23 2 Lineare Dualitätstheorie 2.1 Der Zustandraum Allen Beispielen ist gemeinsam, daß wir ein physikalisches System haben, das sich in verschiedenen Zuständen befinden kann. Wir müssen also zwei Dinge verstehen: • Was ist der Zustand eines physikalischen Systems • Wie funktioniert die Änderung des Zustandes. Ein Zustand ist die Menge an Parametern, die man kennen muß um das System zu verstehen, die Menge der inneren Freiheitsgrade. Wir nehmen vorläufig an, daß wir diese Parameter kennen. Wir fassen diese Parameter in einer Größe z zusammen. Das ist eine abstrakte Größe, mit der wir irgendwie unser System beschreiben. Wir nehmen weiter an, daß wir wissen, was für Zustände überhaupt möglich sind. Die Menge aller möglicher Zustände sei Z. Wenn wir das Medium/den Raum als gegeben voraussetzen, dann gehört es/er zwar zum System in dem Sinne dazu, daß wir berücksichtigen müssen, wie es/er mit unserem System wechselwirkt, er/es ist aber nicht Teil des Zustandes des Systems. Diese Annahme ist solange richtig, solange sich das Medium/der Raum nicht durch die Wechselwirkung selbst ändert. Unser Ziel ist es, physikalische Systeme mathematisch zu beschreiben. Z.B. wollen wir die Evolution dieses Systems in der Zeit vorhersagen. Wir müssen also einerseits mathematische Objekte haben, die den Zustand des physikalischen Systems beschreiben. Andererseits müssen wir auch das, was wir vorhersagen mit unseren Beobachtungen vergleichen können. Das einzige, was wir als Ergebnis einer Beobachtung verstehen, sind Zahlen. Wir müssen also irgendwie eine Beziehung zwischen den Zuständen unseres physikalischen Systems und unseren Beobachtung, also Zahlen herstellen. Und zum dritten müssen wir aus unseren Beobachtungen Rückschlüsse auf das physikalische System ziehen können. Wir müssen also von Objekten unbekannter Natur (physikalischen Zuständen) zu z.B. reellen Zahlen übergehen. Mathematisch haben wir es also vorläufig mit zwei Objekten zu tun: Mit einer Menge von Zuständen Z und mit Beobachtungen, also Abbildungen von Z in die reellen Zahlen. In der Menge Z gibt es erstmal keine Struktur. In den reellen Zahlen gibt es eine vielfältige Struktur. Da Zustände von physikalischen Systemen im allgemeinen abstrakten und unbekannten Objekte sind, über die es schwer ist, Aussagen zu treffen, versucht man diesen Objekten Zahlen zuzuordnen. Zahlen kennt man gut, die kann man vergleichen, mit denen kann man rechnen. Zu diesem Zweck bildet man die abstrakten Objekte in die reellen Zahlen ab. Damit die Zahlen irgentwie die Eigenschaften der abstrakten Objekte widerspiegeln, sollten die Abbildungen diese Eigenschaften in die Zahlen übertragen. Wir müssen als erstes klären, was ist der Zustand eines physikalischen Systems, was ist eine Beobachtung und was ist, wenn wir nur eingeschränkte Information über das System haben. D.h., was ist, wenn wir eine Vorhersage nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit treffen können. Mit “was ist” ist hier gemeint, was für mathematische Objekte sollten den physikalischen Größen