Oktober 2014 - silberberger.lorenz.towara

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Oktober 2014
Beschlüsse und Urteile
Zuschläge für zur Nachtzeit geleistete Betriebsratsarbeit sind
nicht steuerpflichtig
Seite 2
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.03.2014 – 16 TaBV 197/13
Keine zwingende Anpassung nach oben bei Diskriminierung
im Entgelt?
Seite 2
EuGH, Urteil vom 19.06.2014 – verb. Rs. C-501/12, C-502/12, C-503/12, C-504/12, C-505/12, C
540/12, C-541/12 „Specht“
Beim Betriebsübergang Bindung auch an nachwirkende Tarifverträge
Seite 4
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 11.09.2014 – Rechtssache C-328/13 „ÖGB“
Arbeitgeber muss Urlaub auch ohne Antrag gewähren
Seite 5
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.06.2014 – 21 Sa 221/14
Arbeitnehmer riskieren bei unhöflichen E-Mails eine Abmahnung
Seite 6
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.05.2014 – 2 Sa 17/14
Nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung führt nicht zu
Arbeitsvertrag mit dem Entleiher
Seite 6
BAG, Urteil vom 03.06.2014 – 9 AZR 111/13
Zeugnis kann auch im Eilverfahren eingeklagt werden
Seite 7
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 17.02.2014, 16 SaGa 61/14
Außerordentliche Kündigung wegen häufigen Kurzerkrankungen
beim Ausschluss ordentlicher Kündigung praktisch
ausgeschlossen
Seite 8
BAG, Urteil vom 23.01.2014 – 2 AZR 582/13
In Ausnahmefällen auch Kündigung in der Freistellungsphase der
Altersteilzeit möglich
Seite 9
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.05.2014 – 2 Sa 410/14
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Zuschläge für
steuerpflichtig
zur
Nachtzeit
geleistete
Betriebsratsarbeit
sind
nicht
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.03.2014 - 16 TaBV 197/13
Orientierungssatz:
Betriebsratsmitglieder werden benachteiligt, wenn sie für die Teilnahme an Betriebsratssitzungen zur
Nachtzeit zwar Nachtarbeitszuschläge erhalten, die aber versteuert werden, während Beschäftigte
diese Zuschläge steuerfrei erhalten.
Sachverhalt:
Der Betriebsrat und der Betreiber eines Spielcasinos stritten darüber, ob Betriebsratsmitglieder
unzulässig benachteiligt werden, wenn der Arbeitgeber die Zulagen für Betriebsratssitzungen zur
Nachtzeit nicht steuerfrei auszahlt. In dem Spielcasino wird im Schichtbetrieb zwischen 11:00 Uhr und
4:45 Uhr gearbeitet. Für Zeiten zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr zahlt der Arbeitgeber den
Beschäftigten einen steuerfreien Nachtarbeitszuschlag.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hatte den Antrag des Betriebsrats zunächst mit dem Argument
zurückgewiesen, dass § 3b Einkommenssteuergesetz (EStG) die Steuerfreiheit nur für tatsächlich
geleistete Nachtarbeit vorsehe. Die an die Betriebsratsmitglieder gezahlten Nachtarbeitszuschläge
seien jedoch zum Ausgleich des durch die Betriebsratstätigkeit entstandenen Verdienstausfalls
gedacht und seien deshalb nicht steuerbefreit.
Das Landesarbeitsgericht teilt diese Ansicht nicht. Es sieht in der unterschiedlichen Besteuerung der
Nachtarbeitszuschläge eine nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässige Benachteiligung der
Betriebsratsmitglieder, weil sie ohne sachlichen Grund gegenüber anderen Beschäftigten schlechter
gestellt werden. Daher seien auch die Nachtarbeitszuschläge für Betriebsratstätigkeit zur Nachtzeit
nach § 3b EStG steuerbefreit.
Praxisbedeutung:
Mit dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts werden die Rechte der einzelnen Betriebsratsmitglieder
gestärkt. Neben den Zuschlägen für Nachtarbeit sind nach § 3b EStG auch Zuschläge für tatsächlich
geleistete Sonn- oder Feiertagsarbeit steuerfrei. Das gilt auch für Betriebsratsmitglieder, wenn die
Betriebsratstätigkeit tatsächlich zur Nachtzeit bzw. an Sonn- und Feiertagen geleistet wird. Werden die
Zuschläge dagegen als Ausgleich für den dem Betriebsratsmitglied entstehenden Verdienstausfall
gezahlt, gilt die Steuerbefreiung nach § 3b EStG nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
(Urteil vom 29.07.1980 - 6 AZR 231/78) und des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 03.05.1974 - VI R
211/71) nicht. Erhält also etwa ein freigestelltes Betriebsratsmitglied, das vor seiner Freistellung
steuerfreie Sonntags-, Feiertags- oder Nachtzuschläge erhalten hat, diese Zuschläge während der
Freistellung weiter, ohne dass an Sonn- und Feiertagen oder zur Nachtzeit Betriebsratstätigkeit
stattfindet, sind diese Zuschläge nicht steuerfrei (zum grundsätzlichen Anspruch: LAG Köln, Beschluss
vom 19.12.2013 - 12 Sa 682/13 (rechtskräftig); hierzu unser Newsletter vom April 2014).
