Ltd. Ministerialrat Dr. Lars Brocker Mainz, 12. Januar 2006

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Ltd. Ministerialrat Dr. Lars Brocker
Mainz, 12. Januar 2006
Stellungnahme
zur Anhörung in der 64. Sitzung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin am
19. Januar 2006
zu den Änderungsanträgen vom 1.12.2005 zu Drs. 15/2515/2516
A. Vorbemerkung
Das Petitionsrecht garantiert für den Bürger jenseits formaler Verwaltungs-, Rechtsbehelfsund Gerichtsverfahren ganz allgemein das Recht, sich mit Anliegen an die Behörden und
Volksvertretungen zu wenden, ohne einer Fristbindung zu unterliegen, ohne mit einem Kostenrisiko belastet zu werden und ohne dass eine individuelle Beschwer des Petenten vorliegen
müsste. Hierdurch kommt dem Petitionsgrundrecht nicht nur eine eigenständige Bedeutung
im System des Rechtsschutzes zu, sondern eröffnet vor allem die Möglichkeit der Einflussnahme auf die politische Willensbildung, was ganz besonders für Parlamentspetitionen gilt,
und verstärkt die Rückkopplung zu Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung. Der damit verbundenen integrativen Wirkung des Petitionswesens kommt dabei eine besondere Bedeutung zu1.
Die zentrale Rolle in diesem System kommt den Petitionsausschüssen der Parlamente zu. Bei
ihm wird im Parlament die Behandlung von Petitionen konzentriert. Der Petitionsausschuss
ist als Organ des Parlaments ein Instrument der parlamentarischen Kontrolle2. Das Petitionsgrundrecht ist das einzige verfahrensmäßige Grundrecht, das unmittelbar zum Parlament
1
W. Graf Vitzthum/W. März, JZ 1985, 809; H. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 10. Aufl. (2004), Art.
17 Rdnr. 2.
2
W. Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretungen, 1985, S. 45 u. 47; G. Kretschmer, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG, 10. Aufl. (2004), Art. 45 c Rdnr. 5.
2
führt3. Dem Bürger wird somit die Möglichkeit gegeben, eine durch ihn veranlasste
parlamentarische Kontrolle der Exekutive auszulösen. Obschon der Petitionsausschuss kein
Einstandsrecht hat, d.h. die Möglichkeit einer Petition selbst abzuhelfen, sondern im wesentlichen auf eine informative Kontrolle beschränkt ist, bildet er das zentrale Forum, in dem sowohl die berechtigten Anliegen der Bürger unterstützt als auch Beweggründe der Behörden
und Gerichte erkundet und dem Petenten erläutert werden, falls sich ein Ausgleich nicht erreichen lässt4. Der Petitionsausschuss erfüllt damit gleichermaßen eine Integrations- wie eine
Kontrollfunktion5. Dem Parlament stehen daher gegenüber der Exekutive unmittelbar aus der
Verfassung das Petitionsüberweisungsrecht und das Petitionsinformationsrecht zu, ohne die es
seine o.g. Aufgabe nicht erfüllen könnte.
B. Stellungnahme
I. Petitionsrecht und Privatisierung
Die Kontrollfunktion des parlamentarischen Petitionswesens ist nicht nur prägend für dessen
rechtliche Natur, sondern markiert als Ausfluss des Gewaltenteilungsgrundsatzes gleichzeitig
eine wesentliche Grenze des Petitionsrechts. Der Gewaltenteilungsgrundsatz und das Petitionsgrundrecht sind gleichermaßen Grund wie auch Begrenzung des Petitionsüberweisungsund Petitionsinformationsrechts des Parlaments6. Das Petitionsüberweisungs- und vor allem
das für die Praxis so wichtige Petitionsinformationsrecht, also die Befugnis des Parlaments,
sich über den der Petition zugrundeliegenden Sachverhalt zu informieren und von der Regierung oder dem zuständigen Minister diejenigen Auskünfte zu verlangen, die es zur sachgemäßen Bearbeitung und Bescheidung einer Eingabe benötigt, sind nicht nur auf den verbandskompetenziellen Bereich des Parlaments beschränkt, sondern auch durch die Zuständigkeit der Exekutive. Gegenstand des Petitionsrechts ist nämlich vom Grundsatz her das Verhalten öffentlicher Stellen, nicht dagegen das Verhalten privater Einrichtungen7.
