zehn thesen zur globalen liberalisierung des handels1

Werbung
20
agrarische rundschau 2/2004
zehn thesen zur globalen
liberalisierung des handels1
von alois leidwein
D
ie globale Liberalisierung
des Handels wurde in den
letzen Jahrzehnten dynaDer Wohlstand
misch entwickelt. Die weltweite
breiter BevölHarmonisierung von Sozialstankerungsdards und Umweltstandards stagschichten und
nierte währenddessen. Die Folgen
sind immer spürbarere soziale Verdie soziale Siwerfungen in Europa und die Vercherheit in
festigung der ungleichen Verteilung
Westeuropa
von Ressourcen in Entwicklungswurden nicht
und Schwellenländern.
durch Freihan40 Prozent der Weltbevölkerung
del und freien
sind in der Landwirtschaft beschäfMarkt, sontigt. Der Agrarpolitik kommt daher
dern durch eieine Schlüsselrolle zur Lösung der
ne soziale
wirtschaftlichen und sozialen ProMarktwirtbleme zu. Eine Analyse von Gesellschaft mit
schaftsstruktur und Entwicklung
Marktregelunder Handelsströme zeigt, dass der
gen und staatglobale Freihandel die Lage der in
der Landwirtschaft Beschäftigten
lichen Eingrifsowohl in den Industriestaaten als
fen in die Wirtauch in den Schwellen- und Entschaft erwicklungsländern verschlechtert
reicht.
hat.
Der Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten und die soziale Sicherheit in Westeuropa wurden
nicht durch Freihandel und freien
Markt, sondern durch eine soziale
Marktwirtschaft mit Marktregelungen und staatlichen
Eingriffen in die Wirtschaft erreicht. Auf
globaler Ebene fehlen
derartige Mechanismen und sind auch auf
absehbare Zeit nicht
machbar. Die EU als
weltweit stärkste Wirtschaftsmacht ist daher
gefordert, selbst aktiv
zu werden – solange
sie von ihrem wirtschaftlichen Potenzial
dazu noch in der Lage
ist.
DDr. Alois Leidwein1, VerEin Lösungsansatz
treter des BMLFUW an der wäre, dass die EULänder in der HandelsStändigen Vertretung
politik bevorzugt beÖsterreichs bei den Interhandelt werden, die
nationalen Organisatioein Mindestmaß an sonen, Genf
zialen Rechten gewähren und faire Mindestlöhne oder faire Preise für Bauern garantieren. Waren, die unter
Nichteinhaltung von sozialen Mindeststandards hergestellt worden
sind, sollten bei der steuerlichen
Gewinn- und Verlustrechnung nicht
mehr als Betriebsausgaben angesetzt werden dürfen.
Solche Maßnahmen würden die
Armut am effektivsten bekämpfen
und den Subventionswettbewerb
obsolet machen.
Die globale Liberalisierung des
Handels und die Globalisierung der
Wirtschaft bringen nicht nur positive wirtschaftliche Effekte, sondern
führen gleichzeitig auch zu sozialen, gesellschaftspolitischen und
neuen wirtschaftlichen Problemen.
Ob Vorteile oder Nachteile überwiegen, wird die Geschichte zeigen.
Die folgenden zehn Thesen setzen
sich mit Folgen und Problemen auseinander, die sich aus einer global liberalisierten Wirtschaft ergeben.
Erste These: Der Markt
braucht Regelungen
Der globale Markt braucht Regelungen, um Öko- und Sozialdumping zu verhindern. Nur eine geregelte – Ökosoziale – Marktwirtschaft bringt dauerhaften Wohlstand
Marktwirtschaft und Handel sind
für eine Volkswirtschaft und für den
Wohlstand von grundlegender Bedeutung. Nachhaltiger Wohlstand
kann nur durch die Erhöhung der
Wertschöpfung in einer Region
bzw. in einer Volkswirtschaft erwirtschaftet werden. Die Wirtschaft
wächst nur dann nachhaltig, wenn
sich Einfuhren und Ausfuhren auf
Dauer die Waage halten. Eine Steigerung des globalen Handelsvolumens kann daher für das Wirtschaftswachstum in einer Volkswirtschaft höchstens zusätzliche
Impulse geben. Angesichts der Tatsache, dass nur rund zehn Prozent
des Gütervolumens überhaupt für
globalen Handel in Frage kommen,
sind die von Wirtschaftspolitikern
und Wirtschaftsjournalisten in die
WTO-Verhandlungen gesetzten Erwartungen schlichtweg unrealistisch. Es ist vielmehr zu erwarten,
dass durch unfaire Wettbewerbsbedingungen, insbesondere durch Sozial- und Ökodumping, das soziale,
kulturelle und gesellschaftliche Gefüge in Europa mittelfristig aus den
Fugen gerät.
Damit der Markt zum Wohle aller funktionieren kann, brauchen alle Marktteilnehmer faire und gleiche Bedingungen. Wenn jeder Unternehmer dieselben sozialen Standards und dieselben Standards in
den Bereichen Arbeitnehmerschutz, Umweltschutz und Tierschutz zu beachten hat, führt der
Wettbewerb zur Erhöhung der Produktivität und der Qualität. Sind die
Standards ungleich, hat derjenige
Wettbewerbsvorteile, der weniger
strenge kostenwirksame Produktionsstandards zu beachten hat.
In der EU sollen Wettbewerbsregeln, wie z. B. das Kartellrecht, verhindern, dass durch die Bildung
von Oligopolen und Monopolen
einzelne Marktteilnehmer ihre Stellung zum Schaden anderer Marktteilnehmer oder Dritter ausnutzen
können.
Diese Erkenntnisse werden offensichtlich in der Debatte über die
globale Liberalisierung der Märkte
vergessen. Gebetsmühlenartig wird
auf internationaler Ebene betont,
dass die Märkte geöffnet werden
müssen, um die Armut zu bekämpfen. Faktum ist: Freihandel führt
zwar zur Umverteilung, bringt aber
keine gerechte Verteilung der Wohlfahrtseffekte. Globaler Freihandel
alleine kann daher keine Lösungen
für Probleme wie Armut, fehlende
Sozialsysteme und ungerechte Einkommensverteilung bringen.
