Volkswirtschaftliches Basiswissen Immobilien b Volkswirtschaftliches Basiswissen Immobilien Herausgeber: Verband deutscher Pfandbriefbanken e. V. Georgenstraße 21 10117 Berlin Telefon +49 30 20915-100 Telefax +49 30 20915-101 [email protected] http://www.pfandbrief.de Postanschrift: Postfach 64 01 36 10047 Berlin Abgeschlossen Dezember 2009 Grafische Konzeption, Layout und Abbildungen: FROMM MediaDesign, Selters/Taunus Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Alle Rechte vorbehalten. Die Wiedergabe von Auszügen ist nur unter Angabe der Quelle gestattet. Kapitel Dr. Michael Voigtländer Volkswirtschaftliches Basiswissen Immobilien Kapitel Kapitel Dr. Michael Voigtländer Volkswirtschaftliches Basiswissen Immobilien Inhaltsverzeichnis Vorwort des Herausgebers _______________________________________ 7 1 Volkswirtschaftliche Grundlagen _____________________________ 8 1.1 Mankiws 10 Regeln _____________________________________ 9 1.2 Fazit ________________________________________________ 16 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes _______________________ 18 4 2.1 Intransparenz und Informationskosten _____________________ 19 2.1.1 Such- und Informationskosten ____________________________ 20 2.1.2 Asymmetrische Information _____________________________ 22 2.2 Lange Nutzungsdauer und hohe Kapitalbindung ______________ 24 2.3 Externe Effekte ________________________________________ 2.4 Marktmacht __________________________________________ 28 2.5 Rolle des Staates _______________________________________ 31 2.5.1 Festlegung der Rahmenbedingungen _______________________ 31 2.5.2 Grundlagen der (Immobilien-)Besteuerung __________________ 33 2.5.3 Subventionen für Mieter und Selbstnutzer ___________________ 36 2.5.4 Öffentliche Hand als Bestandshalter? _______________________ 38 2.6 Immobilienmarkt zwischen Marktversagen 25 und Staatsversagen ____________________________________ 42 3 Bestimmungsgründe für Immobilienpreise _____________________ 44 3.1 Immobilienangebot ____________________________________ 45 3.2 Immobiliennachfrage __________________________________ 47 3.2.1 Einkommen __________________________________________ 48 3.2.2 Demografie __________________________________________ 49 3.2.3 Mieten ______________________________________________ 50 3.2.4 Zinsen ______________________________________________ 51 3.3 Preisbildung auf den Immobilienmärkten ___________________ 53 3.4 Besonderheiten der Märkte für Büro- und Einzelhandelsimmobilien _______________________________ 57 Inhaltsverzeichnis 4 Immobilien- und Kapitalmarkt _______________________________ 60 4.1 Grundlagen des Kapitalmarktes ___________________________ 60 4.2 Immobilienanlagen im Überblick __________________________ 63 4.2.1 Geschlossene Immobilienfonds ___________________________ 63 4.2.2 Offene Immobilienfonds ________________________________ 64 4.2.3 Immobilienaktiengesellschaften __________________________ 65 4.2.4 Alternative Immobilieninvestments _______________________ 68 4.3 Immobilien als Assetklasse ______________________________ 69 4.3.1 Portfolioinvestitionen und Immobilien _____________________ 69 4.3.2 Immobilien als Altersvorsorge ____________________________ 72 4.4 Rolle der Banken ______________________________________ 74 4.4.1 Volkswirtschaftliche Funktion der Banken ___________________ 74 4.4.2 Immobilienfinanzierung ________________________________ 4.4.3 Refinanzierung von Immobilienfinanzierungen _______________ 80 4.4.4 Subprime-Krise _______________________________________ 75 83 5 Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt ______________________ 90 5.1 Grundzüge der Geldpolitik _______________________________ 91 5.2 Inflation _____________________________________________ 94 5.2.1 Kosten der Inflation ____________________________________ 94 5.2.2 Immobilien und Inflation ________________________________ 96 5.3 Wechselwirkungen zwischen Geldpolitik, Konjunktur und Immobilienmärkten ________________________________ 99 6 Immobilienzyklen und spekulative Blasen ______________________ 104 6.1 Ursachen für Immobilienzyklen ___________________________ 106 6.2 Spekulative Blasen _____________________________________ 108 6.3 Deutschland in der Sonderrolle ___________________________ 111 Literaturverzeichnis ____________________________________________ 115 Abbildungsverzeichnis __________________________________________ 119 Tabellenverzeichnis ____________________________________________ 120 Stichwortverzeichnis ___________________________________________ 121 5 Kapitel Vorwort des Herausgebers Die Volkswirtschaftslehre analysiert die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge zwischen Staat, Unternehmen und privaten Haushalten. Das Spektrum der Themen ist umfassend und reicht von ganz grundsätzlichen Fragen zu Konjunktur und Wachstum über Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage und deren Auswirkungen auf die Preisbildung bis hin zu Geldpolitik, Inflation und internationalen Fragestellungen wie den Auswirkungen der Globalisierung. Volkswirtschaftliche Entwicklungen haben einen wesentlichen Einfluss auf den Immobilienmarkt. Die Akteure der Immobilienwirtschaft sollten daher mit den grundsätzlichen Wirkungszusammenhängen vertraut sein. In der vorliegenden Publikation wird das breite Themenspektrum der Volkswirtschaftslehre unter dem Fokus der Immobilien betrachtet. Der Autor, Dr. Michael Voigtländer, Leiter der Forschungsstelle Immobilienökonomik am Institut der deutschen Wirtschaft Köln, hat in der vorliegenden Publikation die volkswirtschaftliche Theorie direkt auf den Immobilienmarkt angewandt. Eingangs werden die wesentlichen volkswirtschaftlichen Ansätze überblicksartig und anhand von Beispielen aus der Immobilienwirtschaft erläutert. Die Besonderheiten des Immobilienmarktes werden identifiziert und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Marktakteure und insbesondere die Rolle des Staates analysiert. Des Weiteren erfolgt eine umfassende Darstellung einiger zentraler Themen der Volkswirtschaftslehre in Bezug auf den Immobilienmarkt, insbesondere dem Zusammenspiel von Angebot, Nachfrage und somit der Preisbildung, der Geldpolitik und der Konjunktur. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen an den internationalen Kapital- und Immobilienmärkten widmet der Autor zwei weitere Kapitel den Interaktionen zwischen diesen Märkten, insbesondere der volkswirtschaftlichen Rolle von Banken, sowie der Entstehung von Immobilienzyklen und spekulativen Blasen. Die Inhalte dieser Publikation werden auch für die Immobiliensachverständigen-Ausbildung an den kreditwirtschaftlichen Akademien in Deutschland verwendet. Diese berufsbegleitenden Programme dienen der Vorbereitung auf die HypZert-Zertifizierungsprüfung. Jens Tolckmitt Hauptgeschäftsführer Achim Reif Bereichsleiter Immobilienfinanzierung Inland, Bewertung 7 Kapitel 1 1 Kernproblem Knappheit Volkswirtschaftliche Grundlagen Volkswirtschaftliche Grundlagen Die Volkwirtschaftslehre umfasst ein weites Spektrum an Themen. Volkswirte beschäftigen sich mit dem Arbeitsmarkt, mit der Familienpolitik, mit dem Klimaschutz oder mit der Kriminalität. Im Kern geht es aber in der VWL immer wieder darum, Knappheitsprobleme zu lösen. Den Haushalten stehen nur 8 begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung, und sie müssen daher immer wieder neu entscheiden, wofür sie ihr Budget verwenden. Unternehmen stehen vor schwierigen Investitionsentscheidungen und müssen sich beispielsweise zwischen einer Vielzahl von Standorten entscheiden. Und die Bundesregierung muss abwägen, welche Maßnahmen den Bürgern am meisten nützen. Immer wieder geht es darum, solche Lösungen zu identifizieren, die mit begrenzten finanziellen Mitteln den größten Nutzen stiften. Dabei kann sich der Nutzen, je nach Sichtweise und Präferenz, aus Gewinnen, Zeit oder Lebensqualität im Allgemeinen zusammensetzen. Leitvorstellungen Ökonomen sind sich keineswegs immer einig. Im Gegenteil, einige Diskussionen werden mit großer Schärfe und Hartnäckigkeit geführt, beispielsweise über die Gründe für die Arbeitslosigkeit. Nichtsdestotrotz gibt es aber Leitvorstellungen und Grundgedanken, die allgemein akzeptiert sind. Mankiw (2004) hat diese Leitvorstellungen zu 10 Regeln zusammengefasst, die in hervorragender Weise einen Überblick über die VWL geben. Daher sollen diese 10 Regeln im Folgenden kurz wiedergegeben werden. Volkswirtschaftliche Grundlagen 1.1 Kapitel 1 Mankiws 10 Regeln (1) Alle Menschen stehen vor Zielkonflikten Eine wichtige Folge der Knappheit ist, dass nicht alle Bedürfnisse befriedigt werden Folgen der Knappheit können. Viele Familien müssen sich entscheiden, ob sie ein Haus erwerben, ein größeres Auto kaufen oder aber häufiger in die Ferien fahren. Jeder Euro, der für den Urlaub ausgegeben wird, fehlt bei der Finanzierung des Eigenheims – und umgekehrt. Dabei können die Zielkonflikte ganz unterschiedliche Dimensionen haben: Ein selbständiger Taxifahrer muss beispielsweise entscheiden, ob er länger arbeitet und so mehr Geld verdient oder ob er mehr Freizeit genießt. Der Staat wiederum sieht sich oft widerstrebenden Interessen verschiedener Gruppen gegenüber. Zur Finanzierung seiner Aufgaben braucht er Einnahmen. Erzielt er diese primär durch Kapitalsteuern, riskiert er, dass Kapitaleigner abwandern bzw. ihr Geld eher im Ausland anlegen. Finanziert er sich hingegen primär über Lohnsteuern, sinkt die Motivation der Bürger, arbeiten zu gehen. Diese Zielkonflikte sind die Basis aller volkswirtschaftlichen Überlegungen. 9 (2) Opportunitätskosten Zielkonflikte erfordern Entscheidungen und diese wiederum erfordern, Kosten Oft vergessen: und Nutzen gegeneinander abzuwägen. Die Kosten einer Maßnahme bleiben Opportunitäts- jedoch oftmals verborgen. Dies kann man etwa an dem Kauf einer Immobilie kosten illustrieren. Der Nutzen aus einer selbst genutzten Immobilie setzt sich aus den zukünftig gesparten Mieten sowie aus der Freiheit zusammen, unabhängig von einem Vermieter agieren zu können. Die Kosten hingegen werden von den Finanzierungslasten, die mit dem Erwerb der Immobilie verbunden sind, bestimmt. So betrachten viele Hauseigentümer die Nutzen-Kosten-Rechnung. Sie vergessen dabei jedoch die Kosten ihres Eigenkapitals. Hätten sie ihr Eigenkapital nicht für eine Immobilie verwendet, sondern beispielsweise in Aktien angelegt, würden sie laufende Erträge erzielen. Diese Erträge sind Opportunitätskosten, d. h., es sind Kosten, die entstehen, wenn alternative Aktionen nicht mehr gewählt werden können. Nur wenn die Opportunitätskosten einbezogen werden, können Haushalte, Unternehmen und Regierungen rationale Entscheidungen treffen. Kapitel 1 Volkswirtschaftliche Grundlagen (3) Grenzbetrachtungen Denken in Grenz- Ökonomen denken nur in seltenen Fällen in Durchschnittskosten oder in Durch- begriffen schnittserlösen, sondern sie betrachten Grenzkosten und Grenznutzen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Maßnahmen oder Aktionen solange vorteilhaft sind, wie der Nutzen der nächsten Einheit die Kosten der nächsten Einheit übersteigt. So überlegt beispielsweise der Taxifahrer, ob er noch eine weitere Stunde fahren soll, oder der Schüler steht vor der Entscheidung, ob ihm ein weiteres Schuljahr oder ein weiterer Abschluss einen Vorteil erbringt, der die Kosten (Opportunitätskosten!) rechtfertigt. Die Rationalität des Denkens in Grenzbegriffen verdeutlicht auch das folgende Beispiel: BEISPIEL Ein Hotel hat 100 Zimmer, deren Bewirtschaftung am Wochenende 10 000 € kostet, also 100 € pro Zimmer. Hieraus abzuleiten, dass der Zimmerpreis nicht unter 100 € liegen darf, wäre falsch. Sind zum Wochenende noch einige Zimmer frei, lohnt es sich noch Gäste aufzunehmen, auch wenn diese beispielsweise nur 50 € zahlen. Relevant ist für das Hotel nur, ob die zusätzlichen Kosten, die die Gäste verursachen, also etwa die Reinigungskosten und die Kosten für das Früh- 10 stück, geringer sind als die zusätzlichen Einnahmen. Solange die Grenzerlöse die Grenzkosten übersteigen, leisten die „Last-Minute“-Gäste einen Beitrag zum Gewinn bzw. zur Verlustminimierung. (4) Anreize bestimmen das Verhalten Menschen Es ist eine Grundprämisse der VWL, dass Menschen ihre Entscheidungen auf der reagieren auf Anreize Basis von Kosten-Nutzen-Abwägungen treffen. Daraus folgt, dass sie auch auf Veränderungen des Nutzens und der Kosten reagieren. Steigen die Immobilienpreise in einer Stadt, werden die Bürger und Unternehmen weniger Wohn- und Büroflächen nachfragen. Gleichzeitig bestehen Anreize für die Bauwirtschaft, mehr Immobilien zu bauen, da die Gewinne steigen. Anreizüberlegungen Von zentraler Bedeutung sind Anreizüberlegungen nicht nur für Haushalte und Unternehmen, sondern auch für die Wirtschaftspolitik. Gerade im Bereich der Immobilienmärkte hat der Staat oftmals durch Anreize versucht, die Marktergebnisse zu verändern. So hat die Bundesregierung nach der Wiedervereinigung durch Sonderabschreibungen die Bautätigkeit in Ostdeutschland deutlich gesteigert. Die Volkswirtschaftliche Grundlagen Kapitel 1 Anreize waren dabei jedoch so stark, dass ein Überangebot entstand, welches nur langsam abgebaut wird. Doch nicht nur die Feinsteuerung der Anreize ist oftmals schwierig, auch mit Nebeneffekten muss gerechnet werden. Viele Länder haben nach dem Zweiten Weltkrieg versucht, die Wohnungsmärkte durch eine strenge Regulierung der Mieten zu stabilisieren. Sie fürchteten Beispiel Wohnungsmarkt stark anziehende Mieten und – damit verbunden – soziale Probleme. Die regulierten Mieten waren für die Haushalte sehr attraktiv, doch die Investoren zogen sich mehr und mehr aus dem Markt zurück, wodurch das Angebot an Wohnraum noch knapper wurde. Darüber hinaus führte der Mietstopp dazu, dass die Haushalte eine einmal bewohnte Wohnung, gerade in attraktiver Lage, nicht mehr verlassen wollten, auch wenn sie unter anderen Umständen schon lange ausgezogen wären. In Wien entwickelte sich hieraus die Praxis, dass Mieter ihre Wohnung nur verließen, wenn die Nachmieter einen Teil des Inventars zu völlig überzogenen Preisen kauften. Auf diese Weise wurden die neuen Mieter letztlich doch mit höheren Mietkosten belastet. Aufgrund der daraus entstehenden Unübersichtlichkeit des Marktes, der fehlenden Investitionsanreize und der weiteren Umgehungskosten wurden letztlich alle mit höheren Kosten belastet. 11 (5) Wirtschaft lebt von der Arbeitsteilung Bis vor einigen Jahren war es bei den großen Industrieunternehmen üblich, dass sie Facility ihre Immobilien selbst bewirtschafteten. Ebenso wie der Produktionsprozess Management wurde auch der Betrieb der eigenen Immobilien organisiert, d. h., die Immobilien wurden selbst gewartet, die Versorgungsverträge wurden selbst ausgesucht und auch die Reinigung wurde von eigenen Mitarbeitern vorgenommen. Darüber hinaus verfügten viele Unternehmen auch noch über größere Wohnungsbestände, beispielsweise für ihre Mitarbeiter. Mittlerweile hat sich das Bild jedoch gewandelt. Große Industriebetriebe beauftragen Unternehmen mit dem Facility Management. Sie wenden sich beispielsweise an externe Gebäudereiniger, und sie überlassen die Verwaltung großer Bestände spezialisierten Asset Managern. Kurzum: Sie haben die Vorteile der Arbeitsteilung entdeckt. Durch Spezialisierungen können oftmals beträchtliche Fortschritte erzielt werden. Wer sich nur nebenbei um die Bewirtschaftung einer Immobilie kümmert, hat in der Regel Nachteile gegenüber demjenigen, der sich hierauf spezialisiert. Zentral für die Idee der Arbeitsteilung sind komparative Kostenvorteile. Dies lässt sich am besten an einem Beispiel illustrieren. Komparative Kostenvorteile Kapitel 1 Volkswirtschaftliche Grundlagen BEISPIEL In einem Büro arbeiten sowohl ein Buchhalter als auch ein Assistent, der sich unter anderem um die Ablage kümmert. Obwohl der Buchhalter die Aufgaben seines Assistenten selbst besser erledigen kann, macht es Sinn, dass sie ihre bisherige Aufgabenteilung beibehalten. Denn während der Buchhalter vielleicht nur geringe Vorteile bei den Sekretariatsarbeiten hat, sind seine Vorteile im Bereich der Buchhaltung umso größer. Da beiden nur begrenzte Zeit zur Verfügung steht, können sie in der gewählten Aufgabenteilung ihre Arbeitsleistung maximieren. Die Idee der Arbeitsteilung bzw. das Konzept der komparativen Kostenvorteile hat weitreichende Konsequenzen. Es ermöglicht beispielsweise, dass in einer Gesellschaft auch weniger gut ausgebildete Personen am Arbeitsmarkt einen Platz finden. Außerdem liefert es eine Begründung für die Globalisierung. Im internationalen Kontext geht es vor allem um eine Spezialisierung der Länder auf die Herstellung bestimmter Güter und das Erbringen bestimmter Dienstleistungen, durch die insgesamt ein höherer Wohlstand für alle erzielt werden kann. (6) Die unsichtbare Hand 12 Der Preis Ökonomen sind in aller Regel leidenschaftliche Anhänger der Marktwirtschaft. Die steuert Marktwirtschaft zeichnet sich aus durch die dezentrale Entscheidung über die die Märkte Produktion der Güter und Dienstleistungen. Während in einer Planwirtschaft ein zentraler Planer versucht, die Bedürfnisse seiner Bürger zu antizipieren, überlässt man diese Entscheidung in Marktwirtschaften dem freien Spiel der Kräfte. Die Historie hat mittlerweile eindrucksvoll die Vorteilhaftigkeit der Marktwirtschaft gegenüber der Planwirtschaft verdeutlicht. Dennoch bleibt für viele rätselhaft, wie dieses System funktioniert. Zentral für die Funktionsfähigkeit des Marktes ist der Preis, denn er stellt den wichtigsten Knappheitsindikator dar. Er gibt den Wert eines Gutes wieder, und die Haushalte richten ihre Konsumentscheidungen hieran aus. Steigt beispielsweise der Ölpreis, weil die Ölvorräte immer knapper werden, passen die Haushalte ihre Entscheidungen an und wechseln etwa vom Auto zum Zug. Preise lenken jedoch nicht nur die Haushalte. Sie signalisieren auch Unternehmen Knappheiten. Steigende Preise in einem Markt bedeuten, dass das Angebot der Nachfrage hinterherhinkt. Durch eine Ausweitung der Produktion können dann Gewinne realisiert werden, wie dies schon unter Regel 4 kurz skizziert wurde. Adam Smith hat diesen Mechanismus als die „unsichtbare Hand des Marktes“ bezeichnet. Obwohl letztlich alle Haushalte und Unternehmen ihre Volkswirtschaftliche Grundlagen Kapitel 1 eigenen Ziele und Interessen verfolgen, werden die Güter und Dienstleistungen über den Preismechanismus so verteilt, dass für alle der größtmögliche Nutzen entsteht. Auf Seiten der Anbieter setzen sich die kostengünstigsten Wettbewerber durch, und auf Seiten der Nachfrager kommen diejenigen zum Zug, für die die Güter und Dienstleistungen – ausgedrückt in der jeweiligen Zahlungsbereitschaft – den größten Wert darstellen. Vor diesem Hintergrund stehen Ökonomen Eingriffen in den Preismechanismus, wie etwa in Form eines Mietstopps, grundsätzlich kritisch gegenüber. (7) Aufgaben des Staates Die Vorteilhaftigkeit des freien Marktes impliziert nicht, dass der Staat überflüssig Staat setzt Rahmen- ist. Im Gegenteil, erst dadurch, dass der Staat einen Rechtsrahmen schafft und bedingungen diesen auch durchsetzt, kann die unsichtbare Hand überhaupt wirken. Wenn ein Vermieter nicht sicher sein kann, dass Mieter auch tatsächlich die Miete bezahlen, wird er nicht bereit sein, ein Gebäude überhaupt zu errichten. Wenn ein Bauer davon ausgehen muss, dass sein Getreide gestohlen wird, wird er erst gar nichts anbauen. Ohne den Rechtsstaat kann die Arbeitsteilung nicht funktionieren, da wir uns dann wieder als Selbstversorger betätigen und zudem einen erheblichen 13 Teil unserer Ressourcen für den Selbstschutz aufwenden müssten. Darüber hinaus gibt es auch einige wichtige Ausnahmen von der Vorteilhaftig- Marktunvoll- keit der unsichtbaren Hand. So bestehen verschiedene Marktunvollkommen- kommenheiten heiten, die sich unter Umständen nur mit staatlicher Hilfe heilen lassen. Ein wich- und externe Effekte tiger Bereich sind hier externe Effekte, d. h., der Nutzen oder die Kosten Dritter unterliegen Einflüssen, die nicht über den Preismechanismus abgebildet werden. Umweltverschmutzungen sind wohl das wichtigste Beispiel für so genannte negative externe Effekte. Eine andere Unvollkommenheit ist Marktmacht. Stehen den Haushalten nur einige oder im Extremfall sogar nur ein Unternehmen gegenüber, wird die unsichtbare Hand außer Kraft gesetzt, weil die Eigeninteressen der Unternehmen dann nicht mehr begrenzt werden. In der Folge können die Haushalte ausgebeutet werden. Das ist gerade dann der Fall, wenn es um Güter geht, die nicht leicht substituiert werden können. In diesen und anderen Fällen kann der Staat durch Eingriffe das Marktergebnis verbessern. Allerdings bedingt eine Marktunvollkommenheit nicht zwangsläufig einen Eingriff. Gerade der Immobilienmarkt, der in vielerlei Hinsicht Unvollkommenheiten aufweist, ist ein Beispiel dafür, dass übermäßige Eingriffe mehr schaden als nutzen. Dies soll im nächsten Kapitel vertieft werden. Kapitel 1 Volkswirtschaftliche Grundlagen (8) Wachstum hängt von der Produktivität ab Produktivität ist Von allen ökonomischen Themen wird der Konjunktur und dem Wirtschafts- ausschlaggebend wachstum wohl die meiste Beachtung geschenkt. Begierig stürzen sich die Medien für den Wohlstand auf jede neue Wachstumsprognose und berichten ausführlich über die konjunkturelle Entwicklung. In der Tat ist das Wirtschaftswachstum eine wichtige Größe für die Volkswirtschaft, da hierüber der Lebensstandard bestimmt wird. Und auch für den Immobilienmarkt hat die konjunkturelle Entwicklung wichtige Implikationen, wie in Kapitel 6 gezeigt wird. Doch wovon hängt das Wirtschaftswachstum bzw. unser Lebensstandard insgesamt ab? Zur Beantwortung dieser Frage ist es – wie so oft in der VWL – hilfreich, ein einfaches Beispiel zu betrachten. Bauern waren in der Geschichte lange Zeit Selbstversorger. Sie bauten alle für sie wichtigen Getreidesorten an, verarbeiteten die Ernte und züchteten und schlachteten Nutztiere. Ihr Lebensstandard hat sich daher danach bemessen, was sie in der Lage waren zu produzieren. Dies gilt auch für die Volkswirtschaft insgesamt: Je mehr Waren und Dienstleistungen wir produzieren können, desto höher fällt unser Lebensstandard aus. Die Fähigkeit zur Produktion hängt wiederum von den eingesetzten Produktionsfaktoren ab. Eine Gesellschaft, die es sich leistet, einen größeren Teil ihres 14 Arbeitskräftepotenzials beschäftigungslos zu lassen, verschenkt somit einen Teil ihres Lebensstandards. Die Kosten der Arbeitslosigkeit bestimmen sich daher nicht primär durch die Ausgaben für Arbeitslose, sondern durch das ungenutzte Produktionspotenzial. Zum anderen hängt unser Lebensstandard davon ab, wie gut wir mit den vorhandenen Ressourcen umgehen können, d. h. von unserer Produktivität. Je mehr Güter oder Dienstleistungen wir pro Arbeitsstunde herstellen oder erbringen können, desto wohlhabender sind wir. So beruhen die internationalen Unterschiede in den Lebensstandards vor allem auf den unterschiedlichen Produktivitäten. Dass die Produktivität in West-Europa deutlich höher ist als beispielsweise in vielen afrikanischen Ländern, liegt vor allem an der besseren Ausbildung der Arbeitskräfte und dem höheren Kapitaleinsatz. Auch dies lässt sich einfach anhand des Bauernhofes illustrieren. Der Übergang von Sensen zu automatisierten Erntemaschinen stellt einen Quantensprung für die Produktivität dar. So konnte die Arbeitsleistung pro Stunde durch den Einsatz von mehr Kapital (der Erntemaschine) deutlich erhöht werden. Die gesparte Zeit kann dann genutzt werden, um weitere Güter zu produzieren. Volkswirtschaftliche Grundlagen Kapitel 1 Hier wird teilweise eingewandt, dass der Einsatz von mehr Kapital zu Arbeitskräfteeinsparungen und damit zu Arbeitslosigkeit führt. Solange die Menschen jedoch noch unerfüllte Bedürfnisse haben, muss dies nicht sein. Gerade bei steigendem Lebensstandard wächst die Nachfrage nach arbeitsintensiven Dienstleistungen. Mit der zunehmenden Verbreitung von Conciergediensten und Reinigungsservices bei großen Wohnungsgesellschaften liefert gerade die Immobilienwirtschaft hierfür ein anschauliches Beispiel. (9) Inflation lässt sich steuern In den 1920er-Jahren erlebte Deutschland eine der schlimmsten Geldentwer- Nachteilige tungen der Geschichte. Noch 1921 kostete eine Tageszeitung in Deutschland etwa Inflationswirkungen 0,30 Mark; zwei Jahre später waren es 70 000 000,00 Mark. Inflation in diesem Ausmaß hat dramatische Folgen. Niemand ist mehr bereit zu sparen und Geld zu verleihen, d. h., es steht kein Geld mehr für Investitionen bereit. Die Menschen gehen wieder zum Tausch von Sachleistungen und Waren über, was deutlich umständlicher und aufwändiger ist als der Weg über Geld. Kurzum, ausufernde Inflation lähmt die Volkswirtschaft. Doch auch eine schleichende Inflation kann die wirtschaftliche Entwicklung hemmen. Nicht zuletzt aufgrund der damaligen 15 schlimmen Erfahrungen hat die Geldwertstabilität für die Deutsche Bundesbank immer die höchste Priorität. Inflation entsteht vor allem dadurch, dass die Geldmenge schneller steigt als die Produktion der Güter und Dienstleistungen. Immer wieder haben Staaten in der Vergangenheit die Geldmenge deutlich ausgeweitet, um etwa ihre Schulden zu finanzieren oder um Investitionen zu tätigen. Um dies zu verhindern, wurden die Zentralbanken in allen OECD-Staaten unabhängig, d. h., die Politik hat hinsichtlich der Geldpolitik keine Weisungsbefugnis. Darüber hinaus sind die Zentralbanken daran gebunden, die Geldwertstabilität zu gewährleisten. Tatsächlich haben die Zentralbanken in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte in der Inflationsbekämpfung erzielt, auch wenn die Inflation immer noch nicht vollständig beherrscht wird. Auch für die Immobilienwirtschaft hat die Inflation eine hohe Bedeutung. Schließlich gilt Immobilienvermögen als inflationsgeschützt. Hierauf soll näher in Kapitel 5 eingegangen werden. Ursache der Inflation Kapitel 1 Volkswirtschaftliche Grundlagen (10) Zielkonflikt zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit Phillips-Kurve: Zielkon- Ein Grund, warum Inflation nicht vollständig eingedämmt wird, liegt in dem kurz- flikt zwischen Inflation fristigen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit. Inflation be- und Arbeitslosigkeit deutet, dass die Verbraucherpreise steigen. Wenn die Löhne kurzfristig unflexibel sind, weil sie etwa durch Tarifverträge definiert werden, wird es für Unternehmen attraktiver, mehr Menschen einzustellen. Gerade um konjunkturelle Abwärtsbewegungen zu moderieren, kann daher ein gewisses Maß an Inflation durchaus hilfreich sein, zumal die Zentralbanken als Nebenziel auch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beachten sollen. Umgekehrt gilt entsprechend, dass bei rückläufiger Inflation die Arbeitslosigkeit ansteigen kann. Dieser Zusammenhang wird nach seinem Entdecker mit der Phillips-Kurve beschrieben, die den Zielkonflikt zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit funktional darstellt. Die Phillips-Kurve wurde gerade in den 1970er-Jahren sehr intensiv und kritisch diskutiert. Konsens ist mittlerweile, dass es für die Politik keine dauerhafte Entscheidung zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit gibt. Wenn die Arbeitnehmer wissen, dass die Inflation jedes Jahr steigt oder stärker steigt, werden sie ihre Lohnforderungen entsprechend anpassen und die Beschäftigungsausweitung bleibt aus – die Inflationsfolgen bleiben jedoch. Kurzfristig und bei überraschenden 16 Änderungen bleibt der Zusammenhang allerdings bestehen. 