Prophylaxe gegen Krebs und chronische Krankheiten?

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Vitamin D
Prophylaxe gegen Krebs und chronische
Krankheiten?
Von Marion Hofmann-Aßmus / Kann man mit ausreichender Vitamin-D-Versorgung
chronischen Krankheiten wie Krebs, Morbus Parkinson oder Multipler Sklerose vorbeugen?
Dies wird unter Experten derzeit lebhaft diskutiert – vor dem Hintergrund, dass in der
Bevölkerung ein eklatanter Vitamin-D-Mangel herrscht.
Interessanterweise hat man in letzter Zeit jedoch herausgefunden, dass nicht nur die Niere in der Lage
ist, den metabolisch aktiven Metaboliten herzustellen, sondern auch fast alle anderen Organe. »Dieser
in den übrigen Organen gebildete aktive Metabolit hat nichts mit dem Knochen- oder
Calciumstoffwechsel zu tun und wird auch nicht ins Blut abgegeben, sondern reguliert lokal
gewebespezifische Zellfunktionen«, erklärte Professor Dr. Jörg Reichrath aus Homburg auf dem
Deutschen Krebskongress in Berlin 2010.
Bis zu 200 Gene soll 1,25[OH]2D3 etwa in Darm-, Prostata-, Nerven- oder Brustdrüsenzellen beeinflussen können. Dies macht das Hormon neuerdings so spannend. Denn diese Gene kontrollieren
beispielsweise die bei der Tumorentstehung so wichtige Proliferation und Apoptose (programmierter
Zelltod) sowie die Differenzierung der Zellen. Die neu gewonnene Erkenntnis, dass viele Organe den
aktiven Metaboliten selbst herstellen und dieser an Ort und Stelle wirkt, stellt die Basis für das
Verständnis der möglicherweise vielfältigen Auswirkungen eines Vitamin-D-Mangels dar.
Vitamin-D-Synthese im Körper
Die Haut spielt bei der Herstellung von Vitamin D eine wichtige Rolle: Mithilfe von UVB wird in den
Keratinozyten aus 7-Dehydrocholesterol (Provitamin D3), das die Leber aus Cholesterol bildet, das
Prävitamin D3 und anschließend das Colecalciferol (D3) gebildet. Letzteres verwandeln die
Leberzellen dann in die Speicherform Calcifediol (25[OH]D3). Die Niere stellt die biologisch aktive
Form Calcitriol (1,25-Dihydroxy-Colecalciferol oder 1,25[OH]2D3) her und gibt sie ins Blut ab. Calcitriol
reguliert unter anderem den Knochen- und Calciumstoffwechsel. Zudem weiß man heute, dass
1,25[OH]2D3 nicht nur in der Niere, sondern in fast allen Organen gebildet wird und dort
gewebespezifische Zellfunktionen ausübt. Im Unterschied zum tierischen oder menschlichen Vitamin
D3 bezeichnet man das pflanzliche Pendant als Vitamin D2.
Diskutiert wird ein Zusammenhang mit:
Krebserkrankungen, zum Beispiel Kolon- und Mammakarzinom,
Rachitis und Osteomalazie,
kardiovaskuläre Erkrankungen, zum Beispiel arterielle Hypertonie,
Autoimmunkrankheiten, zum Beispiel Diabetes mellitus Typ 1, Morbus Crohn oder Multiple Sklerose,
Infektionserkrankungen wie Tuberkulose,
psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie oder endogene Depressionen.
Aussagekräftige Studien fehlen
Ob man mit Vitamin D einem Tumor vorbeugen kann, ist nicht abschließend geklärt. Einige
epidemiologische Studien sowie tierexperimentelle und molekularbiologische Untersuchungen stützen
die Hypothese, wonach das D3-Hormon antikanzerogenes Potenzial hat.
»Das Problem ist aber, dass aussagekräftige, randomisierte placebokontrollierte Studien bislang
fehlen«, bemängelte Reichrath. Die vorhandenen Studien seien zu kurz und die Probanden hätten
Vitamin D in zu niedriger Dosis bekommen. »Nötig wäre eine Gabe von mindestens 1000 I. E. täglich
über mindestens fünf bis zehn Jahre«, so der Dermatologe. Hinzu komme mangelndes Studiendesign,
etwa bei der viel diskutierten Lappe-Studie (1).
