Nutzeranalysen – wer sind die Nutzer und wer die virtuellen Museumsbesucher? Prof. Dr. Gernot Wersig, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, freie Universität Berlin Vortrag Workshop „Nutzer- oder wissenschaftsorientiert?“, Deutsches Museum München 11.-12.4.2005 1. Vermischen von Dimensionen Die Zeiten, in denen das Konzept Museum zwangsläufig ein Dispositiv darstellte aus dreidimensionalen Objekten, großen und immobilen Räumen und doppelt mobilen Besuchern (hin und drin), sind zwar nicht vorbei, aber das Dispositiv franst an den Rändern aus • Das Vordringen von Konzepten des Marketing und der Öffentlichkeitsarbeit verweist darauf, daß Museen nicht nur räumliche Schwere bieten, sondern auch als Erfahrungen, Bilder, Images in den Köpfen und Herzen von Menschen verankert sind. Das kann man als eine neue Sicht bezeichnen, denn es ist schon bezeichnend, daß wir in Deutschland bisher keine museumsbezogene Image-Studie haben. Auch das Markendenken ist im Museumswesen noch sehr unterentwickelt. • Die verschiedenen Formen des organisatorischen „Outreach“ und der Außenrepräsentanz indizieren – zwar noch wenig in Deutschland – , daß Museen von ihrem festen Standort aus auch an anderen Stellen präsent werden: Zweigstellen, kommunalen Außendienste, Wanderausstellungen, mobile Dienste. Hier kommt langsam etwas in Bewegung, was nicht immer so spektakulär wie Guggenheim sein muß. • Die technische Außenrepräsentanz hat sich mäßig etabliert. Die Museen haben begriffen, daß wir inzwischen eine Situation erreicht haben, in der eine Institution, die nicht im WWW ist, sich zunehmend aus der Welt entfernt, und so zählt ein minimaler Web-Auftritt fast schon zur Normalität. • Die neuen technischen Möglichkeiten bringen es mit sich, daß Museen neben ihren Hauptdiensten und traditionellen Nebenprodukten wie Katalogen neue technische Produkte anbietend, die nicht zwingend Außenrepräsentanz sind, sondern Produkte, die sie bisher nicht angeboten haben: Technisch sind das zunächst CD-ROM, DVD, nicht ausstellungsbezogene Web-Angebote etwa bildender Art, aber auf der anderen Seite sind dies auch alle möglichen Produkte vom Bleistift bis zur Bettdecke. • Sowohl Museen als auch ganz andere Einrichtungen kopieren die Museumsidee in den virtuellen Raum, indem sie Museen ohne festen Raum und 3D-Objekte im Netz anbieten – die virtuellen Museen, hinter denen manchmal echte Museen stehen (Lemo), in der Regel aber eben nicht realisierte Museen (Lederhosen) oder gar keine Objektbezüge mehr (moneymuseum.de). Damit verkompliziert sich die Frage nach den Nutzeranalysen erheblich. Bisher war unser Problem, daß wir zwar für einzelne Museen irgendwie wussten, wer ungefähr sie besucht, daß aber über die vielen einzelnen Besucherstudien hinweg der Museumsbesucher als solcher relativ schwierig zu rekonstruieren war – obwohl wir wussten, daß es ihn geben muß, denn es gibt unübersehbare Indikatoren, daß es eine stabile Menge von Menschen gibt, die nicht ins Museum gehen (wenn sie nicht müssen). Wir wissen, daß es Nicht-Museumsbesucher gibt, aber über sie wissen wir fast nichts. Wir wissen auch nicht, wie wir hier mit dem Zeithorizont umgehen sollen: Wahrscheinlich war im Laufe seines Lebens jeder schon mal im Museum, aber ist er deswegen schon ein