1.2 Fazit Unterschiedliche Die 10 Regeln geben einen guten Überblick über die Denkweise und die Leitvorstel- Ansätze lungen der VWL. Ökonomen versuchen immer wieder, Zielkonflikte herauszustellen und Konfliktlösungen anzubieten – oder zumindest eine vernünftige Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Neben diesem normativen Ansatz, der mit Hilfe der Theorie Handlungsempfehlungen entwickelt, verfolgt die volkswirtschaftliche Forschung auch zunehmend einen so genannten positiven Ansatz, d. h., Entwicklungen und Handlungsweisen sollen – frei von Bewertungen – erklärt werden. So kann die ökonomische Theorie etwa anhand der Analyse der Marktakteure begründen, warum der Immobilienmarkt immer wieder zu ausgeprägten Preiszyklen neigt. Volkswirtschaftliche Grundlagen Ein zentraler Begriff fehlt bislang jedoch noch: die Effizienz. Unter Effizienz ver- Kapitel 1 Effizienz stehen Ökonomen, dass ein bestimmtes Ziel mit dem geringsten möglichen Ressourceneinsatz erreicht wird oder dass bei gegebenen Ressourcen der größtmögliche Nutzen erzielt wird. Das Anliegen der VWL ist es, allgemeine Lösungen aufzuzeigen, durch die die gesellschaftlichen Ressourcen (Arbeit, Kapital, Boden) bestmöglich eingesetzt werden. Das entscheidende Instrument ist hierbei ein funktionierender Markt, denn der Wettbewerb der Unternehmen und der Nachfrager bewirkt letztlich, dass Akteure effizient handeln müssen. Entgegen weit verbreiteten Vorurteilen muss es keineswegs einen Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Effizienz geben. Im Gegenteil, Ökonomen können beispielsweise belegen, dass ein universeller obligatorischer Krankenversicherungsschutz oder eine soziale Mindestsicherung elementare Bestandteile einer funktionierenden Wirtschaftsordnung darstellen (vgl. z. B. Roth, 2007). Um Fragen der Gerechtigkeit soll es in dieser Broschüre jedoch weniger gehen. Auch normative Aspekte, also etwa Staatseingriffe, werden, außer in Kapitel 2, eher nachrangig behandelt. Vielmehr findet der positive Strang der volkswirtschaftlichen Theorie Anwendung, wenn es darum geht, das Verständnis für den Immobilienmarkt zu schulen. 17 Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes 2 18 Besonderheiten desImmobilienmarktes Immobilienmarktes Besonderheiten des Bedingungen Im vorigen Kapitel wurde die Funktionsweise der „unsichtbaren Hand“ dargestellt. des vollkommenen Im Wettbewerb setzen sich demnach nur die kostengünstigsten Anbieter sowie Wettbewerbs die Nachfrager mit der größten Zahlungsbereitschaft durch. Hierdurch werden die Ressourcen so eingesetzt, dass der größtmögliche Nutzen entsteht. Ein solches Marktergebnis kann jedoch nicht in jeder Marktkonstellation erwartet werden. Eindeutig ist das Marktergebnis im vollkommenen Wettbewerb. Sind die folgenden Bedingungen erfüllt, findet der Markt eine effiziente Lösung: 쐍 Es stehen sich eine sehr große Anzahl von Anbietern und Nachfragern gegen- über. 쐍 Die Güter sind gleich (homogen). 쐍 Anbieter und Nachfrager verfügen über alle relevanten Informationen. 쐍 Angebot und Nachfrage passen sich schnell an veränderte Rahmenbedin- gungen an. Auch ohne dass jeder dieser Punkte direkt erklärt wird, scheint es offensichtlich, dass es nur wenige Märkte gibt, die alle diese Bedingungen erfüllen. Am ehesten gleichen Rohstoffmärkte noch dem Ideal des vollkommenen Wettbewerbs, Immobilienmärkte dagegen sind hiervon weit entfernt. Besonderheiten des Immobilienmarktes Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Markt, der von den Bedingungen des vollkommenen Wettbewerbs abweicht, nicht funktionstüchtig ist. Der vollkommene Kapitel 2 Voraussetzungen der Staatsintervention Wettbewerb ist schließlich mehr ein Ideal als ein reales Bild des Marktes. So kann auch ein Markt mit nur zwei Anbietern die beste mögliche Lösung darstellen, sofern die beiden Unternehmen intensiv miteinander konkurrieren. Aus Sicht des Staates stellt sich bei nicht vollkommenem Wettbewerb die Frage, ob durch eine Intervention das Marktergebnis verbessert werden kann. Haben die Anbieter in einem Markt z. B. eine große Marktmacht und nutzen diese zu Lasten der Nachfrager, sollte versucht werden, den Markt für neue Anbieter zugänglich zu machen. Wichtig ist jedoch, dass nicht jede Unvollkommenheit eine Intervention des Staates rechtfertigt. Schließlich findet der Markt teilweise auch eigene Lösungen für die Probleme, oder es gibt keine bessere Alternative zu den frei wirkenden Marktkräften. Eine Marktunvollkommenheit ist ein hinreichender, aber eben noch kein notwendiger Grund für eine Intervention. Schließlich gilt auch für staatliche Maßnahmen, dass sie nur bei positiver Nutzen-Kosten-Kalkulation umgesetzt werden sollten. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Mittel gewählt werden. Grundsätzlich gilt, dass marktkonforme Maßnahmen besser geeignet sind als das Ordnungsrecht. Der Grund ist, dass Maßnahmen gegen den Marktmechanismus 19 häufig unerwünschte Nebeneffekte erzeugen, wie dies am Beispiel des Mietstopps schon erläutert wurde. Im Folgenden werden die verschiedenen Marktunvollkommenheiten und mögliche staatliche und marktliche Lösungen im Bereich des Immobilienmarktes erläutert. 2.1 Intransparenz und Informationskosten Nach dem Ideal des vollkommenen Wettbewerbs sollten die gehandelten Güter Abweichungen des homogen, also gleichartig, sein. Dies gewährleistet, dass sich die Nachfrage aus- Immobilienmarktes vom schließlich nach dem Preis ausrichtet und individuelle Vorlieben oder Qualitäts- Ideal des vollkommenen unterschiede keine Rolle spielen. Dies ist auf dem Immobilienmarkt ganz offen- Wettbewerbs sichtlich nicht erfüllt. So bestehen zwischen den unterschiedlichen Gebäuden sehr große Unterschiede, beispielsweise hinsichtlich des Baujahrs, der Größe, der Technik oder der Ausstattung. Außerdem spielt die Lage eine große Rolle. Selbst gleichartige Gebäude erzielen am Markt ganz unterschiedliche Preise, je nach der Nähe zum Zentrum oder der Verkehrsanbindung. Letztlich ist aufgrund der unter- Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes schiedlichen Lagen und Ausstattungen der Gebäude jede Immobilie ein Unikat. Diese Heterogenität des Marktes bereitet nicht nur Schwierigkeiten bei der Preisfindung, sondern sie hat auch erhebliche Suchkosten für die Beteiligten zur Folge. Während diese Informationsprobleme letztlich beide Marktseiten gleichermaßen betreffen, gibt es im Immobilienmarkt auch asymmetrisch verteilte Informationen, vor allem hinsichtlich der Qualität der Gebäude. Die hieraus folgenden Konsequenzen sollen nun näher betrachtet werden. 2.1.1 Such- und Informationskosten Matching-Problem auf Wer schon einmal ein Haus oder eine Wohnung gesucht hat, weiß, wie unüber- dem Immobilienmarkt sichtlich der Immobilienmarkt ist. Aufgrund der Vielzahl der Entscheidungspara- ausgeprägt meter, wie Preis, Ausstattung, Lage oder Energieeffizienz, ist es kaum möglich, tatsächlich die optimale Wahl zu treffen. Dies gilt nicht nur für Haushalte, sondern auch für Unternehmen, die beispielsweise ein neues Bürogebäude suchen. Auf der anderen Seite ist auch der Markt für die Anbieter sehr schwierig. Für sie stellt sich die Frage, welcher Gebäudetyp zu welcher Lage passt. Oder ob die Nachfrager eher sanierte und teurere oder lieber günstige Wohnungen beziehen möchten. Im Sinne 20 der ökonomischen Theorie gibt es auf dem Immobilienmarkt ein so genanntes Matching-Problem. Dies bedeutet, dass nicht gewährleistet ist, dass im Markt jeweils die beste Nutzen-Kosten-Konstellation gefunden wird. Matching-Probleme gibt es nicht nur im Immobilienmarkt, sondern auch auf dem Arbeitsmarkt. Auch hier ist nicht sichergestellt, dass die Arbeitskräfte jeweils dort beschäftigt werden, wo sie ihre Fähigkeiten bestmöglich einsetzen können. Eine Folge des Matching-Problems ist, dass Angebot und Nachfrage nur selten übereinstimmen. So wie auf dem Arbeitsmarkt Sucharbeitslosigkeit bestehen bleibt, ist auf dem Immobilienmarkt Leerstand kaum zu vermeiden. Selbst bei sehr starker Nachfrage werden einige Immobilien nur schwer zu verkaufen oder zu vermieten sein, weil sie nicht den aktuellen Wünschen der Nachfrager entsprechen. Eine weitere Analogie ist darin zu sehen, dass es spezialisierte Vermittler gibt, deren Beschäftigungsfeld vor allem die Überwindung des Matching-Problems ist. Auf dem Arbeitsmarkt ist der Marktführer, die „Bundesagentur für Arbeit“, allerdings staatlich – was sinnvoll ist, weil sich die Arbeitslosen ohnehin bei der Bundesagentur registrieren lassen müssen und der Staat aus eigenem Interesse die Ernsthaftigkeit der Arbeitssuche überprüfen muss, um ein Ausnutzen der Arbeitslosenversicherung zu verhindern. Besonderheiten des Immobilienmarktes Kapitel 2 Bezogen auf den Immobilienmarkt besitzt der Staat jedoch keinen Informationsvorteil und auch kein vergleichbares Interesse wie auf dem Arbeitsmarkt. Im Immobilienmarkt übernehmen daher spezialisierte Dienstleister, Makler, die Funktion, das Matching zu verbessern. Sie leben davon, dass die Anbieter und Nachfrager ihre eigenen Suchkosten, etwa in Form von Zeitkosten (Opportunitätskosten) und Kosten für Annoncen, höher einschätzen als die Gebühren der Makler. Durch neue Technologien, wie etwa die zunehmende Verbreitung von Immobilienplattformen im Internet, können sich die Kosten-Nutzen-Rechnungen der Marktakteure jedoch auch ändern. Eine weitere wichtige Konsequenz aus der Unsicherheit aufgrund der Informa- Hohe Renditen bei tionsmängel betrifft die Renditen. Unter Unsicherheit verlangen Investoren Risiko- hoher Unsicherheit prämien, d. h., sie werden nur dann bereit sein, in den Immobilienmarkt zu investieren, wenn sie durchschnittlich eine höhere Rendite erzielen als in alternativen Märkten, die eine bessere Informationsbasis bieten. Damit wird das höhere Risiko aufgrund der höheren Unsicherheit kompensiert. Typischerweise wird der Immobilienmarkt daher von lokalen Unternehmen dominiert, da diese aufgrund ihrer Marktkenntnis einen Informationsvorsprung besitzen. Erst langsam gewinnen größere Immobilienunternehmen genügend lokale Expertise, um ihre Größen- 21 vorteile auszuspielen. Es ist offensichtlich, dass der Staat zur Überwindung der Unsicherheit und der Schaffung Matching-Probleme wenig besteuern kann. Allerdings könnte er den Marktteil- von Transparenz nehmern durch die Bereitstellung von Preisinformationen Hilfestellungen geben. durch den Staat Oftmals sind die Marktteilnehmer sogar über die Richtung von Preisentwicklungen unsicher, was die Funktionsfähigkeit des Marktes erheblich einschränkt. Und auch für die Geldpolitik sind verlässliche Preisdaten unerlässlich, wie in Kapitel 5 noch gezeigt wird. Da letztlich alle Kaufpreise notariell festgehalten und den Gutachterausschüssen bekannt sind, könnte der Staat diese Informationen auswerten und den Marktteilnehmern zur Verfügung stellen. Allerdings dürfen dabei nicht einfach Durchschnittspreise angewendet werden. Stattdessen muss ein hedonischer Ansatz verwendet werden. Hierbei werden alle Immobilienpreise sowie alle Informationen zur Lage und der jeweiligen Ausstattung zunächst gesammelt. Mit Hilfe von ökonometrischen Verfahren werden dann Einzelpreise für bestimmte Lagen und Ausstattungen ermittelt. Daraufhin kann der Preis der Immobilien anhand der Einzelpreise nachvollzogen werden, und ausgehend von den Einzelpreisen wiederum können die jährlichen Wertänderungen bestimmt werden. Damit die Schätzungen eine hohe Genauigkeit erzielen, wird ein sehr Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes großer Datenstamm mit möglichst detaillierten Beschreibungen der Immobilien benötigt. Erst in den letzten Jahren hat das Statistische Bundesamt damit begonnen, die Immobilienpreisveränderungen aufgrund der Daten der Gutachterausschüsse zu erfassen, zunächst beschränkt auf den Wohnimmobilienbereich (Dechent, 2008). Der Verband deutscher Pfandbriefbanken ermittelt seit einigen Jahren ebenfalls Immobilienpreisveränderungen mit Hilfe des hedonischen Verfahrens, allerdings auf der Basis von Daten aus Hypothekendarlehen (Eilers und Hofer, 2007). Schließlich erhalten die Finanzierungsinstitute im Rahmen der Kreditprüfung Originaldaten über die Immobilien bzw. über die zugrunde liegenden Transaktionen (z. B. Kauf oder Vermietung). 2.1.2 Asymmetrische Information Informationsvorteile Die bislang aufgezeigten Informationsprobleme betreffen die Immobilienanbieter einer Marktseite und und die Immobiliennachfrager gleichermaßen. In einigen Bereichen besitzen die adverse Selektion Immobilienanbieter gegenüber den Nachfragern jedoch Informationsvorteile, insbesondere mit Blick auf die technischen und baulichen Details einer Immobilie. So können Nachfrager nur schwerlich nachvollziehen, wann eine Immobilie das letzte 22 Mal modernisiert wurde oder aus welchem Material die Wasserrohre sind. Aus dieser Konstellation heraus kann das Problem der so genannten adversen Selektion resultieren, das Akerlof (1970) anhand des Gebrauchtwagenmarktes beschrieben hat. Gibt es auf dem Gebrauchtwagenmarkt in gleicher Zahl gute und schlechte Gebrauchtwagen („Zitronen“), orientiert sich die Zahlungsbereitschaft an der statistischen Durchschnittsqualität der Autos. Dieser Preis ist jedoch zu gering für die guten Autos, sodass sich deren Anbieter aus dem Markt zurückziehen. Übrig bleiben nur die schlechten Gebrauchtwagen, die „Zitronen“. Da die Nachfrager dies antizipieren, kommt letztlich aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung kein Markt zustande. Diese Gefahr ist auch im Immobilienmarkt latent vorhanden. Damit würden die durch den Markt möglichen Tauschgewinne für alle Beteiligten entfallen. Tatsächlich gibt es jedoch einen sehr lebhaften Gebrauchtwagenmarkt, und auch Bestandsimmobilien werden rege gehandelt. Dies ist auf die marktlichen Lösungsmechanismen zurückzuführen, die Marktakteure zur Überwindung der Informationsasymmetrien anwenden. So versuchen die Anbieter guter Qualität, die Vorteile ihrer Angebote zu signalisieren, beispielsweise über die Vorlage von Gutachten oder durch Garantien. Die Nachfrager wiederum versuchen durch eigene Bemühungen oder eben durch das Hinzuziehen von externen Besonderheiten des Immobilienmarktes Kapitel 2 Sachverständigen, die Informationsvorteile zu überwinden. Das Sachverständigenwesen leitet sich ökonomisch gesehen also aus der ungleichen Informationsverteilung zwischen Anbietern und Nachfragern ab. In der Praxis haben jedoch auch Eigentümer trotz eines gewissen Informationsvorsprungs häufig Probleme, die Qualität ihrer Gebäude richtig einzuschätzen. Der Staat versucht teilweise, die Bemühungen der Anbieter und Nachfrager durch standardisierte obligatorische Maßnahmen zu unterstützen. Der verpflichtende Energieausweis ist ein Beispiel hierfür. Anders als bei freiwilligen Lösungen stellt sich dann jedoch die Frage, ob die Umsetzung tatsächlich mit einer positiven Nutzen-Kosten-Kalkulation verbunden ist. Die adverse Selektion wird in der Literatur auch als vorvertragliches Informa- „Moralisches Risiko“ tionsproblem bezeichnet. Darüber hinaus gibt es auch ein nachvertragliches Pro- als nachvertragliches blem, das so genannte „Moralische Risiko“. Dies hat insbesondere bei Mietver- Problem trägen eine Relevanz. Der Vermieter stellt gegen ein Entgelt dem Mieter Wohnoder Geschäftsräume zur Verfügung. Dabei erwartet der Vermieter, dass mit seinem Eigentum pfleglich umgegangen wird. Dies kann der Vermieter jedoch kaum kontrollieren, und dem Mieter fehlen zunächst einmal die Anreize, sich im Sinne des Vermieters zu verhalten. Das „Moralische Risiko“ führt nicht dazu, dass ein Markt nicht zustande kommt. Allerdings werden Vermieter gegebenenfalls Risikoprämien verlangen, sodass die Kosten insgesamt steigen und der Markt sich verkleinert. Dies ist mit einer gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtseinbuße verbunden. Wie bei der adversen Selektion können die Probleme durch marktliche Mechanismen gemindert werden. Insbesondere der Arbeitsmarkt bietet mit den verschiedenen personalwirtschaftlichen Anreizinstrumenten anschauliche Beispiele dafür, wie die Interessen von Arbeitgeber und Mitarbeiter harmonisiert werden können, etwa durch leistungsorientierte Vergütungssysteme oder Erfolgsbeteiligungen. Im Immobilienmarkt steht solchen Anreizen jedoch oft das Mietrecht entgegen. Ein Beispiel sind die Klauseln zu Schönheitsreparaturen. Sie sollen gewährleisten, dass die Mieter die Wohnung pfleglich behandeln, weil sie wissen, dass sie ansonsten beim Auszug Renovierungsleistungen erbringen müssen. Da diese Klauseln, auch für bestehende Verträge, vom Bundesgerichtshof ausgesetzt wurden, fehlt ein Anreizinstrument, sodass die Vermieter unter sonst gleichen Umständen höhere Mieten zur Kompensation des nun höheren „Moralischen Risikos“ verlangen müssen. 23 Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes 2.2 Lange Nutzungsdauer und hohe Kapitalbindung Immobilienmarkt ist Immobilien haben eine Nutzungsdauer von teilweise mehr als 100 Jahren, je ein Bestandsmarkt nachdem wie sie instandgehalten und modernisiert werden. Auch ohne größere Sanierungen können Wohngebäude häufig 30 bis 40 Jahre genutzt werden. Die Entscheidung für den Bau einer Immobilie erfordert also eine langfristige Perspektive. Vor allem aber ist der Immobilienmarkt durch die lange Nutzungsdauer der Gebäude ein Bestandsmarkt. Abbildung 1 zeigt, dass der Anteil des Neubaus im Wohnimmobilienmarkt nur rund 0,5 bis 1,5 % beträgt. Verhältnis von Neubau zum Wohnungsbestand in % 1,4 1,2 1,0 0,8 24 0,6 0,4 0,2 0,0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Quelle: Statistisches Bundesamt Abb. 1: Verhältnis von Neubau zum Wohnungsbestand in % Langsame Anpassung Nach dem Ideal des vollkommenen Wettbewerbs sollten sich Märkte schnell an des Immobilienmarktes veränderte Rahmenbedingungen anpassen können. Da im Immobilienmarkt das Angebot nur sehr langsam auf Nachfrageänderungen reagieren kann, sind Marktungleichgewichte typisch für diesen Markt. Diese Ungleichgewichte wirken sich vor allem auf die Immobilienkonjunktur aus, weshalb dies detailliert in Kapitel 6 diskutiert werden soll. Dort werden auch mögliche staatliche Einflussmöglichkeiten behandelt. Besonderheiten des Immobilienmarktes Immobilien haben nicht nur eine lange Nutzungsdauer, sondern sie erfordern Kapitel 2 Optimale Konsumpläne auch einen hohen Kapitaleinsatz. Gewöhnlich geht man davon aus, dass Nachfrager genau so viele Einheiten eines Gutes erwerben, wie für sie optimal sind. Dies ist im Immobilienmarkt mitunter nicht gegeben. Aufgrund der Heterogenität des Marktes müssen die Nachfrager teilweise Abweichungen von ihren optimalen Konsumplänen vornehmen, d. h., sie müssen entweder zu große bzw. teure oder zu kleine Wohnungen kaufen oder mieten. Insbesondere bei Änderungen des Bedarfs, etwa wegen des Auszugs eines Familienmitglieds, können die Konsumpläne nur unzureichend geändert werden. Ein Wohnungswechsel stellt eine Alternative dar, jedoch stehen dieser Lösung häufig hohe Umzugs- und Transaktionskosten entgegen. Dementsprechend muss der Konsum anderer Güter gegebenenfalls reduziert werden. Diese Situation ist letztlich unabänderlich, bietet jedoch auf der anderen Seite den Anbietern immer wieder die Chance, durch zielgruppenspezifische Angebote Markterfolge zu erzielen. Der Staat kann zur Beseitigung dieser Marktunvollkommenheit nur dadurch beitragen, indem er die von ihm verursachten Transaktionskosten möglichst gering hält. Insbesondere die Grunderwerbsteuer steht einer effizienten Allokation der Immobilien entgegen. Schließlich hat die hohe Kapitalbindung auch Konsequenzen für die Altersvor- Kapitalbindung sorge. Da selbst genutzte Immobilien einen Großteil des Kapitals binden, steht als Klumpen- weniger Kapital für alternative Anlagen zur Verfügung. Der Immobilienwert kann risiko daher auch ein Klumpenrisiko darstellen. Hierauf soll in Kapitel 4 eingegangen werden. 2.3 Externe Effekte Externe Effekte sind unkompensierte Auswirkungen ökonomischen Handelns auf Externe Effekte den Nutzen oder die Kosten unbeteiligter Dritter. Entscheidend ist dabei, dass die sind nicht über Auswirkungen der Produktion oder des Konsums auf Dritte nicht über das Preis- Preissystem erfasst system erfasst werden. Die externen Effekte können dabei sowohl positiv als auch negativ sein, d. h. den Nutzen Dritter erhöhen oder vermindern. Dies klingt sehr technisch, lässt sich aber leicht verdeutlichen: 25 Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes BEISPIEL Wer eine Eintrittskarte für ein Fußballspiel kauft, erzielt einen Nutzen daraus, ein Spiel live und unmittelbar zu verfolgen. Sitzt nun vor dem Fußballfan ein starker Zigarrenraucher, wird der Nutzen mitunter getrübt. Der Zigarrenkonsum des Vordermanns mindert den Nutzen des Fußballfans, ohne dass sich dies in irgendeiner Weise auf das Eintrittsgeld auswirken würde. Dies macht zwei Dinge deutlich: Erstens sind externe Effekte allgegenwärtig. Und zweitens bedürfen sie nicht generell einer staatlichen Lösung. Gewichtig sind externe Effekte vor allem im Umweltbereich und auf dem Bildungssektor. Kohlendioxid-Emissionen schädigen die Umwelt und damit alle Menschen. Im Marktsystem werden den Kohlendioxid-Emittenten diese Kosten jedoch nicht in Rechnung gestellt. Anders sieht es auf dem Bildungssektor aus. Das Wissen, das Studenten erwerben, kommt nicht nur ihnen selbst zugute, sondern auch ihren Mitmenschen. Durch Gespräche und Kooperation geben sie ihr Wissen weiter, was sich positiv auf den Nutzen dieser Personen auswirkt. Dieser Nutzen wird von den Studenten bei ihrer Studiumsentscheidung jedoch nicht mit berücksichtigt. Generell gilt, dass bei negativen externen Effekten die am Markt gehandelte Menge – 26 gemessen am gesellschaftlichen Optimum – zu groß ist und bei positiven externen Effekten zu klein. Externe Effekte Im Immobilienmarkt sind externe Effekte vor allem bei Investitionsentschei- und Investitions- dungen relevant (Eekhoff, 2006). Steht in einem Stadtviertel ein verlassenes entscheidungen Gebäude, womöglich noch mit zerstörten Scheiben, wirkt sich dieses Gebäude negativ auf die Vermietungschancen der angrenzenden Immobilien aus. Von hohem Leerstand können also negative externe Effekte ausgehen. Ein anderes Beispiel bieten Modernisierungen. Möchte ein Eigentümer seine Immobilie modernisieren und die Fassade verschönern, kommt dies auch den anderen Eigentümern zugute. Der größte Vorteil würde erzielt werden, wenn alle Eigentümer modernisierten. Gefangenen- Diese Lösung stellt sich jedoch oft nicht ein, da es individuell rational ist, zu- Dilemma nächst abzuwarten. Dies lässt sich mit dem so genannten „Gefangenen-Dilemma“ verdeutlichen. Das „Gefangenen-Dilemma“ beschreibt eine Situation, in der zwei Gefangene verhört werden und durch die Belastung des jeweils anderen Haftvorteile erhalten. Am besten stellen sie sich jedoch, wenn sie beide schweigen. Besonderheiten des Immobilienmarktes Kapitel 2 Diese Situation lässt sich auf Immobilieneigentümer, die vor einer Modernisierungsentscheidung stehen, übertragen. Angenommen, es stehen sich zwei Immobilieneigentümer gegenüber (Tabelle 1). Modernisiert keiner, erzielen beide Mieteinnahmen von jeweils 5 Geldeinheiten. Modernisieren dagegen beide, können die Mieteinnahmen trotz der Investitionskosten auf 7 Geldeinheiten gesteigert werden. Dieses Ergebnis ist jedoch unwahrscheinlich. Eigentümer 1 wird wie folgt überlegen: Modernisiert Eigentümer 2, stellt sich Eigentümer 1 besser, wenn er nicht modernisiert, weil er die Investitionskosten spart und gleichzeitig von der Modernisierung des anderen profitiert. Verzichtet Eigentümer 2 auf die Modernisierung, stellt sich Eigentümer 1 ebenfalls mit einem Verzicht besser, sodass nicht modernisieren die dominante Strategie ist. Da dies auch für Eigentümer 2 gilt, wird letztlich nicht investiert, obwohl es für beide besser wäre. Aufgrund der externen Effekte führt individuell rationales Verhalten also zu einem gesellschaftlich unerwünschten Ergebnis. Tabelle 1: Gewinne aus der Immobiliensanierung in Geldeinheiten Eigentümer 2 modernisieren nicht modernisieren modernisieren 7; 7 4; 6 nicht modernisieren 8; 4 5; 5 Eigentümer 1 Dieses Dilemma kann jedoch überwunden werden. Eine Möglichkeit besteht in Verhandlungen, wie sie etwa Coase (1960) vorgeschlagen hat. Wenn sich die Eigentümer absprechen und kooperieren, können sie die für beide Parteien beste Lösung erzielen. Dies dürfte vor allem dann Erfolg versprechend sein, wenn die Eigentümer häufiger in eine Situation kommen, in der sie kooperieren müssen. Allerdings gibt es in der Immobilienwirtschaft in der Regel nicht nur zwei, sondern eine Vielzahl von Verhandlungspartnern. Je mehr Partner miteinander verhandeln, desto größer sind die Verhandlungskosten. Darüber hinaus bestehen bei vielen Partnern für Einzelne Freifahreranreize, d. h. Anreize, sich der Kooperation zu entziehen und von den Maßnahmen der anderen zu profitieren. In einer solchen Situation kann der Staat helfen, indem er den Verhandlungsprozess moderiert und Interessen zusammenführt. Außerdem kann schon die Aussicht, Maßnahmen mit dem Planungsrecht durchzusetzen, die Verhandlungsbereitschaft vergrößern. 