entsprechen. Wenn z.B. in der Menge Z eine Struktur definiert ist, dann sollten die Abbildungen diese Struktur erhalten. In der Mathematik bezeichnet man strukturerhaltende Abbildungen von 24 2 LINEARE DUALITÄTSTHEORIE Menge mit Struktur in die reellen Zahlen als Funktionale. Der Zweck dieser Funktionale besteht darin, Informationen über die unbekannten Objekte zu Tage zu fördern. Merksatz: Funktionale sind strukturerhaltene Abbildungen der uns interessierenden Mengen in einen gegebenen Zahlkörper (bei uns stets die reellen Zahlen). 2.2 Ein paar Vorbemerkungen 2.2.1 Womit beschäftigt sich Funktionalanalysis Die Funktionalanalysis beschäftigt sich mit drei Objekten: Mengen X und Y, Funktionen f die zwischen diesen Mengen wirken und in einem Funktionenraum M(X, Y) liegen, in dem Operatoren A Funktionen auf Funktionen abbilden, die wiederum in einem Operatorenraum liegen können. X f∈ M(X, Y) ? A ∈ L(M, M0 ) Y ? 0 M (X0 , Y0 ) 1 2 3 Jede Zusammenfassung von neuen Objekten in Mengen erhöht einerseits die Abstraktionsstufe und damit den Kompliziertheitsgrad, läßt sich aber andererseits stets als Wirken von Funktionen zwischen Mengen betrachten. Da diese neuen Mengen meistens aber mit anderen Methoden untersucht werden müssen ist es sinnvoll, zwischen Funktionen und Operatoren zu unterscheiden, obwohl das nicht prinzipiell ist. Die einzelnen Teilgebiete der Funktionalanalysis unterscheiden sich darin, welche Strukturen in den Mengen definiert oder welche Funktionen aus der Menge aller denkbaren Funktionen ausgewählt werden. 2.2.2 Mengen mit Strukturen. Kanonische Objekte Werden Mengen aufeinander abgebildet, werden vorhandene Strukturen übertragen. Wir betrachten zwei Mengen A und B, und die Menge X = X(A, B) aller Abbildungen f : A − →B und untersuchen drei Typen von Strukturen: • topologische Struktur (B, τB ) Man markiert eine Menge von Teilmengen und nennt sie offen OB ⊂ 2B . • Ordnungsstruktur (B, ≤) Man markiert eine Teilmenge des Kreuzproduktes ... ⊂ B × B. • algebraische Struktur (B, ∗) Man definiert eine binäre Abbildung B × B − → B. Durch Funktionen f ∈ X werden diese Strukturen übertragen, d.h. es werden entsprechende Strukturen induziert. • topologische Struktur: Von B nach A OA = {f −1 (U) | U ∈ OB , f ∈ X} 2.3 Der duale Raum 25 X ist dann die Menge der stetigen Abbildungen A − → B. Hier gibt es also zwei Möglichkeiten: Wir definieren in A und B eine Topologie und betrachten nur stetige Abbildungen, oder wir gehen von einer Topologie in B aus und definieren uns eine Topologie in A mithilfe einer Menge von Funktionen, die wir für geeignet halten. (Genau genommen wird so nur eine Basis der Topologie in A definiert.) • Ordnungsstruktur: Von B nach X f ≤ g ⇐⇒ f (a) ≤ g(a), a ∈ A Sinnvoll ist es, Das schränkt die Menge X nicht ein. Wenn es aber bereits eine natürliche Ordnungsstruktur auf X gibt, sollten beide Strukturen zusammenfallen. • algebraische Struktur: Von B nach X (f ∗ g)(a) = f (a) ∗ g(a), a ∈ A X sollte abgeschlossen sein bezüglich dieser Operation. 