In dieser randomisierten placebokontrollierten Studie erhielten postmenopausale Frauen zwar relativ
hohe Dosen Vitamin D (1100 I. E. täglich), zugleich jedoch Calcium. »Es zeigte sich eine signifikante
Reduktion des Krebsrisikos unter Vitamin D plus Calcium gegenüber Placebo und verglichen mit einer
alleinigen Calciumgabe. Die Studie deutet also auf einen positiven Effekt von Vitamin D hin. Sie ist
aber nicht aussagekräftig, da es keine Gruppe gab, die ausschließlich Vitamin D erhielt«, erklärte
Reichrath.
Weniger Sonne, mehr Krebs
Die wichtigsten Hinweise auf eine antikanzerogene Wirkung liefern bislang epidemiologische Studien.
So ermittelte eine Untersuchung ein um 50 Prozent niedrigeres Risiko für Kolonkarzinom bei
Menschen mit einem 1,25[OH]2D3-Spiegel über 33 ng/ml, im Vergleich zu unter 12 ng/ml (2).
Gleichzeitig weisen weitere Autoren darauf hin, dass die Einnahme von Vitamin D das Krebsrisiko
erheblich verringern könne. So soll nach einer Metaanalyse die tägliche Einnahme von 1000 I. E.
Vitamin D das Risiko für Brust- und kolorektales Karzinom etwa halbieren (3).
Auch der schon länger bekannte Zusammenhang mit der Region oder der Intensität der UV-BStrahlen bestätigte sich. Laut einer Studie von Grant ist die UV-B-Stahlung invers korreliert mit der
Krebsmortalität. Demnach starben zwischen 1970 und 1994 aufgrund unzureichender UV-BExposition in den USA jährlich 21 700 weiße und 1400 farbige Einwohner vorzeitig an Krebs (4).
Die erhöhte Mortalitätsrate durch zu geringe UV-B-Strahlung geht nicht allein auf das Kolonkarzinom
zurück. Eine Vielzahl weiterer Tumoren scheint mit dem Mangel an Sonnenlicht und dem daraus
resultierenden Vitamin-D-Status assoziiert, etwa Brust-, Eierstock-, Prostata-, Nieren-, Lungen-,
Pankreas-, Blasen- oder Magenkarzinom.
Doch soll nicht unerwähnt bleiben, dass einige epidemiologische Studien auch eine negative Wirkung
beziehungsweise keinerlei Effekte von Vitamin D ermittelten. So stellten Forscher des amerikanischen
National Cancer Instituts bei umfangreichen Studien (mehr als 12 000 Blutproben) fest, dass ein
höherer Serumspiegel keine protektive Wirkung auf die Entwicklung seltener Tumoren hat. Dazu
zählten die Forscher beispielsweise das Non-Hodgkin-Lymphom, Ösophagus-, Magen-, Nieren-,
Ovarial-, Pankreas- oder Endometriumkarzinom (5).
»Tierexperimente zeigen eindrucksvoll, dass der Vitamin-D-Stoffwechsel eine große Bedeutung für die
Tumorentstehung hat«, sagte Reichrath. So würden Versuche mit Hamstern belegen, dass sowohl die
Häufigkeit als auch die Größe von Karzinomen, die man durch Karzinogene induziert hat, durch den
Vitamin-D-Status modifizierbar sind. »Das heißt, Vitamin-D-defiziente Tiere entwickeln schneller und
auch größere Tumore als Tiere, die ausreichend mit Vitamin D versorgt sind«, berichtete Reichrath
beim Krebskongress.
Absorptionsspektren und ihr Effekt auf die Induktion von Sonnenbrand, Hautschäden
und Prävitamin-D-Synthese; modifiziert nach (13)
Dilemma um die Sonne
Der Schutz vor Sonnenlicht galt lange Zeit auch als Schutz vor Krebs – zumindest vor Hautkrebs. Hier
tritt ein Dilemma zutage, das Dr. Rüdiger Greinert, Leiter der Abteilung Molekulare Zellbiologie am
Dermatologischen Zentrum Buxtehude beim Deutschen Krebskongress in Berlin auf den Punkt
brachte: »Es gibt keine Vitamin-D-Synthese ohne DNA-Schädigung in der Haut, denn die UVSpektren, die zu Sonnenbrand, Bräunung, Hautkrebs oder aber der Vorstufe des Vitamin D führen,
überlappen nahezu.« Die Grafik zeigt die relative Wirksamkeit der UV-Spektren bezüglich
Hautschäden und Vitamin-D-Synthese.