27 Verhandlungslösungen Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes Anreizprogramme in der Eine Alternative oder auch ergänzende Möglichkeit stellen finanzielle Anreize Immobilienwirtschaft dar, etwa in Form von Steuern oder Subventionen. So wurde etwa die Ökosteuer eingeführt, damit der Energieverbrauch eingeschränkt wird und so insgesamt weniger Kohlendioxid emittiert wird. Im Immobilienbereich stellt das Stadtumbauprogramm wohl das bekannteste Beispiel für ein solches Anreizprogramm dar. Hier werden Subventionen für den Abriss leer stehender Gebäude oder die Sanierung von Innenstädten gezahlt. Solche Maßnahmen können legitimiert werden, weil über die Veränderung der Marktpreise (durch Steuern oder Subventionen) die Marktteilnehmer automatisch die sozialen Kosten und Nutzen berücksichtigen müssen und so das Marktergebnis verbessert wird. Allerdings stellt sich die Frage, ob die finanziellen Anreize richtig justiert werden. Ein optimales Ergebnis würde voraussetzen, dass die sozialen Kosten bzw. der soziale Nutzen bekannt sind. Wie hoch die externen Effekte beispielsweise des Leerstands sind, lässt sich jedoch empirisch nicht ermitteln. So steht das Stadtumbauprogramm immer wieder in der Kritik, weil gemutmaßt wird, die Subventionen dienten nicht nur der Berücksichtigung der externen Effekte, sondern auch der wirtschaftlichen Gesundung der vielen kommunalen Wohnungsgesellschaften (Dascher, 2006). Und noch ein Problem hat das Stadtumbauprogramm: Anders als etwa bei der Verringerung der 28 Kohlendioxidemissionen kommt der Stadtumbau nur den Bürgern der jeweiligen Städte zugute. Die Subventionen werden jedoch mit allgemeinen Steuermitteln finanziert. 2.4 Marktmacht Hohe Gewinne als Indiz Vollkommener Wettbewerb bedeutet, dass eine große Anzahl von Anbietern mit- für Marktmacht einander konkurriert. Der Wettbewerb führt dazu, dass die Unternehmen noch gerade kostendeckend arbeiten, d. h., sie erwirtschaften genügend Einnahmen, um die Kosten, einschließlich des kalkulatorischen Unternehmerlohns, zu decken, aber keine darüber hinausgehenden Gewinne. Hohe Gewinne sind daher immer ein Indiz für Marktmacht. Ein Extrembeispiel ist der Monopolist. Als einziger Anbieter ist der Monopolist kein Mengenanpasser, sondern er selbst kann den Preis bestimmen. Je höher er den Preis festlegt, desto größer ist sein Stückgewinn. Besonderheiten des Immobilienmarktes Kapitel 2 Andererseits wird die Absatzmenge bei höheren Preisen sinken. In dem Bestreben, seinen Gewinn zu maximieren, wird der Monopolist jedoch einen Preis oberhalb der Grenzkosten wählen. Im vollkommenen Wettbewerb würde der Preis dagegen bis auf die Grenzkosten sinken. Daher werden im Monopolmarkt einige Nachfrager nicht bedient, bzw. eigentlich lohnende Markttransaktionen kommen nicht zustande. Ähnlich verhält es sich bei einer Marktsituation mit nur wenigen Unternehmen. Im so genannten Oligopol drohen Absprachen zwischen den Anbietern, und es besteht die Gefahr, dass die einzelnen Oligopolisten zumindest in Teilbereichen Monopolspielräume haben. Es ist die Aufgabe des Bundeskartellamts, den Wettbewerb zu überprüfen und gegebenenfalls regulierend einzugreifen, falls sich monopolistische Strukturen Bundeskartellamt prüft Wettbewerb herausbilden. Außerdem ist das Kartellamt berechtigt, Fusionen zu untersagen, falls sie die Funktionsfähigkeit des Marktes stören. Besonders bei so genannten Netzgütern drohen monopolistische Marktstruk- Netzgüter turen, weil sich nur ein Leitungssystem wirtschaftlich lohnt. Beispiele sind die Bahn, die Stromversorgung oder auch das Kabelnetz. Hier versuchen die Wettbewerbsbehörden, den Durchleitungswettbewerb anzuregen. Dies bedeutet, dass den Konkurrenten ohne eigenes Netz der Zugang gegen Entgelt eröffnet wird. Die 29 Bestimmung des Entgelts gestaltet sich dabei jedoch ebenso schwierig wie die Aufrechterhaltung von Anreizen, damit die Eigentümer das Netz instandsetzen und modernisieren. Der Immobilienmarkt ist jedoch nicht durch eine besondere Marktkonzentra- Keine Konzentration tion gekennzeichnet. Im Gegenteil, im Immobilienmarkt sind eher kleine Unter- auf dem Immobilien- nehmen vorherrschend. Das größte Wohnungsunternehmen in Deutschland ver- markt fügt über etwa 220 000 Wohnungen, dies entspricht einem Anteil von etwa 0,5 % des Gesamtmarktes. Insgesamt gibt es im Immobilienmarkt über 190 000 Unternehmen, die Wohnungen und Gewerbeimmobilien vermieten. Auch die Eigentümerstruktur verdeutlicht die geringe Marktkonzentration (Abbildung 2). Über 14 Millionen Wohnungen sind in der Hand von Kleinvermietern, größere professionelle Anbieter sind dagegen nur im Besitz von etwa 6 Millionen Wohneinheiten. Begrenzt wird die Macht der Vermieter auch durch die Möglichkeit der Mieter, im Fall zu hoher Mietforderungen entweder die Wohnung zu wechseln oder selbst eine Wohnung zu kaufen. Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes Der Wohnungsmarkt in Deutschland im Jahr 2006 Wohnungsbestand in Deutschland: 39,62 Mio. Wohnungen Professionell gewerbliche Anbieter: 9,15 Mio. Wohnungen Genossenschaften: 2,08 Mio. Wohnungen Private Kleinvermieter: 14,51 Mio. Wohnungen Öffentliche Wohnungsunternehmen: 2,33 Mio. Wohnungen Selbstnutzer: 15,96 Mio. Wohnungen Private Wohnungsunternehmen: 4,06 Mio. Wohnungen Sonstige (z. B. Kirchen): 0,69 Mio. Wohnungen Quelle: Veser et al. (2007) Abb. 2: Der Wohnungsmarkt in Deutschland im Jahr 2006 Ausschließen kann man Marktmacht jedoch auch im Immobilienmarkt nicht. Ist 30 ein Mietvertrag erst abgeschlossen worden, kann der Vermieter seine Marktposition zu Lasten des Mieters ausnutzen. Theoretisch (also ohne Beachtung des Mietrechts) kann der Vermieter nach dem Vertragsabschluss die Mieten unabhängig von der Marktsituation bis zur Höhe der Umzugskosten erhöhen. Hinzu kommt, dass Mieter auch ihrem Wohnumfeld einen Wert beimessen und gegebenenfalls auch eigene Investitionen getätigt haben, die den Spielraum für den Vermieter weiter erhöhen. Daher werden im Mietrecht zahlreiche Restriktionen für Mieterhöhungen festgelegt. So dürfen Mieten grundsätzlich nur dann erhöht werden, wenn auch die Mieten vergleichbarer Wohnungen steigen. Dabei gehen Mietpreisregulierung und Kündigungsschutz Hand in Hand, denn sonst könnten die Vermieter stets mit einer Kündigung drohen, falls sich der Mieter nicht auf höhere Mieten einlassen will. Besonderheiten des Immobilienmarktes 2.5 Kapitel 2 Rolle des Staates Schon an einigen Stellen dieses Kapitels wurde die Rolle des Staates diskutiert. Er Sorgfältige Abwägung kann durch Moderation oder durch Steuern und Subventionen zur Verbesserung notwendig des Marktergebnisses beitragen. Außerdem obliegt es ihm, Marktmacht zu verhindern. Dabei gilt es jedoch stets, die Vor- und Nachteile eines Eingriffs sorgfältig gegeneinander abzuwägen. In anderen Fällen, wie etwa der asymmetrischen Informationsverteilung, kann der Staat jedoch nur sehr wenig tun. In diesem Kapitel soll die Rolle des Staates noch einmal umfassender dargestellt werden. Dabei sollen auch bisher vernachlässigte Themen, wie etwa die öffentlichen Wohnungen oder das Wohngeld, aufgegriffen werden. 2.5.1 Festlegung der Rahmenbedingungen Eine der wichtigsten Aufgaben des Staates in einer Marktwirtschaft besteht in der Herausragende Festlegung der Regeln und deren Überwachung. Wie schon im ersten Kapitel deut- Bedeutung der lich gemacht worden ist, bedingen Transaktionen Rechtssicherheit. Schließlich Rechtssicherheit wären wir ohne Regeln in einem rechtsfreien Land auf die Selbstversorgung ange- 31 wiesen und müssten überdies erhebliche Ressourcen für die Verteidigung unserer Güter verwenden. Der Rechtsrahmen und die Rechtssicherheit haben im Immobilienmarkt eine herausragende Bedeutung. Da das Kapital langfristig in einer Immobilie verbleibt und das Sachkapital auch nicht transferiert werden kann, wie dies etwa beim Finanzkapital möglich ist, sind die Investoren darauf angewiesen, dass die zum Zeitpunkt der Investition gültigen Regeln auch fortgeschrieben werden. Diese Verlässlichkeit ist jedoch nicht immer gegeben. Einen sehr wichtigen Bereich des rechtlichen Rahmens stellt das Planungsrecht dar. Das Bauplanungsrecht ist der Bereich des öffentlichen Rechts, der die planerischen Voraussetzungen für die Bebauung einzelner Grundstücke regelt. Es bestimmt, ob, was und wie viel gebaut werden darf. Dabei obliegt die Planungshoheit zunächst der Gemeinde. Nur wenn die Planungen über das Gemeindegebiet hinausgehen, erfolgen sie auf Regional- oder Landesebene. Die Planungshoheit der Gemeinden steht grundsätzlich im Widerspruch zur Eigentumsfreiheit. Die Grundstückseigentümer können nicht selbst festlegen, ob sie beispielsweise ein Bürogebäude oder ein Wohnhaus errichten. Dieser Verzicht auf die vollständige Entscheidungsfreiheit ist jedoch notwendig, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Schließlich können einzelne Gebäudetypen den Nutzen an anderen Gebäuden ein- Planungsrecht Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes schränken. So würde beispielsweise der Bau einer Mülldeponie in unmittelbarer Nähe zu einer Wohnsiedlung den Wert der Wohngebäude schmälern. Solche negativen externen Effekte sollen durch das Planungsrecht vermieden oder zumindest begrenzt werden. Das Planungsrecht dient also letztlich dazu, die sozialen Kosten und den Nutzen der Bebauung zu berücksichtigen. Dabei ist das Planungsrecht jedoch auch kritisch zu betrachten. Allzu oft ist hiermit auch eine Wettbewerbsbeschränkung verbunden. So werden in vielen Fällen die Anliegen von Investoren zur Ausweisung neuer Einzelhandelsflächen mit dem Hinweis auf den bereits bestehenden Einzelhandel abgewiesen. Damit wird jedoch letztlich der Wettbewerb zu Lasten der Kunden eingeschränkt. Auch die Preise von Wohnimmobilien werden durch das Planungsrecht tangiert. So kommen Evans und Hartwich (2005) im Rahmen einer internationalen Studie zu dem Schluss, dass die zentrale Planung in Großbritannien auch dazu genutzt worden ist, die Flächen knapp und damit die Preise im Sinne der Eigentümer hoch zu halten. Da die Eigentümer im Königreich in der Mehrheit sind, könnte diese Gruppe allein aus wahltaktischen Gründen bevorzugt werden. Mit dem dezentralen Planungsrecht in Deutschland und der damit verbundenen Konkurrenz der Kommunen untereinander sind solche Entwicklungen sehr viel unwahrscheinlicher. 32 Mietrecht Einen weiteren wichtigen Bereich stellt das Mietrecht dar. Auch das Mietrecht beschränkt die Nutzung des Eigentums, wobei es im Gegensatz zum Planungsrecht nicht den Bau neuer Gebäude, sondern die Nutzung bestehender Gebäude einschränkt. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass ein gewisses Maß an Mieterschutz notwendig ist, um die Marktmacht des Vermieters zu begrenzen. Problematisch wird das Mietrecht jedoch, wenn damit in bestehende Verträge eingegriffen wird. Ein Vermieter kalkuliert die Mietkosten in Abhängigkeit von den jeweils geltenden Regeln. Werden nun im Nachhinein Klauseln oder Regeln für ungültig erklärt, entstehen zusätzliche Kosten für den Vermieter, die er zumindest nicht unmittelbar durch Mieterhöhungen kompensieren kann. Damit sinkt der Wert des Eigentums für die Vermieter. Langfristig geht dies jedoch auch zu Lasten der Mieter. Ziehen sich immer mehr Investoren aus dem Wohnungsbau zurück, wird das Angebot sinken und damit die Preise steigen. Die Aufgabe des Staates ist es grundsätzlich, einen verlässlichen Rechtsrahmen zu schaffen, in dem die „unsichtbare Hand des Marktes“ möglichst effizient walten kann. Dabei müssen jedoch gleichzeitig die Marktunvollkommenheiten, wie etwa externe Effekte und Marktmacht, berücksichtigt werden. Dies macht die Aufgabe komplex, denn jede Ausgestaltung kann grundsätzlich kontrovers diskutiert Besonderheiten des Immobilienmarktes Kapitel 2 werden. Die Überlegung, ob eine Regelung tatsächlich zur Verbesserung des Marktergebnisses notwendig ist, kann jedoch schon helfen, effiziente von problematischen Regeln zu unterscheiden. 2.5.2 Grundlagen der (Immobilien-)Besteuerung Steuern sind ein grundsätzliches Ärgernis für Arbeitnehmer und Unternehmer. Steuern – Doch Steuern sind ebenso unerlässlich. Der Staat benötigt schließlich Einnahmen, unerlässliches um seine Organisation zu finanzieren und den Rechtsrahmen zu überwachen. Ärgernis Außerdem muss er öffentliche Güter finanzieren, die anderenfalls über den Markt nicht bereitgestellt werden würden. Dies wird im nächsten Abschnitt noch näher betrachtet. Durch die Besteuerung werden den Bürgern jedoch Mittel entzogen, die ihnen nicht mehr für den Konsum von Gütern zur Verfügung stehen. Auch hier gilt wieder, dass dem Eingriff eine Nutzen-Kosten-Analyse zugrunde liegen sollte: Ist der Nutzen aus den mit den Steuern finanzierten Leistungen für die Bürger tatsächlich größer als der Nutzenverlust aus der Besteuerung? Dies nachzuweisen, ist allerdings kaum möglich, zumal der Nutzen für den einzelnen Bürger höchst unterschiedlich ausfallen dürfte und zudem kaum zu ermitteln ist. Umso wichtiger ist jedoch, dass der Staat bei der Besteuerung bestimmten Prinzipien folgt, um 33 Fehlentwicklungen zu verringern. Hierbei geht es vor allem darum, Effizienz- und Gerechtigkeitsaspekte zu berücksichtigen. Steuern führen nicht nur zu Einnahmen, sondern auch zu Ausweichreaktionen. Als im 17. und 18. Jahrhundert die Herrscher nach neuen Einnahmequellen suchten, stellten sie fest, dass sich besonders wohlhabende Bürger viele Fenster leisteten. Schließlich war der Einbau von Fenstern generell aufwändig. Als daraufhin Fenstersteuern eingeführt wurden, verringerten sich nach einiger Zeit die Einnahmen wieder. Die Bürger hatten auf die Steuer reagiert und generell weniger Fenster eingebaut. Teilweise wurden sogar bestehende Fenster wieder zugemauert, um Steuern zu sparen. Dies ist ein typisches Beispiel für eine steuerliche Ausweichreaktion. Solche Ausweichreaktionen sind aus volkswirtschaftlicher Sicht generell unerwünscht. Die Haushalte verändern ihr Verhalten und verlassen ihre effizienten Konsum- oder Investitionspläne. Damit werden Ressourcen vergeudet. Um der Fenstersteuer zu entgehen, müssen die Bürger jedoch auch Nutzeneinbußen in Form von weniger Wohnkomfort hinnehmen. Dies nützt letztlich niemandem. Effizient ist daher die Besteuerung, wenn sie möglichst wenige Ausweichreaktionen hervorruft. Dies gelingt in der Regel dann, wenn das Gebot der Steuerliche Ausweichreaktionen Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes Gleichbehandlung beachtet wird, wenn etwa verschiedene Investitionsformen gleichmäßig besteuert werden. Die Gleichbehandlung hat vor allem zwei Effekte: Erstens entfallen damit Ausweichmöglichkeiten, beispielsweise die Wahl einer anderen begünstigten Anlageklasse, und zweitens können durch die breitere Bemessungsgrundlage die Steuersätze niedriger gehalten werden. Auch dies macht eine Ausweichreaktion unwahrscheinlicher. Steuern und Noch etwas komplexer ist das Thema der Gerechtigkeit. Wer sollte welchen Gerechtigkeit Anteil an den Steuern tragen? Relativ eindeutig kann diese Frage dann beantwortet werden, wenn eine steuerliche Äquivalenz hergestellt werden kann, wenn also primär die Nutzer einer staatlichen Leistung auch die Kosten tragen. Werden die Einnahmen der Mineralölsteuer für den Verkehrsausbau benutzt, profitieren hiervon vornehmlich Autofahrer, die die Leistungen entsprechend ihrer Fahrleistung über die Mineralölsteuer auch finanzieren. Solche Äquivalenzbeziehungen lassen sich jedoch nur für einen Teil der Steuern herstellen. Bei anderen Steuern gilt vornehmlich das Leistungsfähigkeitsprinzip: Jeder Bürger soll entsprechend seiner steuerlichen Leistungsfähigkeit an der Aufbringung des Steueraufkommens beteiligt werden. Dabei gelten folgende Grundsätze: Erstens sollen Steuerzahler mit größerer Leistungsfähigkeit größere Steuerbeträge zahlen (vertikale Gerech- 34 tigkeit); zweitens sollen Steuerzahler mit gleicher Leistungsfähigkeit den gleichen Steuerbetrag zahlen (horizontale Gerechtigkeit). Beides ist unmittelbar einsichtig, führt jedoch in der Praxis zu erheblichen Kontroversen. Im Hinblick auf die vertikale Gerechtigkeit stellt sich beispielsweise die Frage, ob ein proportionaler Tarif (Flat Tax), wie er etwa im Wahlkampf 2005 diskutiert wurde, ausreicht, oder ob es ein progressiver Steuersatz sein muss. Auch über die vertikale Steuergerechtigkeit gibt es immer wieder Diskussionen. Ein prominentes Beispiel ist die Ehegattenbesteuerung. In Deutschland wird das Einkommen von Ehepaaren zusammengerechnet, geteilt und dann versteuert. Hierdurch entsteht bei unterschiedlichen Einkommen ein Progressionsvorteil, der mit der wirtschaftlichen Einheit der Partner begründet wird. Die damit bezweckte Gleichstellung mit Singles wird jedoch regelmäßig in Frage gestellt. Andere sehen in dem Ehegattensplitting eine Bevorzugung kinderloser Ehepaare gegenüber kinderreichen Ehepaaren und fordern daher den Übergang auf das Familiensplitting. Politikum Vor allem im Bereich der Immobilien sind Effizienzaspekte relevant. Viele Poli- Immobilienbesteuerung tiker vermuten in der Immobilienwirtschaft besonders geringe Ausweichmöglichkeiten und plädieren daher für Sondersteuern und höhere Tarife, zumal Eigentümer generell als wohlhabend gelten. Theoretisch wurde diese Position schon im 19. Jahrhundert von Henry George eingenommen, der eine Alleinsteuer auf Boden Besonderheiten des Immobilienmarktes Kapitel 2 gefordert hat. Auf der anderen Seite will die Politik auch immer wieder die Schaffung von Wohnraum fördern, und dies – zumindest in der Vergangenheit – meist über Steuerprivilegien. So regelt die Einkommensteuerpolitik die Immobilienbesteuerung mitunter großzügig, nach der Wiedervereinigung etwa mit hohen Sonderabschreibungen. Zu anderen Zeiten ziehen die Regelungen an, etwa die Begrenzung der Verlustrechnung, die dem Leistungsprinzip eindeutig entgegensteht. Insgesamt ist die einkommensteuerliche Behandlung der Immobilie jedoch für diese allgemeine Einführung eine viel zu komplexe und umfängliche Materie. Stattdessen sollen die Wirkungen der Besteuerung am Beispiel der Grundsteuer und der Grunderwerbsteuer skizziert werden. 쐍 Die Grundsteuer setzt am Verkehrswert der Immobilien an. Die Werte werden Grundsteuer derzeit noch auf der Basis der so genannten Einheitswerte bestimmt, die jedoch seit 1964 (Westdeutschland) bzw. 1935 (Ostdeutschland) nicht mehr aktualisiert worden sind. Von einer adäquaten Besteuerung auf der Grundlage von marktnahen Werten kann daher nicht mehr die Rede sein. Eine Reform der Grundsteuer wird daher bereits seit einigen Jahren diskutiert, zumal das Bundesverfassungsgericht die jetzige Regelung bereits bemängelt hat. Hiervon abgesehen zielt die Grundsteuer grundsätzlich auf eine Besteuerung des Bodenwertes und der Aufbauten ab. Gerade die Besteuerung der Aufbauten ist jedoch kritisch zu sehen: Sie führt dazu, dass die Flächen tendenziell weniger bebaut, also weniger gut genutzt werden. Ein Vorschlag zur Reform der Grundsteuer sieht beispielsweise die Besteuerung auf der Basis der Wohnfläche bzw. Nutzfläche vor. Dies würde dazu führen, dass tendenziell kleiner gebaut wird. Im Vergleich zu Gebäuden würden andere Investitionen außerdem attraktiver werden. Anders sieht es bei einer Besteuerung des Bodenwertes aus. Dieser Besteuerung kann sich letztlich niemand entziehen. Die Grundsteuer trifft zwar formal die Eigentümer, doch auch die Mieter werden hiermit belastet, da die Steuer über die Nebenkosten weitergegeben wird. Dies verdeutlicht, dass die Traglast einer Steuer nicht zwangsläufig bei demjenigen liegt, der sie auch zahlt. Bezogen auf den Bodenwert erachten einige Ökonomen die Grundsteuer sogar als Äquivalenzsteuer (Eekhoff und Lemmer, 2001). Der Bodenwert steigt tendenziell dann, wenn die Kommune eine attraktive Standortpolitik betreibt, also etwa den Aufbau von Arbeitsplätzen begünstigt. Dies kommt auch den Bürgern zugute, die hierfür in Form der Bodenwertsteuer finanziell beteiligt werden. Voraussetzung ist jedoch, dass ein geeignetes Maß für den Bodenwert, etwa in Form der Bodenrichtwerte, gefunden wird. 35 Kapitel 2 Grunderwerbsteuer Besonderheiten des Immobilienmarktes 쐍 Die Grunderwerbsteuer setzt an der Transaktion an. Die Steuer fällt an, sobald ein Rechtsvorgang darauf ausgerichtet ist, das Eigentum an einem inländischen Grundstück zu übertragen. Ihr unterliegen daher vor allen Dingen Kaufverträge, aber auch z. B. Änderungen der Gesellschafterstruktur einer grundbesitzenden Personengesellschaft oder Eigentumsübergänge im Enteignungsverfahren. Ausnahmen von der Grunderwerbsteuer gelten nur für Rechtsgeschäfte innerhalb der Familie (Kinder und Ehegatten). Der Steuersatz liegt zurzeit in den meisten Bundesländern bei 3,5 %, die Bemessungsgrundlage ist der Wert des Grundbesitzes zuzüglich etwaiger Gegenleistungen für die Eigentumsübertragung. Das größte Problem der Grunderwerbsteuer ist, dass sie kumulativ anfällt. Je häufiger eine Immobilie verkauft wird, desto mehr Steuern müssen insgesamt entrichtet werden. Daher kommt es zu so genannten Lock-inEffekten. Die Immobilienbesitzer halten ihre Immobilien so lange wie möglich, um die Steuer zu sparen. Große Immobilienunternehmen versuchen darüber hinaus, durch die Gründung von Tochterunternehmen die Steuerbelastung zu verringern. Alle diese Strategien verursachen Kosten und verhindern den wirtschaftlichen Umgang mit der Immobilie. Gegebenenfalls wird die Immobilie nicht seiner bestmöglichen Nutzung zugeführt, weil beiderseitig vorteilhafte 36 Verkäufe unterbleiben. Außerdem wird die Attraktivität des Immobiliensektors verringert, da die Grunderwerbsteuer nur hier erhoben wird. Steuern induzieren Das Thema der Immobilienbesteuerung füllt in der wissenschaftlichen und popu- Ausweichreaktionen lärwissenschaftlichen Literatur ganze Regale. Hier können deshalb nur einige Leitgedanken vermittelt werden. Wichtig ist zu beachten, dass Steuern Ausweichreaktionen induzieren und damit die Idee von der besten Nutzung der gesellschaftlichen Ressourcen konterkarieren. Besonders problematisch sind solche Steuern, die einzelne Anlageformen oder Verwendungen treffen, wie etwa die Grunderwerbsteuer. 2.5.3 Subventionen für Mieter und Selbstnutzer Subventionen sollen Die Kehrseite von Steuern stellen Subventionen dar. Sie werden erteilt, um die verhalten lenken Wirtschaft in einer bestimmten Art und Weise zu lenken. Im Fall positiver externer Effekte wurde bereits gezeigt, dass hiermit insgesamt bessere Marktergebnisse einhergehen können. In vielen anderen Fällen kommt es jedoch durch Subventionen zu Fehlsteuerungen. Subventionen können ganz unterschiedlich ausgestaltet sein, etwa in Form von Steuerbefreiungen, Sonderabschreibungen oder aber direkten Besonderheiten des Immobilienmarktes Kapitel 2 Zuwendungen. Wie differenziert Subventionen im Immobiliensektor aus ökonomischer Perspektive betrachtet werden müssen, lässt sich am Beispiel des Wohngelds und der im Jahr 2006 abgeschafften Eigenheimzulage besonders eindrucksvoll zeigen. Das Wohngeld ist ein Instrument der Sozialpolitik. Es kann grundsätzlich auch von Eigentümern beantragt werden. Die Regelung richtet sich aber primär an Wohngeld – Instrument der Sozialpolitik Mieter. Ausschlaggebend für die Gewährung des Wohngelds sind das Einkommen der Bewohner, die Höhe der Miete, die Größe der Wohnung und die Angemessenheit der Wohnung. Wer beispielsweise mit kleinem Einkommen eine Wohnung mit Blick auf die Binnenalster bezieht, kann nicht auf eine Unterstützung des Staates zählen. Da das Wohngeld nach der Miethöhe und der Wohnfläche (in Grenzen) gestaffelt ist, induziert es tendenziell eine Ausweitung des Wohnkonsums. Damit werden die relativen Konsumpreise für die Haushalte verzerrt, und es entsteht ein Effizienzverlust. Allerdings wurde bereits ausgeführt, dass es im Wohnungsmarkt ohnehin schwierig ist, ein den Präferenzen vollständig adäquates Angebot zu finden. Der wichtigste Parameter für die Wohngeldgewährung ist darüber hinaus das Einkommen. Das Wohngeld ist also eine bedürftigkeitsgeprüfte Subvention bzw. ein Transfer, auf den jeder in der entsprechenden Situation 37 Anspruch hat. Damit gehört das Wohngeld zu den Maßnahmen, die allen Bürgern ein sozio-kulturelles Existenzminimum garantieren. Die Gewährleistung einer solchen Mindestsicherung ist auch unter den liberalsten Ökonomen unbestritten. Bei genauer Betrachtung ist die damit verbundene Umverteilung nicht nur aus Gerechtigkeitserwägungen unerlässlich, sondern auch aus Effizienzgründen. Schließlich sichert erst eine Mindestsicherung die allgemeine Akzeptanz der Gesellschaftsordnung und den sozialen Frieden. Hiervon profitieren letztlich alle Bürger. Im Zuge der Hartz-IV-Reformen ist die Bedeutung des Wohngelds deutlich zurückgegangen, da die Wohnkosten der ALG-II-Bezieher nun vollständig von den Kommunen getragen werden. Für diejenigen, die die Einkommensgrenzen des ALG II überschreiten, jedoch aufgrund von Knappheiten am Wohnungsmarkt mit relativ hohen Mieten belastet werden, bietet das Wohngeld immer noch eine wichtige Hilfe. Ebenso wie Steuern sind auch Subventionen stets kritisch zu prüfen. Wenn Sorgfältige Prüfung von damit soziale Ziele verfolgt werden, ist darauf zu achten, dass sie tatsächlich Steuern und Subven- bedürftigkeitsgeprüft sind und alle Mitglieder der Zielgruppe hierauf einen Rechts- tionen notwendig anspruch haben. Nur so ist gewährleistet, dass auch alle relevanten Haushalte von einer Maßnahme profitieren. Bei allen anderen Subventionen muss gefragt werden, ob sie zur Verbesserung des Marktergebnisses tatsächlich geeignet sind. Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes Schließlich müssen die Vorteile aus dem Markteingriff so groß sein, dass sie die Verluste aus der Besteuerung und die Bürokratiekosten kompensieren können. 2.5.4 Öffentliche Hand als Bestandshalter? Privatisierung öffentli- In den letzten Jahren sind in größerer Zahl Beteiligungsgesellschaften in den deut- cher Wohungsbestände schen Wohnungsmarkt eingestiegen. Sie sehen in Deutschland große Marktchancen, weil es hier keinen Preisboom wie in den meisten anderen OECD-Ländern gab. Außerdem sehen sie bei vielen Wohnungsgesellschaften noch Optimierungsmöglichkeiten. Gerade auch von der öffentlichen Hand haben die Gesellschaften viele Wohnungen erworben. Die Verkäufe haben zu einer kontroversen Diskussion über öffentliche Wohnungen geführt. Viele Sozialpolitiker und lokale Bürgerbewegungen erachten öffentliche Wohnungen als wichtig, um die sozialen und stadtpolitischen Ziele zu erreichen. Im Folgenden soll, um das Verständnis für die Rolle des Staates zu schärfen, die Rationalität öffentlicher Wohnungsgesellschaften genauer hinterfragt werden. Da an diesem Beispiel die Aufgaben des Staates und die ihm zur Verfügung stehenden Instrumente besonders gut verdeutlicht werden können, soll dieses Thema ausführlicher diskutiert werden. 38 Entstehung Die meisten öffentlichen Wohnungsgesellschaften in Westdeutschland ent- öffentlicher standen in der Zeit nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die Wohnungsnot Wohnungs- nach den Weltkriegen war so groß, dass sich der Staat für ein umfangreiches Enga- gesellschaften gement in der Wohnungswirtschaft entschied. Da die Kapitalmärkte in dieser Zeit wenig funktionstüchtig waren und kaum privates Kapital zur Verfügung stand, sah man nur wenig Alternativen zum öffentlichen Unternehmertum. Mit dem sozialen Wohnungsbau legte man jedoch alsbald Programme auf, die auch die privaten Unternehmen einbezogen. Hierdurch stand automatisch nach Ablauf der Mietbindungsdauer ein rein privates Angebot zur Verfügung – ein Schlüssel zur Erklärung des gut aufgestellten Mietwohnungsmarktes in Deutschland. Im Osten Deutschlands entstanden die kommunalen Wohnungsgesellschaften hingegen im Zuge des Transformationsprozesses. Etwa 57 % der Mietwohnungen in der DDR waren in Staatsbesitz. Sofern die ursprünglichen Eigentumsverhältnisse nicht geklärt werden konnten, gingen diese Wohnungen nach der Wiedervereinigung an die jeweiligen Städte und Gemeinden über, denen jedoch das Altschuldenhilfe-Gesetz die schrittweise Teilprivatisierung auferlegte. Die öffentlichen Wohnungsgesellschaften sind folglich als Produkt historischer Sondersituationen zu erklären – was jedoch noch nicht deren Weiterführung rechtfertigt. Besonderheiten des Immobilienmarktes Generell gilt, dass es zwischen dem Staat und den Unternehmen eine Arbeitsteilung gibt. Der Staat gibt den Ordnungsrahmen vor, innerhalb dessen Haushalte Kapitel 2 Staat stellt öffentliche Güter zur Verfügung und Unternehmen agieren und ihre Ziele verfolgen. Als Anbieter tritt der Staat nur bei der Herstellung öffentlicher Güter auf, für die gemäß Definition keine private Bereitstellung erwartet werden kann. Allgemein sind öffentliche Güter solche Güter, von dessen Konsum niemand ausgeschlossen werden kann und für die es keine Konkurrenz im Konsum gibt. BEISPIEL Ein klassisches Beispiel ist etwa die Landesverteidigung: Von der Verteidigung einer Landesgrenze kann kein Landesbürger ausgeschlossen werden. Bis zu einer bestimmten Grenze ist auch die Anzahl der Bürger, die geschützt werden, für den Nutzen des Einzelnen unerheblich. Da es unter diesen Konstellationen am Markt keine Zahlungsbereitschaft gibt, muss der Staat als Anbieter auftreten. Tritt der Staat jedoch als Anbieter privater Güter auf, folgen unweigerlich Interessenkonflikte. Schließlich nimmt der Staat als Unternehmer sowohl die Rolle des Schiedsrichters ein, der die gesellschaftlichen Regeln überwacht, als auch diejenige des Spielers, der unter den gegebenen Umständen den größtmöglichen Gewinn erzielen möchte. Es besteht daher latent die Gefahr, dass die öffentlichen Unternehmen Vorteile zu Lasten der Konkurrenz ausspielen. Allerdings ist ein anderer Fall wahrscheinlicher und auch häufiger belegt. Da die öffentlichen Unternehmen von ihren Eigentümern, den Bürgern, nur unzureichend kontrolliert werden können, bestehen weniger Anreize, wirtschaftlich zu arbeiten. Ähnlich wie Bürokratien wachsen daher auch öffentliche Unternehmen über das effiziente Maß hinaus und neigen tendenziell zur Ressourcenverschwendung. Für die politischen Entscheidungsträger besteht darüber hinaus der Anreiz, die öffentlichen Unternehmen für eigene Zwecke einzusetzen. So werden möglicherweise über die Unternehmen Projekte finanziert, die über den Haushaltsprozess nur schwer durchgesetzt werden könnten. Bekannt ist auch, dass bei der Besetzung der Unternehmensführung bisweilen politische über wirtschaftlichen Erwägungen stehen. Als Konsequenz dieser Fehlanreize ist vielfach zu beobachten, dass die öffentlichen Unternehmen eine deutlich geringere Rendite erzielen als vergleichbare privatwirtschaftliche Unternehmen. 39 Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes Gründe für öffentliche Aus diesen Überlegungen folgt, dass es einer guten Begründung für ein Fest- Wohnungsunternehmen halten an öffentlichen Wohnungsunternehmen bedarf. Nur wenn öffentliche Wohnungsunternehmen zur Beseitigung von Marktunvollkommenheiten benötigt werden oder wenn sie als besonders effiziente Instrumente zur Erfüllung der sozialpolitischen Ziele bewertet werden, lässt sich die Fortführung der Unternehmen trotz marktgerechter Angebote von privater Seite legitimieren. Als ein wesentliches Argument für öffentliche Wohnungsunternehmen wird deren sozialpolitische Verantwortung angeführt, was sich aus der Historie begründen lässt. Schließlich sollten in Zeiten der Wohnungsnot bedürftige Haushalte mit bezahlbarem Wohnraum versorgt werden. Diese Zielsetzung wurde auch steuerlich unterstützt, indem den Gesellschaften der Status der Gemeinnützigkeit zugestanden wurde. Demnach waren sie von der Besteuerung ausgeschlossen, solange sie nur eine moderate Rendite erzielten und sich ihr Angebot vornehmlich an niedrige und mittlere Einkommensklassen richtete. Im Jahr 1990 wurde die Gemeinnützigkeit der öffentlichen Wohnungsgesellschaften jedoch abgeschafft. Seitdem sind die öffentlichen Wohnungsgesellschaften in ihrer Zielsetzung frei und bestimmen ihre Mietenpolitik im Rahmen der gesetzlichen Regelungen selbst. Wie eine Umfrage unter kommunalen Wohnungsgesellschaften zeigt, vermieteten 40 im Jahr 2006 etwa 43 % der Gesellschaften zu den gleichen Konditionen wie die privaten Anbieter (PricewaterhouseCoopers, 2006). Die Unterstützung sozial schwächerer Haushalte mit verbilligtem Wohnraum ist unter den kommunalen Wohnungsgesellschaften demnach längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Gebundener Transfer Unter Effizienzgesichtspunkten ist dies ausdrücklich zu begrüßen. Eine Subvention über verringerte Mieten weist schließlich die typischen Nachteile eines gebundenen Transfers auf. Bei freier Verfügung über die Subvention können die Haushalte regelmäßig ein höheres Nutzenniveau erzielen, weil ihre Nachfrageentscheidung nicht zugunsten eines bestimmten Gutes verzerrt wird. Vor allem zeigt jedoch das Beispiel des sozialen Wohnungsbaus, dass subventionierte Mieten eine sehr geringe Treffsicherheit aufweisen. Die Fehlbelegungsquote im sozialen Wohnungsbau wird auf 40 bis 50 % geschätzt (Kirchner, 2006). Dabei ist zu berücksichtigen, dass etwa ein Viertel aller Mieterhaushalte Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein hat, also das Bedürftigkeitskriterium sehr weit gefasst wurde. Darüber hinaus stehen mit den bereits skizzierten Wohngeldzahlungen oder der Übernahme von Unterkunftskosten im Rahmen der sozialen Grundsicherung bereits wesentlich zielgenauere sozialpolitische Instrumente zur Verfügung, bei denen außerdem regelmäßig die Bedürftigkeit überprüft wird. Besonderheiten des Immobilienmarktes Neben dem Zahlungsproblem kann auf dem Wohnungsmarkt jedoch auch ein Kapitel 2 Zahlungs- und Zugangsproblem auftreten. Bestimmte Gruppen von Haushalten können unab- Zugangsprobleme auf hängig von ihrer finanziellen Situation Schwierigkeiten haben, auf dem Woh- dem Wohnungsmarkt nungsmarkt eine passende Wohnung zu finden, weil die Wohnungseigentümer ein erhöhtes Risiko vermuten, wenn sie an diese Gruppen vermieten. Da eine Preisdifferenzierung nicht möglich ist, kommt es zu einer Rationierung des Wohnungsmarktes für diese Gruppen. Betroffen hiervon sind vor allem Haftentlassene und Drogenkranke, aber auch Ausländer, Alleinerziehende oder Familien mit vielen Kindern. Einige Autoren, wie z. B. Kirchner (2006) sehen nun besonders die öffentlichen Wohnungsgesellschaften gefordert, diesen Gruppen den Zugang zum Wohnungsmarkt zu gewähren. Allerdings sind die öffentlichen Gesellschaften hierzu genauso wenig verpflichtet wie zu einer Vermietung unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete. Außerdem gibt es zur Lösung des Zugangsproblems auch eine Alternative. Im Kern besteht das Zugangsproblem darin, dass die Vermieter für die Übernahme der Vermietungsrisiken bei bestimmten Gruppen nicht entschädigt wer- Wirkungsweise von Belegungsrechten den. Daher entscheiden sie sich im Zweifelsfall immer für die Vermietung an Mieter mit geringerem Risiko. Über den Kauf von Belegungsrechten aus dem Bestand kann dieses Problem jedoch gelöst werden. Für einen Einmalbetrag oder eine laufende Vergütung erhält die Kommune das Recht, die Wohnung mit von ihr ausgewählten Haushalten zu belegen. Das Belegungsrecht kann sehr unterschiedlich ausgestaltet werden. So kann die Kommune sich beispielsweise bereit erklären, eine Bürgschaft für die Mietzahlungen zu übernehmen oder eine besondere Betreuung der Haushalte zu gewährleisten, um die Kosten für das Belegungsrecht gering zu halten. Wichtig ist es in jedem Fall, dass die Auswahl der Haushalte von Seiten der Kommune eng gefasst wird, beispielsweise indem sie dem Vermieter bei Freiwerden einer Wohnung mit Belegungsrecht eine Liste mit drei Mietern vorlegt, von denen der Vermieter einen aussuchen muss. Damit hat die Kommune die Möglichkeit, gezielt Haushalte aus einer Notfallkartei zu berücksichtigen. Im Vergleich zu dem Einsatz eigener Wohnungen besteht für die Kommunen der große Vorteil darin, dass die Belegungsrechte flexibler an den Bedarf angepasst werden können. Schließlich können weitere Belegungsrechte gekauft werden, sobald der Bedarf sehr hoch ist, oder man verzichtet auf eine Verlängerung der Belegungsrechte, wenn der Bedarf zurückgeht. Im Fall der öffentlichen Wohnungen müssten dagegen neue Wohnungen gebaut oder gekauft werden, die auch dann fortbestehen, wenn es keinen adäquaten Bedarf gibt. Letztlich werden durch die Bewirt- 41 Kapitel 2 Besonderheiten des Immobilienmarktes schaftung von eigenen Wohnungen erhebliche Mittel gebunden und größere Risiken getragen als beim Kauf von Belegungsrechten. Indem die Kommunen Belegungsrechte im Bestand räumlich differenziert erwerben, wird außerdem der sozialen Segregation sehr effizient entgegengewirkt. Bei kommunalen Wohnanlagen können sich dagegen die Problemhaushalte kumulieren, was hohe soziale (Folge-)Kosten nach sich zieht. Unterscheidung Die Diskussion um öffentliche Wohnungen wurde bewusst ausführlich dar- zwischen Zielen und gelegt, weil es sich erstens um ein aktuelles Thema handelt und zweitens die öko- Instrumenten notwendig nomische Denkweise an einem realen Beispiel verdeutlicht werden kann. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass es nicht um eine Diskussion der Ziele geht. Privatisierungsgegner sind oft deswegen gegen einen Verkauf, weil sie eine Vernachlässigung der Sozialpolitik fürchten. Für den Ökonomen geht es jedoch darum zu zeigen, dass eine Sozialpolitik über öffentliche Wohnungen ineffizient ist. Mit anderen Worten: Es könnte mehr für bedürftige Haushalte getan werden, wenn bessere Instrumente, wie etwa das Wohngeld oder der Kauf von Belegungsrechten, Anwendung finden würden. Diese Denkweise ist jedoch vielen fremd. Umso wichtiger ist es, genau zwischen der Diskussion der Ziele und der Diskussion der Instrumente zu unterscheiden. 42 2.6 Marktversagen Immobilienmarkt zwischen Marktversagen und Staatsversagen Der Immobilienmarkt weist eine Fülle von Besonderheiten auf. Er ist gekennzeichnet durch eine sehr große Heterogenität, sehr lange Nutzungsdauer, eine hohe Kapitalbindung, asymmetrische Informationsverteilungen und externe Effekte. Einige dieser Besonderheiten können zu einem Marktversagen führen, wie etwa einer verringerten Menge von Immobilien auf dem freien Markt. Hier kann der Staat gegebenenfalls durch Interventionen zu einer Verbesserung des Marktergebnisses beitragen. Allerdings ist eine Marktunvollkommenheit bzw. ein Marktversagen immer nur ein notwendiges, aber noch kein hinreichendes Kriterium für eine Intervention. Legitimiert werden kann ein Eingriff nur dann, wenn durch die Intervention tatsächlich mehr Nutzen als Kosten gestiftet wird. Schließlich können staatliche Eingriffe oft auch zu Verschlimmbesserungen führen. Der nach den Weltkriegen eingeführte Mietstopp ist ein prägnantes Beispiel dafür. Der Miet- Besonderheiten des Immobilienmarktes Kapitel 2 stopp hat in Zeiten der Wohnungsknappheit zwar die Mieter geschützt, aber er hat auch alle Anreize für eine Ausweitung des Angebots genommen. Das Ziel einer angemessenen Wohnraumversorgung zu moderaten Preisen konnte somit nicht erreicht werden. Generell bietet der Immobilienmarkt viele Beispiele für Staatsversagen. Hie- Staatsversagen runter wird verstanden, dass der Staat durch seinen Eingriff die Funktionsfähigkeit der Märkte beeinträchtigt bzw. unnötige Kosten verursacht. Gerade weil das Gut Wohnen einen so hohen Stellenwert besitzt, besteht auf politischer Seite immer wieder der Anreiz, in den Markt einzugreifen. Dies verdeutlicht letztlich die Vorbehalte gegenüber marktlichen Lösungen. Die Diskussion um öffentliche Wohnungen zeigt dabei jedoch, dass die dabei gewählten Instrumente nicht immer zielführend sind. Insgesamt befindet sich der Immobilienmarkt damit in einem Spannungsfeld von Marktversagen auf der einen und Staatsversagen auf der anderen Seite. Je nach der politischen Diskussion und der Lage an den Immobilienmärkten werden damit die Regulierungen mal ausgebaut und mal eher abgebaut. Insbesondere in Phasen anziehender Märkte neigt die Politik zur Stärkung der Mieterrechte. Dies macht es den Investoren jedoch umso schwieriger. Schließlich ist Planungssicherheit aufgrund der langen Investitionszeiträume eines der wichtigsten Kriterien für ein Engagement auf diesem Markt. 43 Kapitel 3 3 Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Angebot und Trotz all seiner Besonderheiten bleibt der Immobilienmarkt von seiner Beschaf- Nachfrage fenheit her ein ganz normaler Markt. Für die Bestimmung der Immobilienpreise bedeutet dies, dass die Preise vom Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage 44 bestimmt werden. Dies ist zunächst einmal trivial, bedeutet aber, dass zur Abschätzung der Immobilienpreisentwicklung stets beide Seiten zu berücksichtigen sind. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass auf das Angebot und vor allem auf die Nachfrage eine Vielzahl von Faktoren einwirken, mit zum Teil gegenläufigen Wirkungen, so wird schnell deutlich, dass die Immobilienpreise in einem komplexen Prozess entstehen. Im Folgenden sollen die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Immobilienpreise genauer betrachtet werden. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass hier nicht einzelne Faktoren wie Lage oder unterschiedliche Ausstattungen, sondern die makroökonomischen Faktoren betrachtet werden. Damit geht es vor allem um eine Erklärung von allgemeinen Preistrends, wie sie etwa an Immobilienpreisindizes ablesbar sind. Die Darstellung fokussiert zunächst auf Wohnimmobilien. Im letzten Abschnitt sollen dann jedoch auch die Besonderheiten von Büro- und Einzelhandelsimmobilien herausgestellt werden. Bestimmungsgründe für Immobilienpreise 3.1 Kapitel 3 Immobilienangebot Das Immobilienangebot umfasst den gesamten Bestand an Wohn- bzw. Nutz- Bedingungen und flächen, die am Markt angeboten werden. Vergrößert sich das Angebot an Flächen, Wirkungen des sinken unter sonst gleichen Bedingungen – also bei gleichbleibender Nachfrage – Immobilienangebots die Preise. Schließlich steigt mit zunehmenden Flächen der Konkurrenzdruck, was die Eigentümer letztlich dazu zwingt, ihre Preise zu senken, um für ihr Angebot noch einen Nachfrager zu finden. Auf der anderen Seite bewirkt eine Verknappung des Angebots einen Preisanstieg. Wie schon in Abschnitt 2.2 ausgeführt wurde, ist der Immobilienmarkt als Bestandsmarkt zu charakterisieren. Im Verhältnis zum Immobilienbestand beträgt der Anteil des Neubaus nur zwischen 0,5 und 1 %. Darüber hinaus können die Immobilienflächen auch nicht kurzfristig ausgeweitet werden. Schließlich vergeht einige Zeit, bis ein neues Gebäude geplant und vor allem gebaut ist. Außerdem lassen sich die Kapazitäten in der Bauwirtschaft nur begrenzt erweitern. Angenommen, der Bedarf an neuen Wohnungen verdoppelt sich aufgrund einer Nachfrageveränderung von 300 000 auf 600 000 Wohnungen, würde dies bedeuten, dass die Bauwirtschaft schnell an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen würde und in großem Umfang neue Stellen schaffen müsste. Da jedoch 45 nicht so viele Fachkräfte am Markt verfügbar sind, würde es einige Zeit dauern, bis der Neubau sich auf den neuen Bedarf eingestellt hat. Kurzum: Das Immobilienangebot ist zumindest in kurzfristiger Perspektive als unelastisch anzusehen, d. h., bei veränderter Nachfrage gibt es nur geringe Mengenanpassungen und starke Preisanpassungen. Etwas anders stellt sich das Bild jedoch dar, wenn hoher Leerstand vorliegt. In diesem Fall kann über die bereits vorhandenen Flächen der Neubedarf sehr schnell befriedigt werden. Insbesondere nach Immobilienkrisen oder allgemeinen konjunkturellen Rezessionen ist der Leerstand sehr groß. Zieht dann die Nachfrage wieder an, reagiert der Markt zunächst mit dem Abbau von Leerstand. Allerdings ist hier noch einmal auf das Matching-Problem hinzuweisen: Oft ist es so, dass die älteren Gebäude nicht mehr den Wünschen der Nachfrager entsprechen. Daher müssen die bestehenden Leerflächen zunächst modernisiert oder neu entwickelt werden. Auch in Zeiten hohen Leerstands wird die Bautätigkeit daher fortgesetzt. Einfluss von Leerstand auf das Angebot Kapitel 3 Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Zusammenhang Auf besonders einfache, aber prägnante Weise hat der US-amerikanische zwischen Bestandsmarkt Nobelpreisträger James Tobin den Zusammenhang zwischen Bestandsmarkt und und Neubautätigkeit Neubautätigkeit beschrieben. Nach Tobin hängen Bauinvestitionen im Wesentlichen von der Preisentwicklung auf den Immobilienmärkten ab. Wenn die Preise der Bestandsimmobilien anziehen und neue Gebäude im Verhältnis günstiger sind, lohnt sich der Neubau. Wenn hingegen die Bestandsgebäude günstiger werden, fehlt es den Investoren an entsprechenden Preissignalen. Wie auf jedem Markt steigt also dann das Angebot, wenn hohe Gewinnchancen winken. Tobin bezeichnete das Verhältnis von Bestandspreisen zu Neubaupreisen mit Q, weshalb dieser Faktor in die Literatur auch als Tobin-Q eingegangen ist. Wie ein Blick auf Deutschland zeigt, kann die Entwicklung der Preisverhältnisse die Entwicklung der Wohnungsbaugenehmigungen gut beschreiben (Abbildung 3). Entwicklung der Baugenehmigungen und des Preisverhältnisses von Bestandsimmobilien zu Neubauten (Q-Faktor) 1,02 300 1,00 46 250 0,98 0,96 200 Q-Faktor (Bestandspreise im Verhältnis zu Neubaupreisen) (rechte Achse) Wohnungsgenehmigungen in 1 000 (linke Achse) 0,94 150 0,92 0,90 100 0,88 50 0,86 0,84 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Quelle: IW-Immobilien-Monitor (2008) Abb. 3: Entwicklung der Baugenehmigungen und des Preisverhältnisses von Bestandsimmobilien zu Neubauten (Q-Faktor) Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Kapitel 3 Gerade im Jahr 2007 hat sich das Preisverhältnis deutlich zuungunsten des Neubaus verschoben, worauf die Baugenehmigungen um fast 70 000 Wohnungen zurückgegangen sind. Nur im Jahr 2006 stiegen die Genehmigungen trotz eines fallenden Wertes für Q an, was jedoch primär auf das Auslaufen der Eigenheimzulage zurückzuführen ist. Zwei Gründe sind hauptsächlich für das fallende Q verantwortlich. Erstens ziehen seit einiger Zeit die Baukosten deutlich an. Allein im Jahr 2007 stieg der Baupreisindex um 7,2 %. Dies hängt vor allem mit den gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen zusammen. Und zweitens stagniert der Wohnungsmarkt seit über zehn Jahren. Nach dem neu berechneten Bestandspreisindex des Statistischen Bundesamtes sanken die Preise für Wohnimmobilien aus dem Bestand zwischen 2000 und 2006 sogar um fast 5 %. Dass die Preise sich seit so vielen Jahren nur seitwärts bewegen, hängt vor allem mit dem Bauboom Anfang der 1990er-Jahre zusammen. Damals wurde mit der Euphorie der Wiedervereinigung und diversen Förderungen die Bautätigkeit massiv ausgeweitet. Im Grunde erholt sich der Wohnungsmarkt immer noch von dem Überangebot, das damals aufgebaut wurde. Tobins Q-Faktor verdeutlicht auf eindrucksvolle Weise die Interaktionsbeziehungen auf dem Immobilienmarkt. Der Neubau hängt von dem Preisniveau auf 47 dem Immobilienmarkt ab. Die daraufhin getroffenen Neubauentscheidungen beeinflussen jedoch wiederum die künftigen Preise. Entscheidend für die kurzfristigen Preisänderungen ist jedoch die Nachfrageseite, die im nächsten Kapitel im Fokus steht. 