Aus der Universitäts-Augenklinik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Neuroprotektion retinaler Ganglienzellen: Gabapentin-Laktam und die Neuropeptide NAP und Activity-dependent neurotrophic factor-9 in Kulturen isolierter Ganglienzellen und Netzhautexplantate der Ratte INAUGURAL-DISSERTATION zur Erlangung des Medizinischen Doktorgrades der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. Vorgelegt 2005 von Amelie Pielen geboren in Bonn 2 Dekan Prof. Dr. J. Zentner 1. Gutachter Prof. Dr. W. A. Lagrèze 2. Gutachter Prof. Dr. H-D. Hofmann Jahr der Promotion 2005 3 INHALT I. Einleitung 5 1.1 Die Netzhaut der Ratte 7 1.2 Mechanismen der Neurodegeneration – Apoptose 8 1.3 Neuroprotektion und Neuroregeneration 10 1.4 Gabapentin-Laktam 11 1.5 Glibenclamid und 5-Hydroxydecanoat, Antagonisten am KATP Kanal 13 1.6 Ischämische Präkonditionierung – Agonisten am KATP Kanal 14 1.7 Neuropeptide NAP und Activity-dependent neurotrophic factor-9 15 1.8 Neurotrophe Faktoren CNTF und BDNF 17 1.9 Fragestellung 18 II. Material und Methoden 20 2.1 Versuchstiere 20 2.2 Kultur isolierter retinaler Ganglienzellen der neugeborenen Ratte 20 2.3 Kultur von Netzhautexplantaten der Ratte 23 2.4 Statistik 25 III. Ergebnisse 26 3.1 Neuroprotektiver Effekt von Gabapentin-Laktam 26 3.2 Neuroprotektiver Effekt der Peptide NAP und ADNF-9 30 3.3 Neuroregeneration - Neuritenwachstum Explantaten IV. Diskussion 4.1 nach Axotomie in retinalen 34 37 Gabapentin-Laktam 37 4.1.1 Neuroprotektion 37 4.1.2 Wirkmechanismus 38 4.1.3 KATP-Kanal-Agonisten in vitro 39 4.1.4 Vergleich GBP-L und Gabapentin 39 4.1.5 Ausblick 40 4 4.2 Neuropeptide NAP und Activity-dependent neurotrophic factor-9 40 4.2.1 Neuroprotektion 40 4.2.2 Neuropeptide in vitro 41 4.2.3 Neuropeptide in vivo 43 4.2.4 Wirkmechanismus 44 Aufnahme 44 Aktivierung von Transkriptionsfaktoren 45 Mechanismen beim Schutz vor Neurotoxinen 46 Präkonditionierung 48 4.2.5 Neuroregeneration 48 4.2.6 Mitogene Aktivität – Wachstum und Genexpression 50 4.2.7 Applikation und Verteilung im Organismus 52 4.2.8 Ausblick 53 V. Zusammenfassung 55 VI. Literatur 56 VII. Dank 67 5 I. EINLEITUNG Das Gemeinsame zahlreicher Erkrankungen des Sehnerven ist der Untergang der retinalen Ganglienzellen (RGZ). Die Zellkörper dieser Nervenzellen liegen in der Retina und ihre Axone bilden den Teil der Sehbahn, der von der Netzhaut zum Corpus geniculatum laterale verläuft. Sie verbinden Auge und Gehirn. Bei den meisten Optikusneuropathien kommt es initial zu einem Schaden der Axone durch Ischämie, Entzündung, Durchtrennung oder Deformation. Schäden am optischen Nerven führen zum Zelltod der RGZ durch Apoptose. Beispiele für degenerative Erkrankungen des Sehnerven sind traumatische, entzündliche und hereditäre Optikusneuropathien, anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION) und das Glaukom (Quigley HA 1995; Kerrigan LA 1997; Katai N 1999). In Europa ist das Glaukom die dritthäufigste Ursache für Blindheit, in den USA steht es an zweiter Stelle (Sommer A 1991; Trautner C 2003). In Deutschland ist das Glaukom die vierthäufigste Ursache für Erblindung nach Makuladegeneration, Katarakt und Optikusatrophie (Trautner C 2003). Die Glaukomtherapie beruht auf der Absenkung des intraokularen Drucks, da er der Hauptrisikofaktor für das Glaukom ist. In einer groß angelegten Studie, dem Early Manifest Glaucoma Trial (EMGT), wurde gezeigt, dass bei primärem Offenwinkelglaukom die drucksenkende Therapie mit dem ß-Blocker Betaxolol in Kombination mit einer Argon Laser Trabekuloplastik das Risiko für eine Progression der Glaukomschäden halbiert im Vergleich zu der Patientengruppe, die keine Therapie erhielt. Voraussagewerte für eine Glaukomprogression waren die Höhe des intraokularen Drucks (je höher der Druck, desto höher das Risiko), das Vorliegen einer Pseudoexfoliation, eine bilaterale Manifestation und ein höheres Alter. Die Höhe der Drucksenkung zu Beginn der Therapie bestimmte wesentlich das Endergebnis. Letztlich kommt es beim Glaukom zur Degeneration der Nervenfasern, so dass das Glaukom als Optikusneuropathie betrachtet werden kann (Vorwerk CK 2002). Bislang gibt es keine Therapie, die direkten Einfluss auf das Überleben der Ganglienzellen nimmt und so den Erhalt des Sehvermögens fördern würde. Es liegen zahlreiche Untersuchungen vor, in denen eine Reihe von Substanzen in vitro und in vivo getestet wurde, mit dem Ziel, den Untergang der RGZ zu verhindern. Das Spektrum umfasst Antagonisten von exzitatorischen Aminosäuren (Vorwerk CK 1996; Lagrèze WA 2001), Agonisten am ATP-sensitiven Kalium Kanal (KATP-Kanal) (Lagrèze WA 2001), α2-Adrenorezeptorantagonisten (Lafuente MP 2002), Kaspase-Inhibitoren (Chen TA 2001), freie Sauerstoffradikalfänger (Klocker N 1998) und neurotrophe Faktoren wie BDNF (Watanabe M 2002). 6 Vielversprechend verliefen Untersuchungen zur Neuroprotektion mit Gabapentin-Laktam (GBP-L) und den Neuropeptiden NAP und Activity-Dependent-Neurotrophic-Factor-9 (ADNF-9). GBP-L ist ein Derivat des Antikonvulsivum Gabapentin. Es förderte das Überleben von RGZ nach akuter Netzhautischämie (Lagrèze WA 2001) und verbesserte die Leistung von Mäusen in einem Modell für chronische Neurodgeneration, dem M. Huntington (Feuerstein TJ 2003). Die Neuropeptide NAP und Activity-Dependent-Neurotrophic-Factor-9 (ADNF-9) leiten sich von Activity-dependent Neurotrophic Factor (ADNF), respektive Activity-dependent Neuroprotective Protein (ADNP) ab. NAP und ADNF-9 schützten in vitro zentralnervöse Zellen gegen oxidativen Stress und förderten in vivo die motorischen Fähigkeiten sowie die Gedächtnisleistung im Tierexperiment in femtomolaren Konzentrationen (Glazner GW 1999a; Brenneman DE 2000; Gozes I 2002). Sowohl GBP-L als auch die Neuropeptide gelten als Kandidaten auf der Suche nach Therapien chronischer neurodegenerativer Erkrankungen. In der vorliegenden Arbeit untersuchte ich in Kulturen isolierter retinaler Ganglienzellen bei neugeborenen Ratten den Effekt von GBP-L, NAP und ADNF-9 auf das Überleben der Neurone nach Durchtrennung der Nervenfortsätze (Axotomie) und Entzug der trophischen Faktoren. Anschließend untersuchte ich in Kulturen von Explantaten der Netzhaut bei älteren Ratten den Einfluss von NAP und ADNF-9 auf die Regeneration und das Wachstum von Neuronen nach Axotomie. 7 1.1 Die Netzhaut der Ratte Die Untersuchungen des Effektes auf das Überleben und die Regeneration von RGZ wurden an Netzhautgewebe von Sprague-Dawley Ratten durchgeführt. Die Netzhaut der Ratte ist in ihrer Struktur, der neuronalen Verschaltung und den biochemischen Prozessen weitgehend vergleichbar mit der menschlichen Netzhaut (Sefton AJ 1995). Sie ist als Modell zur Erforschung der Retina etabliert, da sie klar strukturiert, morphologisch wie funktionell gut charakterisiert und experimentell gut zugänglich ist. Abb. 1.1.1: Links: Nisslfärbung einer Primatenretina. Rechts: Immunhistochemische Färbung auf Glutamat. Immunoreaktiv sind die Photorezeptoren, die Bipolarzellen und besonders die Ganglienzellen mit ihren Axonen. Abkürzungen: OS Outer segments (der Photorezeptoren), IS Inner Segments, ONL Äußere Körnerzellschicht, OPL Äußere plexiforme Schicht, INL Innere Körnerzellschicht, ACL Schicht der amakrinen Zellen, IPL Innere plexiforme Schicht, GCL Ganglienzellschicht, NFL Nervenfaserschicht (Robin LN 1992) 8 Die Struktur der Retina gliedert sich von außen nach innen wie folgt in die äußeren und inneren Segmente der Photorezeptoren, die äußere Körnerzellschicht (ONL), die äußere plexiforme Schicht (OPL), die innere Körnerzellschicht (INL) mit Bipolar-, Amakrin- und Horizontalzellen, die innere plexiforme Schicht (IPL) und die Ganglienzellschicht (GCL). Während es in der menschlichen Netzhaut etwa 1.100.000 Ganglienzellen gibt, enthält die Retina der Ratte ca. 100.000 Ganglienzellen (Perry 1979; Curcio CA 1990). Diese werden in drei Gruppen I, II und III oder in large, medium und small cells eingeteilt nach den Kriterien Somadurchmesser, Anzahl und Dicke der Dendriten und deren Verzweigungsradius. 1.2 Mechanismen der Neurodegeneration - Apoptose Die Apoptose ist der progammierte Zelltod ohne eine entzündliche Begleitreaktion. Dieser Prozess ermöglicht den Ausschluss einzelner Zellen oder eines Zellverbandes, wenn ihre biologische Funktion beendet ist, es zu einem Zellschaden oder zu einer Mutation gekommen ist. T-Ligand T-Rezeptor Ca ++ Casp 8 Casp 3 Bcl -X CI-V: ∆ pH , ∆Ψ Μ K+ Casp 9 CytC ROS mito K ATP Bcl -2 GSH Enzyme des Zytoskeletts DNA- Reparaturenzyme DNA-PK Sterol -Biosynthese e- H+ Glu Glu Cys Abb. 1.2.1: Apoptose, rezeptorvermittelt und mitochondrial. Abkürzungen: T-Ligand/ T- Rezeptor: TodesLigand/ Todes-Rezeptor, Casp: Caspase, Cyt C: Cytochrom C, mito KATP: mitochondrialer ATP abhängiger Kalium Kanal, ROS: reaktive Sauerstoffspezies, GSH: Glutathion, BcL-X/ BcL-2: Transkriptionsfaktoren, H: Wasserstoffion, K: Kaliumion, Ca: Kalziumion, Glu: Glucose, Cys: Cystein, ∆ψ: elektrischer Gradient, ∆pH: pH Gradient. Abb. mit freundlicher Genehmigung von Prof. Feuerstein, Sektion Neuropharmakologie, Universität Freiburg Im Rahmen der Ontogenese ist die Apoptose physiologisch, sie kann aber auch gemeinsame Endstrecke verschiedener pathophysiologischer Prozesse im Rahmen neuodegenerativer 9 Erkrankungen sein. Schäden am optischen Nerven durch Ischämie, Entzündung, Durchtrennung oder Deformation münden im apoptotischen Untergang der RGZ. Man unterscheidet zwei unabhängige Wege, die zur Apoptose führen (Petit PX 1997; Ashkenazi A 1999; Szewczyk A 2002), siehe Abbildung). Der eine Weg wird durch einen sogenannten Todesrezeptor an der Zelloberfläche vermittelt (Ashkenazi A 1999). Eine Kaskade von Kaspasen (Casp) wird intrazellulär angestoßen, die zur Aktivierung von Proteasen führt und letztendlich zum Selbstverdau der Zelle. Der zweite Weg führt über die Mitochondrien (Petit PX 1997; Szewczyk A 2002). Verschiedene Faktoren, darunter reaktive Sauerstoffspezies, erhöhte mitochondriale Kalziumspiegel oder fragmentierte DNS, z.B. durch UV- oder γ-Strahlung, gelten als Trigger für die Bildung und Öffnung der permeability transition pore (PTP) in der mitochondrialen Membran. PTP und das proapoptotische Protein Bax bilden einen Komplex in der mitochondrialen Membran, durch den Cytochrom C und apoptosis-inducing factor (AIF) ins Zytosol gelangen. Das antiapoptotische Protein Bcl-2 kann die Assoziation verhindern. Casp9 und konsekutiv weitere Enzyme der Kaspasefamilie werden aktiviert und führen zum Untergang der Zelle. Durch Bildung des PTP-Komplexes kollabieren der mitochondriale Ladungsgradient ∆ψ und der pH-Gradient ∆pH. Die Energieproduktion entlang der Membrankomplexe der Atmungskette kommt zum Erliegen und reaktive Sauerstoffspezies (ROS) können nicht mehr entgiftet werden. Als potente Trigger verstärken ROS den Apoptoseprozess. ROS können von den Enzymen Superoxid-Dismutase, den Katalasen und der GlutathionDismutase entgiftet werden. Die Produktion von ROS kann auch durch eine partielle Entkoppelung der Atmungskette verringert werden. Eine Änderung des Membranpotentials senkt das Transmembranpotential ∆ψ und den Redoxstatus des Complex I der Atmungskette (Skulachev 1996). Eine solche Potenzialänderung verursacht das Öffnen der KATP-Kanäle an der inneren Mitochondrienmembran. Die Permeabilität für Kaliumionen wird erhöht, das Transmembranpotential ∆ψ sinkt. Substanzen, die den KATP-Kanal öffnen oder schließen beeinflussen das Transmembranpotatial und die Prozesse der Atmungskette und greifen damit in den Apoptoseprozess ein. KATP-Kanal-Öffner könnten nach diesem Erklärungsmodell der Apoptose entgegen wirken, indem sie zu einer Potentialänderung und Verringerung der ROS Produktion führen, während KATP-Kanal-Blocker den Einfluss auf das Potential und den stabilisierenden Effekt verringern würden. 10 1.3 Neuroprotektion und Neuroregeneration Unter Neuroprotektion versteht man Maßnahmen, welche die Ursachen oder den Verlauf degenerativer Nervenerkrankungen beeinflussen, so dass sie den Untergang von Neuronen verhindern. Neuroregeneration bezeichnet Maßnahmen, die über das reine Überleben der Neurone hinaus das Wachstum nach Schädigung oder Durchtrennung von Axonen fördern, so dass sie zur Wiederherstellung des neuronalen Systems beitragen. In der Augenheilkunde könnte die Neuroprotektion eine besondere Rolle spielen, da es bei zahlreichen Krankheitsprozessen, wie beispielsweise dem Glaukom, Optikusneuropathien oder Perfusionsstörungen der Netzhaut, zum Untergang der retinalen Ganglienzellen durch Apoptose kommt (Quigley HA 1995; Kerrigan LA 1997; Katai N 1999). Vielversprechend sind Substanzen, die in die oben geschilderten Abläufe bei der Apoptose eingreifen und auf der gemeinsamen Endstrecke degenerativer Erkrankungen den neuronalen Zelltod eindämmen könnten. Bis heute sind die Versuche, wirksame Therapien zur Protektion der Ganglienzellen zu entwickeln, leider enttäuschend verlaufen auf Grund zahlreicher Probleme. (1) Die Testung bei Akuterkrankungen ist wenig sinnvoll. Bei akuten Gefäßverschlüssen der Netzhaut beispielsweise könnten Patienten kaum rechtzeitig in der Klinik sein, um eine neuroprotektive Therapie zu erhalten. Gerade bei diesen Erkrankungen ist das Zeitfenster für eine effektive Therapie sehr klein. Folglich gilt es, den geeigneten Zeitraum für eine effektive Therapie in Studien zu bestimmen. (2) Bei der Planung von kontrollierten, randomisierten klinischen Studien zur Neuroprotektion tritt das Problem inhomogener Patientenkollektive auf. (3) Des Weiteren sind die klinischen Parameter zur Beurteilung der Studien schlecht definiert. (4) In der Regel sind die Fallzahlen gering, wenn ein definiertes Krankheitsbild untersucht werden soll. Seit kurzem liegen erste Daten zur klinischen Neuroprotektion mit Brimonidine (Alphagan), einem α2-adrenozeptor-Agonisten vor (Gandolfi SA 2003; Gandolfi SA 2004). In einer Kurzzeitstudie senkten Brimonidine Augentropfen (0,2 %) den intraokularen Druck bei Patienten mit Glaukom und Druckwerten kleiner oder gleich 18 mmHg (Gandolfi SA 2003). In einer weiteren Studie untersuchten Gandolfi et al. den Effekt von Brimonidine auf die Progression von Gesichtsfelddefekten unabhängig von der drucksenkenden Wirkung (Gandolfi SA 2004). Patienten mit Offenwinkelglaukom erhielten entweder Brimonidine Augentropfen (0,2 %) oder eine Argon Laser Trabekuloplastik über 360°. Dabei verringerte 11 Brimonidine das Fortschreiten der Gesichtsfelddefekte effektiver als eine LaserTrabekuloplastik, obwohl der intraokulare Druck unter Brimonidine schlecht kontrolliert war. Ein weiterer Wirkstoff in klinischer Erprobung ist Memantin, ein N-methyl-D-Aspartat (NMDA) Antagonist, der in der Therapie der Alzheimerschen Erkrankung und bei vaskulär bedingter Demenz eingesetzt wird. In vivo verringerte Memantin nach intraperitonealer Applikation bei Ratten den Untergang von RGZ durch druckbedingte Netzhautischämie (Lagrèze WA 1998). In vivo wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von oraler MemantinGabe bei Primaten in einem Modell für chronische okuläre Hypertension untersucht (Hare WA 2004). Die histologische Beurteilung zeigte eine Zunahme des Überlebens von RGZ unter Memantine. Die Beurteilung der Papille anhand von konfokalen Laser Scans zeigte eine geringere Progression von Papillenexkavation und Schwund des neuroretinalen Randsaums. Damit schützte Memantin vor degenerativen Veränderungen, die mit erhöhtem intraokularen Druck einhergehen, ohne eine drucksenkende Wirkung auszuüben. Zur Zeit läuft eine multizentrische klinische Studie zur Beurteilung der Wirksamkeit und Sicherheit von Memantine bei Patienten mit Offenwinkelglaukom und einem Progressionsrisiko (PA Sidoti, New York Eye & Ear Infirmary). Dabei wird den Patienten täglich 20 mg oder 10 mg Memantin oder ein Placebo oral verabreicht. In Zukunft könnte die drucksenkende Glaukomtherapie sinnvoll durch eine neuroprotektive Therapie ergänzt werden. 