Doch sollte man bezüglich der Dauer der Sonnenbestrahlung hellen Hautkrebs und malignes
Melanom differenziert betrachten. Für die Entstehung des hellen Hautkrebses macht man die
lebenslange Akkumulation von UV-Strahlen verantwortlich.
Nicht so eindeutig ist die Datenlage beim malignen Melanom: Strittig ist etwa, ob kurze intensive
Sonnenbäder, zum Beispiel im Urlaub, eher protektiv oder eher risikosteigernd wirken. Auch
assoziieren einige Untersuchungen die stärkere (längere) Sonneneinstrahlung in der Nähe des
Äquators und an Küsten mit einem höheren Risiko für malignes Melanom. Dagegen scheint eine
dauerhafte, weniger intensive Sonnenbestrahlung in gemäßigteren Breiten eher schützend zu wirken,
etwa bei beruflich exponierten Personen. Weitgehend einig ist man sich darin, dass Sonnenbrände
(insbesondere in der Kindheit) das Risiko für ein malignes Melanom deutlich erhöhen.
Als optimaler Zeitpunkt, um Vitamin D zu synthetisieren, gilt die Mittagszeit, also genau der Zeitpunkt,
an dem das Risiko für eine Hautschädigung am höchsten ist. Reichrath empfiehlt daher »einen
regelmäßigen, aber maßvollen Aufenthalt im Sonnenlicht«.
Bei einer Beratung sollte das Apothekenteam erwähnen, dass die individuell verträgliche
Strahlendosis vom Hauttyp und der Sonnenintensität abhängt. Für den in Mitteleuropa
vorherrschenden hellen Hauttyp reichen laut Weltgesundheitsorganisation während der
Sommermonate bereits dreimal wöchentlich 5 bis 15 Minuten Sonnenstrahlung auf Gesicht, Hände
und Arme aus, um ausreichend Vitamin D zu bilden.
Wichtig ist, die Haut langsam an die Sonne zu gewöhnen und Hautrötungen unbedingt zu vermeiden.
Der Sonnenschutz sollte erst auftragen werden, wenn die individuell verträgliche Sonnendosis erreicht
ist. Wissenswert ist zudem, dass viel UV-B nicht automatisch in viel Vitamin D(-Vorstufen) resultiert.
Im Gegenteil. Zu viel UV-B-Bestrahlung induziert den Abbau der Vorstufen, während die DNASchädigung und weitere negative Effekte wie Hautrötungen weiter ansteigen. Gleiches gilt für eine
künstliche Bestrahlung in Sonnenstudios.
Schutz vor Parkinson und Demenz?
Zwei kürzlich veröffentlichte Beobachtungsstudien stellen einen Zusammenhang zwischen niedrigen
Vitamin-D-Spiegeln und Morbus Parkinson sowie einer geringeren kognitiven Performance
(Leistungsfähigkeit) im Alter her.
Forscher in Finnland untersuchten im »Mini-Finland Health Survey« Blutproben von mehr als 3100
Personen. Während der 29-jährigen Nachbeobachtungszeit erkrankten im Quartil mit den höchsten
Vitamin-D-Serumkonzentrationen 67 Prozent weniger Menschen an Parkinson als im Quartil mit den
niedrigsten Werten (6). Auch wenn man daraus nicht folgern kann, dass eine Vitamin-D-Substitution
die Krankheit verhindern oder bessern könnte, startete die US-amerikanische Emory Universität
bereits eine klinische Pilotstudie, in der Parkinson-Patienten mit Vitamin D behandelt werden.