Da gegen die Entscheidung des Hessischen LAG Rechtsbeschwerde eingelegt wurde (Aktenzeichen
beim BAG: 7 ABR 23/14), ist sie noch nicht rechtskräftig.
Keine zwingende Anpassung nach oben bei Diskriminierung im Entgelt?
EuGH, Urteil vom 19.06.2014 – verb. Rs. C-501/12, C-502/12, C-503/12, C-504/12, C-505/12, C-506/12, C540/12, C-541/12 „Specht“
Orientierungssatz:
Ein Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach dem europäischen Recht führt nicht
immer zu einer Anpassung nach oben. Die diskriminierten Beschäftigten haben hier deswegen keinen
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rückwirkenden Anspruch auf den Unterschied zwischen ihrer tatsächlichen Besoldung und der
Besoldung nach der höchsten Stufe ihrer Besoldungsgruppe.
Sachverhalt:
Die Klägerinnen und Kläger des Ausgangsverfahrens sind als Beamtinnen und Beamte auf Lebenszeit
beim Land Berlin bzw. beim Bund beschäftigt. Nach dem Bundesbesoldungsgesetz in seiner alten
Fassung richtete sich ihr Grundgehalt bei der Ersteinstufung nach dem Besoldungsdienstalter, das
heißt, dem Alter am Tag ihrer Beamtenernennung. Inzwischen wurde das Besoldungsrecht umfassend
reformiert. Die Einstufung der Beamtinnen und Beamten richtet sich jetzt nach Erfahrungszeiten und
nicht mehr nach dem sogen. Dienstalter. Die Überleitung der Besoldung in die neue
Besoldungsordnung erfolgte bei den bereits beschäftigten Beamtinnen und Beamten jedoch auf Basis
des ursprünglichen Grundgehalts; deswegen wirkte sich die inzwischen unzulässige Anknüpfung an
das Alter auch im neuen Besoldungsrecht weiter aus. Die Klägerinnen und Kläger sahen darin eine
Altersdiskriminierung. Sie klagten auf den Unterschied zwischen ihrer individuellen Besoldung und der
Besoldung in der höchsten Stufe ihrer Besoldungsgruppe.
Das Verwaltungsgericht setzte das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)
einige Fragen zur Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht vor. Der EuGH entschied, dass die
Ersteinstufung nach dem Besoldungsdienstalter auf Basis des alten Besoldungsrechts gegen die
europäische
Antidiskriminierungsrichtlinie
(Richtlinie
2000/78/EG)
verstieß,
weil
die
Ungleichbehandlung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt war.
Zu den Übergangsregelungen stellte der EuGH zwar fest, dass sie wegen der Anknüpfung an die alte
Einstufung zu einer Ungleichbehandlung wegen des Alters führen. Diese Ungleichbehandlung ist nach
Ansicht des EuGH jedoch gerechtfertigt. Mit den Überleitungsregeln solle der Besitzstand der
Beamtinnen und Beamten gewahrt werden. Hierfür seien die Regelungen angemessen und
erforderlich. Es könne nicht verlangt werden, dass jeder Einzelfall individuell geprüft werde, um die
erworbene Berufserfahrung individuell im Nachhinein festzustellen.
Zwar sei eine verbotene Diskriminierung nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich durch
eine Anpassung nach oben zu beheben. Hier fehle jedoch ein Bezugssystem, an dem sich die
Anpassung orientieren könne, weil eine Kategorie benachteiligter und eine Kategorie bevorzugter
Beschäftigter nicht zu benennen seien. Die Einstufung nach dem Dienstalter auf Basis des alten
Besoldungsrechts und die sich daraus ergebende Diskriminierung hätten jeden Beamten bei seiner
Einstellung betroffen. Eine Anpassung nach oben sei daher nicht möglich. Allerdings hat das
Verwaltungsgericht nach Ansicht des EuGH zu prüfen, ob die Beamtinnen und Beamten wegen der
verbotenen Altersdiskriminierung einen Schadensersatzanspruch gegen das Land bzw. den Bund
haben.
Praxisbedeutung:
Zunächst hat der EuGH mit dem vorliegenden Urteil eindeutig klargestellt, dass das europäische
Antidiskriminierungsrecht auch für Beamtinnen und Beamte gilt und die Beamtenbesoldung sich nicht
nach dem Alter richten darf. Die Frage war aufgekommen, weil zuvor der EuGH (Urteil vom
08.09.2011, Rechtssachen C-297/10 und C-298/10, „Hennings“ und „Mai“) und darauf folgend das
BAG, Urteile vom 10.11.2011 - 6 AZR 148/09 und 6 AZR 481/09) entschieden hatten, dass Bezahlung
nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) nach Lebensaltersstufen gegen das Verbot der
Diskriminierung wegen des Alters verstieß. Das führte zur Frage nach entsprechenden Konsequenzen
für die Beamtenbesoldung.
