeit die Standard­
therapie für Patienten mit operablem nicht kleinzelligem Bron­
chialkarzinom (NSCLC) im Stadium I. Bisher war die definitive
Strahlentherapie in diesem Stadium für Patienten reserviert, die
aus medizinischen Gründen inoperabel waren. Die guten Ergeb­
nisse der stereotaktischen Strahlentherapie mit lokalen Kontroll­
raten zwischen 85 und 95 % [1, 2] haben dazu geführt, die Resek­
tion als alleinigen Standard für operable Patienten im Stadium I
in Frage zu stellen. Untersuchungen zum direkten Vergleich von
stereotaktischer Strahlentherapie und Operation beim NSCLC
146
lagen bisher nicht vor. Randomisierte Studien sind in Planung
bzw. auf dem Weg. Die Autoren der vorliegenden Arbeit unter­
suchen die Hypothese, dass die Ergebnisse von stereotaktischer
Strahlentherapie und Keilexzision bei medizinisch nicht operab­
len Patienten vergleichbar sind, d. h. für ein Patientenkollektiv,
das aufgrund von Begleiterkrankungen oder einer schlechten
Lungenfunktion keiner Lobektomie unterzogen werden kann [3].
Patienten und Methodik: 124 Patienten mit NSCLC im Stadium
I wurden retrospektiv untersucht. 69 waren zwischen 2003 und
Strahlenther Onkol 2011 · No. 2
Literatur kommentiert
2009 einer Keilexzision unterzogen worden, und 58 hatten eine
stereotaktische Strahlentherapie am William Beaumont Hospital
erhalten. 95 % der Patienten mit stereotaktischer Strahlenthe­
rapie waren medizinisch inoperabel, 5 % lehnten eine Opera­
tion ab. Alle Studienpatienten hatten zum initialen Staging eine
FDG-PET-CT erhalten, Patienten mit stereotaktischer Strahlen­
therapie erhielten außerdem eine Skelettszintigraphie und eine
Kernspinuntersuchung des Schädels. 20 % der Patienten mit ste­
reotaktischer Bestrahlung und 30 % der Patienten mit Keilexzi­
sion wurden einer Mediastinoskopie unterzogen. Patienten mit
stereotaktischer Strahlentherapie waren signifikant älter, hatten
mehr Komorbiditäten und einen höheren Anteil an Afroameri­
kanern.
Vor der stereotaktischen Strahlentherapie wurde bei den
Patienten unter Röntgendurchleuchtung die Atemexkursion
beurteilt. Eine 4D-CT wurde anfangs nur bei einigen Patienten,
später bei allen vorgenommen. Eine Abdominalkompression
erfolgte bei fünf Patienten mit einer atemabhängigen Lagevari­
abilität von mehr als 1 cm. Als GTV wurde der Tumor im Lun­
genfenster konturiert. Als Internal Target Volume (ITV) wurde
die Summe der einzelnen GTV in zehn Atemphasen definiert.
Das CTV setzte sich aus dem ITV plus 4 mm zusammen. Für das
PTV erfolgte eine weitere Expansion um 5 mm. Geplant wurde
mit Pinnacle Version 7.4. Es wurden sechs bis neun koplanare
bzw. nonkoplanare Einstrahlwinkel gewählt, eine IMRT wurde
nur vereinzelt angewandt. Für T1- bzw. T2-Tumoren wurden 4 × 12 Gy bzw. 5 × 12 Gy auf der 60–90 %-Isodose, die das PTV
umschloss, verschrieben. Die V20 sollte <10 %, die V10 bzw.
V12,5 < 15 % und die mittlere Lungendosis unter 10 Gy sein. Täg­
lich wurde online eine Cone-Beam-CT durchgeführt, und nach
der Positionskorrektur erfolgte eine erneute Cone-Beam-CT,
ebenso direkt im Anschluss an die Bestrahlung.
Die chirurgische Resektion erfolgte thorakoskopisch video­
assistiert in 52 %, durch offene Thorakotomie in 20 % der Fälle.
In 28 % der Fälle wurde eine Thorakoskopie begonnen und in­
traoperativ entschieden, den Tumor doch besser über eine offene
Thorakotomie zu entfernen. 43 der 69 operierten Patienten er­
hielten eine mediastinale Lymphknotendissektion.
Im Follow-up erfolgten Röntgenuntersuchungen mit oder
ohne CT bzw. FDG-PET-CT, bei Patienten mit stereotaktischer
Bestrahlung PET-CTs schon nach 6 Wochen, dann 16 Wochen
und 12 Monate nach Therapie. Als Lokalrezidive wurden Pro­
gressionen in der CT bzw. der PET-Aktivität definiert.
