20 agrarische rundschau 2/2004 zehn thesen zur globalen liberalisierung des handels1 von alois leidwein D ie globale Liberalisierung des Handels wurde in den letzen Jahrzehnten dynaDer Wohlstand misch entwickelt. Die weltweite breiter BevölHarmonisierung von Sozialstankerungsdards und Umweltstandards stagschichten und nierte währenddessen. Die Folgen sind immer spürbarere soziale Verdie soziale Siwerfungen in Europa und die Vercherheit in festigung der ungleichen Verteilung Westeuropa von Ressourcen in Entwicklungswurden nicht und Schwellenländern. durch Freihan40 Prozent der Weltbevölkerung del und freien sind in der Landwirtschaft beschäfMarkt, sontigt. Der Agrarpolitik kommt daher dern durch eieine Schlüsselrolle zur Lösung der ne soziale wirtschaftlichen und sozialen ProMarktwirtbleme zu. Eine Analyse von Gesellschaft mit schaftsstruktur und Entwicklung Marktregelunder Handelsströme zeigt, dass der gen und staatglobale Freihandel die Lage der in der Landwirtschaft Beschäftigten lichen Eingrifsowohl in den Industriestaaten als fen in die Wirtauch in den Schwellen- und Entschaft erwicklungsländern verschlechtert reicht. hat. Der Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten und die soziale Sicherheit in Westeuropa wurden nicht durch Freihandel und freien Markt, sondern durch eine soziale Marktwirtschaft mit Marktregelungen und staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft erreicht. Auf globaler Ebene fehlen derartige Mechanismen und sind auch auf absehbare Zeit nicht machbar. Die EU als weltweit stärkste Wirtschaftsmacht ist daher gefordert, selbst aktiv zu werden – solange sie von ihrem wirtschaftlichen Potenzial dazu noch in der Lage ist. DDr. Alois Leidwein1, VerEin Lösungsansatz treter des BMLFUW an der wäre, dass die EULänder in der HandelsStändigen Vertretung politik bevorzugt beÖsterreichs bei den Interhandelt werden, die nationalen Organisatioein Mindestmaß an sonen, Genf zialen Rechten gewähren und faire Mindestlöhne oder faire Preise für Bauern garantieren. Waren, die unter Nichteinhaltung von sozialen Mindeststandards hergestellt worden sind, sollten bei der steuerlichen Gewinn- und Verlustrechnung nicht mehr als Betriebsausgaben angesetzt werden dürfen. Solche Maßnahmen würden die Armut am effektivsten bekämpfen und den Subventionswettbewerb obsolet machen. Die globale Liberalisierung des Handels und die Globalisierung der Wirtschaft bringen nicht nur positive wirtschaftliche Effekte, sondern führen gleichzeitig auch zu sozialen, gesellschaftspolitischen und neuen wirtschaftlichen Problemen. Ob Vorteile oder Nachteile überwiegen, wird die Geschichte zeigen. Die folgenden zehn Thesen setzen sich mit Folgen und Problemen auseinander, die sich aus einer global liberalisierten Wirtschaft ergeben. Erste These: Der Markt braucht Regelungen Der globale Markt braucht Regelungen, um Öko- und Sozialdumping zu verhindern. Nur eine geregelte – Ökosoziale – Marktwirtschaft bringt dauerhaften Wohlstand Marktwirtschaft und Handel sind für eine Volkswirtschaft und für den Wohlstand von grundlegender Bedeutung. Nachhaltiger Wohlstand kann nur durch die Erhöhung der Wertschöpfung in einer Region bzw. in einer Volkswirtschaft erwirtschaftet werden. Die Wirtschaft wächst nur dann nachhaltig, wenn sich Einfuhren und Ausfuhren auf Dauer die Waage halten. Eine Steigerung des globalen Handelsvolumens kann daher für das Wirtschaftswachstum in einer Volkswirtschaft höchstens zusätzliche Impulse geben. Angesichts der Tatsache, dass nur rund zehn Prozent des Gütervolumens überhaupt für globalen Handel in Frage kommen, sind die von Wirtschaftspolitikern und Wirtschaftsjournalisten in die WTO-Verhandlungen gesetzten Erwartungen schlichtweg unrealistisch. Es ist vielmehr zu erwarten, dass durch unfaire Wettbewerbsbedingungen, insbesondere durch Sozial- und Ökodumping, das soziale, kulturelle und gesellschaftliche Gefüge in Europa mittelfristig aus den Fugen gerät. Damit der Markt zum Wohle aller funktionieren kann, brauchen alle Marktteilnehmer faire und gleiche Bedingungen. Wenn jeder Unternehmer dieselben sozialen Standards und dieselben Standards in den Bereichen Arbeitnehmerschutz, Umweltschutz und Tierschutz zu beachten hat, führt der Wettbewerb zur Erhöhung der Produktivität und der Qualität. Sind die Standards ungleich, hat derjenige Wettbewerbsvorteile, der weniger strenge kostenwirksame Produktionsstandards zu beachten hat. In der EU sollen Wettbewerbsregeln, wie z. B. das Kartellrecht, verhindern, dass durch die Bildung von Oligopolen und Monopolen einzelne Marktteilnehmer ihre Stellung zum Schaden anderer Marktteilnehmer oder Dritter ausnutzen können. Diese Erkenntnisse werden offensichtlich in der Debatte über die globale Liberalisierung der Märkte vergessen. Gebetsmühlenartig wird auf internationaler Ebene betont, dass die Märkte geöffnet werden müssen, um die Armut zu bekämpfen. Faktum ist: Freihandel führt zwar zur Umverteilung, bringt aber keine gerechte Verteilung der Wohlfahrtseffekte. Globaler Freihandel alleine kann