349_407_BIOsp_0412_349_407_BIOsp_0412 14.06.12 14:55 Seite 400 400 W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB ÿ Biopharmazeutik und ihre Hürden ÿ Die Freiwilligkeit der Tretmühle und ihre genetische Prädisposition – Kartierung von Regionen quantitativer Merkmale in der Maus ÿ Warum Männer tatsächlich Grund zu jammern haben ÿ Epigenetik und Gedächtnis Lothar Jaenicke1 Jochen Graw2 Biopharmazeutik und ihre Hürden Onkogen-Proteine wirken als Glieder einer Signalkaskade, oft vermittelt durch G-Proteine und stets weitergeleitet über Tyrosin-Proteinkinasen. Nach Bindung ihres Signalstoffs dimerisieren sie und werden als Autokinasen aktiv, die sich selbst mittels ATP an einem signifikanten Tyrosinrest phosphorylieren und das Signal in das Zielorganell, meist den Zellkern, weitergeben. Jedes Glied dieser Kette ist ein spezifisches Ligand/Ligator-Paar mit genetisch definierten Bindungsflächen, in die Aktivatoren und Inhibitoren eingreifen können. Diese zu finden, ist die heutige Kunst der hochspezifischen Biopharmakologie. ó Das hier zu betrachtende Beispiel ist die onkogene Proteinkinase B-RAF und der hochproliferative Hautkrebs (Melanom), der durch den kürzlich zugelassenen Hemmstoff Vemurafenib für einige Zeit gehemmt wird, wenn sich auch bald seine Wirksamkeit durch eine Resistenzentwicklung verliert, der P. I. Poulikakos et al. (Nature (2011) 480:387–390) nachgegangen sind. Im Normalfall gesunder Zellen bindet das signalaktivierte G-Protein RAS B-RAF an die Zellinnenseite. Dort werden sie als Schaltelemente für die Selbstphosphorylierung von MEK aktiv; P-MEK phosphoryliert ERK; P-ERK schaltet das Genom auf Proliferation und Überleben. Ist aber B-RAF an V600 zu E mutiert (und dadurch zu p61-B-RAFV600E verkürzt), sendet es bereits als Monomer das Selbstphosphorylierungs(= Proliferations)signal an MEK/ERK. Die Zelle (Melanozyt, aber auch andere) wird zur Krebszelle. Vemurafenib blockiert diese Onkogenese sehr wirksam. Im Zytoplasma besteht ein B-RAF-Monomer/Dimer-Gleichgewicht M/D > 1; in Vemurafenib-Resistenzmutanten ist es < 1. Das strukturell veränderte p61-B-RAFV600E wurde aus abnormalen mRNA-Transkripten erhalten. B-RAF und B-RAFV600E sind als Monomere und als Dimere gleich wirksam, aber auch gleich empfindlich gegen Vemurafenib. Wird p61-BRAFV600E selektiv abgebunden, gewinnen die Zellen ihre Vemurafenib-Empfindlichkeit zurück; wird es in Vemurafenib-empfindliche Zellen eingeführt, werden diese Vemurafenib-resistent. Y In 6 von 19 untersuchten sekundären Vemurafenib-Resistenzfällen bei Melanomtherapie fehlte die RAS-Bindedomäne. Der beschriebene Mechanismus scheint also durchaus klinisch relevant; die kombinierte Therapie mit MEK-Inhibitoren angesagt und aussichtsreich. Lothar Jaenicke ó Die Freiwilligkeit der Tretmühle und ihre genetische Prädisposition – Kartierung von Regionen quantitativer Merkmale in der Maus Die biologische Basis freiwilliger Aktivitäten ist komplex und wird durch körperliche Fähigkeiten und entsprechende Motivationen beeinflusst. Zur Untersuchung in der Maus ist das Laufrad und die Messung verschiedener quantitativer Merkmale (vor allem Geschwindigkeit und Dauer) etabliert. Es ist schon länger bekannt, dass Mauslinien gezüchtet werden können, die sich in diesen Parametern deutlich voneinander unterscheiden (HR-Mäuse: high runner mice). Scott Kelly und seine Kollegen (Chapel Hill und Riverside) berichten nun über veränderte Genexpression im Gehirn dieser HR-Mäuse und Kopplungen mit Genregionen, die dafür im Vergleich zu Wildtyp-Mäusen (C57BL/6J) verantwortlich sind (Kelly SA et al., Genetics (2012) DOI:10.1534/genetics.112.140509). ó Dazu haben sie mehrere „Familien“ von reziproken (HR x C57BL/6J) Kreuzungen etabliert und schließlich 244 Mäuse aus der G4 genomweit auf Kopplung mit veränderten Genexpressionen untersucht. Unter den Ergebnissen ragen sechs Regionen besonders hervor, darunter in erster Linie eine Region oberhalb des Insig2-Gens (insulin-induced gene 2; Chr. 1, Position ∼123,2 Mb). Insig2 ist an der Regulation des Lipid- und Cholesterin-Metabolismus beteiligt und beim Menschen mit Fettleibigkeit assoziiert. Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass vermutlich die Kombination bestimmter Allele dieser sechs Regio- nen die Auswirkungen auf die Laufaktivität vervielfältigen kann. Y eQTL-mapping (Kartierung von Regionen quantitativer Merkmale, die die Expressionsstärke von Genen regulieren) – wie es oben ansatzweise skizziert ist – stellt ein wichtiges Konzept für viele Untersuchungen in der Maus dar, wenn es darum geht, komplexe Zusammenhänge bei quantitativen (stetigen) Merkmalen zu erkennen. Dazu gehören auch Mauslinien, die sich in ihrem Suchtverhalten (gegenüber Alkohol, Opiaten etc.) mehr oder weniger unterscheiden und deren genetische Charakterisierung bisher noch nicht gelungen ist. Jochen Graw ó 1 Institut f. Biochemie, Universität zu Köln, Zülpicher Straße 47, D-50674 Köln 2 Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH, Ingolstädter Landstraße 1, D-85764 Neuherberg, [email protected] 3 Falkenstraße 87, D-58553 Halver, [email protected] 4 Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Pharmakologie, Carl-Neuberg-Straße 1, D-30625 Hannover, [email protected] 5 Universität des Saarlandes, Medizinische Biochemie und Molekularbiologie, Campus Universitätsklinikum, Gebäude 44, D-66421 Homburg/Saar, [email protected] 6 Lehrstuhl für Ökologische Mikrobiologie, Universität Bayreuth, Dr.-Hans-Frisch-Straße 1–3, D-95440 Bayreuth, [email protected] 7 Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH, Infektionsgenetik, Inhoffenstraße 7, D-38124 Braunschweig, [email protected] BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang 349_407_BIOsp_0412_349_407_BIOsp_0412 14.06.12 14:56 Seite 401 401 Johannes Sander3 Roland Seifert4 Gerald Thiel5 Katharina Palmer6 Sarah Leist7 Warum Männer tatsächlich Grund zu jammern haben Der genetische Hintergrund spielt eine entscheidende Rolle im Verlauf einer Influenza-Infektion. Doch nicht nur die Genetik, sondern auch das Geschlecht, die Blutgruppe und die Umwelt tragen unter anderem ihren Teil zum Verlauf der Infektion bei. Durch die Kombination so vieler Einflüsse ist es nahezu unmöglich, zugrundeliegende Faktoren im Menschen zu untersuchen, weswegen hierzu die Maus als Modellorganismus gewählt wurde. Dies ist möglich, weil viele Gene, die in der Maus gefunden wurden, auch im Menschen zur Anfälligkeit (Suszeptibilität) beitragen. Gregory Boivin aus Montreal und seine KoAutoren haben für ihre aktuelle Studie ein einzigartiges Set von eng verwandten Mauslinien benutzt, in welchen die genetische Zusammenstellung und die genetische Expression sehr gut charakterisiert sind (Boivin et al., J Immunol (2012) 188:3949–3960). ó Während der Analyse der Suszeptibilität der unterschiedlichen Mausstämme fiel auf, dass nicht nur die einzelnen Stämme Unterschiede in ihrer Reaktion auf eine Infektion mit einem mausadaptierten H3N2-Virus zeigten, sondern dass beispielsweise Männchen eines Stammes sehr empfänglich, Weibchen hingegen resistent waren. Da Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen nicht in allen untersuchten Stämmen gefunden werden konnten, wird ein Zusammenspiel zwischen genetischem Hintergrund und dem Geschlecht vermutet. Es konnten Kandidatengene in den jeweiligen identifizierten chromosomalen Regionen gefunden werden, wovon zumindest von einem Gen bekannt ist, dass es durch das weibliche Geschlechtshormon reguliert wird. Y Diese Studie zeigt, wie komplex die Gründe für unterschiedliche Krankheitsverläufe sein können, sodass selbst in einer Population von genetisch identischen Mäusen die volle Tragweite bisher unbeachteter Faktoren ans Tageslicht gebracht werden kann. Sarah Leist ó Epigenetik und Gedächtnis Die Analyse der molekularen Grundlagen des Gedächtnisprozesses zeigte, dass die Gentranskription und die Neusynthese von Proteinen essenzielle Rollen spielen, insbesondere bei der Umwandlung des Kurzzeitgedächtnisses in das Langzeitgedächtnis. Transkriptionsfaktoren wie Egr-1 oder NF-κB wurden identifiziert und deren Funktionen mit der Konsolidierung von Erinnerungen korreliert. Die Aktivierung dieser Proteine ist jedoch transient und erklärt nicht die lang andauernde Speicherung von gelernten Inhalten. Veränderungen der Chromatinstruktur wurden alternativ dazu diskutiert, um die langfristige Speicherung von Gedächtnisinhalten zu erklären. Eine Arbeit, die kürzlich im Journal of Neuroscience publiziert wurde, unterstützt diese Hypothese (Bahari-Javan et al., J Neurosci (2012) 32:5062–5073). ó Die Struktur des Chromatins ist dynamisch und hat entscheidenden Einfluss auf die Kontrolle der Genexpression. Die Acetylierung der Histonproteine ist ein wichtiger epigenetischer Mechanismus, der über die Remodellierung der BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang Chromatinstruktur das Genexpressionsmuster