Ergebnisse: Das mediane Follow-up betrug für alle Patienten 2,5
Jahre. Nach 30 Monaten zeigten sich keine signifikanten Unter­
schiede bei den regionalen Rezidiven (stereotaktische Strahlen­
therapie vs. Keilexzision: 4 % bzw. 18 %), den lokoregionären
Rezidiven (9 % vs. 27 %), den Fernmetastasen (19 % vs. 21 %)
und im „freedom from any failure“ (77 % vs. 65 %). Es fand sich
ein Trend zu weniger Lokalrezidiven nach stereotaktischer Strah­
lentherapie (4 % vs. 20 %, p = 0,07). Das Gesamtüberleben nach
stereotaktischer Strahlentherapie lag unter dem nach Keilexzi­
sion (72 % vs. 87 %, p = 0,01). Das krankheitsspezifische Über­
leben war vergleichbar (93 % vs. 94 %). Wurden nur Patienten
analysiert, die weder eine T4-Erkrankung noch einen synchronen
Zweittumor hatten, zeigte sich mit stereotaktischer Strahlenthe­
rapie sowohl eine signifikant bessere lokale (p = 0,05) als auch
eine bessere lokoregionäre Kontrolle (p = 0,03).
Nach der stereotaktischen Strahlentherapie traten 9 % GradII- und 2 % Grad-III- Pneumonitiden auf (CTCAE Version 3).
Die Inzidenz an Rippenfrakturen betrug 11 %, davon waren 7 %
symptomatisch. 4 % bzw. 10 % akute und chronische behandlung­
sassoziierte Myositiden traten auf. Zur Keilexzision wurden die
Patienten im Median 5 Tage stationär aufgenommen, 10 % muss­
ten innerhalb von 30 Tagen wieder stationär aufgenommen wer­
den. Die 30-Tage-Letalität betrug 0 %. 3 % der Patienten hatten
bei der Entlassung eine Thoraxdrainage, 3 %, 2 % und 2 % ent­
wickelten postoperativ eine Pneumonie, ein Empyem oder einen
Chylothorax. Wundinfektionen traten bei 3 % und Arrhythmien
bei 6 % auf.
Schlussfolgerungen der Autoren: Sowohl die stereotaktische
Strahlentherapie als auch die Keilexzision sind Behandlungs­
optionen für Patienten mit NSCLC im Stadium I, die keiner
Lobektomie zugeführt werden können. Die stereotaktische
Strahlentherapie kontroliert den Tumor lokal und lokoregional
besser als die Keilexzision. Aufgrund von negativen Selektions­
kriterien war jedoch das Gesamtüberleben in der konservativ
behandelten Gruppe schlechter. Die Rate an ernsthaften Be­
handlungskomplikationen ist nach stereotaktischer Strahlenthe­
rapie niedriger.
Kommentar
In dieser Analyse [3] wurde erstmals, wenn auch nur retro­
spektiv, die Effektivität und Verträglichkeit der stereotak­
tischen Strahlentherapie mit der Operation bei Patienten
mit NSCLC im Stadium I verglichen. Obwohl die Patienten
hinsichtlich der Begleiterkrankungen, des Alters und einiger
tumorassoziierter Parameter (mehr Plattenepithelkarzi­
nome in der Gruppe mit stereotaktischer Strahlentherapie,
bronchoalveoläre Karzinome in der Gruppe mit Keilexzisi­
Strahlenther Onkol 2011 · No. 2
on) nur bedingt vergleichbar waren, waren die Ergebnisse
der stereotaktischen Strahlentherapie hinsichtlich der lo­
kalen und regionären Kontrolle sowie des krankheitsspezi­
fischen Überlebens zumindest nicht schlechter als nach der
Keilexzision. Ob die lokale Kontrolle bei den stereotaktisch
behandelten Patienten tatsächlich besser war, darf bezwei­
felt werden angesichts der Tatsache, dass das Follow-up in
der Stereotaxiegruppe kürzer war und ein Lokalrezidiv nach
147
Literatur kommentiert
stereotaktischer Strahlentherapie u.U. erst nach einem län­
geren Verlauf diagnostiziert werden kann, mehr Patienten
interkurrent verstarben und das Staging in beiden Gruppen
unterschiedlich war. Für die stereotaktische Strahlenthera­
pie sprechen allerdings auch die geringere Toxizität und die
ambulante Durchführbarkeit der Therapie. Selbst wenn der
Krankenhausaufenthalt bei der videoassistierten thorakosko­
pischen Keilexzisionen im Median nur bei 5 Tagen liegt [4],
sollte dessen Belastung bei den älteren und komorbiden Pati­
enten nicht unterschätzt werden.
