Diabetologie und Stoffwechsel Oktober 2013 • Seite S103–S240 • 8. Jahrgang www.thieme-connect.de/ejournals S2 • 2013 Supplement Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft Hrsg.: M. Kellerer, E. Siegel, im Auftrag der DDG Die Praxisempfehlungen der DDG Aktualisierte Version 2013 Offizielles Organ der Deutschen Diabetes-Gesellschaft This journal is listed in Science Citation Index, EMBASE and SCOPUS DDG Praxisempfehlung Diabetes, Sport und Bewegung Autoren K. Esefeld1, P. Zimmer2, M. Stumvoll3, M. Halle1, 2 Institute 1 2 3 Präventive und Rehabilitative Sportmedizin, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München, München AG Diabetes und Sport der DDG Med. Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinik Leipzig, Leipzig Physiologie der Muskelarbeit ! Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1356024 Diabetologie 2013; 8: S207–S211 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 1861-9002 Korrespondenzadresse Univ.-Prof. Dr. med. Martin Halle Technische Universität München Klinikum rechts der Isar Präventive und Rehabilitative Sportmedizin Georg-Brauchle-Ring 56 80992 München Tel.: ++ 49/0 89/28 92 44 31 Fax: ++ 49/0 89/28 92 44 50 [email protected] www.sport.med.tum.de Muskelarbeit bezeichnet ganz allgemein Körperbewegung oder körperliche Aktivität durch Muskelkontraktionen, die zu einem Energieverbrauch zusätzlich zum Grundumsatz führt. Jede Art körperlicher Aktivität, unabhängig davon, ob sie im Alltagsleben, im Beruf oder in der Freizeit in strukturierter Form als Sport geleistet wird, folgt den gleichen metabolischen und hormonellen Regelmechanismen. Unter Ruhebedingungen wird der Energiebedarf der Skelettmuskulatur fast vollständig durch die Oxidation freier Fettsäuren gedeckt. Mit einsetzender Muskelarbeit steigt der Energiebedarf akut an und kann unter Umständen das 8- bis 10-Fache des Ruhebedarfs erreichen. Zur Deckung dieses Energiebedarfs greift die Muskulatur anfangs vorrangig auf Glukose und erst bei länger als einer Stunde andauernder Muskelarbeit auf eine Mischung aus freien Fettsäuren und Glukose zurück. Dabei überwiegt der Anteil der Fettsäureoxidation und variiert in Abhängigkeit vom Trainingszustand zwischen 60 und 75 % der VO2max. Während körperlicher Aktivität verbraucht der Muskel zunächst freie Glukose, die anschließend aus dem Abbau der muskulären Glykogenreserven nachgeliefert wird. Für die Muskelarbeit wird zudem auch Glukose aus dem Blut verwendet und insulinabhängig in die Zelle aufgenommen. Die Steigerung des Glukosetransports aus dem Blut in die Muskelzelle erfolgt durch die Translokation der Glukosetransporter (GLUT-4) vom endoplasmatischen Retikulum in die Muskelzellmembran. Zusätzlich steigert jede Muskelaktivität genau diesen Vorgang insulinunabhängig. Die Eigenkontraktion der Muskulatur entspricht somit der physiologischen Wirkung des Insulins [1 – 4]. Der durch die Muskelarbeit bedingte Glukoseabfall wird durch eine präzise und adäquate Steigerung der hepatischen Glukosefreisetzung ausgeglichen, wenn keine gleichzeitige Glukoseresorption aus der Nahrung zur Verfügung steht. Die Steigerung dieser Freisetzung wird im Wesentlichen durch eine Hemmung der pankreatischen Insulinsekretion und den daraus resultierenden Abfall des Insulinspiegels im Pfortaderblut bewirkt. Unterstützend und modulierend wirken dabei die kontrainsulinären Hormone (Katecholamine, Glukagon, Cortisol und Wachstumshormon) [2, 3, 5, 6]. Diese Anpassungsvorgänge der Glukosebereitstellung führen je nach Dauer und Intensität der Muskelarbeit zur teilweisen bis