M E D I Z I N Gerd Heusch 1 Raimund Erbel 2 Zusammenfassung Die Ruptur eines atherosklerotischen Plaques in den Koronargefäßen resultiert nicht immer in thrombotischem Gefäßverschluss und Herzinfarkt, sondern kann auch zur Embolisation atherosklerotischen Debris in die koronare Mikrozirkulation führen. Eine koronare Mikroembolisation tritt spontan und im Rahmen koronarer Interventionen auf. Sie kann perakut Arrhythmien bis hin zum akuten Herztod auslösen. Subakut bis chronisch können Mikroinfarkte mit fibrotischem Ersatz, kontraktile Dysfunktion und eine Einschränkung der Koronarreserve die Folge sein. Experimentelle Untersuchungen belegen eine kausale Bedeutung inflammatorischer Prozesse für die Manifestationen einer koronaren Mikroembolisation. Protektionskatheter und eine antiinflammatorische Behandlung erscheinen viel versprechende Maßnahmen gegen koronare Mikroembolisation und ihre Konsequenzen zu sein. Koronare Mikroembolisation D ie Atherosklerose ist nicht nur eine chronisch und langsam progrediente, sondern auch eine ausgesprochen dynamische Erkrankung. Die Gefäßwand wird nicht nur durch Fetteinlagerung, Proliferation von glatten Muskelzellen und bindegewebigen Umbau mit Kalkeinlagerung steifer und dicker; aktive inflammatorische Prozesse mit Auflösung des Gewebes durch Matrixproteinasen, apoptotischem Zelluntergang und Neovaskularisation bestimmen die (In-)Stabilität des Plaques. Plaqueruptur in einer Koronararterie die koronare Mikrozirkulation führen kann. Eine solche koronare Mikroembolisation kann spontan, aber auch im Rahmen koronarer Interventionen auftreten. Autoptischer Nachweis einer koronaren Mikroembolisation Systematische postmortale Angiographien und histologische Analysen bei Patienten, die an den Folgen einer koronaren Herzkrankheit verstorben wa- Schlüsselwörter: koronare Herzkrankheit, koronare Mikroembolisation, Angiographie, Plaqueruptur Summary Embolization of the Coronary Microcirculation The rupture of an atherosclerotic plaque in epicardial coronary arteries does not inevitably result in thrombotic vascular occlusion and subsequent myocardial infarction, but can also lead to embolization of atherosclerotic debris into the coronary microcirculation. Coronary microembolization occurs spontaneously and during coronary interventions. Coronary microembolization can acutely induce arrhythmias up to sudden death, and subacutely/chronically microinfarcts with fibrotic repair, contractile dysfunction and reduced coronary reserve. Experimental data demonstrate that inflammatory mechanisms are causally involved in manifestations of coronary microembolization. Protection devices and anti-inflammatory treatment are promising strategies against coronary microembolization and its consequences. Key words: coronary artery disease, coronary microembolization, angiography, plaque rupture Abbildung 1: Intravasaler Ultraschall eines atherosklerotischen Plaques mit aufgebrochener Deckplatte und entleertem Plaqueinhalt. und Exposition des hochaktiven atherosklerotischen Materials gegenüber dem strömenden Blut lösen im dramatischen Fall akut einen Koronarverschluss und in der Folge einen Myokardinfarkt aus. In den letzten Jahren mehren sich Hinweise und Belege, dass eine koronare Plaqueruptur nicht immer zu einem Gefäßverschluss und Myokardinfarkt, sondern auch zu einer Embolisation des atherosklerotischen Materials in 1 Institut für Pathophysiologie (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h. c. Gerd Heusch 2 Abteilung für Kardiologie (Direktor: Prof. Dr. med. Raimund Erbel), Universitätsklinikum Essen A 2200 ren, ergaben