Herz und Hirn – Auswirkungen von Hirnerkrankungen auf das Herz Heinrich Mattle Strukturelle Herzveränderungen oder kardiale Arrhythmien können zu Thromben und Embolien und damit Infarkten in allen Organen einschliesslich des Hirns führen. Umgekehrt stören akute zerebrale Dysfunktionen oder emotionale Belastungen die Herzfunktion und können im Extremfall akutes Herzversagen verursachen. Diese Extremform der stressinduzierten Kardiomyopathie ist als Takotsubo Kardiomyopathie bekannt. Die Patienten präsentieren sich mit Brustschmerzen und EKG-Veränderungen wie ST-Streckenelevation, T-Welleninversion oder QTStreckenverlängerungen und weisen damit auf einen akuten Herzinfarkt hin. Die Herzenzyme CK und Troponin sind abnorm erhöht. In der Koronarangiographie stellen sich die Arterien dieser Takotsubopatienten jedoch normal dar, der linke Ventrikel zeigt aber Wanddyskinesien. Die Dyskinesien treten meist an der Herzspitze auf und im typischen Fall ist die Herzspitze ballonförmig aufgetrieben. Die exakte Pathogenese ist unbekannt. Es wird angenommen, dass ausgeprägter emotionaler Stress oder akute zerebrale Ereignisse zu einer Katecholaminausschüttung führen, und als Folge der stark erhöhten Katecholaminspiegel kommt es zu peripheren Vasospasmen und einer Herzdysfunktion. Vor Jahrzehnten war bereits bekannt, dass nach Subarachnoidalblutungen oder akuten intrazerebralen Blutungen fleckförmige Nekrosen im Myokard, subendokardiale Blutungen und kardiale Arrhythmien auftreten können. Greenhout und Reichenbach und Weidler beobachteten bei diesen Patienten eine ungewöhnlich starke Aktivität des autonomen Nervensystems bzw. ein Ungleichgewicht zwischen der parasympathischen und sympathischen Steuerung des Herzens.1 Systematische Studien zur Interaktion zwischen Hirn und Herz folgten in den 1970er Jahren in Toronto.2 JW Norris und Mitarbeiter untersuchten Herzenzyme bei 230 Patienten mit akutem Hirninfarkt und fanden bei 25 (11%) erhöhte Werte für CK-MB. Auch die Katecholaminspiegel waren bei Hirnschlagpatienten höher als bei Kontrollpersonen, und Patienten mit erhöhten CK-Werten wiesen höhere Katecholaminspiegel und vermehrt kardiale Arrhythmien auf als jene mit normaler CK. Ferner waren die CKWerte bei hemisphärischen Infarkten öfters erhöht als bei Hirnstamminfarkten. Di Angelantonio und Mitarbeiter untersuchten kardiales Troponin I bei 330 Hirnschlagpatienten bei Spitaleintritt.3 Bei erhöhten Troponin I Werten waren auch die Mortalität oder kardiale Zwischenfälle während des Spitalaufenthaltes häufiger, und eine systematische Review von 15 weiteren solchen Studien bestätigte diese Resultate.4 Gemäss dieser war Troponin bei 18.1% von 2901 Hirnschlagpatienten erhöht. Patienten mit erhöhtem Troponin hatten eine Odds Ratio von 3.0 (95% CI 1.5-6.2) gleichzeitig auch EKG Veränderungen aufzuweisen und eine Odds Ratio von 2.9 (95% CI 1.7-4.8) zu sterben. Hakan Ay und Mitarbeiter gingen der Frage nach, ob Hirninfarkte in bestimmten Hirnregionen besonders häufig Herzveränderungen hervorrufen.5 In einer Fallkontrollstudie analysierten sie diffusionsgewichtete MR-Bilder von Patienten mit erhöhtem Troponin (cTnT) mit solchen von Patienten mit normalen Werten, um nach Assoziationen von Voxels mit Diffusionsrestriktion und Troponinerhöhung zu suchen. Voxels, die mit erhöhtem cTnT-Wert einhergingen, fanden sich rechtsseitig posterior, superior, und medial im insulären Cortex und in den inferioren Teilen des rechten Parietallappens. Bei Patienten mit Infarkten im Stromgebiet der rechten Arteria cerebri media war der insuläre Cortex bei 88% der Patienten mit und 33% ohne cTnT Erhöhung betroffen (Odds Ratio: 15.00; 95% CI: 2.65 to 84.79). Dies weist auf eine pathophysiologische Verbindung zwischen Infarkten des Inselcortex rechts und erhöhten Troponin T Werten als Zeichen einer Myokardschädigung hin. In einer weiteren MR Studie zeigte die gleiche Autorengruppe, dass Infarkte mit Einbezug der Insel mit einem rascheren Untergang der Penumbra bzw. rascherem Infarktwachstum einherging.6 Im Gegensatz dazu fanden Laowattana und Mitarbeiter, dass linksseitige Inselinfarkte verglichen mit Infarkten und TIAs anderer Lokalisation das Risiko von kardialen Komplikationen und Herzwanddyskinesien erhöhten.7 Entsprechend ihren Resultaten zeigten linksseitige Inselinfarkte einen verminderten parasympathischen und rechtsseitige einen erhöhten sympathischen Tonus, was vermehrte Fluktuationen des Blutdrucks, abnorme zirkadiane Blutdruckvariabilität, erhöhte Norepinephrinspiegel im Serum und höhere Blutdruckwerte in der Akutphase nach einem Hirninfarkt mit sich bringt. Auch die Baroreflexe waren reduziert, wie sie z.B. als autonome Anpassung der Herzfrequenz und des Gefässtonus an plötzliche Blutdruckschwankungen nötig