Zweite These: Die
Freihandelstheorie ist eine
ideologische
Schreibtischgeburt
Nach der klassischen Freihandelstheorie steigt durch Freihandel
der Wohlstand. Der Wohlfahrtseffekt entsteht durch die Nutzung der
komparativen Kostenvorteile und
den Güteraustausch. Dadurch, dass
Produkte am jeweils kostengünstigsten Standort produziert und weltweit angeboten werden, kommen
die Konsumenten immer zur günstigsten Ware. Dadurch sparen sie
Geld, Kaufkraft und Wohlstand
1 Die in diesem Beitrag geäußerten Ansichten stellen die persönliche Meinung des
Autors dar.
agrarische rundschau 2/2004
steigen. In einem Szenario mit kontinuierlichem Wirtschaftswachstum
mögen diese Annahmen theoretisch
noch stimmen.
Bei Verlagerung der Produktion
an den Standort mit den jeweils
günstigsten komparativen Kosten
und durch den internationalen Austausch der Güter werden die vorhandenen Ressourcen zwar am besten genutzt. Ein wesentlicher Kostenfaktor in einem globalen Wirtschaftsszenario sind jedoch Löhne
und Qualifikation der handelnden
Personen. Ein völlig freier Markt
verlangt eine sehr große Flexibilität
der Unternehmer und Arbeitnehmer. In einem Wettbewerbsszenario mit steigendem Wirtschaftswachstum stellt das in der Theorie
kein Problem dar, da an einem
Standort frei werdende Arbeitskräfte sofort in einer anderen Branche,
die an eben diesem Standort Wettbewerbsvorteile hat, eingesetzt werden können. In der Praxis sind nicht
alle Arbeitnehmer höher qualifizierbar oder flexibel genug, die
Branche zu wechseln.
Wächst die Wirtschaft nur wenig
oder befindet sie sich sogar in einer
Krise, wird der globale Wettbewerb
zum Verdrängungswettbewerb.
Standorte mit hohen Arbeitskosten
– hohen Einkommen und hohen sozialen Standards – und mit wenig
flexiblen oder nicht qualifizierbaren Arbeitskräften verlieren ihre
Wettbewerbsfähigkeit. Multinationale Unternehmen verlagern die
Produktion, Betriebe schließen, Arbeitsplätze gehen verloren. Ist die
Produktivität an einem Standort im
globalen Vergleich nicht hoch genug oder dasselbe Produkt oder dieselbe Dienstleistung mit gleich
qualifizierten aber billigeren Fachkräften an einem anderen Standort
günstiger machbar, ist Lohnsenkung die einzig mögliche Maßnahme, um wieder an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Wird das
durch Kollektivverträge verhindert,
kommt es zu struktureller Arbeitslosigkeit. Diese kann sich durchaus
bei 30 Prozent bewegen. Die Nachfrage nach Gütern sinkt dadurch
noch weiter, die Wirtschaft stagniert.
In der Praxis führen freie Märkte ohne Regelung und effektive
Wettbewerbskontrolle zudem zur
Bildung von Monopolen und Oligopolen. Dadurch werden Gewinne
und Kapital bei immer weniger Personen konzentriert. Als Folge sinkt
die Kaufkraft der Bevölkerung. Damit stagniert das Wirtschaftswachstum. Dieses Phänomen ist für das
Dahindümpeln der Weltwirtschaft
schon jetzt bis zu einem gewissen
Ausmaß mitverantwortlich.
21
Die Freihandelstheorie leidet am
selben Paradigma wie der reale Sozialismus. Die Theorie geht vom
fairen und guten Marktteilnehmer
und einem funktionierenden Markt
aus. Diese Faktoren kommen in der
Realität nicht vor.
Dritte These: Die WTO ist
eindimensional auf
Freihandel ausgerichtet
Die WTO ist eine anachronistische Einrichtung.
Die globale Liberalisierung der
Märkte wird im Rahmen der WTO
verhandelt. Die Ausrichtung der
WTO ist eindimensional. Einziges
Ziel sind Liberalisierung und Vereinfachung des globalen Handels.
Durch die Liberalisierung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen
sollen ein höherer Lebensstandard,
Vollbeschäftigung, ein hohes und
ständig steigendes Niveau des
Realeinkommens, eine volle Erschließung der Ressourcen der
Welt, eine Steigerung der Produktion und des Austausches von Waren
erreicht werden. Der WTO-Jahresbericht misst den Erfolg alleine an
der Steigerung des Handelsvolumens.
Staatliche Maßnahmen, die den
Freihandel bedrohen, sind nach
dem WTO-Reglement bekämpfbar.
Handelsbeschränkungen aus sozialen und ökologischen Gründen sind
untersagt. Tierschutz, Nachhaltigkeit, Konsumentenschutz und Arbeitnehmerschutz sind im WTOAbkommen nicht vorgesehen. Die
Antwort, wie Freihandel ohne zusätzliche Lenkungsmaßnahmen
Lösungen für Probleme wie Armut,
fehlendes Sozialsystem und ungerechte Einkommensverteilung bringen kann, bleiben Wissenschaft und
Politik schuldig.
Die Eindimensionalität der
WTO ist dadurch erklärbar, dass ihre Konzeption aus den 40er Jahren
des letzten Jahrhunderts stammt.
Bei der Gründung des WTO Kernabkommens, des GATT 1947, stand
die Regelung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Industriestaaten in der Nachkriegszeit im
Vordergrund. Themen wie Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz
und Lebensmittelsicherheit spielten damals keine Rolle.
Die Regeln der WTO werden
von ihren Mitgliedern festgelegt.
Auf Grund der unterschiedlichen
Interessen sind diese Regeln nur
der kleinste gemeinsame Nenner.