eine Häufigkeit koronarer Mikroembolisation von 13 bis 79 Prozent. Insbesondere bei Patienten, die in der Anamnese eine instabile Angina pectoris hatten und am akuten Herztod verstarben, waren häufiger intrakoronare Emboli in der Mikrozirkulation nachweisbar. Histologisch waren die Mikroemboli durch Thrombozytenaggregate, Fibrin und hyalines Material und atherosklerotischen Debris, einschließlich Cholesterinkristalle, gekennzeichnet. Diese Mikroemboli hatten frische Mikroinfarkte mit einer deutlichen inflammatorischen Reaktion induziert (6, 9, 10, 14). Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 99½ Heft 33½ 16. August 2002 M E D I Z I N Experimentelle Pathophysiologie In Experimenten an Hunden kann eine koronare Mikroembolisation durch intrakoronare Infusion definierter Partikel gezielt ausgelöst und studiert werden. Eine intrakoronare Infusion chemisch und biologisch inerter Polysterolkügelchen mit einem Durchmesser von 40 µm (3 000 Kügelchen pro mL/min Koronardurchblutung) verändert die messbare Koronardurchblutung nicht, da die embolische Verlegung einzelner Gefäße der Mikrozirkulation durch Freisetzung vasodilatorischer Mediatoren und Vasodilatation benachbarter Gefäße kompensiert wird. Die kontraktile Funktion des betroffenen Myokardareals nimmt jedoch progressiv über Stunden ab. Es entwickelt sich ein ausgeprägtes Missverhältnis zwischen der unveränderten Durchblutung und der reduzierten Funktion – ein charakteristisches Ungleichgewicht von Perfusion zu Kontraktion (perfusion contraction mismatch). Ein solches perfusion contraction mismatch nach koronarer Mikroembolisation kontrastiert mit dem typischen Befund bei Stenosierung eines epikardialen Koronargefäßes, nämlich einer proportional reduzierten Koronardurchblutung und kontraktilen Funktion: perfusion contraction match (7, 14). Die koronare Mikroembolisation induziert im Myokard homogen verteilte Mikroinfarkte mit einer ausgeprägten leukozytären Infiltration der Randzone; auch einzelne apoptotische Kardiomyozyten sind nachweisbar. Die Gesamtfläche des Myokardinfarkts beträgt jedoch nur etwa zwei Prozent des betroffenen Herzareals und ist daher nicht für die beobachtete kontraktile Dysfunktion verantwortlich. Eine inflammatorische Signalkaskade aus Tumornekrosefaktor a und Sphingosin ist kausal an der kontraktilen Dysfunktion beteiligt (8, 18). Umgekehrt kann Cortison die durch koronare Mikroembolisation ausgelöste kontraktile Dysfunktion verhindern, sogar wenn es erst nach der Mikroembolisation verabreicht wird. Phänomenologisch ist mikroembolisiertes Myokard durch eine verrin- Abbildung 2: Koronarangiogramm mit Stent und Protektionskatheter. Rechts oben: Protektionskatheter mit aufgefangenem atherothrombotischen Debris. Links unten: Histologie mit amorpher Lipidsubstanz (ALS), Thrombus (T) und Schaumzelle (SZ). Die Pfeile weisen auf Cholesterinkristalle; aus (14). gerte inotrope Reserve in Reaktion auf Dobutamin und eine verringerte Koronarreserve (bei normaler oder sogar leicht erhöhter Basisdurchblutung) gekennzeichnet (17). Die wiederholte Gabe großer Mengen embolisierender Polysterolkügelchen kann schließlich eine ausgeprägte fleckförmige Myokardfibrose und in der Folge eine Herzinsuffizienz verursachen (14, 16). Klinische Diagnostik und Therapie Der Einsatz des intravasalen Ultraschalls ermöglicht nicht nur die Darstellung des koronaren Gefäßlumens wie die Angiographie, sondern auch die der Gefäßwand. Im Einzelfall lassen sich mit intravasalem Ultraschall ausgewaschene Löcher in einem atherosklerotischen Plaque darstellen, deren Inhalt offensichtlich in die periphere