Hierin liegt das zentrale Problem der Privatisierung ehemals staatlicher Aufgaben in Bezug
auf das Petitionsrecht, da sich als Folge dieser Umwandlung nach einer verbreiteten Auffas3
P.J. Glauben, DRiZ 1991, 229.
G. Kretschmer (o. Fußn. 2), Art. 45 c Rdnrn. 1 u. 5.
5
N. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 455; G. Kretschmer (o. Fußn. 2), Art. 45 c Rdnrn. 1 a.E.
6
L. Brocker, in: Grimm/Caesar, Verf. für Rh.-Pf., 2001, Art. 90 Rdnr. 3.
7
P.J. Glauben, ZParl 29 (1998), 496 (505 f.).
4
3
sung die privatrechtlich organisierten Einrichtungen des Staates dem Zugriff des Petitionsausschusses entziehen8. In privatwirtschaftlichen Verhältnissen sei für das Petitionsgrundrecht
kein Platz und das private Unternehmen daher auch nicht gegenüber dem Petitionsausschuss
auskunftspflichtig9. Ein Informationsrecht des Petitionsausschusses bestehe in diesen Fällen
nicht, obschon er nicht aus der Verpflichtung entlassen sei, den Petenten zu bescheiden10
Dem wird zwar überzeugend entgegengehalten, dass jedenfalls dann, wenn sich private Einrichtungen in der Trägerschaft der öffentlichen Hand befinden, der Träger über seine Einwirkungsmöglichkeiten dazu angehalten werden kann, das Verhalten der privaten Gesellschaft im
Sinne des Petenten zu beeinflussen. Insoweit dürfte im Hinblick auf die einzelne Petition, die
sich gegen ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft richtet, auch eine Pflicht zur Stellungnahme gegenüber dem Petitionsausschuss bestehen11.
Ungeachtet der Frage, welcher Auffassung der Vorzug gebührt, steht jedenfalls fest, dass –
und sei es auch nur faktisch – die Privatisierung staatlicher Aufgaben „petitionsgrundrechtliche Nebenwirkungen“12 zeitigt. Dies gilt vor allem dann, wenn eine Aufgabe nicht nur formell (= Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe in Rechtsformen des Privatrechts unter Beibehaltung der Rechtsnatur der Aufgabe), sondern materiell (= Rückzug des Staates aus dem
Tätigkeitsbereich und dessen Überlassung an Private) privatisiert wird13. Die Warnung,
Privatisierungen führten ohne begleitende Maßnahmen durch eine Verminderung des Petitionsinformationsrechts zur „Ausdünnung der Kontrolle“14 und der Appell, Privatisierung nicht
mit einer „Preisgabe parlamentarischer Hausgüter“ einhergehen zu lassen15 und „die Fortdauer der Kontrolle sicherzustellen“16, sind nur zu berechtigt.
8
W. Graf Vitzthum/W. März, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik
Deutschland, 1989, § 45 Rdnr. 40; M. Heintzen, in: Festschr. für Leisner, 1999, S. 537 ff.
9
M. Heintzen, in: Festschr. für Leisner, 1999, S. 545 f. für die Postunternehmen.
10
E. Röper, in: Bockhofer, Mit Petitionen Politik verändern, 1999, S. 325 = ZParl 30 (1999), 748 (754).
11
BremStGH, NVwZ-RR 1997, 145 (146 ff.); P.J. Glauben, ZParl 29 (1998), 496 (506).
12
So M. Heintzen, in: Festschr. für Leisner, 1999, S. 551.
13
Vgl. zur Unterscheidung M. Heintzen, in: Festschr. für Leisner, 1999, S. 542 f.
14
So E. Röper, in: Bockhofer, Mit Petitionen Politik verändern, 1999, S. 323 = ZParl 30 (1999), 748 (753).
15
P.J. Glauben, ZParl 29 (1998), 496 ff.
16
E. Röper, in: Bockhofer, Mit Petitionen Politik verändern, 1999, S. 328 = ZParl 30 (1999), 748 (757); ähnl. S.
Aulepp, in: Bockhofer, Mit Petitionen Politik verändern, 1999, S. 338.