Der wichtigste Eckpfeiler des
GATT-Abkommens, nämlich die
Meistbegünstigungsklausel selbst,
verhindert eine zielgerichtete Entwicklungspolitik. Die Verpflichtung, allen WTO Mitgliedern die-
selben Konzessionen einzuräumen,
erlaubt einem Staat nicht, in den
Handelsbeziehungen zu differenzieren, und zu fordern, dass als Voraussetzung für Handelsbeziehungen vergleichbare soziale Standards und Umweltvorschriften gegeben sein müssen oder dass die
Menschenrechte geachtet werden.
Eine Ausgestaltung von bilateralen
Beziehungen nach gegenseitigen
Bedürfnissen wird damit unmöglich.
Vierte These: Handels-,
Umwelt- und Sozialpolitik,
Konsumentenschutz und
Lebensmittelsicherheit sind
global nicht abgestimmt
Globale Handelspolitik wird im
Rahmen der WTO gestaltet. 75 Prozent der Staaten der Welt sind Mitglieder der WTO. Die WTO ist auf
Freihandel ausgerichtet. Umwelt,
soziale Sicherheit und Konsumentenschutz haben im WTO-Abkommen keinen Platz.
Umwelt
Im Rahmen von internationalen
Umweltabkommen sind politische
Bekenntnisse und Maßnahmen in
den Bereichen Klimaschutz, Artenschutz und Chemikalienverkehr
weit reichend abgestimmt und harmonisiert. Die wichtigsten globalen
Umweltübereinkommen, wie z. B.
die Artenschutzkonvention (CITES),
die Biodiversitätskonvention (CBD)
oder das UN-Klimaschutzabkommen, sind von mehr als 90 Prozent
der WTO-Mitglieder ratifiziert oder
angenommen. Die Bereitschaft,
Verpflichtungen einzugehen, nimmt
allerdings mit der Strenge von einzugehenden Verpflichtungen ab.
Übereinkommen mit strengeren
Auflagen wurden von weit weniger
Staaten angenommen oder ratifiziert. So wurde das Kyoto–Protokoll
nur von 66 Prozent der WTO-Mitglieder ratifiziert. Übereinkommen,
wie das Pops oder das PICs, mit denen gefährliche Chemikalien verboten oder ihr Verkehr kontrolliert
werden sollen, ratifizierten rund 30
Prozent der WTO-Mitglieder. Die
Bereitschaft, Umweltabkommen
umzusetzen, nimmt zu, wenn die Industriestaaten die Kosten der internationalen Sekretariate übernehmen
und Zahlungen für „technische Hilfe“ an die Verwaltungen in den Entwicklungs- und Schwellenländern
leisten.
Problematisch ist zudem, dass
die tatsächliche Umsetzung nicht in
allen Staaten zufrieden stellend erfolgt. Im Umweltbereich fehlt aber
ein multilateraler Sanktionsmechanismus für Verstöße gegen die eingegangenen Verpflichtungen, wie
Die Eindimensionalität der
WTO ist dadurch erklärbar, dass ihre
Konzeption
aus den 40er
Jahren des
letzten Jahrhunderts
stammt. Themen wie Umweltschutz,
Arbeitnehmerschutz und
Lebensmittelsicherheit
spielten damals keine
Rolle.
22
agrarische rundschau 2/2004
ihn die WTO mit dem Streitbeilegungsverfahren kennt.
Globale Initiativen zum Schutze
von Wäldern oder Böden sind bisher nur in Ansätzen vorhanden.
Sozial- und Arbeitsnormen
In vielen Staaten sind
schwere Menschenrechtsverletzungen
an der Tagesordnung. Handelssanktionen wären ein
brauchbares
Mittel, diesen
effektiv entgegenzuwirken,
da dadurch
die Eigeninteressen der
regierenden
Schicht getroffen werden.
Politische Bekenntnisse zum
Schutz der Umwelt sind auf globaler Ebene eher zu finden als politische Initiativen für weltweite Arbeits- und Sozialnormen. Arbeitsund Sozialnormen werden auf internationaler Ebene im Rahmen der
ILO, der International Labour Organization, verhandelt. Die globale
Harmonisierung von Arbeits- und
Sozialnormen ist über ein Bekenntnis zu den Kernarbeitsnormen, wie
der Ächtung der Sklaverei und der
Kinderarbeit, nicht hinausgekommen. Selbst diese Kernarbeitsnormen wurden nur von rund 70 Prozent der Staaten in die Rechtsordnung übernommen.
20 Prozent der WTO-Mitglieder
haben die Übereinkommen gegen
die Kinderarbeit nicht angenommen, zehn Prozent haben die Übereinkommen gegen Zwangsarbeit
und Sklaverei sowie die Übereinkommen zur Gleichstellung von
Mann und Frau nicht angenommen.
15 Prozent der WTO-Mitglieder
haben das Übereinkommen, das die
Freiheit von Gewerkschaften garantiert, nicht angenommen. Zu den
Staaten, die sich in Form eines internationalen Übereinkommens
nicht binden wollen, zählen nicht
nur „finstere Schurkenstaaten“,
sondern auch „Verfechter der Demokratie“ wie die USA, Kanada
und Australien. In viele Staaten ist
die Umsetzung der Kernarbeitsnormen nur am Papier erfolgt. Kinderarbeit ist in vielen Schwellen- und
Entwicklungsländern ein Problem.
Weltweit betrifft dies an die 180
Mio. Kinder unter 14 Jahren.
Zwangsarbeit und zwangsarbeitsähnliche Arbeitsverhältnisse sind
laut ILO in Südamerika, in der Karibik und in Westafrika weit verbreitet. Im Sudan und in einigen
Staaten Westafrikas gibt es sogar
noch die klassische Sklaverei. In
Südasien leben mehr als drei Mio.
Menschen in Schuldknechtschaft.
Die regionalen Behörden tolerieren
oder profitieren sogar von diesen
Systemen.