Mikrozirkulation embolisiert ist (Abbildung 1); ähnlich wie im Experiment lässt sich dann eine ausgeprägte kontraktile Dysfunktion im betroffenen Myokard beobachten (3). Mikroinfarkte im embolisierten Myokard werden diagnostisch durch Erhöhung kardialer Markerenzyme (Kreatin- Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 99½ Heft 33½ 16. August 2002 kinase, Troponin) im Serum erfasst. Solche Erhöhungen kardialer Markerenzyme im Serum, die vermutlich die Folgen einer koronaren Mikroembolisation reflektieren, haben prognostische Bedeutung für Patienten mit instabiler Angina (4, 13). Diesen neuen Befunden und Vorstellungen haben die European Society of Cardiology und das American College of Cardiology kürzlich in einem Konsensusdokument Rechnung getragen, in dem eine neue Definition des Myokardinfarkts ausdrücklich auch die koronare Mikroembolisation einschließt (1). Insbesondere bei koronarer Intervention kann eine Mikroembolisation ausgelöst werden: je aggressiver die Intervention, desto eher. Daraus resultieren dann nicht nur typische Erhöhungen der kardialen Markerenzyme im Serum, sondern auch – wie im Experiment – oft eine Steigerung der basalen Koronardurchblutung und eine Reduktion der Koronarreserve (12, 15, 19). Am offenkundigsten wird die Bedeutung einer koronaren Mikroembolisation bei dem Einsatz von Aspirations- und Filtrationskathetern, die inzwischen klinisch bei koronaren Interventionen verwendet werden und oft erstaunlich große Mengen athero- A 2201 M E D I Z I N sklerotischen Debris zu Tage fördern (Abbildung 2) (5, 11). In der SAFERStudie wurde bei solchen Patienten, die eine Stentimplantation in einen Vena-saphena-Bypass erhielten, eine 42-prozentige Reduktion kardialer Ereignisse (insbesondere Myokardinfarkt, Tod, Notwendigkeit zur chirurgischen Notfallrevaskularisation, No-reflow-Phänomen) erzielt, wenn über einen Okklusions-/Aspirationskatheter embolisierender Debris entfernt wurde (2). Ausblick Eine koronare Mikroembolisation ist ein autoptisch und klinisch gesichertes Phänomen, das akute Arrhythmien, kontraktile Dysfunktion, eingeschränkte Koronarreserve und Mikroinfarkte auslösen kann. Im Experiment ist eine inflammatorische Signalkaskade ursächlich an den Folgen der koronaren Mikroembolisation beteiligt. Ob die klinisch beobachtete Assoziation entzündlicher Marker mit kardiovaskulären Ereignissen daher die Inflammation der Gefäßwand oder aber vielmehr die entzündliche Reaktion auf Mikroembolisation reflektiert, bleibt zu klären. Mechanische Vorrichtungen zur Entfernung koronarer Mikroemboli, aber auch antiinflammatorische, antithrombotische und antivasokonstriktorische Ansätze zur Verbesserung der Mikrozirkulation sollten in Zukunft eingehender geprüft werden. Manuskript eingereicht: 25. 2. 2002, revidierte Fassung angenommen: 22. 4. 2002 Kongressbericht Molekulares Staging von Karzinomen Markus M. Heiss, Heike Allgayer U nter dem Motto „Concepts of today – therapies of tomorrow“ bot der erste internationale Kongress „Molekular Staging of Cancer“ eine Plattform für Molekular- und Zellbiologen, Tumorimmunologen und Grundlagenforschern auf der einen Seite, und onkologisch tätigen Chirurgen und Klinikern auf der anderen Seite, um neue Konzepte eines molekularen Stagings und daraus abgeleiteter Therapieansätze bei Tumorerkrankungen zu diskutieren. Insbesondere die Themen tumorassoziierte Proteolyse, minimal residuale Tumorerkrankung, molekulare Stagingmodelle und neue Konzepte molekularer Targetingstrategien wurden erörtert. Der Kongress fand unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zusammen mit