4
II. Sicherung der petitionsveranlassten Kontrolle bei Privatisierungen
1. Regelungszusammenhang und Regelungsbedürfnis
Die vorliegenden Änderungsanträge der im Abgeordnetenhaus von Berlin vertretenen Fraktionen sind – nicht zuletzt ausweislich der Begründung17 - erkennbar von dem Willen getragen,
die Fortdauer der petitionsveranlassten parlamentarischen Kontrolle im Hinblick auf privatrechtlich organisierte Unternehmen, die ganz oder mehrheitlich dem Land gehören, sicherzustellen. Das Abgeordnetenhaus nimmt damit seine Verantwortung wahr, die Effektivität des
Petitionsgrundrechts für den Bürger zu erhalten. Es trägt dem „Interesse der Bevölkerung an
wirksamen Petitionen auch bei privatrechtsförmiger öffentlicher Verwaltung“18 Rechnung
und verhindert eine „Flucht ins Privatrecht“19, die zu einem weitgehenden Leerlaufen des
Petitionsrechts in diesem Bereich führen könnte.
Zwar ließe sich, wie bereits dargelegt, mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass bereits nach jetziger Verfassungslage gemäß Art. 46 Satz 3 der Verfassung für Berlin im Hinblick auf diese nur formell privatisierten Unternehmen ein ungeschmälertes Petitionsinformationsrecht des Parlaments besteht20. Ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen ist nämlich
auch in seinem privatrechtlichen Handlungsbereich dann als Träger öffentlicher Verwaltung
zu qualifizieren, wenn es öffentliche Aufgaben unter dem maßgeblichen Einfluss der öffentlichen Hand wahrnimmt21. Hierfür ist nach der Rechtsprechung des BremStGH keineswegs in
jedem Fall eine unbedingte „dominierende Stellung der öffentlichen Hand“ erforderlich, sondern im Einzelfall durchaus das Gegebensein einer bloßen „öffentlichen Einflusssicherung“
ausreichend22. Die parlamentarische Kontrolle als Bestandteil des Demokratieprinzips erstreckt sich damit auch auf private Rechtsträger, wenn sie sich ganz oder teilweise in der Trägerschaft der öffentlichen Hand befinden und öffentliche Aufgaben erfüllen23.
Besonderen Geheimhaltungsinteressen, die im Einzelfall bestehen könnten, hat das Parlament
durch geeignete Vorkehrungen – wie bei anderen Formen der parlamentarischen Kontrolle
17
Drs. 15/2515, S. 2.
E. Röper, in: Bockhofer, Mit Petitionen Politik verändern, 1999, S. 327 = ZParl 30 (1999), 748 (756).
19
BremStGH, NVwZ-RR 1997, 145 (147); E. Röper, ebd.
20
A.A. offenbar H. Lemmer, in: Pfennig/Neumann, Verf. von Berl., 3. Aufl. (2000), Art. 46 Rdnr. 3; unklar A.
Korbmacher, in: Driehaus, Verf. von Berl., 2002, Art. 46 Rdnr. 5.
21
BremStGH, NVwZ-RR 1997, 145 (147).
22
BremStGH, NVwZ-RR 1997, 145 (147 f.).
23
P.J. Glauben, ZParl 29 (1998), 496 (508).
18
5
auch - ggf. Rechnung zu tragen24. Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist insoweit
gegenüber Privaten, soweit sie grundrechtsfähig sind, zu beachten25. Insoweit kann für das
Petitionswesen durchaus auf die für parlamentarische Untersuchungsausschüsse entwickelten
Geheimhaltungsgrundsätze und –modi zurückgegriffen werden26. Auf jeden Fall gilt aber
auch insoweit, dass der Geheimnisschutz „vor allem grundsätzlich nicht gegen, sondern mit
dem Parlament zu realisieren“ ist27.
Diese Auffassung ist allerdings, wie gezeigt, rechtlich durchaus nicht unumstritten. Vor allem
aber die in der Begründung des Ursprungsantrags beschriebene Problematik, dass dem Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin häufig Probleme im Zusammenhang mit
privatrechtlich organisierten Unternehmen, die ganz oder mehrheitlich dem Land Berlin gehören, vorlägen und es in diesen Sachen bereits zu Auskunftsverweigerung gekommen ist28,
lässt gleichwohl ein Tätigwerden des Gesetzgebers geboten erscheinen.
2. Orientierung an Art. 90 a Abs. 2 Satz 2 der Verfassung für Rheinland-Pfalz
Dabei ist die Orientierung an der Regelung, wie sie in Art. 90 a Abs. 2 Satz 2 der Verfassung
für Rheinland-Pfalz niedergelegt ist, ausdrücklich zu begrüßen. Diese durch Gesetz vom 24.
