Der Stoff, aus dem - Max-Planck

Werbung
FOKUS
WELT DER QUANTEN
F OTO : C ERN
A
ls der Philosoph René Descartes
über die Existenz des Menschen
nachdachte, kam er zu dem Ergebnis: „Ich denke, also bin ich.“ Physiker grübeln seit Jahrzehnten darüber
nach, warum überhaupt etwas existiert. Eine befriedigende Antwort
steht noch aus, aber mit neuen Experimenten wollen sie dieser Frage in
den kommenden Jahren auf den
Grund gehen.
Ursache dieser im wahrsten Sinne
des Wortes existenziellen Frage ist
das heutige quantenphysikalische
Standardmodell der Elementarteilchen. Es besagt, dass es zu jedem
Teilchen ein Antiteilchen gibt. Beide
Partner besitzen weitgehend dieselben Eigenschaften, wie identische
Massen, aber entgegengesetzte elektrische Ladung. So ist etwa das Antiproton genauso schwer wie das positiv geladene Proton, besitzt aber eine
genau gleich große, jedoch negative
elektrische Ladung – zumindest nach
der heutigen Standardtheorie. Kom-
men beide in Kontakt, so zerstrahlen
sie vollständig. Materie und Antimaterie werden dabei komplett in Energie umgewandelt. Aus der Vernichtung von einem Kilogramm Materie
ließe sich rein rechnerisch ein Jahr
lang der gesamte Energiebedarf einer
Stadt mit einer Million Einwohnern
decken.
Dieses selbstzerstörerische Verhalten muss bei der Entstehung des Universums eine entscheidende Rolle
gespielt haben. In den ersten milliardstel Sekunden nach dem Urknall
war das extrem heiße Universum
erfüllt von Strahlung und Materie. Ständig vernichteten sich Teilchen-Antiteilchen-Partner gegenseitig. Und umgekehrt formten sich aus
Strahlung solche Paare. Eigentlich
hätte nach diesem Kampf genauso
viel Materie wie Antimaterie existieren müssen. Eine Vielzahl von Beobachtungen haben die Astrophysiker
aber davon überzeugt, dass es im
beobachtbaren Teil des Universums
Im Large Hadron Collider (LHC) werden Protonen mit so hoher Energie aufeinandergeschossen, dass hierbei Zustände herrschen wie kurz nach dem Urknall. Ideale
Bedingungen, um die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie zu untersuchen.
Die Natur vermeidet vollkommene Symmetrie. Wäre dies nicht der Fall, so gäbe es im Universum
keine Materie, sondern ausschließlich Strahlung. Seit einem halben Jahrhundert suchen Physiker
nach der Ursache dieser kleinen, für uns Menschen aber existenziellen Abweichung von der Vollkommenheit – drei Nobelpreise hat es für Teilerfolge bereits gegeben, den letzten 2008. Am Heidelberger MAX-PLANCK-INSTITUT
KELLERBAUER
FÜR
MA
X
P
L ANCK
gehen MICHAEL SCHMELLING und ALBAN
diesem Phänomen nach, indem sie Eigenschaften von Materie- und Antimaterie-
teilchen studieren.
20
KERNPHYSIK
F
ORSCHUNG
4/2008
F OTO : SPL-A GENTUR F OCUS
Der Stoff, aus dem
der Kosmos ist
keine Antimaterie gibt, die vom Urknall stammt.
Hieraus schließen die Forscher,
dass in dieser frühen Phase des Universums ein winziges Ungleichgewicht geherrscht haben muss: Beim
Zerstrahlen von jeweils mehreren Milliarden Materie-Antimaterie-Paaren
muss ein Teilchen übrig geblieben
sein. Das ist etwa so, als würden an
einem Tag alle auf der Erde lebenden
Männer und Frauen heiraten und dabei bliebe ein Mensch übrig. Diese
Differenz erscheint sehr gering, lässt
sich aber nicht mit einem rein zufälligen Überschuss erklären.