2.3 2.3.1 Der duale Raum Funktionale. Der duale Raum Die Menge Z der physikalischen Zustände ist eigentlich eine unbekannte Menge. Wir können vorerst nicht voraussetzen, daß es eine natürliche Struktur in Z gibt. Ein Funktional auf Z ist also erstmal eine beliebige reellwertige Funktion auf Z, die für jedes z ∈ Z einen definierten Wert annimmt. Wir bezeichnen diese Menge mit Z∗ = {f : Z − → R} Später werden wir in Z eine geeignete Struktur festlegen und nur solche Funktion betrachten, die diese Struktur erhalten. Damit wird sich diese Menge einschränken. Ein Element aus f ∈ Z∗ , angewendet auf z ∈ Z ist f (z). Z∗ wird der zu Z duale Raum genannt. Meinstens wird für diese Objekte der Begriff “Funktion” und nicht der Begriff “Funktional” verwendet. Aus Sicht der Dualitätstheorie ist es aber wichtig, daß es sich um Funktionale handelt. 2.3.2 Charakteristische Funktionen Was sind offensichtliche Elemente im dualen Raum? Z.B. die konstante Funktion. Da wir keine Struktur in Z haben, können wir z.B. keine Polynome bilden. Die einzigen kanonischen Funktionen sind charakteristische Funktionen. Das sind Funktionen, die nur die Werte 1 und 0 annehmen (das ist in jedem Zahlenkörper möglich). Jeder Teilmenge A ∈ 2Z können wir eine charakteristische Funktion 1A durch 1A (z) = 1 falls z ∈ A, 1A (z) = 0 falls z ∈ Z \ A. Umgekehrt können wir jeder Funktion g auf Z, die nur die Werte 0 oder 1 annimmt, mit A = g −1 (1) eine Teilmenge aus Z zuordnen. Damit haben wir eine 121-Abbildung (121 bedeutet eineindeutig, aus dem englischen: one-toone) der Teilmengen von Z in eine wohl definierte Teilmenge von Z∗ erhalten. Wir können 26 2 LINEARE DUALITÄTSTHEORIE 1A , die Bilder von A, mit A selbst dank dieser Einbettung identifizieren. Z∗ besteht also aus Teilmengen von Z und weiteren Objekten. Wir können uns Z∗ also Verallgemeinerung des Begriffs der Teilmenge vorstellen. Die kanonische Struktur in 2Z überträgt sich auf die Menge der charakteristischen Funktionen. Insbesondere sind Produkte, Summen und Suprema von charakteristische Funktionen Operationen mit Teilmengen von Z und ebenfalls Teilmengen. Bis auf die Summe sind die charakteristischen Funktionen sogar abgeschlossen bezüglich dieser Operationen. Operationen und Relationen zwischen Mengen übertragen sich auf Operationen zwischen Zahlen (A t B bedeutet Vereinigung disjunkter Mengen, also A ∪ B falls A ∩ B = ∅): A⊂B ⇐⇒ 1A ≤ 1B C = A ∩ B ⇐⇒ 1C = 1A · 1B C = A t B ⇐⇒ 1C = 1A + 1B C = A ∩ B ⇐⇒ 1C = inf{1A , 1B } C = A ∪ B ⇐⇒ 1C = sup{1A , 1B } ÜA: Beweise diese Beziehungen. Die definierte 121-Abbildung 1A ←→ A ∈ 2Z ⊂ Z∗ = {f : Z − → R} erhält also die Ordnungsrelation, die algebraischen Operationen und die Verbandstruktur. Bei der speziellen charakteristischen Funktion 1Z lassen wir in Zukunft den Index weg und schreiben einfach 1. Das ist die konstante 1-Funktion. 1∅ ist die konstante 0-Funktion. 