Die Ausführungen des EuGH dürfen nicht missverstanden werden: Die bisherige Rechtsprechung wird
keineswegs aufgegeben. Der EuGH hält an dem Grundsatz fest, dass eine Diskriminierung zu
beseitigen ist, indem der benachteiligten Gruppe ebenfalls die Vorteile gewährt werden, die der
bevorzugten Gruppe zustehen („Anpassung nach oben“; z.B. EuGH, Urteil vom 15.01.1998 –
Rechtssache
C-15/96
„Schöning-Kougebetopoulou“).
Allein
die
Besonderheiten
des
Ausgangsverfahrens führten dazu, dass der EuGH hier von diesem Grundsatz abgewichen ist. Nach
dem Bundesbesoldungsgesetz in seiner alten Fassung richtete sich für jeden Beamten die
Ersteinstufung nach dem Alter. Die Höchststufe erreichte dabei auf Grund der Ernennungspraxis
keiner der Beamten. Somit war faktisch jeder Beamte wegen seines Alters benachteiligt, ohne dass
eine Gruppe bevorzugter Beamter eindeutig auszumachen war. Das BAG hatte in den Urteilen vom
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10.11.2011 zum BAT noch einen anderen Ansatz gewählt: Bei einer Entgeltstaffelung nach dem Alter
in einem Tarifvertrag sah das BAG, bis auf die höchste, alle Entgeltstufen als benachteiligend an –
eine tarifvertragliche Überleitungsregelung war dort nicht Gegenstand. Das Verwaltungsgericht hat
nun auf Grundlage der Eckpunkte des EuGH über die Ausgangsverfahren zu entscheiden. Spannend
ist insbesondere, wie das Verwaltungsgericht die Frage der Schadensersatzansprüche beurteilt.
Sowohl das Urteil des EuGH als auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verheißen
allerdings nichts Gutes: Abgesehen von der dreijährigen Verjährungsfrist aus § 195 BGB soll der
Dienstherr erst ab dem 08.09.2011, dem Tag der EuGH-Entscheidung zum BAT, gewusst haben,
dass Dienstaltersregelungen diskriminierend sein können, so der EuGH im aktuellen Urteil.
Beim Betriebsübergang Bindung auch an nachwirkende Tarifverträge
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 11.09.2014 – Rechtssache C-328/13 „ÖGB“
Orientierungssatz:
Nach einem Betriebsübergang ist der Erwerber auch an nachwirkende Tarifverträge gebunden,
solange für die übergegangenen Arbeitsverhältnisse nicht ein neuer Kollektivvertrag oder eine neue
Einzelvereinbarung abgeschlossen wird.
Sachverhalt:
In einem Konzern der Luftfahrtbranche hatte ein Arbeitgeberverband für die Beschäftigten der
Muttergesellschaft einen deutlich günstigeren Tarifvertrag abgeschlossen als für die Beschäftigten der
Tochtergesellschaft. Um Kosten zu sparen, beschloss die Muttergesellschaft ihren Flugbetrieb auf die
Tochtergesellschaft zu verlagern und kündigte zuvor den teureren Tarifvertag der Muttergesellschaft.
Für diesen Tarifvertrag galt die gesetzliche Nachwirkung. Daraufhin kündigte die Gewerkschaft
ihrerseits den für die Tochtergesellschaft geltenden Tarifvertrag. Auf alle auf die Tochtergesellschaft
übergangenen Arbeitsverhältnisse wandte die Tochtergesellschaft nun einseitig erlassene
Unternehmensrichtlinien an, was eine erhebliche Kürzung der Gehälter bedeutete.
Der Österreichische Gewerkschaftsbund klagte - zuletzt vor dem Obersten Gerichtshofs Österreichs auf Einhaltung der Tarifverträge der Muttergesellschaft. Diese seien auf die übergegangenen
Arbeitsverhältnisse anzuwenden, da für die Tochtergesellschaft kein wirksamer Tarifvertrag mehr
bestehe. Der Oberste Gerichtshof fragte den EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen, ob die
europarechtlichen Bestimmungen zum Betriebsübergang und dem Übergang von Tarifverträgen, Art.
3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23/EG, auch auf nachwirkende Tarifverträge anzuwenden seien. Der
EuGH bejahte diese Frage. In seiner äußerst knappen Begründung wies er darauf hin, dass die
Richtlinie einen gerechten Ausgleich zwischen Interessen der Beschäftigten und des Erwerbers
schaffe. Der Erwerber könne ja aus seiner Sicht notwendige Anpassungen durch arbeitsvertragliche
Vereinbarungen oder einen neuen Tarifvertrag herbeiführen.