daher keine Lösungen für Probleme wie Armut, fehlende Sozialsysteme und ungerechte Einkommensverteilung bringen. Zweite These: Die Freihandelstheorie ist eine ideologische Schreibtischgeburt Nach der klassischen Freihandelstheorie steigt durch Freihandel der Wohlstand. Der Wohlfahrtseffekt entsteht durch die Nutzung der komparativen Kostenvorteile und den Güteraustausch. Dadurch, dass Produkte am jeweils kostengünstigsten Standort produziert und weltweit angeboten werden, kommen die Konsumenten immer zur günstigsten Ware. Dadurch sparen sie Geld, Kaufkraft und Wohlstand 1 Die in diesem Beitrag geäußerten Ansichten stellen die persönliche Meinung des Autors dar. agrarische rundschau 2/2004 steigen. In einem Szenario mit kontinuierlichem Wirtschaftswachstum mögen diese Annahmen theoretisch noch stimmen. Bei Verlagerung der Produktion an den Standort mit den jeweils günstigsten komparativen Kosten und durch den internationalen Austausch der Güter werden die vorhandenen Ressourcen zwar am besten genutzt. Ein wesentlicher Kostenfaktor in einem globalen Wirtschaftsszenario sind jedoch Löhne und Qualifikation der handelnden Personen. Ein völlig freier Markt verlangt eine sehr große Flexibilität der Unternehmer und Arbeitnehmer. In einem Wettbewerbsszenario mit steigendem Wirtschaftswachstum stellt das in der Theorie kein Problem dar, da an einem Standort frei werdende Arbeitskräfte sofort in einer anderen Branche, die an eben diesem Standort Wettbewerbsvorteile hat, eingesetzt werden können. In der Praxis sind nicht alle Arbeitnehmer höher qualifizierbar oder flexibel genug, die Branche zu wechseln. Wächst die Wirtschaft nur wenig oder befindet sie sich sogar in einer Krise, wird der globale Wettbewerb zum Verdrängungswettbewerb. Standorte mit hohen Arbeitskosten – hohen Einkommen und hohen sozialen Standards – und mit wenig flexiblen oder nicht qualifizierbaren Arbeitskräften verlieren ihre Wettbewerbsfähigkeit. Multinationale Unternehmen verlagern die Produktion, Betriebe schließen, Arbeitsplätze gehen verloren. Ist die Produktivität an einem Standort im globalen Vergleich nicht hoch genug oder dasselbe Produkt oder dieselbe Dienstleistung mit gleich qualifizierten aber billigeren Fachkräften an einem anderen Standort günstiger machbar, ist Lohnsenkung die einzig mögliche Maßnahme, um wieder an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Wird das durch Kollektivverträge verhindert, kommt es zu struktureller Arbeitslosigkeit. Diese kann sich durchaus bei 30 Prozent bewegen. Die Nachfrage nach Gütern sinkt dadurch noch weiter, die Wirtschaft stagniert. In der Praxis führen freie Märkte ohne Regelung und effektive Wettbewerbskontrolle zudem zur Bildung von Monopolen und Oligopolen. Dadurch werden Gewinne und Kapital bei immer weniger Personen konzentriert. Als Folge sinkt die Kaufkraft der Bevölkerung. Damit stagniert das Wirtschaftswachstum. Dieses Phänomen ist für das Dahindümpeln der Weltwirtschaft schon jetzt bis zu einem gewissen Ausmaß mitverantwortlich. 21 Die Freihandelstheorie leidet am selben Paradigma wie der reale Sozialismus. Die Theorie geht vom fairen und guten Marktteilnehmer und einem funktionierenden Markt aus. Diese Faktoren kommen in der Realität nicht vor. Dritte These: Die WTO ist eindimensional auf Freihandel ausgerichtet Die WTO ist eine anachronistische Einrichtung. Die globale Liberalisierung der Märkte wird im Rahmen der WTO verhandelt. Die Ausrichtung der WTO ist eindimensional. Einziges Ziel sind Liberalisierung und Vereinfachung des globalen Handels. Durch die Liberalisierung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sollen ein höherer Lebensstandard, Vollbeschäftigung, ein hohes und ständig steigendes Niveau des Realeinkommens, eine volle Erschließung der Ressourcen der Welt, eine Steigerung der Produktion und des Austausches von Waren erreicht werden. Der WTO-Jahresbericht misst den Erfolg alleine an der Steigerung des Handelsvolumens. Staatliche Maßnahmen, die den Freihandel bedrohen, sind nach dem WTO-Reglement bekämpfbar. Handelsbeschränkungen aus sozialen und ökologischen Gründen sind untersagt. Tierschutz, Nachhaltigkeit, Konsumentenschutz und Arbeitnehmerschutz sind im WTOAbkommen nicht vorgesehen. Die Antwort, wie Freihandel ohne zusätzliche Lenkungsmaßnahmen Lösungen für Probleme wie Armut, fehlendes Sozialsystem und ungerechte Einkommensverteilung bringen kann, bleiben Wissenschaft und Politik schuldig. Die Eindimensionalität der WTO ist dadurch erklärbar, dass ihre Konzeption aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt. Bei der Gründung des WTO Kernabkommens, des GATT 1947, stand die Regelung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Industriestaaten in der Nachkriegszeit im Vordergrund. Themen wie Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz und Lebensmittelsicherheit spielten damals keine Rolle. Die Regeln der WTO werden von ihren Mitgliedern festgelegt. Auf Grund der unterschiedlichen Interessen sind diese Regeln nur der kleinste gemeinsame Nenner. Der wichtigste Eckpfeiler des GATT-Abkommens, nämlich die Meistbegünstigungsklausel selbst, verhindert eine zielgerichtete Entwicklungspolitik. Die Verpflichtung, allen WTO Mitgliedern die- selben Konzessionen einzuräumen, erlaubt einem Staat nicht, in den Handelsbeziehungen zu differenzieren, und zu fordern, dass als Voraussetzung für Handelsbeziehungen vergleichbare soziale Standards und Umweltvorschriften gegeben sein müssen oder dass die Menschenrechte geachtet werden. Eine Ausgestaltung von bilateralen Beziehungen nach gegenseitigen Bedürfnissen wird damit unmöglich. Vierte These: Handels-, Umwelt- und Sozialpolitik, Konsumentenschutz und Lebensmittelsicherheit sind global nicht abgestimmt Globale Handelspolitik wird im Rahmen der WTO gestaltet. 