3.2 Immobiliennachfrage Die Immobiliennachfrage umfasst den Bedarf an neuen Wohn- und Nutzflächen. Bedingungen und Spiegelbildlich zur Angebotsseite gilt hier, dass bei steigendem Flächenbedarf Wirkungen der Immo- unter sonst gleichen Bedingungen die Preise steigen, weil die Flächen dann insge- biliennachfrage samt knapper werden. Auf der anderen Seite sorgt eine fallende Nachfrage tendenziell für fallende Preise. Der Bedarf an Wohnflächen hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Die wichtigsten sollen im Folgenden kurz erläutert werden: Die Einkommensentwicklung, die Demografie, die Mieten und schließlich die Zinsen. Kapitel 3 Bestimmungsgründe für Immobilienpreise 3.2.1 Einkommen Einkommen treibende In der ökonomischen Literatur gelten Wohnimmobilien vornehmlich als Kon- Kraft der Immobilien- sumgut. Eine Wohnung zu nutzen und mehr Wohnraum pro Kopf zur Verfügung nachfrage zu haben, stiftet uns Nutzen. Die Klassifikation als Konsumgut impliziert, dass mit steigendem Einkommen auch die Flächennachfrage steigt. Schließlich wird bei steigendem Einkommen mehr Geld für den Konsum ausgegeben, welches dann auch anteilig in die Wohnungsnachfrage fließt. Ablesbar ist der Zusammenhang zwischen Einkommen und Wohnflächennachfrage etwa an der im Zeitablauf steigenden Wohnfläche pro Kopf. Während 1987 noch jeder Bundesbürger durchschnittlich 35 m2 pro Kopf zur Verfügung hatte, betrug der Vergleichswert für 2008 über 42 m2 (Abbildung 4). Auch in empirischen Untersuchungen zeigt sich regelmäßig, dass das verfügbare Einkommen eine der treibenden Kräfte für die Immobiliennachfrage und damit für die Immobilienpreise darstellt (vgl. Demary, 2008). Die Einkommensentwicklung hängt wiederum maßgeblich von der Beschäftigungsentwicklung und damit einhergehend von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ab. 48 Wohnfläche pro Person in m2 45 40 35 30 25 20 15 10 5 Quelle: Statistisches Bundesamt Abb. 4: Wohnfläche pro Person in m2 2007 2008 2005 2006 2003 2004 2002 2001 2000 1998 1999 1997 1996 1995 1993 1994 1991 1992 1990 1989 1988 1987 0 Bestimmungsgründe für Immobilienpreise 3.2.2 Kapitel 3 Demografie Es ist naheliegend, dass die Bevölkerungsentwicklung einen wesentlichen Einfluss Langfristiger Einfluss auf die Immobiliennachfrage hat. Schließlich müssen alle Bürger irgendwo woh- der Demografie nen. Dass daher vornehmlich Länder, in denen es einen starken Zuwanderungsstrom gab – wie etwa die USA oder Spanien – in den vergangenen Jahren einen besonders starken Wohnimmobilienpreisanstieg erlebten, kann daher nicht überraschen. Im Hinblick auf Deutschland und viele andere europäische Länder wird jedoch in Bezug auf die demografische Entwicklung eher die gegenteilige Perspektive eingenommen. Nach allen Vorausberechnungen wird Deutschlands Bevölkerung schrumpfen. Nach dem mittleren Szenario des Statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerung von derzeit etwa 82 Millionen auf etwa 74 Millionen bis zum Jahr 2050 zurückgehen. Da die heutige Geburtenrate die Bevölkerungsentwicklung bis weit in die Zukunft bestimmt, könnte höchstens durch eine massive Zuwanderung der Trend verändert werden, was derzeit jedoch nicht erkennbar ist. In der ökonomischen Literatur wurde das Thema Demografie und Immobilien Asset Meltdown schon früh entdeckt. Mankiw und Weill (1989) haben mit als Erste den Effekt der demografischen Entwicklung auf die Immobilienmärkte untersucht. Ihrer Analyse zufolge droht ein so genannter Asset Meltdown: Da in Zukunft die Zahl der Immo- 49 bilienverkäufer deutlich schneller steigt als die Zahl der Immobiliennachfrager, droht ein Überangebot, das dann in einen erheblichen Immobilienpreisrückgang mündet. Mittlerweile ist die Analyse von Mankiw und Weill jedoch relativiert worden. So wirkt sich beispielsweise die positive Einkommensentwicklung dämpfend auf den Immobilienpreisrückgang aus. Darüber hinaus ist für die Wohnimmobiliennachfrage weniger die Anzahl der Personen als die Anzahl der Haushalte entscheidend. Hier sehen die Prognosen günstiger aus. Bis zum Jahr 2020 wird mit einer weiter steigenden Zahl an Haushalten gerechnet, nur in den neuen Ländern geht die Zahl leicht zurück (Abbildung 5). Ab 2020 gehen dann auch die Haushaltszahlen zurück, allerdings moderater als die Bevölkerungszahl. Die günstigere Entwicklung der Haushaltszahlen fußt vor allem auf zwei Trends: Erstens steigt die Anzahl der älteren Personen, auch bedingt durch die steigende Lebenserwartung, stetig an. Diese Gruppe lebt überwiegend in kleinen Haushalten. Und zweitens setzt sich auch unter den jüngeren Personen der Trend zu Single-Haushalten fort. … und dessen Relativierung Kapitel 3 Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Entwicklung der Haushaltszahlen bis 2020 50 in Millionen 40 1990 2002 2020 30 20 10 0 Deutschland neue Länder (mit Berlin) alte Länder (ohne Berlin) Quelle: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2006) Abb. 5: Entwicklung der Haushaltszahlen bis 2020 50 42 % Wohn- Weiterhin könnte auch die mit der Wohneigentumsbildung verbundene zusätz- eigentums- liche Nachfrage dämpfend wirken. International gesehen ist die Wohneigen- quote tumsbildung in Deutschland mit etwa 42 % sehr gering. Einige Beobachter sehen hier Nachholbedarf, vor allem vor dem Hintergrund des zunehmenden Bedarfs an privater Vorsorge. Da Wohneigentümer in der Regel mehr Wohnfläche in Anspruch nehmen, könnte eine zunehmende Eigentumsbildung zu einer stärkeren Nachfrage führen. Ob sich diese Entwicklung jedoch tatsächlich einstellt, ist mit größerer Unsicherheit verbunden als etwa die Bevölkerungsentwicklung. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass sich die demografische Entwicklung regional sehr unterschiedlich darstellt. Vor allem die neuen Bundesländer, Teile Norddeutschlands und das Ruhrgebiet sind besonders vom Bevölkerungsrückgang betroffen. Hier kann der Rückgang der Nachfrage auch durch einen vollständigen Verzicht auf Neubau nicht kompensiert werden. Andere Regionen, vor allem die Metropolen, werden dagegen trotz des allgemeinen Bevölkerungsrückgangs weiter wachsen. 3.2.3 Mieten Zukünftig erwartbare Mieten stehen in einem sehr engen Verhältnis zum Wert bzw. Preis einer Immo- Mieten ausschlag- bilie. Mieten stellen den Ertrag einer Immobilie dar und bestimmen daher in gebend für wesentlichem Maße den Gewinn einer Immobilieninvestition. Grundsätzlich kann Immobilienpreise der Immobilienpreis als der Wert der zukünftig zu erwartenden Mieten aufgefasst Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Kapitel 3 werden. Diese Betrachtungsweise findet sich analog auf den Kapitalmärkten. So enthält auch der Aktienpreis eine Erwartung über die zukünftig anfallenden Gewinne einer Unternehmung. Steigen die Mieten, so steigen folglich auch die Immobilienpreise. Folgerichtig spielen die nachhaltig zu erwartenden Rohertragsmieten auch in der Immobilienbewertung eine entscheidende Rolle. Die Mieten wiederum werden ebenso wie die Immobilienpreise selbst durch das verfügbare Angebot (Neubau- und Leerstandsflächen) sowie die Nachfrage (Einkommensentwicklung, demografische Entwicklung, Anzahl der Bürobeschäftigten etc.) bestimmt. Darüber hinaus spielt für die Nachfrage nach Eigentum auch die Volatilität der Volatilität der Mieten Mieten eine große Rolle. Je volatiler, also je schwankender die Wohnungsmieten sind, desto größer ist unter sonst gleichen Bedingungen die Nachfrage nach Wohneigentum. Dies hängt mit der Risikoaversität von Haushalten zusammen. Prinzipiell messen Haushalte einem sicheren Zahlungsstrom einen höheren Wert als einem unsicheren Zahlungsstrom bei, auch wenn beide Zahlungsströme letztlich den gleichen Erwartungswert haben. Auf dem Immobilienmarkt können sich Haushalte vor der Unsicherheit der Mietpreisentwicklung durch den Kauf von Wohneigentum schützen. Da Wohnei- 51 gentümer in gewissem Umfang ihre Finanzierungsmodalitäten durch die Wahl der Zinsfestschreibung und der Tilgung selbst steuern können, beinhaltet das Wohneigentum faktisch auch eine Versicherung gegen steigende Mieten. Gerade für die angelsächsischen Länder wird angenommen, dass die hohe Wohneigentumsquote auch auf der höheren Volatilität der Mietwohnungspreise fußt. Je größer die Unsicherheit ist, desto mehr Mieter möchten Wohneigentum erwerben und desto höher fällt dann auch der Preisaufschlag für das Wohneigentum aus. Auch wenn die Mieten durchschnittlich nicht steigen, können die Immobilienpreise also anziehen. Dies ist ein Grund dafür, dass sich die durchschnittliche Mietpreisentwicklung von den Immobilienpreisen abkoppeln kann. 3.2.4 Zinsen Ein anderer wichtiger Einflussfaktor auf die Immobilienpreise ist der Zinssatz. Die Einflussfaktor herausragende Bedeutung des Zinssatzes ist jedem unmittelbar einsichtig, der sein Zinsen Haus mit Fremdkapital finanziert. Je höher der Zinssatz ist, desto höher sind die laufenden Zinskosten für die Finanzierung. Da für die Finanzierung nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen, sinkt die Nachfrage nach Immobilien folglich mit steigendem Zinssatz. Dies wirkt sich negativ auf die Immobilienpreise aus. Eine Kapitel 3 Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Rolle spielt dabei auch die steuerliche Behandlung der Zinsen. In einigen Ländern können die Zinsen von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Dies erhöht für den Haushalt den Finanzierungsspielraum und erhöht folglich die Immobiliennachfrage. Auch für Haushalte, die ihr Wohneigentum nur mit Eigenkapital bezahlen, sind Zinsen jedoch relevant. In diesem Fall bedeutet ein steigender Zinssatz, dass es andere attraktive Anlagemöglichkeiten am Kapitalmarkt gibt, wie z. B. festverzinsliche Staatspapiere, und Immobilien dementsprechend – relativ gesehen – unattraktiver werden. Auch die Ausführungen zu den Mieten haben die Rolle der Zinsen schon angedeutet. Der Wert einer Immobilie bestimmt sich maßgeblich durch den Wert der künftigen Mieten. Der heutige Wert einer künftigen Zahlung muss abgezinst werden, um sie mit einer gegenwärtigen Zahlung vergleichen zu können. Je höher die Zinsen sind, desto geringer ist folglich der Wert einer künftigen Zahlung. Somit geht ein steigender Zinssatz in der Regel mit fallenden Immobilienpreisen einher – und umgekehrt. 52 Zinsentwicklung erklärt Die Zinsentwicklung kann in weiten Teilen erklären, warum die Immobilien- Immobilienpreis- preise in den USA und Europa seit Mitte der 1990er-Jahre so stark gestiegen sind. entwicklung Im Vereinigten Königreich sind die Zinsen für Hypothekendarlehen allein zwischen 1995 und 2003 um 3 % gesunken. Dies erscheint nicht viel, hat jedoch große Auswirkungen auf das für die Immobilienfinanzierung zur Verfügung stehende Einkommen. Kauft ein Haushalt eine Immobilie für 200 000 € und finanziert sie ausschließlich mit Fremdkapital, kostet ihn dies bei 8 % Zinsen und einer Anfangstilgung von 1 % des Gesamtbetrags monatlich 1 500 €. Sinkt nun der Zinssatz auf 5 %, könnte sich der Haushalt mit dem gleichen monatlichen Aufwand ein Haus für 300 000 € kaufen. Auch in den USA, in Deutschland und in anderen europäischen Ländern sind die Zinssätze gefallen (Abbildung 6). Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Kapitel 3 Kapitel 3 Entwicklung der langfristigen Zinsen 18 16 Zinsen in % 14 12 D 10 F UK 8 USA 6 4 2 08 06 20 04 20 02 20 00 20 98 20 96 19 94 19 92 19 90 19 88 19 86 19 84 19 82 19 19 19 80 0 Quelle: OECD Abb. 6: Entwicklung der langfristigen Zinsen 53 3.3 Preisbildung auf den Immobilienmärkten Nachdem nun die einzelnen Bestimmungsgründe für Immobilienpreise erläutert Zusammenspiel der worden sind, folgt in diesem Abschnitt eine kurze Darstellung über das Zusam- preisbestimmenden menspiel dieser Faktoren. In einigen Märkten wirken sich Veränderungen der Faktoren Nachfrage oder des Angebots unmittelbar auf die Preise aus. Aktienmärkte reagieren beispielsweise unmittelbar auf Zinsänderungen bzw. sogar schon auf die Erwartung veränderter Zinssätze. Jede neue Information wird unmittelbar verwertet und führt gegebenenfalls zu Nachfrageänderungen, die sich dann über den Börsenhandel direkt preislich auswirken. Auch im Immobilienmarkt werden neue Informationen verarbeitet, allerdings erfolgen die Marktreaktionen wesentlich langsamer. Dies hängt vor allem mit der Heterogenität des Marktes und den begrenzten Möglichkeiten, das Angebot anzupassen, zusammen. Verringert sich beispielsweise der Zinssatz, erhöht sich tendenziell die Nachfrage nach Immobilien. Die Eigentümer von Immobilien und die Bauträger merken jedoch erst allmählich, dass sie für ihre einzelnen Objekte höhere Preise verlangen Marktgleichgewichte eher selten Kapitel 3 Bestimmungsgründe für Immobilienpreise können. Um wie viel, lässt sich ebenfalls nur schwer abschätzen. So werden die Preise sukzessive angepasst, bis sich Angebot und Nachfrage wieder ausgleichen. Gleichzeitig werden aufgrund der steigenden Preise jedoch neue Gebäude errichtet, die weitere Anpassungen erfordern. Kurzum: Marktgleichgewichte sind eher selten zu erwarten. User-Cost-of- Ein Modell, das dies sehr gut verdeutlicht, ist das User-Cost-of-Housing-Modell Housing-Modell: von Poterba (1984). Aufgrund der Nutzungsmöglichkeit von Wohnimmobilien Preis-Miet-Verhältnis lässt sich der Wohnungsmarkt in zwei Teilmärkte unterteilen, die in einer engen Interaktionsbeziehung stehen: den Mietwohnungsmarkt und den Wohneigentumsmarkt. Wer eine Immobilie erwirbt, kann grundsätzlich entscheiden, ob er die Immobilie selbst nutzt oder vermietet. Sowohl der Preis für die Immobilie als auch der Mietpreis werden am Markt durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Da Mieten und Kaufen in enger Substitutsbeziehung stehen und auf das Gut „Wohnen“ nicht verzichtet werden kann, ist zu erwarten, dass sich die Preise für beide Nutzungsformen ausgleichen. In einem Marktgleichgewicht muss also für eine vergleichbare Wohneinheit gelten: Miete = Kosten der Selbstnutzung 54 Die Kosten der Selbstnutzung werden durch einige bereits erläuterte Faktoren bestimmt. Zunächst ist hier der Zins zu nennen, denn entweder muss der Eigentümer noch Fremdkapitalzinsen bedienen oder ihm entgehen Zinsen am Kapitalmarkt, weil das Kapital in der Immobilie gebunden ist. Einen großen Einfluss haben darüber hinaus auch steuerliche Faktoren, beispielsweise in Form von Zulagen, der Abzugsfähigkeit von Zinszahlungen oder der Grundsteuer. Daneben müssen auch Kosten für den Werteverzehr (Abschreibungen) und mögliche Wertsteigerungen berücksichtigt werden. Hieraus ergibt sich folgende Darstellung: M = P ¥ (i + t + a – w) mit M: P: i: t: a: w: Miete Immobilienpreis Zins Steuer- und Zulagensatz Abschreibungssatz Wertsteigerungssatz Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Mit diesem Ansatz, der mittlerweile auch von der OECD (2005) regelmäßig zur Analyse des Immobilienmarktes verwendet wird, lassen sich Ungleichgewichte auf Kapitel 3 Identifikation von Marktungleichgewichten dem Immobilienmarkt leicht identifizieren. Stellt man die Formel um, so erhält man eine empirisch leicht zu überprüfende Gleichung für das Preis-Miet-Verhältnis: P 1 = M i + t + a–w Somit lässt sich untersuchen, ob die beobachtbare Preisrelation auf der linken Tendenz zum Seite der Gleichung mit der Fundamentalbewertung auf der rechten Seite über- Gleichgewicht einstimmt. Tatsächlich befindet sich der Markt aufgrund der langen Anpassungsprozesse nur selten im Gleichgewicht, wie Abbildung 7 verdeutlicht. Allerdings bewegt sich der Markt nicht auf Dauer von seiner Fundamentalbewertung weg, sondern tendiert langfristig immer wieder zum Gleichgewicht. Dies folgt aus dem rationalen Kalkül der Immobilieneigentümer und der Wohnungsuchenden. Sind Immobilien beispielsweise unterbewertet, werden mehr und mehr Mieter Eigentum erwerben und damit die Nachfrage nach Immobilien vergrößern. Auf der anderen Seite werden Investoren mehr Immobilien zum Zweck der Vermietung bauen, weil hier eine höhere Rendite zu erwarten ist. Diese Marktreaktionen werden die Preis-Miet-Relation letztlich wieder in Richtung des Gleichgewichts treiben. 55 Kapitel 3 Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Entwicklung des Preis-Miet-Verhältnisses auf dem westdeutschen Wohnungsmarkt 130 120 110 Tatsächliches Preis-MietVerhältnis Fundamentales Preis-Miet-Verhältnis aufgrund der Rahmenbedingungen 100 90 80 70 60 50 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Ursprungsdaten: Bulwien Gesa AG und Bundesbank; IW Köln Abb. 7: Entwicklung des Preis-Miet-Verhältnisses auf dem westdeutschen Wohnungsmarkt 56 Erläuterung der Abbildung 7: Die Index-Werte sind für das Jahr auf 100 gesetzt, indem das tatsächliche Preis-Miet-Verhältnis dem 30-jährigen Durchschnitt am nächsten gekommen ist. Im Gleichgewicht muss gelten: M = P ¥ (i + t + a – w) mit M: P: i: t: a: w: Miete Immobilienpreis Zinssatz Steuer- und Zulagensatz Abnutzungssatz Wertsteigerungsrate Daraus folgt: P 1 = M i + t + a–w Tatsächlicher Wert = Fundamentalwert. Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Kapitel 3 Die Entwicklung des Preis-Miet-Verhältnisses in Deutschland in den letzten Jahren stellt in dieser Beziehung eine Besonderheit dar, weil sie sehr stabil verlaufen ist und eher die Fundamentalbewertung um die tatsächliche Bewertung herum schwankt. Dies hat jedoch damit zu tun, dass für den in Abbildung 7 gezeigten Zeitraum Deutschland zunächst durch eine Überbewertung der Immobilienpreise gekennzeichnet war, die dann langsam durch die fallenden Zinsen abgeschmolzen wurde. Als dann die Zinsen weiter fielen, zogen die Immobilienpreise nicht nach, was vor allem an der zeitlichen Verzögerung der Immobilienpreisanpassungen und gegebenenfalls an den Erwartungen lag. Im Jahr 2007 kehrte der Immobilienmarkt dann fast zum Gleichgewicht zurück, ehe 2008 und 2009 tatsächliche und fundamentale Bewertungen wieder auseinander fielen. Dass die Haushalte die Unterbewertung des Wohneigentums nicht nutzten, dürfte vor allem auf die Unsicherheiten in Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise zurückzuführen sein. 3.4 Besonderheiten der Märkte für Büro- und Einzelhandelsimmobilien 57 Die bisherige Darstellung fokussierte auf Wohnimmobilienmärkte. Grundsätzlich Grundsätzlich gleiche gilt die Mehrzahl der hier beschriebenen Einflussfaktoren auch für Gewerbeimmo- Wirkmechanismen bilien. Auch hier haben Zinssätze und Mieten einen bestimmenden Einfluss, und das Angebot passt sich nur langsam an die Nachfrage an. Allerdings gilt es, einige Besonderheiten zu beachten. Allgemein werden Büroimmobilien schneller saniert und modernisiert als Wohnimmobilien. Während man bei Wohnimmobilien von einem Sanierungszyklus von 30 bis 40 Jahren ausgeht, sind es bei Büroimmobilien eher 25 Jahre. Dies hat Auswirkungen auf das Angebot. So ist der Anteil des Neubaus bzw. der Projektentwicklungen wesentlich höher als im Wohnimmobilienmarkt. Damit kann sich das Angebot tendenziell schneller an Nachfrageänderungen anpassen – allerdings kann die größere Angebotsflexibilität, wie im Kapitel 6 gezeigt wird, auch Ungleichgewichte verstärken. Besonderheiten Kapitel 3 Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Höhere Volatilität auf Die Nachfrage im Büroimmobilienmarkt hängt hauptsächlich von der Anzahl Büroimmobilienmärkten der Bürobeschäftigten ab. Rund ein Drittel aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer arbeitet in Büros. Je nach Konjunkturverlauf können die Beschäftigungszahlen stark schwanken. Außerdem können Büroarbeitsplätze tendenziell leicht substituiert werden. So können etwa Call-Center auch im Ausland eröffnet werden, oder Arbeitsplätze fallen aufgrund fehlenden Bedarfs weg. Auch neue Arbeitsformen wie etwa Telearbeit, Desksharing oder Gruppenbüros wirken sich auf die Büroflächennachfrage aus. Damit sind Büroimmobilienmärkte im Vergleich zu Wohnimmobilienmärkten wesentlich volatiler. Zusammenhang Die Nachfrage nach Wohnimmobilien und die Nachfrage nach Einzelhandels- zwischen Wohn- und immobilien stehen in einem engen Zusammenhang. Schließlich stellen Wohn- Einzelhandelsimmobilien eigentümer und Mieter auch die Hauptkonsumenten dar. So wird die Höhe der Mieten wesentlich durch den Einzelhandelsumsatz bestimmt. Hieraus lassen sich einige interessante Schlüsse im Hinblick auf die demografische Entwicklung ziehen. Anders als bei Wohnimmobilien ist für die Einzelhandelsimmobilien nicht die Zahl der Haushalte, sondern die Zahl der Personen relevant. Schließlich benötigen kleinere Haushalte auch weniger Konsumgüter. Damit trifft die Einzelhandelsimmobilienmärkte die Wucht der demografischen Veränderungen früher und 58 härter. Auch Einkommensgewinne können die Entwicklung kaum dämpfen, da die Einkommenselastizität der Nachfrage kleiner als eins ist. Dies bedeutet, dass der Anteil des Einkommens, der im Einzelhandel ausgeben wird, bei steigenden Einkommen kleiner wird. Zurückzuführen ist dies auf die Tatsache, dass der Einzelhandel vor allem Konsumgüter des täglichen Bedarfs anbietet, bei denen die Nachfrage ab einem bestimmten Einkommen größtenteils befriedigt ist. Gerade bei Nahrungsmitteln sind bei steigendem Einkommen der Haushalte nur kleine Zusatzausgaben zu erwarten. Hinzu kommt, dass der klassische Einzelhändler vor Ort zunehmende Konkurrenz durch Versandhäuser und Internet-Anbieter erhält. Daher ist davon auszugehen, dass gerade in schrumpfenden Kommunen die Preise für Einzelhandelsimmobilien nachgeben werden. Anpassungen auf den Auch im Büromarkt ist von merklichen Anpassungen auszugehen. Bis 2050 Büroimmobilienmärkten geht das Erwerbspersonenpotenzial um 10 Millionen Menschen zurück. Darüber hinaus können Arbeitsplätze durch moderne Kommunikationsmittel weiter eingespart werden. Daher ist mit einem Anstieg von Telearbeit und Desksharing zu rechnen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch dämpfende Faktoren. So kann etwa mit einer höheren Frauenerwerbsquote gerechnet werden. Da knapp 50 % der Frauen in Büros arbeiten, dürfte dies die Büroflächennachfrage überpropor- Bestimmungsgründe für Immobilienpreise Kapitel 3 tional erhöhen. Außerdem gibt es insgesamt einen leichten Trend zu Bürotätigkeiten. Dennoch könnte nach Schätzungen von Just (2009) die Flächennachfrage bis 2050 gegenüber 2005 um 17 % sinken. 59 Kapitel 4 4 Immobilien- und Kapitalmarkt Immobilien- und Kapitalmarkt Zusammenhang Noch bis vor einigen Jahren galten der Immobilienmarkt und der Kapitalmarkt als zwischen Immobilien- getrennte Märkte. Mittlerweile wird jedoch deutlich, dass die Entwicklungen im und Kapitalmarkt Immobilienmarkt maßgeblich durch die Entwicklungen an den Kapitalmärkten getrieben werden. Dies verdeutlicht schon die Bedeutung des Zinssatzes für die 60 Immobiliennachfrage. Außerdem müssen sich Immobilien als Investitionsklasse mit anderen Anlagen vergleichen lassen. Vor allem aber die Subprime-Krise und die darauf folgende Finanzmarktkrise verdeutlichen die Interaktion zwischen Immobilienmarkt und Kapitalmarkt. Im Folgenden sollen die Grundzüge des Kapitalmarktes kurz erläutert, die Besonderheiten der Anlageklasse Immobilien herausgestellt und die Bedeutung der Immobilie für die Altersvorsorge näher betrachtet werden. Schließlich wird auch die Funktion der Banken diskutiert und die Ursachen der Finanzmarktkrise ergründet. 4.1 Ersparnis = Investitionen Grundlagen des Kapitalmarktes Eine der zentralen Gleichungen der Makroökonomie besagt, dass die Ersparnis in einer Volkswirtschaft stets den Investitionen entspricht. Welche Investitionen jedoch finanziert werden und welche Ersparnisse hierfür verwendet werden, entscheidet sich auf dem Kapitalmarkt. Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 In einer Volkswirtschaft gibt es stets Haushalte und Unternehmen, die zusätzliches Kapital benötigen. Wer ein Haus kaufen möchte, hat in der Regel nicht die Mittel, um das Haus ohne Kreditaufnahme zu erwerben. Auch Bauherren von Gewerbeimmobilien oder Unternehmensgründer benötigen Kredite, um ihre Vorhaben zu realisieren. Auf der anderen Seite gibt es Haushalte, deren Einkommen größer sind als ihre Konsumausgaben. Die Differenz dieser beiden Größen ist die Ersparnis. Dabei sparen die Menschen nicht aus reinem Selbstzweck, sondern um Konsummöglichkeiten in die Zukunft zu transferieren. Das bekannteste Sparmotiv ist dabei die Alterssicherung. Wer auch im Rentenalter seinen Lebensstandard erhalten will, muss einen Teil seines Erwerbstätigeneinkommens sparen, um aus dem so gebildeten Kapital später zusätzliche Konsummöglichkeiten zu genereren. Das Angebot an Kapital (Ersparnis) und die Nachfrage nach Kapital (Investitionen) sind dabei keineswegs fest vorgegeben, sondern hängen ab von der Verzinsung. Je niedriger die Zinssätze sind, desto mehr Projekte, Häuser und Unternehmen können finanziert werden. Auf der anderen Seite bedeutet ein hoher Zinssatz, dass mehr Haushalte bereit sind, Konsumverzicht zu üben. Schließlich werden sie durch höhere Zinssätze für den Konsumaufschub stärker kompensiert. Der Zinssatz als Preis des Kapitals ist also die Größe, die die Ersparnisse und die 61 Investitionen ins Gleichgewicht bringt. Wer jedoch einen Blick in die Wirtschaftspresse wirft, wird vergeblich einen Kapitalmarkt markträumenden Zinssatz suchen. Stattdessen gibt es eine Vielzahl von Zins- zerfällt sätzen. Der Grund ist, dass auch der Kapitalmarkt kein einheitlicher Markt ist, son- in Einzelmärkte dern sich in eine Vielzahl von Einzelmärkten unterteilt. Wesentlich ist die Unterscheidung zwischen dem Anleihenmarkt und dem Aktienmarkt. Bei einer Anleihe verpflichtet sich ein Vertragspartner, einen bestimmten Geldbetrag inklusive einer vorher festgelegten Verzinsung zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzuzahlen. Im Kern beinhaltet eine Anleihe also eine Schuldverschreibung bzw. gleicht einem Kreditvertrag. Anleihen werden von einer Vielzahl von Unternehmen und Staaten ausgegeben. Auch Kredite an Haushalte können über Anleihen finanziert werden. Zwei wesentliche Charakteristika unterscheiden dabei die Anleihen. Das erste ist die Laufzeit der Anleihe. In der Regel müssen für länger laufende Anleihen höhere Zinssätze entrichtet werden. Dies hängt mit der Unsicherheit über die künftige Entwicklung zusammen. Da die künftige Entwicklung unbestimmt ist, verlangen Geldgeber für eine langfristige Überlassung ihres Kapitals eine Risikoprämie. Üblicherweise sind daher Kredite mit kürzeren Laufzeiten günstiger als Kredite mit langen Laufzeiten. Drehen kann sich diese Beziehung jedoch, wenn mit einer künftigen Verschlechterung der Lage gerechnet wird. Anleihen Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt Sind die Zinssätze kurzfristig laufender Anleihen höher als die von mittel- oder langfristig laufenden Wertpapieren, wird daher häufig mit einer Rezession gerechnet. Das zweite Unterscheidungsmerkmal ist das Ausfallrisiko. Schließlich besteht die Gefahr, dass der Schuldner Konkurs anmelden muss und einen Teil oder den Gesamtbetrag seiner Verbindlichkeiten nicht begleichen kann. Je höher das Ausfallrisiko eingeschätzt wird, desto höher ist die Risikoprämie, die die Geldgeber verlangen. Staaten müssen in der Regel nur geringe Aufschläge akzeptieren und können sich daher günstig finanzieren, während z. B. bei sehr jungen Unternehmen hohe Risikoprämien verlangt werden. Oftmals wird die Risikoeinschätzung von Rating-Agenturen vorgenommen, die die Ergebnisse dann publizieren. Sofern das Rating jedoch von dem Emittenten der Anleihen, also von dem Schuldner, in Auftrag gegeben wird, ist nicht mit einer hundertprozentigen Objektivität zu rechnen. Aktien Das Gegenstück zum Anleihemarkt stellt der Aktienmarkt dar. Wer eine Aktie kauft, wird Teilhaber einer Unternehmung und wird zukünftig in Relation zu seinen Eigentumsanteilen an den Unternehmensgewinnen beteiligt. Die Finanzierung eines Unternehmens wird daher auch als Eigenkapitalfinanzierung bezeichnet, die Finanzierung über Anleihen dagegen als Fremdkapitalfinanzierung. An- 62 ders als der Käufer einer Anleihe erhält der Käufer einer Aktie kein festes Zahlungsversprechen. Die Rendite bzw. Verzinsung hängt allein von dem Erfolg des Unternehmens ab. Aktionäre gehen daher ein höheres Risiko als Anleihenkäufer ein, werden hierfür jedoch mit einer durchschnittlich höheren Verzinsung belohnt. Bedeutung des Gerade in turbulenten Zeiten wird der Kapitalmarkt oft als organisiertes Wett- Kapitalmarktes spiel diskreditiert. Theodore Roosevelt äußerte sich einmal: „Es gibt keinen moralischen Unterschied zwischen Kartenspielen, Lotterien, Pferdewetten und Börsenspekulationen.