Praxisbedeutung:
Lohndumping durch Betriebsübergang ist kein neues Thema. In der Vergangenheit ist auch in
Deutschland schon häufig versucht worden, durch Ausgliederung auf Konzerngesellschaften mit
schlechteren Bedingungen eine Ablösung bestehender Tarifverträge zu erreichen. § 613a Abs. 1 Satz
3 BGB führt bei bestehendem Tarifvertrag im Erwerberunternehmen zur sofortigen Ablösung der
bisherigen Tarifverträge, und zwar ohne Anwendung des Günstigkeitsprinzips. Das wäre auch hier
gelungen, wenn die Gewerkschaft nicht rechtzeitig auch den für die Tochtergesellschaft geltenden
Tarifvertrag gekündigt hätte. Dass in der Tochtergesellschaft jetzt keine unmittelbare Tarifbindung
mehr bestand, war für die Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis überging, von Vorteil. Die Antwort
des EuGH stimmt mit der Rechtsprechung des BAG zu dieser Frage überein (BAG, Urteil vom
12.12.2007 – 4 AZR 996/06; Urteil vom 22.04.2009 – 4 AZR 100/08), wonach auch gekündigte, aber
nach § 4 Abs. 5 TVG nachwirkende Tarifverträge den Erwerber binden. Ein im Betriebsübergang
nachwirkender Tarifvertrag kann allerdings durch eine Einzelvereinbarung oder einen neuen
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Tarifvertrag unmittelbar abgelöst werden, so wie es auch ohne Betriebsübergang der Fall wäre. §
613a BGB soll nur den Bestandsschutz absichern, aber keine Schutzrechte erweitern.
Arbeitgeber muss Urlaub auch ohne Antrag gewähren
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.06.2014 – 21 Sa 221/14
Orientierungssatz:
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) von
sich aus zu erfüllen. Das folgt daraus, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch dem Gesundheitsschutz
der Beschäftigten dient und arbeitsschutzrechtlichen Charakter hat.
Sachverhalt:
Der Kläger machte die Abgeltung von Urlaubsansprüchen aus dem Jahr 2012 geltend. Der
Arbeitgeber berief sich darauf, dass der Urlaub im Jahr 2012 gewährt worden sei, denn der Kläger sei
über Monate hinweg in erheblichem Umfang von der Arbeit freigestellt gewesen. Zudem sei der
Urlaub am 31.03.2013 nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen.
Das Landesarbeitsgericht sprach dem Kläger die Urlaubsabgeltung für das Jahr 2012 zu. Die
Gewährung von Urlaub setzt nach Ansicht des Gerichts eine auf die Zukunft gerichtete
Freistellungserklärung voraus, die hinreichend deutlich erkennen lasse, dass die Freistellung zur
Erfüllung des Urlaubsanspruchs und nicht aus anderen Gründen erfolge. Da eine solche
Freistellungserklärung des Arbeitgebers nicht vorgelegen habe, sei der Urlaubsanspruch des Klägers
für das Jahr 2012 allein durch die Freistellung von der Arbeit nicht erfüllt worden.
Ob der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2012 am 31.03.2013 verfallen ist, spielt aus Sicht des LAG
keine Rolle. Der Arbeitgeber ist nach Auffassung des LAG verpflichtet, den Urlaub auch ohne
Aufforderung durch den Arbeitnehmer rechtzeitig zu gewähren. Verfalle der Urlaub am 31.03. des
Folgejahres, habe der Arbeitnehmer Anspruch auf Schadensersatz in Form von Ersatzurlaub. Wenn
dieser Ersatzurlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden
könne, habe der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abgeltung des Resturlaubs.
Praxisbedeutung:
Die Entscheidung ist zu begrüßen. Das LAG nimmt den Arbeitgeber bei der Urlaubsabwicklung stärker
in die Pflicht und fördert dadurch die tatsächliche Gewährung des Jahresurlaubs. Nach der bisherigen
Rechtsprechung des BAG (z.B. Urteil vom 14.05.2013 - 9 AZR 760/11) hat ein Arbeitnehmer nur dann
Anspruch auf Ersatzurlaub, wenn er den Urlaub rechtzeitig verlangt und der Arbeitgeber ihn dennoch
nicht gewährt hat. Das LAG Berlin-Brandenburg verzichtet nun auf das Erfordernis eines
Urlaubsantrags. Der Arbeitgeber muss demnach den Urlaub von sich aus gewähren, auch wenn der
Arbeitnehmer keinen Urlaub verlangt. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, hat der
Arbeitnehmer einen Anspruch auf Ersatzurlaub. Ein Verfall des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3
BUrlG scheidet damit regelmäßig aus. Ausnahmen hiervon seien nur denkbar, wenn der Arbeitgeber
die Nichterfüllung des Urlaubsanspruchs nicht zu verantworten habe. Welche Fälle das LAG hierbei
vor Augen hat, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen.