EINE SYMMETRIE,
DIE NICHT PERFEKT IST
Dieser winzigen Abweichung von
der perfekten Symmetrie zwischen
Materie und Antimaterie verdanken
wir unsere Existenz. Warum die Natur offenbar die eine Materieart geringfügig bevorzugte, beschäftigt
Michael Schmelling und Alban Kellerbauer vom Max-Planck-Institut
für Kernphysik in Heidelberg.
Schmelling begibt sich damit auf
die Spur eines Experiments, das die
amerikanischen Physiker James Cronin und Val Fitch im Jahr 1964
an einem Teilchenbeschleuniger des
Brookhaven National Laboratory ausgeführt haben. Bei den darin stattfindenden Teilchenkollisionen entstanden unter anderem sogenannte
neutrale K-Mesonen, die wie fast
alle Elementarteilchen nach kurzer
Zeit zerfallen.
Von den neutralen K-Mesonen gibt
es zwei Arten, die sich vor allem in
ihrer Lebensdauer unterscheiden. Beide stellen gebundene Zustände aus
Quarks und Antiquarks dar. Die kurzlebige Art zerfällt jedoch bevorzugt
in zwei Pionen, die etwas länger lebende in drei Pionen. Diese Zerfälle
werden durch die schwache Kernkraft, eine der vier fundamentalen
®
Wechselwirkungen, bestimmt.
4/2008 MAXP
L ANCK
F
ORSCHUNG
21
WELT DER QUANTEN
sik-Nobelpreis. Cronin und Fitch wurden bereits 1978 mit ihm geehrt.
Drei Jahre nach dem denkwürdigen Experiment folgte der nächste
Paukenschlag. Der berühmte russische Physiker Andrei Sacharow
schlug in einer Veröffentlichung vor,
dass diese Symmetriebrechung zwischen Materie und Antimaterie die
Ursache für den Materieüberschuss
im jungen Universum war. Nach
Sacharows Theorie muss darüber
hinaus weniger als eine milliardstel
Sekunde nach dem Urknall das Universum durch einen Zustand thermischen Ungleichgewichts gegangen
sein. „Man kann sich das vielleicht
wie einen Phasenübergang vorstellen, ähnlich wie beim Gefrieren von
Wasser zu Eis“, erklärt Michael
Schmelling. „Dabei wurde die Asymmetrie gewissermaßen eingefroren
und die Übermacht der Materie im
Universum festgeschrieben.“ War damit diese fundamentale Frage endgültig beantwortet?
Nein! Wie Theoretiker bald herausfanden, ist die gemessene Asymmetrie bei den Zerfällen der K-Mesonen
viel zu klein. „Sie müsste eine Milliarde mal größer sein, um die Über-
NEUE TEILCHEN –
GEBOREN AUS FEUERBÄLLEN
Hier kommt der neue Superbeschleuniger des europäischen Teilchenlabors
CERN ins Spiel, der Large Hadron
Collider (LHC). In dem 27 Kilometer
langen Ringbeschleuniger werden
Protonen mit extrem hoher Energie
aufeinandergeschossen. In den dabei
entstehenden „Feuerbällen“ bilden
sich neue Teilchen, darunter auch die
begehrten B-Mesonen.
Die erwartete Produktionsrate des
LHC ist für Michael Schmelling und
seine Kollegen ein Traum: „Dort entstehen in jeder Sekunde einige tausend Mal mehr B-Mesonen als in
derselben Zeit an den anderen Beschleunigern.“ Schmellings Gruppe
gehört zu einer rund 600 Physiker
umfassenden internationalen Kollaboration, die einen der vier großen
Detektoren gebaut hat: den LHCb. Obwohl die Erzeugungsrate dieser Teilchen sehr hoch sein wird, erwartet die
Zeugen der verkehrten Welt: Im Jahr 1995 gelang Wissenschaftlern am CERN
die Produktion von Antiwasserstoff. Davon künden die „Fingerabdrücke“ auf dem
Computermonitor; der untere Teil (grün) zeigt elf Ereignisse, deren Strahlung genau
jener entspricht, die bei der Annihilation von Elektronen und Positronen entsteht.
22
MA
X
P
L ANCK
F
ORSCHUNG
4/2008
Mit Computern lassen sich die für die Forscher interessanten Teilchenkollisionen im Voraus simulieren.
mit Stärken und Schwächen geben.