Die Arbeit zeigt wieder einmal, dass die stereotaktische
Strahlentherapie bei NSCLC im Stadium I zu exzellenten
lokalen Kontrollraten führt. Die Studie ist auch insofern in­
teressant, als T2-Tumoren mit einer höheren Dosis behan­
delt wurden als T1-Tumoren (4 × 12 Gy vs. 5 × 12 Gy). Sie
trägt damit der Tatsache Rechnung, dass größeren Tumoren
eine höhere biologisch effektive Dosis (BED) für die lokale
Kontrolle benötigen als kleinere (T1) [5]. Aktuell wird eine
BED im Isozentrum von >/ = 100 Gy10 und von 80–100 Gy10
in der Peripherie des PTV/CTV für eine adäquate lokale
Kontrolle der NSCLC im Stadium I gefordert [5]. In der hier
besprochenen Studie betrug sie im Isozentrum deutlich über 100 Gy10, selbst wenn man die niedrigste mögliche Kombina­
tion der Dosisverschreibung betrachtet (4 × 12 Gy, bezogen
auf die 90 %-Isodose, entsprechend einer BED von 124 Gy10).
Die BED an der PTV Peripherie lag im Minimum bei 106 Gy10
(für die oben angegebene Dosisverschreibung), im Tumor an­
gesichts der relativ großzügigen Sicherheitssäume deutlich da­
rüber. Insgesamt kann man die verschriebene Dosis nach den
derzeitigen Kriterien als ausreichend bezeichnen, zumindest
für die Behandlung von T1-Karzinomen.
Während die Autoren angeben, dass die Patienten mit
stereotaktischer Bestrahlung im Rahmen einer prospektiven
Phase-II-Studie behandelt wurden, sind die Selektionskrite­
rien für die Patienten mit Keilresektion weniger offensichtlich.
Es wird lediglich berichtet, dass diese für eine anatomische Lo­
bektomie nicht in Frage kamen. Man muss davon ausgehen,
dass hier die Therapieentscheidungen aufgrund der individu­
ellen Erfahrung der jeweils Beteiligten getroffen wurden und
nicht standardisiert waren. Auffällig ist auch die hohe Umstei­
gerate von 28 % von einer videoassistierten Thorakoskopie
auf eine offene Thorakotomie. Zudem werden keine Daten
zur histologischen Aufarbeitung (Resektionsstatus, Anzahl
der resezierten Lymphknoten) gegeben.
Fazit: Angesichts der relativ kleinen Patientenzahlen, des
retrospektiven Charakters der Studie und der noch kurzen
Nachbeobachtungszeit sollten die Daten nicht überinterpre­
tiert werden. Sie ermutigen zwar, sind trotzdem aber erst ein
Hinweis auf eine mögliche Äquivalenz der stereotaktischen
Bestrahlung und der Keilexzision bei aus medizinischen Grün­
den inoperablen Patienten mit einem NSCLC im Stadium I.
Eine prospektive, randomisierte Studie, die die hier
aufgeworfene Frage untersucht, ist sicherlich sinnvoll. Al­
lerdings bleiben bei der konservativen Therapie weiterhin
Fragen offen: Welche ist die optimale Dosis und Fraktionie­
rung für T1- bzw. T2-Tumoren? Welche Sicherheitssäume
sind erforderlich? Wie ist es mit den zentral lokalisierten
Tumoren? Welche Rolle kann eine adjuvante oder gar si­
multane Chemotherapie spielen angesichts der Tatsache,
dass ein Großteil der Rezidive nach stereotaktischer Strah­
lentherapie als Fernmetastasen in Erscheinung treten?
Literatur
1. Baumann P, Nyman J, Hoyer M, et al. Outcome in a prospective Phase II trial of medically inoperable stage I non-small-cell lung cancer
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Hans Geinitz, Nicolaus Andratschke, Jörg Theisen; München
Bisphosphonate senken das Risiko für Brustkrebs bei postmenopausalen Frauen
Fragestellung: Bisphosphonate werden bisher erfolgreich für die
Behandlung der Osteoporose und die Prävention und Behand­
lung skelettaler Manifestationen von Tumorerkrankungen einge­
setzt. In dieser Studie wurde die Frage untersucht, ob sich durch
148
Bisphosphonate auch das Risiko an Brustkrebs zu erkranken,
beeinflussen lässt [6].