2.3.3 Z∗ als linearer Raum Die vielfältige Struktur von R überträgt sich auf Funktionen von Z nach R also auf Z∗ . Dank der algebraischen Strukturen in R können wir Linearkombinationen der charakteristischen Funktionen bilden, etwa f= n X fi 1Ai i=1 Um die Darstellung eindeutig zu machen, nehmen wir an, daß die Ai eine disjunkte Zerlegung von Z bilden: ! n n G [ Ai = Z, heißt Ai = Z, Ai ∩ Aj = ∅, i 6= j i=1 i=1 Wir können fi näher bestimmen. Ist zi ∈ Ai , so ist offenbar fi = f (zi ). Wir haben also f= n X f (zi )1Ai , zi ∈ Ai i=1 Diese Funktionen sind aus der Theorie des Lebesgueintegrals gut bekannt und heißen einfache Funktionen. Es ist also span (2Z) ⊂ Z∗ . Unendliche Summen können wir auch einführen, wenn wir einen geeigneten Grenzwertbegriff definieren. Das ist im Augenblick aber noch nicht erforderlich. 2.4 Der biduale Raum 2.3.4 27 Physikalische Bedeutung von Z∗ Jede Beobachtung hat eine physikalische Bedeutung. Z.B. bedeutet 1A (z), wir testen, ob z ∈ A, d.h., ob sich das phys. System in einem Zustand aus A befindet, z.B., ob es eine solche Länge hat wie die anderen phys. Systeme, die Längen aus A haben. D.h., eine Beobachtung 1A ist soetwas wie ein Vergleich mit unseres phys. System mit anderen. (Wir wissen schon, daß das nicht so eindeutig ist). Charakteristische Funktionen sagen uns, ob z in A liegt oder nicht. Physikalisch gespochen bedeutet das, sie sagt uns, ob sich unser physikalisches System in einem Zustand aus einer gewählten Menge von P Zuständen befindet. Phys. Bedeutung von i gi 1Ai : Ursprünglich ist eine Beobachtung mit einer charakteristischen Funktion eine ja-nein Frage, aber natürlich können wir die Frage differenzieren. Das führt uns zu Linearkombinationen. 2.4 Der biduale Raum Mit Z∗ könnte man sich zufriedengeben, wir haben Abbildungen unserer physikalischen Zustände in die reellen Zahlen. Aber irgendein Mathematiker kam mal auf die Idee das ganze noch mal zu machen. Vielleicht hat er gedacht: “Wenn ich mit Funktionen Information aus meiner Menge ans Licht bringen kann, dann kann ich vielleicht mit weiteren Funktionalen Informationen über die Funktionen ans Licht bringen. Z∗ ist wieder eine Menge. Sie enthält aber die durch die algebraische Struktur der reellen Zahlen induzierte Struktur eines linearen Raumes. Wir betrachten deshalb auf Z∗ nur lineare Funktionale. Wir bezeichnen mit Z∗∗ = {p : Z∗ − → R} die Menge der linearen Funktionale auf Z∗ und nennen Z∗∗ den zu Z bidualen Raum. In Z∗∗ liegen abstrakte Objekte, Funktionale. Gibt es darunter welche, die wir verstehen? Man Z könnte meinen, daß eine Beziehung der Art 22 ⊂ Z∗∗ gilt, entsprechend der Beziehung 2Z ⊂ Z∗ . Das ist aber nicht der Fall wie das Beispiel endlicher Mengen zeigt (siehe dort). Wir können für festes z auch f (z) als Funktional auf Z∗ betrachten, denn das ist eine reelle Zahl und offesichtlich ist das Funktional linear. Wir können also jedem Element z ∈ Z ein Funktional δz ∈ Z∗∗ zuordnen durch δz (f ) = f (z) Dieses Funktional wird Punktmaß oder Diracmaß genannt. Ist diese Zuordnung injektiv? Es könnte sein, daß für zwei Punkte z1 und z2 für alle f ∈ Z∗ gilt f (z1 ) = f (z2 ). Das bedeutet, daß aus der Sicht der Funktionale die beiden Punkte z1 und z2 nicht zu unterscheiden