Museumsbesucher? Mit dem Internet (ich lasse der Einfachheit halber mal die anderen Technologien beiseite) wird es komplizierter: 1 • • • Wir haben auch Internet-Nichtnutzer, wie verhalten die sich zu Museen? Wir haben Internet-Nutzer, die in Museen gehen, und solche, die nicht in Museen gehen. Wir haben Internet-Nutzer, die Museumswebsites benutzen, und solche, die es nicht tun. Bei beiden Gruppen muß es dann auch noch die Fraktionen geben, die ins Museum gehen, und solche, die das nicht tun. • Und dann gibt es Internet-Nutzer, die virtuelle Museen benutzen – wie verhalten die sich zu den anderen Fraktionen? Über all das wissen wir praktisch nichts – man müsste hierfür eine repräsentative Befragung mit 20-40 Items und 8-10.000 Teilnehmern durchführen, die vorbereitet und ausgewertet werden will, 250.000 Euro sind da schnell verbraucht. Wir hatten 1999-2000 das Glück, von der Volkswagenstiftung ein Projekt finanziert zu bekommen, in dessen Rahmen wir auch eine – kleine – repräsentative Befragung zu Museumsund WWW-Nutzung durchführen konnten, darin konnten wir auch zumindest ansatzweise Lebensstil-Indikatoren einbeziehen. Ich werde einige der Ergebnisse dieser Studie und ergänzender kleinerer Untersuchungen kurz vorstellen. umsbesuchern und Nicht-Besuchern gibt. 2.Museumsbesucher und Nicht-Besucher Die repräsentative Telefonumfrage (Forsa) in 2000 umfaßte 4.500 Befragte und lässt demographisch die folgenden Aussagen zu1: • Der Frauenanteil ist bei den Museumsbesuchern etwas höher (54:46 %), dies gilt aber nicht mehr für den häufigeren Museumsbesuch (ab 4 Besucher/Jahr). Der Frauenanteil ist allerdings bei den Nicht-Besuchern noch höher (58:42 %). • Museumsbesucher verteilen sich recht gleichmäßig über die älteren Altersgruppen, lediglich die jungen Erwachsenen (18-29 Jahre) gehen weniger ins Museum. NichtMuseumsbesucher sind recht deutlich älter. Mit zunehmendem Alter sinkt offensichtlich die Bereitschaft ins Museum zu gehen, das hat sicher auch etwas mit allgemeinen Mobilitätsproblemen zu tun. • Museumsbesucher sind partnerorientiert: Zwei Drittel sind verheiratet oder fest verbandelt. Das gilt allerdings auch für Nicht-Besucher. • Museumsbesucher sind mehr erwerbstätig (54:46 %), Nicht-Museumsbesucher sind – das hängt wieder mit der Altersstruktur zusammen – weniger erwerbstätig (46:54 %). Aber das ist doch alles sehr graduell. Bis hierher konnte man feststellen: Museumsbesucher und Nicht-Besucher sind demographisch nicht sehr voneinander unterschieden – vereinfacht kann man sagen: die eine Hälfte der Deutschen geht ins Museum (das ist viel, verglichen mit Angaben für UK, das bei 30% liegen soll), die andere nicht, aber demographisch unterschieden sich beide Hälften relativ wenig, wenn da nicht die Bildung wäre: Mehr als doppelt so viel Museumsbesucher haben Hochschulreife oder –Abschluß als Nicht-Besucher. Das sind bei den Museumsbesuchern fast 40%, bei den Nicht-Besuchern aber auch noch fast 17%. Der relativ geringe Unterschied zwischen Museumsbesuchern und Nicht-Besuchern setzt sich auch fort in den Untersuchungen zu den Lebensstilorientierungen, die in Anlehnung an die bis 2003 von Sinus verwendeten Kategorien erhoben wurden (sie wurden auch in Anlehnung an 1 Petra Schuck-Wersig: Museumsbesucher im Fokus – Basisdaten