„Das müssen wir bei der Datenauswertung berücksichtigen.“
Mit einer Länge von 20 Metern
und einem Durchmesser von zehn
Metern hat der LHCb die Ausmaße
eines dreistöckigen Wohnhauses. In
dem Gesamtgewicht von 4500 Tonnen verbergen sich mehrere unterschiedliche Detektoren. Sie haben die
Aufgabe, die Eigenschaften der bei
den Teilchenkollisionen entstehenden Fragmente zu messen: Impuls,
Ladung und Masse sind die bestimmenden Größen. Schmellings Gruppe
hat vor zehn Jahren damit begonnen, Silizium-Streifendetektoren und
dazu passende Auslesechips für das
LHCb-Experiment zu entwickeln.
SILIZIUMDETEKTOREN MIT
ELF QUADRATMETERN
K ERNPHYSIK ( OBEN ) / SPL-A GENTUR F OCUS ( UNTEN )
In einer dieser fundamentalen
Wechselwirkungen muss sich eine
Asymmetrie zwischen Materie und
Antimaterie manifestieren. Nach
allem, was Teilchenphysiker heute
wissen, kommt dafür nur die
schwache Kernkraft infrage.
Wenn zwischen Teilchen und Antiteilchen perfekte Symmetrie herrschen würde, dann wären Zerfälle der
langlebigen Teilchen in zwei Pionen
absolut verboten. In der Sprache der
Teilchenphysik: Die CP-Quantenzahl
müsste erhalten bleiben. Doch zur
Überraschung der Physiker war dies
nicht der Fall. Cronin und Fitch stellten fest, dass ein kleiner Bruchteil der
langlebigen K-Mesonen in zwei Pionen zerfällt. Die CP-Symmetrie ist
also nicht exakt, und es gibt einen
fundamentalen Unterschied zwischen
Materie und Antimaterie.
„Das war damals geradezu ein
Schock für die Physiker“, sagt Schmelling. Doch sie erholten sich schnell
davon und integrierten diese sogenannte CP-Verletzung in ihr Standardmodell der Elementarteilchen.
Für diese Erweiterung erhielten Toshihide Maskawa, Makoto Kobayashi
und Yoichiro Nambu jüngst den Phy-
Forscher eine schwere Aufgabe: Die
B-Mesonen werden nicht isoliert erzeugt, sondern zusammen mit einigen
Dutzend weiteren Teilchen. Unter jeweils etwa zehntausend Zerfällen
eines B-Mesons findet sich dann im
Mittel nur ein Zerfall, der für die spätere Analyse interessant ist.
Gleichzeitig müssen die Forscher
gegen einen Untergrund von etwa
zehn Millionen Proton-Proton-Kollisionen pro Sekunde kämpfen, der sie
gar nicht interessiert, da hier zwar
jede Menge Teilchen erzeugt werden,
aber kein einziges B-Meson. Es ist
die sprichwörtliche Suche nach der
Nadel im Heuhaufen.
Selbstverständlich waren Schmelling und seine Mitarbeiter auch enttäuscht, als der Beschleuniger wegen
eines technischen Defekts kurz nach
dem Start wieder abgeschaltet werden
musste. Erst im kommenden Frühjahr
kann der bis auf wenige Grad über
den absoluten Nullpunkt gekühlte
LHC erneut anlaufen. „Wir hätten
schon beim Anfahren sehr viele Messdaten sammeln können“, sagt der
Heidelberger Max-Planck-Physiker.
Denn genauso wie bei einem kleinen
Laborexperiment müssen die Forscher
auch mit dem riesigen und komplexen LHCb ihre Erfahrungen sammeln.
Auch hier wird es Detektorbereiche
Das Labormuster eines Siliziumdetektors besitzt auf einer Fläche
entsprechend derjenigen von etwa
vier Zigarettenschachteln 384 Streifen und drei Auslesechips. Es vermittelt nur einen schwachen Eindruck
von dem im LHCb eingebauten Gesamtsystem. Dort belegt es eine gesamte aktive Fläche von ungefähr
elf Quadratmetern und hat mehr
als 272 000 Auslesekanäle. Bei einem
Streifenabstand von 0,18 Millimetern
lässt sich damit der Durchgang eines
geladenen Teilchens in 16 Detektorlagen mit einer Genauigkeit von 0,05
Millimeter rekonstruieren.