In der InCHIANTI-Studie, einer prospektiven Beobachtungsstudie, erfasste man die Vitamin-D-Spiegel
von über 800 älteren Personen (über 65 Jahre) in Italien und testete sie gleichzeitig auf eine
Demenzerkrankung. Dabei zeigte sich, dass Teilnehmer mit einer Vitamin-D-Insuffizienz (unter 25
nmol/l) im Standardtest (MMSE, Mini-Mental State Examination) häufig schlechter abschnitten. Auch
bei der Prüfung auf mentale Schnelligkeit (Trail Making Test B) waren sie langsamer. Ihre mentale
Flexibilität hingegen ließ keine Assoziation erkennen (7). Den Einfluss auf die kognitiven Leistungen
führt man derzeit auf die antioxidativen Effekte des D-Hormons zurück.
Bei Alzheimer-Patienten beobachtete man ebenfalls eine Assoziation von niedriger Vitamin-DKonzentration und schlechterem Abschneiden im MMSE. Insgesamt wiesen Patienten mit einer
Alzheimer-Demenz einen geringeren Vitamin-D-Spiegel auf, verglichen mit Kontrollpersonen ohne
Demenz.
Weniger MS in Äquatornähe
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine neurodegenerative T-Lymphozyten-vermittelte
Autoimmunerkrankung. Ihre Ursache ist noch nicht eindeutig geklärt; man vermutet aber, dass
Umwelteinflüsse eine Rolle spielen. Für einen Einfluss des Sonnenlichts spricht etwa die
Epidemiologie: Die Krankheit ist umso häufiger, je weiter der Wohnort vom Äquator entfernt liegt.
Eine ganze Reihe epidemiologischer Studien bestätigen eine Verbindung zwischen MS und Vitamin
D. Beispielsweise zeigt eine aktuelle Fall-Kontroll-Studie aus den USA, dass Personen mit einer
hohen D-Konzentration im Blut ein geringeres Risiko aufwiesen, MS zu entwickeln. Dieser
Zusammenhang galt jedoch nur für Teilnehmer mit weißer Hautfarbe, für die Gruppe mit den höchsten
Werten (1,25[OH]2D3 über 99,1 nmol/l) und insbesondere für unter 20-Jährige (8). Weitere Studien
deuten darauf hin, dass niedrige Vitamin-D-Spiegel bei MS-Patienten mit schwererem
Krankheitsgeschehen und häufigeren Schüben einhergehen.
Ob eine Supplementation das Krankheitsgeschehen positiv beeinflussen könnte, ist noch unklar.
Überhaupt wird die Frage, ob eine Vitamin-D-Gabe bei Autoimmunkrankheiten generell sinnvoll oder
auf Dauer sogar schädlich ist, kontrovers diskutiert.
Auch Rheumatiker weisen häufig einen Vitamin-D-Mangel auf. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis
scheint die Krankheitsaktivität zudem mit der Unterversorgung zu korrelieren. Auch hat man herausgefunden, dass bei diesen Patienten die »gewöhnliche« Vitamin-D-Supplementation von täglich 800
bis 1000 I. E. nicht ausreicht, um den Spiegel zu normalisieren. Unklar ist, ob höhere Dosierungen
effektiver wären.
Nur günstig fürs Immunsystem?
Dem Colecalciferol schreiben viele Experten immunmodulatorische Eigenschaften zu, etwa die
Stimulierung verschiedener antimikrobieller Funktionen in Makrophagen oder die Beeinflussung der
Zytokinexpression von Monozyten und aktivierten T-Lymphozyten.
Eine aktuelle Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass der Einfluss von Vitamin D noch
grundlegender ist als bislang angenommen (9). Denn nur, wenn eine naive (nicht aktivierte) T-Zelle
nach Kontakt mit einem Erreger verfügbares Vitamin D registriert, könne sie ihre Aktivierungskaskade
starten, in deren Verlauf sich die nun aktivierte T-Zelle massenhaft vervielfältigt und Bakterien oder
Viren gezielt angreift. Diese neue Erkenntnis könnte nach Meinung der Autoren bei der Behandlung
von Infektionen oder der Unterdrückung von Autoimmunreaktionen künftig eine Rolle spielen.
Dass ein hoher Vitamin-D-Spiegel bei Autoimmunerkrankungen hilfreich sei, steht im Widerspruch zu
der von einigen Experten vertretenen »alternativen Hypothese«. Diese geht davon aus, dass
Colecalciferol aufgrund seiner Steroid-ähnlichen Struktur Immunprozesse eher inaktiviert als aktiviert.
