Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik für Studierende der Informatik PD Dr. U. Ludwig Vorlesung 3 1 / 16 § 1.3 Mehrstufige Zufallsexperimente 2 / 16 Häufig besteht ein Zufallsexperiment aus mehreren Teilexperimenten. Zwei Beispiele: das n-fache Werfen einer Münze ist ein mehrstufiges Zufallsexperiment. Wir betrachten eine Urne mit 2 roten und 3 schwarzen Kugeln. Es wird rein zufällig eine Kugel aus der Urne gezogen; ihre Farbe wird notiert. Anschließend werden diese Kugel und eine weitere Kugel derselben Farbe in die Urne zurückgelegt. Nach gutem Durchmischen wird wiederum eine Kugel aus der Urne gezogen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist diese Kugel rot? 3 / 16 Wahrscheinlichkeitsraum bei einem endlichen 2-stufigen Experiment Sei Ω1 die Menge der Ereignisse der ersten Stufe, Ω2 die Menge der Ereignisse der zweiten Stufe. Ω1 , Ω2 seien endlich. p1 sei eine Wahrscheinlichkeitsverteilung auf Ω1 . Für jedes a1 ∈ Ω1 sei ein System von Übergangswahrscheinlichkeiten p2 (a2 |a1 ) ≥ 0 gegeben, mit X p2 (a2 |a1 ) = 1 für alle a1 ∈ Ω1 . a2 ∈Ω2 Der Ereignisraum ist Ω = Ω1 × Ω2 . Als Ereignisalgebra nehmen wir P(Ω). Die Wahrscheinlichkeit p(ω) für ω = (a1 , a2 ) ∈ Ω ist gegeben durch p(ω) = p2 (a2 |a1 ) · p1 (a1 ) (erste Pfadregel). 4 / 16 Wahrscheinlichkeitsraum bei einem endlichen 3-stufigen Experiment Grundraum: Ω1 × Ω2 × Ω3 . Wahrscheinlichkeitsverteilung p1 auf Ω1 . Übergangswahrscheinlichkeiten p2 (a2 |a1 ) ≥ 0 und p3 (a3 |a1 , a2 ) ≥ 0, so dass X p2 (a2 |a1 ) = 1 für alle a1 ∈ Ω1 a2 ∈Ω2 und X p3 (a3 |a1 , a2 ) = 1 für alle (a1 , a2 ) ∈ Ω1 × Ω2 . a3 ∈Ω3 Die erste Pfadregel lautet nun, für ω = (a1 , a2 , a3 ) p(ω) = p3 (a3 |a1 , a2 ) · p2 (a2 |a1 ) · p1 (a1 ). 5 / 16 Wahrscheinlichkeit in einem n-stufigen Wahrscheinlichkeitsexperiment Definition 1.12. Es sei Ωj endlich oder abzählbar unendlich für j = 1, . . . , n; ferner sei p1 eine Wahrscheinlichkeitsverteilung auf Ω1 . Wir betrachten als Grundraum eines n−stufigen Zufallsexperiments die Menge Ω = Ω1 × . . . × Ωn . Für die Modellierung des Übergangs vom (j − 1)−ten zum j−ten Teilexperiment (2 ≤ j ≤ n) sei ein System von Übergangswahrscheinlichkeiten pj (aj |a1 , . . . , aj−1 ) ≥ 0 für jedes (a1 , . . . aj−1 ) ∈ Ω1 × . . . × Ωj−1 mit X pj (aj |a1 , . . . , aj−1 ) = 1 für alle (a1 , . . . aj−1 ) ∈ Ω1 ×. . .×Ωj−1 aj ∈Ωj gegeben. 6 / 16 Wahrscheinlichkeit in einem n-stufigen Wahrscheinlichkeitsexperiment (Fortsetzung) Definition 1.12. (Fortsetzung) Die Wahrscheinlichkeit p(ω) für ω = (a1 , . . . , an ) kann nun nach der ersten Pfadregel durch p(ω) = p1 (a1 ) · p2 (a2 |a1 ) · . . . · pn (an |a1 , . . . , an−1 ) berechnet werden. Für eine Teilmenge A ⊂ Ω definieren wir X p(A) = p(ω) (zweite Pfadregel). ω∈A (M.a.W: die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses A berechnet sich als Summe aller Wahrscheinlichkeiten, die in der n−ten Stufe zu einem ω ∈ A führen.) Dann ist (Ω, P(Ω), p) ein Wahrscheinlichkeitsraum. 7 / 16 Produktexperimente Definition 1.13. Ist ein n−stufiges Zufallsexperiment gegeben und gilt für das System der Übergangswahrscheinlichkeiten pj (aj |a1 , . . . , aj−1 ) = pj (aj ) für alle aj ∈ Ωj , a1 ∈ Ω1 , . . . , aj−1 ∈ Ωj−1 , dann ist (Ω, P(Ω), p) mit n Y p(ω) = pj (aj ) für ω = (a1 , . . . , an ) j=1 ein Wahrscheinlichkeitsraum. Man nennt solche mehrstufigen Zufallsexperimente auch Produktexperimente. Beispiel: n-facher Wurf mit einer fairen Münze. 