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Prävalenz und Versorgung von Diabetes mellitus und
Herz-Kreislauf-Erkrankungen: DETECT – eine bundesweite
Versorgungsstudie an über 55.000 Hausarztpatienten
H.-U. Wittchen und die DETECT Studiengruppe
Institut für Klinische Psychologie, Technische Universität Dresden und Max-Planck-Institut für Psychiatrie, AG Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, München
Hintergrund und Ziele:
Die epidemiologische Datenlage zur Häufigkeit und Versorgungsgüte von Diabetes mellitus und Koronarer Herzkrankheit (KHK) im primärärztlichen Bereich ist unbefriedigend und unvollständig. Es fehlen
unter anderem aktuelle bundesweite und verlässliche, klinisch differenzierte Daten über:
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die Risiko- und Komplikationsstruktur von Patienten mit Diabetes mellitus und KHK,
das Ausmaß bedarfsgerechter Therapie- und Versorgungsabläufe und Determinanten der Versorgungsgüte,
prospektive Daten zur zeitlichen Dynamik des Krankheitsgeschehens sowie Veränderungen der
Morbiditäts- und Risikostruktur im Verlauf mit und ohne Therapie.
Bei Diagnostik und Therapie dieser chronischen Erkrankungen nimmt traditionell der primärärztliche
Versorgungssektor eine Schlüsselrolle ein, die durch die gesundheitspolitisch forcierte Erweiterung des
hausärztlichen Aufgabenspektrums in Hinblick auf Prävention, gezielte Frühintervention und Disease
Management eine weitere Betonung erfährt. Angesichts dieser Schlüsselrolle ist das Daten- und Erkenntnisdefizit als ein gravierendes Hindernis für eine verbesserte rationale Versorgungsplanung und Evaluation anzusehen.
Mit der Vorstellung von DETECT (Diabetes Cardiovascular Risk-Evaluation: Targets and Essential Data
for Commitment of Treatment; (http://www.detect-studie.de)) – einem bundesweiten epidemiologischen
Multicenter-Studienprogramm in der hausärztlichen Praxis – werden die bislang aktuellsten und umfassendsten bundesrepräsentativen Patientendaten zur Häufigkeit, den Risikoprofilen, Begleiterkrankungen
und der Versorgungsgüte dieser Erkrankungen in Deutschland vorgelegt. Damit wird ein Abgleich von
Anspruch und Versorgungsrealität möglich, der neue und weitergehende Impulse für die Verbesserung der
Versorgung geben kann.
Methodik:
DETECT ist ein klinisch-epidemiologisches Langzeit-Studienprogramm im primärärztlichen Versorgungssektor. Vorrangige Ziele sind:
(1) Ermittlung der Prävalenz und des Schweregrads;
(2) Ermittlung der Inzidenz von Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen sowie damit einhergehenden Komplikationen innerhalb des Untersuchungszeitraumes von einem Jahr und vier
Jahren nach der Ersterfassung (Komorbidität);
(3) Überprüfung und Weiterentwicklung von routinetauglichen Risikoprofilen und -scores;
(4) Beschreibung des natürlichen Krankheits- und Therapieverlaufs über mehrere Jahre in Abhängigkeit von initialem Diagnose- und Behandlungsstatus sowie ausgewählten Versorgungs- und Interventionsmerkmalen;
(5) Beschreibung der Versorgungsqualität und -mängel im primärärztlichen Bereich.
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Grundlage der Untersuchung ist eine bundesweite Zufallsstichprobe von 3.795 Arztpraxen (Teilnehmerrate 60,2%, September 2003) sowie Stichtagserhebungen bei n=55.518 zufällig ausgewählten Patienten
dieser Arztpraxen (Teilnahmerate 93,5%). Eine Zufallsauswahl von n=7.519 dieser Patienten wurde darüber hinaus standardisiert mittels Laboranalysen charakterisiert, über ein Jahr hinweg klinisch verfolgt
und in 12-Monatsabständen nachuntersucht. Die 4-Jahres Nachuntersuchung ist derzeit in Vorbereitung.
Alle Patienten wurden standardisiert (Fragebögen, Arztinterview, Messungen, Verlaufs- und Mortalitätsmonitoring) untersucht.