Patienten und Methodik: Die Untersuchung wurde im Rahmen
der Nord-Israel-Studie, einer populationsbasierten Fall-Kontroll-
Strahlenther Onkol 2011 · No. 2
Literatur kommentiert
Studie von Patienten mit Brustkrebs und einer alters- und ethnisch
gematchten Kontrollgruppe durchgeführt. Die Verwendung von
Bisphosphonaten wurde dabei bei 4039 postmenopausalen Pa­
tientinnen und Kontrollen erhoben, indem Aufzeichnungen der
Apotheken eingesehen wurden.
Ergebnisse: Die Verwendung von Bisphosphonaten für min­
destens 1 Jahr vor der Diagnosestellung, aber nicht für einen
kürzeren Zeitraum war mit einer signifikanten Reduktion des
relativen Risikos für Brustkrebs (Odds Ratio 0,61) assoziiert.
Dieser Effekt blieb auch dann signifikant, wenn für Alter, Er­
nährungsgewohnheiten (Früchte und Gemüse), sportliche Akti­
vität, familiäre Belastung durch Brustkrebs, ethnische Gruppe,
Body-Mass-Index, Verwendung von Calcium oder Hormonen
die Anzahl der Schwanger­schaften, die Anzahl der Monate des
Stillens und das Alter bei der ersten Geburt adjustiert wurde
(Odds Ratio 0,72). Das Brustkrebsrisiko ließ sich nicht weiter
senken, wenn die Bisphosphonate länger als 1 Jahr gegeben
wurden. Die Tumoren bei Patientinnen waren außerdem unter
Bisphosphonaten öfters östrogenrezeptorpositiv und seltener
schlecht differenziert.
Schlussfolgerung der Autoren: Bisphosphonate für mehr als
1 Jahr reduzieren das Brustkrebsrisiko bei postmenopausalen
Frauen um relativ 28 %. Die entstehenden Karzinome haben ten­
denziell ein günstigeres prognostisches Risikoprofil.
Kommentar
Der Wirkungsmechanismus der neueren Amino-Bisphospho­
nate (BSP) wie zum Beispiel Pamidronat, Zoledronat und
Alendronat beruht auf der Hemmung des Enzyms
Farnesylpyrophosphat-Synthase im Mevalonat-Stoffwechsel­
weg [5]. Obwohl es sich dabei um einen für die meisten Zellen
essentiellen Stoffwechselweg handelt, können die BSP mit re­
lativ wenigen Nebenwirkungen gegeben werden, da sie nach
der Applikation in kürzester Zeit aufgrund ihrer hohen Affini­
tät für Kalzium im Knochen binden. Dort werden die Substan­
zen dann aktiv von den Osteoklasten phagozytiert und hem­
men diese dann über den oben genannten Mechanismus und
damit auch den Knochenabbau. Daher werden die BSP heute
in erster Linie für die Behandlung und Prävention der Osteo­
porose sowie die Verhinderung von Knochenkomplikationen
bei unterschiedlichen in den Knochen metastasierenden Tu­
morerkrankungen eingesetzt.
Die Studie von Rennert et al. [6] zeigte jetzt auch eine Risi­
koreduktion für die Entwicklung von Brustkrebs. Diese Ergeb­
nisse bestätigen indirekt die nachgewiesene Verlängerung der
erkrankungsfreien Zeit unter Zoledronat und Letrozol im Ver­
gleich zu Letrozol allein in der ZO-FAST-Studie [2] und auch
die Verbesserung des ereignisfreien Überlebens in der ABCSG12-Studie, wenn Zoledronat in der adjuvanten Situation mit ei­
ner endokrinen Therapie kombiniert wird [3]. Dabei stellt sich
natürlich die Frage, ob dieser Effekt nur durch die Hemmung
der Osteoklasten bedingt ist oder ob auch eine direkte Anti­
tumorwirkung des BSP besteht [4]. Dies ist zwar prinzipiell
möglich, da zahlreiche In-vitro-Experimente einen Antitumor­
effekt der Bisphosphonate über eine Hemmung des MevalonatStoffwechselweges nachweisen konnten [1]. Allerdings ist bei
genauer Betrachtung der Daten mehr als fraglich, ob dies auch
in vivo eine Rolle spielt, da die für diese Experimente verwende­
te Konzentration der BSP weit über der maximal erreichbaren
Konzentration nach einer intravenösen Gabe beim Menschen
liegt [1]. Mit den in der Studie von Renner et al. [6] vor allem
oral verabreichten Medikamenten wird eine solche, für ein pas­
Strahlenther Onkol 2011 · No. 2
sives Eindringen der Substanzen in die Tumorzelle notwendige
systemische Konzentration sicher nicht erreicht.
