GELDMENGE UND PREISE «M × V = P x Y» Vom Umlauf des Geldes in der Volkswirtschaft In diesem Baustein widmen wir uns dem Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisentwicklung. In Kapitel 1 führen wir die Konzepte Geld- und Tauschwirtschaft, Papier- und Warengeld sowie Geldmenge und Kaufkraft ein und stellen den Zusammenhang her zwischen der Kaufkraft des Geldes und dem Preisniveau. Bild: Keystone Um die Ursachen hinter Schwankungen in der Kaufkraft bzw. im Preisniveau zu verstehen, müssen wir uns zunächst vertieft mit der Geldnachfrage und dem Geldangebot auseinandersetzen. In Kapitel 2 gehen wir deshalb der Frage nach, wie viel Geld die Haushalte und Unternehmen halten wollen. Wir fragen also, wodurch die Nachfrage der Haushalte und Unternehmen nach Geld beeinflusst wird. In Kapitel 3 lernen wir, wie das Geldangebot im Geldschöpfungsprozess zustande kommt. Anschliessend folgt eine kurze Beschreibung der Geldpolitik. Im letzten Kapitel untersuchen wir anhand einer Fallstudie die Auswirkungen der Finanzkrise 2007/2008 auf die Geldmengen- und Preisentwicklung in der Schweiz sowie auf die Politik der SNB. 1 Grundlagen 1.1 Geld für Transaktionen «Viel Geld haben» und «reich sein» ist – zumindest in der Ökonomie – nicht dasselbe. Denn während sich der Ausdruck «reich sein» auf das gesamte Vermögen bezieht, ist Geld nur ein Bestandteil des Vermögens; derjenige nämlich, der sich leicht für Transaktionen verwenden lässt. Geld stellt damit den liquidesten, also flüssigsten Teil des Vermögens dar. Unter einer Transaktion versteht man den Austausch von Gütern oder Dienstleistungen. In modernen Volkswirtschaften werden bekanntlich nicht mehr Waren gegen Waren getauscht, sondern Waren gegen ein Zahlungsmittel: Wir kaufen also ein Gut, eine Dienstleistung oder einen Vermögenswert für Geld. Alles Vermögen, das man bei Transaktionen als Zahlungsmittel verwenden kann, wird als Geld bezeichnet. Dazu gehören Bargeld (Banknoten und Münzen) und auch das sogenannte Buchgeld in Form von Bank- und Postguthaben.1 1 Ben S. Bernanke, US-amerikanischer Ökonom und derzeitiger Präsidenten der amerikanischen Zentralbank. Auch Aktien, Obligationen oder das eigene Haus zählen zum Vermögen. Als Zahlungsmittel sind diese jedoch im Alltag nicht geeignet. 1.2 Geld muss knapp sein Unter welchen Bedingungen setzt sich ein Gegenstand als Geld durch? Als wichtigste Voraussetzung müssen die Menschen darauf vertrauen können, dass das Geld innerhalb einer Volkswirtschaft von allen als Zahlungsmittel akzeptiert wird. Damit dies erreicht wird, muss Geld folgende Eigenschaften aufweisen: Erstens darf es nicht unbeschränkt zur Verfügung stehen; es muss also knapp sein. Zweitens sollten Geldeinheiten einheitlich sein (z. B. gleichartige Muscheln oder Münzen). Drittens muss Geld die Eigenschaften Haltbarkeit, Transportierbarkeit und Teilbarkeit aufweisen. Muscheln, Zigaretten und Silbermünzen eignen sich daher beispielsweise gut als Zahlungsmittel; Wassermelonen oder Baumstämme wären weniger geeignet. Geld, das für einen bestimmten Personenkreis einen konkreten Wert aufweist, nennt man Warengeld (z. B. Muscheln oder Tierfelle). Als besonders geeignet erwiesen sich schon früh Edelmetalle, die zu Münzen geprägt wurden, so etwa Münzgeld in Form von Gold- oder Silbermünzen. Die Prägung galt dabei als Garantie für den Silber- bzw. Goldgehalt. In modernen Gesellschaften – und in China schon vor rund 1000 Jahren – hat sich jedoch das sogenannte Papiergeld durchgesetzt. Bei dieser Form des Geldes weist der verwendete Gegenstand (z. B. eine Banknote) praktisch keinen Materialwert auf. So kostet etwa die Produktion einer Schweizer Hunderternote weniger als 40 Rappen. Noch abstrakter ist das sogenannte Buchgeld in Form von Bankoder Postguthaben. Hier besteht das Geld lediglich in Form elektronischer Buchungen von Forderungen. Debitkarten (Postcard, Maestro-Karte usw.), Kreditkarten (Visa oder Master Card usw.) und mobile Zahlungsformen sind strikt genommen kein Geld, sondern dienen lediglich als Mittel, um Buchgeld von einem Konto auf ein anderes zu übertragen. Version September 2013 1 | 10 GELDMENGE UND PREISE «M × V = P x Y» 1.3 Geldmenge und Kaufkraft Die Nützlichkeit von Geld hängt von dessen Kaufkraft ab. Mit einer Hunderternote konnte man sich im Jahr 1950 noch weit mehr Güter kaufen als heute. Die Hunderternote war damals also offensichtlich wertvoller, das heisst, ihre Kaufkraft war 1950 grösser als heute. Sinkt die Kaufkraft des Geldes, bekommt man bei einer Transaktion weniger Güter und Dienstleistungen dafür. Verantwortlich für den Verlust an Kaufkraft ist das gestiegene Preisniveau. Es gilt: Je höher das Preisniveau, desto tiefer der Wert und somit die Kaufkraft des Geldes. Kaufkraft messen Wie misst man die Kaufkraft einer Geldeinheit? Sie wird gemessen, indem ein sogenannter Warenkorb gebildet wird. Dieser Warenkorb enthält die wichtigsten Güter und Dienstleistungen, welche ein durchschnittlicher Haushalt konsumiert. Das sind unter anderem Lebensmittel, Mieten, die Kosten eines Autos und des öffentlichen Verkehrs. Aus dem Preis dieses Warenkorbs wird ein Index berechnet, indem der Preis des Warenkorbs in einem bestimmten Basisjahr auf 100 normiert wird. Dieser Index wird in der Schweiz Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) oder Konsumentenpreisindex genannt. Die Höhe des Index entspricht dem Preisniveau. Die Kaufkraft besagt nun, welchen Bruchteil des Warenkorbs wir mit einer Geldeinheit kaufen können: Kaufkraft 1 Geldeinheit = 1 Geldeinheit Preis des Warenkorbs Mit anderen Worten: Kaufkraft und Preisniveau verhalten sich invers zueinander. Je höher das Preisniveau, desto geringer ist die Kaufkraft des Geldes. 