Abbildung 1: Design der DETECT-Studie
DETECT- Ergebnisse:
(1) Die Diagnose Diabetes mellitus Typ 2 (siehe Abb. 2) ist mit einer Prävalenz von 13% bei Frauen
und 18% Männern (Gesamt 15%, Prävalenz Typ 1 Diabetes: 0,5%) eine der häufigsten Behandlungsdiagnosen. Dabei ist der Hausarzt überwiegend mit hochkomplexen Behandlungssituationen und überwiegend älteren Patienten (> Alter 60) konfrontiert; jeder zweite Diabetespatient
hat bereits ausgeprägte mikro- oder makrovaskuläre Folge- bzw. Begleitkomplikationen. Unter
den mikrovaskulären Komplikationen waren Neuropathien (17,5%) und Retinopathien (10,5%)
die häufigsten. Die häufigsten makrovaskulären Erkrankungen waren mit 28% die Gruppe der
koronaren Herzkrankheiten gefolgt von der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (10%).
(2) Koronare Herzerkrankungen gehören nach DETECT mit einer Stichtagsprävalenz von 12% ebenfalls zu den sehr häufigen Erkrankungen in der primärärztlichen Versorgung. Männer sind – vor
allem nach dem 40. Lebensjahr häufiger betroffen als Frauen (17,5% vs. 9%). Zustand nach Myokardinfarkt, stabile Angina pectoris sowie Zustand nach Koronarintervention gehören mit jeweils
einem Drittel zu den häufigsten Behandlungsdiagnosen.
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Abbildung 2: Prävalenz des Diabetes mellitus und der KHK nach Alter und Geschlecht
(3) Das Risikoprofil (Abb. 3) von Patienten in der hausärztlichen Versorgung ist in der Mehrzahl
hochkomplex und was das therapeutische Management betrifft, als herausfordernd zu bezeichnen: Nur wenige Patienten sind als sog. „einfache Risikokonstellationen“ zu bezeichnen. Die
Mehrzahl aller Diabetes mellitus Patienten haben mehr als vier Risikofaktoren; über 60% haben
beispielsweise zu hohen Blutdruck, über 70% sind als adipös zu bezeichnen (BMI>25: 82%; abdominale Adipositas: 70%), 53% haben ärztlich diagnostizierte Fettstoffwechselstörungen, 37%
erfüllen die Kriterien für gravierenden Bewegungsmangel und 16% sind Raucher.
Abbildung 3: Häufigkeit und Anzahl der Risikofaktoren bei Nicht-Diabetikern und Diabetikern
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(4) Das Ausmaß der Komorbidität ist extrem hoch und steigt alterskorreliert an.
Abbildung 4: Komorbiditätsmuster bei Typ 2 Diabetespatienten (N=8.188)
(5) Behandlungssituation am Beispiel der Diabetes mellitus: 7% aller Diabetes Patienten erhalten
keinerlei antidiabetische Behandlung und 14% werden ausschließlich nicht-medikamentös (Diät
und Bewegungstherapie) behandelt. 48% werden mit oralen Antidiabetika, 20% mit Insulin – 34%
davon intensiviert – und 12% mit einer Kombination aus Insulin und oraler Antidiabetika behandelt.
Abbildung 5: Therapie des Diabetes mellitus Typ II in der primärärztlichen Versorgung in Abhängigkeit von der Erkrankungsdauer
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(6) Die therapeutische Einstellung ist oft suboptimal: 40% der Patienten übertreffen den HbA1cZielwert ≥ 7,0; 60% den Zielwert von ≥ 6,5%. Jeder sechste Patient hat eine sehr schlechte Stoffwechseleinstellung (HbA1c 8,0-8,9: 9,0%; HbA1c 9,0-9,9: 3,6%; HbA1c ≥ 10,0%: 2,6%). Allerdings scheint sich im Vergleich zu früheren Untersuchungen (HYDRA 2001) die mittlere Stoffwechsel-Einstellungsgüte etwas gebessert zu haben.
(7) Im September 2003 war nur ca. jeder dritte Diabetes-Patient in einem Disease Management Programm (DMP) registriert, im September 2004 bereits jeder Zweite. Einen messbaren Einfluss auf
die bislang geprüften Krankheits- und Risikoparameter konnten wir noch nicht feststellen.
Schlussfolgerung:
DETECT verdeutlicht, dass eine patienten- und krankheitsgerechte Therapie im primärärztlichen Bereich
eine erkennbar vielschichtige und höchst problematische Herausforderung darstellt:
(1) In Deutschland ist der Hausarzt im Regelfall mit hochkomplexen chronischen Krankheits- und
Risikokonstellationen konfrontiert.
(2) Internationaler Spitzenreiter im Zeitdruck: Bei im Mittel 60 Patienten/Tag bleiben nur wenig
mehr als durchschnittlich 3 Minuten pro Patient für diagnostische und therapeutische Aufgaben
des Arztes sowie allgemeine Beratung und Beziehungsgestaltung.