Das ILO-Übereinkommen über
soziale Mindeststandards, für dessen Umsetzung die Gewährung von
Selbstverständlichkeiten, wie Anrecht auf ärztliche Versorgung,
Mutterschutz oder Leistungen nach
Arbeitsunfällen, ausreichen würde,
wurde nur von 26 Prozent der
WTO-Mitglieder umgesetzt. Man
kann davon ausgehen, dass nur in
der EU, in der Schweiz, in Norwegen, in Island und Japan umfassende Systeme der sozialen Sicherheit
existieren, die mehr als 50 Prozent
der Bevölkerung erreichen.
Die ILO-Übereinkommen sind
aus österreichischer Sicht nicht
wirklich streng. Die ILO-Übereinkommen definieren nur, welche
Maßnahmen zu treffen sind. Die
Festlegung des materiellen Inhalts
und der Leistungen oder die Strenge der Maßnahmen obliegt den einzelnen Staaten. Österreichischer
Standard kann dabei nicht erwartet
werden. Selbst wenn sich ein Staat
verpflichtet, z. B. bezahlten Urlaub
oder Mindestlöhne in der Landwirtschaft zu garantieren, variiert
diese Verpflichtung, die ohnehin
nur 33 bzw. 48 der 146 WTO-Mitglieder eingegangen sind, beträchtlich. Die ILO-Empfehlung für bezahlten Urlaub in der Landwirtschaft lautet eine Woche pro Jahr.
Die Löhne für Landarbeiter liegen
in den meisten Staaten (trotz Garantie von Mindestlöhnen) nur bei
rund einem bis zwei Euro pro Tag.
Sozialversicherungsbeiträge sind
für die meisten Mitbewerber am
Weltmarkt kein Kostenfaktor, weil
kein durchgängiges Sozialsystem
existiert.
Ein besonders zynisches Beispiel ist der Vergleich zwischen
dem ILO-Übereinkommen über
Arbeitsbedingungen im Fischereisektor und den Tierschutzbestimmungen für Schweine in der EU.
Die Fläche, die einem Fischer in
den Mannschaftsräumen eines
Hochseeschiffes (bei mehrtägiger
Fahrt auf See) zur Verfügung steht,
entspricht der Bodenfläche, die
Schweinen in der EU zur Verfügung stehen muss.
Menschenrechte
In vielen Staaten sind schwere
Menschenrechtsverletzungen an der
Tagesordnung. Nach Berichten der
„Human-Rights-Watch“-Organisation sind in 18 Prozent der WTOMitgliedstaaten schwere und permanente Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Handelssanktionen wären ein brauchbares Mittel, diesen effektiv zu begegnen, da dadurch die Eigeninteressen der regierenden Schicht getroffen werden.
Lebensmittelqualität und
Lebensmittelsicherheit
Als Standards für den internationalen Lebensmittelhandel gelten
die Standards und Richtlinien der
internationalen Codex-Alimentarius-Kommission, des Internationalen Tierseuchenamtes und der internationalen Pflanzenschutzkon-
vention: Die internationalen Standards für die Lebensmittelqualität
und Lebensmittelsicherheit sind
nur der kleinste globale Nenner.
Der internationale Codex Alimentarius legt Grenzwerte für Rückstände an Pestiziden oder Arzneimitteln fest. Diese Grenzwerte gelten als gerade nicht gesundheitsschädlich. Weist ein importiertes
Produkt keine höheren Rückstände
an Pestiziden oder Arzneimitteln
auf, können europäische Behörden
den Import und den Verkauf nicht
verbieten. Importierte Lebensmittel können daher – ganz legal – weit
höhere Rückstände als in Österreich erzeugte Lebensmittel oder
sogar Rückstände von in Europa
verbotenen Mitteln enthalten. Das
WTO-Recht verhindert, dass ein
Staat Import- oder Vermarktungsbeschränkungen für importierte Lebensmittel setzen kann, wenn diese
dem weltweiten Mindeststandard
entsprechen. Staatliche Regelungen, die den Handel beschränken,
wenn bei der Tierhaltung Tierschutzbestimmungen nicht beachtet worden sind, sind nach WTORecht gleichfalls nicht erlaubt. Genauso sind Maßnahmen verboten,
die den Einsatz von Gentechnik
oder Wachstumshormonen generell
verbieten.
Die EU hat im Sinne des Konsumentenschutzes mehrmals versucht, Maßnahmen in diesem Sinne
zu setzen. Andere WTO-Mitglieder
haben daraufhin das Streitbeilegungsverfahren angerufen und
Recht bekommen. Die EU hat so
u. a. bei mit Hilfe von Wachstumshormonen produziertem Rindfleisch und bei gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln
Kompromisse getroffen. Dass das
Problem auf das WTO-Recht zurückzuführen ist, wurde vertuscht,
weil andere Wirtschaftskreise –
auch auf Kosten der Lebensmittelsicherheit – keine WTO-kritische
Diskussion wünschen. Diese
WTO-Regelungen in Zusammenhang mit den entsprechenden EURegelungen stellen aber sowohl eine massive Wettbewerbsverzerrung
für die Landwirtschaft als auch einen untragbaren Zustand für den
Konsumenten dar.
Fünfte These:
Die globale Liberalisierung
der Wirtschaft bringt das
Ende des Sozialstaats und
führt zur ZweidrittelGesellschaft in Europa
Durch weitere im Rahmen der
WTO zu vereinbarende Liberalisierungsschritte sind in Europa divergente wirtschaftliche Folgen zu erwarten:
agrarische rundschau 2/2004
Einige Branchen, wie z. B. Markenartikler, Handelsfirmen, Maschinenindustrie, große Versicherungskonzerne oder global agierende Lebensmittelverarbeiter, werden
durch die neuen globalen Expansionsmöglichkeiten einen wirtschaftlichen Impuls erhalten. Gewinne und Börsenkurse von Unternehmen aus diesen Branchen werden steigen.