beeinflusst. Die Acetylierung wird durch Histonacetylasen katalysiert, die Acetylgruppen von Acetyl-Koenzym A auf die ε-Aminogruppen von N-terminalen Lysinresten übertragen. Histondeacetylasen katalysieren die Rückreaktion. Bahari-Javan und Mitarbeiter zeigen, dass die Histondeacetylase-1 im adulten Hippocampus von transgenen Mäusen für das extinction learning notwendig ist. Darunter versteht man die Fähigkeit, früher gelerntes Wissen als nicht mehr relevant anzusehen. Die molekulare Analyse zeigte, dass die Histondeacetylase-1 die Deacetylierung des Lysinrestes 9 von Histon 3 katalysiert, der daraufhin methyliert wird. Die Methylierung dieses Lysinrestes ist typisch für inaktive Gene. Y Die Arbeit unterstützt die Hypothese, dass die Remodellierung des Chromatins in den Neuronen des Gehirns ein fundamentaler Mechanismus ist, der Änderungen der Gentranskription mit Lernprozessen verknüpft. Das Extinktionslernen wird offensichtlich ebenfalls durch epigenetische Reaktionen kontrolliert. Gerald Thiel ó Kurz gefasst ó Paradoxe Verstärkung der Signaltransduktion durch Rezeptor-Desensitisierung Desensitisierung ist die verringerte Signalweiterleitung durch Daueraktivierung von Rezeptoren. Im Fall der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs) erfolgt die Desensitisierung durch Phosphorylierung der Rezeptoren mit folgender Entkopplung von den G-Proteinen und Rezeptorinternalisierung. Desensitisierung spielt in der Dauertherapie mit Agonisten eine Rolle, da es dadurch zum Wirkungsverlust kommen kann. Ng et al. (Nature (2012) 482:111– 115) zeigen, dass Desensitisierung des Cysteinyl-Leukotrienrezeptors zu einer Verstärkung der Kalziumvermittelten Genexpression führt. Dadurch kommt es zu langfristigen Veränderungen der Funktion von Immunzellen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Mechanismus von allgemeiner Bedeutung für GPCRs ist. Roland Seifert ó Gentransfer korreliert mit Enterobacteriaceae-Blüte Im Säugerdarm kommt es gelegentlich zu horizontalem Gentransfer (HGT), u. a. von Virulenzgenen. Für die Konjugation innerhalb der Enterobacteriaceae ist jedoch ein direkter Kontakt der Zellen erforderlich, der im Firmicutes-/Bacteroidetes-dominierten Darm normalerweise nicht gegeben ist. B. Stecher et al. (Proc Natl Acad Sci USA (2012) 109:1269– 1274) zeigten im Mausmodell, dass bei entzündungsbedingten Enterobacteriaceae-Blüten die HGT-Rate zwischen dem Kommensalen E. coli Ec8178 und Salmonella enterica sv. Typhimurium ansteigt. Entscheidend ist dabei die hohe Populationsdichte, nicht die Entzündung. Die Ergebnisse helfen nicht nur, das evolutionäre Überleben von Plasmiden durch ständigen Transfer zu erklären, sondern zeigen auch die vernetzte Evolution von Pathogenen und Kommensalen auf. Johannes Sander 349_407_BIOsp_0412_349_407_BIOsp_0412 14.06.12 14:56 Seite 402 402 W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB ÿ Mutationsschwerpunkte in Methylierungswüsten – bioinformatischer Ansatz zur Erklärung der nichtzufälligen Verteilung von Mutationsereignissen ÿ Fortschritte in der Pharmakotherapie seltener genetischer Mitochondriopathien ÿ Vorratskammer Meeresboden – Kohlenstoff-Recycling über Jahrmillionen ÿ Mikroorganismen beeinflussen Autoimmunerkrankungen Mutationsschwerpunkte in Methylierungswüsten – bioinformatischer Ansatz zur Erklärung der nicht-zufälligen Verteilung von Mutationsereignissen Die Verteilung struktureller Mutationen im (menschlichen) Genom ist nicht zufällig und erscheint selektiv; es gibt viele Schwerpunkte im Genom, an denen häufig Mutationen entstehen (Bereiche genomischer Instabilität). Aleksandar Milosavljevic und seine Mitarbeiter in Houston und Warschau haben durch eine Vielzahl bioinformatischer Ansätze gezeigt, dass die Bereiche des Genoms, die gering bzw. gar nicht methyliert sind (etwa ein Prozent des Genoms), häufig Orte struktureller Mutationen sind (Li J et al., PLoS Genet (2012) DOI:10.1371/journal.pgen. 1002692). ó Die Autoren untersuchten dabei vor allem, ob es human-spezifische Bereiche für Mutationen gibt (im Vergleich zu nicht-menschlichen Primaten). Sie identifizierten 522 solcher human-spezifischen Strukturveränderungen, und zwar überproportional in den Bereichen der Methylierungswüsten. Da viele human-spezifischen Veränderungen Auswirkungen auf die Gehirnfunktion haben, überraschte es die Autoren nicht, dass einige dieser strukturellen Veränderungen mit Schizophrenie, bipolaren Erkrankungen, Entwicklungsverzögerungen