75 Prozent der Staaten der Welt sind Mitglieder der WTO. Die WTO ist auf Freihandel ausgerichtet. Umwelt, soziale Sicherheit und Konsumentenschutz haben im WTO-Abkommen keinen Platz. Umwelt Im Rahmen von internationalen Umweltabkommen sind politische Bekenntnisse und Maßnahmen in den Bereichen Klimaschutz, Artenschutz und Chemikalienverkehr weit reichend abgestimmt und harmonisiert. Die wichtigsten globalen Umweltübereinkommen, wie z. B. die Artenschutzkonvention (CITES), die Biodiversitätskonvention (CBD) oder das UN-Klimaschutzabkommen, sind von mehr als 90 Prozent der WTO-Mitglieder ratifiziert oder angenommen. Die Bereitschaft, Verpflichtungen einzugehen, nimmt allerdings mit der Strenge von einzugehenden Verpflichtungen ab. Übereinkommen mit strengeren Auflagen wurden von weit weniger Staaten angenommen oder ratifiziert. So wurde das Kyoto–Protokoll nur von 66 Prozent der WTO-Mitglieder ratifiziert. Übereinkommen, wie das Pops oder das PICs, mit denen gefährliche Chemikalien verboten oder ihr Verkehr kontrolliert werden sollen, ratifizierten rund 30 Prozent der WTO-Mitglieder. Die Bereitschaft, Umweltabkommen umzusetzen, nimmt zu, wenn die Industriestaaten die Kosten der internationalen Sekretariate übernehmen und Zahlungen für „technische Hilfe“ an die Verwaltungen in den Entwicklungs- und Schwellenländern leisten. Problematisch ist zudem, dass die tatsächliche Umsetzung nicht in allen Staaten zufrieden stellend erfolgt. Im Umweltbereich fehlt aber ein multilateraler Sanktionsmechanismus für Verstöße gegen die eingegangenen Verpflichtungen, wie Die Eindimensionalität der WTO ist dadurch erklärbar, dass ihre Konzeption aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt. Themen wie Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz und Lebensmittelsicherheit spielten damals keine Rolle. 22 agrarische rundschau 2/2004 ihn die WTO mit dem Streitbeilegungsverfahren kennt. Globale Initiativen zum Schutze von Wäldern oder Böden sind bisher nur in Ansätzen vorhanden. Sozial- und Arbeitsnormen In vielen Staaten sind schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Handelssanktionen wären ein brauchbares Mittel, diesen effektiv entgegenzuwirken, da dadurch die Eigeninteressen der regierenden Schicht getroffen werden. Politische Bekenntnisse zum Schutz der Umwelt sind auf globaler Ebene eher zu finden als politische Initiativen für weltweite Arbeits- und Sozialnormen. Arbeitsund Sozialnormen werden auf internationaler Ebene im Rahmen der ILO, der International Labour Organization, verhandelt. Die globale Harmonisierung von Arbeits- und Sozialnormen ist über ein Bekenntnis zu den Kernarbeitsnormen, wie der Ächtung der Sklaverei und der Kinderarbeit, nicht hinausgekommen. Selbst diese Kernarbeitsnormen wurden nur von rund 70 Prozent der Staaten in die Rechtsordnung übernommen. 20 Prozent der WTO-Mitglieder haben die Übereinkommen gegen die Kinderarbeit nicht angenommen, zehn Prozent haben die Übereinkommen gegen Zwangsarbeit und Sklaverei sowie die Übereinkommen zur Gleichstellung von Mann und Frau nicht angenommen. 15 Prozent der WTO-Mitglieder haben das Übereinkommen, das die Freiheit von Gewerkschaften garantiert, nicht angenommen. Zu den Staaten, die sich in Form eines internationalen Übereinkommens nicht binden wollen, zählen nicht nur „finstere Schurkenstaaten“, sondern auch „Verfechter der Demokratie“ wie die USA, Kanada und Australien. In viele Staaten ist die Umsetzung der Kernarbeitsnormen nur am Papier erfolgt. Kinderarbeit ist in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ein Problem. Weltweit betrifft dies an die 180 Mio. Kinder unter 14 Jahren. Zwangsarbeit und zwangsarbeitsähnliche Arbeitsverhältnisse sind laut ILO in Südamerika, in der Karibik und in Westafrika weit verbreitet. Im Sudan und in einigen Staaten Westafrikas gibt es sogar noch die klassische Sklaverei. In Südasien leben mehr als drei Mio. Menschen in Schuldknechtschaft. Die regionalen Behörden tolerieren oder profitieren sogar von diesen Systemen. Das ILO-Übereinkommen über soziale Mindeststandards, für dessen Umsetzung die Gewährung von Selbstverständlichkeiten, wie Anrecht auf ärztliche Versorgung, Mutterschutz oder Leistungen nach Arbeitsunfällen, ausreichen würde, wurde nur von 26 Prozent der WTO-Mitglieder