Gleichzeitig werden andere
Wirtschaftszweige in Europa, wie
z. B. Grundstoffindustrie, Textilindustrie, Herstellung von elektronischen Geräten oder Zulieferteilen
für die Fahrzeugindustrie, Herstellung von Bauteilen für die Bauwirtschaft, Erzeugung von Chemikalien, Spielzeugherstellung, Teile
der Lebensmittelindustrie und die
Landwirtschaft, weitgehend verschwinden oder nur mehr dahindümpeln. Gewinne werden in diesen Branchen nur mehr in Marktnischen erzielt werden. Dienstleistungen für diese Branchen – vom
Designer, über den Steuerberater
bis zur Gastronomie – werden weniger nachgefragt.
Durch die Möglichkeit, Dienstleistungen grenzüberschreitend zu
erbringen, werden zusätzlich auch
im Dienstleistungssektor beginnend von der Verlagerung der Firmenbuchhaltung, über Programmierarbeiten bis zu komplexen Planungen vermehrt auch qualifizierte
Arbeitsplätze ausgelagert werden.
Strukturelle Arbeitslosigkeit, Lohnsenkung und Sozialabbau verbunden mit einer neuen Armut beträchtlicher Bevölkerungsteile sind
eine unumgängliche Folge. Die
Zahl der Gewinner und Verlierer
wird sich anfänglich wahrscheinlich die Waage halten. Mittelfristig
wird sich eine zu einem Drittel reiche und zu zwei Dritteln arme Gesellschaft auch in der EU entwickeln.
Die Probleme der Finanzierung
unseres Sozialstaates sind auch eine Folge des sich global verschärfenden Wettbewerbs. Je mehr Bereiche global liberalisiert sind, desto schwieriger wird es, die Arbeitslosigkeit niedrig oder eine sozial
ausgewogene Gesellschaftsstruktur
zu halten.
Einige entwickelte Volkswirtschaften, wie z. B. die USA und
Großbritannien, wollen diesem
Problem mit einer relativ großen
Lohnspreizung und einem ausgeprägten Niedriglohnsektor entgegenwirken. Dadurch können auch
arbeitsintensive Produkte wettbewerbsfähig erzeugt oder wenig innovative Produkte und Dienstleistungen angeboten werden. Ein umfassender Sozialstaat ist in diesem
23
Modell nicht umsetzbar. Lebensmittelpreise und Energiepreise
müssen niedrig sein.
Diese Problematik wird so lange
nicht voll erkennbar sein, als nur
Teilbereiche der Wirtschaft liberalisiert sind. Diese Entwicklung
wird jedoch im informellen Gespräch von vielen mit der Problematik befassten Experten in der beschriebenen Dramatik gesehen. Offene Meinungsäußerungen dazu
gibt es wenige, da Kritik an der globalen Liberalisierung dem politischen wissenschaftlichen Zeitgeist
nicht entspricht. Mittelfristig wird
in der EU eine mit den USA vergleichbare Gesellschaftsstruktur entstehen. Manche EU-Länder werden
sich auch auf die Entwicklungsstufe eines Schwellenlandes zurückentwickeln.
Sechste These: Die globale
Liberalisierung der Landwirtschaft wird im ländlichen
Raum der EU-25 bis zu 25
Mio. Arbeitskräfte freisetzen
Die europäische Landwirtschaft
ist vom globalen Wettbewerb brutal
betroffen. Agrarprodukte können
für die industrielle Verarbeitung auf
fast allen Standorten der Welt erzeugt werden. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts hängt damit in hohem Maß von den Arbeitsund Sozialkosten sowie den Umwelt- und Tierschutzstandards ab.
Wenn die staatliche Unterstützung für die Landwirtschaft in Europa abgebaut wird, wird als Folge die
Landwirtschaft in einigen Regionen
gänzlich verschwinden. International wettbewerbsfähig werden nur
agroindustriell organisierte Betriebe
sein, wie sie schon jetzt in Nord- und
Südamerika, Südafrika, Australien
oder Osteuropa existieren.
Die europäische Landwirtschaft
könnte als Folge der globalen Liberalisierung dasselbe Schicksal erleiden wie manche Industriezweige, nämlich weitgehend verschwinden. So ist die europäische Textilindustrie seit der Öffnung des
EU-Marktes nur mehr rudimentär
vorhanden.
Entwickelt sich in der EU eine
Agrarstruktur, wie sie die USA
schon hat, werden alleine in der
Landwirtschaft der EU 15,5 Mio.
Arbeitsplätze verloren gehen. Als
Folge werden die vor- und nachgelagerten Bereiche der Landwirtschaft weitere Arbeitsplätze verlieren. Als Folge eines weitgehenden
Stützungsabbaus und einer größeren Marktöffnung werden in der
EU-25 – vorwiegend im ländlichen
Raum – bis zu 25 Mio. Arbeitskräfte freigesetzt werden. Es ist nicht zu
erwarten, dass der im internationa-
len Wettbewerb stehende europäische Arbeitsmarkt diese aufnehmen
wird können.
Siebte These: Die globale
Liberalisierung hilft weder
Kleinbauern noch Landarbeitern in den
Entwicklungsländern
Die globale Liberalisierung der
Landwirtschaft hilft weder Kleinbauern noch Landarbeitern in den
Entwicklungsländern, sondern verschärft soziale Unterschiede und fördert den Raubbau an der Natur.
Die globale Liberalisierung der
Agrarmärkte wird nicht nur die
Bauern Europas eliminieren, sondern auch die Entwicklung einer
gerechteren Agrarstruktur und die
Bekämpfung der Armut unter den
Bauern und Landarbeitern in den
Schwellen- und Entwicklungsländern verhindern.
Großgrundbesitz und
systematische Ausbeutung
von Landarbeitern
Für die Struktur der Landwirtschaft in den Schwellen- und Entwicklungsländern sind einerseits
feudaler oder postkolonialer Großgrundbesitz, andererseits Subsistenzwirtschaften und Kleinstbetriebe typisch. Die Großbetriebe und
Plantagen der Schwellen- und Entwicklungsländer, die zur so genannten Cairns-Gruppe oder der
G20+-Gruppe gehören, sind exportorientiert. In Süd- und Mittelamerika sind Betriebe mit 50000 ha keine Seltenheit. Einige Familien besitzen ganze Landstriche. Auch in
Indien, Pakistan oder Thailand
gehört das Agrarland Feudalherren.