Dadurch würden zwar einerseits Entzündungsreaktionen gehemmt, andererseits aber die
Immunantwort langfristig unterdrückt. Somit könne der Körper chronisch persistierende Infektionen
schlechter bekämpfen. Diese werden jedoch als mögliche Ursache bei der Entstehung von
Autoimmunkrankheiten diskutiert. Die niedrigen Vitamin-D-Spiegel vieler Patienten wären dann ein
Schutz des Körpers gegen chronische Infektionen. Vertreter dieser Hypothese raten daher von einer
unkritischen Substitution bei Patienten mit Autoimmunkrankheiten ab.
Mangelland Deutschland
Angesichts der vielfältigen Krankheiten, mit denen der Vitamin-D-Status derzeit assoziiert wird, macht
das weit verbreitete Defizit vielen Fachleuten große Sorgen. Schätzungsweise mehr als eine Milliarde
Menschen leiden weltweit an einer Vitamin-D-Defizienz oder -Insuffizienz. »Der Mangel an Vitamin D
stellt ein gravierendes Gesundheitsproblem auch für unsere Gesellschaft dar«, betonte Reichrath.
Über den optimalen D-Serumspiegel besteht bislang kein Konsens. Derzeit bezeichnet man Werte
unter 20 ng/ml als Defizienz und zwischen 20 und 30 ng/ml als Insuffizienz. Erst Konzentrationen ab
30 ng/ml gelten als ausreichend (Suffizienz). Vielen Experten erscheinen diese Normwerte jedoch viel
zu niedrig, sie fordern höhere Grenzwerte. In Deutschland weisen laut einer Studie 57 Prozent der
Männer und 58 Prozent der Frauen zwischen 18 und 79 Jahren eine Vitamin-D-Defizienz auf (10).
Auch die Nationale Verzehrsstudie II, die im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz das Ernährungsverhalten von 20 000 Deutschen untersuchte,
kommt zu dem Schluss, dass die Versorgung mit Vitamin D unzureichend ist. Bei Männern und
Frauen aller Altersgruppen liegt der Median der Zufuhr deutlich unter der empfohlenen
Aufnahmemenge (Grafik). Diese beträgt laut DGE 5 ȝJ7DJXQGDE-DKUHQȝJ7DJ]XU
Prävention der Osteoporose). Zur Umrechnung: 25 µg entsprechen 1000 I. E., 1 µg dann 40 I. E.
Forscher in Finnland untersuchten im »Mini-Finland Health Survey« Blutproben von mehr als 3100
Personen. Während der 29-jährigen Nachbeobachtungszeit erkrankten im Quartil mit den höchsten
Vitamin-D-Serumkonzentrationen 67 Prozent weniger Menschen an Parkinson als im Quartil mit den
niedrigsten Werten (6). Auch wenn man daraus nicht folgern kann, dass eine Vitamin-D-Substitution
die Krankheit verhindern oder bessern könnte, startete die US-amerikanische Emory Universität
bereits eine klinische Pilotstudie, in der Parkinson-Patienten mit Vitamin D behandelt werden.
In der InCHIANTI-Studie, einer prospektiven Beobachtungsstudie, erfasste man die Vitamin-D-Spiegel
von über 800 älteren Personen (über 65 Jahre) in Italien und testete sie gleichzeitig auf eine
Demenzerkrankung. Dabei zeigte sich, dass Teilnehmer mit einer Vitamin-D-Insuffizienz (unter 25
nmol/l) im Standardtest (MMSE, Mini-Mental State Examination) häufig schlechter abschnitten. Auch
bei der Prüfung auf mentale Schnelligkeit (Trail Making Test B) waren sie langsamer. Ihre mentale
Flexibilität hingegen ließ keine Assoziation erkennen (7). Den Einfluss auf die kognitiven Leistungen
führt man derzeit auf die antioxidativen Effekte des D-Hormons zurück.
Bei Alzheimer-Patienten beobachtete man ebenfalls eine Assoziation von niedriger Vitamin-DKonzentration und schlechterem Abschneiden im MMSE. Insgesamt wiesen Patienten mit einer
Alzheimer-Demenz einen geringeren Vitamin-D-Spiegel auf, verglichen mit Kontrollpersonen ohne
Demenz.