umgesetzt. Man kann davon ausgehen, dass nur in der EU, in der Schweiz, in Norwegen, in Island und Japan umfassende Systeme der sozialen Sicherheit existieren, die mehr als 50 Prozent der Bevölkerung erreichen. Die ILO-Übereinkommen sind aus österreichischer Sicht nicht wirklich streng. Die ILO-Übereinkommen definieren nur, welche Maßnahmen zu treffen sind. Die Festlegung des materiellen Inhalts und der Leistungen oder die Strenge der Maßnahmen obliegt den einzelnen Staaten. Österreichischer Standard kann dabei nicht erwartet werden. Selbst wenn sich ein Staat verpflichtet, z. B. bezahlten Urlaub oder Mindestlöhne in der Landwirtschaft zu garantieren, variiert diese Verpflichtung, die ohnehin nur 33 bzw. 48 der 146 WTO-Mitglieder eingegangen sind, beträchtlich. Die ILO-Empfehlung für bezahlten Urlaub in der Landwirtschaft lautet eine Woche pro Jahr. Die Löhne für Landarbeiter liegen in den meisten Staaten (trotz Garantie von Mindestlöhnen) nur bei rund einem bis zwei Euro pro Tag. Sozialversicherungsbeiträge sind für die meisten Mitbewerber am Weltmarkt kein Kostenfaktor, weil kein durchgängiges Sozialsystem existiert. Ein besonders zynisches Beispiel ist der Vergleich zwischen dem ILO-Übereinkommen über Arbeitsbedingungen im Fischereisektor und den Tierschutzbestimmungen für Schweine in der EU. Die Fläche, die einem Fischer in den Mannschaftsräumen eines Hochseeschiffes (bei mehrtägiger Fahrt auf See) zur Verfügung steht, entspricht der Bodenfläche, die Schweinen in der EU zur Verfügung stehen muss. Menschenrechte In vielen Staaten sind schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Nach Berichten der „Human-Rights-Watch“-Organisation sind in 18 Prozent der WTOMitgliedstaaten schwere und permanente Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Handelssanktionen wären ein brauchbares Mittel, diesen effektiv zu begegnen, da dadurch die Eigeninteressen der regierenden Schicht getroffen werden. Lebensmittelqualität und Lebensmittelsicherheit Als Standards für den internationalen Lebensmittelhandel gelten die Standards und Richtlinien der internationalen Codex-Alimentarius-Kommission, des Internationalen Tierseuchenamtes und der internationalen Pflanzenschutzkon- vention: Die internationalen Standards für die Lebensmittelqualität und Lebensmittelsicherheit sind nur der kleinste globale Nenner. Der internationale Codex Alimentarius legt Grenzwerte für Rückstände an Pestiziden oder Arzneimitteln fest. Diese Grenzwerte gelten als gerade nicht gesundheitsschädlich. Weist ein importiertes Produkt keine höheren Rückstände an Pestiziden oder Arzneimitteln auf, können europäische Behörden den Import und den Verkauf nicht verbieten. Importierte Lebensmittel können daher – ganz legal – weit höhere Rückstände als in Österreich erzeugte Lebensmittel oder sogar Rückstände von in Europa verbotenen Mitteln enthalten. Das WTO-Recht verhindert, dass ein Staat Import- oder Vermarktungsbeschränkungen für importierte Lebensmittel setzen kann, wenn diese dem weltweiten Mindeststandard entsprechen. Staatliche Regelungen, die den Handel beschränken, wenn bei der Tierhaltung Tierschutzbestimmungen nicht beachtet worden sind, sind nach WTORecht gleichfalls nicht erlaubt. Genauso sind Maßnahmen verboten, die den Einsatz von Gentechnik oder Wachstumshormonen generell verbieten. Die EU hat im Sinne des Konsumentenschutzes mehrmals versucht, Maßnahmen in diesem Sinne zu setzen. Andere WTO-Mitglieder haben daraufhin das Streitbeilegungsverfahren angerufen und Recht bekommen. Die EU hat so u. a. bei mit Hilfe von Wachstumshormonen produziertem Rindfleisch und bei gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln Kompromisse getroffen. Dass das Problem auf das WTO-Recht zurückzuführen ist, wurde vertuscht, weil andere Wirtschaftskreise – auch auf Kosten der Lebensmittelsicherheit – keine WTO-kritische Diskussion wünschen. Diese WTO-Regelungen in Zusammenhang mit den entsprechenden EURegelungen stellen aber sowohl eine massive Wettbewerbsverzerrung für die Landwirtschaft als auch einen untragbaren Zustand für den Konsumenten dar. Fünfte These: Die globale Liberalisierung der Wirtschaft bringt das Ende des Sozialstaats und führt zur ZweidrittelGesellschaft in Europa Durch weitere im Rahmen der WTO zu vereinbarende Liberalisierungsschritte sind in Europa divergente wirtschaftliche Folgen zu erwarten: agrarische rundschau 2/2004 Einige Branchen, wie z. B. Markenartikler, Handelsfirmen, Maschinenindustrie, große Versicherungskonzerne oder global agierende Lebensmittelverarbeiter, werden durch die neuen globalen Expansionsmöglichkeiten einen wirtschaftlichen Impuls erhalten. Gewinne und Börsenkurse von Unternehmen aus diesen Branchen werden steigen. Gleichzeitig werden andere Wirtschaftszweige in Europa, wie z. B. Grundstoffindustrie, Textilindustrie, Herstellung von elektronischen Geräten oder Zulieferteilen für die Fahrzeugindustrie, Herstellung von Bauteilen für die Bauwirtschaft, Erzeugung von Chemikalien, Spielzeugherstellung, Teile der Lebensmittelindustrie