Es bleibt abzuwarten, ob sich andere Gerichte und insbesondere das BAG der Rechtsprechung des
LAG Berlin-Brandenburg anschließen. Bis auf weiteres sollte auf Grund der Rechtsprechung des BAG
in jedem Fall rechtzeitig ein Urlaubsantrag gestellt werden. Das Verfahren der Antragstellung und
Gewährung von Urlaub ist in jedem Fall mitbestimmungspflichtig (§ 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG; § 75 Abs.
3 Nr. 3 BPersVG; § 72 Abs. 4 Nr. 4 LPersVG NRW), so dass Betriebsräte hier auch von ihrem
Initiativrecht Gebrauch machen können.
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Arbeitnehmer riskieren bei unhöflichen E-Mails eine Abmahnung
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.05.2014 – 2 Sa 17/14
Orientierungssatz:
Grundsätzlich kann jede Pflichtverletzung eines Beschäftigten abgemahnt werden. Dabei kann die
Pflichtverletzung sowohl einen Leistungsmangel als auch ein sonstiges Fehlverhalten am Arbeitsplatz
betreffen. Eine Abmahnung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sich der Arbeitnehmer in der
Kommunikation mit Kunden, insbesondere bei schriftlicher Korrespondenz, unhöflich verhält.
Sachverhalt:
Der Kläger ist seit zwölf Jahren als Ausbildungsberater beschäftigt. Er hatte die E-Mail-Anfrage eines
Kunden zwar inhaltlich korrekt, aber unfreundlich, wenn auch nicht beleidigend, beantwortet. Der
Arbeitgeber erteilte dem Kläger daraufhin eine Abmahnung, gegen die sich der Kläger vor dem
Arbeitsgericht wehrte. Wie bereits zuvor das Arbeitsgericht Elmshorn, wies auch das LAG SchleswigHolstein die Klage ab. Die Abmahnung war nach Auffassung des LAG nicht unverhältnismäßig. Die
Kommunikation mit Kunden gehöre zu den arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers. Ein
unfreundliches Auftreten gegenüber Außenstehenden wirke sich nicht nur auf das Ergebnis seiner
Arbeit aus, sondern beeinflusse auch das Ansehen des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit. Es handele
sich bei dem Fehlverhalten des Klägers auch nicht um eine Nichtigkeit. Zwar seien Fehler auch bei
der Kommunikation mit Kunden nicht immer zu vermeiden. Bei dem Fehlverhalten des Klägers
handele es sich jedoch nicht um einen „Ausrutscher“. Anders als in einem direkten oder telefonischen
Gespräch mit einem Kunden habe der Kläger im Rahmen der E-Mail-Korrespondenz nicht spontan
reagieren müssen. Er habe ausreichend Zeit gehabt, sich eine Antwort zu überlegen, gegebenenfalls
die Formulierungen zu überprüfen und zu berichtigen.
Praxisbedeutung:
Das LAG unterscheidet in der Begründung des Urteils ausdrücklich zwischen der Kommunikation mit
Kunden am Telefon oder im direkten Gespräch einerseits und der schriftlichen Kommunikation
andererseits. Im E-Mail- und Briefverkehr dürfe sich ein Arbeitnehmer danach keine „Ausrutscher“
erlauben, weil er hier die Möglichkeit habe, seine Formulierungen ausreichend zu überdenken. Diese
Annahme ist angesichts vielfach hoher Arbeitsbelastung im Kundenverkehr realitätsfern.
Auf jeden Fall kann die Bewertung des LAG nicht auf Kündigungen übertragen werden. Ein einmaliger
„Ausrutscher“ in der E-Mail-Korrespondenz mit Kunden kann eine verhaltensbedingte Kündigung nicht
rechtfertigen. Etwas anderes dürfte jedoch gelten, wenn ein Arbeitnehmer trotz Abmahnung wiederholt
unfreundlich gegenüber Kunden auftritt. Beleidigt ein Arbeitnehmer einen Kunden, kann dies auch
ohne vorherige Abmahnung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (LAG Schleswig-Holstein,
Urteil vom 05.10.1998 - 5 Sa 309/98).
Nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung führt nicht zu Arbeitsvertrag
mit dem Entleiher
BAG, Urteil vom 03.06.2014 – 9 AZR 111/13
Orientierungssatz:
Wird ein Arbeitnehmer entgegen § 1 Abs. 1 Satz 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) nicht nur
vorübergehend überlassen, führt das trotzdem nicht zum Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses
zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer.