Was bedeuten diese Überlegungen für die vorliegende
Studie? Ein direkter Effekt auf die Tumorzelle mit der dar­
aus resultierenden Risikoreduktion für die Entwicklung von
Brustkrebs bei postmenopausalen Frauen ist sehr unwahr­
scheinlich. Auch die relativ kurze Zeit von 1 Jahr, die als An­
wendung für die Erzielung des Effektes ausreichen soll, spricht
dagegen, vor allem wenn man bedenkt, wie lang die Zeitdauer
für die Entstehung einer metastasierten Erkrankung ist. Ei­
ne mögliche Erklärung für den nachgewiesenen Effekt wäre
aber die Veränderung des die Tumorzelle umgebenden Mi­
lieus. Da neben Osteoklasten auch andere phagozytierende
Zellen (Makrophagen, dendritische Zellen) Bisphosphonate
aufnehmen können, werden auch diese potentiell in ihrer
Funktion gehemmt. Auch der immunmodulierende Effekt der
Bisphosphonate durch Stimulation von γδ-Lymphozyten mit
Sekretion von γ-Interferon kann zu einer Veränderung des
Tumorstromas beitragen [7].
Fazit: Die in dieser Studie nachgewiesene Risikoreduktion für
das Auftreten von Brustkrebs bei postmenopausalen Frauen
durch eine 1-jährige Gabe von Bisphosphonaten ist ein hoch­
interessantes Ergebnis. Da es sich aber um eine retrospektive
Analyse handelt, müssen diese Beobachtungen durch weitere
Untersuchungen bestätigt werden. Zudem wurde hier nur der
Einfluss auf die Brustkrebs-Entstehung untersucht. Aufgrund
des unklaren Wirkungsmechanismus, der durchaus ein unspe­
zifischer Effekt auf das Tumorstroma sein kann, sind die Aus­
wirkungen auf andere Gewebe bzw. andere Tumorentitäten
erst noch zu klären. Daher erlauben es die hier kommentierten
Ergebnisse nicht, Bisphosphonate bei gesunden Frauen mit
dem Ziel einer Risikoreduktion für Brustkrebs einzusetzen.
Literatur
1. Clyburn RD, Reid P, Evans CA, et al. Increased anti-tumour effects of doxorubicin and zoledronic acid in prostate cancer cells in vitro: suppor-
149
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Martin Wilhelm, Nürnberg
Kernspintomographie beim Brustkrebsscreening: Müssen die Leitlinien neu
definiert werden?
Fragestellung und Hintergrund: Christiane Kuhl und Kollegen
[1] gingen in der EVA-Studie der Frage nach, wie die Zuverläs­
sigkeit des Brustkrebsscreenings bei Frauen mit nachgewiesen
erhöhtem Brustkrebsrisiko im Hinblick auf die Erkrankungshäu­
figkeit und das Stadium der Erkrankung bei Diagnosestellung
zu bewerten sei. Betrachtet wurde dabei die Wertigkeit von kli­
nischer Untersuchung (CBE), Mammographie, Ultraschall und
qualitätsgesicherter Kernspintomographie (MRT) der Brust, al­
lein oder in Kombination.
Material und Methodik: Für die prospektive multizentrische
Kohortenstudie wurden 687 Frauen mit einemfamiliären Brust­
krebsrisiko von ≥ 20 % rekrutiert. Sie unterzogen sich insgesamt
1.679 jährlichen Screeningeinheiten mit CBE, Mammographie,
Ultraschall und MRT in unterschiedlichen Kombinationen und
unabhängig voneinander ausgewertet. In einer Subgruppe von
371 Frauen wurde zudem halbjährlich eine CBE und ein Ultra­
schal durchgeführt (insgesamt 869 Schreeningeinheiten). Der
durchschnittliche bzw. mediane Beobachtungszeitraum betrug
29,18 bzw. 29,09 Monate.
Ergebnisse: Bei 27 Frauen wurde ein Mammakarzinom dia­
gnostiziert: In elf Fällen war es ein duktales Carcinoma in situ
(41 %) und in 16 ein invasives Karzinom (59 %). Drei (11 %)
der 27 Patientinnen wiesen positive Lymphknoten auf. Alle
Karzinome wurden im Rahmen des jährlichen Screenings ent­
deckt; es wurden keine Erkrankungen zwischen den jährlichen
Untersuchungen diagnostiziert, auch nicht in der Gruppe, die
sich im Halbjahresabstand der CBE und dem Brustultraschall
unterzog.