1.4 Gabapentin-Laktam Gabapentin-Laktam (GBP-L; 8-aza-spiro[5,4]decan-9-on) ist ein Derivat des Antikonvulsivum Gabapentin (Neurontin, Park-Davis, USA). Das Laktam wurde im Labor von T.J. Feuerstein, Sektion klinische Neuropharmakologie der Universitätsklinik Freiburg synthetisiert und wird von IBAM, Freiburg, hergestellt. Es unterscheidet sich von Gabapentin durch einen Ringschluss zum Laktam, es gehört zur Familie der 2-Pyrrolidinone und hat ein Molekulargewicht von 154 g/mol. COOH NH 2 C =O NH Abb. 1.4.1: links: Strukturformeln von Gabapentin, rechts: Gabapentin-Laktam 12 Nach der Entdeckung von GBP-L konnten in einer Reihe von Untersuchungen Eigenschaften gezeigt werden, die auf eine neuroprotektive Wirkung schließen lassen. In vitro verringerten GBP-L und Gabapentin den Hypoxie bedingten Anstieg von Glutamat in Superfusionsversuchen an Schnitten des Hippocampus (Jehle T 2000). Durch die Gabe von Glibenclamid, ein Sulfonylharnstoff und Antagonist am ATP-abhängigen Kaliumkanal (KATPKanal), wurde der Effekt antagonisiert. Minoxidilsulfat, ein KATP-Kanal Agonist, imitierte die Wirkung des Laktams. Dies war ein erster Hinweis auf den möglichen Wirkmechanismus von GBP-L als Agonist am KATP-Kanal (Jehle T 2000). In vivo zeigte GBP-L im Gegensatz zu seiner Ursprungssubstanz Gabapentin einen neuroprotektiven Effekt im Tiermodell der akuten Netzhautischämie (Lagrèze WA 2001). Der Ganglienzellverlust nach druckbedingter Ischämie und anschließender Reperfusion war unter GBP-L deutlich verringert. Interessanter Weise traten bei den Ratten nach intraperitonealer Gabe von GBP-L keinerlei Nebenwirkungen wie Sedierung oder Ataxie im Verlauf der Untersuchung auf, während in der Epilepsietherapie mit Gabapentin über eine initiale Sedierung der Patienten berichtet wird. In nachfolgenden Untersuchungen zeigte sich, dass der protektive Effekt von GBP-L im akuten Ischämiemodell sowohl vor dem Ischämieintervall als auch noch innerhalb eines Zeitraums von vier Stunden nach der Reperfusion erzielt wurde. Diese Ergebnisse sind vielversprechend in Hinblick auf die Entwicklung neuer Therapeutika, da es sich um ein vergleichsweise großes Zeitfenster handelt (Lagrèze WA 2001). Neben Modellen zur akuten Neurodegeneration wurde GBP-L auch in einem Modell chronischer Neurodegeneration eingesetzt. In dem R6/2-Mausmodell verursacht der Gendefekt, eine Repetition von CAG, bei den Mäusen die Symptome einer Huntingtonschen Erkrankung (Margiarini L 1996). Transgene Mäuse, die mit GBP-L behandelt wurden, hatten verbesserte motorische Fähigkeiten im Vergleich zu Kontrolltieren und den mit GBP behandelten Tieren. Untersuchungen der Hirnschnitte zeigten nach GBP-L-Gabe eine deutliche Verringerung der für Morbus Huntington charakteristischen intranukleären Einschlüsse von Huntingtin und Ubiquitin in Größe und Anzahl (Feuerstein TJ 2003). GBP-L wurde bisher noch nicht in Kulturen isolierter Ganglienzellen untersucht. 13 1.5 Glibenclamid und 5-Hydroxydecanoat - Antagonisten am KATP -Kanal Durch den Einsatz von Glibenclamid und 5-Hydroxydecanoat (5-HD; beide Sigma, Deisenhofen) sollte in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, ob der Effekt von GBP-L auf die RGZ durch Blockade der KATP-Kanäle antagonisiert werden kann. In vorausgegangenen Untersuchungen zu GBP-L blockierten KATP-Kanal-Antagonisten vom Typ des Glibenclamid dessen Effekt (Jehle T 2000). Cl = - C-NH (CH )- OH - S-NHCNH- 22 C H (C H ) -C H (C H ) C O OH = 2 O = O = O O OCH 3 24 23 3 Abb. 1.5.1: links: Glibenclamid, rechts: 5-Hydroxydecanoat Glibenclamid und 5-HD sind Antagonisten an den Adenosin-Triphosphat (ATP) sensitiven Kaliumkanälen (KATP-Kanäle). Diese gehören zur Familie der sogenannten inwardly rectifying Kalium Kanäle. Sie bestehen aus einer porenbildenden Untereinheit (Kir6.x) und weisen eine Bindungsstelle für Sulfonylharnstoffe (SUR) auf, die regulatorische Funktion besitzt und zur Familie der ATP-bindenden Rezeptoreinheiten gehört (Inagaki N 1995a; Inagaki N 1995b; Ettaiche M 2001). Die ATP sensitiven Kanäle koppeln Zellmetabolismus und Membranpotential (Ashcroft 1988; Ettaiche M 2001). Sie sind sowohl in der Zellmembran als auch in der inneren Mitochondrienmembran vorhanden (Kubo Y 1993; Inagaki N 1995a). Man findet sie im zentralen Nervensystem gehäuft im Hippocampus (Dunn-Meynell AA 1998). In der Rattenretina werden die Kanäle im retinalen Pigmentepithel, in der Schicht der inneren Segmente der Photorezeptoren und in der Ganglienzellschicht exprimiert (Ettaiche M 2001). Die Kanäle sind dadurch charakterisiert, dass sie von Sulfonylharnstoffen wie Glibenclamid und Glipizid inhibiert werden, welche aus der Therapie des Diabetes mellitus bekannt sind. Durch Blockade der KATP-Kanäle in den ßZellen des Pankreas wird die Ausschüttung von Insulin gefördert und eine blutzuckersenkende Wirkung erzielt. In Studien zur ischämischen Präkonditionierung am Herzen konnte gezeigt werden, dass Glibenclamid sowohl an KATP-Kanälen der Zellmembran, als auch an mitochondrialen KATP-Kanälen wirkt. 5-Hydroxydecanoat dagegen blockiert selektiv die mitochondrialen KATP Kanäle (Tanno M 2001). 14 1.6 Ischämische Präkonditionierung – Agonisten am KATP -Kanal Unter ischämischer Präkonditionierung versteht man ein Phänomen, das in verschiedenen Organsystemen als Schutzmechanismus vor hypoxischen Schäden vorhanden ist. Es konnte im Herzen, im Gehirn, dem Rückenmark, der Leber, der Lunge, der Skelettmuskulatur und in der Retina nachgewiesen werden (Liu Y 1992; Caprioli J 1996; Roth S 1998; Ettaiche M 2001). Der Mechanismus beruht auf einer Stärkung der Ischämietoleranz von neuronalem Gewebe durch kurze Ischämiephasen. In der Retina konnte durch ischämische Intervalle im Sinne einer Präkonditionierung die Ischämietoleranz gegenüber erhöhtem intraokularen Druck vergrößert werden (Ettaiche M 2001). In den Untersuchungen wurde gezeigt, dass der Mechanismus eine frühe Aktivierung von KATP-Kanälen beinhaltet. KATP-Kanalöffner imitierten den Effekt der Präkonditionierung und schützten vor der Degeneration von RGZ, während KATP-Kanalblocker den protektiven Effekt durch die ischämische Präkonditionierung verhinderten (Ettaiche M 2001). Die ursprüngliche Hypothese zur Erklärung des Phänomens der Präkonditionierung ging von einer Beteiligung derjenigen KATP-Kanäle aus, die in der Zellmembran liegen. Dagegen werten neuere Studien die Rolle der mitochondrialen KATP-Kanäle als ursächlich (Garlid 2000; Szewczyk A 2002). In Studien zur kardioprotektiven Wirkung der KATP-Kanalöffner konnte gezeigt werden, dass sie allein auf der Wirkung an mitochondrialen KATP-Kanälen beruht (Garlid 2000; Szewczyk A 2002). Als KATP-Kanalöffner wirken Cromacalim, Pinacidil und Diazoxid (O'Rourke 2000). In der Literatur ist ihre neuroprotektive Wirkung belegt. Es konnte gezeigt werden, dass die Aktivierung der KATP-Kanäle eine zentrale Rolle in der zerebralen Protektion spielt. KATPKanalöffner schützten Neuronen vor Schäden durch Exzitotoxizität und Ischämie (Abele AE 1990). Sie verhinderten die Ischämie-induzierte Expression von c-fos, c-jun, heat shock protein und ß-Amyloid-Vorläufergen im Hippocampus der Ratte (Heurteaux C 1993; Ettaiche M 2001). Agonisten am KATP-Kanal verringerten den neuronalen Zelltod bei Vorderhirnischämie und imitierten das Phänomen der ischämischen Präkonditionierung im ZNS, während der protektive Effekt durch KATP-Kanal-Antagonisten gehemmt wurde (Heurteaux C 1993; Heurteaux C 1995). Es wurden verschiedene Hypothesen aufgestellt, über welche Machanisman die Aktivierung der mitochondrialen KATP-Kanäle zu einem Schutz der Zellen vor ischämischen Schaden führen kann. Zunächst konnte gezeigt werden, dass KATP-Kanalöffner das mitochondriale Membranpotential verändern, die Atmungskette und die ATP-Bildung beeinflussen und die 15 Kalziumbeladung der Mitochondrien verändern (Holmuhamedov EL 1998; Sato T 2000). Damit greifen sie in den Zellstoffwechsel und die Prozesse bei der Apoptose ein (siehe oben). Werden die mitochondrialen KATP-Kanäle geöffnet, beobachtet man eine Mitochondrienschwellung. Es wurde behauptet, dass dieses Phänomen die mitochondriale ATP-Produktion oder den Verbrauch verbessern könnte (Garlid 2000). In Studien zur Ischämie am Rattenherzen hielt Diazoxid, ein KATP-Kanalöffner, die Funktion der Mitochondrien aufrecht: Unter Sauerstoffmangel beobachteten Garlid et al., dass sich der mitochondriale Sauerstoffverbrauch auf 40 % reduzierte. Unter Diazoxid blieb der normale Sauerstoffverbrauch trotz der Hypoxie erhalten. Darüber hinaus konnte ein Anstieg der ATP Konzentration unter Diazoxid gemessen werden. Crestanello et al. stellten die Hypothese auf, der protektive Effekt könnte auf eine verringerte Kalziumbeladung der Mitochondrien zurück zu führen sein (Crestanello JA 2000). Erhöhte Kalziumkonzentrationen wirken als Trigger für die Apoptoseprozesse (siehe oben). Neben einer Beeinflussung der akuten Vorgänge, die durch eine Ischämie in Gang gesetzt werden, könnten KATP-Kanäle auch eine Rolle auf einer anderen Ebene der ischämischen Präkonditionierung spielen, indem sie zu einer erhöhten Expressionsrate protektiver Proteine führten, die den Apoptoseprozess kontrollieren. Jakob et al. beobachteten eine gesteigerte Expression von Bcl-2 und Bcl-XL bei Neuronen des Hippokampus, die mit KATP-Kanalöffnern behandelt wurden (Jakob R 2000b). Das Phänomen der ischämischen Präkonditionierung ist komplex und vielschichtig. Zahlreiche Beobachtungen sprechen dafür, dass KATP-Kanäle eine wichtige Rolle spielen. Darunter scheinen die mitochondrialen KATP-Kanäle eine größere Bedeutung als die zellmembrangebundenen KATP-Kanäle zu haben. Agonisten am KATP-Kanal haben in zahlreichen Studien eine protektive Wirkung gezeigt, während KATP-Kanal-Antagonisten protektive Effekte blockierten. 1.7 Neuropeptide NAP und ADNF-9 NAP (Kurzbezeichnung für ein Peptid mit der Aminosäuren-Sequenz NAPVSIPQ) und ADNF-9 (Activity-dependent Neurotrophic Factor-9) sind synthetische Peptide, die sich von den Proteinen Activity-dependent Neurotrophic Factor (ADNF) und Activity-dependent Neuroprotective Protein (ADNP) ableiten. Diese werden von Gliazellen sezerniert nach Stimulation durch vasoaktives intestinales Peptid (VIP) und vermitteln dessen neuroprotektive 16 Wirkung. Sie wurden für die vorliegenden Untersuchungen von dem Labor von I. Gozes, Tel Aviv, zur Verfügung gestellt. VIP hat neurotrophe und neuroprotektive Wirkung auf Neuronen im zentralen Nervensystem und Wachstum fördernde Eigenschaften auf Embryonen (Brenneman DE 1985; Gressens P 1993), (Gozes I 1996). Der neuroprotektive Effekt von VIP ist von Gliazellen abhängig (Brenneman DE 1987), welche spezifische, hoch affine VIP-Rezeptoren exprimieren (Gozes I 1991). Zu den Gliafaktoren, die das Überleben zentralnervöser Neurone fördern, gehören Interleukin-1 (Brenneman DE 1992; Brenneman DE 1995), Protease Nexin-1 (Festoff BW 1996) und ADNF (Brenneman DE 1996). Der Name Activity-dependent neurotrophic factor beruht auf der Beobachtung, dass ADNF Neurone vor Apoptose nach elektrischer Blockade mit Tetrodotoxin schützte (Gozes I 1997). In Untersuchungen zu ADNF zeigte sich, dass Peptidfragmente wie ADNF-9 im Vergleich zum Protein ADNF gleichwertige Potenz und protektive Eigenschaften aufwiesen (Brenneman DE 1996; Brenneman DE 1998). Mit Hilfe von Antikörpern gegen ADNF-9 wurden funktionell verwandte Proteine von ADNF geklont, darunter Activity-dependent neuroprotective Protein (ADNP) (Bassan M 1999; Zamostiano R 2001). ADNP enthält die Sequenz NAPVSIPQ (NAP), die als eigenständiges Fragment erfolgreich gegen oxidativen Stress schützte (Offen D 2000; Steingart RA 2000). Es folgten Untersuchungen zu den Fragmenten NAP und ADNF-9 in Tiermodellen zur Neuroprotektion bei Mäusen mit ApolipoproteinE-Defizienz (Bassan M 1999), bei Ratten, die mit cholinergen Toxinen behandelt wurden (Gozes I 2000) und bei Mäusen mit Schädel-Hirn Trauma (Beni-Adani L 2001). Die Peptide bestehen aus acht (NAP; NAPVSIPQ; Asn-Ala-Pro-Val-Ser-Ile-Pro-Glu) bzw. neun Aminosäuren (ADNF-9; SALLRSIPA; Ser-Ala-Leu-Leu-Arg-Ser-Ile-Pro-Ala). Auf Grund ihrer geringeren Größe können sie die Blut-Hirn-Schranke leichter passieren als Proteine. In Tierexperimenten erwiesen sie sich als gut permeabel, sowohl nach Applikation als Nasenspray, nach Inhalation als auch nach intraperitonealer Injektion (Gozes I 1996; Bassan M 1999; Zamostiano R 1999). Dies macht sie zu vielversprechenden Substanzen in der Neuropharmakologie (Gozes I 2001). In vitro Studien zum Wirkmechanismus von ADNF-9 konnten verschiedene Interaktionen mit antiapoptotischen Reaktionswegen zeigen. ADNF-9 führte zu einem Anstieg von heat shock protein 60 bei kortikalen Neuronen der Ratte (Zamostiano R 1999). Es erhöhte die DNABindung von nuclear-faktor κB (Glazner GW 2000). ADNF-14, ein weiteres Fragment von ADNF, aktivierte Proteinkinase C und die mitogen-aktivierte Proteinkinase (MAP- 17 Kinase;(Gressens P 1999). Nach Inhibition von Proteinkinase A oder Blockade des Transkriptionsfaktors CREB wurde keine Zunahme des Neuritenwachstums bei