Sachverhalt:
Die Klägerin war als Leiharbeitnehmerin bei einer Agentur für Gesundheitsfachberufe
(Leiharbeitsunternehmen) angestellt und wurde von der Agentur per Arbeitnehmerüberlassung an das
beklagte Krankenhaus (Entleiher) als Krankenschwester überlassen. Die Klägerin war der Auffassung,
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dass zwischen ihr und der Betreibergesellschaft des Krankenhauses ein Arbeitsverhältnis zustande
gekommen sei, weil es sich nicht um eine vorübergehende, sondern um eine unzulässige dauerhafte
Überlassung handele. Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage ab. Bis zum 30.11.2011 habe das
AÜG überhaupt keine zeitliche Begrenzung der Arbeitnehmerüberlassung vorgesehen, so dass in
diesem Zeitraum bereits kein Verstoß gegen das AÜG vorliege. Seit dem 01.12.2011 lasse § 1 Abs. 1
Satz 2 AÜG zwar nur noch eine vorübergehende Überlassung zu. Ein Verstoß gegen das Verbot der
Dauerüberlassung führe jedoch nicht zu einem Arbeitsvertrag zwischen Leiharbeitnehmer und
Entleiher.
Praxisbedeutung:
Das BAG bestätigt seine zweifelhafte Entscheidung aus dem Dezember 2013 (Urteil vom 10.12.2013 9 AZR 51/13; hierzu unser Newsletter vom Dezember 2013), in der es sich bereits umfassend mit der
Thematik auseinandergesetzt hatte (anders noch LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.07.2013 - 4
Sa 18/13 – wir berichteten darüber im Newsletter Oktober 2013). Die Situation bleibt damit weiterhin
unbefriedigend, da das Verbot der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung nur mühsam durchgesetzt
werden kann.
Erster Ansatzpunkt ist das Widerspruchsrecht des Betriebsrats im Entleiherbetrieb gemäß § 99
BetrVG. Nach der Rechtsprechung des BAG kann der Betriebsrat nämlich gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1
BetrVG dem Einsatz des Leiharbeitnehmers widersprechen, wenn es sich um einen dauerhaften
Einsatz handelt (Beschluss vom 10.07.2013 - 7 ABR 91/11). Derzeit ist nicht höchstrichterlich geklärt,
wann ein „vorübergehender“ Einsatz vorliegt. Die Mehrzahl der Instanzgerichte geht richtigerweise
davon aus, dass der Bedarf nach der Tätigkeit auch nur vorübergehend sein darf
(arbeitsplatzbezogene Betrachtung), und zwar unabhängig davon, ob die Leiharbeitskraft drei oder 18
Monate eingesetzt wird (z.B. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2012 - 4 TaBV 1163/12;
LAG Niedersachsen, Beschluss vom 19.09.2012 - 17 TaBV 124/11; zu beiden Entscheidungen unser
Newsletter vom Februar/März 2013). Zweiter Ansatzpunkt ist in Betrieben mit mehr als 500
Arbeitnehmern eine nach § 95 Abs. 2 BetrVG erzwingbare Auswahlrichtlinie zum Einsatz von
Leiharbeitskräften im Betrieb.
Zeugnis kann auch im Eilverfahren eingeklagt werden
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 17.02.2014 – 16 SaGa61/14
Orientierungssatz:
Ein
Verfügungsgrund
liegt
im
einstweiligen
Verfügungsverfahren
für
den
Zeugnisberichtigungsanspruchs vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer entweder überhaupt
kein Zeugnis erteilt oder das erteilte Zeugnis als Grundlage für eine Bewerbung bereits auf den ersten
Blick ausscheidet. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die im Zeugnis enthaltene Beurteilung nur eine
Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers gegenüber seinen Kollegen enthält, nicht aber
gegenüber Vorgesetzten und Kunden.
Sachverhalt:
Der Arbeitnehmer hatte nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ein Arbeitszeugnis
erhalten, das keine Beurteilung seines Verhaltens gegenüber Vorgesetzten und Kunden enthielt. Er
verlangte daher in einem Eilverfahren vor dem Arbeitsgericht ein geändertes Arbeitszeugnis. Das LAG
gab dem Antrag des Klägers auf Ergänzung der Verhaltensbeurteilung statt.
Praxisbedeutung:
Die Entscheidung ist für die Praxis vor allem deshalb wichtig, weil das LAG eine Durchsetzung des
Zeugnisanspruchs im Wege des Eilrechtschutzes zulässt. Der Arbeitnehmer ist nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses regelmäßig auf ein korrektes Zeugnis angewiesen, um sich bei anderen
Arbeitgebern zu bewerben. Er kann daher nicht abwarten, bis eine Entscheidung im regulären
Arbeitsgerichtsverfahren ergangen ist. Eine Durchsetzung des Anspruchs im Eilverfahren ist nach der
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Entscheidung des LAG immer dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer überhaupt kein Zeugnis erhalten
hat oder das Zeugnis offensichtlich unvollständig ist. Sind einzelne Beurteilungen in einem Zeugnis
streitig, wird der Arbeitnehmer in der Regel eine Entscheidung im Hauptsachverfahren abwarten
müssen.