Bei der Entwicklung der rund 30
Quadratmillimeter großen Auslesechips stießen die Wissenschaftler auf
eine Vielzahl von Problemen. Jeder
Chip beherbergt 128 extrem empfindliche Vorverstärker, mit denen
die schwachen Signale eines Silizium-Streifenzählers innerhalb von
25 milliardstel Sekunden ausgelesen
werden können. Innerhalb weniger
millionstel Sekunden entscheidet
eine unabhängige Logik, ob die Signale zu einer potenziell interessanten Proton-Proton-Kollision gehören. Falls ja, dann wird die
Information weitergeleitet. Zudem
müssen die Chips die intensive Strahlung beim LHC über lange Zeit aushalten. „Jede normale Elektronik
wäre schon nach wenigen Stunden
kaputt“, sagt Schmelling.
Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten der Heidelberger Gruppe wurden zu etwa gleichen Teilen
FÜR
Unter Reinraumbedingungen wurden am MPI für Kernphysik wichtige Teile des Detektors LHCb gebaut.
zahl der Materie über die Antimaterie zu erklären“, sagt Schmelling.
Dennoch sind viele Physiker davon
überzeugt, dass sich des Rätsels Lösung in der CP-Verletzung verbirgt.
Die Theorie sagt voraus, dass der
Grad der Asymmetrie von der Teilchensorte abhängt. Besonders interessant erscheinen in diesem Zusammenhang Verwandte der K-Mesonen,
die B-Mesonen. Hier erwartet man
sehr viel größere Zerfallsasymmetrien als bei den K-Mesonen. Aus diesem Grunde studieren Physiker den
Zerfall dieser Teilchen bereits seit
Jahren an zwei Beschleunigern in
den USA und Japan. Das Problem
dabei: B-Mesonen sind viel schwerer
als K-Mesonen. Ihre Erzeugung in
Teilchenkollisionen erfordert deshalb
erheblich mehr Energie und nur ein
kleiner Bruchteil aller möglichen
Zerfälle ist zur Messung der CP-Verletzung geeignet. Das Feld ist daher
noch lange nicht abgegrast.
F OTOS : MPI
F OTO : MPI
FÜR
K ERNPHYSIK
FOKUS
4/2008 MAXP
L ANCK
F
ORSCHUNG
23
FÜR
I LLUSTRATION : C HRISTOPH S CHNEIDER / F OTO : MPI
dass wir die Frage beantworten können, warum es im Universum Materie
gibt“, sagt Michael Schmelling.
Mit den Experimenten am LHCbDetektor werden die Physiker also
Zerfälle beobachten, bei denen eine
Asymmetrie zwischen Materie und
Antimaterie bekannt ist. Einen anderen, radikaleren Ansatz verfolgt
Schmellings Institutskollege Alban
Kellerbauer. Er fragt sich, ob Teilchen
und Antiteilchen nicht vielleicht doch
leicht unterschiedliche Eigenschaften
besitzen. So besagt das heutige Standardmodell, dass beispielsweise Protonen und Antiprotonen genau dieselbe Masse und eine genau gleich
große, entgegengesetzte Ladung besitzen. Aber ist das wirklich so? Und
wenn nicht, wie könnten sich geringe
Unterschiede messen lassen?
Seit etwa zehn Jahren versuchen
Physiker, Antiwasserstoffatome herzustellen und mit den Eigenschaften
von Wasserstoffatomen zu vergleichen
– eine extrem schwierige Aufgabe.
Die Bausteine der Antiatome, Antiprotonen und Antielektronen (Positronen)
lassen sich zwar relativ leicht herstellen, aber sie zu einem Atom zu verbinden ist äußerst heikel.
FÜR
von erfahrenen Postdocs und Studenten getragen – mit vier Doktorarbeiten, die im Lauf der vergangenen
Jahre schon erfolgreich abgeschlossen wurden, und dreien, die derzeit
noch andauern.