Weniger MS in Äquatornähe
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine neurodegenerative T-Lymphozyten-vermittelte
Autoimmunerkrankung. Ihre Ursache ist noch nicht eindeutig geklärt; man vermutet aber, dass
Umwelteinflüsse eine Rolle spielen. Für einen Einfluss des Sonnenlichts spricht etwa die
Epidemiologie: Die Krankheit ist umso häufiger, je weiter der Wohnort vom Äquator entfernt liegt.
Eine ganze Reihe epidemiologischer Studien bestätigen eine Verbindung zwischen MS und Vitamin
D. Beispielsweise zeigt eine aktuelle Fall-Kontroll-Studie aus den USA, dass Personen mit einer
hohen D-Konzentration im Blut ein geringeres Risiko aufwiesen, MS zu entwickeln. Dieser
Zusammenhang galt jedoch nur für Teilnehmer mit weißer Hautfarbe, für die Gruppe mit den höchsten
Werten (1,25[OH]2D3 über 99,1 nmol/l) und insbesondere für unter 20-Jährige (8). Weitere Studien
deuten darauf hin, dass niedrige Vitamin-D-Spiegel bei MS-Patienten mit schwererem
Krankheitsgeschehen und häufigeren Schüben einhergehen.
Ob eine Supplementation das Krankheitsgeschehen positiv beeinflussen könnte, ist noch unklar.
Überhaupt wird die Frage, ob eine Vitamin-D-Gabe bei Autoimmunkrankheiten generell sinnvoll oder
auf Dauer sogar schädlich ist, kontrovers diskutiert.
Auch Rheumatiker weisen häufig einen Vitamin-D-Mangel auf. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis
scheint die Krankheitsaktivität zudem mit der Unterversorgung zu korrelieren. Auch hat man herausgefunden, dass bei diesen Patienten die »gewöhnliche« Vitamin-D-Supplementation von täglich 800
bis 1000 I. E. nicht ausreicht, um den Spiegel zu normalisieren. Unklar ist, ob höhere Dosierungen
effektiver wären.
Nur günstig fürs Immunsystem?
Dem Colecalciferol schreiben viele Experten immunmodulatorische Eigenschaften zu, etwa die
Stimulierung verschiedener antimikrobieller Funktionen in Makrophagen oder die Beeinflussung der
Zytokinexpression von Monozyten und aktivierten T-Lymphozyten.
Eine aktuelle Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass der Einfluss von Vitamin D noch
grundlegender ist als bislang angenommen (9). Denn nur, wenn eine naive (nicht aktivierte) T-Zelle
nach Kontakt mit einem Erreger verfügbares Vitamin D registriert, könne sie ihre Aktivierungskaskade
starten, in deren Verlauf sich die nun aktivierte T-Zelle massenhaft vervielfältigt und Bakterien oder
Viren gezielt angreift. Diese neue Erkenntnis könnte nach Meinung der Autoren bei der Behandlung
von Infektionen oder der Unterdrückung von Autoimmunreaktionen künftig eine Rolle spielen.
Dass ein hoher Vitamin-D-Spiegel bei Autoimmunerkrankungen hilfreich sei, steht im Widerspruch zu
der von einigen Experten vertretenen »alternativen Hypothese«. Diese geht davon aus, dass
Colecalciferol aufgrund seiner Steroid-ähnlichen Struktur Immunprozesse eher inaktiviert als aktiviert.
Dadurch würden zwar einerseits Entzündungsreaktionen gehemmt, andererseits aber die
Immunantwort langfristig unterdrückt. Somit könne der Körper chronisch persistierende Infektionen
schlechter bekämpfen. Diese werden jedoch als mögliche Ursache bei der Entstehung von
Autoimmunkrankheiten diskutiert. Die niedrigen Vitamin-D-Spiegel vieler Patienten wären dann ein
Schutz des Körpers gegen chronische Infektionen. Vertreter dieser Hypothese raten daher von einer
unkritischen Substitution bei Patienten mit Autoimmunkrankheiten ab.
Median der Vitamin-D-Zufuhr in Prozent der D-A-CH-Referenzwerte
Jedoch erreichen 82 Prozent der Männer und 91 Prozent der Frauen die empfohlene tägliche Zufuhr
nicht. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt der Anteil sogar noch höher, mit mehr als 86
Prozent bei den Männern und mehr als 96 Prozent bei den Frauen. Ebenfalls schlecht schneiden die
Senioren ab: 94 Prozent der Männer und 97 Prozent der Frauen sind unterversorgt (11).