einer Repräsentativ-Umfrage zur Nutzung von Museen und Internet. Teil I: Statuserhebung. Berlin 2000 http://www.kommwiss.fuberlin.de/vw/news/forsa.pdf 2 Schulze berechnet, darauf gehe ich hier aber nicht besonders ein2). In 7 von 10 Lebensstilorientierungen ist das Verhältnis der beiden Gruppen fast ausgeglichen, deutlichere Unterschiede finden sich nur folgende: • Ausgesprochen museumsgeneigt (aber auch immer noch mit einem Drittel NichtBesuchern) sind das liberal-intellektuelle und das postmoderne Milieu. Das sind natürlich auch Niveaus mit hohem Bildungsgrad. • Eher museumszurückhaltend ist das traditionslose Arbeitermilieu (das allerdings auch schwer zu greifen ist und in den neuen Sinus-Kategorien durch die „KonsumMaterialisten“ ersetzt ist). Es ist zwar nicht direkt hier unser Thema, aber doch eine spannende Frage, was Leute zu Museums- oder Nicht-Besuchern macht – in Demographie und Lebensstilorientierung finden wir wenig starke Faktoren, wenn auch Bildung und Mobilität graduell eine Rolle spielen. Frühere Studien von uns weisen zart darauf hin, daß die Erklärung wohl eher biographischer Art sein könnte. Bei der Unterscheidung von Internet-Nutzern und Nicht-Nutzern3 ist die Situation etwas anders: Auch wenn inzwischen etwas über die Hälfte der Bevölkerung das Internet irgendwie nutzt, sind die Unterschiede noch gut auszumachen: Internet-Nichtnutzer sind immer noch deutlich mehr Frauen, sie sind deutlich älter, leben in festen Paarbindungen, sind weniger erwerbstätig und verfügen über ein sehr viel niedrigeres Bildungsniveau. Es gibt auch deutlichere Lebensstildifferenzierungen bei der Internet-Nutzung4 • Es gibt zwei deutliche Leitgruppierungen: die postmodernen bzw. neu die modernen Performer und – über einige Jahre – die liberal-intellektuellen bzw. Postmateriellen. • Es gibt eine deutliche Abstinenz bei Kleinbürgern, Traditionsverwurzelten, Konservativen. Internet-Nutzer und Museumsbesucher binden jeweils etwa die Hälfte der Bevölkerung, unterscheiden sich aber von ihren jeweiligen Pendants in der Bevölkerung unterschiedlich: Auf den Dimensionen Demographie und Lebensstilorientierung könnten Nicht-Besucher auch Besucher sein, bei den Internet-Nichtnutzern ist dies viel unwahrscheinlicher. Allerdings ist eines sicher, daß mit Ablauf von 10-20 Jahren dieser Unterschied aufgehoben sein wird – dann sind mehr oder weniger alle Nutzer. 3. Museumsbesuch und Internet-Nutzung5 Auch wenn die Zahlen aus dem Jahr 2000 stammen, ist nicht anzunehmen, daß sich so wahnsinnig viel in der Zwischenzeit geändert hat. Museumsbesuch und WWW-Nutzung durchdringen sich folgendermaßen (% der erwachsenen Gesamtbevölkerung): WWW-Nutzer WWW-Nichtnutzer Museumsbesucher 10,8 41,5 Nicht-Besucher 4,9 42,8 2 Gernot Wersig: Museumsbesucher im Fokus – Basisdaten einer Repräsentativ-Umfrage zur Nutzung von Museen und Internet. Teil II: Museumsbesuch und Internetnutzung als Lebensstilbezüge. Berlin 2000http://www.kommwiss.fu-berlin.de/vw/news/forsa.pdf 3 siehe Anm. 1 4 siehe Anm. 2 5 siehe Anm. 1 3 Das bedeutet: • In 2000 waren 20,6% der Museumsbesucher WWW-Nutzer. Bei dem Zuwachs in der Zwischenzeit kann man durchaus von einem realistischen Schätzwert von mindestens 50% der Museumsbesucher, die das WWW nutzen, ausgehen. • In 2000 waren 