der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Molekulare Onkologie sowie der Internationalen „Metastasis Research Society“ vom 6. bis 8. Dezember 2001 im Klinikum Großhadern der Ludwigs-Maximilians-Universität in München statt. Ehrenpräsident und Gastgeber war Prof. Dr. med. Dr. h. c. Friedrich Wilhelm Schildberg, München. ❚ Zitierweise dieses Beitrags: Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2200–2202 [Heft 33] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist. Anschrift der Verfasser: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Gerd Heusch Institut für Pathophysiologie E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Raimund Erbel Abteilung für Kardiologie Universitätsklinikum Essen Hufelandstraße 55 45122 Essen E-Mail: [email protected] A 2202 Tumorassoziierte Proteolyse In seiner „honorary keynote lecture“ wies der Erstbeschreiber des „fluid mosaic“-Modells der Zellmembran Garth Nicolson, Irvine, California, USA, auf die Bedeutung verschiedener Genmutationen und Genexpressionen in der Initiation und Progression von Karzinomerkrankungen. Bei der Progression spielen seiner Meinung nach zusätzlich unterschiedliche Mikroorganismen wie Mykoplasmen und Viren eine Rolle. Im Bereich der tumorassoziierten Proteolyse ist das Urokinase-TypPlasminogen-Aktivator-(UPA-)System bedeutsam; es ist für die Invasionsfähigkeit und Metastasierung von Tumorzellen wichtig. Besonders Interaktionen des spezifischen zellständigen Urokinaserezeptors mit physiologischen, aber auch pharmakologischen Inhibitoren zeigen in Tiermodellen eine Effektivität und erreichen gegenwärtig klinische Phase-1/2-Studien, erklärte Manfred Schmitt, München. Gunilla Hoyer-Hansen, Kopenhagen, Dänemark, beschrieb neu entwickelte Urokinaserezeptor-Antikörper, die in der Lage sind, verschiedene Funktionen des Rezeptors nicht nur hinsichtlich der Proteolyse, sondern auch der vermittelten Signaltransduktion in das Zellinnere zu unterbrechen. Ergänzend zeigten Julio A. Aguirre-Ghiso, Liliana Ossowski, New York, USA, dass der Urokinaserezeptor durch Vermittlung verschiedenster Signale einerseits die Proliferation von Tumorzellen, andererseits aber auch für den Übergang der Zelle in die so genannte dormancy, einen über längere Zeit möglichen Ruhestatus der Zelle induzieren kann. Hierzu ist die Interaktion des Rezeptors mit Integrinen entscheidend. Bei intakter Interaktion über den MAPK/Erk-Signaltransduktionsweg wird die Proliferation angeregt. Kommt es jedoch zu einer Unterbrechung der Bindung zwischen Urokinaserezeptor und Integrin, so wird über den P-38-Weg die Tumorzelle in die G0-Phase versetzt. Diese Ergebnisse eröffnen für die Zukunft neue therapeutische Ansätze. Heike Allgayer, München, wies nach, dass auch ein spezifisches Promotorelement (ein kombiniertes AP-2/Sp1Element) für eine Regulation des Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 99½ Heft 33½ 16. August 2002 M E D I Z I N UPA-Rezeptors auf transskriptioneller Ebene zur Verfügung steht. Dieses Promotorelement vermittelt die Hochregulation des Urokinaserezeptors in Kolonkarzinomen über die Stimulation durch das bei vielen Kolon- und Magenkarzinomen überaktivierte Onkogen c-src. Klinisch relevante Ansätze ergeben sich durch die Möglichkeiten der Inhibition von c-src auch dadurch, dass dieses Promotorelement bei einer Subpopulation vom Patienten nahezu tumorspezifisch für die Aktivierung der Expression des Urokinaserezeptors angesehen werden kann. Keld Dano, Kopenhagen, Dänemark, zeigte, dass die Tumorzellen umgebenden Bindegewebszellen und Endothelien die Invasion und Metastasierung durch