“ Freilich kann nicht bestritten werden, dass der Kapitalmarkt – und gerade auch der börsenmäßig organisierte Kapitalmarkt – auch Glücksritter anzieht. Die Gleichsetzung mit Glückspielen verkennt jedoch die wichtige gesellschaftliche Bedeutung des Kapitalmarkts. Erst dadurch, dass Risiken handelbar gemacht werden, finden sich Finanziers für junge Unternehmen, innovative Projekte oder krisengeschüttelte Konzerne. Damit wiederum wird die Basis für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gelegt. Die Verteilung der Risiken auf diejenigen, die sie am besten tragen können, ist also eine der wesentlichen Funktionen des Kapitalmarktes. Darüber hinaus hat der Kapitalmarkt eine wichtige Frühwarnfunktion für die Gesamtwirtschaft. So reagieren die Börsen in der Regel mit zeitlichem Vorlauf auf konjunkturelle Veränderungen. Immobilien- und Kapitalmarkt 4.2 Kapitel 4 Immobilienanlagen im Überblick Die Darstellung der verschiedenen Anlagemöglichkeiten konzentriert sich auf die Direkte und indirekte indirekten Anlageformen. Bei indirekten Anlageformen investiert der Anleger Anlagemöglichkeiten nicht selbst in Immobilien, sondern erwirbt Anteile an einem „Finanzvehikel“, welches seinerseits mit Immobilien handelt oder diese bewirtschaftet. Solche Finanzvehikel werden im weitesten Sinne am Kapitalmarkt veräußert, wobei der Kapitalmarkt in der weiteren Definition nicht nur die Wertpapierbörsen umfasst, sondern eben auch den weniger organisierten Wertpapierverkauf. Hierzu gehören z. B. so genannte Over-the-Counter (OTC)-Transaktionen, also der bilaterale Verkauf von Wertpapieren außerhalb der üblichen Handelsplätze. Zu den indirekten Immobilienanlageklassen zählen die geschlossenen und offenen Fonds, Immobilienaktien und alternative Investmentvehikel, wie z. B. Beteiligungsgesellschaften. 4.2.1 Geschlossene Immobilienfonds Bei einem geschlossenen Immobilienfonds wählt ein Initiator, z. B. eine Bank oder Charakteristika ein Bauherr, ein Investitionsobjekt aus. Anschließend sucht er nach einer be- 63 grenzten Anzahl von Anlegern, bis er für die Realisierung des Projektes genügend Eigenkapital zusammen hat. Der Fonds wird dann geschlossen. Die Anleger tragen die wirtschaftlichen Chancen und Risiken der Anlage, während der Initiator für seine Leistung ein Entgelt erhält. Je nach Ausgestaltung sind Investitionen in Einzelobjekte oder Portfolios möglich. Außerdem ist die Anlage nicht auf Immobilien begrenzt. Neben Immobilienfonds gibt es auch Schiffsfonds, Medienfonds, Leasingfonds und viele andere. Insgesamt ist der geschlossene Fonds wenig reguliert, weshalb er der Direktanlage am nächsten kommt. Geschlossene Fonds können den Anlegern in der Regel attraktive Renditen in Aussicht stellen, da sie sich auf profitable Anlagen beschränken und den Verschul- Durchschnittliche Rendite dungsgrad optimal wählen können. Allerdings können die Unterschiede zwischen den einzelnen Fonds erheblich sein. Beliebt sind bei den Anlegern aufgrund steuerlicher Erwägungen insbesondere Immobilienfonds, die ihr Geld im Ausland anlegen. Die Vorteile geschlossener Fonds liegen in den wenigen gesetzlichen Regularien. Hierdurch kann beispielsweise die Rechtsform frei gewählt werden, wobei üblicherweise entweder die GmbH & Co. KG oder die GbR gewählt wird. Dies erlaubt die Nutzung steuerlicher Vorteile oder die Begrenzung von Risiken wie im Fall der GmbH. Vor allem aber erlaubt der gesetzliche Rahmen Innovationen und Vor- und Nachteile geschlossener Fonds Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt eine schnelle Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen. So können Marktchancen schnell genutzt werden. Allerdings gibt es gegenüber der Direktanlage weniger Transparenz, auch die Handelbarkeit ist eingeschränkt. Vor allem aber tragen Anleger ein unternehmerisches Risiko, ohne dass sie die Investition steuern können. Daher ist die Auswahl des Initiators essentiell. Auf der anderen Seite bieten viele Fonds jedoch eine vergleichsweise hohe Rendite. 4.2.2 Offene Immobilienfonds Der offene Immobilienfonds weist im Gegensatz zu den geschlossenen Immobilienfonds eine deutlich höhere Regulierungsdichte sowie mehr Anlagerestriktionen auf. Charakteristika Bei einem offenen Immobilienfonds werden die Immobilien in einem so genannten Sondervermögen gehalten, welches von einer Kapitalanlagegesellschaft verwaltet wird. Die Kapitalanlagegesellschaft gibt für das Immobilienvermögen Investmentzertifikate aus, wobei im Regelfall eine Ausgabe und Rücknahme dieser Zertifikate jederzeit möglich ist. Der Wert dieser Anteilsscheine wird nicht über das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bestimmt, sondern ergibt sich 64 aus den Bewertungen der Sachverständigen. Dadurch unterliegen die Preise der Investmentzertifikate gewöhnlich nur geringen Schwankungen. Die gesetzlichen Grundlagen für offene Immobilienfonds finden sich im Investmentgesetz. Darüber hinaus werden die Kapitalanlagegesellschaften sowie die dahinter stehende Depotbank von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überwacht. Anlagerestriktionen offener Fonds Die BaFin überwacht dabei unter anderem die Einhaltung folgender Anlagerestriktionen: 쐍 Mindestliquidität: 5 % 쐍 Maximalliquidität: 49 % 쐍 Einzelobjektanteil zum Erwerbszeitpunkt: 15 % 쐍 Grundstücke im Zustand der Bebauung: 20 % 쐍 unbebaute Grundstücke: 20 % 쐍 Erbbaurechte: 15 % 쐍 Minderheitsbeteiligungen an Immobiliengesellschaften: 20 % 쐍 ungesichertes Währungsrisiko: 30 % 쐍 maximale FK-Quote: 50 % Immobilien- und Kapitalmarkt Offene Publikumsfonds investieren vornehmlich in Bürogebäude in deutschen und europäischen Großstädten. Trotz einer vergleichsweise geringen Rendite von Kapitel 4 Durchschnittliche Rendite nur 3 bis 5 % in den letzten Jahren und Ausgabeaufschlägen von 5 % ist die Bedeutung der offenen Immobilienfonds deutlich gestiegen. Bis auf über 80 Milliarden € ist das Immobilienvermögen der Fonds angestiegen. Neben den steuerlichen Vorteilen (Ausschüttungen aus Auslandsinvestitionen und Veräußerungsgewinnen mit einer Haltedauer von zehn Jahren sind steuerfrei) Vor- und Nachteile offener Fonds ist als ein Grund hierfür sicherlich die geringe Volatilität der offenen Fonds anzuführen. Die geringen Schwankungen offener Immobilienfonds sind dabei zum einen auf die hohe Sicherheitsorientierung und zum anderen auf die Sachverständigenbewertung zurückzuführen. Diese Eigenschaft macht die Fonds vor allem für sicherheitsorientierte Kleinanleger interessant. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch ein Liquiditätsrisiko. Gerade im Zuge der Finanzkrise mussten einige offene Immobilienfonds die Rücknahme der Anteilsscheine und damit die Auszahlung des eingesetzten Kapitals aussetzen, weil sie über zu geringe liquide Mittel verfügten. Für institutionelle Investoren wurden in den letzten Jahren auch Spezialfonds Spezialfonds aufgelegt. Diese Fonds sind bei der Anlageauswahl etwas freier als die Publikums- 65 fonds und können sich den Bedürfnissen der Anleger anpassen. 4.2.3 Immobilienaktiengesellschaften Immobilienaktienunternehmen sind Aktiengesellschaften, die sich auf die Bewirt- Charakteristika schaftung und/oder den Handel mit Immobilien spezialisiert haben. Im Gegensatz zu offenen Immobilienfonds ist der Begriff der Immobilien AG jedoch kein geschützter Begriff. Daher ist der Kreis der Immobilienaktiengesellschaften in Deutschland derzeit sehr differenziert. Mit den Real Estate Investment Trusts wurde mittlerweile jedoch eine standardisierte Form von Immobilienaktien eingeführt. Bevor auf die Charakteristika der REITs eingegangen wird, soll zunächst ein kurzer Überblick über den Markt für Immobilienaktien in Deutschland gegeben werden. Immobilienaktien sind in Deutschland noch wenig verbreitet. Dominiert wird der Markt stattdessen von offenen und geschlossenen Fonds, die auch steuerlich bevorzugt sind. Schließlich werden die Fonds nur auf der Anlegerebene besteuert, während die Immobilienaktien sowohl körperschaftsteuerpflichtig sind als auch auf der Anlegerebene besteuert werden. Trotz des Halbeinkünfteverfahrens stellen sich die Anleger hierdurch in der Regel mit Immobilienaktien schlechter. Geringe Verbreitung von Immobilienaktien Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt Die heutigen Immobilienaktien stammen hauptsächlich aus der Ausgliederung von Immobilienbeständen von Industrieunternehmen. Die Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG) ist hierfür ein gutes Beispiel. Als ehemals öffentliches Unternehmen war sie ein breit aufgestelltes Industrieunternehmen mit Immobilienbeständen. Nach der Privatisierung entschied man, sich künftig auf die Bewirtschaftung der Immobilien zu konzentrieren und die anderen Bereiche zu verkaufen. So erfolgreich wie bei der IVG war die Ausgliederung der Immobilien in Aktiengesellschaften jedoch nicht immer. Vielfach wurden unattraktive Bestände an die Börse gebracht, die auf wenig Interesse gestoßen sind. Darüber hinaus fehlte oft eine überzeugende und kommunizierte Anlagestrategie. Des Weiteren galten viele Unternehmen als intransparent, was dem Segment insgesamt ein schlechtes Image einbrachte. REITs Um der kapitalmarktorientierten Immobilienwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen, wurde nach langen Beratungen daher der deutsche Real Estate Investment Trust zum 1. Januar 2007 eingeführt. Real Estate Investment Trusts (REITs) gibt es in den USA bereits seit 1960. Das Ziel bei der Einführung bestand dabei darin, den Anlegern, gerade auch den Kleinanlegern, ein Investitionsvehikel zur Verfügung zu stellen, das die Vorteile der 66 Immobilienanlage beinhaltet, ohne die Nachteile einer Direktanlage aufzuweisen. Von daher war es selbstverständlich, dass REITs mit der direkten Immobilienanlage vor allem steuerlich gleichgestellt wurden. Kennzeichnend für REITs sind insbesondere die folgenden Merkmale: 쐍 Besteuerung nur auf der Anlegerebene (steuerliche Transparenz) 쐍 Tätigkeiten überwiegend im Immobilienbereich 쐍 Vermögen setzt sich überwiegend aus Immobilien zusammen 쐍 hohe Dividendenausschüttungen 쐍 Kapitalmarktorientierung Internationale Trotz teilweise großer Unterschiede zwischen den nationalen REITs finden sich REIT-Strukturen diese Merkmale in allen REIT-Gesetzen. Neben den USA gibt es REITs auch in den Niederlanden, Australien, Kanada, Japan, Frankreich und vielen weiteren Ländern. 2007 wurden REITs darüber hinaus auch in Deutschland und dem Vereinigten Königreich eingeführt. In den USA gibt es den größten Markt für REITs. Allerdings begann der Aufschwung dieser Anlageklasse dort erst in den 1990er-Jahren. Erst nachdem das REIT-Gesetz liberalisiert wurde und auch institutionelle Investoren ihr Kapital in REITs anlegen durften, gab es einen Durchbruch. Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 Heute wird der Markt in den USA von institutionellen Investoren beherrscht, die knapp 70 % der Anteile halten. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die REITs sich überwiegend auf einzelne Sektoren des Marktes spezialisieren. So gibt es reine Büro-REITs ebenso wie reine Wohn-REITs. Gemischte Portfolios sind eher selten. Dies lässt darauf schließen, dass die Spezialisierungsvorteile gewichtiger sind als die Risikostreuung aufgrund differenzierter Portfolios. Für den deutschen REIT gelten unter anderem die folgenden Regelungen: REITs in Deutschland 쐍 Der REIT ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft. 쐍 Anlage- und Einkommenskriterien: Mindestens 75 % des gesamten Vermögens einer REIT-AG müssen zum Ende eines jeden Geschäftsjahres aus unbeweglichem Vermögen bestehen. Mindestens 75 % der Bruttoerträge einer REIT-AG müssen aus Immobilien (Vermietung, Leasing, Verpachtung, Veräußerungsgewinne) stammen. 쐍 Bestands-Wohnimmobilien (Wohnflächenanteil 50 % oder höher, Fertigstel- lung vor dem 1.1.2007) sind nicht REIT-fähig. Weitere Tätigkeiten müssen in REIT-Dienstleistungsgesellschaften ausgelagert werden. Das Vermögen einer REIT-Dienstleistungsgesellschaft darf zum Ende 67 eines jeden Geschäftsjahres höchstens 20 % des gesamten Vermögens der REIT-AG nach Abzug der Ausschüttungen und Rücklagen ausmachen. Die Bruttoerträge aus diesen Nebentätigkeiten dürfen höchstens 20 % der gesamten Bruttoerträge einer REIT-AG ausmachen. Ein wichtiges Element des REIT-Gesetzes ist die Einführung einer Exit-Tax. Hiernach gingen die aufgedeckten stillen Reserven bei dem Verkauf einer Immobilie an einen REIT bis zum 31.12.2009 nur mit der Hälfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage ein. Dies war wichtig, da die Veräußerungsgewinnsteuer ein erhebliches Hindernis für den Verkauf darstellte. Schließlich ergibt sich der Kaufpreis einer Immobilie aus den zukünftigen Netto-Mieteinnahmen. Wird nun der Kaufpreis besteuert, werden die Erträge nicht nur zukünftig, sondern auch zum Zeitpunkt des Verkaufes besteuert. Damit wird das Halten der Immobilie gegenüber dem Verkauf begünstigt, was in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass viele Industrieunternehmen ein großes Immobilienvermögen aufgebaut haben. Ähnlich wie die Grunderwerbsteuer ist auch die Veräußerungsgewinnsteuer mit Lock-in-Effekten verbunden. Durch die Exit-Tax wird diese Problematik vermindert. Problematisch ist jedoch, dass die Exit-Tax kaum wirken konnte, weil es bis Ende des Jahres 2009 aufgrund der schwierigen gesamtwirtschaftlichen Lage kein Exit-Tax Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt Potenzial für REIT-Börsengänge gab. Besser wäre es daher gewesen, auf die zeitliche Begrenzung zu verzichten. Außerdem ist die ausschließliche Anwendung auf REITs zu kritisieren. Erwartungen bisher Die Erwartungen an den deutschen REIT sind bislang nicht erfüllt worden, was nicht erfüllt unter anderem mit der schlechteren Stimmung an den Börsen im Zuge der Finanzmarktkrise zusammenhängt. Hinzu kommen gesetzliche Probleme. So dürfen im Ausland angefallene Steuern nicht bei den Anlegern angerechnet werden, was Auslandsinvestitionen letztlich diskriminiert. Außerdem bestehen nach wie vor Rechtsunsicherheiten der Unternehmungen hinsichtlich einzelner Regelungen, beispielsweise bei Sanktionen. 4.2.4 Alternative Immobilieninvestments Beteiligungs- Neben den klassischen und spezialisierten Immobilienanlagevehikeln sind in den gesellschaften Markt in den letzten Jahren auch neue Typen von Investoren eingetreten: Beteiligungsgesellschaften bzw. Private-Equity-Gesellschaften, die oftmals in großem Maßstab und mit einem hohen Fremdkapitalanteil Immobilienbestände erworben haben. 68 Funktionsweise Beteiligungsgesellschaften werden von Banken, Versicherungen oder besonders vermögenden Investoren gegründet und von diesen jeweils mit Eigenkapital ausgestattet. Darüber hinaus werben sie von anderen institutionellen und privaten Anlegern weiteres Eigenkapital ein. Dieses Kapital nutzen sie dann, um dort zu investieren, wo Unterbewertungen vorliegen und wo Wirtschaftlichkeitsreserven vermutet werden. Nach einer erfolgreichen Umstrukturierung werden die erworbenen Gesellschaften oder Anteile dann mit Gewinn verkauft, beispielsweise an der Börse. Dass der Beteiligungsmarkt so stark an Bedeutung gewonnen hat, hängt vor allem mit der Liquiditätsschwemme im Nachgang der New-Economy-Krise zusammen. Zur Abwendung einer Rezession in den USA senkten die Federal Reserve und auch die EZB die Zinssätze deutlich. Hierdurch stand reichlich Kapital zur Verfügung. Der für viele Investoren umständliche und teure Weg über die Börse musste daher nicht beschritten werden. Doch nicht nur deswegen gewannen Beteiligungsgesellschaften an Bedeutung: Sie haben den Vorteil, dass sie keinen engen Beschränkungen unterliegen und aufgrund ihrer Anreiz-Struktur über unternehmerisch denkende Fondsmanager verfügen. Außerdem konnten über den Fremdkapitalhebel erhebliche Eigenkapitalrenditen erzielt werden. Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 Mittlerweile ebbt der Beteiligungsboom jedoch merklich ab, vor allem, weil das Zinsniveau wieder angezogen hat und aufgrund der Finanzmarktprobleme der Zugang zu Fremdkapital deutlich erschwert worden ist. Der klassische Weg über den Kapitalmarkt sowie die damit einhergehenden Transparenzpflichten gewinnen damit wieder an Bedeutung. Beteiligungsgesellschaften bleiben jedoch wichtig. Erstens nutzen sie Unterbewertungen aus und tragen damit zu der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes bei. Zweitens werden sie vor allem dann relevant, wenn klassische Investitionsvehikel aufgrund von Restriktionen nicht handeln können oder nicht schnell genug reagieren. Beteiligungsgesellschaften tragen damit zur Beschleunigung des Strukturwandels bei. 4.3 Immobilien als Assetklasse In den letzten Jahren hat die Bedeutung von Immobilien an den Kapitalmärkten Bedeutungsgewinn von deutlich zugenommen. Und auch in der Zukunft wollen Versicherungen und Pen- Immobilienanlagen sionsfonds ihren Anteil an Immobilienanlagen erweitern. Dies liegt vor allem an 69 dem Einfluss von Immobilien auf die Rendite und das Risiko von Wertpapierportfolien. Doch auch für den privaten Anleger gewinnt die Immobilie als Assetklasse an Relevanz. Daher soll auch die Bedeutung der Immobilie für die Altersvorsorge näher untersucht werden. Zunächst wird jedoch ein kurzer Überblick über die Portfoliotheorie und die Bedeutung der Immobilie gegeben. 4.3.1 Portfolioinvestitionen und Immobilien Nur wenige Theorien haben die Finanzwirtschaft so beeinflusst wie die Portfolio- Große Bedeutung theorie nach Markowitz (1952). Markowitz konnte zeigen, dass durch die Zusam- der Portfoliotheorie menstellung eines Bündels von Wertpapieren, die sich im Zeitablauf unterschiedlich entwickeln und unterschiedliche Risiko-Rendite-Profile aufweisen, das Gesamtrisiko der Investition ohne eine Einbuße bei der Rendite deutlich verringert werden kann. Über einen langen Zeitraum gesehen gibt es immer Auf- und Abschwünge in der Immobilienpreisentwicklung. Je nachdem, wann man einsteigt, kann man stärker oder schwächer von der Immobilienpreisentwicklung profitieren. Das gilt jedoch auch für andere Anlageklassen, wie beispielsweise Aktien oder Anleihen. Auch der Wert von Anleihen kann steigen oder fallen, je nachdem, ob das aktuelle Marktzinsniveau unter oder über dem vereinbarten Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt Zinssatz liegt. Entscheidend ist, dass die unterschiedlichen Anlageklassen ein unterschiedliches Risikoprofil aufweisen. Gehen die Renditen der einen Anlageklasse hoch, entwickelt sich die andere vielleicht schwächer – und umgekehrt. Risikostreuung durch Immobilien Portfolio 1 Ertrag: 10,9 % Risiko: 10,6 % Staatspapiere 10 % Aktien 50 % Unternehmensanleihen 40 % Portfolio 2 Ertrag: 11,2 % Risiko: 10,3 % Immobilienaktien 10 % 70 Staatspapiere 10 % Aktien 45 % Unternehmensanleihen 35 % Portfolio 3 Ertrag: 11,2 % Risiko: 10,3 % Immobilienaktien 20 % Staatspapiere 10 % Unternehmensanleihen 30 % Quelle: Ibbotson (2006) Abb. 8: Risikostreuung durch Immobilien Aktien 40 % Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 Abbildung 8 verdeutlicht für den Zeitraum von 1972–2004, dass ein Anleger, der bei seiner Anlagenwahl auch Immobilienaktien berücksichtigte, den Ertrag seiner Gesamtanlage um durchschnittlich 0,7 % erhöhen und gleichzeitig die Volatilität der Erträge um 0,5 % senken konnte. Die Volatilität der Anlage wird dabei durch die Standardabweichung gemessen, also die durchschnittliche Abweichung vom Mittelwert der Rendite. Vor diesem Hintergrund sind gerade institutionelle Anleger daran interessiert, einen Teil ihres Kapitals in Immobilien zu investieren. Die durchschnittlichen Erträge und entsprechenden Risiken wären zwischen 1972 und 2004 für einen US-amerikanischen Anleger, wie in Abbildung 8 dargestellt, von der Zusammenstellung der Anlageklassen (des Portfolios) abhängig gewesen. Innerhalb der Klasse der Immobilien gibt es jedoch noch einmal große Unter- Chancen-Risiko-Profile schiede zwischen den Chancen-Risiko-Profilen. Im Vergleich zu Gewerbeimmobilien versprechen Wohnimmobilien in der Regel eine geringere, aber sichere Rendite, weil die Mietlaufzeiten in der Regel lang und die Ausfallrisiken eher gering sind. Bei Gewerbeimmobilien sind die Erträge dagegen häufig schwankend, weil zum einen das Leerstandsrisiko höher ist und zum anderen die Attraktivität der Standorte sich schneller ändern kann. Außerdem hängt die Rendite von Gewerbeimmobilien stärker von der wirtschaftlichen Dynamik ab. Doch nicht nur die Art der Immobilien, sondern auch die Wahl der Investitionsform entscheidet über das Risikoprofil. Offene Immobilienfonds gelten als besonders sicher, bieten dafür aber auch nur eine durchschnittlich geringere Rendite. Immobilienaktien versprechen dagegen höhere Renditen – bei entsprechend höherem Risiko. In Abbildung 9 sind die Renditeprofile verschiedener Anlageklassen abgetragen worden. Die Unterschiede innerhalb der Immobilienanlagen ergeben sich vornehmlich durch die Regularien, die Immobilienauswahl und den Fremdkapitaleinsatz. Immobilienaktien sind darüber hinaus insbesondere deswegen volatiler, weil sie täglich gehandelt werden, während die Preise von offenen Fonds auf der Basis von Bewertungen ermittelt werden. Damit werden die tatsächlichen Schwankungen der Werte nur unzureichend erfasst. 71 Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt Rendite-Risiko-Profile unterschiedlicher Anlageklassen 22 20 18 16 Rendite (%) US-REITs 14 Europäische Aktien (STOXX 50) 12 Immobilienaktien Europa 10 Deutsche Anleihen 8 Internationale Anleihen Deutsche Aktien (DAX) 6 4 Offene Immobilienfonds 2 0 0 5 10 15 Volatilität (%) 20 25 Quelle: DB Research 72 Abb. 9: Rendite-Risiko-Profile unterschiedlicher Anlageklassen 4.3.2 Immobilien als Altersvorsorge Wohnkostenentwicklung Wer seine Immobilie per Kredit finanziert, wird eine Reihe von Jahren finanziell von Eigentümern stärker belastet sein als ein vergleichbarer Mieter. Schließlich soll der Kredit mög- und Mietern lichst schnell, spätestens bei Renteneintritt, abgetragen sein. Ist das allerdings gelungen, ändert sich das Verhältnis drastisch: Nun sinken die Wohnkosten des Eigentümers deutlich unter diejenigen eines Mieters, da nur noch die Nebenkosten des Wohnens, wie Müllentsorgung, Heizung und Grundsteuer, beglichen werden müssen. Während ein typischer Eigentümer im Alter von 40 Jahren fast 30 % seines Haushaltsnettoeinkommens für das Wohnen ausgibt, liegt der Anteil bei einem vergleichbaren Mieter bei nur 15 %. Im Rentenalter ist dies anders: Die Wohnkosten des Selbstnutzers sinken auf 7 %, während der Anteil beim Mieter aufgrund der niedrigeren Einkommen im Rentenalter auf 19 % ansteigt. In Tabelle 2 wird die Entwicklung der durchschnittlichen Wohnkosten von Mietern und Eigentümern im Verhältnis zum Haushaltsnettoeinkommen in % dargestellt. Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 Tabelle 2: Immobilieneigentümer – Geringere Wohnkosten im Rentenalter Alter Wohnkosten eines Selbstnutzers davon: Belastung aus Zins und Tilgung Wohnkosten eines gleichaltrigen Mieters 39 28 25 15 47 20 18 15 56 11 7 15 63 8 4 18 68 7 3 19 Quelle: Pfeiffer und Braun (2006) Damit weist die Immobilienfinanzierung einen ähnlichen Verlauf wie eine klassische Kapitalanlage auf. Nachdem in der Erwerbsphase zunächst gespart wurde, wird das Kapital in der Rentenphase ausgegeben. Bei der Anlage in Immobilien erfolgt die Auszahlung nicht als monatliche Rente, sondern in Form von monatlich gesparten Kosten, was ökonomisch gesehen gleichwertig ist. Dabei wird das Kapital, anders als etwa bei einer Lebensversicherung, nicht aufgezehrt, sondern bleibt erhalten. Die Immobilie kann immer noch verkauft oder später auch vererbt werden. Insgesamt ist davon auszugehen, dass der Immobilienerwerb hierzulande zunehmend wichtiger für die Altersvorsorge werden wird. Schließlich ist das Versorgungsniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung spürbar abgesenkt worden, sodass die private Vorsorge deutlich wichtiger wird. Mittlerweile ist der Vorsorgebedarf so groß, dass in den individuellen Vorsorgeportfolien neben der Immobilie auch Platz für z. B. Lebensversicherungen und Investmentfonds ist. Mit der Eigenheimrente hat der Gesetzgeber die Wohnimmobilie auch im Rahmen der Riester-Rente mit anderen Altersvorsorgeformen gleichgestellt, was sich ebenfalls positiv auf den Wohneigentumserwerb auswirken sollte. 73 Zunehmende Bedeutung Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt 4.4 Rolle der Banken Intermediäre zwischen Bislang wurden Banken in der Darstellung des Kapitalmarktes nur gestreift. Tat- Kapitalmarkt und sächlich nehmen sie jedoch eine Schlüsselrolle als Intermediäre zwischen Kapital- Realwirtschaft markt und Realwirtschaft ein. Sie geben die Konditionen für die Immobilienfinanzierung vor, die wiederum maßgeblich durch die Refinanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt bestimmt werden. Dass hier erhebliche Rückwirkungen für den Immobilienmarkt entstehen, hat die Subprime-Krise nachdrücklich gezeigt. Bevor jedoch auf die Finanzierung und die Subprime-Krise eingegangen wird, soll zunächst die volkswirtschaftliche Funktion der Banken kurz betrachtet werden. 