Wer ist gefährdet?
In den meisten Fällen beruht ein Vitamin-D-Mangel auf einer unzureichenden Synthese in der Haut.
Die Ursachen sind vielfältig und liegen auch im Lebensstil begründet. Die meisten Menschen
verbringen den Tag größtenteils in geschlossenen Räumen. Glas jedoch lässt nur einen geringen
Prozentsatz der für die Synthese wichtigen UV-B-Strahlen passieren. Dazu kommt die geringe UV-BStrahlungsintensität in nördlichen Breiten während der Wintermonate: Von November bis
einschließlich Februar geht die Vitamin-D-Produktion nahe null.
Eine weitere Ursache ist die Anwendung von Sonnenschutzmitteln. So reduziert etwa ein Mittel mit
Sonnenschutzfaktor 8 die Vitamin-D-Synthese der Haut um über 95 Prozent. Daneben können
intrinsische Faktoren einen Mangel auslösen: etwa eine verminderte intestinale Absorption oder eine
erworbene oder angeborene Störung des Vitamin-D-Metabolismus.
Dunkelhäutige Menschen, die in nördlichen Breiten leben, zählen zu den Risikogruppen, da sie im
Vergleich zu Hellhäutigen eine wesentlich längere Lichtexposition benötigen, um die gleiche Menge
an Vitamin D herzustellen. Adipöse Menschen sind ebenfalls häufig betroffen, denn sie speichern
einen Teil des Vitamins irreversibel im Bauchfett.
Im Alter nimmt das Synthesevermögen ab, weil sich die Konzentration der Vorstufe in der Haut
verringert. So kann ein 70-Jähriger unter gleichen Bedingungen nur etwa 25 Prozent der
Konzentration an 1,25[OH]2D3 herstellen wie ein 20-Jähriger. Bettlägerige Menschen oder solche, die
sich aufgrund einer Immunsuppression vor Sonnenstrahlung schützen müssen, sind ebenfalls
gefährdet. Gleiches gilt für Patienten, die langfristig Medikamente wie Antiepileptika, Glucocorticoide,
Rifampicin, Orlistat, Colestyramin oder Laxanzien einnehmen.
Vitamin D findet sich auch in der Nahrung, allerdings nicht in ausreichend hoher Konzentration, um
etwa in Mitteleuropa das Sonnenlicht als Quelle ersetzen zu können. Enthalten ist es insbesondere in
fettem Fisch und Fischöl sowie in geringerer Menge in Eiern, Innereien, Käse, Milch und pflanzlicher
Nahrung (Tabelle).
Supplementierung von Vitamin D
Wie viel Vitamin D »gesund« ist oder womöglich vor Krankheiten schützt, kann noch nicht
abschließend beantwortet werden, zumal eine große individuelle Variabilität besteht. Einig ist man
sich, dass Vitamin D supplementiert werden sollte, falls der Mensch es nicht ausreichend herstellen
kann. Zuvor sollte jedoch der Serumspiegel gemessen werden (Kasten 2).
Vitamin D in Nahrungsmitteln
Lebensmittel
Vitamin D (I. E.) pro 100 g
Lebertran
12 000
Hering
1000
Sardinen
450
Lachs (wild, frisch)
800
Lachs (gezüchtet, frisch)
200
Eier
120
Shitakepilze (getrocknet)
1600
Shitakepilze (frisch)
100
Champignons
80
Butter
50
Kalbsleber
10
Vollmilch
5
Schmelzkäse (45 % Fett i. Tr.)
120
Gouda (45 % Fett i. Tr.)
50
Angegeben sind ungefähre Werte, da der Vitamin-D-Gehalt von Faktoren wie
Fütterung, Herkunft und Sorten abhängt. Aus (12).