und Autismus assoziiert sind. Y Aus der vorliegenden Arbeit ergeben sich wichtige Fragen: Gibt es eine erbliche interindividuelle Variabilität der Möglichkeit zu Mutationen? – die Autoren deuten an, dass diese Möglichkeit besteht. Welche Mechanismen stecken hinter diesem selektiven Mutationsprofil? – die Autoren diskutieren den Einfluss von DNA-Reparaturmechanismen und die Ausbildung von Chromatinschlaufen, wie sie durch die Einwirkung von Transkriptionsfaktoren erzeugt werden. Und schließlich die Frage nach dem Nutzen solcher Mutationsschwerpunkte im Licht der Evolution – hier diskutieren die Autoren, dass die Möglichkeit, Neues auszuprobieren, für die Evolution wichtiger wäre als der Ausbruch einiger Krankheiten, wenn das Ergebnis dieses „Versuchs“ negativ ist. Insgesamt eine spannende Arbeit, die viele Möglichkeiten für „Nass-Forscher“ aufzeigt, diese bioinformatische Analyse zu untermauern oder zu verwerfen. Jochen Graw ó Fortschritte in der Pharmakotherapie seltener genetischer Mitochondriopathien Da es immer schwieriger wird, für wichtige Volkserkrankungen wirksamere und sicherere Arzneistoffe als die bisher verfügbaren Wirkstoffe zu entwickeln, werden seltene Erkrankungen (orphan diseases) zunehmend interessante Arzneimitteltargets für orphan drugs. Zu den orphan diseases gehören die Mitochondriopathien, bei denen es durch genetische Defekte zu Störungen in der ATPSynthese und vermehrter Produktion zytotoxischer Sauerstoffradikale kommt. Zu den Mitochondriopathien gehören die Friedreich-Ataxie, das Alpers-Syndrom und die Leber-Opticusneuropathie. Bislang gibt es kaum Möglichkeiten zur Behandlung von Mitochondriopathien. ó Ein therapeutischer Ansatz besteht darin, durch Antioxidantien und Kofaktoren der Atmungskette, wie Koenzym Q10, die Symptomatik zu verbessern. Enns et al. (Mol Genet Metab (2012) 105:91–102) zeigen, dass ein para-Benzochinon-Derivat von Koenzym Q10, EPI743, in Konzentrationen von 20–100 nM kultivierte Hautfibroblasten von Patienten mit Mitochondriopathien vor oxidativem Stress schützt. Außerdem bewirkt EPI-743 bei etlichen Patienten Verbesserungen der Lebensqualität, des neurologischen Status und der metabolischen Situation des Gehirns. Ein Nachteil der Studie besteht darin, dass nur 14 Patienten untersucht wurden und wegen der geringen Patientenzahl kein doppelblindes Studiendesign implementiert werden konnte. Die Rekrutierung ausreichend großer Patien- tenkohorten für Studien mit orphan drugs stellt ein generelles Problem dar, weshalb Therapien häufig nicht ausreichend validiert sind. Y Obwohl genetische Mitochondriopathien sehr selten sind, haben die an diesen Erkrankungen durchgeführten Studien Relevanz für häufigere Erkrankungen. Bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Morbus Alzheimer kommt es in spezifischen Hirnregionen durch Proteinaggregate zu Funktionsstörungen der Mitochondrien mit nachfolgender Produktion reaktiver Sauerstoffspezies. Somit könnten Arzneistoffe, die an Mitochondriopathien erfolgreich erprobt wurden, durchaus auch bei häufigeren neurodegenerativen Erkrankungen eingesetzt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch eine frühe Krankheitserkennung. Roland Seifert ó BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang 349_407_BIOsp_0412_349_407_BIOsp_0412 14.06.12 14:56 Seite 403 403 Vorratskammer Meeresboden – KohlenstoffRecycling über Jahrmillionen In Meeressedimenten sind große Mengen organischen Kohlenstoffs eingelagert, der dort als recalcitrant, d. h. gegenüber biologischen Abbauprozessen stabil gilt. Doch wie stabil ist er wirklich? Dieser Frage gingen Lomstein et al. mit Experimenten und Modellierung auf den Grund (Nature (2012) 484:101–104). ó Sie untersuchten drei Bohrkerne aus dem Ostpazifik, deren Sedimenttiefe bis zu 420 Meter unter den Meeresboden reichte. Somit sind die unteren Schichten bis zu 35 Millionen Jahre alt. Zunächst wurde die Frage: Wer lebt – wer schläft? über eine kombinierte Zählung von lebenden Zellen und Endosporen (basierend auf Zellzahlbestimmungen und Bestimmung von Muramin- und Dipicolinsäurekonzentrationen) beantwortet. Sowohl die Zahlen der vegetativen Zellen als auch die der Endosporen lagen bei ca. 107 cm–3. Endosporen tragen stark zur Gesamtzahl der Organismen bei, allerdings finden sie bei vielen Studien keine Beachtung. Die Autoren berechneten, dass mehr als 96 Prozent des in Aminosäuren gebundenen Kohlenstoffs in mikrobieller Nekromasse (also in toten Zellen) vorliegt. Vergleicht man jedoch den Anteil des Aminosäure-Kohlenstoffs am Gesamt-Kohlenstoff, so sinkt dieser mit steigender Sedimenttiefe und steigendem Sedimentalter – ein Indiz dafür, dass Aminosäuren im Sediment bevorzugt abgebaut werden. In einem Modell wurden Bio- und Nekromasse-Umsatzraten berechnet. Während die Biomasse innerhalb von 103 Jahren umgesetzt wird, dauert es bei der Nekromasse immerhin 105 Jahre. Eine lange Zeit, aber dennoch 10- bis 100-mal kürzer als das Alter der ältesten Sedimentschicht. Der mikrobielle Kohlenstoff ist auf das Gesamtalter des Systems bezogen eben nicht recalcitrant, kann aber für kürzere (d. h. mehrere tausend Jahre lange) Zeiträume als stabil angesehen werden. Y Fazit: Der am Meeresboden begrabene Kohlenstoff ist eine hervorragende Quelle, um mikrobielle Aktivitäten unter solch schwierigen Bedingungen über Jahrmillionen aufrechtzuerhalten. Des Weiteren regen die Forscher an, die geschätzten globalen Gesamtzellzahlen um den Anteil der Endosporen zu korrigieren. Alles in allem ein interessanter Ansatz, der zeigt, dass auch unterhalb der Meeressedimentoberfläche noch so einiges los sein kann. Katharina Palmer ó Mikroorganismen beeinflussen Autoimmunerkrankungen T4-Helferzellen, wie die an der zellulären bzw. humoralen Immunantwort beteiligten TH1- und TH2-Zellen, sind wichtige Regulatoren der Immunantwort. Als Mitauslöser von Autoimmunerkrankungen (Multiple Sklerose, Arthritis u. a.) gelten TH17-Zellen (Interleukin-17-bildende T4Zellen). Jetzt wurden Pilze (Candida albicans) als Aktivatoren und Bakterien (Streptococcus aureus) als Repressoren dieser Zellen identifiziert. ó Durch Kokultivierung von naiven CD4+-Zellen mit C. albicans- oder S. aureus-Antigenpräsentierenden Monozyten gewannen Zielinski et al. in vitro TH17-Zellen (Nature (2012) 484:514–518), die sich allerdings Antigenabhängig in den von ihnen gebildeten Substanzen unterschieden. So bildeten nur die C. albicans-stimulierten Kulturen IFN-γ. S. aureusspezifische TH17-Zellen konnten nach einer erneuten Stimulation (bei gleichzeitiger vorübergehender IL-17-Herunterregulierung, unter Beteiligung von IL-2) auch IL-10 bilden, das vor BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang einer überschießenden Immunreaktion schützt. Bei C. albicans-, nicht aber bei S. aureus-stimulierten Kulturen war zudem IL-1β für die TH17-Differenzierung absolut notwendig, allerdings nur in Anwesenheit seines Gegenspielers IL-12. IL-1β induziert demnach wesentliche Eigenschaften von C. albicans-typischen TH17-Zellen (IFN-γ-, aber keine IL-10-Bildung). Ergänzende Versuche mit ex vivo isolierten Zellen bestätigten die in vitro gewonnenen Ergebnisse und zeigten zudem, dass IL-1β auch bei bereits differenzierten TH17-Zellen wirkt. Y Die Ergebnisse zeigen mögliche Querverbindungen zwischen Mikroorganismen und Autoimmunkrankheiten. Wichtige pro- und anti-inflammatorische Regulatoren sowohl für entstehende als auch für bereits ausdifferenzierte TH17-Zellen sind dabei IL-1β und IL-2. Die IL-1β -Blockade bietet daher einen möglichen Ansatzpunkt für die Therapie entzündlicher Erkrankungen. Johannes Sander ó Kurz gefasst ó Pathogenität von Staphylococci Der Penicillin-resistente Phagen-Typ80/81Klon von S. aureus, Mitte des 20. Jahrhunderts Verursacher einer globalen, erst kurz nach Einführung des Methicillins abebbenden Epidemie, gehört zu demselben Klonkomplex (CC30) wie EMRSA-16, einer der effizientesten MRSAStämme. DeLeo et al. (Proc Natl Acad Sci USA (2011) 108:18091–18096) charakterisierten 286 historische und aktuelle, Methicillin-sensitive und -resistente, nosokomial und nichtnosokomial verbreitete CC30-Stämme genetisch. Virulenzmindernde, möglicherweise aber die Dauerkolonisation erleichternde Mutationen im agrC-Gen (Bestandteil eines Virulenzfaktor-regulierenden Quorum-Sensing-Systems) und α-Hämolysin-Gen heutiger Stämme helfen zu verstehen, weshalb diese im Gegensatz zu dem hochvirulenten 80/81-Klon auf Kranke beschränkt sind. Johannes Sander ó Inositolpyrophosphate als Stoffwechselkontrolleure der Eukaryoten Die energiereichen Pyrophosphat(PP)bindungen im ATP sind nicht nur „Energietransporteure“; sie sind auch Zeichengeber und -träger der meisten zellulären Signalketten, am bekanntesten in Form der Nukleosid-3’,5’-cyclophosphate cAMP und cGMP. Z. Szijgyarto et al. beschreiben nach Studien an SaccharomycesHefe-Mangelmutanten, dass Inositolpyrophosphate (IPP) an der