Ganglienzellen des Rückenmarks mehr beobachtet (White D 2000). NAP schützte in einem Apoplex-Modell bei der Ratte gegen den Untergang der Nervenzellen (Leker RR 2002). Dabei verringerte es die Anzahl Kaspase-3 positiver Zellen und die Menge fragmentierter DNA. In anderen Studien steigerte NAP sowohl die Synthese von Nitridoxid (NO), als auch die Level von zyklischen Guanosinmonophosphat (cGMP) (Ashur-Fabian O 1999; AshurFabian O 2001) und verhielt sich als Chaperon-bindendes Peptid, das eine Proteinaggregation verhinderte (Ashur-Fabian O 2003). Es konnte gezeigt werden, dass NAP die Plasmamembran überwindet und intrazellulär direkt mit Tubulin interagiert, indem es die Reorganisation der Mikrotubuli induziert (Divinski I 2004). In Kortexschnitten des Huhns und in Kulturen von cerebralen Kortexneuronen der Ratte beobachtete man eine Stimulation der cAMP Produktion durch VIP (Ashur-Fabian O 1999; Nowak JZ 2003). Für NAP und ADNF-9 liegen keine Untersuchungen zur Neuroprotektion am Auge vor. 1.8 Neurotrophe Faktoren CNTF und BDNF Das Überleben von Neuronen ist unter physiologischen Bedingungen von einer kontinuierlichen Versorgung mit neurotrophen Faktoren abhängig. Das Axonwachstum und die Bildung von Synapsen werden von solchen Faktoren lokal und aus dem Zielgebiet kontrolliert. Ciliary-Neurotrophic-Factor (CNTF) und Brain-derived Neurotrophic-Factor (BDNF) sind zwei Faktoren, die entlang der Sehbahn produziert werden. CNTF wird von Astrocyten im optischen Nerv und im Tektum gebildet (Stockli KA 1991). Die Signaltransduktion erfolgt über einen heterotrimeren Rezeptorkomplex, bestehend aus dem Glykoprotein 130-Zytokinrezeptor, sowie dem LIF (leukemia inhibitory factor)-Rezeptor ß (Ip NY 1992). BDNF wird vom Tektum sezerniert (Johnson JE 1986). Retinale Ganglienzellen sind während der Entwicklung und der Aufrechterhaltung ihrer Funktion von diesen Faktoren abhängig und exprimieren die entsprechenden Rezeptoren (Cellerino A 1997; Kirsch M 1997). BDNF und CNTF wurden in Kulturen von isolierten retinalen Ganglienzellen von embryonalen und neugeborenen Ratten eingesetzt und zeigten einen protektiven Effekt (Meyer-Franke A 1995). Die Kombination beider Faktoren diente in der vorliegenden Arbeit als Positivkontrolle und dem Vergleich mit dem Effekt von GBP-L bzw. den Neuropeptiden NAP und ADNF-9 auf die RGZ Kulturen. 18 1.9 Fragestellung Hintergrund der vorliegenden Arbeit ist die Suche nach Möglichkeiten der Neuroprotektion vor degenerativen Prozessen in der Retina und dem optischen Nerven. Einerseits sind fast alle Optikusneuropathien mit einem Axonschaden der RGZ und dem konsekutiven Verlust der Neuronen assoziiert. Andererseits ist belegt, dass die Axotomie bei RGZ zur Apoptose führt. Damit ist die Axotomie ein experimentelles Modell, um Optikusneuropathien zu untersuchen. Gabapentin-Laktam sowie die Peptide NAP, ADNF-9 und verwandte Substanzen haben unter verschiedenen Bedingungen in vitro und in vivo einen neuroprotektiven Effekt in unterschiedlichen Organsystemen und Tiermodellen gezeigt. Sie gelten als vielversprechende Kandidaten für die Therapie akuter und chronischer neurodegenerativer Erkrankungen. Ich habe in der vorliegenden Arbeit untersucht, ob GBP-L, NAP und ADNF-9 protektiv und regenerativ auf retinale Ganglienzellen bei der Ratte wirken. Bislang liegen für die Peptide keine Untersuchungen zur Neuroprotektion am Auge vor, GBP-L ist in einem Modell der okulären Ischämie untersucht worden. Ziel ist es, die Therapie von Augenerkrankungen, die mit neuronaler Degeneration eingehen und letztlich auf dem Untergang der retinalen Ganglienzellen beruhen, um Neuroprotektiva zu ergänzen. Zunächst wurde der Effekt von GBP-L und den Neuropeptiden NAP und ADNF-9 auf RGZ untersucht. Nach Durchtrennung des Nervus opticus bei der Enukleation neugeborener Ratten wurden RGZ mit Hilfe von Antikörpern isoliert und in sogennantem minimal essential medium kultiviert ((Meyer-Franke A 1995). Unter Entzug der natürlichen trophischen Faktoren des umgebenden Gewebes und ohne den Schutz des Zellverbandes beobachtet man, dass die isolierten RGZ nach Axotomie zu Grunde gehen (Quigley HA 1995). Die erste Frage lautete, ob sich das Absterben der RGZ nach Axotomie und Isolation in Kultur durch Zugabe von GBP-L oder von NAP oder ADNF-9 verringern ließe. Als Negativkontrolle dienten RGZ, die in einfachem Kulturmedium gehalten wurden. Als Positivkontrolle dienten Kulturen, denen BDNF und CNT zugesetzt wurden. In einem zweiten Schritt wurde untersucht, ob sich der protektive Effekt von GBP-L auf die isolierten RGZ antagonisieren ließe. Aus der Blockade mit Substanzen, deren Wirkmechanismus bekannt und gut untersucht ist, sollten Rückschlüsse auf den Wirkmechanismus der Testsubstanz gezogen werden. In diesem Sinne wurden die KATPKanal-Antagonisten Glibenclamid und 5-HD eingesetzt, die in früheren Untersuchungen den 19 Effekt von GBP-L antagonisiert hatten. Die isolierten RGZ wurden mit Glibenclamid oder 5HD inkubiert, bevor GBP-L in das Kulturmedium kam oder alleine den isolierten RGZ zugesetzt. Als Kontrolle dienten Kulturen von RGZ in einfachem Medium. Zur Untersuchung der Neuroregeneration setzte ich die Peptide NAP und ADNF-9 in Kulturen von Netzhautexplantaten der Ratte ein (Lucius R 1996a; Lucius R 1996b). Nach Durchtrennung des Nervus opticus wurden Gewebsstanzen der Retina bei 10 bis 12 Tage alten Ratten entnommen und kultiviert. In dem Modell kann die Regeneration der Nervenzellen nach Axotomie anhand des Aussprossens von Neutriten am Rand des Explantatgewebes untersucht werden. Die Frage lautete, ob NAP oder ADNF-9 die Neuritenbildung positiv beeinflussen können. In Kontrollkulturen verblieben die Explantete in einfachem Medium, in den Positivkontrollen wurden BDNF und CNTF zugesetzt. 20 II. MATERIAL UND METHODEN 2.1. Versuchstiere Retinales Gewebe wurde von Sprague-Dawley Ratten gewonnen. Ihr Alter wird in Tagen ab der Geburt (p, post natum) gezählt und beginnt mit P0. Für die Kulturen isolierter Ganglienzellen wurden neugeborene Tiere der Tage 0 bis 2 (P0 - P2) verwendet. Die Explantatkulturen wurden von älteren Tieren P9 - P11 gewonnen. Die Experimente wurden in Übereinstimmung mit dem Statement for the Use of Animals in Ophthalmic and Vision Research der Association for Research in Vision and Ophthalmolgy und den Richtlinien der Albert Ludwig Universität zum Umgang mit Tieren in der Forschung ausgeführt. 2.2 Kultur isolierter retinaler Ganglienzellen Die retinalen Ganglienzellen (RGZ) wurden mit Hilfe eines immunologischen Verfahrens mit Antikörpern gegen das Oberflächenantigen Thy 1.1 isoliert und in Serum-freiem Medium kultiviert. In der Nagetierretina wird dieses Antigen ausschließlich von den Ganglienzellen exprimiert. Das Verfahren wird als Immunopanning bezeichnet und wurde in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an Meyer-Franke et al. angewendet (Meyer-Franke A 1995). Zur Gewinnung isolierter Ganglienzellen wurden neugeborene Ratten dekapitiert, die Augen enukleiert und in sterilem Präparationsmedium HBSS (Hank’s balanced salt solution; Gibco) gesammelt. Die Präparation der Netzhäute erfolgte unter sterilen Bedingungen mit Sicht durch ein Mikroskop. In der Regel wurden sechs Retinae präpariert, in HBSS gesammelt und für 5 min bei 37°C inkubiert. HBSS wurde dann durch kalzium- und magnesiumfreies Medium (Gibco) ersetzt und das Gewebe für 10 min bei 37°C inkubiert. Die Dissoziation des Gewebes erfolgte in zwei Schritten, zunächst enzymatisch dann mechanisch. Die Retina wurde in 0.125 % Trypsin in Dulbecco’s minimal essential medium (DMEM) für 20 min bei 37°C inkubiert. Das Medium enthielt 2 mM L-alanyl-L-Glutamin, als Puffer 10 mM Hepes, sowie Antibiotika (100 Units/ml Penicillin G und 100 µg/ml Streptomycin). Die enzymatische Reaktion wurde gestoppt durch Ersatz der Trypsinlösung durch DMEM mit 10 % Pferdeserum (Gibco), daran anschließende Zentrifugation für 2 min 21 bei 140 g und eine Waschung in gleichem Medium. Folge der Trypsinbehandlung war die Lockerung der Zell-Zell-Verbindungen. Um eine Suspension einzelner Zellen zu erhalten, erfolgte die mechanische Dissoziation, die Trituration. Das Gewebe wurde in Serum-haltigem DMEM mehrfach durch eine eng-geschmolzene Glaspipette gezogen. Das Triturat wurde auf die Antikörper beschichtete Panning-Platte gegeben, für 25 min im Brutschrank inkubiert und alle 5 min sanft geschwenkt. Zählungen im Hemizytometer nach Neubauer ergaben, dass etwa 35 Millionen Zellen in 5 ml Medium gelöst waren. Für das Panning wurde jeweils eine Petrischale (Falcon; Becton&Dickinson) mit 10 cm Durchmesser sequenziell mit zwei Antikörpern beschichtet. Im ersten Schritt erfolgte die Inkubation mit einem Antikörper gegen Mausprotein, goat-anti-mouse IgG (Sigma) in TrisHCl Puffer. Der pH-Wert des Puffers betrug 9,5, um die Bindung der Antikörper auf der geladenen Oberfläche der Petrischale zu optimieren. Die Inkubation erfolgte bei 4-6° C über Nacht. Nach diesem und allen folgenden Schritten wurde die Schale je drei Mal mit Phosphatpuffer, pH 7,3 gespült. Die Inkubation mit dem Antikörper gegen Thy1.1 (mouse anti-rat CD90; Serotec), erfolgte in Phosphatpuffer für 2 h bei 6° C. Um freie Valenzen auf der Oberfläche der Petrischale abzudecken und eine unspezifische Bindung von Zellen oder Protein im Folgenden zu verhindern, wurde die Platte bei Raumtemperatur für 20 min mit 2 mg/ml Serumalbumin vom Rind (bovines Serumalbumin; Gibco) in Phophatpuffer inkubiert. Während der Inkubation im Brutschrank gingen die Ganglienzellen eine feste AntigenAntikörper-Bindung mit den auf der Platte verankerten Thy1.1-Antikörpern ein, während die übrigen Zellen frei im Medium schwammen. Um die nicht haftenden Zellen zu entfernen, wurde die Platte wiederholt mit Phosphatpuffer gewaschen. Jeder Schritt wurde unter dem Mikroskop kontrolliert. Die gereinigten RGZ wurden in DMEM/10 % Pferdeserum mit einem Cell Scraper mechanisch von der Platte gelöst. Nach Zentrifugation für 5 min bei 140 g wurden die Zellen in zweifach konzentriertem N2 Kulturmedium gelöst. Das Kulturmedium bestand aus DMEM und enthielt N2 (500 µg/ml Insulin, 10 mg/ml humanes Transferrin, 0,63 µg/ml Progesteron, 1611 µg/ml Selenit), 2 mM Glutamin, 10 mM Hepes, 100 Units/ml Penicillin G und 100 µg/ml Streptomysin (Gibco) und 5 µM Forskolin (Tocris). Die Dichte der RGZ wurde im Hemicytometer nach Neubauer bestimmt. Nach entsprechender Verdünnung wurden 3000 RGZ pro well mit einem Pipettierrechen in die Kulturplatte gesetzt. Die 96-well Platten (Falcon, Becton&Dickinson) waren zuvor mit Poly-L-Lysin (0,1 mg/ml) und Laminin (0.94 µg/cm²) in DMEM beschichtet worden. Nach Zugabe der verschiedenen Substanzen wurden die Zellen für 48 h inkubiert. Im Brutschrank herrschten optimale Bedingungen bei 37° C mit einem Sauerstoffanteil von 95 % und einem CO2-Anteil von 5 %. 22 Nach zwei Tagen wurden die Kulturen mit 1 % Glutaraldehyd fixiert. Zur Auswertung wurde die Kulturplatte mit demineralisiertem Wasser gespült. Am Phasenkontrastmikroskop wurde für jedes well die Anzahl vitaler Ganglienzellen über den horizontalen und vertikalen Durchmesser bei einer 400fachen Vergrößerung ermittelt (Lehwalder D 1989). Kriterien für die Vitalität der Zellen waren ein unversehrter Zellkörper, der in der Phase hell leuchtetend schien, sowie das Vorhandensein von mehreren Zellfortsätzen, die mindestens die Länge einen Zelldurchmesser erreicht hatten. Von Parallelkulturen wurden verschiedene Färbungen hergestellt, um die kultivierten Zellen als retinale Ganglienzellen neuronalen Ursprungs zu identifizieren. Die Immunfluoreszenzfärbung mit einer pan-neurofilament-Antikörpermischung (Biomol, Hamburg) erfolgte nach einem Standardprotokoll für Immunfluoreszenz mit Cy3-konjugierten Zweitantikörpern (Abb. 2.2.1a). Immunhistochemische Färbungen mit Antikörpern gegen Neurofilament (N52) und MAP-2 (microtubule-associated protein-2) wurden mit biotinylierten Zweitantikörpern und Avidin-Peroxidase-Komplex nach etablierten Protokollen durchgeführt (Abb. 2.2.1 b, c). Abb. 2.2.1 Retinale Ganglienzellen nach 48 h in Kultur. a: Immunfluoreszenzfärbung gegen Neurofilament. Digitalfotografie von zwei Nervenzellen mit langen Fortsätzen neben Zelldetritus. Vergrößerung 400fach. b: Immunhistochemische Färbung auf N52. Eine RGZ mit langen Fortsätzen und Überreste von zu Grunde gegangenen RGZ c: Immunhistochemische Färbung gegen MAP-2. Eine RGZ oberhalb von Überresten einer zu Grunde gegangenen Zelle. Vergrößerung 400fach. a b c 23 2.3 Kultur von Netzhautexplantaten der Ratte Nach der Methode von Sievers und Lucius wurden Gewebsstanzen mit einer Hohlnadel (Durchmesser 400 µm) an P9 – P11 Retinae entnommen und in einer dreidimensionalen Matrix aus Fibrin für 72 h kultiviert (Lucius R 1996a). Die Nervenzellen, deren Zellkörper in den Explantaten lagen, können nach Axotomie regenerieren und bilden Fortsätze über den Explantatrand hinaus (Abb. 3.3.1). Nach 72 h Kulturzeit konnte das Neuritenwachstum unter Zugabe der Neuropeptide im Vergleich zum Wachstum in Kulturmedium untersucht werden. Abb. 2.3.1: Netzhaut Explantat nach 72 h in Kultur in Müller-Medium (Kontrolle). Digitalfotografie Färbung mit nach Sudanschwarz. Vergrößerung 100fach. Als Präparationsmedium diente Leibowitz L-15 Medium (Sigma), das 20 mM Hepes zur pHStabilisierung, 2 mM L-Alanyl-L-Glutamin und Antibiotika (100 units/ml Penicillin und 100 µg/ml Streptomycin, Gibco) enthielt. Unter dem Mikroskop erfolgte die Retinapräparation unter sterilen Bedingungen in einem Schälchen mit L-15 auf einer Silikoneinlage. Zunächst wurden durch einen zirkulärer Schnitt die vorderen Augenabschnitte entfernt. Die Spannung des becherförmigen Gewebes wurde durch einen radiären Entlastungsschnitt verringert und die Retina flächig abgelöst und behutsam ausgebreitet. Die gespitzte Hohlnadel wurde auf eine 1ml Spritze (Injekt - H; Braun Melsungen AG) mit Präprationsmedium aufgesetzt, um die Retinastanzen zu entnehmen. Dabei sollte das Netzhautgewebe weder in Randnähe entnommen werden, weil dort die Dichte der RGZ geringer ist als zentral, noch sollten sichtbare Gefäße getroffen werden. Die Explantate wurden in L-15 gesammelt. Die Nadel wurde gegen eine Braunüle (Vasovix; Braun Melsungen AG) ausgetauscht, um die Explantate in Kulturmedium umzusetzen. Bis zur 24 Weiterverarbeitung wurden sie in den Brutschrank (37° C) gestellt. Vor der Kultur in der Fibrinmatrix wurden sie zurück in L-15 transferiert. Das Kulturmedium enthielt DMEM, 100 units/ml Penicillin und 