4.4.1 Aufgaben der Banken Volkswirtschaftliche Funktion der Banken Wie der Immobilienmarkt ist auch der Kapitalmarkt sehr heterogen und kleinteilig. Banken übernehmen ähnlich wie Makler die Rolle eines Vermittlers und führen Sparer und Investoren zusammen, weshalb sie auch als Finanzintermediäre bezeichnet werden. Insbesondere übernehmen sie die Aufgabe der Fristentransformation: Investoren und Sparer haben oftmals unterschiedliche Vorstel- 74 lungen darüber, wie lange das Kapital verliehen werden soll. Durch die Bündelung der Ersparnisse können die Kredite dann fristenkongruent vergeben werden. Außerdem leihen sich die Banken auch untereinander Geld, um die Finanzierungsbedürfnisse der Investoren erfüllen zu können und freie Liquidität optimal zu nutzen. Vermittlung und Banken üben neben der reinen Vermittlungs- auch eine Kontrollfunktion aus. Kontrolle Auf dem Kapitalmarkt treffen nicht nur Sparer und Investoren mit unterschiedlichen zeitlichen Vorstellungen über die Kapitalüberlassung zusammen, sondern auch mit sehr unterschiedlichen Risikovorstellungen und Bonitäten. Eine wesentliche Aufgabe der Banken besteht darin, die Bonität der Kreditnehmer einzuschätzen und zu überwachen. Asymmetrische Grundsätzlich ist der Kreditmarkt mit dem Problem asymmetrischer Informa- Information tion konfrontiert. Die Kreditnehmer wissen über die Ausfallwahrscheinlichkeit und die zugrunde liegenden Investitionsrisiken besser Bescheid als der Kreditgeber. Dadurch droht eine adverse Selektion: Je höher der angebotene Kreditzins ausfällt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass nur Investoren mit riskanten Projekten die Kredite nachfragen. Da die Marktteilnehmer dies wissen, droht die Gefahr, dass insgesamt nur wenige Kredite angeboten werden. Banken haben jedoch verschiedene Möglichkeiten, die asymmetrische Information zu über- Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 winden. So können sie sich genau über die Bonität der Kunden informieren, etwa durch die Sichtung von Schufa-Einträgen oder durch die Aufforderung zur Vorlage von Einkommensnachweisen oder Business-Plänen. Auf der Basis der Bonitätsprüfung kann die Bank dann die Zinsen entsprechend modifizieren. Außerdem kann die Bank auch fortwährend die Kreditrisiken beobachten und gegebenenfalls Konditionen anpassen, z. B. nach dem Ende der Zinsfestschreibung. Beispielsweise wird bei größeren Immobiliengeschäften regelmäßig das Verhältnis von Kreditschulden und Immobilienwert verglichen. Da die Bonitätsprüfungen insgesamt sehr aufwendig sind und ein fundiertes Know-how verlangen, haben hier Banken gegenüber einem rein dezentralen Markt eindeutige Vorteile. Schließlich sind Banken auch selbst als Investoren tätig. So werden die Einlagen der Sparer längst nicht mehr nur dazu verwendet, um es an andere Kunden zu ver- Banken als Investoren leihen, sondern die Einlagen werden auch am Kapitalmarkt investiert. Auf diese Weise können Banken den Sparern nicht nur Zugang zum Fremdkapitalmarkt, sondern auch zum Beteiligungsmarkt verschaffen und beispielsweise durch die Auflage von Aktienfonds Risiken streuen. 4.4.2 Immobilienfinanzierung 75 Dominierend bleibt für das Bankgeschäft jedoch die Kreditfinanzierung, und Banken hierbei insbesondere die Immobilienfinanzierung. Etwa 50 % aller Kredite in als Kreditgeber Deutschland werden für den Kauf und den Bau von Immobilien verwendet. Immobilienfinanzierungen können dabei sehr unterschiedlich gestaltet werden, vor allem hinsichtlich der Zinsbindungsdauer, der Tilgung und des Beleihungsauslaufs. Üblich ist in Deutschland eine Zinsbindung von 5, 10 oder 15 Jahren. Damit übernimmt die Bank für die Dauer der Zinsbindung das Preisrisiko bzw. das Zinsänderungsrisiko. Dies macht sie nicht ohne Eigennutz; sie verlangt dafür einen Zinsaufschlag. Im Normalfall sind Darlehen mit einer Zinsbindung zwischen einem Jahr und fünf Jahren günstiger als diejenigen mit einer längeren Laufzeit. Im Durchschnitt mussten die Kunden zwischen 2003 und 2006 einen Zinsaufschlag von 0,35 % zahlen, wenn sie eine Zinsbindung von mehr als 10 Jahren wünschten. Die Differenz zwischen den Zinsen kann zu anderen Zeiten jedoch auch wesentlich größer sein. Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt Feste Zinsbindung Ein großer Vorteil der Zinsfestschreibung ist die Planungssicherheit für die versus variable Kunden. Schließlich stehen damit für die Zinslaufzeit die monatlichen Ausgaben Verzinsung für Zins und Tilgung fest. Und auch gesamtwirtschaftlich gibt es einen wesentlichen Vorteil: Wie eine Untersuchung von Jäger und Voigtländer (2006) zeigt, hat die Wahl der Zinsbindung auch Rückwirkungen auf den Immobilienmarkt. In Ländern mit überwiegend festverzinslichen Darlehen reagieren die Immobilienpreise deutlich schwächer auf Zinsveränderungen als in Ländern mit überwiegend variablen Immobilienfinanzierungen. Haushalte mit bestehenden Hypothekendarlehen sind schließlich nur am Ende der Zinsbindungsfrist von der Zinsänderung betroffen. Für andere Haushalte gilt, dass die Zinsen für Hypothekendarlehen mit festen Zinssätzen maßgeblich durch die langfristigen Erwartungen der Kapitalmarktteilnehmer bestimmt werden und kurzfristige Zinsänderungen daher nur eine untergeordnete Rolle spielen. Außerdem kann die Entscheidung für ein festverzinsliches Hypothekendarlehen nur zu größeren Kosten revidiert werden, sodass die Haushalte generell die Entscheidung zur Hypothekenaufnahme nur zögerlich treffen – was wiederum für eine geringere Reaktion auf kurzfristige Zinsänderungen spricht. Dominieren hingegen variable Zinsen, sind die Haushalte mit Hypothekendarlehen direkt betroffen. Bei steigenden Zinsen erhöht sich ihre 76 monatliche Belastung, bei fallenden Zinsen werden sie entlastet. Da Hypothekendarlehen für Haushalte stark verbreitet sind, wirken sich diese Veränderungen auf die Immobiliennachfrage signifikant aus. Eine Dominanz langfristiger Zinsen reduziert damit die Volatilität des Immobilienmarktes, was ihn weniger anfällig für ausgeprägte Zyklen und spekulative Blasen macht. So ist die Volatilität des deutschen Immobilienmarktes über die vergangenen 30 Jahre nur etwa halb so groß wie in Großbritannien und Spanien, wo variable Darlehen dominieren. Vorfälligkeits- Wenn ein Darlehen mit Zinsfestschreibung unvorhergesehen früher zurück- entschädigung gezahlt (abgelöst) werden soll, etwa weil der Kreditnehmer geerbt hat, kann die Bank ein so genanntes Vorfälligkeitsentgelt verlangen. Das Vorfälligkeitsentgelt dient dazu, den zukünftigen Gewinn der Bank und deren entstandene Kosten zu berücksichtigen. Wenn der Zinssatz seit Vertragsabschluss gefallen ist, kann die Bank die zurückgezahlten Mittel nur zu für sie ungünstigeren Konditionen neu verleihen. Da sie durch die Kündigung des Kreditvertrages keinen Schaden haben soll, darf sie den Gegenwartswert des entgangenen Zinsvorteils dem Kunden in Rechnung stellen. Je größer nun die Differenz zwischen dem vereinbarten Zinssatz und dem Marktzins ausfällt und je länger die Restlaufzeit des Darlehens ist, desto höher fällt die Vorfälligkeitsentschädigung aus. Ist dagegen der Zinssatz seit dem Vertragsabschluss gestiegen, muss der Kunde für die Ablösung kaum etwas bezahlen. Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 In einigen Ländern, wie beispielsweise in Frankreich oder Belgien, wird die Höhe des Vorfälligkeitsentgelts gesetzlich begrenzt. Dies ist jedoch für alle Kunden, also auch die, die nicht vorzeitig kündigen wollen, mit einem Zinsaufschlag verbunden. In Dänemark gibt es sowohl Festzinsdarlehen, bei denen ein Vorfälligkeitsentgelt erhoben wird, als auch solche, bei denen hierauf verzichtet wird. Je nach Marktlage müssen die Kunden für den Ausschluss der Vorfälligkeitsentschädigung einen Zinsaufschlag von 0,3 bis 0,8 % bezahlen. Dafür haben sie jedoch auch die Möglichkeit, bei fallenden Zinssätzen einen günstigeren Vertrag abzuschließen. Auch in Deutschland werden solche Verträge angeboten. In Deutschland sind Festzinsdarlehen besonders stark verbreitet. Im Jahr 2008 Festzinsdarlehen haben die Wohneigentumserwerber in rund 70 % der Neuabschlüsse eine Zinsbindung von über fünf Jahren gewählt. Neben der hohen Bedeutung der Planungssicherheit für die deutschen Haushalte ist dies auch auf den Refinanzierungsmarkt der Banken zurückzuführen. Noch größer ist die Dominanz des Festzinsdarlehens bei Betrachtung der Bestandsgrößen. Bei über 96 % der ausstehenden Hypothekendarlehen beträgt die anfängliche Zinsbindung über fünf Jahre. Dies spricht dafür, dass Kredite mit einer kurzen Zinsbindung, insbesondere mit Festlegungen unter einem Jahr, schon nach kurzer Zeit wieder abgelöst werden. Diese Kredite 77 werden auch als variable Darlehen bezeichnet. Im Ausland sind dagegen variable Darlehen weit stärker verbreitet. In Großbri- Variable Darlehen tannien, Spanien und Australien liegt der Anteil der Darlehen mit einer Zinsbindung von unter fünf Jahren bei rund 95 % aller Immobilienfinanzierungen. Ein Grund für die unterschiedliche Verbreitung kurzer Zinsbindungen liegt in unterschiedlichen Verhaltensweisen auf den einzelnen Märkten. Die Deutschen neigen dazu, sich nur ein einziges Mal im Leben eine Immobilie zu kaufen, in der sie dann bis ans Ende ihres Lebens wohnen wollen. Die Briten dagegen sind daran gewöhnt, ihre Häuser und Wohnungen immer wieder zu verkaufen und neue zu kaufen. Deshalb müssen sie auch finanziell beweglich bleiben und entscheiden sich meist für Hypothekendarlehen mit kurzen Zinsbindungen. Wesentlich für diese unterschiedlichen Verhaltensweisen ist der Mietwohnungsmarkt. Während deutschen Haushalten ein sehr großes Mietwohnungsangebot zur Verfügung steht, ist der Mietwohnungsmarkt in Großbritannien und Spanien durch starke regulative Eingriffe, vor allem im Hinblick auf die Miethöhe, kaum relevant (Voigtländer, 2006). Daher sind die Privathaushalte in diesen Ländern praktisch gezwungen, den Zugang zur Wohnungsnutzung über den Eigentumserwerb zu realisieren. Ursachen unterschiedlicher Zinsbindungen Kapitel 4 Cap-Darlehen Immobilien- und Kapitalmarkt In den letzten Jahren versuchen die Anbieter von Immobilienfinanzierungen zunehmend neue Produkte aufzulegen, die die Vorteile von festen und variablen Darlehen zusammenführen sollen. So werden so genannte Cap-Darlehen angeboten: Das sind variable Darlehen, bei denen der Zinssatz alle drei oder sechs Monate angepasst wird – aber mit einer Zinshöchstgrenze. Beispielsweise wird vertraglich festgelegt, dass der Zins die 6 %-Marke niemals überschreiten wird. Sondertilgungen Bei langen Zinsbindungen werden immer häufiger auch Sondertilgungsrechte gewährt. Durch die Möglichkeit, 5 bis 10 % des Kreditbetrages pro Jahr tilgen zu dürfen, gewinnen die Kunden an Flexibilität. In der Regel sind Hypothekendarlehen mit derartigen Optionen jedoch etwas teurer als vergleichbare Kredite ohne Sondertilgungsmöglichkeiten. Unterschiedliche Neben der Zinsbindung kann auch die Tilgung sehr unterschiedlich gestaltet Gestaltung der Tilgung werden. Üblich ist beispielsweise eine Anfangstilgung von 1 % des Kreditbetrages. Hieraus lässt sich dann die monatliche Belastung ausrechnen. Beträgt der Zinssatz beispielsweise 5 % und die Anfangstilgung 1 %, so müssen bei einem Kreditbetrag von 100 000 € jährlich 6 000 € bzw. monatlich 500 € an die Bank gezahlt werden. Bleibt dieser Betrag konstant, spricht man von einer Annuität (Jahreszahlung von Zinsen und Tilgung) oder auch einem Annuitätendarlehen. Es ist derzeit die 78 gebräuchlichste Form der Darlehensrückzahlung. Da die monatliche Belastung bei sinkender Restschuld gleich bleibt, wird beim Annuitätendarlehen im Zeitablauf ein immer größeres Stück des Darlehens getilgt. Würde der Tilgungssatz konstant gehalten, würde mit der Zeit die monatliche Belastung kleiner werden. Eine solche Vereinbarung ist in der Praxis aber selten. Im Regelfall wird eine Annuität vereinbart. Konsequenzen Die Wahl des Tilgungssatzes hat nicht nur Auswirkungen auf die monatliche Belastung, sondern auch auf die Laufzeit des Kreditvertrages. Die Rechnung scheint trivial zu sein: Je höher der Tilgungssatz, desto schneller ist der Kredit abgetragen. Nicht ganz so trivial sind die Auswirkungen: Während man bei einem Zinssatz von 4,5 % und einer Anfangstilgung von 1 % insgesamt 38 Jahre benötigt, um sein Haus abzuzahlen, sind es bei einer Anfangstilgung von 2 % nur etwas über 26 Jahre. Außerdem gilt: Je höher der Zins, desto schneller wird der Kredit abgetragen – aus einem einfachen Grund: Die Gesamtbelastung für den Schuldner ist zwar größer, weil er sich bei hohen Zinsen durch die Tilgung aber stärker entlastet als bei niedrigen Zinsen, ist er mit der Rückzahlung früher fertig. Immobilien- und Kapitalmarkt Auch im Bereich der Tilgung gibt es zunehmend flexiblere Lösungen. Neben Kapitel 4 Flexible Lösungen den schon erwähnten Sondertilgungsmöglichkeiten bieten viele Banken auch die Möglichkeit an, den Tilgungssatz während der Zinsbindungsphase zu verändern. In anderen Ländern sind auch „Negative-amortization“-Darlehen oder „Interest-option“-Darlehen üblich. Beim Negative-amortization-Darlehen können die Haushalte in den ersten Jahren einen Kapitaldienst leisten, der geringer als die Zinskosten ist, wodurch weitere Schulden aufgebaut werden oder bei denen jährlich entschieden werden kann, ob getilgt wird. Allerdings waren die Negativeamortization-Darlehen einer der Gründe für die Entstehung der so genannten Subprime-Krise (vgl. Abschnitt 4.4.4). Generell droht bei Darlehen ohne Tilgung häufig die Überschuldung, wenn Hauspreise fallen. Schließlich ist auch der Beleihungsauslauf eine wichtige Stellgröße. Der Beleihungsauslauf gibt an, in welchem Verhältnis Fremdkapital und Beleihungswert Beleihungsauslauf und Eigenkapitaleinsatz zueinander stehen. In Deutschland sind Beleihungsausläufe zwischen 60 und 80 % normal, d. h., die Haushalte müssen 20 bis 40 % des Hauskaufs durch Eigenkapital finanzieren. In anderen Ländern sind allerdings auch Beleihungsausläufe von 100 % und mehr nicht unüblich. Insbesondere wenn Schuldzinsen steuerlich abzugsfähig sind, wie etwa in den USA und den Niederlanden, gewähren die Banken auch höhere Beleihungsausläufe. Insgesamt sind die Beleihungsausläufe weltweit und bei allen Formen von Immobilienfinanzierungen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Insbesondere Beteiligungsgesellschaften haben die niedrigen Zinsen der Vergangenheit genutzt, um über einen hohen Fremdkapitaleinsatz den Investitionsgewinn auf ein entsprechendes kleines Eigenkapital zu konzentrieren. So waren Eigenkapitalrenditen von 25 % und mehr nicht unüblich. Wie die Finanzmarktkrise jedoch zeigte, stieg hiermit auch das Risiko. Der Internationale Währungsfonds geht für die nächsten Jahre daher davon aus, dass ein Prozess des „De-Leveraging“ einsetzt, d. h. also, dass bei allen Investitionen wieder mehr Eigenkapital verlangt wird. Bei der deutschen Baufinanzierung ist jedoch aufgrund des ohnehin schon höheren Eigenkapitaleinsatzes und des hohen Wettbewerbsdrucks mit keiner gravierenden Veränderung zu rechnen. Dadurch wird deutlich, dass ein hoher Eigenkapitalanteil bei der Finanzierung ein Immobilien-Investment auch krisensicherer macht, weil er als „Stoßdämpfer" wirkt. 79 Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt 4.4.3 Refinanzierung von Immobilienfinanzierungen Refinanzierung über In früheren Zeiten haben die Banken die Immobilienkredite fast ausschließlich mit Kundeneinlagen oder den Einlagen ihrer Kunden finanziert. Dies ist auch heute noch gebräuchlich, wird den Kapitalmarkt aber, je nach Bank, ergänzt oder vollständig ersetzt durch eine Finanzierung über den Kapitalmarkt. Die Banken können dies über verschiedene Formen von Anleihen und Schuldverschreibungen oder auch durch den vollständigen Verkauf der Forderungen aus den Darlehen realisieren. Typisch und spezifisch für den deutschen Markt ist jedoch die Finanzierung über Pfandbriefe. Pfandbrief wichtiges Pfandbriefe können auf eine beeindruckende Historie zurückblicken. Schließ- Refinanzierungs- lich wurden die ersten Pfandbriefe von Friedrich dem Großen im Jahr 1769 initiiert. instrument Detailliert geregelt sind die Anforderungen an den Pfandbrief und die emittierenden Institute im Pfandbriefgesetz. Finanzinstitute, die Pfandbriefe emittieren möchten, müssen eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen, um die hierfür erforderliche Lizenz zu erhalten. So müssen sie z. B. über ein geeignetes Risikomanagement verfügen, und das Kernkapital muss mindestens 25 Millionen € betragen (vgl. Hagen, 2007). Die Pfandbriefe werden von den Kreditgebern emittiert und sichern den Investoren die Rückflüsse (Tilgungs- und Zinszahlungen) aus den Hypothekendarlehen zu. Die Ansprüche der Pfandbriefinhaber werden dabei sowohl durch 80 die Grundstücke und Immobilien als auch durch die Rückflüsse aus den Immobilienkrediten gesichert. Eine wichtige Regelung betrifft den Beleihungsauslauf der Darlehen. Von den gewährten Hypothekendarlehen können nur bis zu 60 % des Beleihungswertes als Deckungsmasse für Pfandbriefe eingebracht werden, wodurch die Ausfallwahrscheinlichkeiten sehr gering sind. Vorteile des Pfandbriefes: Der Pfandbrief bietet den Investoren, also den Käufern der Wertpapiere, einige transparent, liquide, wichtige Vorteile. So verfügt der Markt aufgrund der gesetzlichen Vorgaben über sicher ein hohes Maß an Transparenz. Während bei anderen Refinanzierungsformen die Konditionen häufig bilateral zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt werden, stehen hinter den Pfandbriefen gesetzliche Vorgaben. Nichtsdestotrotz sind jedoch flexible Lösungen, beispielsweise hinsichtlich des Emissionsvolumens, möglich. Darüber hinaus weist der Markt eine hohe Liquidität auf. Damit ist gemeint, dass Investoren die Wertpapiere gegebenenfalls auch weiterverkaufen können. Diese Option ist insbesondere für institutionelle Investoren wie Versicherungen oder Pensionsfonds wichtig, da sie flexibel bleiben möchten. Vor allem durch die Einführung von Jumbo-Pfandbriefen, also Pfandbriefen mit einem Emissionsvolumen von mindestens 1 Milliarde €, ist die Liquidität des Marktes weiter Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 gesteigert worden. Diese großvolumigen Pfandbriefe sind vor allem für ausländische Investoren von großem Interesse (vgl. Winkler, 2006). Ein dritter entscheidender Vorteil der Pfandbriefe ist ihre Sicherheit. Bislang ist noch kein Pfandbrief in Deutschland ausgefallen. Dies hängt vor allem mit der Qualität der Deckungsmasse zusammen. Wie bereits erwähnt, dürfen nur Hypothekendarlehen bis zu einem Beleihungswert von 60 % in den Deckungsstock eingehen. Darüber hinaus gibt es Beschränkungen hinsichtlich der Länder, in denen Darlehen vergeben werden. In diesem Zusammenhang ist die Beleihungswertermittlung von großer Bedeutung. Der Beleihungswert wird grundsätzlich so bestimmt, dass der Marktwert der Immobilie auch in konjunkturell schlechten Zeiten den Beleihungswert nicht unterschreitet (Abbildung 10). Die angemessene Ermittlung der Beleihungswerte stellt damit einen wichtigen Baustein zur Gewährleistung der Qualität der Pfandbriefe dar. Aufgrund der hohen Sicherheitsstandards und der hohen Liquidität des Marktes geben sich die Investoren im Vergleich zu anderen Anleihen mit relativ geringen Renditen zufrieden. Damit können sich auf der anderen Seite die Finanzinstitute günstig über Pfandbriefe refinanzieren. Beleihungswert und Marktwert im Vergleich 81 Wertermittlung einer exemplarischen Immobilie Wert Marktwert im Marktzyklus Beleihungswert 60 %-Grenze Zeit Quelle: Reif (2006) Abb. 10: Beleihungswert und Marktwert im Vergleich Vorteile bietet der Pfandbrief nicht nur den Marktpartnern, sondern auch der Gesamtwirtschaftlicher Gesamtwirtschaft. Die Refinanzierungsbedingungen spiegeln sich häufig in den Einfluss des Pfandbriefs Konditionen für private und gewerbliche Finanzierungen wieder. Letztlich stellen die Banken nur das Bindeglied zwischen dem Kapitalmarkt und den privaten Haushalten und Unternehmen dar. Durch die hohen Sicherheitsstandards und die Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt typischerweise langen Zinsfestschreibungen des Pfandbriefs folgen auch die Hypothekendarlehen diesen Vorgaben. Hier wirken zwei Mechanismen: Wie erwähnt reduziert insbesondere die Festzinskultur in der deutschen Immobilienfinanzierung die Volatilität des Immobilienmarktes, da die Immobilienpreise weniger stark auf Zinsveränderungen reagieren. Da durch einen Pfandbrief immer nur ein Teil des Immobiliendarlehens refinanziert werden kann, sind höhere Eigenkapitalanteile erforderlich als andernorts und werden Darlehen umso teurer, je weiter sich der Marktpreis vom Beleihungswert entfernt. Da der Immobilienmarkt wiederum Rückwirkungen auf die Gesamtwirtschaft hat, moderiert der Pfandbrief damit letztlich auch den Konjunkturzyklus. Aufgrund dieser Eigenschaften gewinnt der Pfandbrief auch international weiter an Bedeutung. Neben Deutschland verfügen vor allem Frankreich und Dänemark über größere pfandbriefähnliche Märkte. Mortgage Backed Die Besonderheiten des Pfandbriefs werden auch deutlich, wenn man ihn von Securities Mortgage Backed Securities (MBS; mortgage backed = hypothekarisch gesichert) abgrenzt, die vor allem im angelsächsischen Raum gebräuchlich sind. Im Gegensatz zu den Pfandbriefen werden bei MBS die Forderungen am Kapitalmarkt verkauft. Hierfür stehen den Marktteilnehmern verschiedene Formen zur 82 Verfügung, die unter dem Begriff der Verbriefung subsumiert werden. Die Verbriefung erlaubt den Banken, die Risiken an andere Investoren weiterzugeben. Außerdem müssen die Kredite, anders als bei Pfandbriefen, nicht mehr mit Eigenkapital unterlegt werden, was die Kreditvergabemöglichkeiten der Banken erhöht (vgl. Jäger, 2006). Auch gibt es die 60%ige Beleihungsgrenze nicht. Bei MBS verkauft eine Bank ihre Forderungen aus den Hypothekendarlehen an eine Zweckgesellschaft, die oftmals eine Tochtergesellschaft der Bank ist. In dieser Zweckgesellschaft werden die verschiedenen Forderungen gebündelt und anschließend nach dem Risiko tranchiert. Typischerweise werden dabei mehrere Tranchen aufgelegt. Die erste Tranche gilt dabei als am sichersten, weil alle Zahlungseingänge aus den Kreditverträgen zunächst zur Bedienung dieser Tranche verwendet werden. Die letzte Tranche, die so genannte Equity Tranche, weist hingegen das höchste Ausfallrisiko auf. Oftmals verbleibt diese Tranche bei der Bank, um sicherzustellen, dass die Bank nicht leichtfertig Kredite vergibt und sie die Kredite auch nach dem Verkauf weiter beobachtet. Die Erfahrungen aus der Subprime-Krise haben jedoch gezeigt, dass viele Banken auch die Equity Tranche verkaufen konnten. Auf der Basis dieser Tranchen emittiert die Zweckgesellschaft MBS und verkauft sie an Investoren. Dabei erhalten die Käufer von MBS der ersten Tranche die geringste Verzinsung, MBS auf der Basis der letzten Tranche bieten dagegen wegen des größeren Ausfallrisikos die höchste Verzinsung. Immobilien- und Kapitalmarkt MBS sind im Gegensatz zu Pfandbriefen nicht standardisiert. Die Konditionen Kapitel 4 Keine Standardisierung werden direkt zwischen den Käufern und den Emittenten ausgehandelt, wobei Vertragswerke von 400 Seiten keine Ausnahme darstellen. Damit ist der Markt insgesamt wenig transparent. Aufgrund des hohen Aufwands, der mit der Emission von MBS verbunden ist, sind MBS umso lohnender, je größer die dahinter stehende Kreditsumme ist. Beliebt sind daher auch MBS auf der Basis von Gewerbeimmobilienfinanzierungen, die dann als CMBS (Commercial Mortgage Backed Securities) bezeichnet werden. In Deutschland sind MBS noch wenig gebräuchlich, in den USA und Großbritannien sind sie dagegen weit verbreitet. 4.4.4 Subprime-Krise Im Licht der jüngeren Entwicklungen auf den Finanzmärkten erscheinen die Vor- Auslöser der teile der Verbriefung rein akademischer Natur zu sein. Während der so genannten Subprime-Krise Subprime-Krise mussten die Banken weltweit milliardenschwere Abschreibungen auf ihre Verbriefungsprodukte vornehmen, und der Weltwirtschaft drohte eine Rezession oder zumindest eine ernsthafte Wachstumsdelle. Auslöser dieser Entwicklung waren Verwerfungen auf dem US-Hypothekenmarkt und auf dem Markt für Asset Backed Securities (vgl. Jäger und Voigtländer, 2008). Den Ausgangspunkt für die Finanzmarktkrise stellte die Wohnimmobilien- Immobilien- preisentwicklung in den USA seit etwa dem Jahr 2000 dar. Im Zeitraum Januar preis- und 2000 bis Januar 2007 stiegen die Immobilienpreise in den USA nach Angaben des Zinsentwicklung Office of Federal Housing Enterprise Oversight (OFHEO) um insgesamt 76 %. Dieser Immobilienpreisboom fußte unter anderem auf einem deutlichen Zuwachs der Beschäftigung und einem starken Wachstum der verfügbaren Einkommen. Vor allem aber wurde die Nachfrage nach Wohnimmobilien durch das niedrige Zinsniveau angeregt. Im Zeitraum August 2001 bis August 2004 sanken die Zinsen für variable Hypothekendarlehen nach Angaben der Mortgage Bankers Association um 4 %. Auch die Zinssätze für langfristige Hypothekendarlehen mit 30-jähriger Zinsbindung fielen in diesem Zeitraum um 2,2 %. Mitverantwortlich für die niedrigen Zinssätze auf dem US-Hypothekenmarkt war die Geldpolitik in den USA: Vor dem Hintergrund des Absturzes der New Economy im Jahr 2001 senkte die Federal Reserve zur Vermeidung einer Rezession die Leitzinsen deutlich. Diese Strategie der Federal Reserve ist umstritten. Auf der einen Seite konnte durch die Versorgung der Märkte mit Liquidität zu einem niedrigen Zinssatz der Abschwung in den USA gelindert werden, ohne zumindest kurzfristig zu stark vom Ziel der Geldwertstabilität abzuweichen. Auf der anderen Seite schlug sich offenbar die übermäßige Liquiditätsversorgung zu geringen Zinssätzen in einer Vermögenspreisinflation nieder. 