2 Der Fokus liegt hier auf den Konsumentenpreisen. Genau genommen müsste aber die Kaufkraft des Geldes sämtliche Güter und Dienstleistungen umfassen, die in einer Volkswirtschaft gegen Geld getauscht werden, so beispielsweise auch die Preise für Vermögenswerte wie Immobilien oder Wertpapiere. Diese sind aber im oben genannten Warenkorb nicht enthalten. Änderungen bei der Kaufkraft Wie kommt es zu Veränderungen bei der Kaufkraft? Die Kaufkraft des Geldes – auch «der Preis des Geldes» genannt – bildet sich auf dem sogenannten Publikumsgeldmarkt (zu diesem Begriff siehe Kapitel 3, Seite 5). Eine Änderung der Kaufkraft ist stets auf Verschiebungen bei der Nachfrage bzw. beim Angebot auf diesem Publikumsgeldmarkt zurückzuführen. Solche Verschiebungen verändern das Gleichgewicht und damit die Kaufkraft. Wie Abbildung 1 zeigt, gilt Folgendes: Steigt die Geldnachfrage (Verschiebung nach rechts), steigt die Kaufkraft. Sinkt die Geldnachfrage (Verschiebung nach links), sinkt die Kaufkraft. Steigt das Geldangebot (Verschiebung nach rechts), sinkt die Kaufkraft. Sinkt das Geldangebot (Verschiebung nach links), steigt die Kaufkraft. Insbesondere führt ein viel zu grosses Angebot an Geld zu einem vollständigen Wertzerfall des Geldes. Geldangebot Kaufkraft des Geldes Diese modernen Formen des Geldes sind besonders praktisch. Sie funktionieren aber nur, wenn das Vertrauen in den Herausgeber des Geldes vorhanden ist, denn Papiergeld hat, wie bereits erwähnt, per se kaum einen Wert. Zudem lässt es sich leicht vermehren. In modernen Volkswirtschaften ist es deshalb die Aufgabe der Zentralbanken, für das notwendige Vertrauen in die Werthaltigkeit, also in die Kaufkraft des Geldes, zu sorgen. Das heisst, das Geldmonopol liegt beim Staat bzw. bei den staatlichen Zentralbanken. In der Schweiz darf nur die Schweizerische Nationalbank (SNB) Banknoten herausgeben.2 Geldnachfrage Geldmenge Abbildung 1: Gleichgewicht am Publikumsgeldmarkt Die Münzen werden von Swissmint, einer selbstständigen Einheit der eidgenössischen Bundesverwaltung, herausgegeben. Version September 2013 2 | 10 GELDMENGE UND PREISE «M × V = P x Y» Zusammenhang zwischen Kaufkraft und Preisniveau Wie oben erwähnt, verhält sich das Preisniveau invers zur Kaufkraft des Geldes. Demnach führt eine Zunahme des Geldangebots zu einer Abnahme der Kaufkraft. Damit nimmt das Preisniveau zu. Eine Abnahme der Geldnachfrage hat dieselbe Wirkung. Ein Wertzerfall des Geldes wird auch Inflation genannt. Von einer Inflation spricht man jedoch erst, wenn das allgemeine Preisniveau über einen längeren Zeitraum kontinuierlich steigt. Von Deflation spricht man dann, wenn das allgemeine Preisniveau über einen längeren Zeitraum andauernd sinkt. Geld ist, wie schon gesagt, nur ein Bestandteil des gesamten Vermögens. Warum aber sollte ausgerechnet dieser Teil einen so grossen Einfluss auf das allgemeine Preisniveau haben? Der Grund liegt darin, dass Geld dazu dient, die Werte aller Güter, Dienstleistungen, Einkommensströme und Vermögensbestandteile messbar und miteinander vergleichbar zu machen: Geld als flüssigster Bestandteil des Vermögens dient also gleichzeitig als Recheneinheit. 2 Geldnachfrage Die Geldnachfrage hängt von verschiedenen Faktoren ab. In diesem Kapitel werden die wichtigsten dargestellt und es wid eine Formel zur Berechnung der Geldnachfrage erläutert. 2.1 Kaufkraft des Geldes Die nachgefragte Menge nach Geld hängt unter anderem von der Kaufkraft ab. Deshalb ist die Geldnachfragekurve in Abbildung 1 negativ geneigt. Je höher die Kaufkraft des Geldes, desto geringer ist die Nachfrage des Publikums (der Haushalte und Unternehmungen, einschliesslich der öffentlichen Haushalte) nach Geld. Hat das Geld mehr Wert, also eine höhere Kaufkraft, kann man sich damit mehr Güter und Dienstleistungen kaufen. Für den Alltag bedeutet dies: Man benötigt weniger Geld, um die täglichen Einkäufe zu tätigen. Umgekehrt gilt: Je tiefer die Kaufkraft, desto grösser ist die Nachfrage nach Geld. 2.2 Transaktionen Weil man für jede Transaktion Geld benötigt, nimmt die Nachfrage nach Geld zu, wenn die Zahl der Transaktionen zunimmt.3 Dies gilt für jede Art von Transaktion, also auch wenn beispielsweise Vermögenswerte transferiert werden (Kauf 3 eines Bildes, einer Eigentumswohnung, einer Aktie usw.). Als Annäherung an das Transaktionsvolumen verwendet man häufig das reale Bruttoinlandprodukt (BIP), obwohl Transaktionen von Vermögenswerten darin nicht enthalten sind. Trotzdem ist der Zusammenhang zwischen BIP und Anzahl Transaktionen eng: Je mehr eine Wirtschaft produziert, desto grösser ist die Anzahl der Transaktionen, die Geldnachfrage in Abbildung 1 verschiebt sich nach rechts. 