Wenn der LHC im Frühjahr wieder
anläuft, wollen die Heidelberger Physiker die Ernte ihrer zehn Jahre langen Arbeit einfahren. Dann werden
sie mit eigens entwickelten Computerprogrammen die Daten nach interessanten Zerfällen der B- und
Anti-B-Mesonen durchforsten und
die Asymmetrie mit höchstmöglicher
Präzision vermessen. Am aufregendsten wäre es, wenn sie dabei auf
Abweichungen von der theoretischen
Vorhersage stoßen würden.
Das wäre ein deutlicher Hinweis auf
eine „neue Physik“, also etwa auf die
Existenz noch unbekannter Elementarteilchen, die den Zerfall der Mesonen beeinflussen und die möglicherweise im jungen Universum der
Materie zum Sieg über die Antimaterie
verholfen haben. Der LHC eröffnet den
Physikern ganz neue Möglichkeiten,
und die Erwartungen an ihn sind sehr
hoch. „Wir hoffen, dass wir irgendwann alle Prozesse so gut verstehen,
I LLUSTRATION : C HRISTOPH S CHNEIDER / F OTO : MPI
Die zylindrische Penning-Falle, in der Antiteilchen gespeichert werden.
Dieses Ziel erscheint jedoch sehr
vielversprechend, denn kaum ein
quantenphysikalischer Wert ist so genau vermessen wie ein bestimmter
Übergang eines Elektrons im Wasserstoffatom. Den hat die Gruppe um
den Physik-Nobelpreisträger Theodor
Hänsch vom Max-Planck-Institut für
Quantenoptik mit Lasern bis auf 14
Stellen hinter dem Komma genau bestimmt. Was liegt also näher, als
denselben Übergang im Antiwasserstoffatom zu messen und mit Hänschs
Wert zu vergleichen? So war die Laserspektroskopie von Antiwasserstoff
das Ziel der zwei Forschergruppen Atrap und Athena am CERN. Alban Kellerbauer gehörte der Athena-Gruppe
an und kennt die Widrigkeiten dieser
Experimente nur zu genau.
Zunächst wurden Antiprotonen in
einem Beschleuniger erzeugt. Da diese sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegten, wurden sie zunächst in einem Teilchenverzögerer
(eigentlich ein umgekehrt gepolter
Beschleuniger) abgebremst und anschließend durch eine Metallfolie geschossen, wobei sich ihre Energie
noch einmal auf ein Tausendstel verringerte. Nun waren die Antiprotonen langsam genug, um sie in eine
sogenannte Penning-Falle einzuleiten. Das ist ein Metallgefäß, in dessen Innern eine Kombination aus
einem elektrischen und einem magnetischen Feld die Antiprotonen gefangen hält.
Gleichzeitig wurden Positronen in
diese Falle eingeschleust, die beim
Zerfall von radioaktivem Natrium-22
entstanden waren. Eine geschickte
Form des elektrischen Feldes ermöglichte es, diese winzigen Wölkchen
aus Antiprotonen und Positronen
gefangen zu halten und zu überlagern. Dabei verbanden sich die
Teilchen zu Antiwasserstoffatomen.
K ERNPHYSIK
WELT DER QUANTEN
K ERNPHYSIK
FOKUS
Dieses Kunststück gelang den beiden Gruppen am CERN im Jahre
2002 zum ersten Mal. In den folgenden zwei Jahren produzierten sie
zusammen mehrere Millionen Antiwasserstoffatome, doch das hochgesteckte Ziel der Laseruntersuchung
wurde nicht erreicht. Der Grund: Die
elektrischen Felder in der PenningFalle können nur elektrisch geladene
Teilchen gefangen halten. Sobald
sich aber ein Antiwasserstoffatom
gebildet hat, ist dieses neutral und
spürt das Feld nicht mehr. Es schießt
aus der Falle heraus und zerstrahlt
schon nach Sekundenbruchteilen im
Gehäusematerial.
Ganz hoffnungslos ist die Lage
aber nicht. Man kann nämlich zusätzlich eine Falle aus inhomogenen
Magnetfeldern aufbauen, welche die
Antiwasserstoffatome halten können.