100 µg/ml Streptomycin (Gibco) und 0,5 mg/ml ε-Aminocapronsäure (Sigma) als Plasmininhibitor, um die Auflösung des Fibrin zu verhindern. Für die Kultivierung der Explantate in einer dreidimensionalen Fibrinmatrix wurden Deckgläschen (DG) zuerst mit 20 µl (entspricht 3 NIH-units) Thrombin (Topostasin, Hoffmann la Roche) beschichtet, das bei Raumtemperatur eintrocknete. Die DG wurden in eine 24-well Platte (Falcon, Becton&Dickinson) gesetzt. Als Zweites wurden 20 µl Fibrinogen (3 mg/ml) (bovines Fibrinogen, Sigma) aufgebracht. In Kombination mit Thrombin begann das Fibrinogen zu Fibrin zu gerinnen. In den gerinnenden Tropfen auf dem DG wurden bis zu drei Explantate einzeln nacheinander mit der Braunüle gesetzt. Nach Abschluss der Gerinnung erschien die Matrix milchig weiß. Anschließend wurde Kulturmedium tropfenweise in die wells gegeben und die Platte im Brutschrank inkubiert. Die verschiedenen Faktoren wurden in Kulturmedium vorverdünnt und zu den Kulturen gegeben. Die Inkubation der Explantate erfolgte für 72 h bei 37° C mit einem Sauerstoffanteil von 95 und einem CO2-Anteil von 5 %. Nach drei Tagen wurde 2 % Glutaraldehyd tropfenweise dem Medium zugesetzt, das Gemisch entfernt durch reine Fixierlösung ersetzt. Die Fixation erfolgte entweder für 2 h bei Raumtemperatur oder für 2 min bei 175 Watt Leistung in der Mikrowelle. Danach wurde Glutaraldehyd abgenommen und die Präparate wurden in einer aufsteigenden Ethanolreihe (30, 50, 70 %) entwässert. Ethanol wurde durch Sudanschwarz (1 %) ersetzt. Die Färbung erfolgte entweder über Nacht bei Raumtemperatur oder für 2 min bei 175 Watt Leistung in der Mikrowelle. Im letzten Fall mussten die Präparate abkühlen, bevor sie in einer absteigenden Ethanolreihe (70, 90, 100, 90, 70, 50 und 30 %) rehydratisiert wurden. Die DG wurden in destilliertem Wasser gesammelt und in Kaisers Gelatine auf Objekträgern eingedeckelt. Die gefärbten Explantate wurden unter einem Mikroskop mit Kamera lucida Projektion untersucht, um das Neuritenwachstum zu beurteilen. Der Mikroskopaufsatz erlaubt es, Bilder übereinander zu projizieren. Das Bild von konzentrischen Ringen mit gleichem Abstand zueinander wurde über das Bild von jedem einzelnen Explantat projiziert. Dabei lag der Mittelpunkt aller Kreise auf dem Mittelpunkt des Explantats. In den Explantaten der 25 Kontrollkulturen wurde die maximale Länge der Fortsätze ermittelt. In den behandelten Kulturen wurde jeweils der längste Neurit bestimmt und die Mittelwerte aus den behandelten Kulturen mit dem Mittelwert aus den Kontrollen verglichen, um das Wachstum zu messen. 2.4 Statistik Als Kontrollen dienten in jeder Untersuchungsreihe Kulturen in Medium ohne Zusatz der Testsubstanzen GBP-L, NAP, ADNF-9 oder CNTF/BDNF. Die Ergebnisse aus den Kontrollen wurden normiert. Dies bedeutet, dass der Mittelwert für das Überleben in den Kontrollkulturen in allen Untersuchungen den Wert 100 % erhielt. Die Überlebensrate in den Substanz-behandelten Kulturen wurden mit der aus den Kontrollen verglichen. Die Ergebnisse der Zellzählungen sind als Mittelwert in Prozent der Kontrollen mit ihrem 95 % Konfidenzintervall (CI95, [Ober-, Untergrenze]) angegeben (Gardner MJ 1986; Altman 1991). Die Ergebnisse aus den Kulturen isolierter RGZ, die mit GBP-L in fünf Konzentrationen versetzt wurden, sind zur Darstellung der Konzentrations-Wirkungs-Kurve mit einer nichtlinearen Regressionanalyse nach folgender Formel untersucht worden: y = 1 + Emax· 10log(c) / (10-pEC50 + 10log(c)). Die unabhängige Variable [c] ist die verabreichte Konzentration [M] von GBP-L respektive Peptid. Die abhängige Variable [y] ist das Zellüberleben in Prozent. Als Parameter wurden Emax, pEC50 und pA2 bestimmt: Emax bezeichnet den maximalen Effekt der zugesetzten Substanz. pEC50 ist der negative Logarithmus derjenigen Konzentration von GBP-L oder Peptid, die zu einem halbmaximalen Effekt führt. In den abgebildeten Konzentrations-Wirkungs-Kurven liegt der Wendepunkt der Kurve bei der korrespondierenden Konzentration von pEC50. pA2 ist eine Maßzahl für die pharmakologische Potenz eines Antagonisten und ist definiert als der negative Logarithmus derjenigen Konzentration des Antagonisten, welche nötig ist, um eine Rechtsverschiebung der Konzentrations-Wirkungskurve des Agonisten um das Zweifache zu verursachen. Der pA2 Wert für den Vergleich von Glibenclamid (Antagonist) und GBP-L (Agonist) wurde nach der folgenden Formel berechnet: pA2 = log(10pIC50* - pIC50 – 1) – log(Glibenclamid), wobei pIC50* der negative Logarithmus der GBP-L Konzentration bei halbmaximalem Effekt in Anwesenheit von Glibenclamid ist und pIC50 in Abwesenheit von Glibenclamid. Statistische Unterschiede zwischen den Ergebnissen der Explantatkulturen wurden mit den ungepaarten tTests ermittelt. 26 III. ERGEBNISSE 3.1 Neuroprotektiver Effekt von Gabapentin-Laktam Zur Untersuchung des Effekts von GBP-L auf isolierte RGZ, wurden Kulturen mit GBP-L in fünf Konzentrationsstufen von 3,2 µM bis 320 µM behandelt. Zum Vergleich wurden in den Kontrollen RGZ in N2 Medium ohne Zugabe von Faktoren kultiviert. Eine Vergleichsgruppe erhielt die Wachstumsfaktoren BDNF und CNTF, beide in einer Konzentration von 50 ng/ml. Nach 48 h wurde die Zahl vitaler Ganglienzellen in den GBP-L Kulturen erhoben und mit der Anzahl vitaler Zellen in den Kontrollkulturen verglichen. Die Überlebensrate ist für jede Gruppe in Prozent der Kontrollen angegeben. Das Überleben der RGC lag unter GBP-L in Abhängigkeit von der Konzentration deutlich über den unbehandelten Kontrollen (Abb. 3.1.1 a). Bei der Behandlung der RGZ-Kulturen mit geringen Konzentrationen GBP-L lagen die Ergebnisse eng bei den Kontrollen. In Konzentrationen von 32 µM, 100 µM und 320 µM steigerte GBP-L das Überleben signifikant auf Werte von 145%, CI95 [134, 155], respektive 141%, CI95 [131, 151] und 140%, CI95 [130, 151]. Im Vergleich führte die Kombination von je 50 ng/ml BDNF und CNTF in den Kulturen zu einer Steigerung der Überlebensrate auf 177%, CI95 [158, 196]. In einer zweiten Serie von Experimenten wurden die RGZ vor der Behandlung mit GBP-L für 15 min mit 1 µM des KATP-Kanalblockers Glibenclamid inkubiert. Die Inkubation mit Glibenclamid wirkte dem Effekt von GBP-L entgegen und verringerte die Anzahl vitaler Ganglienzellen in den Kulturen im Vergleich zu den Ergebnissen aus der ersten Untersuchungsreihe (vergleiche Abb. 3.1.1 a und 3.1.1 b). Wurde GBP-L in Konzentrationen von 3,2 µM, 10 µM und 32 µM zu den GlibenclamidKulturen gegeben, gab es keinen signifikanten Unterschied in der Zahl überlebender GRZ im Vergleich zu den Kontrollkulturen. Die Überlebensrate bei 32 µM GBP-L sank von 145% in den GBP-L Kulturen (Abb.3.1.1 a) unter Inkubation mit 1 µM Glibenclamid auf 112%, CI95 [100, 125] (Abb. 3.1.1 b). Der zuvor beobachtete Überleben-fördernde Effekt von 32µM GBP-L wurde gehemmt. In den Kulturen, die mit hohen Konzentrationen von 100 µM und 320 µM GBP-L versetzt wurden, lag die Überlebensrate über dem Niveau der Kontrollen. Die Überlebensraten stiegen auf 139 %, CI95 [116, 162] respektive 149 %, CI95 [135, 163]. 27 b 175 150 150 320µM 100µM 0 32µM 0 10µM 25 3.2µM 25 320µM 50 100µM 50 75 32µM 75 100 10µM 100 125 3.2µM 125 Kontrollen Überlebensrate [%] 175 Kontrollen Überlebensrate [%] a Abb. 3.1.1 a: Überlebensrate retinaler Ganglienzellen (P0-P2) nach 48 h in Kultur in N2 Medium (Kontrollen) und unter Zugabe von GBP-L in fünf Konzentrationen (3,2 µM - 320 µM). Ergebnisse als Mittelwerte in Prozent der Kontrollen und CI95 angegeben. b: mit Glibenclamid alle Kulturen wurden mit 1 µM Glibenclamid inkubiert vor der Zugabe von GBP-L in fünf Konzentrationen (3,2 µM - 320 µM). Die Überlebensraten für 100 µM und 320 µM GBP-L erreichten trotz Inkubation mit Glibenclamid das Niveau der Ergebnisse aus der ersten Serie ohne den KATP-Kanalblocker (um 140 %). Die Ergebnisse aus den beiden Serien a und b wurden mit einer nichtlinearen Regressionanalyse untersucht und die Konzentrations-Wirkungskurven für GBP-L mit und ohne Glibenclamid ermittelt. Trägt man den Logarithmus der GBP-L Konzentration gegen die Überlebensrate (normalized cell count) als Vielfaches der Kontrollen auf, entstehen zwei semilogarithmische Konzentrations-Wirkungskurven für das Überleben der RGZ unter GBPL (Abb. 3.1.2 durchgehende Linie) und das Überleben unter GBP-L nach Inkubation mit 1 µM Glibenclamid (gestrichelte Linie). Überlebensrate RGZ (1.0 = 100 %) 28 Konzentration GBP-L [log (µM)] Abb. 3.1.2: Vergleich der Konzentrations-Wirkungs-Kurven von GBP-L mit und ohne Inkubation der RGZ mit 1 µM Glibenclamid. GBP-L (■, durchgehende Linie) und GBP-L nach Gabe von Glibenclamid (□, unterbrochene Linie). x-Achse: logarithmische Auftragung der GBP-L Konzentration [log(µM)], φ: Kontrollen in N2 Medium, y-Achse: Überlebensrate der RGZ in Kulturen mit GBP-L mit und ohne Zugabe von Glibenclamid verglichen mit Kontrollkulturen (Formel: y = absolute Zellüberlebensrate unter GBP-L ohne/mit Glibenclamid / absolute Überlebensrate in Kontrollkulturen). Der Kurvenverlauf für GBP-L zeigt eine Sättigung. Bei 32 µM wurde der maximale Effekt auf die Überlebensrate beobachtet, höhere Konzentrationen führen zu keiner weiteren Steigerung der Überlebensrate. Die Analyse der Daten für die Inkubation mit Glibenclamid führt zu einer semilogarithmischen Konzentrations-Wirkungskurve, welche im Vergleich zur GBP-L Kurve nach rechts verschoben ist (unterbrochene Linie). Es sind höhere Konzentrationen GBP-L nötig, wenn die Kulturen mit Glibenclamid inkubiert wurden, um denselben Effekt auf das Überleben der RGZ zu erzielen. In der Pharmakologie ist diese Verschiebung der Kurven für kompetitive Agonisten und Antagonisten charakteristisch. Die Analyse der Untersuchungsergebnisse spricht dafür, dass Glibenclamid als kompetitiver Antagonist den Effekt von GBP-L verminderte. Zum Vergleich der Konzentrations-Wirkungskurven betrachtet man die Wendepunkte der Kurve und die Konzentration, die einen halbmaximalen Effekt bewirkt. Der Logarithmus 29 dieser GBP-L Konzentration, der pEC50 Wert, betrug für die GBP-L Kulturen 4,97, CI95 [4,71, 5,26]. Für die Ergebnisse unter GBP-L und Glibenclamid betrug der pEC50 4,11, CI95 [3,53, 4,66]. Damit ist eine signifikant höhere Konzentration GBP-L in Anwesenheit von Glibenclamid nötig, um einen gleichwertigen Effekt zu erzielen. Anders ausgedrückt muss die Konzentration an GBP-L um ein Vielfaches gesteigert werden, um den Effekt des kompetetiven Antagonisten Glibenclamid auszugleichen. Der negative Logarithmus derjenigen Konzentration des Antagonisten (Glibencalmid), welche nötig ist, um eine zweifache Rechtsverschiebung der Konzentrations-Wirkungskurve des Agonisten (GBP-L) zu verursachen ist definiert als der pA2 Wert. Er ist eine Maßzahl für die pharmakologische Potenz des Antagonisten. Die Analysen ergaben für Glibenclamid den pA2 Wert 6,80, CI95 [5,88, 7,46]. In folgenden Untersuchungen wurde der zweite KATP-Kanalantagonist 5-HD eingesetzt. Während Glibenclamid unspezifisch sowohl die an der Zellmembran lokalisierten KATPKanäle als auch die mitochondrialen KATP-Kanäle blockiert, wirkt 5-HD als selektiver Blocker der mitochondrialen KATP-Kanäle. In der dritten Serie von Experimenten wurde das Überleben der RGZ unter Behandlung mit 32 µM GBP-L mit und ohne die vorhergehende Inkubation der Kulturen mit 100 µM 5-HD untersucht (Abb. 3.1.3 a). Die Überlebensrate der RGZ stieg unter 32 µM GBP-L auf 151%, CI95 [136, 167]. Dieses Ergebnis liegt im Vertrauensintervall der ersten Untersuchungen zu GBP-L (Abb.3.1.1 a). Wurden die RGZ Kulturen mit 100 µM 5-HD inkubiert, bevor 32 µM GBP-L zugesetzt wurde, sank die Überlebensrate auf das Niveau der Kontrollen (98%, CI95 [84, 113]). 5-HD blockierte den protektiven Effekt von GBP-L vollständig, 151 % bei GBP-L versus 98% bei GBP-L und 5-HD. Im Gegensatz dazu führte Glibenclamid zu einer Abnahme von 145% auf 117% bei 32 µM GBP-L (Abb. 3.1.1 a, b). Um einen toxischen Effekt von 5-HD auf die RGZ auszuschließen, wurden Kulturen mit 100 µM 5-HD inkubiert. Die Überlebensrate lag auf dem Niveau der unbehandelten Kontrollen mit 96%, CI95 [77, 114]. Die RGZ in den 5-HDKulturen wiesen keinen Unterschied zu den Kontrollen auf . 30 a b 175 150 Überlebensrate [%] 125 100 75 50 25 125 100 75 50 GBP-L 0 GBP 5HD GBP-L,5HD GBP-L 25 Kontrolle 0 150 Kontrolle Überlebensrate [%] 175 Abb. 3.1.3 a: Überlebensrate retinaler Ganglienzellen (P0-P2) nach 48 h in N2 Medium (Kontrolle), in Anwesenheit von 32 µM GBP-L ohne (GBP-L) und mit Präinkubation (GBP-L, 5HD) der Kulturen mit 100 µM 5-HD und unter Zugabe von 100 µM 5-HD (5HD). b: Überlebensrate retinaler Ganglienzellen (P0-P2) nach 48 h in Anwesenheit von 32 µM Gabapentin (GBP) und 32 µMGBP-L im Vergleich zu Kontrollen. Alle Ergebnisse sind in Prozent der Kontrollen mit ihrem CI95 angegeben. In der letzten Serie wurde der Effekt von GBP-L auf die RGZ mit dem seiner Ursprungssubstanz Gabapentin verglichen (Abb. 3.1.3 b). 32 µM GBP-L führten zu einer Steigerung des Zellüberlebens auf 128%, CI95 [113, 143] verglichen mit den Kontrollen. Gabapentin hatte in gleicher Konzentration (32 µM) keinen Effekt auf die Überlebensrate der RGZ, sie lag auf dem Niveau der Kontrollen (95%, CI95 [82, 108]). 3.2 Neuroprotektiver Effekt der Peptide NAP und ADNF-9 Die Wirkung der Neuropeptide auf das Überleben der RGZ wurde in Kulturen mit NAP und ADNF-9 in verschiedenen Konzentrationen untersucht. Die Peptide wurden in einer Verdünnungsreihe im Verhältnis 1:20 vorbereitet, so dass die Konzentrationen in den Kulturen von 1,56 aM bis 0,1 nM reichten (Tab. 3.2.1). In den Kontrollen wurden die RGZ in N2 Medium kultiviert. Zum Vergleich dienten Kulturen, die mit je 50 ng/ml BDNF und 31 CNTF behandelt wurden. Sowohl NAP als auch ADNF-9 steigerten die Überlebensrate der RGZ signifikant in Abhängigkeit von der Konzentration (Abb. 3.2.1 a-d). Peptidkonzentration entspricht in 1. Serie (1:20) Peptidkonzentration entspricht in 2. Serie (1:4) 10-10 M 0,1 nM 10-13 M 0,1 pM 5 · 10-12 M 5,0 pM 2,5 · 10-14 M 25,0 fM 2,5 · 10-13 M 0,25 pM 6,25 · 10-15 M 6,25 fM 1,25 · 10-14 M 12,5 fM 1,56 · 10-15 M 1,56 fM 6,25 · 10-16 M 0,625 fM 3,91 · 10-16 M 0,39 fM 3,125 · 10-17 M 31,25 aM 9,76 · 10-17 M 97,6 aM 1,56 · 10-18 M 1,56 aM 2,44 · 10-17 M 24,4 aM Tabelle 3.2.1: Umrechnungstabelle der Konzentrationen von NAP und ADNF-9 in den beiden Untersuchungsreihen. Abkürzungen: n = nano (10-9), p = pico (10-12), f = fempto (10-15), a = atto (10-18). Der maximale Effekt von ADNF-9 lag bei 146% und wurde in den beiden höchsten Konzentrationen von 5,0 pM, CI95 [123, 169], und 0,1 nM, CI95 [128, 163] beobachtet (Abb. 3.2.1 c). 