Kontrolle der intrazellulären ATP-Konzentration beteiligt sind (Science (2011) 334:802–805). Hefen mit einem Defizit an IPP haben schlecht funktionierende Mitochondrien, aber paradoxerweise das Mehrfache an ATP, da sie stärker glykolysieren. Die IPP regeln die ATP-Konzentration über das Verhältnis zytoplasmatische Glykolyse zu mitochondrialem Atemstoffwechsel. Dieser Regelkreis ist bis zu den Säugern bewahrt. Lothar Jaenicke ó Histamin H4-Rezeptor-Agonisten zur Behandlung der multiplen Sklerose? Die Frage, ob der Histamin H4-Rezeptor (H4R) bei entzündlichen Erkrankungen eine pro- oder anti-inflammatorische Rolle spielt, wird kontrovers diskutiert. Diese Diskussion wird nun durch eine aktuelle Studie von del Rio et al. (J Immunol (2012) 188:541–547) neu angefacht: In H4R-Knockout-Mäusen verläuft eine experimentelle Autoimmunenzephalitis als Modell für die Multiple Sklerose schwerer als in WildtypMäusen. Dies scheint auf eine reduzierte Anzahl regulatorischer T-Zellen im Entzündungsgebiet zurückzuführen zu sein. Demzufolge könnten H4R-Agonisten therapeutisches Potenzial für die Behandlung der multiplen Sklerose besitzen. Experimentell einsetzbare selektive H4R-Agonisten gibt es bereits (Igel et al., J Med Chem (2009) 52:6297–6313). Roland Seifert 349_407_BIOsp_0412_349_407_BIOsp_0412 14.06.12 14:56 Seite 404 404 W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB ÿ Home, sweet home ÿ Filarien-Resistenz ÿ Neues mögliches Anwendungsgebiet für β2-Adrenozeptoragonisten ÿ Kryo-IR-Spektroskopie von katalytisch wirksamen H-Bindungen Home, sweet home Zellmembranoberflächen sind glykosidisch „dekoriert“. Aber nicht zu Schmuck und Auszeichnung, sondern zu Schutz und Abwehr. Diese Glykoproteine und Proteoglykane gehören zur Klasse der spezielle Kohlenhydrate bindenden löslichen Proteine, der Lektine, denn sie „wählen“ durch die spezifischen, in ihren Zuckern und Glykosidketten qualitatitiv, quantitativ und/oder räumlich gegebenen Verwandtschaften und unterscheiden dadurch zwischen „Selbst“ und „Nichtselbst“. Ein solcher Auswahlvorgang durch Lektine ist zum Beispiel wesentlicher Teil der Abwehr durch Autophagie bei einer Lebensmittelvergiftung mit Salmonella typhimurium, wie T. L. Thurston et al. (Nature (2012) 482:414–418) detaillieren. ó Bei der Autophagie von eingedrungenem „Fremd“ in das Zytoplasma eines Wirts wird der Eindringling in einer Membranvesikel, dem Autophagosom (im Fall von S. typhimurium die Salmonellen-enthaltende Vesikel SCV) eingeschlossen. Einige der eingeschlossenen Bakterien legen durch ihr Typ-III-Sekretionssystem Breschen in die SCV-Wand, durch die sie eigene Wirkproteine und Spaltzucker, zugleich auch Eigenwachstum-fördernde und chemotaktische Hilfsproteine (vor allem LC3) aus den Wirtszellen abgeben bis hin zur Rezyklisierung von bereits eingeschlossenem Pathogen in das Wirtszytoplasma. Also stellt sich ein Gleichgewicht von gefangenen, entlassenen und neugebildeten Infektionszellen ein. Stufen des dynamischen Vorgangs wurden durch kinetische Untersuchungen an HeLa-Zellkulturen verfolgt und mit fluoreszenzmarkierten Proteinen konfokalmikroskopisch dokumentiert. Die freigesetzten Zucker der SCV-Wand starten durch selektive Bindung an das Lektin Galectin-8 des Wirts (in Kombination mit den anderen Auslösern) die Autophagie in durchlässigen SCV. Zusätzlich rekrutieren die Salmonellen darin das Ubiquitinsystem, dieses dann wieder in einem Verstärkerzyklus die genannten, gegenseitig und auf dem geschädigten Parasitenkörper örtlich begrenzend knappen Adapterhilfsproteine für LC3. Das Autophagosom mit den eingeschlossenen Parasiten verschmilzt schließlich mit dem aus gleichem Material umhüllten Lysosom zum Autolysosom, in dem das „Fremd“ unschädlich gemacht wird. Y Es besteht also ein entwicklungsgeschichtlich uralter, feintarierter, dynamisch-funktioneller Ausgleichsvorgang zwischen diesen Komponenten der kontrollierten zellulären Wehr und Gegenwehr. Ob das auch im Staatenwesen möglich wäre? Lothar Jaenicke ó fördern und dadurch diese Zellen paralysieren. Natürliche Resistenz gegen den Wirkstoff ist nicht bekannt. Angewendet werden Avermectine in Ungezieferpudern für Meerschweinchen bis Pferd. Die breite Anwendung der Avermectine hat, wie zu erwarten, zu Resistenzen der (parasitischen) Nematoden-Populationen geführt. Die Resistenz beruht, wie die Autoren bei C. elegans zeigen, auf einer Mutation in den durch sechs glc-Gene codierten GluCls. Von diesen wurde in dem