sind. Sykora et al zeigten, dass die Beeinträchtigung der Baroreflexe nicht wie vermutet mit einer Arteriosklerose der Karotiden, sondern mit Beteiligung der Insel beim Hirnschlag einhergeht.8 Gemäss ihren Untersuchungen verarbeiten beide Inselregionen Informationen der Barorezeptoren, aber die linke Insel erwies sich bei dieser Informationsverarbeitung als dominant. Andere Autoren fanden eine mögliche Hemisphärendominanz der autonomen Kontrolle, die mit steigenden Werten auf der NIHSS Skala zunahm.9 Warum sich Infarkte der Insel rascher vergrössern als Infarkte ohne Inselbeteiligung und wie die neuroanatomische Korrelation zwischen insulären Infarkten und Myokardläsionen zu Stande kommt, ist nicht geklärt. Eine Hypothese favorisiert die anatomischen Verbindungen der Inselregion mit dem limbischen System. Phylogenetisch gehört das limbische System zu den ältesten Strukturen des Hirns. Es umfasst Strukturen und Verbindungen zentral im Hirn wie die Amygdala, den Hippocampus, Gyrus cinguli, Fornix, anteroventrale Thalamuskerne und den Hypothalamus. Seine Hauptfunktionen sind die Steuerung der endokrinen Funktionen und die Kontrolle des autonomen Nervensystems, des Riechens und der damit einhergehenden Reaktionen und Gefühle, die Kontrolle der Emotionen, der Lustgefühle und des Verlangens, und auch Lernen und Kurz- und Langzeitgedächtnis sind an das limbische System gebunden. Die Dysautonomie nach einem zerebrovaskulären Ereignis ist unabhängig von seiner Art. Dysautonomien kommen sowohl nach Ischämien als auch nach Blutungen vor. Analog kann es auch bei Exzitationen des Kortex wie bei extremen Emotionen oder bei Epilepsien zu kardialen Dysfunktionen kommen. Epilepsien können iktale Tachykardien und Bradykardien und EKG-Veränderungen auslösen, selbst wenn die zerebrale Bildgebung keine strukturellen Veränderungen aufdeckt. Ferner kommt es bei einem Drittel der Epilepsiekranken zu iktalen Bradykardien, die einen permanenten Pacemaker erfordern würden..10 Plötzlicher unerwarteter Tod (sudden unexpected death in epilepsy–SUDEP) ist bei Epilepsie 5x häufiger als bei gleich alten Kontrollen. Besonders Patienten mit therapierefraktären tonisch-klonischen Anfällen sind gefährdet. Einer der Hauptgründe für SUDEP dürften Hirn-HerzInteraktionen sein, die zu Apnoe und Asystolie führen.11 Zusammenfassend können akute zerebrale Läsionen oder Dysfunktionen die Herzfunktion beeinträchtigen und die autonome Kontrolle von Blutdruck, Herzfrequenz und Gefässtonus stören, und dies insbesondere bei Einbezug des insulären Kortex. Diese Hirn-Herz-Interaktion kann sich wiederum ungünstig auf die zerebrale Läsion auswirken, indem sich der Kern des Hirninfarktes rasch vergrössert oder bei Epilepsien gar zum Tod führt. Literatur Weidler DJ. Myocardial damage and cardiac arrhythmias after intracranial hemorrhage. A critical review. Stroke 1974; 5: 759-64 2 Myers MG, Norris JW, Hachinski VC, Weingert ME, Sole MJ. Cardiac sequelae of acute stroke. Stroke. 1982; 13: 838-42. 3 Di Angelantonio E, Fiorelli M, Toni D, Sacchetti ML, Lorenzano S, Falcou A, Ciarla MV, Suppa M, Bonanni L, Bertazzoni G, Aguglia F, Argentino C. Prognostic significance of admission levels of troponin I in patients with acute ischaemic stroke. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2005; 76: 76-81. 4 Kerr G, Ray G, Wu O, Stott DJ, Langhorne P. Elevated troponin after stroke: a systematic review. Cerebrovasc Dis. 2009; 28: 220-6. 5 Ay H, Koroshetz WJ, Benner T, Vangel MG, Melinosky C, Arsava EM, Ayata C, Zhu M, Schwamm LH, Sorensen AG. Neuroanatomic correlates of stroke-related myocardial injury. Neurology. 2006; 66: 1325-9. 6 Ay H, Arsava EM, Koroshetz WJ, Sorensen AG. Middle cerebral artery infarcts encompassing the insula are more prone to growth. Stroke. 2008; 39: 373-8. 7 Laowattana S, Zeger SL, Lima JA, Goodman SN, Wittstein IS, Oppenheimer SM. Left insular stroke is associated with adverse cardiac outcome. Neurology. 2006; 66: 477-83 8 Sykora M, Diedler J, Rupp A, Turcani P, Steiner T. Impaired baroreceptor reflex sensitivity in acute stroke is associated with insular involvement, but not with carotid atherosclerosis. Stroke. 2009; 40: 737-42. 9 Hilz MJ, Moeller S, Akhundova A, Marthol H, Pauli E, De Fina P, Schwab S. High NIHSS values predict impairment of cardiovascular autonomic control. Stroke. 2011; 42: 1528-33. 10 Rugg-Gunn FJ, Simister RJ, Squirrell M, Holdright DR, Duncan JS. Cardiac arrhythmias in focal epilepsy: a prospective long-term study. Lancet. 2004 Dec 1831;364(9452):2212-9. 11 Ryvlin P, Nashef L, Lhatoo SD, Bateman LM, Bird J, Bleasel A et al. Incidence and mechanisms of cardiorespiratory arrests in epilepsy monitoring units (MORTEMUS): a retrospective study. Lancet Neurol. 2013 Oct;12(10):966-77. 1