Die Bauern sind Pachtbauern oder
zum Teil sogar Leibeigene. Pakistan gehört z. B. 15 Familien.
Die hohe Wettbewerbsfähigkeit
dieser Betriebe beruht vor allem auf
der Ausbeutung der Landarbeiter.
In Südamerika und Südafrika verdient ein Landarbeiter zwischen einem und zwei Euro pro Tag. Davon
werden oft noch Kosten für Unterkunft und Verpflegung abgezogen.
Kinderarbeit und Zwangsarbeit
sind insbesondere in Westafrika,
Südamerika, der Karibik und Indien verbreitet. Die Lage der Betroffenen ist trist. Sie haben die Wahl
zwischen Erniedrigung und Ausbeutung durch die Grundherren und
Abwanderung in die Elendsviertel
der Großstädte. Die Großgrundbesitzer sind an höheren Löhnen
schlichtweg nicht interessiert.
Höhere Landarbeiterlöhne schmälern die Gewinne bei den Exporten
auf den Weltmarkt. Die Gesellschaftsstruktur erinnert an Österreich im Jahre 1780.
Die europäische Landwirtschaft könnte
als Folge der
globalen Liberalisierung
dasselbe
Schicksal erleiden wie
manche Industriezweige,
nämlich weitgehend verschwinden.
24
agrarische rundschau 2/2004
Hunger als Folge einer
verfehlten Agrarpolitik
Dadurch, dass
große Flächen
für die Exportproduktion
von agrarischen Rohstoffen genutzt werden,
bleibt in manchen Ländern
zu wenig
brauchbares
Land für eine
ausreichende
Ernährung der
eigenen Bevölkerung.
Darüber hinaus herrscht in diesen Ländern trotz fruchtbarer Böden oft Hunger. Dies ist gleichfalls
Folge der verfehlten Agrarpolitik
dieser Staaten. Soja, Zuckerrohr,
Kaffee, Kakao, Baumwolle, Mais
und andere Agrarprodukte werden
für den Weltmarkt angebaut. Nur
von diesen Produkten in Monokultur kann man aber nicht leben. In
diese Agrarzonen müssen daher Lebensmittel importiert werden. Für
Kleinbauern und Selbstversorger
ist in diesen Regionen kein Platz.
Wer nicht beim Grundherrn arbeitet, hungert. Dadurch, dass große
Flächen für die Exportproduktion
von agrarischen Rohstoffen genutzt
werden, bleibt in manchen Ländern
zu wenig brauchbares Land für eine ausreichende Ernährung der eigenen Bevölkerung. In den meisten
Ländern der Cairns-Gruppe hungern 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung. Die Landwirtschaft vieler
Entwicklungsländer produziert billiger als die europäische. Wenn
nicht gleichzeitig soziale Standards
verlangt werden, versteinert die
Öffnung des europäischen Marktes
für Agrarprodukte aus diesen Ländern die postkolonialen Strukturen
und verschärft damit die sozialen
Probleme.
Raubbau im Tropenwald
Durch die Marktöffnung wird
zudem ein Anreiz für die Rodung
von Tropenwäldern und die Intensivierung der Landwirtschaft geschaffen. Im Schnitt der letzten 15
Jahre wurden jährlich zwölf Mio.
Hektar Tropenwald – das ist die
Fläche der Schweiz und Österreichs zusammen – für die landwirtschaftliche Nutzung gerodet.
Länder, die noch potenziell für
die Landwirtschaft nutzbare Flächen haben, werden diese nutzen.
Der Anstieg der Sojapreise im Jahre 2003 brachte es mit sich, dass allein in Brasilien 2003/2004 zwei
Mio. Hektar Tropenwald für den
Anbau von gentechnisch verändertem Soja gerodet werden. Die Öffnung des europäischen Marktes für
Agrarprodukte aus Brasilien wird
in den nächsten 20 Jahren die Rodung von weiteren 100 Mio. Hektar
Tropenwald fördern – das entspricht der Ackerfläche der EU-15
– und damit einen Klimakollaps
herausfordern. Zollkontingente für
Rindfleisch werden zu weiteren
großflächigen Brandrodungen für
Weideland im Amazonasgebiet und
der damit verbunden Bodenerosion
und der Verarmung der Pflanzenvielfalt führen. Die handelspoliti-
schen Anreize für eine industrielle
Agrarpolitik in Entwicklungsländern sind nicht nur aus sozialer und
ökologischer Sicht bedenklich,
sondern führen auch die im Ansatz
erfolgreichen Bemühungen in der
Entwicklungszusammenarbeit, in
den Tropen und Subtropen eine
nachhaltige Landwirtschaft, die auf
ins Ökosystem passenden Pflanzen
und Tieren aufbaut (z. B. AgroForstsysteme), ad absurdum.
Die Freihandelspolitik der WTO
und auch die liberale Außenhandelspolitik der EU stehen damit im
krassen Gegensatz zu den Vorgaben der Biodiversitätskonvention
und zu dem Bekenntnis der EU in
der Umweltpolitik.
Kleinbauern im globalliberalen Markt
In den Bereichen, in denen Kleinbauern für den Weltmarkt produzieren und die als Musterbeispiele für liberalisierte Märkte gelten, herrschen
nur Armut und Verzweiflung:
Kaffee wird nur aus Entwicklungsländern exportiert und kommt
zollfrei in die EU. Trotzdem sinken
die Kaffeepreise seit 30 Jahren.
Multinationale Unternehmen, die
Kaffee verarbeiten und vermarkten,
schreiben immer höhere Gewinne.