Die Diagnosezuverlässigkeit von Ultraschall und Mammo­
graphie waren vergleichbar (6,0/1000 bzw. 5,4/1000). Die Kombi­
nation beider Verfahren führte zu einer leichten aber nicht signi­
fikanten Steigerung auf (7,7/1000). Durch die qualitätsgesicherte
MRT allein wurden 14,9 pro 1.000 Fälle identifiziert. Auch hier
führte die Kombination mit einer Mammographie zu einer leich­
ten aber nicht signifikanten Steigerung (16,0/1.000). Die Kombi­
nation von MRT und Ultraschall führte nicht zu einer Diagno­
severbesserung (14,9/1.000). Der positive Vorhersagewert betrug
für die Mammographie 39 %, für den Ultraschall 36 % und für die
qualitätsgesicherte MRT 48 %.
Schlussfolgerung der Autoren: Durch den jährlichen Einsatz
der qualitätsgesicherten Kernspintomographie der Brust kommt
es bei Frauen mit familiär erhöhtem Brustkrebsrisiko zu einer
Verschiebung des Diagnosezeitpunkts der Erkrankung hin zu
früheren, nicht invasiven Stadien. Bei Frauen mit diesem Risiko
führt weder die jährliche Mammographie noch ein halbjährlich
durchgeführter Brustultraschall zu einer weiteren Verbesserung
des Screenings.
Kommentar
Der Titel der Studie suggeriert, die Zeit sei reif für eine Neu­
bestimmung der Leitlinienstandards zur Früherkennung von
Brustkrebs bei Frauen mit erhöhtem („elevated risk“) Brust­
krebsrisiko, das heißt, nicht nur Mutationsträgerinnen, son­
dern auch Frauen mit einem kumulativen lebenslangen Brust­
150
krebsrisiko von mehr als 20 bis 50 %, sollten vorrangig mittels
MRT untersucht werden.
Zweifelsfrei bestätigt die vorliegende Studie entspre­
chend den internationalen Studienergebnissen zur intensi­
vierten Früherkennung bei Hochrisikofrauen die exzellente
Strahlenther Onkol 2011 · No. 2
Literatur kommentiert
Sensitivität der Kernspintomographie im Vergleich zur Mam­
mographie. Die vorliegende Studie unterscheidet sich jedoch
von den anderen internationalen Studien dahingehend, dass
erstens hier die höchste Sensitivität überhaupt für invasive
Karzinome und DCIS erzielt wurde, zweitens keine Intervall­
karzinome auftraten und drittens die höchste Rate an DCIS
(41 %) detektiert wurde. Die EVA-Studiengruppe unterschei­
det sich deutlich gegenüber den anderen internationalen Studi­
engruppen dahingehend, dass weniger Mutationsträgerinnen
eingeschlossen waren, das heißt, hier liegt eine Risikogruppe
mit überwiegend moderatem Risiko vor. Das mag das Fehlen
jeglicher Intervallkarzinome in der EVA-Studie erklären ge­
genüber einer etwa 4,9 %igen publizierten Intervallkarzinom­
rate der italienischen, kanadischen, United Kingdom und der
niederländischen Studiengruppen. Die Sensitivität für DCIS
gepoolt erreicht in internationalen Studiengruppen etwa 50 %
gegenüber 91 % in der vorliegenden Studie. In einer aktuellen
retrospektiven Analyse wurde der größte Anteil falsch-nega­
tiver MRT-Befunde durch nicht KM-aufnehmende duktale
In-situ-Karzinome erklärt, so dass im Gegensatz zu Kuhl die
internationalen Arbeitsgruppen nicht auf die Mammographie
verzichten wollen und sie nach wie vor zur MRT komplemen­
tär erachten in mindestens 25 % der DCIS-Fälle. Auch bezüg­
lich des positiven Vorhersagewertes ist die EVA-Studie nicht
mit den anderen internationalen Studien zu vergleichen, da
unterschiedliche Abklärungslevel bestimmt wurden: Natür­
lich kommt man zu niedrigeren positiven Vorhersagewerten
beim Einschluss von BI-RADS 0, 3, 4 und 5 gegenüber nur
BI-RADS 4 und 5.
Fazit: Eine Strategie-Änderung beim Einsatz bildgebender
Verfahren bei der Brustkrebs-Früherkennung auf Grund
der vorliegenden Studie ist verfrüht, dies vor allem im Ange­
sicht der insgesamt kleinen Tumorstadien, kleiner GesamtTumorzahl, der Problematik von uni-institutioneller und
multi-institutioneller Datenerhebung und -analyse sowie der
vom EVA-Trial abweichenden internationalen Datenlage.
Letztlich müssen die Mortalitätsdaten des Konsortiums Fa­
miliärer Brust- und Eierstockskrebs sowie die der internati­
onalen Studiengruppen abgewartet werden, um wirklich zu
sehen, ob der Stadienshift hin zu kleineren Tumorstadien und
Vorstadien mit einem Mortalitätsbenefit bzw. einer RezidivRisikoreduktion verbunden ist.
