Leistungsbilanz: Deutschland steht zu Unrecht am Pranger

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Leistungsbilanz:
Deutschland steht zu Unrecht am Pranger
von Dirk Heilmann
Angela Merkel und Wolfgang Schäuble müssen sich für die nächsten internationalen Wirtschaftsgipfel auf
unerfreuliche Diskussionen einstellen. Nachdem lange Jahre China wegen seiner hohen
Leistungsbilanzüberschüsse als angeblicher Hauptverantwortlicher für die „globalen Ungleichgewichte“ am
Pranger stand, macht ihm nun Deutschland diesen Platz streitig. 2013 waren die deutschen Überschüsse
nämlich mit 201 Milliarden Euro höher als die chinesischen.
Andere Länder, die oft hohe Überschüsse erzielt haben, spielen hingegen im Moment keine Rolle. Japan hat sich
wegen steigender Energieimporte nach dem Fukushima-Desaster von einem Überschuss- zu einem Defizit-Land
entwickelt und die Überschüsse der Öl- und Rohstoffexporteure sind wegen der niedrigeren Weltmarktpreise
gesunken. Alle Augen werden sich also auf Merkel und Schäuble richten, wenn es darum geht, wer an den
globalen Ungleichgewichten Schuld sei.
In wissenschaftlichen Studien werden darum Parallelen zwischen Deutschland und China gezogen. In einem
Arbeitspapier der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) etwa argumentieren deren Ökonomen
Guonan Ma und Robert McCauley, dass die beiden Exportmächte durchaus ähnliche Strategien verfolgt hätten,
um diese Überschüsse zu erzielen. Beide Länder hätten die Lohnstückkosten gedrückt – China durch den
Zustrom von Wanderarbeitern aus unterentwickelten Provinzen und Deutschland durch Lohnzurückhaltung und
die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010. In beiden Ländern habe das dazu geführt, dass der Anteil der
Lohneinkommen am Volkseinkommen gesunken sei.
Dadurch sei eine Lücke zwischen hohen Ersparnissen und niedrigen Investitionen entstanden. Das nicht
eingesetzte Kapital sei dann ins Ausland exportiert worden – rechnerisch steht einem Überschuss in der
Leistungsbilanz immer ein Nettokapitalexport in gleicher Höhe gegenüber. In Deutschland haben der Studie
zufolge die Unternehmen um die Jahrtausendwende noch netto Kredite in Höhe von sechs Prozent des
Bruttoinlandsprodukts aufgenommen, doch zehn Jahre später ist aus dem Unternehmenssektor Kapital in Höhe
von netto rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts abgeflossen. Das habe zu den
Leistungsbilanzüberschüssen beigetragen.
Die Exporterfolge beider Länder seien auch dadurch begünstigt worden, dass es ihnen gelungen sei, den
Wechselkurs der heimischen Währung niedrig zu halten, in China durch die künstliche Unterbewertung des
Yuan und Deutschland durch die Einführung des Euro.
Analysen dieser Art liefern Politikern und Ökonomen Argumente, um Deutschland unter Druck zu setzen,
endlich etwas gegen seine hohen Leistungsbilanzüberschüsse zu tun. Die US-Regierung, mehrere europäische
Regierungen und der Internationale Währungsfonds haben die Bundesregierung offen aufgefordert,
gegenzusteuern. Die Europäische Kommission könnte bald ein offizielles Verfahren gegen Deutschland wegen
zu hoher Überschüsse einleiten. Die Bundesregierung reagiert darauf mit pauschaler Abwehr: die Überschüsse
seien Ausdruck der Stärke der heimischen Industrie und politisch nicht sinnvoll zu beeinflussen.
Doch wer hat Recht und wie stimmig sind die wissenschaftlichen Analysen? Zumindest weisen sie eine Reihe
von Denkfehlern auf. Zum einen verweisen auch viele Wissenschaftler darauf, dass der deutsche Überschuss
eigentlich irrelevant ist, weil die Euro-Zone seit Jahrzehnten insgesamt ein fast ausgeglichenes
Leistungsbilanzsaldo aufweist. Deutschland spiele also allenfalls im Euro-Block die Rolle, die China für die
Weltwirtschaft spiele, argumentiert etwa der US-Ökonom Joshua Aizenman. Zum anderen dürften die hohen
deutschen Überschüsse ein vorübergehendes Phänomen sein – in den Neunzigerjahren hatte Deutschland
schließlich auch Defizite. Der demografische Wandel werde den Überschuss in den nächsten Jahrzehnten
abschmelzen, sagt Aizenman voraus.
Doch die Analyse der BIZ-Volkswirte übersieht noch mehrere Faktoren. Zum einen wiederholt sie den Fehler,
mit Deutschlands gesamtem Lohnniveau zu argumentieren und aus dessen verhaltener Entwicklung einen
unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Industriestaaten abzulesen. Darin verbergen sich zwei Fehler:
Erstens sind für das Exportgeschäft primär die Löhne in der Industrie interessant, und die sind in Deutschland
mit die höchsten in der Welt und seit Ende der Neunzigerjahre stärker gestiegen als etwa in den USA und
Großbritannien. Und zweitens zeichnen sich die allermeisten deutschen Exportprodukte dadurch aus, dass sie
eben nicht über den Preis konkurrieren, sondern über Qualität, Innovation und Image. Außerdem mutet es
seltsam an, dass Deutschland nun ausgerechnet von den Ländern und Organisationen, die von ihm in den
Neunzigerjahren lautstark Arbeitsmarktreformen eingefordert haben, nun wegen des Erfolgs eben dieser
Reformen ebenso lautstark angegangen wird.
Die Lücke zwischen Ersparnissen und Investitionen wird auch in Deutschland als Problem diskutiert. Dass die
deutsche Industrie verstärkt im Ausland investiert, ist allerdings eine logische Folge der Globalisierung. Kaum
ein Land ist so stark in die weltweite Arbeitsteilung integriert wie Deutschland, und daher investieren die
Unternehmen dort, wo sie wachsende Absatzmärkte haben. Wer wollte sie daran hindern?
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Es wäre Aufgabe der Bundesregierung, eine Strategie für mehr Investitionen in Deutschland zu entwickeln. Der
Staat könnte zum Beispiel die Voraussetzungen für einen schnellen flächendeckenden Ausbau der
Breitbandnetze schaffen, durch eine verstärkte Förderung von Forschung und Entwicklung oder durch
Liberalisierungen im Dienstleistungssektor versuchen, mehr private Investitionen anzulocken.
Doch alle Forderungen, den Konsum auf Pump anzukurbeln, sollte die Politik zurückweisen. Weder ist der
private Konsum in Deutschland besonders schwach, noch wäre den Krisenländern in Europa damit gedient,
wenn die Deutschen mehr Smartphones oder Autos kaufen. Denn die werden nicht in Portugal oder
Griechenland gebaut.
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