und die Landwirtschaft, weitgehend verschwinden oder nur mehr dahindümpeln. Gewinne werden in diesen Branchen nur mehr in Marktnischen erzielt werden. Dienstleistungen für diese Branchen – vom Designer, über den Steuerberater bis zur Gastronomie – werden weniger nachgefragt. Durch die Möglichkeit, Dienstleistungen grenzüberschreitend zu erbringen, werden zusätzlich auch im Dienstleistungssektor beginnend von der Verlagerung der Firmenbuchhaltung, über Programmierarbeiten bis zu komplexen Planungen vermehrt auch qualifizierte Arbeitsplätze ausgelagert werden. Strukturelle Arbeitslosigkeit, Lohnsenkung und Sozialabbau verbunden mit einer neuen Armut beträchtlicher Bevölkerungsteile sind eine unumgängliche Folge. Die Zahl der Gewinner und Verlierer wird sich anfänglich wahrscheinlich die Waage halten. Mittelfristig wird sich eine zu einem Drittel reiche und zu zwei Dritteln arme Gesellschaft auch in der EU entwickeln. Die Probleme der Finanzierung unseres Sozialstaates sind auch eine Folge des sich global verschärfenden Wettbewerbs. Je mehr Bereiche global liberalisiert sind, desto schwieriger wird es, die Arbeitslosigkeit niedrig oder eine sozial ausgewogene Gesellschaftsstruktur zu halten. Einige entwickelte Volkswirtschaften, wie z. B. die USA und Großbritannien, wollen diesem Problem mit einer relativ großen Lohnspreizung und einem ausgeprägten Niedriglohnsektor entgegenwirken. Dadurch können auch arbeitsintensive Produkte wettbewerbsfähig erzeugt oder wenig innovative Produkte und Dienstleistungen angeboten werden. Ein umfassender Sozialstaat ist in diesem 23 Modell nicht umsetzbar. Lebensmittelpreise und Energiepreise müssen niedrig sein. Diese Problematik wird so lange nicht voll erkennbar sein, als nur Teilbereiche der Wirtschaft liberalisiert sind. Diese Entwicklung wird jedoch im informellen Gespräch von vielen mit der Problematik befassten Experten in der beschriebenen Dramatik gesehen. Offene Meinungsäußerungen dazu gibt es wenige, da Kritik an der globalen Liberalisierung dem politischen wissenschaftlichen Zeitgeist nicht entspricht. Mittelfristig wird in der EU eine mit den USA vergleichbare Gesellschaftsstruktur entstehen. Manche EU-Länder werden sich auch auf die Entwicklungsstufe eines Schwellenlandes zurückentwickeln. Sechste These: Die globale Liberalisierung der Landwirtschaft wird im ländlichen Raum der EU-25 bis zu 25 Mio. Arbeitskräfte freisetzen Die europäische Landwirtschaft ist vom globalen Wettbewerb brutal betroffen. Agrarprodukte können für die industrielle Verarbeitung auf fast allen Standorten der Welt erzeugt werden. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts hängt damit in hohem Maß von den Arbeitsund Sozialkosten sowie den Umwelt- und Tierschutzstandards ab. Wenn die staatliche Unterstützung für die Landwirtschaft in Europa abgebaut wird, wird als Folge die Landwirtschaft in einigen Regionen gänzlich verschwinden. International wettbewerbsfähig werden nur agroindustriell organisierte Betriebe sein, wie sie schon jetzt in Nord- und Südamerika, Südafrika, Australien oder Osteuropa existieren. Die europäische Landwirtschaft könnte als Folge der globalen Liberalisierung dasselbe Schicksal erleiden wie manche Industriezweige, nämlich weitgehend verschwinden. So ist die europäische Textilindustrie seit der Öffnung des EU-Marktes nur mehr rudimentär vorhanden. Entwickelt sich in der EU eine Agrarstruktur, wie sie die USA schon hat, werden alleine in der Landwirtschaft der EU 15,5 Mio. Arbeitsplätze verloren gehen. Als Folge werden die vor- und nachgelagerten Bereiche der Landwirtschaft weitere Arbeitsplätze verlieren. Als Folge eines weitgehenden Stützungsabbaus und einer größeren Marktöffnung werden in der EU-25 – vorwiegend im ländlichen Raum – bis zu 25 Mio. Arbeitskräfte freigesetzt werden. Es ist nicht zu erwarten, dass der im internationa- len Wettbewerb stehende europäische Arbeitsmarkt diese aufnehmen wird können. Siebte These: Die globale Liberalisierung hilft weder Kleinbauern noch Landarbeitern in den Entwicklungsländern Die globale Liberalisierung der Landwirtschaft hilft weder Kleinbauern noch Landarbeitern in den Entwicklungsländern, sondern verschärft soziale Unterschiede und fördert den Raubbau an der Natur. Die globale Liberalisierung der Agrarmärkte wird nicht nur die Bauern Europas eliminieren, sondern auch die Entwicklung einer gerechteren Agrarstruktur und die Bekämpfung der Armut unter den Bauern und Landarbeitern in den Schwellen- und Entwicklungsländern verhindern. Großgrundbesitz und systematische Ausbeutung von Landarbeitern Für die Struktur der Landwirtschaft in den Schwellen- und Entwicklungsländern sind einerseits feudaler oder postkolonialer Großgrundbesitz, andererseits Subsistenzwirtschaften und Kleinstbetriebe typisch. Die Großbetriebe und Plantagen der Schwellen- und Entwicklungsländer, die zur so genannten Cairns-Gruppe oder der G20+-Gruppe gehören, sind exportorientiert. In Süd- und Mittelamerika sind Betriebe mit 50000 ha keine Seltenheit. Einige Familien besitzen ganze