vollständigen Entleerung der muskulären und hepatischen Glukosespeicher. Diese werden nach Beendigung der Muskelarbeit wieder aufgefüllt. Abhängig vom Entleerungsgrad kann die Glukoseaufnahme in die Muskulatur noch bis zu 48 Stunden nach Ende der Muskelarbeit erhöht sein. Nutzen und Nachteile von Muskelarbeit für Menschen mit Typ-1-Diabetes ! Pathophysiologie Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes fehlt die endogene Insulinsekretion. Die notwendige exogene Insulinsubstitution stört die physiologische, fein abgestimmte Regulation des Substratflusses während der Muskelarbeit. So führt jede Insulininjektion zu einem relativen Insulinüberschuss. Dieser verhindert während Muskelarbeit die bedarfsgerechte Steigerung der hepatischen Glukosefreisetzung bei gleichzeitig stark stimulierter muskulärer Glukoseaufnahme. Daraus resultiert ein Abfall des Blutglukosespiegels, der bei erhöhtem Ausgangswert des Blutzuckers erwünscht ist, aber bei längerer Dauer der Bewegung und bei bereits zu Beginn der Muskelarbeit bestehender Normoglykämie rasch unerwünschte Hypoglykämien zur Folge hat. Auslassen von Insulininjektionen, Katheterokklusionen bei Insulinpumpentherapie oder Infekte führen zu einem absoluten bzw. relativen Insulinmangel. Dieser Insulinmangel führt zusammen Esefeld K et al. Diabetes, Sport und … Diabetologie 2013; 8: S207–S211 S207 S208 Diabetes, Sport und Bewegung mit den kontrainsulinären Hormonen zu einer Steigerung der hepatischen Glukosefreisetzung, während parallel dazu die Glukoseaufnahme in die Muskulatur nur geringfügig zunimmt. Ergebnis ist ein Anstieg des Blutzuckers. Der gesteigerte Energiebedarf der arbeitenden Muskulatur wird dann fast vollständig durch freie Fettsäuren gedeckt, was die Entstehung einer Ketoazidose durch Muskelarbeit erklärt. Konsequenzen für den Umgang mit Sport ▶ Höhe des aktuellen Blutzuckers vor der Bewegung: Optimal ▶ ▶ ▶ ▶ ▶ Regelmäßig ▶ ▶ ▶ ▶ durchgeführter Ausdauersport kann zwar vom Grundsatz her bei Typ-1-Diabetikern das kardiovaskuläre Risikoprofil und das HbA1C verbessern [7, 8], aber jede Muskelarbeit einschließlich Sport stört die Glukosehomöostase und stellt daher keine allgemein brauchbare Therapieoption zur langfristigen Verbesserung der Stoffwechseleinstellung dar. Sport und Spiel sind für alle Menschen ein Stück Lebensqualität und insbesondere für Kinder und Jugendliche ein wichtiges integratives Moment. Daher müssen alle therapeutischen Bemühungen primär auf die Vermeidung sportinduzierter Ketoazidosen sowie Hyper- und Hypoglykämien abzielen. Sportinduzierte Hypoglykämien lassen sich durch Imitation der physiologischen Insulinsekretion in Kombination mit zusätzlichen exogenen Kohlenhydraten vermeiden [9, 10]. Bei Blutzuckerwerten > 13,9 mmol/l (250 mg/dl) und Ketonämie (Blutazeton > 1,1 mmol/l) und Ketonurie (Azeton im Urin) liegt ein starker Insulinmangel vor [11]. Dieser muss durch Insulinsubstitution behoben werden, bevor Muskelarbeit begonnen oder fortgesetzt wird. Praktische Wissensvermittlung über Präventionsstrategien muss Bestandteil jeder strukturierten Schulung für Typ-1Diabetiker sein [10, 12]. ▶ ▶ ▶ ▶ ▶ ▶ ▶ sind Ausgangswerte von 120 – 180 mg/dl (bei gefährlichen Sportarten höhere Werte anstreben!). Zeitpunkt der letzten Mahlzeit vor der Bewegung. Art und Menge der aufgenommenen Kohlenhydrate. Vor mehrstündigem und ganztägigem Sport Normal- und Basalinsulin bis zu 50 % reduzieren. Bei ganztägigem Sport, Sport am Nachmittag und Abend Basalinsulin abends in Abhängigkeit von Dauer und Intensität um 10 bis 50 % reduzieren, da die Auffüllung