Expression unterschiedlicher Proteasen unterstützen können. Diese Daten sprechen dafür, für therapeutische Ansätze möglichst mehrere Proteasensysteme gleichzeitig zu modulieren. Neue molekulare Stagingmodelle Neue molekulare Stagingmodelle wurden zunächst anhand des Magenkarzinoms dargestellt. Bei der Magenkarzinom-Karzinogenese sind die Wachstumfaktor-Rezeptoren c-erbB-2 sowie K-Sam wichtig sind, erläuterten Heinz Höfler, München, und Holger Vogelsang, München. Neben den prognostisch relevanten Parametern u-PA und PAI-1 aus dem Urokinasesystem sind auch die Zellzyklusregulatoren Cyklin E, der epidermale Wachstumsfaktor (EGF), Adhäsionsmoleküle und dabei beteiligte Mediatoren wie E-Cadherin und Beta-Catenin sowie der ApoptoseInhibitor bcl-2 relevant. E-Cadherin bietet beim diffusen Magenkarzinom eine neue Möglichkeit der individuellen Diagnosestellung und den Ansatz für eine spezifische Therapie mit einem monoklonalen Antikörper. Beim hereditären Magenkarzinom wird zum einen unterschieden in das HDGC(hereditary diffuse type gastric cancer) Syndrom, das mit verschiedenartigen Mutationen des E-cadherin-Gens einhergeht, zum anderen in hereditäre Magenkarzinomformen, die mit ande- ren vererbbaren Karzinomsyndromen vergesellschaftet sind, wie HNPCC, FAP, dem Peutz Jeghers Syndrom und dem Li Fraumeni Syndrom. In diesen Fällen handelt es sich um Mutationen von Mismatch-repair-Genen, des APCGens, des STK11-Gens beziehungsweise des p53-Gens. Neben einer prädiktiven Bedeutung bei der Identifizierung von Risikopersonen spielen diese molekularen Marker bereits in der Therapie eine Rolle. So wurden prophylaktische Gastrektomien bei noch klinisch gesunden Patienten aufgrund von nachgewiesenen hereditären Magenkarzinom-Syndromen durchgeführt. Markus Maria Heiss, München, stellte ein neues molekulares Stagingmodell beim sporadischen Magenkarzinom vor. In diesem Modell ist es möglich, durch die zusätzliche Bestimmung des Urokinasesystems (PAI-1) sowie von disseminierten Tumorzellen im Knochenmark neue Patientensubgruppen zu definieren, die sich in ihrer Prognose sehr von der Prognose unterscheiden, die durch rein konventionelle morphologische Kriterien vorausgesagt werden können. Gary E. Gallick, Houston, USA, wies auf die molekularen Stagingmarker APC, p53 und RasMutationen beim sporadischen kolorektalen Karzinom hin. Nach seinen Daten nimmt das Protoonkogen src neben der Regulation des Urokinaserezeptors auch auf Signalkaskaden Einfluss. Beispielsweise kann die SerinThreonin-Kinase Akt oder der guaninenucleotide exchange-Faktor TIAM1 möglicherweise als Prognoseparameter und auch als Erfolgsparameter für neue Signalkaskaden-orientierte Therapien diskutiert werden. Hans K. Schackert, Dresden, beschrieb die typischen Mutationen beim hereditären nicht polypösen kolorektalen Karzinom (HNPCC), die vor allem bei den Genen MSH, hMSH2, hMLH1, hMSH6, hPMS1 und hPMS2 zu finden sind, wobei die Mutationen in MSH2 und hMLH1 am häufigsten vorkommen. Diese Mutationen werden schwerpunktmäßig zur Identifizierung von Risikopersonen und Risikofamilien angewendet. Die klinische Konsequenz aufgrund dieser molekularen Veränderungen wurde von Gabriele Möslein, Düsseldorf, aufgezeigt. Sie be- Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 99½ Heft 33½ 16. August 2002 steht in der Durchführung von engmaschigen Kontrolluntersuchungen und regelhaften Koloskopien. Die wichtige Frage, inwieweit hier prophylaktisch resezierende Eingriffe bei Diagnosestellung HNPCC unter Einschluss der Amsterdam-Kriterien angezeigt sind, wird sowohl hinsichtlich der Indikation als auch der Radikalität