Landstriche. Auch in Indien, Pakistan oder Thailand gehört das Agrarland Feudalherren. Die Bauern sind Pachtbauern oder zum Teil sogar Leibeigene. Pakistan gehört z. B. 15 Familien. Die hohe Wettbewerbsfähigkeit dieser Betriebe beruht vor allem auf der Ausbeutung der Landarbeiter. In Südamerika und Südafrika verdient ein Landarbeiter zwischen einem und zwei Euro pro Tag. Davon werden oft noch Kosten für Unterkunft und Verpflegung abgezogen. Kinderarbeit und Zwangsarbeit sind insbesondere in Westafrika, Südamerika, der Karibik und Indien verbreitet. Die Lage der Betroffenen ist trist. Sie haben die Wahl zwischen Erniedrigung und Ausbeutung durch die Grundherren und Abwanderung in die Elendsviertel der Großstädte. Die Großgrundbesitzer sind an höheren Löhnen schlichtweg nicht interessiert. Höhere Landarbeiterlöhne schmälern die Gewinne bei den Exporten auf den Weltmarkt. Die Gesellschaftsstruktur erinnert an Österreich im Jahre 1780. Die europäische Landwirtschaft könnte als Folge der globalen Liberalisierung dasselbe Schicksal erleiden wie manche Industriezweige, nämlich weitgehend verschwinden. 24 agrarische rundschau 2/2004 Hunger als Folge einer verfehlten Agrarpolitik Dadurch, dass große Flächen für die Exportproduktion von agrarischen Rohstoffen genutzt werden, bleibt in manchen Ländern zu wenig brauchbares Land für eine ausreichende Ernährung der eigenen Bevölkerung. Darüber hinaus herrscht in diesen Ländern trotz fruchtbarer Böden oft Hunger. Dies ist gleichfalls Folge der verfehlten Agrarpolitik dieser Staaten. Soja, Zuckerrohr, Kaffee, Kakao, Baumwolle, Mais und andere Agrarprodukte werden für den Weltmarkt angebaut. Nur von diesen Produkten in Monokultur kann man aber nicht leben. In diese Agrarzonen müssen daher Lebensmittel importiert werden. Für Kleinbauern und Selbstversorger ist in diesen Regionen kein Platz. Wer nicht beim Grundherrn arbeitet, hungert. Dadurch, dass große Flächen für die Exportproduktion von agrarischen Rohstoffen genutzt werden, bleibt in manchen Ländern zu wenig brauchbares Land für eine ausreichende Ernährung der eigenen Bevölkerung. In den meisten Ländern der Cairns-Gruppe hungern 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung. Die Landwirtschaft vieler Entwicklungsländer produziert billiger als die europäische. Wenn nicht gleichzeitig soziale Standards verlangt werden, versteinert die Öffnung des europäischen Marktes für Agrarprodukte aus diesen Ländern die postkolonialen Strukturen und verschärft damit die sozialen Probleme. Raubbau im Tropenwald Durch die Marktöffnung wird zudem ein Anreiz für die Rodung von Tropenwäldern und die Intensivierung der Landwirtschaft geschaffen. Im Schnitt der letzten 15 Jahre wurden jährlich zwölf Mio. Hektar Tropenwald – das ist die Fläche der Schweiz und Österreichs zusammen – für die landwirtschaftliche Nutzung gerodet. Länder, die noch potenziell für die Landwirtschaft nutzbare Flächen haben, werden diese nutzen. Der Anstieg der Sojapreise im Jahre 2003 brachte es mit sich, dass allein in Brasilien 2003/2004 zwei Mio. Hektar Tropenwald für den Anbau von gentechnisch verändertem Soja gerodet werden. Die Öffnung des europäischen Marktes für Agrarprodukte aus Brasilien wird in den nächsten 20 Jahren die Rodung von weiteren 100 Mio. Hektar Tropenwald fördern – das entspricht der Ackerfläche der EU-15 – und damit einen Klimakollaps herausfordern. Zollkontingente für Rindfleisch werden zu weiteren großflächigen Brandrodungen für Weideland im Amazonasgebiet und der damit verbunden Bodenerosion und der Verarmung der Pflanzenvielfalt führen. Die handelspoliti- schen Anreize für eine industrielle Agrarpolitik in Entwicklungsländern sind nicht nur aus sozialer und ökologischer Sicht bedenklich, sondern führen auch die im Ansatz erfolgreichen Bemühungen in der Entwicklungszusammenarbeit, in den Tropen und Subtropen eine nachhaltige Landwirtschaft, die auf ins Ökosystem passenden Pflanzen und Tieren aufbaut (z. B. AgroForstsysteme), ad absurdum. Die Freihandelspolitik der WTO und auch die liberale Außenhandelspolitik der EU stehen damit im krassen Gegensatz zu den Vorgaben der Biodiversitätskonvention und zu dem Bekenntnis der EU in der Umweltpolitik. Kleinbauern im globalliberalen Markt In den Bereichen, in denen Kleinbauern für den Weltmarkt produzieren und die als Musterbeispiele für liberalisierte Märkte gelten, herrschen nur Armut und Verzweiflung: Kaffee wird nur aus Entwicklungsländern exportiert und kommt zollfrei in die EU. Trotzdem sinken die Kaffeepreise seit 30 Jahren. Multinationale Unternehmen, die Kaffee verarbeiten und vermarkten, schreiben immer höhere Gewinne. Für den Konsumenten wird Kaffee gleichzeitig immer teurer. Der Preis eines Kilogramms Kaffee verteuert sich ab Hof bis zum Supermarktregal um 7 000 Prozent. Bei den tropischen Früchten, die durchwegs zollfrei in die EU kommen, ist die Situation nicht besser. Eine Mango kostete im Jänner 2004 ab Hof in Brasilien 0,005 Euro pro Stück. In Wien wurden sie um 0,8 Euro pro Stück verkauft. Mangos unterliegen