R2 THEMA DES TAGES Montag, 8. April 2013, Nr. 81 DEFGH Der Hebammenmangel Sie scheinen wie selbstverständlich zu einer Geburt dazu zu gehören: Hebammen. Doch ob in Kreißsälen oder bei der Vor- und Nachsorge – vielerorts herrscht inzwischen ein Mangel an Geburtshelferinnen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Über den Wandel eines Berufes und die Frage, wie er sich in Zukunft trotzdem behaupten könnte VON INGA RAHMSDORF E va Demter ist bereits für das nächste halbe Jahr ausgebucht. Fast täglich erhält sie neue Terminanfragen, die sie regelmäßig ablehnen muss, so begehrt ist sie. Eva Demter ist Hebamme, und wie ihr geht es vielen ihrer Kollegen respektive Kolleginnen – meistens sind es Frauen, die diesen Beruf ausüben. Ständig wenden sich schwangere Frauen an sie, die ihre Dienste in Anspruch nehmen wollen. Viele der werdenden Mütter sind zunehmend verzweifelt. Sie telefonieren lange Listen ab, und das nicht immer mit Erfolg. Besonders schwierig kann die Suche nach einer Hebamme verlaufen, wenn der voraussichtliche Geburtstermin in den Sommerferien oder um Weihnachten herum liegt. Die meisten werdenden Eltern beschäftigen sich mit dem Thema erst, wenn es akut wird – mit der Arbeit der Hebammen, die nicht nur bei der Geburt wichtig ist, sondern auch in den Monaten davor und danach. Viele Frauen wissen nicht, dass sie von Beginn der Schwangerschaft an Anspruch haben, von einer Hebamme betreut zu werden. Die Kosten übernehmen die Krankenkassen. Die Stadt München hat festgestellt, dass der Versorgungsengpass vor allem Migranten und sozial benachteiligte Gruppen betrifft, da diese am schlechtesten informiert sind. Zudem sind einige Stadtviertel besonders stark von dem Mangel betroffen. Da Hebammen die Mütter und Babys vor allem nach der Geburt zu Hause betreuen, ist es wichtig, wo sie tätig sind. In Feldmoching-Hasenbergl etwa arbeiten gerade einmal zwei Hebammen. 31 Euro für einen Hausbesuch, 270 Euro für eine Geburt: „Wir arbeiten im Niedriglohnsektor.“ Das größte Problem sei die Bezahlung, sagt Eva Demter, die auch stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbands (BHLV) ist. „Wir arbeiten im Niedriglohnsektor.“ Für einen Hausbesuch erhält sie als freiberufliche Hebamme 31 Euro brutto, für eine Geburt im Krankenhaus, die bis zu elf Stunden dauert, 270 Euro tagsüber und 326 Euro nachts. Die geringe Bezahlung trifft nicht nur freiberufliche Hebammen, sagt Demter, sondern auch die Geburtshelfer, die im Kreißsaal arbeiten. Ähnlich wie in anderen Pflegeberufen, in denen vor allem Frauen arbeiten, gibt es wenig Aufstiegsmöglichkeiten. Dabei fordert die Arbeit nicht nur einen flexiblen Einsatz rund um die Uhr mit hoher körperlicher und psychischer Belastung, sondern sie bringt auch große Verantwortung mit sich. Schließlich muss eine Hebamme nicht nur bei einer Hausgeburt, sondern auch im Kreißsaal schnell reagieren und entscheiden, ob Kind oder Mutter in Gefahr sind, ob ein Eingriff notwendig ist oder ein Arzt hinzugezogen werden muss. 14 700 Babys wurden 2011 in München geboren. Etwa 180 freiberufliche Hebammen sind in der Stadt gemeldet, nicht alle arbeiten Vollzeit. Wie viele Frauen in München von Hebammen betreut werden und in welchem Umfang, darüber gibt es keine verlässlichen Daten. Um die Versorgungslage besser beurteilen und verbessern zu können, hat das Referat für Bildung und Umwelt (RGU) alle in München gemeldeten Hebammen befragt. Die Ergebnisse werden derzeit noch ausgewertet, der bis- Früher hat Eva Demter Geburten betreut – diese originäre Aufgabe ihres Berufs hat