69% der WWW-Nutzer Museumsbesucher. Das wird sich inzwischen auf einen Erwartungswert von 50% reduziert haben, ist aber auch anderweitig ein interessanter Wert: Museumsbesucher waren die Mehrzahl derjenigen, die die Durchsetzung des WWW in Deutschland bewirkt haben.6 Das hängt damit zusammen, daß sowohl in der Internet-Nutzung als auch im Museumsbesuch zwei gleiche Lebensstilorientierungen eine besondere Rolle gespielt haben: die postmoderne und die liberal-intellektuelle (moderne Performer, Postmaterielle). Zu den technisch-sozialen Innovatoren – zu denen auch noch die Hedonisten gehören, die für das Internet die besonders intensive Speerspitze darstellten – zählen Museumsbesucher, zwar nicht als technologischinnovative Spitze, aber als doch recht breite Basis. 3. Nutzung von Museums-Websites Als wir 1999/2000 an der Problematik arbeiteten, begannen die Museen erst, das Web zu entdecken, d.h. so viele substanzielle Museums-Websites wie heute gab es noch nicht, aber genug, um eine Web-Befragung durchzuführen, die Benutzer von Museums-Websites betraf. Voraus ging eine kleine Untersuchung, die wir bei Benutzern von öffentlichen InternetZugängen (Cafes, aber auch gemeinnützige)7 durchführten, also bei starken und aktiven Internet-Nutzern, die – in 1999 – sicherlich die Innovationsspitze darstellten. Dabei kamen zwei bei allen Begrenzungen der Studie zwei interessante Zahlen zutage: 82% der Befragten gingen ins Museum, aber nur 13% besuchten Museums-Homepages. Die Vermutung, daß ins Museum gehende Internet-Nutzer auch Museums-Homepages – eventuell sogar bevorzugt – benutzen, ist zwar einerseits plausibel, andererseits aber wenig belegt. Die Umfrage unter Museums-Website-Nutzern8 umfasste – selbstselektiert – fast 600 Personen, die fast keine Jugendlichen und fast keine über 60-jährigen enthielt – erstere sind zwar zahlreich im Internet, aber wenig museumsinteressiert, letztere waren damals eben wenig im Internet (und sind insgesamt auch eher eine Museums-Defizit-Gruppe). Es handelte sich fast ausschließlich um Personen mit Hochschulabschluß oder –zugangsberechtigung, die berufstätig waren. Interessanterweise nahmen 15% der Antwortenden an der Umfrage teil, die zum ersten Mal eine Museums-Website besuchten. Praktisch alle Teilnehmer waren Museumsbesucher, daher war es auch nicht verwirrend für uns, daß die Ergebnisse der Umfrage darauf hinwiesen, daß die Besuche von MuseumsWebsites vor allem die Vorbereitung/Nachbereitung des Museumsbesuchs zum Zweck haben würden. Interesse an Museums-Websites: • • Sonderausstellungen Zugangsinformationen 77,0% 66,0 6 siehe Anm. 2 Petra Schuck-Wersig: zur Nutzung von Museumsangeboten im Internet. Berlin 1999 http://www.kommwiss.fuberlin.de/vw/news/Umfrage.pdf 8 Petra Schuck-Wersig: Museumsinteressierte Internetbenutzer. Ergebnisse der Online-Umfrage „Museen im WWW“. Berlin 1999 http://www.kommwiss.fu-berlin.de/vw/news/Ergebnisse.pdf 7 4 • • Bilder/Texte zur Ausstellung Information zur Dauerausstellung 61,1 59,2 Erwartungen an Museums-Websites • • • Appetit auf Museumsbesuch Organisation des Museumsbesuchs Erleichtert Entscheidung über Museumsbesuch 65,4% 62,4 61,1 Das klingt alles ganz plausibel – aber wenn man den Gedankengang grob durchrechnet, dann ergibt sich Verwirrendes: Etwa 