keiner Verarbeitung. Trotzdem verteuert sich eine Mango vom Erzeuger in Brasilien bis zum Konsumenten in Österreich um 16 000 Prozent. Der Preis, den der Bauer für sein Produkt bekommt, beträgt etwa 0,4 Prozent des Endverbraucherpreises und ist damit für die Gestaltung des Endverbraucherpreises irrelevant. Die stabilsten Preise gibt es weltweit interessanterweise bei Produkten, die in der EU durch Marktordnungen preisgeregelt sind. Landwirtschaft als Schlüssel zur Armutsbekämpfung Weltweit sind 40 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig. 35 Prozent der in der Landwirtschaft Beschäftigten sind Landarbeiter, in Südamerika liegt ihr Anteil über 50 Prozent. Die Ausbeutung der Landarbeiter durch die Großgrundbesitzer und die niedrigen Preise für die Bauern sind Hauptursache für die Stagnation der Wirtschaft in den Schwellenund Entwicklungsländern. Die Großbetriebe in den Schwellen- und Entwicklungsländern wären selbst dann noch global wettbewerbsfähig, wenn man die Landarbeiterlöhne verzehnfachen würde. Gleiches gilt für die Preise der Agrarprodukte. Eine Verdreifachung der Agrarpreise würde die Endverbrauchpreise für Lebensmittel weder in Europa noch in den Schwellenländern spürbar verteuern. Dadurch würde in den ländlichen Regionen der Schwellen- und Entwicklungsländer echte Kaufkraft entstehen. Der Konsum von Bedarfsgütern und die Nachfrage nach Dienstleistungen würden steigen. Damit würden sich ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum, ein Bremsen der Landflucht und neue Beschäftigungsmöglichkeiten ergeben. Voraussetzung wäre eine weltweite Produktionsdisziplin. Überangebot ruiniert bekanntlich die Preise. Mittel dazu wären globale Rohstoffabkommen, wie sie bis in die 80er Jahre existierten, oder eine Steuerung der Importmengen und die Festlegung von Importmindestpreisen in die EU durch ein ähnliches Modell, wie es noch die EUZuckermarktordnung bietet. Dadurch könnten die Preise für Bauern in den Schwellen- und Entwicklungsländern und in der EU stabilisiert werden. Die Frage nach Agrarsubventionen würde sich nicht mehr stellen. Verlierer wären Großgrundbesitzer und multinationale Lebensmittelkonzerne. Die Gewinnmargen und die Bonuszahlungen der Vorstände würden um einiges sinken. Die globale Liberalisierung des Agrarhandels und der Abbau der Agrarstützungen machen die ländliche Bevölkerung in den Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch in den Industriestaaten ärmer. Die Agrarliberalisierung ist damit einer der größten Hemmschuhe für Wohlstand und Entwicklung. Achte These: Die Kontrolle über Nahrungsmittel sichert politische Macht Eine globale Liberalisierung der Agrarmärkte führt prinzipiell durch den verschärften Wettbewerb zu niedrigeren Weltmarktpreisen. Die europäische Landwirtschaft würde das nur bedingt überleben und jedenfalls als Exporteur ausfallen. Die USA fordern konsequenterweise den Abbau von Agrarstützungen in der EU. Gleichzeitig fordern die USA mehr Freihandel, lassen aber andererseits kein Mittel außer Acht, um das Produktionspo- agrarische rundschau 2/2004 tenzial der eigenen Landwirtschaft zu sichern und ihre Anteile auf den Weltagrarmärkten zu steigern. Die Kontrolle über Nahrungsmittel ist genauso ein Mittel der Machtpolitik wie die Kontrolle über die Energievorräte. Nahrungsmittelhilfe kann in Krisensituationen als Druckmittel zur Durchsetzung politischer Interessen eingesetzt werden. Fällt die EU als Agrarexporteur aus, verbleiben die USA als letzter großer Anbieter, der sowohl die Menge als auch die Finanzen hat, Lebensmittelhilfe als politisches Instrument zu nutzen. Es sollte auch hinterfragt werden, wem die von Weltbank und IWF propagierte neoliberale Entwicklungsideologie, die auf Freihandel mit technischer Unterstützung setzt, wirklich nützt. Es ist offensichtlich, dass die Entwicklungsländer ihre Schulden kurzund mittelfristig nur durch den Export von Lebensmitteln und Rohstoffen bezahlen können. Eine nachhaltige Wertschöpfung vor Ort und die Hebung der Kaufkraft sind durch den Export von landwirtschaftlichen Rohstoffen auf den Weltmarkt nicht zu erreichen. Neunte These: Die Bedeutung der WTO für die Wirtschaft wird überschätzt Regionale Übereinkommen funktionieren besser als multilaterale. Die europäische und die österreichische Wirtschaft, aber auch die österreichische Landwirtschaft sind exportorientiert. Die Bedeutung der WTO für die österreichische Exportwirtschaft wird aber von wirtschaftspolitischen Sonntagsrednern grob überschätzt. 