Für den Konsumenten wird Kaffee
gleichzeitig immer teurer. Der Preis
eines Kilogramms Kaffee verteuert
sich ab Hof bis zum Supermarktregal um 7 000 Prozent. Bei den tropischen Früchten, die durchwegs
zollfrei in die EU kommen, ist die
Situation nicht besser. Eine Mango
kostete im Jänner 2004 ab Hof in
Brasilien 0,005 Euro pro Stück. In
Wien wurden sie um 0,8 Euro pro
Stück verkauft. Mangos unterliegen keiner Verarbeitung. Trotzdem
verteuert sich eine Mango vom Erzeuger in Brasilien bis zum Konsumenten in Österreich um 16 000
Prozent. Der Preis, den der Bauer
für sein Produkt bekommt, beträgt
etwa 0,4 Prozent des Endverbraucherpreises und ist damit für die
Gestaltung des Endverbraucherpreises irrelevant.
Die stabilsten Preise gibt es weltweit interessanterweise bei Produkten, die in der EU durch Marktordnungen preisgeregelt sind.
Landwirtschaft als Schlüssel
zur Armutsbekämpfung
Weltweit sind 40 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft
tätig. 35 Prozent der in der Landwirtschaft Beschäftigten sind Landarbeiter, in Südamerika liegt ihr Anteil über 50 Prozent. Die Ausbeutung der Landarbeiter durch die
Großgrundbesitzer und die niedrigen Preise für die Bauern sind
Hauptursache für die Stagnation
der Wirtschaft in den Schwellenund Entwicklungsländern. Die
Großbetriebe in den Schwellen- und
Entwicklungsländern wären selbst
dann noch global wettbewerbsfähig, wenn man die Landarbeiterlöhne verzehnfachen würde. Gleiches gilt für die Preise der Agrarprodukte. Eine Verdreifachung der
Agrarpreise würde die Endverbrauchpreise für Lebensmittel weder in Europa noch in den Schwellenländern spürbar verteuern. Dadurch würde in den ländlichen Regionen der Schwellen- und Entwicklungsländer echte Kaufkraft
entstehen. Der Konsum von Bedarfsgütern und die Nachfrage nach
Dienstleistungen würden steigen.
Damit würden sich ein nachhaltiges
Wirtschaftswachstum, ein Bremsen
der Landflucht und neue Beschäftigungsmöglichkeiten ergeben.
Voraussetzung wäre eine weltweite Produktionsdisziplin. Überangebot ruiniert bekanntlich die
Preise. Mittel dazu wären globale
Rohstoffabkommen, wie sie bis in
die 80er Jahre existierten, oder eine
Steuerung der Importmengen und
die Festlegung von Importmindestpreisen in die EU durch ein ähnliches Modell, wie es noch die EUZuckermarktordnung bietet. Dadurch könnten die Preise für Bauern in den Schwellen- und Entwicklungsländern und in der EU
stabilisiert werden. Die Frage nach
Agrarsubventionen würde sich
nicht mehr stellen. Verlierer wären
Großgrundbesitzer und multinationale Lebensmittelkonzerne. Die
Gewinnmargen und die Bonuszahlungen der Vorstände würden um
einiges sinken.
Die globale Liberalisierung des
Agrarhandels und der Abbau der
Agrarstützungen machen die ländliche Bevölkerung in den Entwicklungs- und Schwellenländern, aber
auch in den Industriestaaten ärmer.
Die Agrarliberalisierung ist damit
einer der größten Hemmschuhe für
Wohlstand und Entwicklung.
Achte These: Die Kontrolle
über Nahrungsmittel sichert
politische Macht
Eine globale Liberalisierung der
Agrarmärkte führt prinzipiell durch
den verschärften Wettbewerb zu
niedrigeren Weltmarktpreisen. Die
europäische Landwirtschaft würde
das nur bedingt überleben und jedenfalls als Exporteur ausfallen.
Die USA fordern konsequenterweise den Abbau von Agrarstützungen in der EU. Gleichzeitig fordern die USA mehr Freihandel, lassen aber andererseits kein Mittel
außer Acht, um das Produktionspo-
agrarische rundschau 2/2004
tenzial der eigenen Landwirtschaft
zu sichern und ihre Anteile auf den
Weltagrarmärkten zu steigern.
Die Kontrolle über Nahrungsmittel ist genauso ein Mittel der
Machtpolitik wie die Kontrolle
über die Energievorräte. Nahrungsmittelhilfe kann in Krisensituationen als Druckmittel zur Durchsetzung politischer Interessen eingesetzt werden. Fällt die EU als
Agrarexporteur aus, verbleiben die
USA als letzter großer Anbieter, der
sowohl die Menge als auch die Finanzen hat, Lebensmittelhilfe als
politisches Instrument zu nutzen.
Es sollte auch hinterfragt werden, wem die von Weltbank und
IWF propagierte neoliberale Entwicklungsideologie, die auf Freihandel mit technischer Unterstützung setzt, wirklich nützt. Es ist offensichtlich, dass die Entwicklungsländer ihre Schulden kurzund mittelfristig nur durch den
Export von Lebensmitteln und Rohstoffen bezahlen können. Eine
nachhaltige Wertschöpfung vor Ort
und die Hebung der Kaufkraft sind
durch den Export von landwirtschaftlichen Rohstoffen auf den
Weltmarkt nicht zu erreichen.
Neunte These: Die
Bedeutung der WTO für die
Wirtschaft wird überschätzt
Regionale Übereinkommen funktionieren besser als multilaterale.
Die europäische und die österreichische Wirtschaft, aber auch
die österreichische Landwirtschaft
sind exportorientiert. Die Bedeutung der WTO für die österreichische Exportwirtschaft wird aber
von wirtschaftspolitischen Sonntagsrednern grob überschätzt. 82
Prozent aller österreichischen Exporte gehen in die EU-25 oder die
EFTA. Exporte in die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die meist
keine WTO-Mitglieder sind, sind
wertmäßig genauso bedeutend wie
die Exporte nach Südamerika, Afrika und Australien gemeinsam.