Literatur
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Ingrid Schreer, Kiel
Erstmals publiziert in: InFoOnkologie 2010;13(6):18–9.
Mammakarzinom: Aspirin hemmt die Metastasierung
Fragestellung und Hintergrund: Präklinische Untersuchungen
weisen darauf hin, dass Aspirin die Metastasierung von Mamma­
karzinomen hemmen kann. In der hier vorgestellten Arbeit [11]
wurde untersucht, ob Aspirin bei Mammakarzinom-Patientinnen
das Risiko senkt, Metastasen zu entwickeln und an dieser Erkran­
kung zu sterben.
Methodik: In einer prospektiven Beobachtungsstudie wurden
die Antworten von 4.160 Krankenschwestern der Nurses Health
Study ausgewertet, bei denen zwischen 1976 und 2002 ein Mam­
makarzinom der Stadien I–III diagnostiziert worden war und die
zu Beginn der Studie 30–55 Jahre alt waren; nachbeobachtet wur­
de bis zum Juni 2006 bzw. bis zum Tod der Patientin. Primärer
Endpunkt war die Mammakarzinom-Sterblichkeit in Abhängig­
keit von den Tagen pro Woche, an denen Aspirin genommen wur­
de; unterschieden wurde zwischen 0, 1, 2–5 und 6–7 Tagen. Eine
Unschärfe ergibt sich dadurch, dass nur die Zahl, aber nicht die
Dosis der Aspirintabletten ermittelt wurde. So wurde z. B. nicht
zwischen Tabletten à 100 mg und 325 mg unterschieden. Gründe
für die Aspirin-Einnahme waren im Wesentlichen die Prävention
Strahlenther Onkol 2011 · No. 2
von Herzer­krankungen (35 %), sowie verschiedene Schmerzzu­
stände.
Da wegen der Blutungsgefahr häufig von einem Aspirin­
gebrauch während der Chemotherapie abgeraten wird, erfolgte
die erste Abfrage des Aspirinkonsums frühestens 12 Monate
nach Diagnose des Mammakarzinoms, die weiteren Abfragen
erfolgten in zweijährigen Intervallen. Der Verbrauch an nichtste­
roidalen Antiphlogistika wurde nur im zweiten Teil der Studie
dokumentiert.
Ergebnisse: 341 Patientinnen starben am Mammakarzinom, die
Sterblichkeit sank mit der Einnahme von Aspirin unabhängig von
Stadium, Menopausenstatus, Body Mass Index und Östrogenre­
zeptorstatus. Das adjustierte relative Risiko für 1, 2–5 und 6–7 Ta­
ge Aspirin-Einnahme pro Woche lag im Vergleich zur fehlenden
Einnahme dieses Medikaments bei 1,07 (95 %-KI 0,7–1,63), 0,29
(95 %-KI 0,16–0,52) und 0,36 (95 %-KI 0,24–0,54); p für den Trend
<0,001. Eine ähnliche Relation ergab sich für das Auftreten von
Fernmetastasen. Hier lag das entsprechende adjustierte relative
Risiko bei 0,91 (95 %-KI 0,62–1,33), 0,40 (95 %-KI 0,24–0,65) und
151
Literatur kommentiert
0,57 (95 %-KI 0,39–0,82); p für den Trend = 0,03. Auch die Ge­
samtsterblichkeit reduzierte sich unter Aspirin signifikant (p für
den Trend = 0,004). Ein nach der Mammakarzinom-Diagnose nur
vorübergehender, in der Arbeit nicht weiter spezifizierter Aspi­
rinkonsum (past use) hatte keine Wirkung. Nichtsteroidale Anti­
phlogistika reduzierten das relative Risko, an einem Mammakar­
zinom zu sterben, nur bei Gebrauch an 6–7 Tagen pro Woche auf
0,52 (95 %-KI 0,3–0,88).
Schlussfolgerung der Autoren: Der Gebrauch von Aspirin redu­
ziert das Risiko für eine Fernmetastasierung und für den Tod am
Mammakarzinom.
Kommentar
Epidemiologische und klinische Daten zeigen, dass eine Beein­
flussung der Prostaglandin-Synthese ein vielversprechender An­
satz zur Prävention und Behandlung von Krebserkrankungen
ist [9, 10, 12]. Eine zentrale Funktion in der Prostaglandinsyn­
these haben die Cyclooxygenase 1 und 2 (COX-1 und COX-2).