8 / 16 1.4 Bedingte Wahrscheinlichkeiten, der Satz von Bayes 9 / 16 Beispiel Alex, Bob und Charly spielen Skat. Jeder erhält 10 Karten, 2 Karten bilden den Skat. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist das Pik-Ass bei Alex? Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist das Pik-Ass im Skat? Antwort: 10/32, 2/32. Bob weiß, dass er das Pik-Ass nicht hat. Er beantwortet die obigen Fragen mit: 10/22, 2/22. A = “Alex hat das Pik-Ass”. Y = “Bob hat das Pik-Ass nicht”. Wir bezeichnen mit p(A/Y ) die Wahrscheinlichkeit von A unter der Bedingung, dass Y schon eingetreten ist. In unserem Beispiel gilt p(A) = 10/32, p(A/Y ) = 10/22. 10 / 16 Beispiel (Beispiel 1.14 im Skript) 3 Maschinen produzieren denselben Artikel. Man weiß, dass Maschine 1 nur 2 % Ausschuss produziert, Maschine 2 dagegen 10 % und Maschine 3 schließlich 4 %. Die Anteile der drei Maschinen an der Gesamtproduktion betragen 30 %, 50 % bzw. 20 %. U :=“Artikel ist unbrauchbar”. M1 :=“Artikel ist von der Maschine 1 produziert”. Analog M2 und M3 .... Die Wahrscheinlichkein, dass ein Artikel, der von Maschine 1 produziert wurde, unbrauchbar ist, beträgt p(U|M1 ) = 0, 02. Analog p(U|M2 ) = 0, 1 und p(U|M3 ) = 0, 04. Von der Gesamtproduktion wird ein Artikel zufällig ausgewählt. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Artikel unbrauchbar ist? 11 / 16 Bedingte Wahrscheinlichkeit im Fall eines Laplace’schen Experiments Sei Ω ein Laplaceraum. Es seien A, Y Ereignisse in Ω. Wir wollen p(A|Y ) bestimmen. Y ist also eingetreten, d.h. das Ergebnis des Experiments ist ein ω0 ∈ Y . Wir bestimmen zuerst für ω ∈ Ω die bedingte Wahrscheinlichkeit p({ω}|Y }: 1/|Y | falls ω ∈ Y , p({ω}|Y ) = 0 falls ω 6∈ Y . Da das Wahrscheinlichkeitsmaß additiv ist, erhalten wir p(A|Y ) = p(A ∩ Y ) |A ∩ Y | = . p(Y ) |Y | 12 / 16 Definition der bedingten Wahrscheinlichkeit in einem Wahrscheinlichkeitsraum Definition 1.15. Es sei (Ω, A, p) ein Wahrscheinlichkeitsraum; sind A und B zwei Ereignisse, d.h. A, B ∈ A, mit p(B) > 0, so ist die bedingte Wahrscheinlichkeit p(A|B) = pB (A) (”Wahrscheinlichkeit von A unter der Bedingung B”) definiert durch pB (A) := p(A ∩ B) . p(B) 13 / 16 Multiplikationssatz Bemerkung 1.16. (Multiplikationssatz) (a) Sind A, B ∈ A mit p(A) > 0 und p(B) > 0, so folgt aus der Definition 1.14 p(A ∩ B) = pB (A) · p(B) = pA (B) · p(A). (b) Sind A1 , A2 , . . . , An ∈ A mit n ≥ 2, so dass p(A1 ∩ A2 ∩ · · · ∩ Aν−1 ) > 0 gilt für alle ν = 2, . . . , n. Dann ist p(A1 ∩ · · · ∩ An ) = p(A1 ) n Y p(Aν | A1 ∩ · · · ∩ Aν−1 ). ν=2 14 / 16 Satz von der totalen Wahrscheinlichkeit Satz 1.17. (Satz von der totalen Wahrscheinlichkeit) n [ Es sei Ω = Bk eine disjunkte Zerlegung mit p(Bk ) > 0 für k=1 1 ≤ k ≤ n. Dann gilt für beliebiges A ∈ A : p(A) = n X p(Bk ) · pBk (A). k=1 15 / 16 Zurück zu unserem Beispiel 1.14 U :=“Artikel ist unbrauchbar”. M1 :=“Artikel ist von der Maschine 1 produziert”. Analog M2 , M3 . Machine 1 2 3 Ausschuss 0,02 0,1 0,04 Anteil an Gesamtproduktion 30 % 50 % 20 % Von der Gesamtproduktion wird ein Artikel zufällig ausgewählt. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Artikel unbrauchbar ist? Mit dem Satz von der totalen Wahrscheinlichkeit erhalten wir die Antwort: p(U) = pM1 (U) · p(M1 ) + pM2 (U) · p(M2 ) + pM3 (U) · p(M3 ) = 0.02 · 0.3 + 0.1 · 0.5 + 0.04 · 0.2 = 0.064 16 / 16