0,25 pM ADNF-9 führten zu einem Anstieg der Überlebensrate auf 136%, CI95 [117, 154]. Wurde 12,5 fM ADNF-9 zugegeben, lag die Überlebsrate bei 123%, CI95 [107, 140]. Dieser Effekt ist genau halb so groß wie der maximale Effekt (146%), der unter 5,0 pM und 0,1 nM beobachtet wurde. Die Analyse aller Daten ergab für ADNF-9 eine EC50 von 10,9 fM als Konzentration, die einen halbmaximalen Effekt bewirkt. Bei der Behandlung der Kulturen mit ADNF-9 in Konzentrationen unter 12,5 fM gab es keinen signifikanten Unterschied zu den Kontrollen. Im Vergleich lag der Effekt von der Kombination aus BDNF und CNTF bei einer Überlebenrate von 170 %, CI95 [131, 209]. NAP führte zu ähnlichen Ergebnissen (Abb. 3.2.1 a). Der maximale Effekt betrug 167%, CI95 [125, 170] für 5,0 pM NAP und lag über dem von ADNF-9 in gleicher Konzentration (146%). Die Analyse der NAP-Reihe führte zu einer EC50 von 6,1 fM. Im Vergleich zu ADNF-9 (EC50 10,9 fM) ist eine geringere Konzentration von NAP notwendig, um den gleichen Effekt wie ADNF-9 zu erzielen. Die Kombination aus BDNF und CNTF bewirkte im Vergleich zu NAP eine Zunahme des Überlebens auf 205 %. 32 Zellüberleben [%] 250 250 200 200 150 150 100 100 50 50 0 -20 -18 -16 -14 -12 -10 -8 Zellüberleben [%] a. Kontrolle, NAP[logM], BDNF/CNTF 0 -20 -18 -16 -14 -12 -10 -8 b. Kontrolle, NAP[logM], BDNF/CNTF 250 300 200 250 200 150 150 100 100 50 0 -20 -18 -16 -14 -12 -10 50 -8 0 -20 -18 -16 -14 -12 -10 -8 c. Kontrolle ADNF-9[logM] BDNF/CNTF d. Kontrolle ADNF-9[logM] BDNF/CNTF Abb. 3.2.1 a-d: Überlebensrate retinaler Ganglienzellen (P0-P2) nach 48 h Kultur in N2 Medium (Kontrolle), unter Behandlung mit NAP (▲) oder ADNF-9 (▲) und mit 50 ng/ml BDNF und CNTF (■). x-Achse: Logarithmus der Peptidkonzentration [M]. y-Achse: Zellüberleben in Prozent der Kontrollen. Die Fehlerbalken geben das 95 % Confidenzintervall (CI95) an. Statistisch signifikante Unterschiede zwischen zwei Ergebnissen liegen vor, wenn sich die Intervalle nicht überlappen. Getestet wurden a) NAP (▲) und c) ADNF-9 (▲) in jeweils sieben Konzentrationsstufen von 10-18 M bis 10-10 M. In einer zweiten Serie b) NAP (▲) und d) ADNF9 (▲) in sieben Konzentrationsstufen von 10-17 M bis 10-13 M. In allen Abbildungen sind zum Vergleich die Ergebnisse aus den Kontrollkulturen (■, bei x = −19) und den Kulturen mit BDNF und CNTF (■, bei x = −9) angegeben. 33 Die Untersuchung der Ergebnisse aus den Kulturen, denen NAP oder ADNF-9 in Konzentrationen von 1,56 aM bis 0,1 nM zugesetzt wurden, erfolgte anhand einer nichtlinearen Regressionsanalyse. Die Ergebnisse in Form von Konzentrations-WirkungsKurven für NAP und ADNF-9 zeigen den Effekt der Peptide auf das Überleben der RGZ (Abb. 3.2.1 a, c schwarze Linien). Man beobachtet einen Anstieg der KonzentrationsWirkungs-Kurve hin zum maximalen Effekt und anschließend ein Plateau. Dies ist Ausdruck einer Sättigung unter höheren Peptidkonzentrationen. Die EC50 liegt am Wendepunkt der errechneten Kurve. Der weite Konzentrationsrahmen von 1,56 aM bis 0,1 nM aus der ersten Serie wurde in einer zweiten Reihe von Experimenten auf den Konzentrationsbereich fokussiert, in dem der Wendepunkt der Konzentrations-Wirkungs-Kurve lag. Eine gleichmäßige Zunahme des Effekts auf die Überlebensrate mit steigender Peptidkonzentration sollte in kleineren Konzentrationsschritten reproduziert werden. Die Peptide wurden in einer Verdünnungsreihe im Verhältnis 1:4 vorbereitet und in sieben Konzentrationsstufen von 24,4 aM bis 0,1 pM den Kulturen zugesetzt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Zunahme der Überlebensrate nicht sprunghaft oder unregelmäßig sondern sowohl für NAP als auch ADNF-9 in einem relativ gleichförmigen Anstieg erfolgt (Abb. 3.2.1 b, d). In einer Konzentration von 0,39 fM steigerte ADNF-9 das Überleben auf 135 %, CI95 [115, 155]. 6,25 fM ADNF-9 lagen kaum darüber mit 136%. Eine deutliche Zunahme der Überlebensrate auf 164 %, CI95 [140, 188] wurde unter 25,0 fM beobachtet. Dies entspricht der Stelle, an der zuvor in der ersten Untersuchungsreihe der deutliche Anstieg der Überlebensrate bei 12,5 fM beobachtet wurde. Den maximalen Effekt erzielte die höchste eingesetzte Konzentration von 0,1 pM ADNF-9 mit einer Überlebensrate von 177 %, CI95 [149, 204]. In den Experimenten mit ADNF-9 erreichten die Werte insgesamt ein höheres Niveau als in der ersten Untersuchungsreihe (vergleiche Abb.3.2.1 c und d). Dies spiegelt sich auch in dem Ergebnis der Behandlung mit CNTF und BDNF wider mit 276 %, CI95 [215, 336]. In der zweiten Untersuchungsreihe mit NAP lag das Gesamtniveau der Werte niedriger (Abb. 3.2.1 a und c). In der Vergleichsgruppe BDNF plus CNTF wurde ein Ergebnis von 165 %, CI95 [151, 178] erzielt. Mit dem Anstieg der Konzentration von NAP konnte eine kontinuierliche Zunahme des protektiven Effekts beobachtet werden (Abb. 3.2.1 b). Wie zuvor führte NAP in Konzentrationen über 12,5 fM zu einer signifikanten Zunahme des Überlebens. Für 6,25 fM lag die Überlebensrate bei 112%, 25,0 fM steigerten das Überleben auf 134 %. Den maximale Effekt erzielten 0,1 pM NAP, er lag bei 147 %, CI95 [135, 160]. 34 In ergänzenden Experimenten wurde ADNF-9 in einer Konzentration von 1 pM in Kombination mit BDNF oder CNTF oder beiden eingesetzt. Es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen den Ergebnissen in den Kombinationen von CNTF oder BDNF oder beiden mit ADNF-9 und den jeweiligen Werten ohne ADNF-9 (Ergebnisse nicht in Abbildungen dargestellt). 3.3 Neuroregeneration - Neuritenwachstum nach Axotomie in retinalen Explantaten In Explantatkulturen von Netzhautgewebe von Ratten (P9 – P11) wurde der Einfluss von ADNF-9 und NAP auf das Aussprossen von Neuriten beobachtet. Die Peptide ADNF-9 und NAP wurden in einer Konzentration von 1 µM zugesetzt. Die Wahl der höheren Dosierung im Vergleich zu den Konzentrationen in den RGZ Kulturen beruhte auf der Überlegung, dass die Substanzen durch das Fibrin diffundieren mussten und nur einmal zu Beginn der 72 h Kulturzeit zugegeben wurden. Die Konzentration sollte über die gesamte Kulturzeit im sättigenden Bereich liegen. Die tatsächliche Konzentration am Netzhautgewebe ließ sich nicht ermitteln. In den Kulturen wurde während der 72 h das radiäre Wachstum von Neuriten beobachtet, die ihren Ursprung an einem beliebigen Ort des Explantatgewebes nahmen und über den Explantatrand hinaus in das Fibrin wuchsen (Abb. 3.3.1). Der genaue zelluläre Ursprung eines Neuriten war nicht festzustellen, da Explantat und Fortsätze gleichmäßig angefärbt wurden. Die Peptide NAP und ADNF-9 bewirkten in den Explantatkulturen eine Zunahme des Neuritenwachstums (Abb. 3.3.1, Abb. 3.3.2). Es wurden längere Fortsätze beobachtet im Vergleich zu den Kontrollen in Kulturmedium. 1 µM NAP steigerte das Neuritenwachstum auf 117%, CI95 [98, 137]. ADNF-9 erzielte in einer Konzentration von 1 µM eine Zunahme des Neuritenwachstums auf 126 %, CI95 [118, 133]. Das längste Wachstum wurde unter Zugabe von BDNF und CNTF beobachtet und lag bei 202 %, CI95 [191, 213]. 35 Kontrolle NAP ADNF-9 BCF Abbildung 3.3.1: Neuritenwachstum retinaler Explantate (P9-P11) nach 72 h Kulturzeit in Kulturmedium (Kontrolle), unter Zugabe von 1µM NAP, 1µM ADNF-9 und 50 ng/ml BDNF,CNTF. Digitalfotografien nach Färbung mit Sudanschwarz. Vergrößerung 200fach. 200 175 150 125 100 75 50 BDNF, CNTF ADNF-9 1 µM 0 NAP 1 µM 25 Kontrollen Neuritenwachstum [%] 225 Abb. 3.3.2: Neuritenwachstum retinaler Explantate (P9-P11) nach 72 h Kulturzeit in Kulturmedium (Kontrollen), unter Zugabe von ADNF-9, NAP und 50 ng/ml BDNF,CNTF. Verglichen wurde die Länge der aussprossenden Neuriten von Explantatrand aus in den behandelten Kulturen mit der Länge in den Kontrollen. Ergebnisse als Mittelwert in Prozent, die Fehlerbalken geben das Konfidenzintervall CI95 an. Die Dichte der aussprossenden Neuriten ließ sich schlecht standardisiert beurteilen, da das Axonwachstum in mehreren Ebenen innerhalb der dreidimensionalen Fibrinmatrix erfolgte. Damit treten bei der Auswertung Probleme auf, wenn bei einer Vergrößerung unter dem 36 Mikroskop mehrere Axone im Vergleich beurteilt werden sollen, die jedoch auf Grund der geringen Schärfentiefe nur mit unterschiedlicher Fokussierung im einzelnen zu erkennen sind. Festhalten kann man, dass sich die Dichte der aussprossenden Neuriten in den Peptidkulturen im Vergleich zu den Kontrollen im subjektiven Vergleich nicht wesentlich veränderte. Unter BDNF und CNTF war eine optische Zunahme der Neuritendichte um das Explantat herum zu beobachten, die Anzahl der Neuriten in Explantatnähe aber zu hoch für eine genaue Zählung. An den Enden der aussprossenden Neuriten konnte man bei hoher Vergrößerung die für neuronale Regeneration typischen Wachstumskegel beobachten (Abb. 3.3.3). Kontrolle NAP ADNF-9 BDNF/ CNTF Abb. 3.3.3: Wachstumskegel der Neuriten retinaler Explantate (P9-P11) nach 72 h in Kulturmedium (Kontrolle), unter Zugabe von NAP, ADNF-9 und BDNF/ CNTF. Digitalfotografien nach Färbung der Explantate und der aussprossenden Fortsätze mit Sudanschwarz. Vergrößerung 400fach. 37 IV. DISKUSSION 4.1 Gabapentin-Laktam 4.1.1 Neuroprotektion In der vorliegenden Arbeit wird zum ersten Mal ein positiver Effekt von GBP-L auf das Überleben retinaler Ganglienzellen in vitro beschrieben. Die Wirkung von GBP-L wurde unter minimal essentiellen Bedingungen in Kulturen gereinigter RGZ getestet, in denen sowohl die trophischen Faktoren des Gewebes als auch die natürliche Stützfunktion des Zellverbands (Netzwerk) fehlten. Die Behandlung der Kulturen mit 32 µM GBP-L steigerte das Überleben auf 145 % im Vergleich zu den Kontrollen. Der Effekt war konzentrationsabhängig. Das Ergebnis steht in Einklang mit einer früheren Untersuchung in vivo, in welcher der neuroprotektive Effekt von GBP-L auf RGZ in einem Modell für Netzhautischämie bei der Ratte getestet wurde (Lagrèze WA 2001). Vor einer einstündigen Ischämie wurde GBP-L intraperitoneal appliziert. Die Untersuchung der Netzhautquerschnitte zeigte, dass die Überlebensrate der RGZ von 28 % auf 70 % unter GBP-L stieg. Dabei wurde eine Dosis von 75 mg/kg verabreicht, die Blutkonzentration wurde nicht ermittelt. Der Vergleich von GBP-L mit CNTF und BDNF diente der Relation des neuroprotektiven Effekts. Beide neurotrophen Faktoren versorgen Ganglienzellen unter physiologischen Bedingungen (Johnson JE 1986; Stockli KA 1991). RGZ exprimieren die Rezeptoren für CNTF und BDNF (Cellerino A 1997; Kirsch M 1997). In Kultur isolierter RGZ steigerte die Kombination von CNTF und BDNF wirksam das Überleben sowohl von Zellen embryonaler als auch neugeborener Ratten (Meyer-Franke A 1995). In der vorliegenden Arbeit stieg das Überleben der RGZ unter Behandlung mit der Kombination auf 177 %. Der Effekt von BDNF plus CNTF war größer als bei der Behandlung mit GBP-L allein. Dieses Ergebnis ist schlüssig, wenn man bedenkt, dass eine einzelne Substanz mit der Kombination zweier potenter Stoffe konkurrierte. Die Möglichkeit, dass GBP-L in Kombination mit BDNF oder CNTF oder beiden einen größeren Wirkmechanismen vermutet werden. Effekt hervorruft, besteht, da verschiedene 38 4.1.2 Wirkmechanismus Der Wirkmechanismus von GBP-L war bislang unklar. Es wurde vermutet, dass GBP-L KATP-Kanäle öffnet (Jehle T 2000). Diese Kanäle sind in der Zellmembran lokalisiert, liegen aber auch in der inneren Mitochondrienmembran (Kubo Y 1993; Inagaki N 1995a; Inagaki N 1995b). Sinkt die ATP-Konzentration unter Energiemangel, führt das Öffnen der Kanäle zu einer Hyperpolarisation der Zellmembran (Kersten JR 1998). Mehrere Untersuchungen wiesen die Bedeutung von KATP-Kanälen bei kardialer und cerebraler ischämischer Präkonditionierung nach (Liu Y 1992; Heurteaux C 1995; Liu Y 1999; Tanno M 2001). Dieses Phänomen besteht darin, dass eine kurze Ischämie vor einer folgenden, längeren Ischämie schützt. An dem Prozess sind Adenosin, die Aktivierung von Adenosin A1Rezeptoren und KATP-Kanälen beteiligt. KATP-Kanalöffner imitierten den Effekt der ischämischen Präkonditionierung, wohingegen Antagonisten den Effekt verringerten (Heurteaux C 1995; Tanno M 2001). Diese Ergebnisse stützen die These, dass KATP-Kanäle eine bedeutende Rolle in dem Prozess der ischämischen Präkonditionierung spielen. So verhindert die Gabe von KATP-Kanalöffnern das Absterben von Neuronen im Hippocampus nach ischämischen Insulten. Dieser Effekt kann durch den KATP-Kanal-Antagonisten Glipizide blockiert werden (Heurteaux C 1993). Um die These zum Wirkmechanismus von GBP-L zu testen, wurden in der vorliegenden Arbeit bekannte KATP-Kanalblocker eingestzt. Als erstes wurden die isolierten RGZ mit dem KATP-Kanal-Antagonist Glibenclamid inkubiert, der sowohl an den Kanälen der Zellmembran als auch an denen der Mitochondrien wirkt (Kersten JR 1998). Die Inkubation der RGZ mit Glibenclamid verringerte den protektiven Effekt von GBP-L. Die Analyse der Ergebnisse zeigte, dass Glibenclamid die Konzentrations-Wirkungs-Kurve von GBP-L nach rechts verschob mit einem pA2 Wert von 6.8. Der pA2 ist ein Maß für die Potenz eines Antagonisten. Andere Untersuchungen lieferten vergleichbare pA2 Werte für Glibenclamid (Eltze 1989; Satoh K 1991; Freiman TM 2001). Die Ergebnisse legen nahe, dass Glibenclamid als kompetitiver Antagonist von GBP-L gewirkt hat. Als zweite Substanz wurde 5-HD verabreicht. 