2.3 Opportunitätskosten Wirtschaftsteilnehmende halten Geld aus verschiedenen Gründen. Sie benötigen es beispielsweise für routinemässige Zahlungen oder um für unerwartete Ausgaben bereit zu sein. Geld, das man im Portemonnaie oder auf dem Bankkonto hat, kann man aber nicht in Obligationen oder Aktien anlegen. Dadurch entstehen sogenannte Opportunitätskosten. Die Höhe der Opportunitätskosten entspricht den entgangenen Zinsen auf diesen Anlagen. Als Annäherungswert dafür werden meistens die Zinsen auf Staatsanleihen verwendet. Das Zinsniveau in einer Volkswirtschaft ist veränderlich. Je höher das allgemeine Zinsniveau, desto höher sind die Opportunitätskosten der Geldhaltung. Mit anderen Worten: Versprechen die Alternativen zur Geldhaltung mehr Ertrag abzuwerfen, nimmt die Geldhaltung ab. Sinkt hingegen das Zinsniveau, sinken auch die Opportunitätskosten der Geldhaltung und es wird mehr Geld gehalten. Ertrag von Geld Der Zins auf einem Sparkonto ist in der Regel tiefer als der Ertrag auf anderen Anlageformen. Und Bargeld wirft gar keinen Ertrag ab. Warum sind die Halter von Geld bereit, einen kleineren Ertrag als im Vergleich zu NichtGeld-Anlagen in Kauf zu nehmen? Die Antwort ist, dass Geld in Form von sogenannten Liquiditätsdiensten einen zusätzlichen, nicht finanziellen Nutzen bietet, welcher die durch die Geldhaltung entgangenen Erträge aufwiegt. 2.4 Sonstige Faktoren Natürlich wird die Geldhaltung auch von anderen Faktoren beeinflusst, so von Zeitpräferenzen, Liquiditätsbedürfnissen oder ganz einfach von der Distanz zum nächsten Bankomaten. Auch Risikoüberlegungen spielen eine Rolle. In Abbildung 1 führen Änderungen bei der Anzahl Transaktionen sowie Änderungen bei den anderen, nachfolgend aufgeführten Faktoren (z. B. den Opportunitätskosten der Geldhaltung) zu einer Verschiebung der Nachfragekurve. Version September 2013 3 | 10 GELDMENGE UND PREISE «M × V = P x Y» So ist der Bedarf an liquiden Geldmitteln beispielsweise besonders dann ausgeprägt, wenn andere Vermögensanlagen sehr riskant erscheinen. 2.5 Mathematische Formel Die Zusammenhänge der Geldnachfragefunktion können mit einer mathematischen Formel ausgedrückt werden. In einer allgemeinen Form sieht diese wie folgt aus: Md = P × f(Y, R, …) + + – Md steht für die Menge an Geld, die vom Publikum nachgefragt wird. Md nimmt dann zu, wenn das Preisniveau (P) steigt (bzw. der Wert des Geldes sinkt); die Anzahl Transaktionen (Y) steigt oder die Nominalzinsen (R) sinken. Daneben gibt es weitere Einflussfaktoren, die sich je nachdem in unterschiedliche Richtungen bewegen können (vgl. Unterkapitel 2.4). Quantitätstheorie Eine etwas spezifischere Form der Geldnachfragefunktion stellt die sogenannte Quantitätstheorie dar. Sie ist durch folgenden Zusammenhang gegeben: Md = P × Y × 1 V(R) + V(R) ist dabei die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Sie sagt aus, wie oft eine Geldeinheit in einer bestimmten Zeit durchschnittlich gegen Güter und Dienstleistungen getauscht wird. Im Rahmen der Quantitätstheorie wird angenommen, dass V eine stabile Funktion der Nominalzinsen (R) ist. Steigen die Zinsen, steigt die Umlaufgeschwindigkeit bzw. sinkt die Geldnachfrage desPublikums. Häufig trifft man auch folgende Schreibweise an, auf die man durch eine einfache Umformung und Gleichsetzen von V = V(R) kommt: 3 Geldangebot In diesem Kapitel geht es zuerst darum, wie die Geldschöpfung sowohl durch die Zentralbank als auch durch die Geschäftsbanken (im Folgenden oft einfach Banken genannt) erfolgt. Unterkapitel 3.2 ist dann spezifisch der Geldschöpfung durch die Zentralbank, Unterkapitel 3.3, der Geldschöpfung durch die Banken gewidmet. Anschliessend wird das Zusammenspiel von Geschäftsbanken und Zentralbanken anhand von Bilanzen aufgezeigt. Unterkapitel 3.5 schliesslich befasst sich mit der Geldpolitik. 