der muskulären Glykogendepots bis zum Folgetag dauern kann. Gleichzeitig kann auch eine Erhöhung der KHE-Zufuhr nach dem Sport erfolgen. Bei Sport von kurzer Dauer und geringer Intensität nur zusätzliche Kohlenhydrate (sog. Sport-BE) zuführen. Wenn die Verminderung der Insulindosis unmöglich oder unpraktikabel ist, müssen wiederholt (alle 20 – 30 min) zusätzliche Kohlenhydrate in kleinen Mengen (1 – 2 KHE) mit hoher Energiedichte getrunken oder gegessen werden. Mehrere Portionen von 1 bis 2 KHE sollen auf den Zeitraum vor, während und nach der Bewegung verteilt werden. In Abhängigkeit von Dauer und Intensität können Zusatz-KHE von insgesamt 8 oder mehr erforderlich sein. Geeignet sind Cola, Fruchtsäfte, Müsliriegel, Obst und Brot. Welche Kombination dieser KHE besonders geeignet ist, muss individuell ermittelt werden. Zur Senkung der Hypoglykämiegefahr bei langandauernden Belastungen sind kurze Sprints vor, während oder nach der Belastung zu empfehlen, da kurze intensive Intervalle den Blutzucker erhöhen. Sport bei Typ-1-Diabetikern Praxis der Prävention sportinduzierter Komplikationen: Basisregeln ▶ Da es nur grobe Dosis-Wirkungs-Beziehungen gibt, müssen individuelle Anpassungsregeln erarbeitet werden. ▶ Bei Bewegung und Sport häufige Blutzuckerselbstkontrollen ▶ ▶ ▶ durchführen und zusammen mit Insulindosis und ZusatzKHE in einem Sporttagebuch protokollieren. Dieses Protokoll bildet die Basis für die Analyse individueller Stoffwechselreaktionen bei Sport, dient zur Sammlung von Erfahrungen und hilft bei der Therapieoptimierung mit dem Arzt oder Diabetes-Team. Beim Sport immer ein SOS-Sportset (z. B. Traubenzucker, Glukosegels, Softdrinks, Saft) mitführen. Sportkameraden, Freunde, Trainer, Lehrer über Hypoglykämierisiko und Gegenmaßnahmen informieren. Umgebungsbedingungen (Hitze, Kälte und Höhe) müssen mit berücksichtigt werden. Dosisfindung für Insulin und Zusatz-KHE Für die Festlegung der Insulindosisreduktion und zusätzlicher Kohlenhydrate beim Sport müssen folgende Faktoren berücksichtigt werden [12 – 27]: ▶ Art, Intensität und Dauer der Muskelarbeit. ▶ Trainingszustand. ▶ Einflüsse auf Insulinverfügbarkeit durch Umgebungstemperatur, Injektionsort und ‑zeitpunkt des Insulins, Art des Insulinpräparats (Normalinsulin, Basalinsulin, Mischinsulin, Insulinanaloga), Höhe der Insulindosis, Art der Therapieform (CT, ICT CS II). Esefeld K et al. Diabetes, Sport und … Diabetologie 2013; 8: S207–S211 Typ-1-Diabetiker können im Grunde jegliche Sportart, auch als Wettkampf- oder Leistungssport, ausüben. Allerdings sind Sportarten, bei denen das Risiko von Bewusstseinsstörungen/ eingeschränkter Urteilsfähigkeit infolge evtl. Hypoglykämien erhöht ist (z. B. Tauchen, Fallschirmspringen, Extrem-Klettern, Skiitouren in großer Höhe, Wildwasser-Kanufahren oder Drachenfliegen) eher ungeeignet. Falls sie dennoch durchgeführt werden, erfordern sie große persönliche Erfahrung, besonders sorgfältiges Verhalten, individuelle Planung und eine intensive Schulung. Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr muss immer geachtet werden. Erhöhte Blutzuckerwerte erfordern eine zusätzliche Steigerung der Flüssigkeitszufuhr, um eine Dehydrierung zu vermeiden. Praxistools ● Tab. 1: Prävention sportinduzierter Komplikationen bei der " Therapie mit Insulinanaloga ● Tab. 2: Prävention sportinduzierter Komplikationen bei der " Therapie mit einer Insulinpumpe DDG Praxisempfehlung Tab. 1 Prävention sportinduzierter Komplikationen bei der Therapie mit Insulinanaloga. – Bei Sportbeginn bis zu 3 h nach Insulininjektion und einer