Viele umwelt- und wirtschaftspolitische Probleme können leichter auf regionaler als auf globaler
Ebene gelöst werden. Überschaubarkeit des Problems und der handelnden Personen, gemeinsame
kulturelle und nachbarschaftliche
Traditionen und ähnliche wirtschaftspolitische Voraussetzungen
wirken sich positiv aus. Verschiedene Umweltkonventionen der UN/
ECE zeigen, dass regionale Übereinkommen weit erfolgreicher sind
und mit weit mehr Engagement betrieben werden als globale Übereinkommen. Enge wirtschaftliche Zusammenarbeit von Regionen, bilaterale Abkommen und sektorübergrei-
25
fende Wirtschaftsgemeinschaften
bringen für die betroffenen Regionen und Staaten weit mehr als globale Abkommen, da zielführender
auf Wünsche und Bedürfnisse Rücksicht genommen werden kann. Das
Beispiel der Schweiz zeigt empirisch, dass insbesondere kleine Länder von regionalen Wirtschafts- und
Handelsabkommen profitieren.
Zehnte These: Subventionen
sind notwendige
Steuerungsinstrumente der
Wirtschaftspolitik
Subventionen werden, sobald es
um die Landwirtschaft oder benachteiligte Gebiete geht, gerne als negativ dargestellt. Agrarprodukte, die in
Europa subventioniert werden, sind
meist keine Produkte, die von Kleinbauern in Schwellen- und Entwicklungsländern produziert werden. Berichte über die bedrohlichen Auswirkungen der EU-Agrarsubventionen
auf blühende Kleinbetriebe in Entwicklungsländern sind oft purer Populismus der Handelslobby, die leider von Entwicklungshilfe-NGOs
mitverbreitet werden. Rinderhaltung
im Amazonas und Milchviehhaltung
in den Tropen sind ökologisch und
ökonomisch genauso sinnvoll wie
Rentierhaltung in Italien. Die
Agrarsubventionen sind nur insofern
handelsverzerrend, als dass sie den
europäischen Bauern überleben helfen. Ohne Subventionen würde die
EU-Landwirtschaft weitgehend zusammenbrechen. Die EU würde von
Lebensmittelimporten aus Südamerika und den USA abhängig werden.
Subventionen für Transporte
und Versicherungen
Die höchstsubventionierten Branchen sind die Transportwirtschaft,
die Flugzeugindustrie und die Versicherungen. So verzerren beispielsweise steuerfreier Treibstoff für
Flugzeuge und internationale Schifffrachten die Marktbedingungen gewaltig. Schiffstransporte und Lufttransporte haben im Gegensatz zu
Lkw- oder Bahntransporten trotz
Nutzung öffentlicher Räume und
Hoheitsgebiete keine Maut zu zahlen. Subventionen unter dem Titel
Forschung und Entwicklung für die
Flugzeugindustrie, Steuerbegünstigungen für Lebensversicherungen
führen zu Subventionsäquivalenten
pro Beschäftigten, von denen die
Landwirtschaft nur träumen könnte.
„Versteckte Subventionen“ für Verkehr und Industrie sind Umweltschäden, da die verursachenden
Branchen die durch Umweltschäden
verursachten externen Kosten nicht
tragen müssen. Würde man einen
Subventionsvergleich unter diesem
Gesichtspunkt anstellen, wären
Verkehr, chemische Industrie und
Schwerindustrie unter den höchst
subventionierten Branchen.
WTO-Recht beschränkt nationale Wirtschaftssteuerung
Die WTO-Subventionsregelungen beschränken die Möglichkeiten der Staaten, wirtschaftspolitische Impulse zu setzen, stark. Prinzipiell sind alle direkten Beihilfen
an Unternehmen und alle Preis- und
Einkommensstützungen WTO-widrig, wenn sie handelsverzerrend
wirken. Am Beispiel Interventionspreis für Rinder kann man gut erklären, welche Art Maßnahmen
schon als handelsverzerrende Stützung angesehen werden. Durch den
Interventionspreis wird in der EU
ein Preisniveau für die Rinderproduktion gesichert, das mit zwei Euro pro Kilogramm doppelt so hoch
ist wie der Weltmarktpreis. Dadurch können auch Rinder haltende
Betriebe in Österreich überleben.
Gäbe es diese Mindestpreise nicht,
würden die Bauern reihenweise
wirtschaftlich eingehen. Da durch
diese Maßnahme Produktion und
Bauern in Österreich am Leben erhalten werden, kommt es zu keinen
Fleischimporten aus den USA oder
Südamerika, obwohl man dort Rindfleisch billiger herstellen kann. Damit wirkt der gesicherte Mindestpreis für die Bauern in Österreich
nach WTO-Recht handelsverzerrend. Bei der Beurteilung spielt keine Rolle, dass der Wettbewerbsvorteil der anderen durch massives Sozial- und Ökodumping erreicht wird.
Arbeitsplatzpolitische Maßnahmen
für ganze Branchen, wie Zuschüsse
an die verstaatlichte Industrie und
Vorruhestandsregelungen finanziert
über das AMS, wie sie für OMV
und Post gemacht wurden, wären
nach WTO-Subventionsregelungen
erfolgreich anfechtbar. Anfechtbar
wären auch die staatlich garantierten Einspeisetarife für Ökostrom,
staatliche Förderungen für energiesparendes Bauen und Preisregelungen für Arzneimittel und Treibstoffe. Würde man die Methodik, die
zur Kalkulation der Stützungen in
der Landwirtschaft verwendet wird,
auf die Pharmabranche umlegen, ergäbe dies für die EU-15 ein Subventionsäquivalent von rund 30 Mrd.
Euro jährlich. Das entspricht in etwa
dem Stützäquivalent der Landwirtschaft.
Voraussetzung für eine Anfechtung nach WTO-Recht ist, dass die
wirtschaftlichen Interessen eines
anderen Staates berührt werden und
dieser klagt. In Branchen mit global
oligopolen Strukturen werden sich
kein Kläger und auch kein Richter
finden.
■
Die verschiedenen Umweltkonventionen der
UN/ECE zeigen, dass regionale Übereinkommen
weit erfolgreicher sind und
mit mehr Engagement betrieben werden als globale Übereinkommen.
Herunterladen