Clinical Trial Unit Informationsblatt Einschluss von Personen in einen klinischen Versuch in medizinischen Notfallsituationen Definitionen Medizinische Notfallsituation Als Notfall wird im juristischen Kontext1 im allgemeinen eine Situation bezeichnet, in der rasches Handeln notwendig ist, um eine Gefahr abzuwenden. In diesem Sinne stellt der Notfall eine Ausnahmesituation dar, in der die normalen Massnahmen zum Schutz einer Person nicht ausreichen. Um die Interessen der betroffenen Personen zu schützen, ist ein unmittelbarer Eingriff gerechtfertigt. Daraus folgt, dass ein Arzt bei einer Notfallsituation das Recht hat, urteilsunfähige Patienten zu behandeln, wenn diese Behandlung objektiv in deren Interesse ist; die Einwilligung des Patienten oder eines gesetzlichen Vertreters ist hierzu nicht erforderlich. Ob es sich um einen Notfall handelt, muss von Fall zu Fall beurteilt werden; dabei muss einerseits die verfügbare Zeit (für einen Eingriff) und andererseits der Ernst der Situation beurteilt werden. Man kann also nicht von einem Notfall sprechen, wenn der Eingriff um 24 oder auch nur um 12 Stunden aufgeschoben werden kann. Die Notfallsituation wird hier also unter einem medizinischen Blickwinkel verstanden.2 Gesetzliche Grundlage Art.56, HMG In medizinischen Notfallsituationen dürfen ausnahmsweise klinische Versuche durchgeführt werden, wenn*: a. ein Verfahren vorgesehen ist, das von der zuständigen Ethikkommission genehmigt worden ist und innert nützlicher Frist erlaubt: 1. die Zustimmung der gesetzlichen Vertreterin oder des gesetzlichen Vertreters unmündiger oder entmündigter Personen einzuholen, 2. den Willen der Versuchspersonen, namentlich unter Einbezug der Ansicht der Angehörigen, abzuklären; b. keine Anzeichen vorhanden sind, die erkennen lassen, dass sich die Versuchspersonen einer Teilnahme an einem Versuch widersetzen würden; c. der Versuch über den Zustand, die Krankheit oder die Leiden der Versuchspersonen wichtige Erkenntnisse erwarten lässt, die den betroffenen Versuchspersonen oder Personen, die an der gleichen Krankheit leiden oder die gleichen Merkmale aufweisen, langfristig einen Nutzen bringen; d. eine Ärztin oder ein Arzt, die oder der nicht am Versuch beteiligt ist, unter Wahrung der Interessen der Versuchsperson deren medizinische Betreuung sicherstellt. *Bemerkung: Bedingungen a. – d. müssen kumulativ erfüllt sein Universitätsspital Basel, Clinical Research Center, Clinical Trial Unit, Schanzenstrasse 55, CH-4031Basel www.clinicaltrialunit.ch Stand der Informationen Nov. 2011 1/2 Vorgangsweise3 Gemäss der aktuellen Interpretation des Artikels 56 HMG durch Swissmedic ist in Notfallsituationen folgendes zu beachten: alle Patienten (ansprechbar/nicht ansprechbar, gemäss Einschätzungen des Prüfarztes fähig oder unfähig, das Einverständnis zu geben) dürfen nur in den klinischen Versuch eingeschlossen werden, nachdem ein unabhängiger Arzt zugezogen wurde. Die Aufgabe des unabhängigen Arztes ist es, vor Einschluss des Patienten sicherzustellen, dass während des klinischen Versuches eine adäquate medizinische Versorgung des Patienten gewährleistet ist. Dies betätigt der unabhängige Arzt mit seiner Unterschrift. Patienten, welche fähig sind, das Einverständnis zu geben, unterschreiben die Einverständniserklärung persönlich. Nachdem die Notfallsituation vorübergegangen ist, müssen diese Patienten jedoch die Teilnahme an klinischen Versuch erneut schriftlich bestätigen. Für Patienten, welche nicht fähig sind, das Einverständnis persönlich zu geben, muss zusätzlich innert nützlicher Frist (aber nicht zwingend vor der Randomisierung) der Willen unter Einbezug der Ansicht der Angehörigen abgeklärt werden. Der Angehörige bestätigt schriftlich. Falls eine mutmassliche Willensäusserung nicht möglich ist, darf der Patient nicht in den Versuch eingeschlossen bzw. weiterbehandelt werden. (Bemerkung: Bereits randomisierte Patienten dürfen nach Ablauf dieser Frist nicht im Rahmen derselben Studie weiterbehandelt werden.) Einzureichende Dokumente4 Es ist eine Information für einen Angehörigen zu erstellen; Vorlage siehe „Schriftliche Einverständniserklärung für Angehörige mit Bestätigung des mutmasslichen Willens der Patientin/des Patienten“; http://www.swissethics.ch/templates.html. Diese Information ist eine Willensabklärung und keine Einverständniserklärung. Zusätzlich ist eine Patienteninformation zu erstellen, welche der Patient bzw. die Patientin sobald er bzw. sie in der Lage dazu ist, unterschreibt. Vorlage siehe „Leitfaden der AGEK zum Erstellen einer PatientInnenInformation für Studien gemäss Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte“; http://www.swissethics.ch/templates.html Ein unabhängiger Arzt muss die medizinische Betreuung des Patienten bzw. der Patientin sicherstellen. Dies muss ebenfalls schriftlich, z.B. durch Unterschrift auf der Willenserklärung des Angehörigen, bestätigt werden. Alternativ dazu gibt es ein separates Dokument, siehe Vorlage „Schriftliche Bestätigung durch studienabhängigen Arzt als Garant der Patienteninteressen“; http://www.swissethics.ch/templates.html Weitere hilfreiche Unterlagen Interpretationshilfe von AGEK/Swissmedic zu Art 56 HMG „Forschung in Notfallsituationen“; Februar 2011 http://www.swissethics.ch/templates.html Referenzen 1 Strafgesetzbuch, Art. 33 und 34; http://www.admin.ch/ch/d/sr/c311_0.html SAMW, Leitfaden Forschung mit Menschen: Ein Leitfaden für die Praxis; http://www.samw.ch/de/Publikationen/Leitfaden.html 3 Swissmedic, Merkblatt FAQ, Notfallsituationen; http://www.swissmedic.ch/bewilligungen/00089/00282/index.html?lang=de 4 Swissmedic, Anleitung Notifikationsdossier, Register 6, Punkt 10; http://www.swissmedic.ch/bewilligungen/00089/00284/index.html?lang=de 2 Abkürzungen SAMW HMG AGEK Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften Heilmittelgesetz Arbeitsgemeinschaft der Ethikkommissionen Universitätsspital Basel, Clinical Trial Unit, Schanzenstrasse 55, CH-4031 Basel, www.clinicaltrialunit.ch Stand der Informationen Dez. 2011 2/2