50 oder mehr % der Museumsbesucher benutzen das WWW, praktisch alle mehr als einmalig ins Museum gehende WWW-Nutzer benutzen MuseumsWebsites (nach der Umfrage), Museumsbesucher benutzen Museums-Websites zur Vorbereitung von Museumsbesuchen – dann müssten die Anteile der Besucher in Museen, die über das Internet auf das Museum aufmerksam geworden sind, inzwischen relativ hoch geworden sein. Wir haben allerdings in den letzten drei Jahren an fast allen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin Besucherumfragen durchgeführt und fanden praktisch nie mehr als maximal 5% der Befragten, die das Internet als Quelle der Aufmerksamkeit angaben. So einfach dürfte der Zusammenhang also nicht sein. 4. Erwartungshypothesen Die Untersuchung 1999/2000 legte deutlich nahe, daß man zum seinerzeitigen Zeitpunkt über die Nutzung von Museums-Websites, die damals auch noch einigermaßen umstritten waren, nicht viel sagen konnte, da erkennbar ein guter Teil der Museums-Website-Nutzung auf professionelle Museumsleute zurückging, die entweder aus dem eigenen Haus waren oder sich bei anderen Museen umsahen. Andere Studien in Deutschland liegen mir nicht vor – ich weiß tatsächlich nicht, wer Museums-Websites benutzt. Aber wir können einen anderen Ansatz wählen, indem man sich fragt, wen man nach den vorliegenden Indikationen eigentlich erwarten kann. Hier würde ich die folgenden Hypothesen einbringen: 1) Nach wie vor sollte man davon ausgehen, daß ein guter Teil der Museums-WebsiteNutzung aus professionellen Gründen geschieht – aus dem eigenen Haus, von Konkurrenten, im Fremdenverkehrsbereich, von Lieferanten, von mir (und ähnlichen Nutzern). Das sollte man nicht unterschätzen und – gemeinsam mit den Suchrobotern – auf 10-20% ansetzen. 2) Das in den letzten Jahren häufiger genutzte Marketing-Argument ist das der Erschließung neuer Besuchergruppen durch das Internet. Das scheint nach unseren Erfahrungen bisher nicht sehr zu greifen, zumal man immer noch davon ausgehen kann, daß die meisten Internet-Nutzer ohnehin Museumsgänger sind. Längerfristig sollte man allerdings diesen Effekt nicht unterschätzen. Seine Nutzung wird aber eher die Beachtung dessen erfordern, was ich nachher zu den virtuellen Museen sagen werde. Derzeit kann man hier mit viel Optimismus vielleicht von 10% der Nutzungen ausgehen – Nicht-Besucher, die MuseumsWebsites aufsuchen, um vielleicht doch ins Museum zu gehen. 3) Die Hypothese, die wir vor fünf Jahren – durchaus gemeinsam mit anderen – verfolgt hatten, war die daß Museumsbesucher die Websites besuchen, um sich auf einen beabsichtigten Museumsbesuch vorzubereiten. Das könnte man vor allem bei den technikgeneigten Lebensstilorientierungen unterstellen (hedonistisch, liberal-intellektuell, postmodern), die insgesamt ca. 40% der Museumsbesucher ausmachen. Sie werden vielleicht für 20% der website-Besuche verantwortlich gemacht werden können. 