die Hebamme inzwischen aufgegeben. Stattdessen leistet sie in ihrer Praxis Vor- und Nachsorge. FOTO: CATHERINA HESS Schwierige Geburt Viele werdende Mütter nehmen während und nach der Schwangerschaft gerne die Hilfe einer Hebamme in Anspruch. Wer derzeit in München entsprechende Unterstützung sucht, stellt allerdings fest: Es herrscht ein akuter Mangel an Geburtshelferinnen herige Stand lege aber einen Hebammenmangel nahe, sagt Katrin Zettler, Sprecherin des Referats. Außerdem plant das RGU, alle Mütter zu befragen, die 2012 zwischen Mai und August ein Kind bekommen haben. Besonders betroffen von dem Engpass ist die Nachsorge, also die Betreuung von Mutter und Kind nach der Entlassung aus der Klinik. Zeitlich macht sie den größten Teil der Arbeit von Hebammen aus. Frühe Klinikentlassungen und eine zunehmende Kaiserschnittrate führen außerdem dazu, dass der Betreuungsbedarf wächst. Die steigende Geburtenzahl der vergangenen Jahre in München verschärft die Situation wohl noch. Versorgungslücken in den Kliniken gibt es bisher aber offenbar nicht. In der Münchner Frauenklinik des Rotkreuz- ammen, die Geburten betreuen, mussten 2012 etwa 4240 Euro Versicherungsprämie zahlen. Wie Demter haben daher viele Hebammen die originäre Aufgabe ihres Berufs aufgegeben: die Betreuung während der Geburt. Demter hat mittlerweile eine eigene Praxis. Sie leistet Vor- und Nachsorge und gibt Kurse. Viele Hebammen, die im Kreißsaal angestellt sind, arbeiten zusätzlich freiberuflich. In München arbeiten sechs Frauenkliniken ausschließlich mit angestellten Hebammen, vier weitere mit freiberuflichen. Diese werden nach Bedarf zur Geburt hinzugezogen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Eins-zu-eins-Betreuung, bei der jeweils eine Hebamme eine Frau in die Klinik und durch die gesamte Geburt begleitet. Dieses Modell, das in an- klinikums sind 37 Hebammen angestellt. Es gebe keine Schwierigkeiten, alle Stellen mit qualifiziertem Personal zu besetzen, sagt Pflegebereichsleiterin Renate Brunthaler, allerdings gehe die Zahl der Bewerbungen zurück. „Auch wenn es immer wieder ein Geschenk ist, bei einer Geburt dabei zu sein, würde ich keinem mehr raten, den Beruf zu ergreifen“, sagt auch Eva Demter. Sie hat früher geholfen, Kinder auf die Welt zu bringen, in der Klinik, im Geburtshaus und freiberuflich. 2008 hat sie damit aufgehört. Es lohnte sich nicht mehr. 40 Geburten im Jahr müsste sie begleiten, um überhaupt erst einmal die hohen Ausgaben für die Haftpflichtversicherung zu begleichen. Die Beiträge sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Freiberufliche Heb- deren Bundesländern verbreitet ist, gibt es in keiner Münchner Klinik mehr. Das bedeutet für Mütter und Hebammen, dass sie sich vor der Geburt nicht kennen. Und: Endet die Schicht während der Geburt, wechselt auch die Hebamme. „Für mich kommt es einem Berufsverbot gleich, wenn die Bedingungen so sind, dass wir keine Geburten mehr begleiten können“, sagt Demter. Dadurch verändern sich nicht nur das Berufsbild und das Verständnis von einer Geburt. Die Hebammen sind schließlich die Fachfrauen für eine normal verlaufende Geburt. „Ein Arzt muss nicht bei jeder Geburt dabei sein – eine Hebamme schon“, sagt Maria Jacobi, die Vorsitzende des BHLV. Die zunehmende Kaiserschnittrate degradiere die Hebammen außerdem zu OP-Assistenten. Für Krankenhäuser in kleineren Städten ist es schwierig, die Geburtsabteilung zu halten. Sie arbeiten oft mit Beleghebammen, die pro Geburt bezahlt werden. Wenn eine Klink zu wenig Geburten hat, rechnet es sich mit der