Die COX-1 wird konstitutionell exprimiert, während die COX2 durch Entzündungen und nicht zuletzt durch verschiedene
krebserzeugende Substanzen induzierbar ist; COX-2-Expressi­
on ist eine typische Eigenschaft prämaligner Läsionen und ma­
ligner Tumoren [10]. Aspirin ist ein ­irreversibler COX-1- und
COX-2-Hemmer. Dass die COX-2 selbst das Tumorwachstum
moduliert, wurde u. a. am Lewis Lung-Karzinom der C57BL/6Maus gezeigt: Dieses Karzinom wächst in unbehandelten Tie­
ren rasch, zeigt aber bei COX-2(+/-)-Mäusen eine deutliche
und bei COX-2(-/-)-knockout-Mäusen eine nahezu definitive
Wachstumshemmung. Ein COX-1-knockout führte dagegen zu
einer leichten Stimulation des Tumorwachstums [14].
Schrittmacher für die Untersuchung der Aspirinwirkung
in der klinischen Onkologie ist das Kolonkarzinom, für das
eine reduzierte Inzidenz unter Aspirin-Einnahme spätestens
seit 1991 gesichert ist [13]. Bezüglich der adjuvanten Situation
wurde gezeigt, dass die 70 % der Patienten, deren kolorekta­
les Karzinom COX-2 überexprimiert, unter Behandlung mit
ca. einem Gramm Aspirin pro Woche eine deutlich geringe­
re karzinomspezifische Sterblichkeit aufweisen (multivariate
HR 0,39; 95 %-KI 0,2–0,76) [7, 8].
Beim Mammakarzinom sprechen präklinische Daten
schon lange für eine Wirkung von Aspirin. So ist seit 1975 be­
kannt, dass in den Tumorzellen mehr Prostaglandin-ähnliches
Material vorhanden ist als im umgebenden normalen Mam­
magewebe [4]. Zwei Jahre später wurde auf Grund weiterer
in vitro-Untersuchungen angenommen, dass Medikamente,
welche die Prostaglandinsynthese hemmen, beim Mammakar­
zinom therapeutisch wertvoll sein könnten [5].
In diesem Jahr wurden noch weitere Arbeiten zur Wir­
kung von Aspirin und NSAIDs (nichtsteroidale Antiphlogi­
stika) auf Mammakarzinome publiziert. Nach Veröffentli­
chung ähnlicher Befunde über die allgemeine Krebsinzidenz
[3] fanden Bardia A et al. [2] bei postmenopausalen Frauen
heraus: Frauen, die regelmäßig Aspirin einnahmen, hatten
im Vergleich zu Patientinnen ohne Aspirin-Konsum ein re­
latives Mammakarzinom-Risiko von 0,8 (95 %-KI 0,71–0,99),
welches bei sechsmaliger Einnahme von Aspirin pro Wo­
che weiter auf 0,71 absank (p für den Trend = 0,0001). Die
152
Wirkung von Aspirin war auch hier unabhängig vom Hor­
monrezeptorstatus. Brasky et al. kamen unter Einbeziehung
prämenopausaler Mammakarzinome zum praktisch gleichen
Ergebnis [6]. Während beide Gruppen dabei keine Wirkung
von nichtsteroidalen Antiphlogistika fanden, beschrieben
Ashok et al. [1] eine solche Wirkung vorwiegend nach über
zweijähriger Einnahme des COX-2-Hemmers Rofecoxib (OR
0,54, 95 %-KI 0,37–0,8).
Fazit: COX-2 ist ein wichtiger Faktor bei der Entstehung
und dem Wachstum verschiedener Tumoren. Bisher war dies
am besten für kolorektale Karzinome gesichert; inzwischen
besteht auch eine gute Datenlage für das Mammakarzinom.
Wahrscheinlich kann ein großer Teil dieser Daten auch auf
andere Karzinome übertragen werden. Offizielle Empfeh­
lungen für die Anwendung von Aspirin in der Onkologie
existieren noch nicht, beim Kolonkarzinom wird jedoch eine
mögliche Anwendung bei Hochrisiko-Gruppen diskutiert
[9]. Es ist beruhigend, dass eine große, placebokontrollierte
Studie mit 200 mg Aspirin/Tag bei kolorektalen Karzinomen
des Stadiums III in Südostasien und Indien begonnen wurde
[9]. In Europa und den USA, wo kolorektale Tumoren und
Mammakarzinome wesentlich häufiger sind, wird Aspirin of­
fensichtlich als zu billig eingestuft und ignoriert.
Literatur
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Michael Fink, Fürth
Erstmals publiziert in: InFoOnkologie 2010;13(7):16–9.
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Strahlenther Onkol 2011 · No. 2
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