Februar 1971 in die Verfassung eingefügte Regelung wird insoweit in der Literatur zurecht
ausdrücklich als vorbildlich bezeichnet, da sie die privatrechtsförmige öffentliche Verwaltung
explizit als petitionsfähig qualifiziert29. Die parlamentarischen Kontrollrechte werden, was
das Handeln der Exekutive in Privatrechtsform oder durch Private anbelangt, dadurch ausdrücklich gestärkt30. Soweit ersichtlich ist es in der Arbeit des Petitionsausschusses und des
Bürgerbeauftragten31 seitdem nicht zu ernsthaften Konflikten mit der Regierung oder den entsprechenden privatrechtlichen Einrichtungen über die Reichweite des Petitionsinformations-
24
P.J. Glauben, ZParl 29 (1998), 496 (509); S. Aulepp, in: Bockhofer, Mit Petitionen Politik verändern, 1999, S.
339.
25
U. Di Fabio, BayVBl. 1999, 449 (452 f.)
26
So zurecht S. Aulepp, in: Bockhofer, Mit Petitionen Politik verändern, 1999, S. 339; vgl. im übrigen P.J.
Glauben, in: ders./Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern,
2005, § 11 Rdnrn. 1 ff.
27
Rösch, Geheimnisschutz in der Demokratie, Diss. iur. Jena 1997, S. 245 ff. m.w.Nachw.
28
Drs. 15/2515, S. 2.
29
Vgl. E. Röper, in: Bockhofer, Mit Petitionen Politik verändern, 1999, S. 331 = ZParl 30 (1999), 748 (759 f.).
30
L. Brocker, in: Grimm/Caesar, Verf. für Rh.-Pf., 2001, Art. 90 a Rdnr. 30.
31
Vgl. zu dessen Stellung L. Brocker, in: Grimm/Caesar, Verf. für Rh.-Pf., 2001, Art. 90 a Rdnrn. 8 ff.
m.w.Nachw.
6
rechts gekommen. Auch in dem jüngsten Bericht des Bürgerbeauftragten spielt diese Thematik erfreulicherweise keine Rolle32.
Allerdings erscheint eine kleine sprachliche Veränderung im Hinblick auf die Übernahme der
Regelung des Art. 90 a Abs. 2 Satz 2 der Verfassung für Rheinland-Pfalz veranlasst. Soweit
die Bestimmung davon spricht, dass die Verpflichtungen nur dann bestehen, soweit die genannten Privaten „unter der Aufsicht des Landes öffentlich-rechtliche Tätigkeit ausüben“,
könnte der Begriff der „Aufsicht“ Anlass zu einer unnötig engen und ausweislich der Begründung des Ursprungsantrags auch kaum gewollten Interpretation Anlass geben. Zu Art. 90 a
Abs. 2 Satz 2 der Verfassung für Rheinland-Pfalz wird nämlich im Hinblick auf den Wortlaut
der Norm die Auffassung vertreten, dass die Befugnisse des Parlaments nur dann bestehen,
wenn ein formales Aufsichtsrecht des Landes gegeben ist33. Dem wird zwar entgegengehalten, dass der Begriff der „Aufsicht des Landes“ unter der Direktive der Optimierung des Petitionsgrundrechts und der Effektivität petitionsveranlasster parlamentarischer Kontrolle verstanden werden muss und es daher nach diesen Grundsätzen geboten ist, den Begriff der Aufsicht nicht in einem streng formellen Sinne zu verstehen, sondern in einem materiellen, alle
rechtlich eröffneten Einwirkungsmöglichkeiten umfassenden Sinne34. Eine begriffliche
Präzisierung wäre – insbesondere bei einer Neuregelung - gleichwohl wünschenswert, da
dann entsprechende Auslegungsfragen hinfällig wären.
3. Vorschlag
Es wird daher abschließend vorgeschlagen, in Anlehnung an die grundlegende Entscheidung
des BremStGH anstelle der Worte „der Aufsicht“ die Worte „maßgeblichem Einfluss“35 zu
verwenden und die Änderungsanträge im übrigen unverändert zu beschließen.
-------------------------Ausschuss-Kennung : Rechtgcxzqsq
32
Vgl. LT-Drs. 14/3947.
So H. Monz, Der Bürgerbeauftragte, Komm. zum LG über den Bürgerbeauftragten des Landes Rh.-Pf., 1982,
§ 4 Anm. 1.
34
So L. Brocker, in: Grimm/Caesar, Verf. für Rh.-Pf., 2001, Art. 90 a Rdnr. 32 unter Bezugnahme auf
BremStGH, NVwZ-RR 1997, 145 (146 f.).
35
BremStGH, NVwZ-RR 1997, 145.
33
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