wären. Physikalisch bedeutet das, daß es keine Beobachtung gibt, die die beiden Zustände z1 und z2 des physikalischen Systems unterscheiden kann. Dann sind für uns diese beiden Zustände identisch. Dann hätten wir aber von Anfang an, bei der Definition von Z, überhaupt nicht auf die Idee kommen können, daß die Zustände verschieden sind. Wir nehmen also an, daß dieser Fall nicht auftreten kann. Das nennt man: Die Funktionale trennen die Punkte. Tatsächlich haben wir damit eine stillschweigende Faktorisierung vorgenommen. Das ist ein Grund, warum Physiker oft Faktorisierung nicht verstehen. Es gibt keine Klassen nichtunterscheidbarer Objkete. 28 2 LINEARE DUALITÄTSTHEORIE Damit haben wir eine 121-Zuordnung zwischen Punkten z ∈ Z und Punktmaßen δz ∈ Z∗∗ und können ab sofort diese Objekte Identifizieren δz ←→ z. Damit wird Z zu einer Teilmenge von Z∗∗ — genau wie wir jeder Teilmenge A ein Funktional – nämlich eine charakteristische Funktion – auf Z zuordnen konnten. Z ist also in Z∗∗ eingebettet. Diese Einbettung heißt kanonische Einbettung eines Raumes in seinen bidualen. Das Punktmaß erhält die linearen Operationen und die Multiplikativität. hg · f, δz i = hg, δz i · hf, δz i Das besondere an dieser Konstruktion ist, daß wir in Z keine oder wenig Struktur haben, in Z∗∗ dagegen – das sind ja Abbildungen in die reellen Zahlen – alle Strukturen der reellen Zahlen. Wir erhalten somit in Z eine Fülle von Strukturen, die kanonisch entstanden sind, ohne daß wir sie definieren mußten. Die Funktionale aus Z∗∗ müssen auf alle Elemente aus Z∗ angewendet werden können, also auch auf charakteristische Funktionen die wir mit Teilmengen identifiziert haben. Funktionale aus Z∗∗ sind also unter anderem Funktionen von Teilmengen p(A). Insbesondere wirken die Punktmaße auf charakteristischen Funktionen wie folgt: δz (1A ) = δz (A) = 1A (z) Das ist = 1, falls z ∈ Z ansonsten = 0. 2.4.1 Z∗∗ als linearer Raum linearer Funktionale Genau wie in Z∗ , liegen – als Abbildungen in die reellen Zahlen – auch Linearkombinationen von Punktmaßen in Z∗∗ . p= n X pj δzj j=1 Ist Aj einen Menge, die von allen (zi )ni=1 nur zj enthält, so gilt offensichtlich p(Aj ) = n X pj δzj (Aj ) = pj j=1 also p= n X p(Aj )δzj , Aj 3 zj , Aj 63 zi , i 6= j j=1 Im Unterschied zum strukturlosen Z enthält Z∗ als Abbildungen in die reellen Zahlen eine vielfältige Struktur. Es ist also natürlich, zu verlangen, daß die Elemente aus Z∗∗ möglichst viel Struktur davon erhalten. Insbesondere gilt disjunkte Additivität, p(A t B) = p(1A + 1B ) = p(1A ) + p(1B ) = p(A) + p(B) und Erhaltung der Ordnungsrelation in 2Z A ⊂ B =⇒ 1A ≤ 1B =⇒ p(A) ≤ p(B) 29 2.4 Der biduale Raum gdw. pj ≥ 0. Insbesondere gilt für solche p: p(A) ≥ 0 wegen p(∅) = 0. Man könnte den Wunsch verspüren, auch die Multiplikativität p(f · g) = p(f ) · p(g) zu fordern, aber das kann man schon für charakteristische Funktionen nicht gewährleisten. Es müßte dann nämlich p(A ∩ B) = p(1A · 1B ) = p(1A ) · p(1B ) = p(A) · p(B) gelten, was für B = A zu p(A) = p2 (A) führt. Diese Forderung führt