5 4) Davon zu unterscheiden wären die Benutzungen, die etwa eine Reise vorbereiten und Entscheidungsunterlagen suchen, ob sie überhaupt ein bestimmtes Museum (Gebäude, Attraktion etc.) besuchen wollen – und sich dann dagegen entscheiden (ansonsten werden sie ja Fallgruppe 3). Bei der Menge der anzunehmenden Nutzungen von MuseumsWebsites und andererseits der doch noch geringen nachweisbaren Zahl der durch Museums-Website-Benutzungen stattfindenden Besuche dürfte diese Fraktion recht groß sein – nach meiner Einschätzung mindestens 20% der Nutzungen, wenn nicht mehr. Das klingt nach einer schlechten Nachricht, ist es aber nicht: für das einzelne Museum wächst durch die Website und diese Kategorie von Nutzern die Menge der Personen, die in Aussicht nehmen, das Museum zu besuchen, d.h. es wächst die Chance gewählt zu werden; für die Museen insgesamt ist zu konstatieren, daß zwar einige verlieren, andere aber auch gewinnen und die Menschen möglicherweise zufriedener mit der Reise sind, weil sie sie effektiver organisieren können (und das wirkt dann auch wieder auf die Erinnerungen derjenigen zurück, die so in eines der Museen gefunden haben). 5) Eine Hypothese, über die mit viel Einsatz diskutiert wurde, war die des virtuellen Museums in dem Sinn, daß Museums-Website-Besucher den Besuch des realen Museums durch den Besuch der Website ersetzen wollen. Dagegen sprechen vor allem zwei Gesichtspunkte: • Die websites von realen Museen sind selten dazu geeignet • Museumsbesucher wissen durchaus um den Unterschied von Realität und Digitalität. Natürlich ist das für alle diejenigen, die keine Chance des realen Besuchs haben, eine wichtige Alternative und sollte daher bei der Website-Entwicklung auch nicht unberücksichtigt bleiben. Derzeit ist dies aber doch sehr gering bei vielleicht 5% anzusetzen. 6) In den Diskussionen zu wenig berücksichtigt wird eine Nutzungsform, die ich vielleicht als die zukunftsträchtigste einstufen würde – das inhaltliche Interesse, da sich auf alle möglichen Quellen richtet und dabei auch auf Museen als sachverständiges Angebot stößt. Das gilt nicht unbedingt für Kunstmuseen, aber eben für viele andere. Dies wäre die aus meiner Sicht interessanteste Nutzungskategorie, in der der Webauftritt zu einer eigenständigen Produktkategorie wird, in der sich das Museum als Wissenshort, der es ja auch ist, präsentiert und entsprechende Dienste anbietet. Derzeit ist die Nutzungskategorie vielleicht erst mit 10% anzusehen, aber sie ist sicher eine wichtige Entwicklungsrichtung, insbesondere natürlich für technisch-wissenschaftliche Museen. 7) Nicht unterschätzen sollte man den Bedarf von Leuten, die für irgendetwas ein intensiveres Interesse haben, an Kommunikation mit Gleichgesinnten, die deutlich nach einer Mischung von Unterhaltung und Interessenverfolgung (Interestainment) strebt.. Dafür bietet das Netz zwar bereits eine Fülle von Kommunikationsformen – Newsgroups, Chats, Foren, Blogs, Mailing-Listen, Spiele - , aber es kann dennoch erwartet werden, daß diese Motivation auch bei der Suche im Netz eine Rolle spielt. Natürlich wird man Museen hier nicht unbedingt als eine erfolgversprechende Quelle ansehen, aber eine Möglichkeit – insbesondere wenn eine jüngere Klientel angezielt wird – ist hier in unbedingt gegeben und ich würde auch einen Beitrag von etwa 5% derzeit für diese Motivation durchaus einschätzen. 8) Der Rest ist vermutlich Zufall und Versehen. 