Mahlzeit Reduktion kurz wirkender Insulinanaloga um 25 – 75 % ▶ – Bei Sportbeginn von mehr als3 h nach Insulininjektion und einer Mahlzeit keine Reduktion kurz wirkender Insulinanaloga, bedarfsweise zusätzliche Kohlenhydrate – Bei kurzzeitigem Sport keine Reduktion lang wirkender Insulinanaloga; ggf. zusätzliche Kohlenhydrate bzw. Reduktion kurzwirksamer Insuline zur Vermeidung von Hypoglycämien – Vor ganztägigen körperlichen Aktivitäten Reduktion von langwirksamen Insulinanaloga (Glargin) um 20 – 40 % und danach um 10 – 20 % Tab. 2 Prävention sportinduzierter Komplikationen bei der Therapie mit einer Insulinpumpe. – Für Reduktion des Mahlzeitenbolus und zusätzlicher Kohklenhydrate: gleiche Regeln wie bei traditioneller Insulininjektionstechnik – Bei Sport von mehr als 1 – 2 h Halbierung der Basalrate bei Normalinsulin 2 h und bei Analoginsulin ca. 1 h vor Sportbeginn, dann je nach Dauer und Intensität Reduktion der Basalrate um 10 – 50 % bis zu 14 h – Bei Ablegen der Pumpe für mehr 2 – 4 h Umstellung auf traditionelle Insulintherapie Nutzen und Nachteile von Muskelarbeit für Menschen mit gestörter Glukosetoleranz und/oder Typ-2-Diabetes ! Pathophysiologie Der grundlegende Defekt dieser Erkrankung ist die gestörte Insulinsensitivität in Verbindung mit einer relativen Defizienz der sekretorischen Kapazität des Insulins, hauptsächlich bedingt durch einen bewegungsarmen und hyperalimentären Lebensstil. Maßnahmen [28], die die Steigerung der Insulinsensitivität bewirken (in erster Linie regelmäßige körperliche Aktivität), bieten daher eine kausale therapeutische Option zur Behandlung dieser Menschen [29, 30]. Jede akute Muskelaktivität steigert die Glukoseaufnahme unabhängig vom Insulin durch Stimulation der Translokation von GLUT-4 in die Zellmembran und bewirkt dadurch auch bei Typ-2-Diabetes einen akuten Abfall des Blutzuckers. Ständige Wiederholung von Muskelarbeit in Form von Ausdauertraining steigert die Insulinsensitivität vor allem in der Muskulatur und nur unwesentlich im Fettgewebe. An diesem Anstieg der Insulinsensitivität in der Muskulatur sind sowohl eine stärkere Insulinbindung an Insulinrezeptoren der Muskelzellen als auch eine Zunahme der muskulären Insulinrezeptoren, die gesteigerte Aktivität zytoplasmatischer und mitochondrialer Enzyme und die Zunahme der Kapillardichte beteiligt. Eine ganz zentrale Rolle kommt neben der insulinunabhängigen Stimulation der GLUT-4Translokation in die Muskelzellmembran auch der gesteigerten Expression des GLUT-4-Gens durch regelmäßige körperliche Bewegung zu, was zu einer gesteigerten Insulineffektivität bei der Stimulation der Glukoseaufnahme des Muskels führt [1]. ▶ Hindernisse auf dem Weg zu einem aktiven Lebensstil Ein grundlegendes Problem besteht darin, dass die Mehrzahl aller Typ-2-Diabetiker älter als 60 Jahre ist und wegen erhöhter Morbidität und Risikofaktoren (koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit, periphere diabetische Neuropathie, proliferative diabetische Retinopathie, Hypertonie), Immobilität und fehlender Motivation nicht oder nur eingeschränkt an Bewegungsprogrammen teilnehmen kann. Allerdings ist gerade in diesen Fällen der Nutzen körperlicher Aktivität besonders evident. ▶ Bewegungsprogramme sind dann zum Scheitern verurteilt, wenn sie die potenziellen Teilnehmer körperlich und psychisch überfordern. ▶ Um bei älteren Menschen Erfolg zu haben, müssen Bewegungsprogramme deren körperliche Fähigkeiten, den altersbedingten Leistungsabbau, krankheitsbedingte Beeinträchtigungen, ihre Interessen, ihre sozialen Bindungen und vor allem