also auf konstante Funktionale p. Man kann p(A ∩ B) = p(A) · p(B) also nicht für alle Funktionale und alle Teilmengen fordern. Allerdings gilt diese Beziehung für Punktmaße: δz (f · g) = (f · g)(z) = f (z) · g(z) = δz (f ) · δz (g) Des weiteren ist die Beziehung p(A ∩ B) = p(A) · p(B) interessant in der Wahrscheinlichkeitstheorie. Für ein gegebenes p heißen zwei Mengen A und B (die heißen dann Ereignisse) unabhängig, wenn p(A ∩ B) = p(A) · p(B) gilt. 2.4.2 Das Produkt von Funktionen und Funktionalen Es sei B ⊂ Z und (Aj )nj=1 einen disjunkte Zerlegung von Z. Für ein gegebenes Funktional p und gegebene fj , hat der Ausdruck ! ! n n n X X X q(B) = p(f · 1B ) = p 1B · fj 1Aj = p fj p(1B∩Aj ) = fj 1B∩Aj = = n X fj p(B ∩ Aj ) = j=1 j=1 n X j=1 j=1 f (zj )p(Bj ), Bj = B ∩ Aj (1) j=1 Sinn. Das ist wieder ein Funktional auf Z∗ . Auf charakteristischen Funktionen ist q(1B ) = q(B) und auf Linearkombinationen von charakteristischen Funktionen ist ! m m m n m X X X X X q(g) = q gi q(1Bi ) = gi q(Bi ) = gi fj p(Bi ∩ Aj ) = gi 1Bi = i=1 i=1 = n m X X gi fj p(Bi ∩ Aj ) = p m X i=1 i=1 gi fj 1Bi ∩Aj i=1 j=1 i=1 j=1 = p i=1 n m X X gi 1Bi ! · n X j=1 fj 1Aj !! ! j=1 = = p(gf ) Das heißt, q = p(·f ) ist wieder ein Funktional auf Z∗ , zumindest wissen wir, wie es auf einfachen Funktionen wirkt. Wir können einen Abbildung Z∗ × Z∗∗ − → Z∗∗ . 2.4.3 Physikalische Bedeutung von Z∗∗ Jetzt wollen wir untersuchen, wie man Linearkombinationen von Punktmaßen interpretieren könnte. Dazu betrachten wir die Rolle von Wahrscheinlichkeiten in der Physik. Die Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten kann wenigstens aus zwei Gründen nötig sein. Die Ursache ist in beiden Fällen Mangel an Information. Es kann sein, daß 1) nicht mit Sicherheit feststellbar ist, in welchem Zustand sich das System befindet und 2) nicht mit Sicherheit 30 2 LINEARE DUALITÄTSTHEORIE vorherzusagen ist welcher Zustand nach einer Veränderung angenommen wird. Wir betrachten vorläufig der ersten Fall. Wir führen m mal ein Experiment durch und stellen fest, daß sich unser System ki mal im Zustand zi befunden hat mit m = k1 + k2 + k3 + .... Dann können wir sagen, daß sich das System mit Wahrscheinlichkeit pi = ki /m im Zustand zi befunden hat und die Größe 0 0 z k1 0 0 k2 0 0 k3 0 0 z + z + z + ... = p1 0z10 + p2 0z20 + p3 0z30 + ... m 1 m 2 m 3 = können wir als statistischen Zustand des Systems bezeichnen. Das ist eine konvexe Kombination von Zuständen, eine spezielle Linearkombinationen. Soetwas können wir mit Punkten aus Z aber nicht bilden, wohl aber aus Elementen aus Z∗∗ . Wir können das Funktional p= n X j=1 pj δzj , n X pj = 1, pj ≥ 0 j=1 als statistischen – oder gemischten – Zustand des Systems bezeichnen. Der Fall p = δz würde bedeuten, daß sich das System mit Sicherheit im – reinen – Zustand z befindet. Die gemischten Zustände sind also konvexe Kombinationen reiner Zustände. Und umgekehrt, die reinen Zustände sind die extremalen Elemente der konvexen Menge gemischter Zustände. Wir haben folgende Zusammenhänge: dual Z ⇐⇒ Z0 ⊂ Z00 Z0 = extr(Z00 ) Z00 = conv(Z0 ) ⊂ Z∗∗ Wir können also einem Teil der Funktionale aus Z∗∗ einen physiklaischen Sinn geben. Wir können die konvexen Kombinationen von Punktmaßen als Wahrscheinlichkeiten interpretieren. Bemerkung: Es ist wichtig zu verstehen, daß die konvexe Kombination von Zuständen selbst kein Zustand ist, auch wenn Z einen lineare Menge ist. Befindet sich das System z.B. mit halber Wahrscheinlichkeit in den Zuständen z1 und z2 , so befindet es sich nicht im Zustand z = 21 z1 + 21 z2 . Das wäre auch ein reiner und kein gemischter Zustand. Es ist ein Unterschied, ob sich das System im Zustand z oder mit gleicher Wahrscheinlichkeit in den Zuständen z1 und 2 z2 befindet. Der Wunsch, anstelle von z.B. 12 δz1 + 21 δz2 lieber z1 +z als statistischen Zustand zu 2 betrachten, ist ein weitverbreiteter Fehler, der Folgefehler nach sich zieht, die die mathematische Analyse des Problems sehr erschweren können. 2.4.4 Höhere Dualräume Analog lassen sich immer höhere Dualräume konstruieren. Daß ein Raum in seinen bidualen eingebettet ist, bleibt natürlich erhalten. Insofern ist in der Menge Z∗∗∗ 3 ξ der Funktionale auf Z∗∗ natürlich die Menge Z∗ 3 f enthalten. Zu jedem f gibt es also ein ξf mit ξf (p) = p(f ). Falls diese Abbildung injektiv ist, ist das eine Eingebettung. Das nehmen wir an, ohne genauer darauf einzugehen, da wir später die Menge Z∗∗∗ anders definieren werden. 31 2.4 Der biduale Raum 2.4.5 Zusammenfassung Funktional Vertreter Teilmenge Wirkung Menge Z Z z:2 − → {0, 1} z Z⊂Z z(A) Z ∗ ∗ f : Z− →R A ∼ 1A 2 ⊂Z f (z) Z Z∗∗ p : Z∗ − →R z ∼ δz Z ⊂ Z∗ p(A) Z∗∗∗ ξ : Z∗∗ − →R f ∈ Z∗ Z∗ ⊂ Z∗∗∗ ξ(p) Damit erhalten wir eine unendliche Folge von ineinander gebetteten Räumen, deren Elemente Abbildungen von Punkten in die reellen Zahlen Z∗ ⊂ Z∗∗∗ ⊂ Z∗∗∗∗∗ ⊂ ... bzw. Abbildungen von Teilmengen in die reellen Zahlen Z ⊂ Z∗∗ ⊂ Z∗∗∗∗ ⊂ ... sind. 2.4.6 Die duale Paarung Wenn ich Funktionale auf Funktionale anwende habe ich eigentlich eine binäre Operation. Zwei Funktionale aus verschiedenen Räumen werden in die reellen Zahlen abgebildet. Mal halte ich eins der Argumente fest, mal ein anderes. Das deutet daruaf hin, daß hier eine gewisse Symmetrie besteht. Um das näher zu untersuchen, betrachten wir, wie Linearkombinationen von Punktmaßen auf Linearkombinationen von charakteristischen Funktionen wirken. Es ist ! n n n n X X X X p(f ) = p(Aj )δzj f (zi )1Ai = f (zi )p(Aj )δzj (1Ai ) = f (zi )p(Ai ) = (2) = j=1 n X i=1 i,j=1 fi pi i=1 (3) i=1 Völlig analog erhält man, daß f (p) = p(f ). Um diese Symmetrie zu verdeutlichen, schreiben wir in Zukunft hf, pi = f (p) = p(f ), wobei das erste Objekt in der Klammer eine Funktion von Punkten und das zweite Objekt eine Funktion von Teilmengen ist. hf, pi wird duale Paarung oder duales Produkt genannt. Um die Sache allgemeingültig zu machen schreiben wir auch f (z) = hf, δz i = hf, zi, p(A) = h1A , pi = hA, pi Bemerkungen: • hf, pi ist der Spezialfall B = Z in (1). • Die duale Paarung ist die Summe von Produkten zweier zueinander dualer Größen, Funktion von