5-HD ist ein spezifischer Antagonist der mitochondrialen KATP-Kanäle (Liu Y 1992; Hu H 1999; Liu Y 1999; Kicinska A 2000). In meinen Versuchen blockierten 100 µM 5-HD vollständig den Effekt von GBP-L in sättigender Konzentration von 32 µM. Dieses Ergebnis stützt die Vermutung, dass GBP-L als 39 KATP-Kanal-Agonist an den mitochondrialen Kanälen wirkte. Aus beiden Untersuchungen kann man schließen, dass der protektive Effekt von GBP-L auf die isolierten RGZ auf das Öffnen von KATP-Kanälen zurückzuführen ist. 4.1.3 KATP-Kanal-Agonisten in vitro Es stellt sich die Frage, auf welche Weise das Öffnen von mitochondrialen KATP-Kanälen zur Protektion beiträgt [zur Übersicht siehe (Szewczyk A 1999; O'Rourke 2000; Szewczyk A 2002)]. Mitochondrien sind die Energielieferanten der Zelle und synthetisieren ATP. Der Transport von Protonen ins Cytoplasma entlang der Atmungskette führt zum Aufbau des transmembranären Potentials und des pH-Gradienten über die mitochondriale Membran. Die Aufrechterhaltung dieser Gradienten ist grundlegend für die Funktion der Organellen. KATPKanalöffner erhöhen die Permeabilität für Kalium an der inneren Mitochondrienmembran und senken das transmembranäre Potential (Kicinska A 2000; Szewczyk A 2002). Es wird vermutet, dass die Potenzialverringerung die Mitochondrien entlastet, da der Energieverbrauch abnimmt, wenn einer anstelle von zwei Gradienten aufrechterhalten werden muss. Die Abnahme des Potenzials führt durch eine partielle Entkopplung der Atmungskette zu einer verminderten Produktion freier Sauerstoffradikale (Skulachev 1996). Weitere Studien zeigten, dass die Produktion von ATP durch KATP-Kanalöffner steigt (Wang Y 1999; Garlid 2000). Vermutet wurde, dass der protektive Effekt auf einer Senkung der mitochondrialen Calciumüberladung beruhe (Crestanello JA 2000). Die Beteiligung von KATP-Kanälen an Anti-Apoptoseprozessen wurde auch auf dem Niveau der Genexpression nachgewiesen. Untersuchungen zeigten, dass KATP-Kanalöffner die Ischämie induzierte Expression von cfos, c-jun, heat shock protein und ß-Amyloid Vorläufergenen verhinderten (Heurteaux C 1993) und in hippokampalen Neuronen zu einer gesteigerten Expression der antiapoptotischen Proteine Bcl-2 und Bcl-X führten (Jakob R 2000a). 4.1.4 Vergleich GBP-L und Gabapentin Im Vergleich zu GBP-L erzielte Gabapentin in derselben Konzentration keinen Effekt auf das Überleben der RGZ. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass es in der gewählten Konzentration von 32 µM nicht den erforderlichen Wirkspiegel in den RGZ Kulturen erreichte, während GBP-L bei 32 µM den maximalen Effekt erzielte. Eine andere Möglichkeit 40 ist, dass die isolierten RGZ Gabapentin nicht metabolisieren können. In vivo wirkte GBP-L bei Untersuchungen zur Netzhautischämie neuroprotektiv, nicht jedoch Gabapentin (Lagrèze WA 2001). Es wurde vermutet, dass Gabapentin in eine wirksame Form umgewandelt werden muss, bevor es neuroprotektiv wirkt. Betrachtet man den Wirkmechanismus auf zellulärer Ebene, mag die Ursche darin liegen, dass GBP-L seine Wirkung vor allem an mitochondrialen KATP-Kanälen entfaltet, während Gabapentin an den sarkolemmalen Kanälen angreift. Elektrophysiologische Untersuchungen zeigten, dass GBP-L mitochondriale KATP-Kanäle aktivierte und das Membranpotential senkte, während Gabapentin kaum einen Effekt auf das mitochondriale Potential hatte (Jehle T 2000). In Hinblick auf eine Pharmokotherapie ist das Laktam dem Gabapentin in einer weiteren Hinsicht überlegen, da es die Blut-Hirn-Schranke und die Blut-Retina-Schranke besser penetriert. 4.1.5 Ausblick Die vorliegende Arbeit zeigt den protektiven Effekt von GBP-L auf isolierte RGZ in vitro. In folgenden Studien sollte der Effekt von GBP-L in Hinblick auf Änderungen des mitochondrialen Stoffwechsels genauer untersucht werden. In vivo sollten sich Studien zum Effekt z.B. nach intravitrealer Injektion bei Läsion des Sehnerven oder in Glaukommodellen anschließen, um die Einsatzmöglichkeiten von GBP-L in der Therapie akuter und chronischer Erkrankungen der Retina zu untersuchen. 4.2 Neuropeptide NAP und Activity-dependent neurotrophic factor-9 (ADNF-9) 4.2.1. Neuroprotektion Die Untersuchungen zeigen einen positiven Effekt der Neuropeptide NAP und ADNF-9 sowohl auf das Überleben von isolierten Ganglienzellen in Kultur als auch auf die Regeneration von Neuriten in Explantaten der Netzhaut. In den Kulturen isolierter Ganglienzellen bei neugeborenen Ratten reduzierten NAP und ADNF-9 in Abhängigkeit von der Konzentration den Zelluntergang. Eine Wirkung wurde bei beiden Peptiden schon bei 41 Konzentrationen um 10-14 M beobachtet. Maximale Effekte wurden jeweils bei 0,1 nM beobachtet. NAP steigerte das Zellüberleben auf bis zu 177 % verglichen mit den Kontrollen. 4.2.2. Neuropeptide in vitro In vitro schützte NAP in vergleichbaren Konzentrationen vor der Degeneration durch verschiedene Neurotoxine in Kulturen cerebraler Kortexneurone und in gemischten Astrozyten-Neuronen-Kulturen des Kortex von neugeborenen Ratten (Bassan M 1999): Im Einzelnen wirkte NAP gegen die natürliche Degeneration der Neurone in Kultur und gegen Zelltod durch elektrische Blockade mit Tetrodotoxin in Konzentrationen von 10-18 M bis 10-14 M und gegen ß-Amyloid Toxizität in Konzentration von 10-16 M bis 10-14 M. NAP (10-16 M bis 10-8 M) verhinderte den durch das exzitotoxische N-methyl-D-Aspartat (NMDA) induzierten Zelltod und bot Schutz vor dem toxischen Effekt von Glykoprotein 120 (gp120), eines der Hüllproteine des human immundeficiency virus (HIV), in Konzentrationen von 10-15 M bis 10-10 M. Wie für andere Neuropeptide und Wachstumsfaktoren wurde für NAP und ADNF-9 mehrfach ein umgekehrt U-förmiger Verlauf der Konzentrations-Wirkungs-Kurve aufgezeichnet. Der wirksame Bereich war meist ungewöhnlich breit und erstreckte sich beispielsweise für NAP über sechs Zehnerpotenzen. ADNF-9 schützte vor dem Neurotoxin ß-Amyloid in Kulturen von Neuronen des cerebralen Kortex der Ratte (Zamostiano R 1999). Dosiswirkungsstudien ergaben EC50 von 10-15 M. Der Effekt war in gemischten Glia- und Neuronenkulturen und in isolierten Neuronenkulturen zu beobachten. ADNF-9 schützte Kulturen embryonaler Neurone aus dem Hippokampus der Ratte vor Schäden durch oxidativen Stress, vor FeSO4-induzierter Apoptose und vor Schäden durch Entzug trophischer Faktoren (Glazner GW 1999a). 1 pM und 1 nM ADNF-9 verringerten den FeSO4–induzierten Zelltod auf Kontrollwerte. Es wurde auch eine geringere Akkumulation von ROS in den Mitochondrien beobachtet. In einer weiteren Studie wurde der Effekt von VIP, ADNF-9 und NAP in Kulturen von Phäochromozytomzellen der Ratte (PC12), menschlichen Neuroblastomzellen und cerebellären Körnerzellen der Ratte untersucht, die durch die Toxine Dopamin, 6-Hydroxydopamin (6-OHDA) und 1-methyl-4phanylpyrimidinium Ionen (MPP+) geschädigt wurden (Offen D 2000). ADNF-9 und NAP schützten die Nervenzellen in Konzentrationen von 10-18 M bis 10-10 M gegen Dopamin und 6-OHDA. ADNF-9 induzierte in picomolaren Konzentrationen die Aktivierung von NF-kB in 42 Neuronen und schützte gegen oxidativen Stress und Degeneration durch Entzug trophischer Faktoren (Glazner GW 2000). In Kulturen von sensorischen Ganglienzellen aus dem Rückenmark verdoppelte ADNF-14 (0,1 fM) den Anteil der Neurone in Kultur, die Neuriten ausbildeten (White D 2000). NAP verhinderte den Zelluntergang durch ß-Amyloid Toxizität und Glucose-Deprivation in Kulturen isolierter Neurone des Kortex bei neugeborenen Ratten (Zemlyak I 2000). Dabei lag die Konzentration, um einen maximalen Effekt nach 24 h Toxinexposition zu erzielen, bei 10-12 M NAP, bei einer Inkubationszeit von 5 Tagen mit ßAmyloid und einmaliger Applikation von NAP zu Beginn lag sie bei 10-10 M. In einem Modell für oxidativen Stress führte H2O2 zu einer Abnahme des Zellüberlebens von bis zu 50 % (Steingart RA 2000). ADNF-9 und NAP, die vor oder während der H2O2-Gabe zu den Kulturen gegeben wurden, verringerten das Absterben der Zellen und führten zu einer Steigerung der Überlebensrate auf 80 - 90 %. NAP schützte PC12 Zellen gegen TNF-αToxizität in Abhängigkeit von der Konzentration; maximale Effekte wurden bei 10-14 M beobachtet (Beni-Adani L 2001). In Kulturen von cerebralen Kortexneuronen der Ratte führte NAP (10-16 M bis 10-7 M) zu einem Anstieg des intrazellulären Gehalts an cGMP (AshurFabian O 2001). In einer Konzentration von 10-10 M steigerte NAP den extrazellulären Spiegel von Stickoxid (NO) um 60 %. Bei ADNF-9 wurde in gemischten Kulturen von Neuronen und Gliazellen ein Abschwächung des neuroprotektiven Effektes bei hohen Konzentrationen beobachtet, während in isolierten Nervenzell-Kulturen keine Minderung des Effekts auch bei hohen Konzentrationen von ADNF-9 beobachtet wurde (Brenneman DE 1998). Verschiedene Erklärungen lassen sich prinzipiell für die erste Beobachtung heranführen: 1) Rezeptor Downregulierung, 2) Stimulation eines anderen Rezeptors mit entgegengesetzter Funktion, 3) partielle Aktivität als Agonist und Antagonist und 4) Selbstassoziation bei hohen Konzentrationen. Es wird vermutet, dass ADNF-9 sowohl mit Neuronen als auch mit Gliazellen interagiert in der Weise, dass ADNF-9 nicht-neuronale Zellen zur Sekretion modulatorischer Substanzen stimuliert, welche den Effekt bei höheren Konzentrationen möglicherweise vermindern. Es könnte sich dabei um eine generelle Charakteristik von Neuropeptiden handeln. Sie zeigen in gemischten Kulturen häufig einen umgekehrt U-förmigen Verlauf der KonzentrationsWirkungs-Kurve, die durch das Modell der modulativen, interaktiven Zellantwort erklärt würde. 43 4.2.3. Neuropeptide in vivo Ein neuroprotektiver Effekt von NAP und ADNF-9 ist in einigen in vivo Untersuchungen beobachtet worden. Zur Induktion einer Alzheimer-Erkrankung wurde Ratten ein cholinerger Blocker intracerebroventriculär appliziert (Gozes I 1996). Es kam zum Untergang cholinerger Neurone, und die Tiere entwickelten Symptome im Sinne einer Alzheimerschen Erkrankung. Die intranasale Applikation von SNV verhinderte die Beeinträchtigung des räumlichen Lernens und Defizite in der Gedächtnisleistung. NAP zeigte bei normalen Tieren eine neuroprotektive, Gedächtnis fördernde Wirkung (Gozes I 2002). Gesunde Tiere, die NAP inhalierten, hatten eine verbesserte Leistung im Training des Kurzzeitgedächtnis im Vergleich zu Placebo behandelten gesunden Ratten. NAP wurde Apolipoprotein-E (ApoE) defizienten Mäusen injiziert. Sie bildeten schneller als die unbehandelten Kontrolltiere entwicklungsbedingte Reflexe aus und waren vor Defiziten im Kurzzeitgedächtnis geschützt (Bassan M 1999). Als Maß für neurodegenerative Prozesse wurde die Aktivität der CholinAcetyl-Transferase gemessen, die bei ApoE-defizienten Mäusen verringert ist. Unter NAP lag sie auf dem Niveau gesunder Kontrolltiere. Im Unterschied zu NAP konnte ADNF-9 die Aktivität nicht signifikant erhöhten. Dies kann auf unterschiedlichen Wirkmechanismen von NAP und ADNF-9 oder einer Differenz in der Effektivität beruhen. In einem Modell für geschlossenes Schädelhirntrauma bei Mäusen senkte NAP, subkutan injiziert, die Mortalität und beschleunigte die klinisch-neurologische Rehabilitation (Beni-Adani L 2001). Untersuchungen des Hirngewebes zeigten eine Reduktion des Hirnödems um 70 % bei NAP behandelten Tieren. Das Ausmaß Magnetresonanztomographie-Aufnahmen des beurteilt. Schädelhirntraumas Die Bilder wurde demonstrierten in einen Rückgang der morphologischen Schäden unter NAP. In einem Modell für das fetale Alkoholsyndrom verursachte die intraperitoneale Injektion von Alkohol bei schwangeren Mäusen den intrauterinen Tod sowie eine Verlangsamung von Entwicklung und Wachstum (Spong CY 2001). Sowohl Tod als auch Retardierung beruhten auf den schweren oxidativen Schäden durch den Alkohol. Die Kombination von ADNF-9 und NAP verhinderte den Tod. Die Peptide verringerten gemeinsam die Rate an Wachstumsanomalitäten, während jedes Peptid für sich allein keine Besserung brachte. Dies ist ein Hinweis darauf, dass NAP und ADNF-9 eine additive Wirkung entfalten, die auf unterschiedlichen Reaktionswegen der Peptide beruhen könnte. In einem Schlaganfallmodell bei hypertensiven Ratten wurde NAP intravenös appliziert und reduzierte die Infarktgröße sowie die motorische Beeinträchtigung sowohl kurz nach dem Infarkt als auch im Verlauf von 30 Tagen (Leker RR 2002). Die 44 Injektion von NAP bewirkte eine deutliche Abnahme der Apoptose, wie TUNEL- (terminal deoxynucleotidyl transferase-mediated dUTP nick end labeling) und Kaspase-3-Färbungen zeigten (Leker RR 2002). In einem Mausmodell für geschlossenes Schädelhirntrauma zeigte NAP einen Langzeitschutz vor Defekten (Romano J 2002). 15 min nach der Verletzung wurde den Tieren entweder NAP oder die Vehikelsubstanz subkutan injiziert, eine dritte Gruppe erlitt kein Trauma. Anhand einer neurologischen Skala wurde die Leistung zu unterschiedlichen Zeitpunkten bis zu 45 Tage post Trauma bestimmt. In Ergänzung wurde die prophylaktische Gabe von NAP in einem Modell für Schädelhirntrauma bei Mäusen untersucht (Zaltzman R 2003). NAP wurde in den ersten drei Lebenswochen verabreicht und das Schädelhirntrauma erfolgte im Alter von vier Monaten. Nach dem Trauma wurden die Mäuse auf motorische Fähigkeiten, Gleichgewichtssinn und Wachheit (Alertness) untersucht. Vergleiche zeigten eine schnellere und bessere Rehabilitation der Tiere, die mit NAP behandelt wurden. 4.2.4. Wirkmechanismus Die Untersuchungen in vitro und in vivo demonstrieren die neuroprotektive Potenz der Peptide NAP und ADNF-9, geben aber keinen Aufschluss über den genauen Wirkmechanismus. Aufnahme Es ist nicht bekannt, ob Rezeptoren für ADNF oder die Peptide auf der Zelloberfläche von Neuronen vorhanden sind oder ob sie retrograd axonal transportiert werden können. Untersuchungen legen nahe, dass die Rezeptor-vermittelte Endozytose an der Aufnahme von ADNF oder ADNF-9 beteiligt sein könnte (Brenneman DE 1998). Es handelt sich um einen universellen Mechanismus zur Aufnahme von Makromolekülen in die Zelle (Goldstein JL 1979). Die Aktivierung der Rezeptoren induziert die Internalisierung der Ligand-RezeptorKomplexe in Endosomen. Für die Endosombildung ist die H+-ATPase besonders wichtig, sie generiert ein saures Milieu innerhalb der Endosomen (Yocum SA 1995). Bafomycin A1 ist ein spezifischer Inhibitor der H+-ATPase und führt zu Zelltod, Wachstumsstopp und der Kondensation von Chromatin. Es gilt als Inhibitor der Rezeptor-vermittelten Endozytose. In Nervenzellkulturen inhibierte Bafomycin A1 den protektiven Effekt von ADNF-9 gegen 45 Tetrodotoxin (TTX). Die Schlussfolgerung ist, dass die Aufnahme von ADNF-9 via Rezeptor vermittelter Endozytose geschehen könnte. Aktivierung von Transkriptionsfaktoren Betrachtet man den Langzeiteffekt von ADNF-9 in vitro (z.B. Protektion für 4 Tage nach nur 2 h Inkubation), scheint es wahrscheinlich, dass die Wirkung der Peptide auf intrazellulären Verstärkungsmechanismen beruht. ADNF und ADNF-9 könnten die Regulation der Proteinsynthese durch Aktivierung von Transkriptionsfaktoren beeinflussen oder selbst als Transkriptionsfaktoren an DNA binden (Brenneman DE 1998). Untersuchungen, in denen die Aktivierung unterschiedlicher intrazellulärer Faktoren beobachtet wurde, stützen diese Vermutungen: (1) ADNF-9 verringerte die Reduktion von hsp60 durch ß-Amyloid (siehe unten; (Zamostiano R 1999). (2) ADNF-9 induzierte eine gesteigerte DNA-Bindungsaktivität von NF-kB (Glazner GW 2000). NF-kB wird in weiten Teilen des Nervensystems exprimiert und man beobachtet eine schnelle Aktivierung unter ischämischen Bedingungen, sowie auf Stimulation von Glutamat-Rezeptoren und TNF-Rezeptoren hin. In Modellen für den entwicklungsbedingten Untergang von Neuronen durch Apoptose und in Modellen für M. Alzheimer, M. Parkinson, Schlaganfall, Amyotrophe Lateralsklerose und Epilepsie konnte die kritische Rolle von NF-kB im Schutz vor neuronalem Untergang gezeigt werden. Dies wäre ein plausibler Mechanismus für die neuroprotektive Wirkung der Peptide, deren Effekt unter anderen auf der Aktivierung von NF-kB beruht. (3) ADNF und ADNF-14 aktivierten Proteinkinase A und den Transkriptionsfaktor CREB (White D 2000). Dabei bleibt unklar, ob ADNF direkt oder über Zwischenschritte den Reaktionsweg Proteinkinase A – Phosphorylierung von CREB anstößt. Die Aktivierung von CREB führt aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem Anstieg von regulatorischen Proteinen, die sich auf das Wachstum der Neurone auswirken. Untersuchungen haben gezeigt, dass CREB die Entwicklung und Plastizität der Dendriten bei Neuronen des Hippokampus beeinflusst. (4) NAP stimulierte die Produktion von cyclischem Guanosinmonophosphat (cGMP), einem intrazellulären second messenger, und erhöhte extrazellulär die Konzentration von Stickoxid (NO) (Ashur-Fabian O 1999; Ashur-Fabian O 2001). NAP Konzentrationen, die einen cGMP Anstieg hervorriefen, stimmen mit neuroprotektiven Konzentrationen aus anderen Untersuchungen überein. Der NO-Anstieg konnte nur bei höheren Konzentrationen beobachtet werden. Es wurde vermutet, dass cGMP den neuroprotektiven Effekt vermittelte, während NO einen Teil zu den Zell-ZellInteraktionen und der natürlichen Aktivität von VIP, SNV und NAP im Gewebe beiträgt. 