5. Virtuelle Museen Mit zunehmenden technischen Möglichkeiten werden sich die Internet-Auftritte der Museen in mindestens zwei unterschiedliche Anteile differenzieren – die allgemeinen Zugangsinformationen auf der einen Seite für diejenigen, die in der Entscheidungssituation stehen, ob sie 6 das Museum möglicherweise besuchen wollen und eigenständige Dienste, die gemeinsam einen neuen Angebotszweig des Museums bilden, gewissermaßen ein eigenes museales Netzmedium mit digitalen Darstellungen, Kommunikationsformen, Shop, virtuellen Führungen, Nachschlagewerken, Spielen etc. Dies hatte ansatzweise ja bereits das DHM umgesetzt. Museen werden virtuelle Museen anbieten, die nicht eine Darstellung ihres realen Museums sind, sondern eine Eigenqualität entwickeln. Diese werden dann in Konkurrenz mit anderen virtuellen Museen stehen, die keine Realentsprechung mehr haben, und mit virtuellen Museen, die nur noch museumsähnlicher Bestandteil von umfassenderen Portalen sind (wie das Brettchen-Museum in butterbrot.de). Über die virtuellen Museen – das deutsche Google-Verzeichnis hat derzeit 35 Einträge – und ihre Besucher wissen wir derzeit relativ wenig. Ich habe daher etwa 20 von ihnen angeschrieben und angefragt, ob es Besucherstudien gibt – mit negativem Ergebnis – oder ob es wenigsten Statistiken gibt. Von einigen habe ich Statistiken erhalten, die die üblichen LogfileAuswertungen sind, denen man ja nicht sehr viel entnehmen kann. Mit aller Vorsicht lässt sich in dieser Annäherung feststellen, daß die meisten dieser WWW-Angebote unter 50 visits pro Tag haben, das Mikroskop-Museum liegt bei unter 150 visits, eine Ausnahme ist hier Lemo, das aber streng genommen eher kein virtuelles Museum ist, mit durchschnittlich etwa 550 visits am Tag. So weit man das feststellen kann, rekrutiert sich bei den deutschen virtuellen Museen die Benutzerschaft auch überwiegend aus Deutschland, die weltweiten Anteile schwanken etwa zwischen 10 und 40%, das hängt aber natürlich auch mit den deutschsprachigen Angeboten zusammen. Die Verweildauer, die ich in einem Fall erhalten habe, ist mit 5,41 Min. und durchschnittlich 8 Page Impression pro Besuch gar nicht so gering. Eine spezifische Besucherschaft für virtuelle Museen scheint es – mit aller Vorsicht – nicht z geben. Indikatoren sind ja Browser- und Betriebssystemerfassungen, denen man entnehmen kann, daß etwa das Röhrenmuseum im wesentlichen von älteren, etablierten Männern besucht wird, hingegen das Salz- und Pefferstreuermuseum einen beachtlichen Anteil an jüngeren Besuchern haben muß (MozillaBenutzer). Da ein Teil der virtuellen Museen Gästebücher vorhält, habe ich bei diesen einige kurze Auswertungen gemacht, so daß man weitere Vermutungen anstellen kann: Die virtuellen Angebote sind bisher überwiegend „Männerthemen“ (Röhren, Kamera, Lederhosen, Feuerwehrhelme), so daß es nicht verwundert, daß in den Gästebüchern ein deutliches Männerübergewicht vorherrscht, aber immerhin im Kameramuseum ist bereits mit einem Frauenanteil von einem Drittel zu rechnen, dies gilt auch für die echten Besucher von Lemo. Ein sehr großer Teil der besuche dürfte über Linklisten bzw. Suchdienste zustande gekommen sein, aber je spezieller ein Angebot wird, desto mehr dürfte auch der Anteil derjenigen steigen, die das virtuelle Museum als ein für sie wichtiges Kommunikationsangebot nutzen (etwa beim Feuerwehrhelmmuseum). Mit aller Vorsicht kann man etwa die folgenden Besuchergruppen ausmachen: • • • • Das Museum und sein Umkreis selbst (auch um Fragen zu beantworten). Das ist nicht weiter verwunderlich, ich habe einmal an meiner Homepage festgestellt, daß ich der intensivste Nutzer war (zum Nachschlagen etwa). Einrichtungen, die im Umkreis tätig sind und wohl feststellen wollen, was es sonst noch so gibt und – sofern sie die Gelegenheit haben – Angebote machen oder für sich werben. Die Gästebücher werden auf diese Art und Weise ein Instrument zur Vernetzung. Sammler mit ähnlichem Sammlungsschwerpunkt, die Ergänzungen machen, Kritik üben, Fragen stellen. Fans und Freaks des betreffenden Gegenstandsbereichs. 7 Die beiden letztgenannten Kategorien dürften bei den virtuellen Museen im engeren Sinne den Hauptteil der Besucher ausmachen, Obwohl ich einige Hundert Einträge in Gästebücher von virtuellen Museen gelesen habe, kann ich mich an keinen einzigen Verweis auf reale Museen erinnern. Die Hauptbenutzer virtueller Museumsangebote sind offensichtlich Personen, die sich intensiv für den Gegenstandsbereich des Angebots interessieren (etwa Lederhosenfans weltweit) und nicht für Museen. Für diese bietet das virtuelle Museum eine neue Möglichkeit, mit Gleichgesinnten Kontakte aufzunehmen. Das Zusammenführen von Gleichgesinnten – über Suchdienste und Netzwerke – scheint auch recht gut zu klappen, da alle Gästelisten, die ich betrachten konnte, in sich sehr homogen waren – von den Röhrenfreaks, die mit großem Ernst bei der Sache waren bis hin zu den Spinnern, die sich bei butterbrot.de treffen und beharken (bei denen ich allerdings keinen einzigen Hinweis auf das Bettchen-Museum gefunden habe, das führt dort offensichtlich ein Schattendasein). Mit aller Vorsicht kann man schon feststellen, daß virtuelle Museen, die sich auf einen speziellen Gegenstandsbereich konzentrieren, ein eigenes Kommunikationsmittel im Netz werden. Dies könnte auch für reale Museen eine neue Dimension werden. Das unterstreicht die von mir angesprochene Tendenz: Die Website ist ein eigenes kommunikatives Produkt, das eine eigene Besucherschaft anzieht, die mit dem realen Museum nicht viel zu tun haben muß. Umgekehrt muß das nicht gelten, aber das wäre in anderes Thema. Wer könnte das sein? Vielleicht weist uns die neueste ARD/ZEDF-Online-Studie in die Richtung, die zwei unterschiedliche Typologien ausweist: Typologie der Mediennutzung9: Online 2004 Online 2003 Bevölkerung ab 14 2004 Unauffällige 21 23 18 Junge Wilde 18 20 11 Aufgeschlossene 13 8 13 Erlebnisorientierte 13 11 10 Leistungsorientierte 13 14 8 Klassisch Kulturorientierte 8 9 13 Neue Kulturorientierte 8 10 6 Häusliche 3 2 11 Zurückgezogene 2 3 11 Typologie der Onliner10 Randnutzer 33,2 Selektivnutzer 20,3 Routinisierte Infonutzer 17,3 E-Consumer 13,4 9 Birgit van Eimeren, Heinz Gerhard, Beate Frees: Internetverbreitung in Deutschland: Potenzial vorerst ausgeschöpft? Meda Perspektiven Nr.8, 2004, S. 350-370 10 Ekkehardt Oehmichen, Christian Schröter: Die OnlineNutzerTypologie (ONT). Media Perspektiven Nr.8, 2004, S. 386-393 8 Junge Flaneure 9,8 Junge Hyperaktive 7,0 Routinisierte Infonutzer: sind zu 69% männlich, umfassen alle Altersgruppen ab 20, 46% haben einen Hochschulbezug, 78% sind berufstätig Junge Flaneure sind zu 63% weiblich, sind im wesentlichen 14-40 Jahre, 33% haben einen Hochschulbezug, 47% sind berufstätig. 9