Leider sind die aus der PenningFalle kommenden Teilchen dafür zu
schnell. „Man kann sich die Magnetfalle wie einen Topf vorstellen, in
den man die Atome wie Bälle hineinwirft“, erläutert Alban Kellerbauer
die Technik. „Aber die Bälle sind so
schnell, dass sie gleich wieder herausspringen.“ Da sich die Magnetfeldstärke nicht beliebig erhöhen
lässt, stehen die Physiker hier derzeit
vor einem echten Problem.
Die Athena- und Atrap-Gruppen
entwickeln derzeit ihre Apparaturen
weiter. Alban Kellerbauer ist jedoch
sehr skeptisch, dass man in absehbarer
Zeit wirklich Antiwasserstoff in ausreichender Menge für die Laserspektroskopie wird herstellen können. Er
hat deswegen gemeinsam mit Kollegen von mehreren anderen europäischen Universitäten eine eigene Gruppe namens Aegis gebildet, mit der er
eine ganz andere Fragestellung angehen will: Fällt Antimaterie im Schwerefeld der Erde genauso schnell wie
+p
-e
24
MA
X
P
L ANCK
F
ORSCHUNG
4/2008
Materie? Ein Grundpfeiler der heutigen Physik besagt, dass alle Körper
unabhängig von ihrer Masse und ihrer
chemischen Zusammensetzung gleich
schnell fallen. Dies gilt nur für das Vakuum, wo keine Reibung die Bewegung beeinträchtigt. Für Antimaterie
konnte dieses Grundgesetz aber noch
nie getestet werden.
ENDE DER ALLGEMEINEN
RELATIVITÄTSTHEORIE?
Im Rahmen moderner Ansätze zu
einer neuen Teilchenphysik wie
der Stringtheorie erscheint es nicht
ausgeschlossen, dass Materie und
Antimaterie unterschiedlich schnell
fallen. „Eine konkrete Vorhersage
macht die String-Theorie jedoch
nicht“, sagt Kellerbauer. Sollte seine Gruppe einen solchen Unterschied nachweisen, so wäre das die
Sensation. „Es wäre das Ende der
Allgemeinen Relativitätstheorie“, ergänzt Kellerbauer. Doch wie misst
man den Fall von Antiwasserstoffatomen?
Anstatt die Antiatome einzufangen, werden sie nach ihrer Bildung
parallel zur Erdoberfläche beschleunigt. Dieser Strahl fliegt dann über
eine Distanz von etwa einem Meter
und biegt dabei um wenige Mikrometer nach unten ab, bevor er auf
einen Detektor trifft. Eine trickreiche Messapparatur, ein sogenanntes Interferometer, ermöglicht
es, diese Falltiefe genau zu messen.
Der so erhaltene experimentelle
Wert wird dann mit dem erwarteten
Wert verglichen. Landet der Antiwasserstoffstrahl etwas höher oder
tiefer auf dem Detektor als erwartet, dann bedeutet dies, dass Antimaterie im Schwerefeld anders fällt
als Materie.
Das Aegis-Projekt ist am CERN bereits durch das Wissenschaftskomitee
positiv begutachtet worden. Nun hat
auch das Research Board grünes
Licht gegeben, und so kann Kellerbauers Gruppe die Apparatur aufbauen und in zwei bis drei Jahren
mit den Messungen beginnen. Sollten die Forscher einen Unterschied
zwischen Materie und Antimaterie
aufspüren, so würden sie damit das
Tor zur „neuen Physik“ ganz weit
aufstoßen. Und sie wären der Frage,
warum es heute im Universum Materie gibt, einen entscheidenden Schritt
THOMAS BÜHRKE
näher gekommen.
-p
+e
H
Mit Laserstrahlen werden Antiteilchen abgebremst, in Laborversuchen wird die Technik erprobt.
–H
In einem Wasserstoff-Atom (ganz links) umkreist
ein Elektron den aus einem Proton bestehenden Kern.
Im Antiwasserstoff (links) sind die Ladungsverhältnisse genau
umgekehrt: Ein Antielektron (Positron) umkreist das Antiproton.
4/2008 MAXP
L ANCK
F
ORSCHUNG
25
Herunterladen