ihre Lebensgewohnheiten berücksichtigen. ▶ Bewegungsprogramme, die diese Prinzipien nicht berücksichtigen, können eher schaden, wenn sie organische Schäden auslösen und Minderwertigkeits- oder Schuldgefühle wecken oder verstärken. ▶ Bewegungsprogramme sollten vor allem dazu genutzt werden, Freude an der Bewegung zu wecken und den Einstieg in einen aktiven Lebensstil zu ermöglichen. ▶ Bewegungsprogramme können als Keimzelle für neue Freundeskreise fungieren, in denen Wandern, Nordic-Walking, Radfahren, Schwimmen, Gymnastik oder andere Ausdauersportarten gepflegt werden. ▶ Bewegungsprogramme für Diabetiker können auch in Herzsportgruppen integriert werden. Praktisches Vorgehen bei der Durchführung von Bewegungsprogrammen ! ▶ Bewegungsprogramme Therapeutischer Nutzen ▶ Bei bestehendem Typ-2-Diabetes bewirkt regelmäßiges Train- ing eine Senkung des Blutzuckers sowie die Verbesserung weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Übergewicht, Dyslipidämie und Hypertonie [20, 31 – 34]. Dies konnte auch in einer großen multizentrischen Langzeitstudie (LOOK Ahead) über 11,5 Jahre an über 5.000 Typ-2-Diabetikern nachgewie- sen werden, jedoch ohne Nutzen in Bezug auf kardio- und zerebrovaskuläre Ereignisse und Mortalität [30, 35, 36]. Bei gestörter Glukosetoleranz lassen sich durch Ausdauertraining zusätzlich die Insulinsensitivität und die Stoffwechseleinstellung verbessern. Dieser Effekt hält aber nur wenige Tage an, wenn das Ausdauertraining beendet wird. Um einen dauerhaften positiven Therapieeffekt durch Muskelarbeit zu erreichen, ist die lebenslange Umstellung auf einen aktiven Lebensstil mit regelmäßiger Bewegung erforderlich. Eine dauerhafte Umstellung auf einen aktiven Lebensstil kann bei gestörter Glukosetoleranz das Risiko für die Manifestation eines Typ-2-Diabetes verringern, auch bei Personen mit Übergewicht, positiver Familienanamnese für Typ-2-Diabetes und Hypertonie [37 – 47]. ▶ sollen primär die aerobe Ausdauer steigern, weil sie aus metabolischer und kardiopulmonaler Sicht gesundheitlich das wertvollste Element darstellen. Empfehlenswert sind Ausdauersportarten, die dynamische Beanspruchungen möglichst großer Muskelgruppen gegen einen möglichst geringen Widerstand in rhythmisch gleich bleibender Form erlauben, wie z. B. Nordic-Walking, schnelles Gehen, Bergwandern, Skiwandern, Schwimmen oder Radfahren. Alternativ empfiehlt sich ein Kraft(ausdauer)programm für die großen Muskelgruppen, da die Kraftbelastung zu einer Zunahme der Muskel- und somit fettfreien Masse führt, resultie- Esefeld K et al. Diabetes, Sport und … Diabetologie 2013; 8: S207–S211 S209 S210 Diabetes, Sport und Bewegung ▶ ▶ ▶ rend in einer verbesserten Insulinresistenz [48]. Dabei ist allerdings das Risiko durch Blutdruckanstiege bei Vorliegen einer Hypertonie zu beachten. Optimale Effekte werden durch eine Kombination aus einem Ausdauer- und einem Kraft(ausdauer)training erzielt [49 – 53]. Um alterungsbedingten Verlusten entgegenzuwirken, sollten die Bewegungsprogramme auch motorische Beanspruchungsformen enthalten, die Geschicklichkeit, Schnellkraft, Reaktionsvermögen, Koordination und Gelenkigkeit erfordern, wie z. B. im Rahmen von Ballspielen oder Tanzen. Zusätzlich sollte die Alltagsaktivität (Treppensteigen, Spazierengehen, Gartenarbeit etc.) gesteigert werden. Auch hierdurch lassen sich bereits positive Effekte auf den Glukosestoffwechsel/die Insulinresistenz erzielen. ▶ Die ▶ ▶ ▶ initiale Belastungsintensität sowie -dauer (anfangs < 10 min) sollten niedrig gehalten werden, dafür sollte die Bewegung an möglichst