Versicherungsprämie für die Hebammen oft nicht. In Penzberg und Landau haben die Geburtshilfeabteilungen bereits geschlossen. Damit sinkt die Freiheit der Frauen zu wählen, wie und wo sie gebären möchten. Wenn die Wege zu den Kliniken länger werden, steigt das Risiko in Notfällen bei Hausgeburten und Geburtshäusern. „Es läuft darauf hinaus, dass Geburten nur noch in großen Kliniken vorgenommen werden, in denen mit wenig Zeit viele Geburten durchgeführt werden müssen“, fürchtet Demter. Sie hatte sich ihren Beruf einst anders vorgestellt. Mit Doktortitel in den Kreißsaal Hilfe danach Ähnlich wie bei Erziehern wird in der Geburtshilfe darüber diskutiert, ob eine Akademisierung des Berufs sinnvoll ist Welche Dienste Familien zur Verfügung stehen München – Mechthild Groß ist die einzige habilitierte Hebamme in Deutschland. Die Dozentin leitet seit fast vier Jahren den Masterstudiengang für Geburtshilfe an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Auch Hebammen mit Doktortitel gibt es bundesweit noch nicht viele, aber ihre Zahl nimmt zu. Groß hat bereits mehrere Hochschulabsolventen auf dem Weg zum Doktortitel begleitet. Bisher galt der Beruf in Deutschland als klassischer Ausbildungsberuf mit einer dreijährigen Lehre an einer Hebammenschule. „Eine Sackgasse für junge Frauen“, wie Groß sagt. Ohne Bachelorabschluss sei es heute für Hebammen sehr schwer, beruflich voranzukommen. Ebenso wie bei Erziehern und Pflegern wird auch bei der Geburtshilfe darüber diskutiert, inwieweit eine Akademisierung des Berufs sinnvoll ist. Als Hebamme brauche man zwar weiterhin viele manuelle Fähigkeiten, die man nicht durch Bücher erlernen könne, sagt Groß, „eine Hebamme trägt aber auch eine hohe Verantwortung und sollte sich auch in jeder Situation zu helfen wissen“. Wer zudem einmal im Ausland arbeiten möchte, für den sei zumindest ein Bachelorabschluss heute zwingend notwendig. Denn Deutschland bildet eine Ausnahme in der EU. In anderen europäischen Ländern brauchen Hebammen bereits einen Bachelorabschluss, um überhaupt arbeiten zu können. Studieren können Hebammen bereits an mehreren deutschen Hochschulen und dort das Bachelorstudium mit einem Staatsexamen abschließen – allerdings nur außerhalb Bayerns. Wer einen Bachelor in Hebammenwesen hat und Englisch spricht, kann sich noch bis zum 15. Juli an der Hochschule in Hannover für einen Master bewerben. Es ist ein Online-Studium, Dozenten und Studenten kommunizieren über das Internet, nur zu Beginn lernen sie eine Woche lang zusammen in Hannover. Der Abschluss nennt sich European Master of Science in Midwifery und qualifiziert nicht nur für die Hebammenforschung, sondern auch für eine Leitungsfunktion oder eine Lehrtätigkeit. reits ein Team von 37 Mitarbeitern, berichtet Reuter. „Die Aufgaben werden anspruchsvoller, fachliche und analytische Kompetenz sind gefragt, die Herausforderungen wachsen.“ Die Kreißsaalleiterin Kathrin Fidler hat selbst zwar keinen Bachelorabschluss, sie arbeitet bereits seit 20 Jahren als Hebamme. „Wenn ich heute jung wäre, würde ich auch einen Hochschulabschluss als Hebamme machen“, sagt sie. Das sei vor allem in Leitungsfunk- Ein Studienabschluss oder eine Promotion kann den Aufstieg in Leitungspositionen ermöglichen Groß rechnet damit, dass die Akademisierung des Berufs dazu führen wird, dass die Geburtshelfer in Zukunft auch mehr leitende Funktionen in großen Kliniken übernehmen werden. Auch Regine Reuter, die Pflegedirektorin des Münchner Rotkreuzklinikums, hält es für sinnvoll, dass zumindest die Hebammen, die eine Leitungsposition anstreben, einen Bachelorabschluss haben. In der Frauenklinik des Rotkreuzklinikums führe die Kreißsaalleiterin be- Neugeborene in einer Kinderstation. Vor wie nach einer Geburt übernehmen Hebammen heute anspruchsvollere Aufgaben als früher. FOTO: WALTRAUD GRUBITZSCH/DPA PARTNERTAUSCH RADLBAUER.DE tionen hilfreich, es sei aber nicht für alle Hebammen notwendig. „Hebamme ist ein praktischer Beruf.