3.1 Geldschöpfungsmultiplikator Geldschöpfung ist der Prozess, in dem Geld geschaffen wird. Dieser Prozess ist zweistufig: Zum einen kann die SNB dank ihres Notenmonopols Geld schöpfen. Zum anderen können auch die Banken Buchgeld kreieren, indem sie Kredite an das Publikum (Haushalte, Unternehmen) gewähren. Die Möglichkeiten der Banken, Buchgeld zu schaffen, werden beeinflusst durch die gesetzlichen Vorschriften über die Mindestreserven und durch die Bereitschaft der SNB, die Geldversorgung zu erhöhen oder zu verknappen. Die für das Publikum relevanten breiteren Geldaggregate M1 bis M3 (siehe die Box Glossar zum Thema Geldmengen, Seite 5) kann die Zentralbank somit nur indirekt steuern, indem sie die Anforderungen an die Banken und die Notenbankgeldmenge M0 bestimmt. Es macht deshalb Sinn, folgende beiden Geldmärkte zu unterscheiden: den Interbankengeldmarkt auf der einen und den Publikumsgeldmarkt (siehe Abbildung 1) auf der anderen Seite. Zentralbank Banken Unternehmen sowie private und öffentliche Haushalte M0 M3 M2 M1 Interbankengeldmarkt Publikumsgeldmarkt Md × V = P × Y Abbildung 2: Schematische Darstellung von Interbanken- und Publikumsgeldmarkt Version September 2013 4 | 10 GELDMENGE UND PREISE «M × V = P x Y» Der Zusammenhang zwischen Notenbankgeldmenge M0, welche die Zentralbank den Banken zur Verfügung stellt, und den breiteren Geldaggregaten M1, M2 und M3, die auch tatsächlich beim Publikum ankommen, wird durch den sogenannten Geldschöpfungsmultiplikator beschrieben. Für die Geldmenge M3 sieht dieser Zusammenhang beispielsweise wie folgt aus: M3 = m3 × M0 Der Geldschöpfungsmultiplikator m3 gibt an, wie stark sich die Publikumsgeldmenge M3 verändert, wenn die Zentralbank die Notenbankgeldmenge M0 verändert. In normalen Zeiten – also dann, wenn die Banken kaum überschüssige Reserven halten bzw. aus den überschüssigen Reserven Geld schöpfen – ist der Multiplikator weitgehend stabil (in der Grafik 5 weiter unten bis etwa ins Jahr 2008 der Fall). Die Geldangebotsfunktion Die Gleichung zum Geldschöpfungsmultiplikator kann man auch als Funktion des Geldangebots im Publikumsgeldmarkt interpretieren. Dann wird besser verständlich, warum das Geldangebot in Abbildung 1 (Seite 2) nicht vom Wert des Geldes – also der Kaufkraft – beeinflusst wird und das Geldangebot deshalb als Senkrechte dargestellt ist. Glossar Geldmengen Geldaggregate Als Geldaggregate werden Geldmengen in unterschiedlichen Abgrenzungen bezeichnet. Die wichtigsten Geldaggregate der SNB sind die Notenbankgeldmenge M0 sowie die Geldmengen M1, M2 und M3. Notenbankgeldmenge M0 (oder monetäre Basis) Die Notenbankgeldmenge entspricht der Summe von Notenumlauf und Giroguthaben inländischer Geschäftsbanken bei der SNB. Notenumlauf Die Summe aller von der SNB ausgegebenen Noten wird als Notenumlauf bezeichnet. Er bildet zusammen mit den Giroguthaben der inländischen Geschäftsbanken bei der SNB die Notenbankgeldmenge. Der Notenumlauf stellt eine Verbindlichkeit der Zentralbank gegenüber dem Publikum dar und erscheint somit auf der Passivseite der Zentralbankbilanz. Giroguthaben Inländische Geschäftsbanken halten auf ihren Girokonten bei der SNB Giroguthaben als unverzinsliche Sichtguthaben. Diese Sichtguthaben gelten als gesetzliches Zahlungsmittel. Die SNB kontrolliert das Angebot an Giroguthaben durch den Einsatz der geldpolitischen Instrumente und steuert so die Notenbankgeldmenge und damit die Liquidität des Bankensystems. M1 Die SNB definiert die Geldmenge M1 als die Summe aus dem Bargeldumlauf des Publikums, den Sichteinlagen der Inländer bei Banken sowie den Einlagen auf Spar- und Depositenkonten, die vor allem Zahlungszwecken dienen (Transaktionskonten). M2 Die SNB definiert die Geldmenge M2 als Summe der Geldmenge M1 und der Spareinlagen. Ausgeklammert aus den Spareinlagen werden die gebundenen Vorsorgegelder im Rahmen der beruflichen Vorsorge (2. Säule) und der freiwilligen Eigenvorsorge (3. Säule). M3 Die SNB definiert die Geldmenge M3 als Summe der Geldmenge M2 und der Termineinlagen (Kreditoren auf Zeit und Geldmarktpapiere). Version September 2013 5 | 10 GELDMENGE UND PREISE «M × V = P x Y» 3.2 Geldschöpfung der Zentralbank Die SNB schöpft Geld, indem sie die Notenbankgeldmenge M0 steuert. In normalen Zeiten macht sie dies hauptsächlich mittels sogenannter Repogeschäfte. Bei einem Repogeschäft (Repurchase-Agreement) verkauft der Geldnehmer (Bank) Wertpapiere an den Geldgeber (SNB) zum Preis A. Gleichzeitig wird vereinbart, dass der Geldnehmer Wertpapiere derselben Gattung und Menge zu einem späteren Zeitpunkt zum Preis B zurückkauft. Es handelt sich ökonomisch gesehen um ein gesichertes Darlehen. Die Differenz im Preis stellt den Zins dar, den der Geldnehmer dem Geldgeber bezahlen muss (genannt Repozins). Die SNB kontrolliert dank ihrer Monopolstellung beides, also sowohl die Notenbankgeldmenge als auch den Repozins. die in der Wirtschaft vorhanden ist, verändert sich durch diese Einlage aber nicht. Der Sparer erhält nämlich dafür eine Gutschrift von 20 000 Franken auf seinem Konto, ein sogenanntes «Sichtguthaben», mit dem er Transaktionen tätigen kann. Alle Banken, die in der Schweiz tätig sind, haben ein Konto bei der SNB, genauer gesagt ein Girokonto, also ein Kontokorrentkonto zum Abwickeln des Zahlungsverkehrs. Auf diesem Konto sind die Banken per Gesetz verpflichtet, eine gewisse Reserve (Mindestreserve) zu halten. Zurzeit muss diese Reserve mindestens 2,5 Prozent aller Sichteinlagen des Nichtbankensektors bei der Geschäftsbank entsprechen. Geld, das die Banken auf diesem Girokonto halten müssen, können sie nicht in Form von Krediten weitergeben. Dieser Reservesatz beschränkt die Möglichkeit der Banken, Kredite zu vergeben, und damit die Möglichkeit, Geld zu schöpfen. Es gilt also: Je höher der Reservesatz, desto weniger Geld kann das Bankensystem insgesamt schöpfen. Wenn nun der Unternehmer mit den 16 000 Franken seine IT-Infrastruktur aufrüsten lässt und die dafür zuständige IT-Firma den erhaltenen Betrag bei ihrer Bank einbezahlt, wird diese wiederum einen Teil davon als Kredit ausleihen. Dies führt abermals zu einem Anstieg der Geldmenge; die Geldschöpfung geht also weiter.4 Durch die Rückzahlung von Krediten (Tilgung) wird geschaffenes Geld wieder vernichtet. 