(3) Der hohe Anteil älterer (60+) und zumeist ko- und multimorbider Patienten mit mikro- und makrovaskulären Komplikationen in der DETECT-Studie verdeutlicht die immense Routinebelastung und das komplexe Anforderungsprofil der Hausärzte. Inwieweit derartige Profile und die
sich daraus ergebenden Notwendigkeiten eines adäquaten Patientenmanagements noch kompatibel mit den Möglichkeiten und Prinzipien einer „Primärversorgung“ sein können, bedarf der Prüfung.
(4) DETECT deutet anhand direkter (u.a. Laborwerte und Therapiemaßnahmen) und indirekter (z.B.
Risikoscores) Indikatoren an, dass die Therapie und Versorgung bei vielen Diabetes und KHK Patienten suboptimal ist. Die Versorgungsgüte bleibt in vielen Bereichen gravierend hinter dem
Möglichen und Notwendigen zurück.
(5) Deutliche Probleme deuten sich insbesondere sowohl in frühen (Früherkennung, Frühintervention) wie auch in späten (ältere multimorbide Patienten) Krankheitsstadien an. Die Erstdiagnose
wird offensichtlich zu spät gestellt, was möglicherweise mit dem zu seltenen Einsatz valider Messverfahren zusammenhängt; eine konsequente Frühdiagnostik und Intervention kommt offensichtlich zu spät.
(6) Zu kurz kommen allgemein alle verhaltensmedizinischen Maßnahmen mit dem Ziel einer Verhaltensmodifikation (Bewegung, Ernährung, etc). Dies gilt gleichermaßen für die Primär- wie auch
Sekundärprävention und die Rehabilitation.
(7) Kritische Beachtung erfordert die spezielle Situation älterer Diabetespatienten. Bei dieser hinsichtlich individueller Therapieziele und Morbiditätslage recht variablen Gruppe sind offensichtlich neben der ausgeprägten Multimorbidität sowie den altersspezifischen Verlaufs- und Komplikationsrisiken spezifische Interventionsbedürfnisse und –dynamiken zu berücksichtigen. Diese
werden durch die bestehenden Leitlinien offensichtlich nicht hinreichend berücksichtigt.
(8) Die überaus häufigen komplexen Komorbiditätsmuster bei einem Großteil der Hausarztpatienten
und die zeitlichen Einschränkungen in der primärärztlichen Versorgung lassen es fraglich erscheinen, ob die Einführung vielfältiger diagnosebezogener Disease Management Programme ein
geeignetes Mittel zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität sein kann. DETECT läst eher die
Notwendigkeit für Case- und Patientenmanagement Programme erkennen.
Die Auswertung und Modellierung der DETECT Daten steht noch am Anfang; derzeit können noch
keine Detailanalysen und Vergleiche mit anderen Systemen vorgelegt werden. In Gegenüberstellung
zum internationalen Kontext ist aber bereits erkennbar, dass die DETECT Indikatoren für Versor-
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gungsgüte nur wenige Hinweise dafür geben, dass die Versorgungsgüte des deutschen primärärztlichen Sektor wesentlich schlechter sei als beispielsweise das der USA oder anderer EU-Ländern. In allen
Untersuchungen zeigt sich unabhängig von System- und Versorgungsmerkmalen, dass die Diabetes
mellitus Therapie bei einem erheblichen Anteil Betroffener suboptimal oder defizitär ist.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Hans-Ulrich Wittchen
Technische Universität Dresden
Chemnitzer Str. 46, 01187 Dresden
Tel.: +49 (0)351-463 36985
Fax: +49 (0)351-463 39421
E-Mail: [email protected]
URL: http://www.detect-studie.de
DETECT (Diabetes Cardiovascular Risk-Evaluation: Targets and Essential Data for Commitment of Treatment) ist eine
deutschlandweite klinisch-epidemiologische Querschnitts- und prospektive Längsschnittstudie der Technischen Universität Dresden (Studien- und Koordinationszentrum).
Die Studie wird durch einen unrestricted educational grant der Firma Pfizer GmbH, Karlsruhe gefördert.
Studienleitung: Prof. Dr. H.-U. Wittchen;
Mitarbeiter: Dr. H. Glaesmer, E. Katze, Dipl.-Math. J. Klotsche, Dipl.-Psych. L. Pieper, Dipl.-Psych. A. Bayer,
Dipl.-Psych. A. Neumann. Steering
Board: Prof. Dr. H. Lehnert (Magdeburg), Prof. Dr. G. Stalla (München), Prof. Dr. M. A. Zeiher (Frankfurt); Advisory
Board: Prof. Dr. W. März (Graz), Prof. Dr. S. Silber (München), Prof. Dr. Dr. U. Koch (Hamburg), PD Dr. D. Pittrow
(München/Dresden)
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