“ Eine Akademisierung sei sinnvoll, sagt auch Eva Demter, stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbandes. Das alleine reiche aber noch nicht aus: „Wenn alle Hebammen im Kreißsaal einen Bachelor in der Tasche haben, hat sich das geringe Einkommen damit noch nicht automatisch verbessert.“ INRA * Angebot gültig für fahrbereite und geputzte Räder ab einem Neukauf von 499,- EUR ALT BIS ZU NEU 100€FAHRRAD* GEGEN GEBRAUCHTE S München – Hebammen betreuen Mütter und Säuglinge auch nach der Geburt zu Hause. Sie beobachten das Abheilen des Babynabels, die Wunden bei der Mutter und sie helfen bei Stillproblemen. Sie überprüfen, ob das Kind zunimmt, und helfen, es zu baden. Wenn es größere Schwierigkeiten gibt, kann eine Hebamme bis zu einem Jahr nach der Geburt Hausbesuche machen. „Wenn Mutter und Kind nach drei bis fünf Tagen aus der Klinik entlassen werden, ist vieles noch nicht gelaufen, die Nabelschnur ist nicht abgefallen, das Stillen klappt oft noch nicht und die Eltern haben viele Fragen“, sagt Maria Jacobi, Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbands. Allein die Tatsache, dass jemand komme und die Eltern bei Unsicherheiten beruhige, sei oft wichtig. Bereits während der Schwangerschaft können werdende Mütter sich nicht nur vom Frauenarzt untersuchen lassen, sondern auch regelmäßig von Hebammen. Jede Frau hat einen Anspruch auf eine kostenlose Vor- und Nachsorge. Viele der Hebammen bieten auch Akupunktur, homöopathische Behandlungen und Massagen an oder beraten bei Schwangerschaftsbeschwerden. Die meisten Hebammen haben zahlreiche Zusatzqualifikationen. Listen mit den freiberuflichen Hebammen gibt es auf den Internetseiten des Hebammen-Landesverbands (bhlv.de oder hebammenliste-muenchen.de) und auch bei der Stadt München. Einige Geburtskliniken haben auch auf ihrer Internetseite eine Liste mit kooperierenden Hebammen eingestellt, welche die Nachsorge übernehmen. Und nicht nur in der Vor- und Nachsorge sind Hebammen tätig. Ebenso wie viele Kliniken, Familienzentren und ein Geburtshaus in München bieten sie Kurse und Unterstützung rund um die Geburt an: Geburtsvorbereitung, Babypflege, Rückbildungsgymnastik und Babymassage etwa. Die Stadt München hat außerdem einen zusätzlichen Service eingerichtet. Sie bietet einen Hausbesuchsdienst der Kinderkrankenschwestern an, der allen Familien offen steht. Alle Eltern von Neugeborenen in der Stadt werden angeschrieben, manche Familien auch direkt besucht. Das Projekt gibt es seit mehr als 30 Jahren; ähnliche Programme wurden in den vergangenen Jahren auch in vielen Umlandkommunen gestartet. Dabei geht es vor allem um die Betreuung der Kinder – in München wird die Unterstützung sogar bis zum Alter von sechs Jahren angeboten. So sollen Familien erreicht werden, deren Kinder nicht zu Vorsorgeuntersuchungen beim Arzt kommen oder bei denen ein erhöhter Bedarf vorhanden ist aufgrund von Risiken wie Gewalt, Krankheiten in der Familie oder überlasteten Eltern. Bei Fragen zu den Hilfen der Kinderkrankenschwestern kann man sich ans Gesundheitsreferat (Telefon 089/23 34 79 11) wenden. INRA FÜR IHR 5x in München, Rosenheim, Augsburg, Steindorf (FFB )