Außerordentliche Kündigung wegen häufigen Kurzerkrankungen
Ausschluss ordentlicher Kündigung praktisch ausgeschlossen
beim
BAG, Urteil vom 23.01.2014 – 2 AZR 582/13
Orientierungssatz:
Bei häufigen Kurzerkrankungen kann es sich um einen Dauertatbestand handeln. Das bedeutet, dass
die 14-tägige Frist des § 626 Abs. 2 BGB für außerordentliche Kündigungen mit jeder Erkrankung neu
zu laufen beginnt, solange deshalb eine dauerhafte Krankheitsanfälligkeit vermutet und damit eine
negative Gesundheitsprognose begründet werden kann. Zur Rechtfertigung einer außerordentlichen
krankheitsbedingten Kündigung müssen die prognostizierten Fehlzeiten und die sich daraus
ergebende Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen aber deutlich über das Maß hinausgehen,
das eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen würde.
Sachverhalt:
Die Arbeitnehmerin war seit 1981 beschäftigt. Auf Grund einer tarifvertraglichen Regelung war die
ordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen. Seit dem Jahr 2000 war die
Arbeitnehmerin wiederholt und aus unterschiedlichen Gründen an durchschnittlich mehr als 75
Arbeitstagen im Jahr arbeitsunfähig erkrankt. Am 09.12.2011 hatte der Arbeitgeber der
Arbeitnehmerin mitgeteilt, dass er das Arbeitsverhältnis kündigen wolle. Am 28.03.2012 kündigte er
schließlich außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2012. Gegen diese Kündigung erhob
die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage. Die Vorinstanzen hatten ihr Recht gegeben. Das
Bundesarbeitsgericht hat diese Entscheidungen bestätigt.
Die Unwirksamkeit der Kündigung folgt laut dem BAG jedoch nicht daraus, dass die zweiwöchige Frist
nach § 626 Abs. 2 BGB zwischen der Kenntnis der Tatsachen, die die Kündigung begründen, und der
Kündigungserklärung verstrichen war. Denn bei den häufigen Kurzerkrankungen handelt es sich nach
Ansicht des BAG um einen Dauertatbestand. Es reiche daher zur Fristwahrung aus, dass die negative
Prognose wegen fortbestehender Krankheitsanfälligkeit, auf die der Arbeitgeber die Kündigung stützt,
auch noch bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung gilt.
Das BAG hält die Kündigung jedoch für unwirksam, weil es nach seiner Ansicht an einem wichtigen
Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB fehlt. Eine außerordentliche
krankheitsbedingte Kündigung komme nur in eng begrenzten Fällen in Betracht. Der tarifvertragliche
Ausschluss einer ordentlichen Kündigung könne zwar die ausnahmsweise Zulässigkeit einer
außerordentlichen Kündigung begründen. Die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung
setze
jedoch
voraus,
dass
1.) objektive Tatsachen vorlägen, die weitere Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten ließen;
2.) die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
führen (davon könne bei Betriebsablaufstörungen sowie bei wirtschaftlichen Belastungen, etwa durch
zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende
Entgeltfortzahlungskosten,
ausgegangen
werden);
3.) nach einer Interessenabwägung die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr
hinzunehmen
seien.
Bei der Prüfung sei im Falle einer außerordentlichen Kündigung ein besonders strenger Maßstab
anzulegen. Konkret verlangt das BAG entweder, dass der Arbeitgeber ohne nennenswerte
Arbeitsleistung erhebliche Entgeltzahlungen erbringen müsse oder dass auf Grund der
krankheitsbedingten Fehlzeiten ein Einsatz des Arbeitnehmers nicht mehr sinnvoll und verlässlich
geplant werden könne und der Arbeitnehmer deshalb faktisch nicht mehr zur Förderung des
Betriebszwecks beitrage. Diese Voraussetzungen waren nach Ansicht des BAG hier nicht erfüllt. Die
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Arbeitnehmerin sei noch zu fast zwei Dritteln ihrer Jahresarbeitszeit einsatzfähig, erbringe damit noch
eine nennenswerte Arbeitsleistung und könne den weitaus größeren Teil des Jahres sinnvoll
eingesetzt werden. Der Umstand, dass die möglichen Ausfallzeiten zu Vertretungsbedarf und zu
Verzögerungen im Betriebsablauf führten, sei nicht außergewöhnlich und mache die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht unzumutbar.