vielen Tagen der Woche (optimal täglich) durchgeführt werden bzw. sollten bevorzugt kurze Einheiten mehrmals am Tag durchgeführt werden. Die Belastungsdauer und -intensität sollte über Wochen langsam gesteigert werden. Zur Erzielung der gewünschten Langzeiteffekte werden Belastungsintervalle von mehr als 30 min optimal 6 – 7 ×/Woche benötigt. Auch durch Steigerung der Alltagsaktivität lassen sich positive Effekte erzielen. Sport bei diabetischen Spätschäden Vermeiden von Komplikationen durch Bewegungsprogramme ! ▶ Ältere Menschen mit Typ-2-Diabetes mellitus haben im Ver- ▶ ▶ ▶ ▶ ▶ ▶ gleich zu gleichaltrigen Gesunden ein höheres kardiovaskuläres Risiko [54 – 56]. Dieses Risiko liegt umso höher, je geringer die kardiopulmonale Leistungsfähigkeit ist. Zur Vermeidung unerwünschter kardiovaskulärer Zwischenfälle nach jahrelangem Bewegungsmangel müssen vor Beginn strukturierter Bewegungsprogramme eine differenzierte Anamneseerhebung, eine ausführliche klinische Untersuchung mit Blutdruckmessung und ein Ruhe-EKG durchgeführt werden. Mit einer zusätzlichen ergometrischen Untersuchung, ggf. mit Laktatbestimmung oder Spirometrie, lassen sich kardiopulmonale Leistungsfähigkeit und kardiales Risiko durch KHK vor Beginn des Bewegungsprogramms einschätzen [57, 58]. Während der Trainingsstunden in Diabetikersportgruppen für Diabetiker ohne Risikoprofil für KHK ist keine Arztpräsenz erforderlich. Diabetiker mit definiertem Risikoprofil für KHK gehören in eine Herzsportgruppe, weil in diesen Gruppen ein in Notfallmedizin geübter Arzt anwesend ist, der über Defibrillator und Notfallkoffer verfügt. Blutzuckermessungen vor, während und nach dem Sport bei Diabetikern durchführen, die mit Insulin und/oder Sulfonylharnstoffen behandelt werden. Beachtung von Insulindosisanpassung und Zusatz-KHE bei Typ-2-Diabetikern mit Insulinbehandlung. Reduktion oder Absetzen von Sulfonylharnstoffen kann erforderlich werden, um Hypoglykämien zu vermeiden [59, 60]. Bezüglich der Spätschäden und des Trinkverhaltens gelten die gleichen Regeln wie bei Typ-1-Diabetikern. Sport/Bewegung bei Typ-2-Diabetikern ▶ Zur Beurteilung der körperlichen Belastung wird als indi▶ rektes Maß die Herzfrequenz genutzt, da gesicherte Beziehungen zwischen Herzfrequenz und O2-Aufnahme bestehen. Der Trainingspuls sollte individuell bestimmt werden, optimal durch Ergometrie mit Laktatbestimmung bzw. spiroergometrisch, ansonsten Ermittlung mithilfe der Karvonen-Formel. Faustregeln, wie z. B. Herzfrequenz = 180/min – Lebensalter, sind insbesondere unter Betablockertherapie nicht geeignet. Esefeld K et al. Diabetes, Sport und … Diabetologie 2013; 8: S207–S211 ▶ Bei proliferativer Retinopathie Blutdruckanstiege über 180 – 200/100 mmHg vermeiden. ▶ Nach Laserung der Netzhaut oder Augenoperation 6 Wochen keine körperliche Belastung. ▶ Krafttraining und Kampfsportarten sind bei Retinopathie ▶ ▶ ungeeignet und potenziell schädlich. Bei peripherer diabetischer Neuropathie bestehen Risiken durch unpassendes Schuhwerk für die Manifestation eines Diabetischen Fußsyndroms (siehe Leitlinie DFS) Bei bestehender autonomer Neuropathie muss die Störung der physiologischen Blutdruck- und Herzfrequenzregulation beachtet werden. Literatur 01 Dohm GL. Invited review: Regulation of skeletal muscle GLUT-4 expression by exercise. J Appl Physiol 2002; 93 (2): 782 – 787 02 O’Gorman DJ, Karlsson HK, McQuaid S et al. Exercise training increases insulin-stimulated Glukose disposal and GLUT4 (SLC2A4) protein content in patients with type 2 diabetes. 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