3.3 Geldschöpfung der Geschäftsbanken Der Grossteil der Geldschöpfung geschieht durch die Geschäftsbanken. Die Geschäftsbanken schaffen neues Geld, indem sie Kredite an das Publikum gewähren. Ihre Möglichkeiten, Geld zu schaffen, werden dabei beeinflusst durch die gesetzlichen Vorschriften über die Mindestreserve und durch die Bereitschaft der Nationalbank, die Geldversorgung zu erhöhen oder zu verknappen. Banken sammeln Geld von den Sparern und leihen es an Kreditnehmer aus. Durch diese Kreditvermittlung schaffen die Banken neues Geld. Wie das funktioniert, zeigt das folgende Beispiel: Nehmen wir an, ein Sparer zahlt 20 000 Franken in Noten auf sein Konto bei der Bank ein. Nun sind die Noten nicht mehr im Umlauf, sondern bei der Bank. Die Geldmenge, 4 Die Bank versucht nun, einen Teil dieses Geldes gegen Zinsen auszuleihen. Sie gibt beispielsweise 16 000 Franken als Kredit an einen Unternehmer bzw. sie schreibt das Geld auf dessen Konto gut. Damit verändert sich die Geldmenge. Der Sparer hat nämlich noch immer 20 000 Franken auf seinem Konto, zusätzlich verfügt der Unternehmer als Kreditnehmer über 16 000 Franken. Die Geldmenge hat somit um 16 000 Franken zugenommen. 3.4. Geldschöpfung anhand der Bilanzen Wie wir gesehen haben, kann die SNB via Interbankenmarkt und indirekt im Zusammenspiel mit den Banken die Geldversorgung der Schweiz steuern. Doch wie genau überträgt sich eine Zinssatzänderung via Geschäftsbanken auf den Nichtbankensektor respektive auf die Realwirtschaft? Hält eine Geschäftsbank nur die Mindestreserve auf ihrem Girokonto, kann sie keine weiteren Kredite mehr vergeben, denn sie ist dann «fully engaged», das heisst, voll ausgelastet. Wären alle Banken voll ausgelastet, könnten ohne neue Liquidität der Zentralbank (Erhöhung von M0) keine neuen Kredite vergeben werden. In der Realität halten jedoch die Banken eine gewisse Summe an überschüssigen Reserven, um Kredite vergeben zu können – oder auch als Vorsichtsmassnahme. Nehmen wir trotzdem folgendes Szenarium an: Das Bankensystem ist völlig ausgelastet und die SNB will die Liquidität erhöhen. Sie macht das mit einem sogenannten Repogeschäft. Wie funktioniert das? Die SNB erhält von den Geschäftsbanken spezielle Repowertschriften und leiht den Dabei ist wichtig, zu beachten, dass die Fähigkeit der Banken, Buchgeld zu kreieren, aufgrund der gesetzlichen Vorschriften über die Mindestreserven begrenzt wird. Im Beispiel können in der ersten Runde also nicht die ganzen 20 000 Franken weiterverliehen werden. In einer zweiten und dritten Runde ist es noch einmal weniger, da sich die Reserven in jeder Runde ein wenig erhöhen. Version September 2013 6 | 10 GELDMENGE UND PREISE «M × V = P x Y» SNB Banken Publikum Aktiva Passiva Aktiva Passiva Aktiva Passiva Repos Anleihen Gold … Banknoten Girokonto … Banknoten Girokonto Anleihen Kredite … Repos Depositen … Banknoten Depositen … Kredite Anleihen … Abbildung 3: Modellhafte Darstellung der Bilanzen von SNB, Geschäftsbanken und dem Publikum Banken im Gegenzug verzinsliches Geld auf deren SNBGirokonti. Die Notenbankgeldmenge M0 hat sich damit erhöht. Die Banken sind nun nicht mehr völlig ausgelastet, das heisst, sie haben mehr Geld auf ihrem Konto, als es die Mindestreserve verlangt. Sie haben also wieder Geld, mit dem sie Vermögenswerte kaufen oder Kredite vergeben können. Für eine modellhafte Darstellung im Überblick siehe Abbildung 3 oben. Durch den Kauf von Unternehmensanleihen oder durch die Vergabe von Krediten erhöhen sich die Depositen (der Kontostand der Bankkunden) und gleichzeitig steigen damit auch die breiteren Geldmengenaggregate (M1–M3). Wichtig dabei: Durch die Repogeschäfte zwischen der SNB und den Banken erhöhen sich zwar kurzfristig die überschüssigen Reserven der Banken, was ihnen ermöglicht, mehr Anleihen und Kredite zu vergeben. Aufgrund der daraus folgenden Erhöhung der Depositen muss die Bank aber wieder etwas mehr Reserven auf dem Girokonto bei der SNB halten. Denn die Reserven beziehen sich auf die Guthaben (Depositen), die Bankkunden bei der Bank halten. Die Banken können also nur so lange Kredite vergeben oder Anleihen kaufen, bis ihre Reserven wieder auf das gesetzliche Minimum gesunken sind. 3.5 Geldpolitik Das Verständnis für den Geldschöpfungprozess bzw. für das Entstehen des Geldangebots ist eine wichtige Voraussetzung, um die