Entgegen der viel niedrigeren Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) (täglich
200 I. E. für Kinder, Erwachsene und Schwangere, 400 I. E. ab 65 Jahren) raten verschiedene
Experten zu 800 bis 1000 I. E. täglich für gesunde Erwachsene und Kinder jeden Alters. Zur
Prophylaxe der Osteoporose empfiehlt die DVO-Leitlinie 2009 mindestens 30 Minuten täglich eine
Sonnenlichtexposition von Armen und Gesicht. Wenn dies nicht erreicht wird, raten die Experten zur
Supplementierung mit 800 bis 2000 I. E. Vitamin D3 oral täglich oder einer äquivalenten Dosis
mehrwöchentlich.
Vitamin-D-Test
Zur Bestimmung des Vitamin-D-Status dient nicht der aktive Metabolit im Serum, da dieser nur
eine Halbwertszeit von unter vier Stunden aufweist. Geeigneter ist die Speicherform 25-HydroxyD3 mit einer Halbwertszeit von etwa zwei Wochen. Ein Selbsttest ist nicht möglich, weil der Arzt
Blut abnehmen und dieses an ein Labor schicken muss. Die gesetzlichen Krankenkassen
übernehmen die Kosten für die Laboruntersuchung von etwa 25 bis 35 Euro nicht.
Auch Reichrath empfiehlt täglich 1000 bis 2000 I. E. zur Sicherstellung einer ausreichenden
Versorgung; zur Behandlung eines Vitamin D-Mangels solle man einmal wöchentlich 50 000 I. E. über
acht Wochen geben. Die amerikanische National Osteoporosis Foundation rät neuerdings allen
Frauen nach der Menopause, täglich 800 bis 1000 I. E. Vitamin D einzunehmen. Üblich ist eine
Vitamin-D-Rachitisprophylaxe von 400 bis 500 I. E. bei gestillten und nicht gestillten Säuglingen bis
zum Ende des 1. Lebensjahres. /
Literatur
1. Lappe, J. M., et al., Vitamin D and calcium supplementation reduces cancer risk: results of a
randomized trial. Am J Clin Nutr 85 (2007) 1586-1591.
2. Gorham, E. D., et al., Optimal Vitamin D Status for Colorectal Cancer Prevention A
Quantitative Meta Analysis. Am J Prev Med 32 (3) (2007) 210-216
KOSTENLOS (3)
(2007) 210-216 .
3. Garland, C. F., et al., The role of vitamin D in cancer prevention. Am J Public Health 96 (2006)
252-261.
4. Grant, W. B., An estimate of premature cancer mortality in the U.S. due to inadequate doses
of solar ultraviolet-B radiation. Cancer 15 (2002) 1867-1875.
5. Helzlsouer, K. J., et al., Overview of the Cohort Consortium Vitamin D Pooling Project of Rare
Cancers. Am J Epidem 172 (2010) 4-9.
6. Knekt, P., et al., Serum Vitamin D and the Risk of Parkinson Disease. Arch Neurol 67 (2010)
808-811
KOSTENLOS (2010) 808-811 .
7. Llewellyn, D. J., et al., Vitamin D and Risk of Cognitive Decline in Elderly Persons. Arch Intern
Med 170 (2010) 1135-1141.
8. Munger, K. L., et al., Serum 25-Hydroxyvitamin D Levels and Risk of Multiple Sclerosis. JAMA
296 (2006) 2832-2838.
9. Rode von Essen, M., et al., Vitamin D controls T cell antigen receptor signaling and activation
of human T cells. Nature Immunology 11 (2010) 344-349
KOSTENLOS (2010) 344-349 .
10. Hintzpeter, B., et al., Vitamin D status and health correlates among German adults. Eur J Clin
Nutr 62 (2008) 1079-1089.
11. Nationale Verzehrsstudie II: Ergebnisbericht Teil 1. Max Rubner-Institut, Karlsruhe 2008.
12. Worm, N., Heilkraft D., Systemed Verlag Lünen, 2009.
13. Gilchrest, B. A., Am. J. Clin. Nutrition 88 (2008) 570-575.
Die Autorin
Marion Hofmann-Aßmus absolvierte eine Ausbildung als veterinärmedizinisch-technische Assistentin
(VMTA) und studierte anschließend Diplom-Biologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Promoviert wurde sie 1999 mit einer Arbeit im Bereich der molekularen Kardiologie an der
Chemischen Fakultät der LMU München. Seither ist sie freiberuflich in verschiedenen Redaktionen
und als Fachjournalistin tätig.
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