82 Prozent aller österreichischen Exporte gehen in die EU-25 oder die EFTA. Exporte in die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die meist keine WTO-Mitglieder sind, sind wertmäßig genauso bedeutend wie die Exporte nach Südamerika, Afrika und Australien gemeinsam. Viele umwelt- und wirtschaftspolitische Probleme können leichter auf regionaler als auf globaler Ebene gelöst werden. Überschaubarkeit des Problems und der handelnden Personen, gemeinsame kulturelle und nachbarschaftliche Traditionen und ähnliche wirtschaftspolitische Voraussetzungen wirken sich positiv aus. Verschiedene Umweltkonventionen der UN/ ECE zeigen, dass regionale Übereinkommen weit erfolgreicher sind und mit weit mehr Engagement betrieben werden als globale Übereinkommen. Enge wirtschaftliche Zusammenarbeit von Regionen, bilaterale Abkommen und sektorübergrei- 25 fende Wirtschaftsgemeinschaften bringen für die betroffenen Regionen und Staaten weit mehr als globale Abkommen, da zielführender auf Wünsche und Bedürfnisse Rücksicht genommen werden kann. Das Beispiel der Schweiz zeigt empirisch, dass insbesondere kleine Länder von regionalen Wirtschafts- und Handelsabkommen profitieren. Zehnte These: Subventionen sind notwendige Steuerungsinstrumente der Wirtschaftspolitik Subventionen werden, sobald es um die Landwirtschaft oder benachteiligte Gebiete geht, gerne als negativ dargestellt. Agrarprodukte, die in Europa subventioniert werden, sind meist keine Produkte, die von Kleinbauern in Schwellen- und Entwicklungsländern produziert werden. Berichte über die bedrohlichen Auswirkungen der EU-Agrarsubventionen auf blühende Kleinbetriebe in Entwicklungsländern sind oft purer Populismus der Handelslobby, die leider von Entwicklungshilfe-NGOs mitverbreitet werden. Rinderhaltung im Amazonas und Milchviehhaltung in den Tropen sind ökologisch und ökonomisch genauso sinnvoll wie Rentierhaltung in Italien. Die Agrarsubventionen sind nur insofern handelsverzerrend, als dass sie den europäischen Bauern überleben helfen. Ohne Subventionen würde die EU-Landwirtschaft weitgehend zusammenbrechen. Die EU würde von Lebensmittelimporten aus Südamerika und den USA abhängig werden. Subventionen für Transporte und Versicherungen Die höchstsubventionierten Branchen sind die Transportwirtschaft, die Flugzeugindustrie und die Versicherungen. So verzerren beispielsweise steuerfreier Treibstoff für Flugzeuge und internationale Schifffrachten die Marktbedingungen gewaltig. Schiffstransporte und Lufttransporte haben im Gegensatz zu Lkw- oder Bahntransporten trotz Nutzung öffentlicher Räume und Hoheitsgebiete keine Maut zu zahlen. Subventionen unter dem Titel Forschung und Entwicklung für die Flugzeugindustrie, Steuerbegünstigungen für Lebensversicherungen führen zu Subventionsäquivalenten pro Beschäftigten, von denen die Landwirtschaft nur träumen könnte. „Versteckte Subventionen“ für Verkehr und Industrie sind Umweltschäden, da die verursachenden Branchen die durch Umweltschäden verursachten externen Kosten nicht tragen müssen. Würde man einen Subventionsvergleich unter diesem Gesichtspunkt anstellen, wären Verkehr, chemische Industrie und Schwerindustrie unter den höchst subventionierten Branchen. WTO-Recht beschränkt nationale Wirtschaftssteuerung Die WTO-Subventionsregelungen beschränken die Möglichkeiten der Staaten, wirtschaftspolitische Impulse zu setzen, stark. Prinzipiell sind alle direkten Beihilfen an Unternehmen und alle Preis- und Einkommensstützungen WTO-widrig, wenn sie handelsverzerrend wirken. Am Beispiel Interventionspreis für Rinder kann man gut erklären, welche Art Maßnahmen schon als handelsverzerrende Stützung angesehen werden. Durch den Interventionspreis wird in der EU ein Preisniveau für die Rinderproduktion gesichert, das mit zwei Euro pro Kilogramm doppelt so hoch ist wie der Weltmarktpreis. Dadurch können auch Rinder haltende Betriebe in Österreich überleben. Gäbe es diese Mindestpreise nicht, würden die Bauern reihenweise wirtschaftlich eingehen. Da durch diese Maßnahme Produktion und Bauern in Österreich am Leben erhalten werden, kommt es zu keinen Fleischimporten aus den USA oder Südamerika, obwohl man dort Rindfleisch billiger herstellen kann. Damit wirkt der gesicherte Mindestpreis für die Bauern in Österreich nach WTO-Recht handelsverzerrend. Bei der Beurteilung spielt keine Rolle, dass der Wettbewerbsvorteil der anderen durch massives Sozial- und Ökodumping erreicht wird. Arbeitsplatzpolitische Maßnahmen für ganze Branchen, wie Zuschüsse an die verstaatlichte Industrie und Vorruhestandsregelungen finanziert über das AMS, wie sie für OMV und Post gemacht wurden, wären nach WTO-Subventionsregelungen erfolgreich anfechtbar. Anfechtbar wären auch die staatlich garantierten Einspeisetarife für Ökostrom, staatliche Förderungen für energiesparendes Bauen und Preisregelungen für Arzneimittel und Treibstoffe. Würde man die Methodik, die zur Kalkulation der Stützungen in der Landwirtschaft verwendet wird, auf die Pharmabranche umlegen, ergäbe dies für die EU-15 ein Subventionsäquivalent von rund 30 Mrd. Euro jährlich. Das entspricht in etwa dem Stützäquivalent der Landwirtschaft. Voraussetzung für eine Anfechtung nach WTO-Recht ist, dass die wirtschaftlichen Interessen eines anderen Staates berührt werden und dieser klagt. In Branchen mit global oligopolen Strukturen werden sich kein Kläger und auch kein Richter finden. ■ Die verschiedenen Umweltkonventionen der UN/ECE zeigen, dass regionale Übereinkommen weit erfolgreicher sind und mit mehr Engagement betrieben werden als globale Übereinkommen.