Geldpolitik zu verstehen. Doch allein die Kenntnisse über den Publikums- und Interbankengeldmarkt genügen noch nicht, um zu verstehen, durch welchen Kanal die Geldpolitik das Preisniveau beeinflusst, denn die Kausalkette beim sogenannten Transmissionsmechanismus der Geldpolitik ist einiges komplexer. Insbesondere wäre es falsch, zu glauben, dass die Geldpolitik die Preise 5 vorwiegend über die Notenbankgeldmenge M0 und die Publikumsgeldmengen (M0 M1, M2, M3 P) beeinflusst. Die Geldpolitik kann nämlich die Preise über einen weiteren Kanal beeinflussen. Um die Zusammenhänge zu verstehen, muss man zunächst erkennen, welche Rolle die Erwartungen in Bezug auf die Kaufkraft des Geldes spielt. Inflationserwartungen Die Erwartungen, die sich das Publikum bezüglich des zukünftigen Geldwertes bildet, sind für den Transmissionsmechanismus der Geldpolitik von zentraler Bedeutung. Sobald eine Geldentwertung erwartet wird, verlangen die Kreditgeber höhere Zinsen.5 Die höheren Zinsen führen zu einer Verringerung der Geldnachfrage (vgl. Unterkapitel 2.3, Seite 3). Dies führt, wie Abbildung 1 (Seite 2) zeigt, zu einer Geldentwertung. Aber schon die blosse Erwartung einer Geldentwertung kann zu einer Geldentwertung führen; man sprich von einer «self-fulfilling prophecy», einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Die Rolle von Inflationserwartungen war in historischen Phasen hoher Inflation (oder Deflation) besonders deutlich zu spüren. Um die Inflations- bzw. Deflationserwartungen des Publikums unter Kontrolle zu halten, ist es wichtig, dass eine Zentralbank sich zum Ziel der Preisstabilität bekennt und dieses Ziel glaubwürdig verfolgt. Gelingt ihr das, kann sie die Erwartungen des Publikums an die Kaufkraft des Geldes beeinflussen. Zinskanal Hat eine Zentralbank die Inflationserwartungen unter Kontrolle, spricht man davon, dass die Erwartungen gut «verankert» sind. In diesem Fall hat die Zentralbank einen starken Einfluss auf die Konsum- und Investitionsentscheidungen der Haushalte und Unternehmungen, indem sie den Zins Wenn die Kreditgeber erwarten, dass das Preisniveau kontinuierlich zunehmen wird, werden sie einen höheren Zinssatz verlangen, weil ihr Kredit später ja mit «entwertetem» Geld zurückbezahlt wird. Die Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang vom «Fisher-Effekt», benannt nach dem berühmten amerikanischen Ökonomen Irving Fisher (1867–1947). Version September 2013 7 | 10 GELDMENGE UND PREISE «M × V = P x Y» auf dem Interbankenmarkt bewegt. Die Zentralbank hat in dieser Situation nämlich nicht nur Einfluss auf die Nominalzinsen, sondern auch – da die Inflationserwartungen ja «verankert» sind – auf die Realzinsen, welche für die Konsum- und Investitionsentscheidungen von Haushalten und Unternehmungen ausschlaggebend sind. Sie beeinflusst damit den Gang der Konjunktur und der Preisbildung. Eine gute Konjunkturlage begünstigt nämlich das Entstehen von Inflation, und umgekehrt wirkt eine schwache Konjunkturlage dämpfend auf die Inflation.6 Eine Zentralbank, die glaubwürdig das Ziel der Preisstabilität befolgt, beeinflusst folglich über den Zinskanal sowohl die Transaktionsmengen als auch die Preise. Weil Nominalzins, Transaktionsmenge und Preise gegeben sind, ist auch die Geldnachfrage bestimmt; und das Geldangebot auf dem Publikumsgeldmarkt wird durch die Zentralbank entsprechend angepasst. Dies wiederum legt – über den in normalen Zeiten weitgehend stabilen Geldmultiplikator – die Nachfrage nach Zentralbankgeld M0 durch die Banken fest. Um ihre Zinspolitik nicht zu durchkreuzen, befriedigt die Zentralbank diese Nachfrage nach Zentralbankgeld und passt M0 an. Die Geldmengen passen sich nach der Kausalkette P M3, M2, M1 M0 an. Geldmengenkanal Verliert eine Zentralbank ihre Glaubwürdigkeit, verliert sie auch die Kontrolle über die Erwartungen und den Gang der Wirtschaft.7 Die Zentralbank kann in einem solchen Fall eine Inflation nur noch über eine Reduktion des Angebots an Geld auf dem Publikumsgeldmarkt vermeiden (M0 M1, M2, M3 P). Diese Art restriktiver Geldpolitik wurde in der Vergangenheit auch als «Cold-turkey monetary policy» bezeichnet. Dies, weil die sogenannte Resorption (das Aufsaugen) von Liquidität für eine Volkswirtschaft eine sehr «harte Medizin» darstellt – ähnlich einem kalten Entzug für einen Drogenabhängigen. Der Grund liegt darin, dass die Zinsen in diesem Fall besonders stark angehoben werden müssen. Weil der Zinsanstieg gleichzeitig eine Abnahme der Publikumsgeldnachfrage bewirkt (vgl. Kapitel 2, Seite 3), führt die 6 7 8 Reduktion des Geldangebots auf dem Interbankenmarkt erst ab einem bestimmten Ausmass zur gewünschten Erhöhung der Kaufkraft des Geldes. Ein solch massiver Zinsanstieg wirkt sich aber auf den Gang der Wirtschaft sehr negativ aus. Quantitative Easing (mengenmässige Lockerung) Die Transmission über den Zinskanal kann noch aus einem zweiten Grund versagen, nämlich dann, wenn die Zinsen die sogenannte Untergrenze (Zero lower bound) erreicht haben. In dieser Situation ist es der Geldpolitik nicht mehr möglich, den Zins auf dem Interbankengeldmarkt (im Fall der SNB: den Repozins) weiter zu senken.8 Dennoch kann die Zentralbank auf die Wirtschaft Einfluss nehmen, indem sie die langfristigen Zinssätze beeinflusst. Dies, indem sie einerseits die Erwartungen über die Entwicklung der kurzfristigen Zinssätze beeinflusst (im Fachjargon «forward guidance» genannt) und andererseits indem sie in anderen Märkten als dem Interbankengeldmarkt tätig wird und so auf direktem Weg die langfristigen Zinssätze beeinflusst, beispielsweise mittels Obligationenkäufen (Stichworte «quantitative easing» und «operation twist»). Auch Devisenkäufe gehören zu diesem «Waffenarsenal». (Die genaue Analyse der Wirkung der Geldpolitik über diese unkonventionellen Kanäle würde den Rahmen dieses iconomix-Bausteins sprengen.) 4 Geldpolitik seit der Finanzkrise 2007/2008 In diesem letzten Kapitel untersuchen wir in Form einer Fallstudie die Wirkung der Finanzkrise von 2007/2008 und deren Einfluss auf die Geldmengen- und Preisentwicklung in der Schweiz sowie auf die Politik der Nationalbank. 4.1 Viel neues Zentralbankgeld Im Zuge der Finanzkrise 2007/2008 erhöhte sich in der Schweiz die Notenbankgeldmenge stark (siehe Abbildung 4). Das Verhältnis zwischen den breiteren Geldmengenaggregaten und der Notenbankgeldmenge – welches im Geldschöfpungsmultiplikator zum Ausdruck kommt – ging stark zurück (siehe Abbildung 5). Was waren die Gründe? Die Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von der Phillips-Kurven-Beziehung. Sie steht im Zentrum des iconomix-Moduls «Geldpolitik» mit dem Simulationsspiel «Mopos». Die Zentralbank kann zwar noch den Nominalzins (im Fall der SNB: den Repozins) kontrollieren, sie verliert aber die Kontrolle über den Realzins. Der Grund: Wenn die Glaubwürdigkeit weg ist, hat die Zentralbank keinen Einfluss mehr auf die Inflationserwartungen. Sie verliert damit ihren Einfluss auf die Konsum- und Investitionsentscheidungen von Haushalten und Unternehmungen. Ein Senken unter das Zinsniveau von null würde die meisten Marktteilnehmer dazu veranlassen, lieber Banknoten zu horten, als einen Verlust auf ihren Anlagen hinzunehmen. Version September 2013 8 | 10 GELDMENGE UND PREISE «M × V = P x Y» In normalen Zeiten liegen die Reserven der Geschäftsbanken nur knapp über der gesetzlichen Vorgabe. Seit der Finanzkrise 2007/2008 haben sich die sogenannten Überschussreserven aber um ein Vielfaches erhöht. Die Banken weisen also heute bewusst eine hohe Reservequote vor. Das bedeutet: Die Nachfrage nach Notenbankgeld ist seit der Finanzkrise 2007/2008 stark gestiegen. geldmengenaggregate geldmengenaggregate Der Grund liegt darin, dass die Finanzkrise die Banken stark verunsichert hat. Die Banken haben Angst, dass sie Verluste einfahren, wenn sie dem Publikum oder anderen Banken Geld ausleihen (gestiegenes Gegenparteirisiko). Deshalb lassen sie das Geld, das sie von der Zentralbank bekommen, lieber auf ihrem Girokonto bei der SNB, denn dort ist es am sichersten. Ausserdem ist es eine gute Reserve, falls unvorhergesehene Ereignisse eintreten sollten. Mit dem Geld, das geldmengenaggregate die Geschäftsbanken auf ihren Girokonti horten, wird aber in Mrd. CHF Mrd. CHF in Mrd. CHF in in Mrd. CHF kein Publikumsgeld (M1-M3) geschöpft. Deshalb sind die 400 900 400 400 Geldmultiplikatoren gesunken (siehe Abbildung 5, Seite 9). 350 in Mrd. CHF in Mrd. CHF 900 900 800 800 350 350 800 700 300 700 300 300 700 Hätte die SNB in dieser Situation die zusätzliche Nachfrage 600 250 600 250 600 250 nicht befriedigt und die Notenbankgeldmenge M0 nicht enorm 500 200 500 200 200 500 ausgedehnt, wären die breiten Geldmengenaggregate massiv 400 150 400 150 150 400 geschrumpft. Bei unveränderter Publikumsgeldnachfrage 300 100 300 100 300 100 hätte dies dazu geführt, dass die Kaufkraft des Geldes stark 200 50 200 50 200 50 gestiegen und die Wirtschaft in eine Deflation geschlittert 100 0 100 0 100 0 wäre; eine angesichts der drohenden scharfen Rezession 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 äusserst unerwünschte Entwicklung. Um dies zu verhindern, M0 (rechte Skala) M2 (linke Skala) M0 (rechte Skala) M2 (linke Skala) M0 (rechte Skala) M2 (linke Skala) erhöhte die SNB die Notenbankgeldmenge M0 im erforderM1 (linke Skala) M3 (linke Skala) M1 (linke Skala) M3 (linke Skala) M1 (linke Skala) M3 (linke Skala) Quelle: SNB Quelle: SNB Quelle: SNB Abbildung 4: Geldmengenaggregate geldmultiplikatoren geldmultiplikatoren 16 14 12 10 16 14 12 10 lichen Ausmass. Sie tat dies, indem sie den Geschäftsbanken mehr Geld zu tieferen Zinsen zur Verfügung stellte. 4.2 Keine Inflationsgefahr In den Jahren 2008 bis 2013 hat sich die Notenbankgeldgeldmengenaggregate menge M0 versiebenfacht, während die reale Wirtschaftsin Mrd. CHF in Mrd. CHF leistung bloss um rund 5% gewachsen ist. Diese Aufblähung 900 400 der Notenbankgeldmenge hat aber bis heute zu keinem An800 350 stieg des allgemeinen Preisniveaus geführt. Weshalb nicht? 