46 Mechanismen beim Schutz vor Neurotoxinen Es gibt differenzierte Hinweise auf die intrazellulären Mechanismen, die am Schutz gegen den Zelltod durch Neurotoxine beteiligt sind. Zu den Neurotoxinen zählen Tetrodotoxin, das zu einer elektrischen Blockade führt, ß-Amyloid, das mit der Alzheimerschen Erkrankung in Verbindung gebracht wird, das exzitotoxische N-methyl-D-Aspartat (NMDA) und Glykoprotein 120 (gp120), Hüllprotein des human immundeficiency virus (HIV). (1) Zemlyak et al. berichteten über Neuroprotektion von NAP vor toxischem ß-Amyloid in Kulturen isolierter Neurone des Kortex bei neugeborenen Ratten (Zemlyak I 2000). Sie stellten die These auf, dass NAP durch Beeinflussung des Glucosemetabolismus vor Toxizität durch ß-Amyloid schützt, da gleiche Reaktionswege für ß-Amyloidtoxizität und GlucoseDeprivation aufgezeigt wurden. ß-Amyloid induziert in menschlichen Neuronen eine Verringerung der Expression des antiapoptotischen Proteins Bcl-2 und steigert die Expression von Bax, einem Protein, das den apoptotischen Zelltod fördert (Paradis E 1996). ß-Amyloid führt zur Bildung freier Sauerstoffradikale, in der Folge zu Lipidperoxidation und verringert den Glucosetransport. Unter ß-Amyloid treten Mutationen und mitochondriale Dysfunktion auf (Schapira 1996). Schutz vor ß-Amyloid Toxizität durch die Peptide zeigt, dass ADNF-9 und NAP in die genannten Prozesse eingreifen und den Zelluntergang verhindern könnten. (2) In Kulturen von Neuronen des cerebralen Kortex der Ratte konnte in Northern und Western Blot Analysen gezeigt werden, dass ß-Amyloid die Menge an intrazellulärem hsp60 reduzierte (Zamostiano R 1999). ADNF- 9 steigerte die Expression hsp60 und inhibierte den Effekt von ß-Amyloid. Hsp60 ist ein Stressprotein, das eine Rolle bei der Faltung von Proteinen spielt und wichtig für das Zellüberleben ist. Auch erhöhte Temperaturen (42° C) führten bei Neuronen zur hsp60 Produktion. Die Untersuchungen zeigen, dass extrazelluläres ADNF-9 die Bildung von hsp60 intrazellulär steigert beziehungsweise die Abnahme durch ßAmyloid verhinderte und dadurch die Resistenz der Neurone gegen Toxine stärkt. (3) Oxidativer Stress ist ein wichtiger Trigger der Neurodegeneration. Reaktive Sauerstoffspezies (ROS) tragen zu akuten Prozessen wie Apoplex und Schädelhirntrauma und chronischen Prozessen wie Amyotrophe Lateralsklerose, M. Huntington oder M. Alzheimer bei (Satoh T 1996). ROS sind führen zur Zerstörung von Proteinen, Lipiden und DNA und erzeugen toxische Abbauprodukte. FeO4 induziert die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies und führt zum Zelltod. ADNF-9 schützte Kulturen embryonaler Neurone aus dem Hippokampus 47 der Ratte vor Schäden durch oxidativen Stress, vor FeSO4 induzierter Apoptose und Schäden durch den Entzug trophischer Faktoren (Glazner GW 1999a). VIP, SNV, ADNF-9 und NAP schützten PC12 Zellen vor oxidativem Stress durch H2O2 (Steingart RA 2000). Die Inkubation von VIP führte zu einem Anstieg der mRNA für VIP, während die Inkubation mit NAP nicht zu einer Änderung der Expressionsrate führte, so dass unterschiedliche Reaktionswege für VIP und NAP postuliert werden sollten. Dahingegen verhinderte die Zugabe von Antikörpern gegen ADNF-9 die Wirkung von VIP, so dass hier vermutet werden kann, dass der Effekt von VIP zumindest zum Teil von ADNF-9 vermittelt wird. Charkteristisch für den Schutz vor oxidativem Stress ist der Erhalt der mitochondrialen Funktion und die verminderte intrazelluläre Ansammlung von ROS (Glazner GW 1999a; Steingart RA 2000). ADNF-9 wirkte der FeSO4-Toxizität entgegen und inhibierte die Akkumulation von ROS in den Mitochondrien. Der Entzug trophischer Faktoren kann zum Untergang von Neuronen führen und beruht letztlich auf der Akkumulation von ROS. Es kommt zur Lipidperoxidation, einer verminderten Funktion der Mitochondrien und dem Verlust der Kalzium-Homeostase (Kane DJ 1993). Die Ergebnisse der Studien legen nahe, dass ADNF-9 und NAP antioxidative Schutzmechanismen aktivieren und damit bei einer Vielzahl von neurodegenerativen Erkrankungen protektiv wirken könnten. Die gleichen Prozesse konnten auch in einem Genmutationsmodell beobachtet werden (Guo Q 1999). Hippokampale Neuronen mit der Mutantion PS1 zeigen eine erhöhte Produktion von ß-Amyloid und eine erhöhte Empfindlichkeit gegen Exzitotoxizität. Dabei ist die Antwort auf Glutamat in der Weise verändert, dass es zu einem Anstieg von Kalzium kommt, vermehrt ROS gebildet werden und die Funktion der Mitochondrien gestört wird. ADNF stabilisierte den intrazellulären Kalziumspiegel, unterbrach die ROS-Produktion und verhinderte die mitochondriale Dysfunktion. Damit konnte gezeigt werden, dass neurotrophe Faktoren im Stande sind, neurodegenerative Kaskaden zu unterbrechen. Der Schaden, den Dopamin in einem Modell für M. Parkinson hervorruft, hängt vom Reduktions- /Oxidations- (red/ox) Status des Glutathion (GSH) ab (Offen D 2000). In vitro wurde bei Neuroblastomzellen die GSH-Synthese durch Buthioninsuloximin blockiert, so dass der GSH-Gehalt vermindert war und das Überleben um 70 - 90 % abnahm. Sowohl VIP als auch ADNF-9 und NAP verhinderten diesen Rückgang und wirkten neuroprotektiv. Die Ergebnisse legen nahe, dass VIP upstream, also im Stoffwechselweg vor den GSH-bildenden Substanzen wirken könnte und so noch ein breiteres Spektrum an Schutzmechanismen 48 aktiviert als andere Substanzen. Es war bereits bekannt, dass Substanzen, die in den GSHStoffwechsel eingreifen, gegen Dopamintoxizität schützen können. Die Anwendung war auf Grund der mangelnden Penetranz der Blut-Hirn-Schranke limitiert. VIP, SNV und die kurzen Peptide NAP und ADNF-9 zeigten eine gute Penetranz und wirken in sehr geringen Konzentrationen. In vivo beeinflusste NAP den red/ox-Status der Zellen und führte zu einem messbaren Anstieg von GSH (Spong CY 2001). (4) Schädelhirntraumata führten zu einem Anstieg des neurotoxisch wirkenden TNF-α (BeniAdani L 2001). NAP verringerte den Schaden durch die Traumata, so dass man vermutet, dass NAP die Bildung oder den Effekt von TNF-α inhibiert. Die Langzeit-Akkumulation von TNF-α ist mit der Neurodegeneration bei AIDS-Demenz, M. Alzheimer und M. Parkinson in Verbindung gebracht worden und das Schädelhirntrauma ist als Risikofaktor für M. Alzheimer postuliert worden. Damit könnte NAP nicht nur bei akuten Schäden sondern auch bei chronischen degenerativen Erkrankungen des Nervensystems eine Bedeutung beigemessen werden. Präkonditionierung Nervengewebe kann durch verschiedene Mechanismen gegen Ischämie präkonditioniert werden. Darunter fallen Episoden subletaler Ischämie, moderate Hypoglykämie und Hitze. Es konnte beobachtet werden, dass SNV, das lipophile Analogon zu VIP, das Phänomen der Präkonditionierung bei PC12 Zellen imitierte (Sigalov E 2000). Unter Bedingungen einer eingeschränkten Glykolyse, regulierte SNV die ADNP Synthese. Studien zur ischämischen Präkonditionierung legten eine direkte Interaktion zwischen Zytoskelett und Mitochondrien nahe (Baines CP 1999). Dies könnte einen Hinweis auf den Wirkmechanismus von NAP liefern, da gezeigt wurde, dass NAP in vitro direkt mit Tubulin, einem wichtigen Baustein des Zytoskeletts interagierte (Divinski I 2004). 4.2.5. Neuroregeneration Meine Ergebnisse zeigen neben dem neuroprotektiven Effekt auf isolierte RGZ neugeborener Ratten den Einfluss der Peptide auf das Neuritenwachstum in retinalem Gewebe älterer Tiere. Es konnte gezeigt werden, dass die Fähigkeiten der RGZ zu neuronalem Wachstum zum Zeitpunkt P9 bis P12 denen bei adulten Tieren vergleichbar sind (Allcutt D 1984a; b). Sowohl 49 ADNF-9 als auch NAP stimulierten das Neuritenwachstum in den Netzhautexplantaten bis zu 134 %. Da nur eine Konzentration getestet wurde, lässt sich keine Aussage über eine Konzentrationsabhängigkeit treffen. Diese ist aber wahrscheinlich, betrachtet man die Ergebnisse an den isolierten RGZ, deren Charakteristik unter anderen das Wachstum von Zellfortsätzen war, und die Ergebnisse vorausgegangener Peptid-Studien, die eine Konzentrationsabhängigkeit beobachten. Die stärkste Wirkung erzielten in den Explantatkulturen BDNF und CNTF, so wie auch in den Ganglienzellkulturen. Die Kombination dieser beiden neurotrophen Faktoren konnte das Neuritenwachstum im Vergleich zu den Kontrollen etwa verdoppeln. In der Literatur sind vergleichbare Effekte auf das Überleben und die Regeneration von RGZ nach Schädigung des Sehnerven und retrograder Markierung der Nervenzellen beschrieben (Mey J 1993; MansourRobaey S 1994). Auch Meyer-Franke et al. beschreiben maximale Effekte in Ganglienzellkultur unter BDNF und CNTF (Meyer-Franke A 1995). Die Kombination ist den einzelnen Peptiden überlegen. NAP und ADNF-9 wurden nicht zusammen an den Explantatkulturen getestet. Die Ergebnisse aus den Retinaexplantaten stehen in Einklang mit anderen Beobachtungen. Sowohl NAP als auch ADNF-9 stimulierten das Neuritenwachstum in Kulturen von Neuronen des Hippokampus und des Kortex der Ratte (Smith-Swintosky VL 2000). White et al. zeigten, dass ADNF und ADNF-14 einen positiven Effekt auf das Neuritenwachstum in Kulturen sensorischer Neurone des Rückenmarks haben (White D 2000). Der protektive Effekt wurde in pico- und femtomolaren Konzentrationen erreicht. Die Studie zeigt, dass Proteinkinase A und CREB zum Neuritenwachstum unter NAP und ADNF-9 beitragen. CREB ist generell an Prozessen der Neuroregeneration, dem Neuritenwachstum und der Signaltransduktion von Wachstumsfaktoren beteiligt. Es fördert die Entwicklung und Plastizität der Dendriten bei Neuronen. An Kulturen von Neuronen des Hippokampus wurde demonstriert, dass VIP mittels ADNF und ADNF-9 die Differenzierung von Neuronen und Bildung von Synapsen fördert (Blondel O 2000). ADNF-9 stimulierte die Synapsenbildung embryonaler Neurone in Abhängigkeit von der Konzentration (Emax bei 10-16 M). Zellzahl sowie Länge und Anzahl der Dendriten nahmen bei den hippokampalen Neuronen zu. Die Untersuchungen zeigten, dass ADNF-9 direkt auf Neurone Einfluss nimmt. Die Tatsache, dass ADNF-9 in sehr geringen Konzentrationen wirkt, ist ein Hinweis darauf, dass ein potentes Amplifikationssystem auf das Signal folgt. Man vermutet, dass über den neuro-glialen 50 Reaktionsweg von VIP über ADNF und NT-3 von einem frühen embryonalen Stadium an die Entwicklung und Ausbildung der Synapsen exzitatorischer Neurone beeinflusst wird. ADNF9 stimuliert und reguliert die Sekretion von NT-3. Untersuchungen mit Antiserum gegen ADNF-14 und ADNF-9 zeigten, dass ein endogener VIP-ähnlicher Faktor im Gewebe vorliegt und die natürliche Ausbildung der Synapsen reguliert. Diese These wird dadurch gestützt, dass VIP von den untersuchten Neuronen des Hippokampus exprimiert wird (Blondel O 2000). Studien zu NAP zeigen in vitro und in vivo Eigenschaften, die neuronale Plastizität bei der Entwicklung und bei Lernprozessen umfassen (Bassan M 1999). Die Ergebnisse legen nahe, dass NAP direkt oder indirekt an der Ausbildung und Aktivität von Synapsen beteiligt ist. In vivo zeigten sich im Modell für Neurodegeneration durch Apolipoprotein E Unterschiede in den kognitiven Funktionen bei defizienten Mäusen mit und ohne NAP-Applikation. Ergänzend wurden Unterschiede zwischen unbehandelten Kontrolltieren und NAPbehandelten gesunden Mäusen beobachtet. Dies bedeutet, dass NAP nicht nur einen protektiven Effekt bei den defizienten Mäusen ausübt, sondern auch die Funktion gesunder Tiere verbessert. Damit müssen ergänzende Prozesse neben der Zunahme der Anzahl und Aktivität der Synapsen eine Rolle spielen. Die Stimulation der Synaptogenese könnte den Effekt von VIP, ADNF-9 und NAP auf Lern- und Gedächtnisleistungen erklären. 