gegenwärtig noch kontrovers diskutiert. Als Indikation für einen ausgedehnteren Eingriff wird eine hohe Anzahl von Adenomen und De-novo-Karzinomen, eine akzelerierte Progression der Adenome sowie eine verminderte Compliance der Patienten genannt. Dennoch ist die große Problematik beim HNPCC nach wie vor die ausgeprägte Heterogenität des klinischen Krankheitsbildes, welche im Moment noch keine klar definierten Richtlinien zulässt. Beim Mammakarzinom sind derzeit die Tumorsuppressorgene BRCA1 und BRCA2 etablierte molekulare Stagingparameter, die eine Evaluation des genetischen Risikos ermöglichen. Michael Untch, München, führte aus, dass Patienten mit BRCA1-Mutationen ein sich steigerndes Risiko aufweisen (45 Prozent im Alter von 50 Jahren auf 85 Prozent im Alter von 75 Jahren), an einem Mammakarzinom zu erkranken. Darüber hinaus scheint der Nachweis von Mutationen sowohl im BRCA1- als auch im BRCA2-Gen zusätzlich die Prognose zu verschlechtern. Beim sporadischen Mammakarzinom sind derzeit akzeptierte molekulare Prognoseparameter U-PA und PAI-1 sowie die Überexpression von c-erbB-2, das als Target für eine Immuntherapie mit Herceptin bereits Grundlage therapeutischer Ansätze ist. Minimal residuale Tumorerkrankung Der Nachweis einer minimal residualen Tumorerkrankung (MRD) ist durch Detektion disseminierter Tumorzellen im Knochenmark mittels entsprechender Cytokeratin-Marker beziehungsweise tumorassoziierter Antigene durch Immunzytochemie oder PCR möglich. Diese Verfahren können mit hoher Sensitivität einzelne Tumorzellen detektieren. Die zusam- A 2203 M E D I Z I N menfassende Meinung der Sitzungsteilnehmer war, dass kaum die rein qualitative Detektion einzelner Tumorzellen zum Zeitpunkt der Tumoroperation als zuverlässiger prognostischer Parameter gewertet werden kann, da Einflussfaktoren wie das Ausmaß des chirurgischen Traumas oder die permanente Tumorzellstreuung durch den Primärtumor die Aussage hinsichtlich einer biologischen Relevanz stark beeinflussen können. Dies könnte die heterogene Datenlage mit unterschiedlicher prognostischer Relevanz bei verschiedenen Tumorentitäten oder auch Patientenuntergruppen erklären. Zwei Ansätze wurden dargestellt, um diese Probleme zu lösen. Zum einen sind wiederholte Follow-up-Untersuchungen auf disseminierte Tumorzellen nach einer kurativen Tumorresektion ein Weg, eine relevante minimal residuale Erkrankung zu erkennen. Zum anderen ist eine molekulare Phänotypisierung einzelner Tumorzellen methodisch möglich, um biologisch relevante metastatische Tumorzellen von irrelevanten differenzieren zu können. Christoph Klein, München, beschrieb neue Methoden für diese molekulare Phänotypisierung durch die komparative Genomanalyse auf Einzelzellebene, die EinzelzellPCR sowie die Kombination mit Microarray-Analyse-Techniken. Für das Magenkarzinom gibt es Anhaltspunkte, dass die Expression von MMP7, UPA-Rezeptor, c-erb-2 und c-Met relevant sein könnten, berichtete Karl-Walter Jauch, Regensburg. Beim Mammakarzinom kommt möglicherweise der Expression von UPA, c-erb-2 und EpCAM eine entsprechende Bedeutung zu, erklärte Nadja Harbeck, München. In ihren „keynote lectures“ legten Gert Riethmüller, München, und Christian Herfarth, Heidelberg, dar, wie das Konzept der MRD nicht nur das biologische Verständnis solider Tumorerkrankungen, sondern auch den therapeutischen Radikalitätsanspruch in der Onkologischen Chirurgie veränderte. Allerdings kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine therapeutische Konsequenz allein aufgrund des MRD-Befundes noch nicht ausgesprochen werden. A 2204 Neue Strategien für ein