700 300 600 250 Wie bereits aufgezeigt, liegt der Grund darin, dass ein 200 8 Grossteil der neu geschaffenen Geldmenge durch die Ge400 150 6 schäftsbanken bei der SNB gehortet wird und daher keine 6 300 100 4 Kaufkraft entwickelt, also auch nicht inflationär wirkt. Das 4 200 50 2 kann sich jedoch ändern, sollte die Weltwirtschaft anziehen 2 100 0 (Stichwort Nachfrage-Entwicklung aus dem Ausland). So0 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 0 bald es Anzeichen für Inflation gibt, wird die SNB reagieren 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 M2 (linke Skala) 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12M0 13(rechte Skala) und die Notenbankgeldmenge wieder abschöpfen. Dazu M1 M2 M3 M1 (linke Skala) M3 (linke Skala) M1 M2 M3 kann sie Aktiven verkaufen oder sogenannte SNB-Bills9 Quelle: SNB Quelle: SNB Quelle: SNB ausgeben. Damit kann sie Liquidität aus dem System Abbildung 5: Geldmultiplikatoren nehmen. Das Timing dieser Abschöpfung ist u. a. deshalb entscheidend, weil die SNB, wie wir oben gesehen haben, zwar die Notenbankgeldmenge direkt, die breiteren Geldmengenaggregate aber nur indirekt beeinflussen kann. 8 9 500 SNB-Bills sind Schuldverschreibungen der SNB mit Laufzeit bis zu einem Jahr. Sie sind seit Oktober 2007 Teil des geldpolitischen Instrumentariums und dienen im Rahmen der Steuerung der Giroguthaben zur Abschöpfung von Liquidität. Version September 2013 9 | 10 GELDMENGE UND PREISE «M × V = P x Y» Einführung des Mindestkurses Im Zuge der Europäischen Schuldenkrise kam es zu einer raschen und starken Aufwertung des Schweizer Frankens, mit Höhepunkt im Sommer 2011. Ein Wachstumseinbruch und Deflationstendenzen waren für die Schweiz sehr reale Risiken. Vor diesem Hintergrund sah sich die SNB veranlasst, am 6. September 2011 einen Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro festzulegen. Warum gerade 1.20? Das gewählte Niveau orientierte sich an folgenden Kriterien: Erstens musste es für die Schweizer Wirtschaft verkraftbar sein und die Deflationsrisiken deutlich reduzieren. Zweitens musste der Franken beim Mindestkurs immer noch hoch bewertet bleiben. Nur dann würden die Finanzmärkte den gewählten Mindestkurs als plausibel und die Geldpolitik der SNB als glaubwürdig betrachten. In den ersten Monaten nach der Einführung notierte der Euro-Franken-Kurs von selber oberhalb des Mindestkurses von 1.20. Im Frühjahr und Sommer 2012 wurde der deklarierte Wille der SNB, den Mindestkurs zu verteidigen und dazu bei Bedarf Devisen in unbegrenzter Höhe zu erwerben, jedoch getestet. Grund für die erhöhte Nachfrage nach Franken war die erneute Verunsicherung über die Zukunft des Euros. Insbesondere in den kritischen Monaten Mai bis August 2012 musste die SNB den Mindestkurs mittels umfangreicher Devisenkäufe durchsetzen. Insgesamt erwarb die SNB im Jahr 2012 Devisen im Gegenwert von 188 Mrd. Franken. Zum Vergleich: Das Schweizer BIP beläuft sich auf gegen 600 Mrd. Franken. Diese Interventionspolitik führte automatisch zu einer nochmaligen Ausweitung der Notenbankgeldmenge M0, da die SNB die Eurokäufe mit Franken bezahlt, was sich entsprechend in den Guthaben der Banken bei der SNB niederschlägt. Risiken bei langen Phasen extrem tiefer Zinsen Seit der Finanzkrise von 2007/2008 weitete sich nicht nur die Notenbankgeldmenge M0 stark aus. Es sanken auch die Zinsen am Interbankenmarkt – und auch auf dem Kreditmarkt, namentlich dem Hypothekarkreditmarkt – auf ein extrem tiefes Niveau. Die SNB warnt seit einiger Zeit davor, dass diese Entwicklung in eine Immobilien- und Hypothekenblase zu münden droht, was ein Risiko für die Finanzstabilität darstellt. Daher wären höhere Zinsen wünschenswert. Die Lage der Gesamtwirtschaft erlaubt jedoch zurzeit keine Straffung der Geldpolitik. Diese lange Phase tiefer Zinsen hat Schattenseiten. So hat sie in der Schweiz zu einem Immobilienboom beigetragen. Wie muss man sich das vorstellen? Der grösste Teil der neu geschaffenen Notenbankgeldmenge M0 gelangt zwar, wie oben erwähnt, nicht in den Umlauf. Doch ein gewisser Teil ist beim Publikum (den Unternehmungen und Haushalten) angekommen. Dies führte nicht etwa zu höheren Konsumentenpreisen (diese waren im Gegenteil phasenweise sogar rückläufig) oder Löhnen, sondern das Geld wurde u. a. auf den Vermögensmärkten, namentlich am Immobilienmarkt, angelegt – was dort zu einem Preisanstieg beigetragen hat. Als Alternativen bieten sich sogenannte makroprudenzielle Massnahmen an. Die Schweizer Regierung hat daher (im Februar 2013) auf Vorschlag der SNB einen antizyklischen Kapitalpuffer von 1 Prozent auf Hypotheken für Wohnliegenschaften aktiviert. Ab September 2013 müssen diese mit mehr Eigenkapital unterlegt werden. Man verspricht sich davon eine Stärkung der Bankbilanzen eine Abschwächung des Hypothekarkreditwachstums sowie eine Signalwirkung. Version September 2013 10 | 10