Isolat CB4856, das gegen Avermectine unempfindlich ist, glc-1 analysiert. Das Merkmal ist rezessiv. Gegenüber dem Standardstamm N2 weist die glc-1-Sequenz 77 Nukleotid-Unterschiede in der α-Untereinheit der Ligandenbindungsdomäne des GLC-1-Proteins auf (davon vier relevante) und eine kleine Deletion, die für sich allein reicht, Resistenz auszulösen. Allerdings ist sie nicht in allen re- sistenten Isolaten vorhanden und andere, die sie enthalten, sind trotzdem nicht resistent. Die gleiche Variante macht die C. elegansStämme gegen S. avermitilis hoch refraktär. Andererseits kompensiert der Normalstamm in Abwesenheit der Bodenpilze durch größere Fruchtbarkeit. C. elegans hat also, vermutlich durch lange Kohabitation, das Resistenz-Allel zu einem multiplen oder polymorphen Resistenz-Mechanismus entwickelt. Ohne das Toxin, in sterilem Boden, kann die Bilanz gegenüber dem glc-1-Allel durch größere Fruchtbarkeit ausgeglichen werden. Y Wir haben hier ein Paradebeispiel, wie sich Selektion dem natürlichen Milieu sparsam anpasst und ohne überflüssige Entropiever mehrung auf dem Quivive bereit erhält. Lothar Jaenicke ó Filarien-Resistenz In jedem Überlebensraum müssen Organismen sich gegen Ko-Habitanten wehren. Das gilt auch für die bodenbürtigen Nematoden gegenüber den konkurrierenden Mikroorganismen, die ihrerseits Abwehrstoffe bilden. Ein Beispiel berichten R. Ghosh et al. (Science (2012) 335:574–578) von Caenorhabditis elegans außerhalb der Petrischalen. ó Im Boden leben die Filarien oder Fadenwürmer vergesellschaftet mit Streptomyceten, die Produzenten einer Vielzahl von Makroliden (makrozyklischen Laktonen) sind. Streptomyces avermitilis bildet das Anthelminticum Avermectin, das Wirbellose lähmt und isoliert oder in verschiedenen Formen technisch gewonnen wird. Avermectine wirken als Neurotoxin, indem sie die Membrandurchlässigkeit der Nerven- und Muskelzellen durch Blockierung der Glutamat-aktivierten Chloridkanäle (GluCls) BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang 349_407_BIOsp_0412_349_407_BIOsp_0412 14.06.12 14:56 Seite 405 405 Neues mögliches Anwendungsgebiet für β2-Adrenozeptoragonisten Das Hauptanwendungsgebiet für β2-Adrenozeptoragonisten ist die Therapie obstruktiver Atemwegserkrankungen. Kurzwirksame β2-Adrenozeptoragonisten (SABAs) werden beim akuten Asthmaanfall eingesetzt; langwirksame β2-Adrenozeptoragonisten (LABAs) zur Prophylaxe einer Verschlimmerung des Krankheitsbildes (Exazerbation). ó In einer aktuellen Arbeit zeigen Wills et al. (J Pharmacol Exp Ther (2012) DOI:10.1124/ jpet.112.191528), dass der LABA Formoterol hinsichtlich verschiedener Parameter (Sauerstoffverbrauch, Genexpression) die Biogenese von Mitochondrien stimuliert. Interessanterweise zeigte der unspezifische β-Adrenozeptoragonist Isoproterenol keine stimulatorische Wirkung, was ein Indiz für die Existenz Ligand-spezifischer Rezeptorkonformationen ist. Dadurch lassen sich bestimmte Zellfunktionen spezifisch aktivieren und unerwünschte Wirkungen reduzieren. Durch eine Kombination von chemoinformatischem Modelling, virtuellem Screening von Substanzbi- bliotheken und nachfolgender experimenteller Validierung identifizierten die Autoren das Nisoxetin als einen β2-Adrenozeptoragonisten, der spezifisch die Mitochondrien-Biogenese stimuliert. Y Die Arbeit ist ein gutes Beispiel dafür, dass es durchaus möglich ist, für etablierte Arzneistoffe neue Indikationsgebiete zu eröffnen. Dieser Ansatz, der auch als drug repurposing oder drug repositioning bezeichnet wird, hat den Vorteil, dass wesentliche Daten zur Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Toxizität des Arzneistoffes bereits bekannt sind. Dadurch können die Entwicklungskosten für eine neue Arzneimittelindikation gesenkt werden. Stimulatoren der mitochondrialen Biogenese könnten z. B. bei neurodegenerativen Erkrankungen wie dem Morbus Alzheimer eingesetzt werden, wobei hier die Arzneistoffpassage über die Blut-Hirn-Schranke bedacht werden muss. Ein weiteres Problem kann die Rezeptordesensitisierung mit Wirkungsverlust durch eine Dauertherapie mit Agonisten sein. Roland Seifert ó Kryo-IR-Spektroskopie von katalytisch wirksamen H-Bindungen Vielfältige, nicht-kovalente Wechselwirkungen zwischen kleinen Liganden- oder Substratmolekülen (L) und katalysierenden makromolekularen Biopolymeroberflächen (M) sind die Grundlage aller biologischen Katalysen. In deren Verlauf gewinnen die Reaktionspartner im Komplex (ML) durch