Punkten und Funktion von Teilmengen. • Die Darstellung (3) suggeriert, daß es ein Skalarprodukt sein könnte. Ein Skalarprodukt gibt es in Hilberräumen und ist die Kombination zweier Größen vom gleichen Typ. Im Hilbertraum gibt es keine Hirarchie von zueinander dualen Räumen. Der Hilbertraum ist sein eigener dualer. In der Darstellung (2) sieht man, daß fi und pi verschiedene Größen sind. Das Skalarprodukt ist kein Spezialfall der dualen Paarung. Siehe hierzu auch Punkt 3.2.8 32 2 LINEARE DUALITÄTSTHEORIE • Die duale Paarung kann man nicht wie andere Produkte auf drei Faktoren verallgemeinern. • Der intuitive Zugang zeigt, daß Funktionale auf Z∗ Funktionen von Mengen sind. Im weiteren werden wir sehen, daß das Maße sind. Es ist klar, daß sich die Menge der Funktionale auf Z∗ ändert, wenn sich die Menge Z∗ selbst ändert. Der axiomatische Zugang über die Maßtheorie definiert Maße als etwas eigenständiges. Das mach den Zusammenhang der Maße mit Z∗ unklar. Warum sollten Maße – Funktionen von Mengen – Funktionale sein? Als erstes erkennt man, daß Funktionale auch auf ch. F. angewendet werde können und erst, wenn man man ch.F. mit Teilmengen identifiziert – das ist dieselbe kanonische Einbettung wie z ⇐⇒ δz –, erkennt man, daß Funktionale auch als Funktionen auf Mengen betrachtet werden können. • Elemente aus Z∗ also Funktionen, kann man sich noch vorstellen. Elemente aus Z∗∗ sind schon schwerer vorzustellen. Die Idee, daß man sie sich als Funktionen auf Mengen vorstellen kann, ist eine sehr gute Hilfe. Schön wäre es, wenn das reichen würde. Wenn wir alle nötigen Informationen über diese Funktionale erhalten würden, wenn wir uns anschauen, wie sie auf Mengen wirken. Das wird der Fall sein. • Die Additivität der Elemente aus Z∗∗ ist nur sinnvoll, wenn es um abzählbar viele Mengen geht. Das heißt, die Anzahl der Teilmengen, auf denen wir diese Funktionale betrachten sollte klein sein. 2.4.7 Der endliche Fall Z = {z1 , ...zn } = {1, ..., n} Z∗ = Rn 3 (1, 1, 0, 1, ..., 0), Norm: kgk = maxi |gi | Xn |pi | Z∗∗ = R∗n 3 (0, 0, 1, 0, ..., 0), Norm: kpk = i=1 Z∗∗∗ = Z∗ Z∗∗∗∗ = Z∗∗ Hier bezeichnen wir die endlichdimensionalen Räume mit den Symbolen Rn (Zeilenvektoren) und R∗n (Spaltenvektoren). Der Unterschied wird beim Einführen der Norm deutlich werden. Mit Rn bezeichnen wir den euklidischen Raum mit der quadratischen Norm. Bemerkungen: • Im endlichen Fall bricht die Kette der dualen Räume ab. Sowohl Z∗ als auch Z∗∗ sind reflexiv. • Man kann zwischen Rn und R∗n zwar formal eine 121-Abbildung herstellen. Und das wird häufig auch gemacht. Die Unterscheidung wird im ∞-dim Fall wichtig. Z → Z∗∗ . Der Teilmenge ∅ entspricht die 0-Funktion. Außerdem • Es gibt keine Einbettung 22 − ist (0, ..., 0) = 0 · (g1 , ..., gn ). Es sollte also auch der Teilmenge {(0, ..., 0)} die 0-Funktion entsprechen, was die Injektivität einer Einbettung verletzt. Der Unterschied zwischen dem Übergang von Z zu Z∗ und dem Übergang von Z∗ zu Z∗∗ besteht darin, daß bei letzterem nur lineare Funktionen als Funktionale betrachtet werden.