molekulares Targeting Horst Lindhofer, München, stellte ein neues Konzept von bispezifischen trifunktionellen Antikörpern vor, welches in der Lage ist, T-Zellen (gebunden über CD3) an Tumorzellen zu redirigieren (über die Antigene EpCAM oder Her2-neu) und zusätzlich akzessorische und APC/dendritische Zellen über die FC-Region zu aktivieren. Dies resultiert nicht nur in einer äußerst effektiven Tumorzellzerstörung, sondern darüber hinaus in einer aktiven Immunantwort gegen den Tumor. Magnus von Knebel-Döberitz, Heidelberg, zeigte, dass kodierende Mikrosatellitensequenzen im Tumorgewebe bei Mikrosatelliteninstabiltät identifiziert werden können. Diese führen dann zu einer Synthese von verkürzten „trunkierten“ Proteinen und damit gegebenenfalls zu hochspezifischen Tumortargets. Michael Hallek, München, stellte einen neuen gentherapeutischen Ansatz vor, welcher Modifikationen des AAV-Vektors in seiner Hülle verwendet. Diese Modifikationen des Vektors ermöglichen es, für eines der größten Probleme der Gentherapie, nämlich die Spezifität von Vektoren, einen Lösungsansatz bieten zu können. Einen transskriptionalen Ansatz, um ein spezifisches Targeting von Genen erreichen zu können, bieten Triplex-formende Oligo-Nukleotide, erklärte Klaus Degitz, München. Diese neue Technik eröffnet möglicherweise unmittelbare klinische Konsequenzen. Reinhard Kopp, München, nannte die aktuellen therapeutischen Strategien im Hinblick auf den EGF-Rezeptor auf, die in klinischen Studien bereits die Progression von kolorektalen Tumoren beeinflussen konnten. Viktor Magdolen, München, zeigte, wie über eine Strukturanalyse der komplexen UPA/Inhibitorverbindung eine spezifische und effektive Unterbrechung der Verbindung zwischen UPA und dem Rezeptor durch neue kleinmolekulare Inhibitoren möglich ist. Erste viel versprechende klinische Daten weisen auf das therapeutische Potenzial, welches diese neuen Proteaseinhibitoren beinhalten. Neue molekulare Stagingmodelle müssen zunehmend in der Klinik an größeren Patientenstudien überprüft und validiert werden. Der Schwerpunkt der Forschung wird somit zukünftig vermehrt auf dem translationalen Ansatz liegen, um neue Konzepte der Grundlagenforschung in zukünftige klinische Therapien übersetzen zu können. Anschrift des Verfassers: Priv.-Doz. Dr. med. Markus M. Heiss Klinikum der Universität München Chirurgische Klinik und Poliklinik – Großhadern Marchioninistraße 15 81377 München E-Mail: [email protected] Referiert Budesonid hilft bei Kollagenkolitis Die Kollagenkolitis stellt eine seltene Ursache chronischer Durchfälle dar, wobei ein subepithelial liegendes Kollagenband mit dichter lymphoplasmozytärer Infiltration der Lamina propria kennzeichnend ist. Bevorzugt betroffen sind Frauen mit einem Durchschnittsalter von 65 Jahren. Definierte Therapieempfehlungen existieren nicht, sieht man von einzelnen Berichten über positive Effekte von Wismutsubsalizylat oder Cortison ab. Die Autoren berichten über eine placebokontrollierte Doppelblindstudie mit 28 Patienten, die entweder für acht Wochen 9 mg Budesonid oder ein Placebo erhielten. Budesonid erwies sich der Placebomedikation als signifikant überlegen bezüglich Besserung der Stuhlkonsistenz und der entzündlichen Infilw trate in der Lamina propria. Baert F, Schmit A, D’Haens G and the Belgien IBD Research Group and CODALI: Budesonide in collagenous colitis: a double-blind placebo-controlled trial with histologic follow-up. Gastroenterology 2002; 122: 20–25. Filip Baert M. D., Imelda Hospital, Bonheiden, Belgien. Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 99½ Heft 33½ 16. August 2002