www.evimed.ch Prä-Diabetes: Wie steigert man in der Gesellschaft die Anzahl präkranker Menschen? Frage: Testgenauigkeit verschiedener Parameter für die Diagnose eines Prädiabetes und Wirksamkeit verschiedener Interventionen zur Verhinderung eines Diabetes mellitus bei Menschen mit einem Prädiabetes? Hintergrund: Die Prävalenz von Typ 2 Diabetes ist weltweit steigend. Die Verhinderung eines Type 2 Diabetes oder zumindest die zeitliche Verzögerung des Auftretens sind prioritäre Ziele der Gesundheitspolitik. Die Frage ist, wie „hohes Risiko“ (Prädiabetes) für die Entwicklung eines Diabetes definiert wird und wie Personen mit Prädiabetes identifiziert werden. Nach den derzeitigen Kriterien kann eine Person in einem Land nicht prädiabetisch sein und im Nachbarland diagnostiziert der Arzt nach den dort geltenden Kriterien einen Prädiabetes. (Kriterien für einen Prädiabetes nach den WHO Richtlinien: abnorme Nüchternglukose (6.0 - 6.9 mmol/L) oder verminderte Glukosetoleranz nach 2h (7.0 - 11.1 mmol/L) oder HbA1c (6.0 - 6.4%); nach den Richtlinien der American Diabetes Association: abnorme Nüchternglukose (5.6 - 6.9 mmol/L) oder verminderte Glukosetoleranz nach 2h (7.0 - 11.1 mmol/L) oder HbA1c (5.7 - 6.4%) Prädiabetes ist eine arbiträre Kategorie und impliziert, dass ein (grosser?) Teil der Personen, wenn sie keine Gegenmassnahmen (z.B. Bewegung und Gewichtsreduktion) ergreifen, an einem Typ2 Diabetes erkranken wird. Wie hoch die Prävalenz ist, weiss man nicht so genau. Diese Studie, ein systematic review, beschäftigt sich mit den Fragen welchen Test (wenn überhaupt einen) für die Diagnose des Prädiabetes verwendet werden soll was die Wirksamkeit verschiedener Interventionen bei Menschen mit einem Prädiabetes ist Einschlusskriterien: Für diagnostische Studien mussten im Labor entweder HbA1c oder Nüchternglukose (Plasma) gemessen werden; point-of-care Messungen dieser Parameter wurden nicht berücksichtigt, wegen Reliabilitätsproblemen. Klinische Studien bei über 18-Jährigen mit Prädiabetes (verminderte Glukosetoleranz, abnorme Nüchternglukose, erhöhte HbA1c, Schwangerschaftsdiabetes in der Anamnese) in denen entweder die Wirksamkeit einer Veränderung des Lebensstils oder die Wirksamketi von Metformin untersucht wurde. Studiendesign und Methode: Systematic review Resultat: In den systematic review konnten 46 diagnostische Studien (Testgenauigkeit von Nüchternglukose und HbA1c ) und 25 interventionelle Studien (Wirksamkeit von Änderung des Lebensstils, Metformin) eingeschlossen werden. Diagnostische Studien (nach den WHO-Kriterien für einen Prädiabetes): Testgenauigkeit von HbA1c (der Referenztest, oder ‚gold standard’ war das Ergebnis des oralen Glukosetoleranztests [OGTT]), die Sensitivität von HbA1c liegt bei 50% (d.h. die Hälfte der Menschen, die gemäss dem Ergebnis des OGTT einen Prädiabetes haben, haben gemäss HbA1c Wert keinen Prädiabetes). Die Spezifität liegt bei 80% (d.h. 20% der Menschen mit einem erhöhten HbA1c Wert haben gemäss dem Ergebnis des OGTT keinen Prädiabetes. Die Ergebnisse nach den Kriterien der American Diabetes Association sind ähnlich verwirrend. www.evimed.ch Testgenauigkeit von abnormer Nüchternglukose (Referenztest ist wieder OGTT); Sensitivität 25% und Spezifität 94%. Interventionelle Studien: Die Studien waren in den Designs unterschiedlich (unterschiedliche Interventionen, unterschiedliche Beobachtungsdauern, unterschiedliche Adherence...). Veränderungen des Lebensstils führten in der Regel zu einer Gewichtsreduktion, zu einer Verbesserung der ‚glykämischen Werte’ und zu einer Reduktion des Risikos einen Diabetes Typ 2 zu entwickeln. (Dieses Wissen ist schon länger allgemein bekannt). Auch Metformin reduziert das Risiko für das Auftreten eines Diabetes bei Menschen mit einem Prädiabetes. Kommentar: Die Motivation eine Zusammenfassung dieses Artikels zu schreiben war nicht die Summe der neuen Erkenntnisse dieser Studien, die in dem systematic review zusammengefasst wurden. Die Motivation ist ein Beispiel dafür zu zeigen was Eugen Bleuler (Psychiater, Direktor am Burghölzli) vor 100 Jahren mit dem Titel seines Buches „Das autistisch-undisziplinierte Denken in der Medizin und seine Überwindung“ angesprochen hat. Es wird ein neuer – eine Krankheit andeutenden – Begriff kreiert, von wem auch immer, der einen nicht unbeträchtlichen Teil der Menschen als zumindest prä-krank klassifiziert. Zu alledem kommt noch, dass diese „Prä-Krankheit“ nicht einmal klar definiert ist, also je nach Interesse einmal so oder so definiert wird. Wissenschaftliche Medizin setz voraus, dass Begriffe und Kategorien klar definiert werden. Die Undiszipliniertheit ist noch nicht überwunden. Man sollte sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung den krankmachenden Institutionen und Behörden nur noch den Rücken zeigt. Literatur: Barra E. et al. Efficacy and effectiveness of screen and treat policies in prevention of type 2 diabetes: systematic review and meta-analysis of screening test and interventions. BMJ 2017; 356: i6538 Verfasser: Johann Steurer