Praxisbedeutung:
Die Entscheidung ist überall dort relevant, wo die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung
tarifvertraglich oder durch arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen entsprechenden Tarifvertrag
ausgeschlossen ist. Eine solcher tarifvertraglicher Ausschluss gilt unter bestimmten Voraussetzungen
z.B. im öffentlichen Dienst (vgl. § 34 Abs. 2 TVöD bzw. § 34 Abs. 2 TV-L). Ist eine ordentliche
Kündigung nicht möglich, bleibt dem Arbeitgeber zur einseitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses
nur das Mittel der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB. Mit dem
vorliegenden Urteil stellt das Bundesarbeitsgericht zu Recht sehr hohe Anforderungen an eine
Rechtfertigung einer krankheitsbedingten außerordentlichen Kündigung. Eine Kündigung kommt
danach nur in Extremfällen in Betracht, in denen, wie es das Bundesarbeitsgericht formuliert, der
Arbeitgeber zur Aufrechterhaltung eines „sinnentleerten“ Arbeitsverhältnisses gezwungen würde.
Darüber hinaus kann der Entscheidung entnommen werden, dass der Arbeitgeber bei einer
krankheitsbedingten außerordentlichen Kündigung in der Regel nicht an die zweiwöchige
Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gebunden ist. Dies ist, wie das Bundesarbeitsgericht richtig
ausführt, auch im Interesse des Arbeitnehmers, denn andernfalls würde der Arbeitgeber zur möglichst
frühzeitigen Erklärung der Kündigung angehalten.
In Ausnahmefällen auch Kündigung in der Freistellungsphase der Altersteilzeit
möglich
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.05.2014 – 2 Sa 410/14
Orientierungssatz:
Die außerordentlich fristlose Kündigung eines tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers im
öffentlichen Dienst während der Freistellungsphase ist zulässig, wenn ein Bezug zum
Arbeitsverhältnis gegeben ist.
Sachverhalt:
Der Arbeitnehmer war beim Land als Decks- und Maschinenhelfer bei der Wasserschutzpolizei
beschäftigt und hatte mit dem Arbeitgeber einen Altersteilzeitvertrag im Blockmodell abgeschlossen.
Seit 2011 befand sich der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase. In den Jahren 2008 bis 2011 hatte
er zu privaten Zwecken beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie die Erteilung
verschiedener nautischer Befähigungszeugnisse beantragt. Da er die Voraussetzungen für diese
Befähigungszeugnisse teilweise nicht erfüllte, manipulierte er die notwenigen Zeugnisse. Wegen
dieser Manipulationen wurde der Arbeitnehmer im Jahr 2013 wegen des Gebrauchs von unechten
Urkunden, der Bewirkung von falschen Urkunden und des Versuchs des Erschleichens von falschen
Urkunden zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 65 Tagessätzen verurteilt. Das Land hatte zuvor
bereits 2011 das Arbeitsverhältnis wegen des Verdachts von Straftaten außerordentlich gekündigt,
nachdem es von den Manipulationen erfahren hatte. Das LAG Schleswig-Holstein wies, wie auch
bereits das Arbeitsgericht Flensburg, die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers ab. Zur
Begründung führt es aus, dass die begangenen Straftaten einen Bezug zum Arbeitsverhältnis des
Klägers hätten. Der Kläger habe die Anträge unter Angabe seiner dienstlichen Adresse gestellt und
bei der Antragsstellung ausdrücklich auf seine Tätigkeit bei der Wasserschutzpolizei Bezug
genommen. Er habe dadurch gegen seine Verpflichtung verstoßen, sich so zu verhalten, dass das
Ansehen des öffentlichen Dienstes nicht leide.
9
Oktober 2014
Praxisbedeutung:
Bei der Altersteilzeit im sogenannten „Blockmodell“ sind zwei Phasen zu unterscheiden: In der ersten
Phase, der Arbeitsphase, arbeitet der Arbeitnehmer in der Regel im bisherigen Umfang weiter. Die
Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis bestehen in dieser Phase uneingeschränkt fort. Auch
eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist während der Arbeitsphase grundsätzlich unter Einhaltung
der allgemeinen kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen möglich (BAG, Urteil vom 16.06.2005 6 AZR 476/04).
In der zweiten Phase, der Freistellungsphase, arbeitet der Arbeitnehmer nicht mehr. Eine
Leistungspflicht des Arbeitnehmers besteht in dieser Phase also nicht mehr, weil er während der
Arbeitsphase in Vorleistung getreten ist. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist daher nur noch
aus verhaltensbedingten Gründen möglich, nicht mehr jedoch aus personenbezogenen oder
betrieblichen Gründen. Das gilt auch bei Insolvenz des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 05.12.2002 - 2
AZR 571/01). Wie die vorliegende Entscheidung zeigt, kann ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund
der Verdacht sein, dass der Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat, die einen Bezug zum
Arbeitsverhältnis hat. Dies gilt insbesondere auch für die Begehung von Straftaten gegen den
Arbeitgeber. So hat das LAG Schleswig-Holstein beispielsweise früher entschieden, dass der
Arbeitgeber in der Freistellungsphase außerordentlich kündigen kann, wenn der Arbeitnehmer im
Betrieb einen Diebstahl begeht (Urteil vom 18.01.2005 - 2 Sa 413/04).
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