Streckung von Bindungen und Drehung von Funktionselementen supramolekulare Geometrien und veränderte Energieverteilungen, die Wege zu neuen Zielen bieten können. Sie zu verfolgen, zu nutzen und zu deichseln ist Aufgabe planender biotechnischer und pharmazeutischer Forschung. ó Die Berührungs- und Haftpunkte zwischen den Partnern (L und M) sind in der Regel Wasserstoffbindungen, die ein vorhandenes oder vorgebildetes Netz solcher schwacher Wechselwirkungen komplementieren und übergreifend zum physikalisch-chemisch (zu L’) produktiven Ensemble vervollständigen, aus dem M unversehrt wieder hervorgeht. Im diskutierten Beispiel (Science (2012) 335:694–698) verwenden E. Garand et al. als katalysierendes M ein synthetisches Tripeptid mit einer Dimethylamid (α)-, einer Amid (β)-, einer Piperamid (γ)- und einer t-Bu- BIOspektrum | 04.12 | 18. Jahrgang tylester (δ)-Gruppierung, als bindendes L ein Biarylsubstrat mit m-Hydroxy- im ersten und o-Carboxyfunktion im zweiten Ring. Als Indikator zur Sondierung der in H-Bindungen kovalent engagierten funktionellen Gruppen dient die Messung von Tiefsttemperatur-Frequenzänderungen der spezifizierten Gruppen bei der Clusterbildung in der Gasphase durch kombinierte MS- (höchste Aussageschärfe) und IR-Spektroskopie (Bandbreite und Reproduzierbarkeit), eine ausgefeilte Methodik zur Analyse der Photonen-Energie spektren. Die den einzelnen Oszillatoren zuzuordnenden Resonanzen lassen sich durch die ortsspezifische Isotopenmarkierung identifizieren. Y Diese durch den konzeptuellen, technischen und apparativen Fortschritt ermutigte neue Analysemethodik vereinigt die Aussagekraft der IRund der MS-Spektroskopie im gleichen Experimentalansatz. Zwar ist die Extrapolation aus der Gas- in die hydratisierte Biophase vielleicht etwas (über)mutig, aber sie gibt eine weit verbesserte Handhabe, sich Ligandenkomplexen über Wasserstoffbindungen, wie sie der Enzymologie, der Sinnes- und Signalphysiologie und der Pharmakologie zugrundeliegen, analytisch aussagekräftig zuzuwenden. Lothar Jaenicke ó Kurz gefasst ó Kristallografische Darstellung des M2- und M3-Cholinozeptors M-Cholinozeptoren werden durch den Neurotransmitter Acetylcholin aktiviert und regulieren im autonomen Nervensystem vielfältige Körperfunktionen. Subtyp-selektive Agonisten und Antagonisten wären daher von großer therapeutischer Bedeutung. Ein wichtiger Schritt in Richtung dieses ambitionierten Ziels stellt die Auflösung der Kristallstrukturen des M2- und M3-Rezeptors dar (Haga et al., Nature (2012) 482:547–551; Kruse et al., Nature (2012) 482:552– 556). Die beiden Arbeiten geben u. a. Aufschluss über den Weg, den Liganden von der Oberfläche der Rezeptoren bis zur Ligandbindungsstelle nehmen, über allosterische Ligandbindungsstellen sowie Unterschiede in der Positionierung der Transmembrandomänen 5 und 6 bei GProtein-gekoppelten Rezeptoren (M2) sowie Gq-Protein-gekoppelten Rezeptoren (M3). Roland Seifert ó ATP-gesteuerte Ionenkanäle ATP ist nicht nur ein wichtiger Energieträger, sondern fungiert auch als extrazellulärer Botenstoff und Neurotransmitter, der an G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (P2Y) und liganden-gesteuerte Ionenkanäle (P2X) bindet. M. Hattori und E. Gouaux haben nun die Kristallstruktur eines P2X4-Kanals mit gebundenem ATP gelöst (Nature (2012) 485:207–212). Die Struktur gibt erstmals ein genaues Bild der drei ATP-Bindungsstellen, die, wie vermutet, in Spalten zwischen den Untereinheiten des trimeren Rezeptors liegen. Ferner erlaubt der Vergleich der geschlossenen apo-Form mit der ATP-gebundenen, offenen Form des Kanals Spekulationen über die Konformationsänderungen, die mit der Aktivierung einhergehen. Andreas Reiner ó Stress-induziertes Glycyl-tRNASynthase-Gen bei Hefen Eukaryoten benötigen einen doppelten Satz von Aminoacyl-tRNA-Synthasen: je einen für das Zytoplasma und die Mitochondrien. Bei Saccharomyces cerevisiae gehen jedoch bei vier AminoacyltRNA-Synthasen die zytoplasmatische und die mitochondriale Form durch alternative Translationsinitiation aus nur einem Gen hervor. Für eines der betroffenen Enzyme, die Glycyl-tRNA-Synthase, existieren dennoch zwei Gene (GRS1 und GRS2). Chen et al. (PLoS ONE (2012) DOI:10.1371/journal.pone.0033363) zeigten, dass GRS2 durch Stress (Hitze, H2O2, hoher pH-Wert, Ethanol) stark induziert wird und zur Bildung eines hitzeresistenten Enzyms führt. GRS1 hingegen wird unter Stressbedingungen weniger exprimiert. Johannes Sander