4.2.6. Mitogene Aktivität – Wachstum und Genexpression Die Tatsache, dass NAP die neuronale Plastizität und die Synaptogenese beeinflusst, aber bislang keine mitogene Aktivität beobachtet wurde, ist ein klarer Pluspunkt bei der Suche nach einem potenten Neuroprotektivum (Gozes I 2003). Andere neurotrophe Faktoren wie Nerve growth factor (NGF) sind potentiell mitogen und können zu Tumorwachstum führen. Durch Genanalysen konnte gezeigt werden, dass NAP in dem Schädelhirntrauma-Modell ein spezifisches Gen beeinflusste (Romano J 2002). Das Glykoprotein Mac-1 (CD11B Antigen), ein Oberflächenprotein von Macrophagen und Mikrogliazellen und damit ein Marker für Entzündungsprozesse, war in den Läsionsgebieten des Gehirns nach Trauma erhöht und NAP verringerte die Zunahme. Die Autoren vermuten, dass Mac-1 einen Marker für Langzeitergebnisse nach Schädelhirntrauma darstellt und ein Ziel von NAP sein könnte. Eine gleichsinnige Reduktion der mRNA Expression von Mac-1 durch NAP wurde bei 51 neugeborenen Mäusen beobachtet, die postnatal prophylaktisch NAP erhielten und nach vier Monaten ein Schädelhirntrauma erlitten (Zaltzman R 2003). Andererseits sind für VIP und ADNF mitogene Effekte beschrieben. Sie stimulierten die Mitoseaktivität und beschleunigten embryonales Wachstum (Glazner GW 1999b). In Kulturen von Mäuseembryos nahm die Anzahl an Somiten unter ADNF zu, der Proteingehalt und die DNA-Menge stiegen. ADNF-Antiserum inhibierte das embryonale Wachstum und die Beschleunigung des Wachstums durch VIP. Im gleichen Sinne verhinderte VIP-Antiserum das Wachstum und die Zunahme durch ANDF. Wachstum und Proliferation unter VIP wurden an Glioblastomzellen untersucht (Sharma A 2001). Ein VIP-Rezeptor Antagonist verringerte konzentrationsabhängig das Wachtum der Glioblastomzellen und inhibierte die Proliferation in vitro. Dabei wurden auf zellulärer Ebene geringere Spiegel von cAMP und freiem Kalzium im Zytosol beobachtet. In vivo unterband der VIP-Rezeptor Antagonist die Proliferation von Xenotransplantaten bei Nacktmäusen (Sharma A 2001). In einer Colonkarzinom Zelllinie, die VIP-Rezeptoren exprimierte, konnten einzelne Gene bestimmt werden, deren Expression von VIP beeinflusst wird (Steingart RA 2002). Das VIP-Analogon stimulierte die Expression von HOX A4 und verringerte die Expression von Oct-3. Es handelt sich um Homeoboxgene, die als ‚Mastergene’ die Expression zahlreicher anderer Gene regulieren und damit eine zentrale Funktion bei der Determinierung der gewebespezifischen Entwicklung spielen. Zamostiano et al. beschreiben die Ergebnisse nach Clonierung und Charakterisierung des menschlichen ADNP-Gens und seiner mRNA (Zamostiano R 2001). Die mRNA selbst kann auf Grund der molekularen Struktur DNA binden oder andere DNA-bindende Proteine regulieren. Die ADNP-mRNA besitzt eine Sequenz, die charakteristisch für die Aktivität als Thiotransferase (Reduktion von Glutathion) ist und damit Einfluss auf den red/ox-Status der Zelle nehmen kann. Dies könnte einen Beitrag zum neuroprotektiven Effekt leisten. Der Ort auf Chromosom 20 (20q12-13.2), an dem ADNP lokalisiert ist, wird in verschiedenen Tumorgeweben amplifiziert, darunter Tumoren von Brust, Blase, Ovar, Pankreas und Colon. Die Expression von ADNP und die des Tumorsuppressorgen p53 scheinen umgekehrt zueinander zu korrelieren. Bei einer Abnahme von ADNP wurde eine Zunahme von p53 beobachtet. Die Autoren folgern, dass ADNP an der Aufrechterhaltung der Zellintegrität beteiligt ist und dies möglicherweise über eine Modulation von p53 geschieht (Zamostiano R 2001). ADNP wird nicht im Gewebe von Herz, Skelettmuskulatur, Nieren und Plazenta exprimiert. Endothel und Astrocyten sind besonders VIP-responsiv und exprimieren VIP- 52 Rezeptoren. Es ist möglich, dass ADNP-Nukleinsäuren zur Erkennung von proliferierenden Zellen eine Rolle spielen und Antisense-ADNP-Nukleotide in die antitumoröse Therapie Einzug halten könnten (Zamostiano R 2001). 4.2.7. Applikation und Verteilung im Organismus Aus pharmakologischer Sicht sind die Möglichkeiten der Applikation einer Substanz bei der Entwicklung eines neuen Wirkstoffes interessant. In den Studien zur Neuroprotektion wurden NAP und das lipophile SNV sowohl intranasal appliziert (Gozes I 1996), inhaliert (Gozes I 2002) als auch subkutan (Romano J 2002), intraperitoneal (Beni-Adani L 2001; Spong CY 2001), intravenös (Leker RR 2002) und intracerebroventrikulär injiziert (Gozes I 2001; Gozes I 2002; Gozes I 2003). Studien zur Verteilung mit radioaktiv markiertem SNV ([StNle17]VIP) zeigten, dass intaktes SNV nach intranasaler Applikation die Blut-Hirn-Schranke überwand und im Kortex angereichert wurde (Gozes I 1996). Nach intraperitonealer Gabe bestand eine ausreichende Bioverfügbarkeit, wie Untersuchungen mit radioaktiv markiertem NAP zeigten (Spong CY 2001). Für NAP lag sie bei 10 nM, was im Bereich der effektiven neuroprotektiven Konzentrationen in den vorausgegangenen in vitro Studien liegt. Leker et al. untersuchten die Penetration des Hirngewebes nach Injektion von NAP bei ischämischem Hirnschaden durch Gefäßverschluss (Leker RR 2002). NAP-assoziierte Radioaktivität konnte schon nach 15 min im Gehirn detektiert werden und verblieb wenigstens 1h lang im ischämischen Gewebe, so dass man von einer Akkumulation ausgehen kann. Nach intravenöser Applikation von radioaktiv markiertem NAP wurde Radioaktivität im Hippokampus und Mittelhirn gemessen, 30 min nach Injektion lag eine homogene Verteilung vor. Die Penetration von NAP zeigte in Abhängigkeit von der Konzentration eine beinahe lineare Zunahme in Kortex und Cerebellum (Leker RR 2002). Nach intranasaler Applikation fand sich radioaktiv markiertes NAP nach 30 min in der Leber und im Magendarmtrakt (Gozes I 2003). Im Gehirn lag die Intensität bei 10 bis 20 % der Werte, die im Magendarmtrakt gemessen wurden. Die Ergebnisse nach intraperitonealer Applikation waren denen nach intranasaler Injektion vergleichbar. Es gibt kaum Untersuchungen zum Zeitfenster, in dem NAP oder ADNF-9 gegen neurodegenerative oder neurotoxische Schäden wirken. In dem Modell des fetalen Alkoholsyndrom wurden NAP und ADNF-9 30 min vor Alkoholinjektion und bis zu 1 h 53 danach verabreicht (Spong CY 2001). Bei Administration 3 h nach Alkoholinjektion konnte der protektive Effekt nicht mehr beobachtet werden. In derselben Studie wurde auch ein protektiver Effekt beobachtet, wenn die Behandlung mit den Peptiden der Injektion 10 Tage vorausging. Dies weist auf die Möglichkeit eines prolongierten Schutzes hin. In dem Schlaganfallmodell verminderte NAP die Infarktgröße und motorische Defizite, wenn es 1 h oder 4 h nach dem Insult appliziert wurde, nicht jedoch nach 6 h (Leker RR 2002). Die Applikation bei gesunden neugeborenen Tieren führte zu verbesserten Lern- und Gedächtnisleistungen und zeigt den Erfolg einer prophylaktischen Gabe (Gozes I 2002). Die prophylaktische Gabe von NAP wurde bei Schädel-Hirn-Trauma an neugeborenen Mäusen untersucht (Zaltzman R 2003). NAP wurde in den ersten 3 Lebenswochen verabreicht und das Schädel-Hirn-Trauma erfolgte im Alter von vier Monaten. Die prophylaktische Behandlung mit NAP führte bei dem Vergleich der Fähigkeiten 1h nach dem Trauma und nach 1 Woche zu einer signifikant besseren Leistung der Tiere. In vitro Untersuchungen zur Wirkungsdauer von ADNF-9 zeigten, dass der Effekt in Zellkulturen nach Exposition für 2 h für vier darauffolgende Tage anhielt (Brenneman DE 1998). Die Aktivität von ADNF-9 in den Kulturen war schon nach 15 min erloschen. Dieses prompte Verschwinden beruht möglicher Weise auf einem schnellen Abbau oder der Aufnahme des Peptids in die Zellen. Wurde das Medium nach 15 min ausgetauscht, konnte nicht die volle neuroprotektive Wirkung beobachtet werden. Das bedeutet, die Wirkung des Peptids ist komplex und beruht neben einer direkten intrazellulären Wirkung auch auf Prozessen in den Neuronen und Gliazellen, die zur Produktion von ergänzenden Faktoren im Medium und einer Amplifikation des Effektes führen. 4.2.8 Ausblick Die vorliegende Arbeit zeigt den protektiven Effekt von NAP und ADNF-9 auf isolierte RGZ und auf Netzhautexplantate in vitro. In folgenden Studien sollte der Effekt von NAP und ADNF-9 in Hinblick auf den genauen Wirkmechanismus und Signaltransduktionsweg untersucht werden. In vitro könnte man nach Antagonisten der Peptide suchen, um Rückschlüsse auf den Machanismus zu ziehen. Interessant wäre es, Dosis-Wirkungs-Studien bei den Explantaten anzuschließen und die Kombination von NAP und ADNF-9 in unterschiedlichen Konzentrationen zu testen. Die Ergebnisse anderer Untersuchungen legen einen additiven Effekt nahe. In vivo sollten sich Studien zum Effekt bei Läsion des Sehnerven 54 oder in Glaukommodellen anschließen, um die Einsatzmöglichkeiten von NAP und ADNF-9 in der Therapie akuter und chronischer Erkrankungen der Retina zu untersuchen. Da die Peptide bereits auf zahlreichen Wegen erfolgreich appliziert wurden, könnte man bei neurodegenerativen Erkrankungen am Auge eine systemische Gabe (intraperitoneal oder intranasal) einer lokalen Applikation (Augentropfen oder intravitreale Injektion) gegenüberstellen. Besonders interessant ist die gute Bioverfügarkeit und der nachweisliche neuroprotektive Effekt nach intranasaler Applikation. Denn die intravitreale Injektion ist als interventionelle Methode mit einem nicht zu vernachlässigenden Risiko behaftet. Augentropfen müssen sowohl die Hürde des Tränenfilms als auch der vorderen Augenabschnitte überwinden, bevor die Substanzen den Wirkort in der Retina erreichen können. Die Ergebnisse der Untersuchungen stehen in Einklang mit zahlreichen Studien. Sie rechtfertigen die Hoffnung auf einen Einsatz der Peptide als Neuroprotektiva. 55 V. ZUSAMMENFASSUNG GBP-L, das sich von Gabapentin ableitet, besitzt neuroprotektive Eigenschaften in vivo, vermutlich über das Öffnen mitochondrialer KATP-Kanäle. In der vorliegenden Arbeit untersuchte ich diese Hypothese an Kulturen isolierter retinaler Ganglienzellen (RGZ). RGZ neugeborener Ratten (P0 - P2) wurden mit Thy-1-Immunopanning isoliert und 48 h kultiviert. Das Überleben wurde durch Zählung vitaler RGZ am Phasen-Kontrast-Mikroskop quantifiziert. RGZ wurden mit GBP-L (3,2 – 320 µM) behandelt mit und ohne vorherige Inkubation der Kulturen mit 1 µM Gibenclamid, welches plasmalemmale und mitochondriale KATP-Kanäle blockiert, oder mit 100 µM 5-Hydroxydecanoat (5-HD), spezifischer Antagonist mitochondrialer KATP-Kanäle. Zum Vergleich wurden RGZ mit 32 µM Gabapentin inkubiert. Als Positivkontrolle diente CNTF plus BDNF (je 50 ng/ml). GBP-L steigerte das Zellüberleben konzentrationsabhängig auf bis zu 145 %. Glibenclamid verringerte den protektiven Effekt von GBP-L im Sinne eines kompetitiven Antagonisten. Der spezifische KATP-Kanal-Blocker 5-HD hemmte den Effekt. Gabapentin zeigte keine Wirkung auf das Überleben. CNTF plus BDNF führte zu einer Überlebensrate von 177 %. Die Ergebnisse zeigen, dass GBP-L im Unterschied zu Gabapentin das Überleben der RGZ fördert, wahrscheinlich indem es mitochondriale KATP-Kanäle öffnet. Aktuelle Studien demonstrieren den neuroprotektiven Effekt der Peptide ADNF-9 und NAP. Im gleichen Kultursystem testete ich die Wirkung der Neuropeptide auf isolierte RGZ und untersuchte nachfolgend das Neuritenwachstum in Kulturen von Netzhautexplantaten. RGZ wurden mit NAP oder ADNF-9 (10-18 M bis 10-10 M) behandelt. Netzhautexplantate von älteren Ratten (P9-P11) wurden in einer Fibrinmatrix (72 h) kultiviert und mit 1 µM NAP oder ADNF-9 behandelt. Die aussprossenden Neuriten wurden nach Sudanschwarz-Färbung am Mikroskop beurteilt und die Wachstumsrate im Vergleich zu den Kontrollen bestimmt. Beide Peptide erhöhten die Überlebensrate der isolierten RGZ, ADNF-9 (0,1 pM) auf 177 %, NAP (5 pM) auf 167 %. In den Explantatkulturen steigerten sie das Neuritenwachstum im Vergleich zu den Kontrollen, ADNF-9 führte zu 126 %, NAP zu 117 %. Die Peptide fördern nicht nur das Überleben isolierter Nervenzellen sondern auch das Neuritenwachstum bei Netzhautexplantaten. Weitere Untersuchungen in vitro und in vivo sind nötig, um GBP-L oder NAP und ADNF-9 als neuroprotektive Pharmaka in der Therapie von Erkrankungen der Retina und des optischen Nervs einsetzen zu können. 56 VI. LITERATUR Abele AE M. R. (1990). "Potassium Channel Activators Abolish Excitotoxicity in Cultured Hippocampal Pyramidal Neurons." Neurosci Lett 115: 195-200. Allcutt D B. M., Sievers J (1984a). "A Quantitative Comparison of the Reaction of Retinal Ganglion Cells to Optic Nerve Crush in Neonatal and Adult Mice." Brain Res 318: 219-230. Allcutt D B. M., Sievers J. (1984b). "A Qualitative Comparison of the Reaction of Retinal Ganglion Cells to Optic Nerve Crush in Neonatal and Adult Mice." Brain Res 318: 231-240. Altman D. (1991). "Statistics in Medical Journals: Developments in the 1980s." Stat Med 10: 1897-1913. Ashcroft F. (1988). "Adenosine 5'-Triphosphate-Sensitive Potassium Channels." Annu Rev Neurosci 11: 97-118. Ashkenazi A D. V. (1999). 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Herrn Professor Ralph Lucius vom Anatomischen Institut der Universität Kiel möchte ich herzlich für die Hospitation in seinem Labor danken. Bei ihm habe ich gelernt, Netzhautexplantate zu entnehmen und zu kultivieren. Mein besonderer Dank gilt dabei Frau Sibille Piontek für die freundliche Hilfe bei der technischen Durchführung. Mein herzlicher Dank gilt allen Mitarbeitern und Mitdoktoranden im Labor der Neuroanatomie, die das positive Umfeld meiner Arbeit geprägt haben. Im Einzelnen danke ich Frau Birgit Egle für ihre Hilfe bei immunhistochemischen Färbungen und Frau Gabriele Kaiser und Frau Simone Zenker für technischen Rat und Tipps im Labor. Meiner Familie und meinen Freunden gilt besonders großer Dank für ihre unermüdliche Unterstützung meiner Arbeit. Sie waren jederzeit für mich da und haben in Nähe und Ferne über Enttäuschungen hinweg geholfen und die Freude über Erfolge geteilt. 68 Lebenslauf Amelie Pielen Geburtsdatum: Geburtsort: Eltern: 31.05.1978 Bonn Hartfried Pielen, Mathematiker und Informatiker Christa Pielen, Lehrerin für Geographie und Französisch Ausbildung: 1984 – 1988 1988 – 1997 Juni 1997 Besuch der Robert-Koch-Schule, Bonn Besuch des ev. Amos-Comenius-Gymnasium, Bonn Abitur (Note 1,3) 1997 – 2000 2001 – 2004 Herbst 2003 Herbst 2004 Medizinstudium an der Rheinischen Friedrich Wilhelms Universität Bonn Ärztliche Vorprüfung (Note 2) 1. Teil der Ärztlichen Prüfung (Note 2) Auslandsstudium im Rahmen des Sokrates-Programm an der Universitá degli Studi di Perugia, Italien Medizinstudium an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg 2. Teil der Ärztlichen Prüfung (Note 2,6) 3. Teil der Ärztlichen Prüfung (Note 2) 17.11.2004 ab 1.3.2005 Approbation als Ärztin Assistenzärztin an der Universitäts-Augenklinik Freiburg Herbst 1999 Herbst 2000 2000 – 2001 wissenschaftlicher Werdegang: 2001 – 2004 April 2003 Mai 2003 „Neuroprotektion retinaler Ganglienzellen“, Sektion Neuroophthalmologie der Augenklinik und Anatomisches Institut I der Albert-Ludwig-Universität Freiburg Posterpräsentation Neurex - Annual Meeting, Basel, Schweiz Posterpräsentation ARVO - Meeting 2003, Florida, USA Publikationen: 1. Pielen A, Kirsch M, Hofmann HD, Feuerstein TJ, Lagrèze WA. Retinal ganglion cell survival is enhanced by gabapentin-lactam in vitro: evidence for involvement of mitochondrial KATP channels. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol. 2004 Mar;242(3):240-4. 2. Lagrèze WA, Pielen A, Steingart R, Hofmann HD, Gozes I, Kirsch M. The Peptides ADNF-9 and NAP increase cell survival and neurite outgrowth of rat retinal ganglion cells in vitro. Invest Ophthalmol Vis Sci. 2005 Mar;46(3):933-8.