83 Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt Suche nach höherer Für den Kapitalmarkt bedeutete das niedrige Zinsniveau sehr niedrige Margen Rendite im Anleihemarkt. Vor allem institutionelle Anleger wie Banken, Pensionsfonds oder Lebensversicherungen wurden hierdurch vor Probleme gestellt, weil sie aufgrund von Portfolio-Erwägungen einen größeren Anteil ihrer Mittel im Anleihemarkt platzieren mussten. Daher gab es eine größere Nachfrage nach Verbriefungsprodukten wie Mortgage Backed Securities (MBS), Collateral Debt Obligations (CDO) oder allgemein Asset Backed Securities (ABS), die zwar mit einem gewissen Ausfallrisiko verbunden waren, dafür aber auch höhere Renditen als Staatspapiere oder auch Pfandbriefe versprachen. Zudem galten diese Papiere aufgrund der Rückgriffsmöglichkeit auf die zugrunde liegenden Vermögenswerte als relativ sicher. Gerade US-amerikanische MBS waren gefragt, da aufgrund der starken Preiszuwächse im US-Immobilienmarkt die Erwartung vorherrschte, dass selbst im Fall von Ausfällen die Zahlungszuflüsse über die Erlöse aus den Zwangsversteigerungen sichergestellt werden könnten. Es ist zu berücksichtigen, dass im Verbriefungsmarkt in erheblicher Weise Skaleneffekte vorliegen; da die Fixkosten für Verbriefungen recht hoch sind, die Margen je Forderungseinheit dagegen gering, lohnen sich Verbriefungstransaktionen nur in einem großen Maßstab. Tatsächlich konnte die Nachfrage nach MBS auch weitestgehend befriedigt werden. 84 Im Zeitraum 2000 bis 2006 gab es zwischenzeitlich fast eine Vervierfachung des Marktes für US-amerikanische MBS, die mit der Geldpolitik der Federal Reserve negativ korrelierte (Abbildung 11). 9 3 000 8 7 2 500 6 2 000 5 1 500 4 3 1 000 2 2007 2006 2004 2005 2003 2001 2002 2000 1999 1997 1998 1996 1994 1995 0 1993 1 0 1991 500 1992 Emission von MBS in Milliarden US-Dollar (linke Achse) 3 500 1990 Federal FundsRate im Jahresdurchschnitt in Prozent (rechte Achse) in Mrd. US-Dollar Emission von Mortgage Backed Securities (MBS) in Milliarden US-Dollar und US-Leitzins in % Quelle: Federal Reserve Bank, SIFMA Abb. 11: Emission von Mortgage Backed Securities (MBS) in Milliarden US-Dollar und US-Leitzins in % Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 Möglich war dieser Anstieg, weil im Retail-Geschäft der Banken neue Kunden Aufweichung der gefunden wurden (Voigtländer, 2008). Schließlich stieg durch das niedrige Zins- Bonitätsstandards niveau bei den Privatkunden das Interesse an Hypothekendarlehen. Vom Kapitalmarkt wurde aber nur unzureichend berücksichtigt, dass die Ausweitung des Hypothekengeschäfts letztlich nicht mit einer Beibehaltung der bisherigen durchschnittlichen Bonitätsstandards möglich war. Im US-amerikanischen Hypothekenmarkt untergliedert man die Hypotheken in die Kategorien Prime, Alt-A und Subprime. Bei entsprechender Bonität der Kunden – gemessen an einem Scoring-Modell, einem Beleihungsauslauf von weniger als 85 % des Immobilienwertes und einem Anteil der Zins- und Tilgungszahlungen von unter 55 % des verfügbaren Einkommens – erhalten die Kunden so genannte Prime-Darlehen, die in der Regel die günstigsten Konditionen versprechen. Gemessen an deutschen Standards, wo die Beleihungsausläufe oftmals auf 80 % beschränkt sind und das Verhältnis von Finanzierungskosten zum verfügbaren Einkommen eher bei 30 % liegen sollte, sind diese Standards schon sehr weit gefasst. Wer diese Kriterien nicht erfüllen kann, erhält so genannte Subprime-Darlehen, die aufgrund der höheren Risiken mit einem Zinsaufschlag versehen sind. Dazwischen gibt es noch den Graubereich der Alt-A-Darlehen, die besonders dann Anwendung finden, wenn die Kunden nur 85 ein Kriterium nicht erfüllen und vor allem keine vollständigen Dokumente (Wertgutachten, Einkommensnachweise oder Kreditvergangenheit) vorlegen können. Darüber hinaus werden über die Federal Housing Association (FHA) und das Department of Veterans Affairs (VA) auch Hypothekendarlehen für sozial schwache Haushalte und Veteranen vergeben. Wie Abbildung 12 verdeutlicht, wuchs bis zum Jahr 2006 vor allem der Bereich der Subprime-Darlehen und der Alt-A-Darlehen. Lag das neu ausgegebene Kreditvolumen im Subprime-Bereich im Jahr 2001 noch bei 216 Milliarden US-Dollar, so waren es im Jahr 2006 bereits 600 Milliarden US-Dollar. Im Alt-A-Bereich stieg das neu ausgegebene Kreditvolumen von 68 auf 400 Milliarden US-Dollar an. Das Kreditvolumen der Prime-Darlehen ging dagegen im Zeitraum 2001 bis 2006 um 460 Milliarden US-Dollar zurück. Ausweitung der Subprime-Darlehen Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt Neu ausgegebene Hypothekendarlehen in den USA nach Kreditstandards1 in Milliarden US-Dollar 4 500 4 000 FHA/VA Home Equity Alt-A Subprime Total Prime in Mrd. US-Dollar 3 500 3 000 2 500 2 000 1 500 1 000 500 0 2001 1 86 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Total Prime: hohe Bonitätsanforderungen; Subprime: geringe Bonitätsanforderungen; Alt-A: mittlere Bonitätsanforderungen; Home Equity: Aufstockung bereits bestehender Hypothekendarlehen; FHA/VA: Hypothekendarlehen aus Programmen für sozial Schwache oder Veteranen Quelle: Joint Center for Housing Studies of Harvard University (2008) Abb. 12: Neu ausgegebene Hypothekendarlehen in den USA nach Kreditstandards1 in Milliarden US-Dollar Zinsänderungs- In dem Umfeld niedriger Zinssätze fielen die Zinsaufschläge für die Kunden von risiken Subprime-Darlehen weniger stark ins Gewicht. Darüber hinaus hatten die Banken und Kreditvermittler diesen Bereich des Marktes besonders stark beworben, weil hier für die Vermittler höhere Provisionen zu erzielen waren. Mit anfänglichen Zinsrabatten, Tilgungsaussetzungen oder sogar der Möglichkeit, weitere Schulden aufzubauen („negative amortization options“), wurden neue Kundenschichten gelockt. US-Studien zeigen, dass besonders in jenen Städten neue Kreditverträge vergeben wurden, in denen in den Jahren zuvor sehr viele Anträge abgelehnt wurden. Dabei wurde auch ausgeschlossen, dass dieser Anstieg durch eine bessere wirtschaftliche Entwicklung hätte erklärt werden können. Dass hierbei die Kunden stets sorgsam über die Zinsrisiken informiert worden sind, darf bezweifelt werden. Bemerkenswert ist vor allem, dass der Anteil der Subprime-Darlehen mit variablen Darlehen sehr hoch ist. Während im Gesamtmarkt etwa ein Viertel bis ein Drittel Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 der Darlehensnehmer variable Hypothekendarlehen abschließen, liegt die Quote im Subprime-Bereich zwischen 50 und 70 % (vgl. Kiff und Mills, 2007). Vor allem Haushalte mit ohnehin schlechterer Bonität und hohen Belastungen wurden dem Zinsrisiko ausgesetzt. Seit Mitte des Jahres 2004 sind die Zinssätze aufgrund einer restriktiveren Geldpolitik des Federal Reserve Board wieder gestiegen. Für variable Prime-Darlehen Zinsanstieg und die Konsequenzen stieg der Zinssatz innerhalb von zwei Jahren um etwa 2 %. Für die Subprime-Darlehensnehmer kam neben diesem Zinsanstieg hinzu, dass die anfängliche oftmals zweijährige und subventionierte Zinsbindung in diesem Zeitraum endete, wodurch die Belastung häufig um 3 % und mehr anstieg. Geradezu zwangsläufig nahm die Rate der Zahlungsausfälle deutlich zu. Besonders betroffen waren die Kreditnehmer von variablen Subprime-Darlehen. Auch bei anderen Darlehenstypen gab es einen Anstieg der Zahlungsrückstände, der jedoch insgesamt weniger stark ausfiel. Da die Subprime-Darlehen überwiegend durch den Kapitalmarkt mittels MBS finanziert wurden, trafen die Ausfälle Banken weltweit. Gleichzeitig stiegen die Immobilienpreise in den USA nicht mehr, sondern fielen sogar um über 15 %. Da bei einer Zwangsvollstreckung durchschnittlich Abschläge von 25 % auf den Immobilienwert vorgenommen 87 wurden, kumulierten sich so die Verluste für die Inhaber der MBS. Die Ausweitung des Hypothekenmarktes auf bonitätsschwache Kunden wurde Ursachen letztlich von der Nachfrage nach rentierlichen Anleihen und niedrigen Zinssätzen der Krise: ermöglicht. Dennoch ist es erstaunlich, dass viele Banken, deren Geschäft die Renditejagd Risikoidentifizierung und Risikostreuung ist, von der Entwicklung im Hypothekenmarkt überrascht worden sind. Dies kann vor allem auf die beiden folgenden Gründe zurückgeführt werden: 쐍 1. Fehlanreize infolge der Intransparenz der Verbriefung Im Gegensatz zu Prime-Darlehen sind Subprime-Kontrakte wesentlich heterogener, sodass darauf fußende MBS nur schwerlich zu standardisierten Konditionen, beispielsweise an Börsen, gehandelt werden können. Darüber hinaus war eine Vielzahl von Instituten in den Markt getreten, die allesamt unterschiedliche Ausgestaltungen der MBS gewählt und mitunter bestehende MBS mit anderen Formen von Asset Backed Securities zu neuen Produkten gebündelt hatten. Dies erhöhte die Unübersichtlichkeit des Marktes weiter. Hinzu kam, dass in Zeiten hoher Liquiditätsüberschüsse die Finanzintermediäre offensichtlich die gewohnte Sorgfalt angesichts scheinbar rentierlicher Anlagen verloren hatten. Nicht auszuschließen ist, dass die Anbieter der MBS die Intransparenz Kapitel 4 Immobilien- und Kapitalmarkt undurchsichtige Informationslage zu ihrem Vorteil ausnutzten. So sind zumindest einige Fälle bekannt, in denen ohne das Wissen der Käufer Forderungen für bereits nachverhandelte und kurz vor der Zwangsvollstreckung stehende Darlehensverträge verkauft wurden. Durch den Risikotransfer weg von den Originatoren zu außenstehenden Investoren entstanden also Anreizprobleme. Die Originatoren sparten bei den Krediten, die sie verbriefen konnten, an der sonst angewandten Sorgfalt. Die Investoren ihrerseits erkannten die Anreizproblematik wegen der Intransparenz der Produkte entweder nicht oder nahmen sie billigend in Kauf. Letzteres möglicherweise, weil sie die künftige Hauspreisentwicklung als zu günstig eingeschätzt hatten. In vielen Fällen lagen auch Anreizund Aufsichtsprobleme (Prinzipal-Agenten-Probleme) bei den Investoren vor, sodass sich die, die letztlich das Risiko trugen, der Problematik unzureichend bewusst waren. Unzureichende Marktbeobachtung 쐍 2. Unzureichende Marktbeobachtung Nicht nur die beteiligten Finanzintermediäre, sondern auch die Rating-Agenturen übersahen die Risiken. Die Aufgabe der Ratingagenturen besteht in der Identifizierung von Risiken in Wertpapierportfolios. Im Fall der Subprime-MBS wurden jedoch die Ausfallwahrscheinlichkeiten unterschätzt und die Wert- 88 papiere als zu sicher eingestuft. Offensichtlich wurde der Anstieg des Subprime-Marktes und dabei vor allem die zunehmend laxere Kreditvergabe in diesem Sektor nicht richtig eingeschätzt. Informations- Im Kern wurde diese Finanzmarktkrise – wie auch vorhergehende – durch ein probleme Informationsproblem ausgelöst. Aufgrund der Komplexität der Verträge und der Heterogenität der Produkte lag zwischen den Käufern und Verkäufern der Verbriefungsprodukte eine Informationsasymmetrie vor. Schließlich dürften auch die Kreditvermittler und die Käufer der Forderungen über ungleiche Informationen verfügt haben. Dieses Informationsproblem hat Fehlanreize induziert, die letztlich zu den Verwerfungen an den Finanzmärkten führten. Im April 2009 schätzte der Internationale Währungsfonds (2009) die Verluste für die Finanzinstitutionen aus der Finanzkrise auf über 3 Billionen USD. Diese Verluste fußen nur zum Teil direkt aus dem Subprime-Markt. Wie sich zeigte, haben nicht nur die privaten Haushalte in den USA, sondern auch die Banken mit zu wenig Eigenkapital operiert. Hierdurch konnten sie Ausfälle nur bedingt verkraften. Zudem ist zu beachten, dass die Banken untereinander über gegenseitige Kredite eng verknüpft sind. Die Insolvenz Immobilien- und Kapitalmarkt Kapitel 4 der Investment Bank Lehman Brothers, die sich nicht zuletzt mit Verbriefungen verspekuliert hatte, löste daher einen Domino-Effekt aus, von dem sich die Finanzwirtschaft und auch die Realwirtschaft nur langsam erholen. Weltweit lösten die Turbulenzen an den Finanzmärkten schwere wirtschaftliche Einbrüche aus, was die besondere Bedeutung der Banken für die Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaft unterstreicht. Die Finanzmarktkrise dürfte den Refinanzierungsmarkt der Banken noch einige Jahre beeinträchtigen. Gestärkt aus der Krise könnten Pfandbriefe und andere standardisierte Verbriefungsprodukte hervorgehen, deren Risiken bei den Originatoren bleiben. Darüber hinaus haben jedoch auch MBS weiterhin eine Chance, sofern die Transparenzstandards erhöht und die Produkte insgesamt einfacher werden. 89 Kapitel 5 5 90 Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt Wohnausgaben Die Entwicklung der Mieten und Immobilienpreise wird nicht nur von privaten bedeutender Haushalten verfolgt, die ihre Wohnsituation ändern oder investieren möchten, Faktor sondern zunehmend auch von den Zentralbanken. Schließlich stellen die Wohn- des Konsums ausgaben einen bedeutenden Faktor der Konsumausgaben dar und spielen für die Preisentwicklung eine wichtige Rolle. Bezogen auf den harmonisierten Verbraucherpreisindex der Europäischen Union haben die Wohnausgaben ein Gewicht von 6 %, womit sie seit 1997 mit durchschnittlich 0,1 % zur Inflation im Gebiet der Europäischen Union beigetragen haben. Immobilienmärkte In den letzten Jahren ist das Interesse der Zentralbanken an den Immobilien- und Geldpolitik märkten jedoch über diesen direkten Effekt auf die Preissteigerungsraten hinausgegangen. Nahezu alle großen Institutionen, wie beispielsweise die Europäische Zentralbank, die OECD, der Internationale Währungsfonds und die Europäische Kommission, haben sich intensiv mit der Dynamik der Immobilienpreise und deren Einflussfaktoren beschäftigt. In der Forschung und der Politik setzt sich zunehmend die Einsicht durch, dass Immobilienmärkte eine besondere Bedeutung für die Transmission geldpolitischer Impulse haben. Leitzinsänderungen können über die Immobilienpreise eine mittelbare Wirkung auf die Konjunktur einer Volkswirtschaft haben und so gegebenenfalls Aufschwünge und Abschwünge beeinflussen oder einleiten. Eindrucksvoll wird dies durch die Finanzmarktkrise belegt, die ihren Ausgangspunkt in dem US-amerikanischen Immobilienmarkt fand. Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt Auf der anderen Seite bedeutet dies jedoch auch, dass die Immobilienwirtschaft Kapitel 5 Wechselwirkungen sich stärker mit der Geldpolitik auseinandersetzen muss, um Preisentwicklungen früher antizipieren zu können. Im Folgenden sollen daher die Wechselwirkungen zwischen der Geldpolitik, der Konjunktur und den Immobilienmärkten näher ergründet werden. Darüber hinaus wird auch das Thema Inflation fokussiert – einmal, weil die Verhinderung der Inflation das wesentliche Ziel der Geldpolitik ist, und weil andererseits gemeinhin davon ausgegangen wird, dass Immobilien von Inflation profitieren. Zunächst wird jedoch die Geldpolitik kurz skizziert. 5.1 Grundzüge der Geldpolitik Eine moderne Volkswirtschaft ist ohne Geld nicht vorstellbar. Geld stellt eine Ziele und wichtige Grundlage für einen funktionierenden Tauschhandel dar. Schließlich Voraussetzungen wäre es ungemein schwierig, Partner für Transaktionen zu finden, da in den der Geldpolitik wenigsten Fällen beide Seiten ein Gut einsetzen möchten, das die jeweils andere Seite auch braucht. Darüber hinaus dient Geld als Wertaufbewahrungsmittel und als Rechengröße, um den Wert verschiedener Güter vergleichen zu können. Damit 91 Geld diese wichtigen Funktionen jedoch wahrnehmen kann, muss die Geldwertstabilität gesichert werden. Dies ist die Aufgabe der Zentralbanken. Sie müssen mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Instrumentarium dafür sorgen, dass die Geldmenge nicht zu weit ausgedehnt wird. Auf der anderen Seite dürfen sie die Geldzufuhr jedoch auch nicht zu weit drosseln, da anderenfalls eine wirtschaftliche Schrumpfung droht. Den Zusammenhang zwischen der Geldmenge, den Preisen und der Produktion realer Güter beschreibt am besten die Quantitätsgleichung des Geldes: Y¥P=U¥M mit Y: P: U: M: Handelsvolumen Preisniveau Umlaufgeschwindigkeit des Geldes Geldmenge Auf der linken Seite der Gleichung steht das mit dem Preisniveau bewertete Handelsvolumen, also der Wert der in einer Volkswirtschaft erstellten Güter und Dienstleistungen. Auf der rechten Seite finden sich dagegen die Menge des Geldes und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Die Umlaufgeschwindigkeit gibt an, Quantitätsgleichung des Geldes Kapitel 5 Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt wie oft ein Euro in einem bestimmten Zeitraum für den Kauf von Waren und Dienstleistungen eingesetzt wird. Je häufiger das Geld eingesetzt wird, desto größer ist damit die faktische Geldmenge. Vereinfachend wird häufig davon ausgegangen, dass die Umlaufgeschwindigkeit konstant ist. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass eine Erhöhung der Geldmenge keine direkte Auswirkung auf die Produktion hat. Dies kann z. B. damit begründet werden, dass die Wirtschaftssubjekte die Geldmengenerhöhung antizipieren. Eine Erhöhung der Geldmenge, bei einer Konstanz der übrigen Faktoren, wird sich folglich in einer Preisniveauerhöhung niederschlagen. Geht man davon aus, dass die Wirtschaftsleistung eines Landes kontinuierlich wächst, ist es also die Aufgabe der Zentralbank, die Geldmenge nur um so viel zu erhöhen, dass dadurch keine Inflation (Preisniveausteigerung) oder Deflation (Preisniveausenkung) ausgelöst wird. Dabei gilt allgemein die Preisniveaustabiltät bereits dann als erreicht, wenn die Inflation unter 2 % liegt. Geldmengen- Damit stellt sich jedoch die Frage, wie die Geldmenge gesteuert werden kann. steuerung Hierzu ist es hilfreich, sich die Tätigkeiten einer Bank zunächst an einem ganz einfachen Beispiel zu illustrieren. Den Ausgangspunkt soll eine Bank darstellen, die von ihren Kunden Einlagen in Höhe von 100 Geldeinheiten erhält (vgl. Mankiw, 92 2004). Dieses Geld bleibt in den Tresoren der Bank, d. h., die Bank gewährleistet ausschließlich die sichere Aufbewahrung des Geldes. Die Bilanz der Bank, die im Folgenden als erste Bank bezeichnet wird, sieht damit wie folgt aus: erste Bank Aktiva Reserven: Passiva 100 Einlagen: 100 Solange die Bank die Gelder ihrer Kunden nicht verwendet, findet keine neue Geldschöpfung statt. Angenommen, sie entscheidet sich jetzt, die Einlagen dazu zu verwenden, anderen Kunden einen Kredit zu geben. Dabei behält sie 10 % der Einlagen als Sicherheit. Diese Reserven sollen dazu dienen, eventuelle Auszahlungen der Kunden zu bedienen. Dann stellt sich das T-Konto der ersten Bank wie folgt dar: erste Bank Aktiva Reserven: Kredite: Passiva 100 Einlagen: 100 90 Der Kreditnehmer wird mit dem Geld eventuell ein Haus oder ein Auto bezahlen. In jedem Fall wird er das Geld an ein anderes Wirtschaftssubjekt weitergeben. Der Empfänger der Mittel wird seinerseits das Geld bei seiner Bank einzahlen. Auch Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt Kapitel 5 diese Bank, die der Einfachheit halber zweite Bank genannt wird, kann diese Einlagen verwenden, um Kredite zu vergeben. Wählt auch sie einen Reservesatz von 10 %, stellt sich ihre Bilanz wie folgt dar: zweite Bank Aktiva Passiva Reserven: 9 Kredite: Einlagen: 90 81 Hier wird schon deutlich, wie sich der Prozess fortsetzt. Jeder Kredit fließt, mitunter über Umwege, den Banken wieder als Einlage zu. Behält jede Bank 10 % der Einlagen als Reserve, setzt sich die Geldschöpfung mit ständig verringerten Werten fort. Genau genommen handelt es sich bei dem Geldschöpfungsprozess um eine unendliche Reihe, deren Wert mit Hilfe der folgenden Formel bestimmt werden kann: Geldmenge = Zusätzliche Einlagen Reservesatz In diesem Beispiel beträgt die Geldschöpfung insgesamt 100/0,1 = 1000 GE. Dabei Entstehung wird der Kehrwert des Reservesatzes als Geldschöpfungsmultiplikator bezeichnet. einer Kredit- Dieses einfache Beispiel zeigt, dass die Geldmenge umso größer wird, je geringer klemme der Reservesatz ist und desto mehr Einlagen die Kunden bei ihren Banken tätigen. Diese Faktoren kann die Zentralbank allerdings nur unzureichend steuern. Problematisch ist die Geldschöpfung insbesondere in Krisensituationen. Ziehen die Kunden aus Verunsicherung die Einlagen ab, und erhöhen die Banken zur Liquiditätssicherung die Reservesätze, die man in vereinfachter Weise auch als Eigenkapitalquoten interpretieren kann, wird die Geldmenge schnell reduziert, und es droht eine Kreditklemme. Steuern kann die Europäische Zentralbank die Geldmenge über verschiedene Instrumente Instrumente. Ein Instrument setzt direkt an der Reservepolitik der Banken an. der Geldmengen- Über die so genannte Mindestreserve kann die Zentralbank die Geschäftsbanken steuerung dazu zwingen, einen Teil ihrer Mittel bei der Zentralbank zu hinterlegen. Über Veränderungen des Mindestreservesatzes kann sie dann die Geldschöpfung anregen oder aber drosseln. Dieses Instrument wird jedoch eher selten verwendet, da Veränderungen des Mindestreservesatzes die Geschäftspolitik der Banken massiv beeinträchtigen. Vielmehr steuert die Bank die Geldmenge über Offenmarktgeschäfte. Dabei leiht sie den Geschäftsbanken im Austausch für die Überlassung von Sicherheiten Geld. Dieses Geld hat für die Banken die gleiche Bedeutung wie 93 Kapitel 5 Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt eine zusätzliche Einlage, d. h., es steht für die Kreditvergabe zur Verfügung. Da die Transaktion jedoch befristet ist, kann die Zentralbank regelmäßig nachsteuern, je nachdem, ob die Geldmenge zu schnell oder zu langsam steigt. Wie jede andere Bank verlangt die Zentralbank für die Ausleihungen Zinsen. Gerade die Höhe dieser Zinsen bestimmt den Geldmengenprozess. Schließlich geben die Banken die Konditionen im Wettbewerb an ihre Kunden weiter. Je höher der Zinssatz jedoch ist, desto weniger Kredite werden die Banken vergeben können. Offenmarktpolitik Die Europäische Zentralbank setzt fast ausschließlich auf die Offenmarktpolitik oder auch Hauptrefinanzierungsgeschäfte, wie die damit einhergehenden Instrumente der EZB bezeichnet werden. Der große Vorteil der Offenmarktpolitik ist die Möglichkeit, ständig nachsteuern zu können. So erhalten die Geschäftsbanken alle zwei Wochen die Möglichkeit, neues Zentralbankgeld zu erhalten. Über die so genannte Spitzenrefinanzierungsfazilität ist sogar eine kurzfristige Ausleihe über Nacht möglich. Bislang ist die EZB sehr erfolgreich mit ihrer Strategie. So lag die Inflationsrate zwischen 1999 und 2007 durchschnittlich bei 2,1 %, was in etwa dem Ziel der EZB entspricht. Ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Sicherstellung der Geldwertstabilität ist neben der reinen Technik auch die Glaubwürdigkeit einer Zentralbank. Gehen die Haushalte und Unternehmen 94 davon aus, dass die Preise steigen, ist es geldpolitisch äußerst schwierig, die Inflation wirksam zu bekämpfen. 5.2 Inflation Preisniveaustabilität Das wichtigste Ziel einer Zentralbank ist die Sicherstellung der Preisniveaustabi- wichtiges Ziel lität. Auf dieses Ziel wurde bereits mehrfach verwiesen, doch warum es so wichtig ist, scheint erklärungsbedürftig. Schließlich könnte man sich auch eine Welt vorstellen, in der die Preise kontinuierlich steigen. Mitunter wird in der Inflation sogar ein Vorteil gesehen. So gehen beispielsweise viele Immobilieneigentümer davon aus, dass ihre Wertanlage von der Inflation profitiert. 5.2.1 Kosten der Inflation Inflation und Gerade in den 1970er-Jahren gab es in der Politik eine intensive Diskussion über Arbeitslosigkeit Inflation. Legendär ist insbesondere der Spruch von Bundeskanzler Helmut Schmidt: „Lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit!“ Dieser Einschätzung lag die Phillips-Kurve zugrunde, die einen Zusammenhang zwischen der Inflation und der Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt Kapitel 5 Arbeitslosigkeit nahelegte. Tatsächlich kann eine überraschende Inflation kurzfristig die Beschäftigung fördern. Bleiben die Löhne konstant, während die Verbraucherpreise steigen, sinken die realen Arbeitskosten, was die Arbeitsnachfrage erhöht. Das Problem ist jedoch, dass sich die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften schnell auf eine solche Situation einstellen und dann in Vorwegnahme der Preissteigerung höhere Löhne verlangen. Dies kann eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Heute sind sich Ökonomen einig, dass die Beschäftigung nicht dauerhaft durch Inflation erhöht wird, die Politik also keine Wahlmöglichkeit zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit hat. Dies erklärt jedoch noch nicht, warum Inflation so schädlich ist. Zunächst einmal ist Inflation mit einer Umverteilung verbunden (vgl. Mankiw, 2004). Schuldner profitieren von der Inflation, weil ihre Schulden real weniger Inflation und Umverteilung Wert sind. Dies erklärt, warum die Unabhängigkeit der Zentralbank so wichtig ist. Schließlich ist der Staat in den meisten Fällen der größte Schuldner einer Volkswirtschaft. Wenn die Politik für die Geldpolitik verantwortlich wäre, bestünde stets ein Anreiz, die Schulden durch eine Geldmengenexpansion zu vermindern. Hierfür gibt es in der Geschichte zahllose Beispiele. Benachteiligt werden dagegen die Gläubiger, deren Forderungen real weniger Wert sind. Zum Teil wird diese Umver- 95 teilung durch die Anpassung der Zinsen vermindert. Schließlich setzen sich die Nominalzinsen aus dem realen Zinssatz und der Inflation zusammen. Diese Anpassung erfolgt jedoch zeitversetzt und nicht immer vollständig. In der Konsequenz sind die Haushalte damit in einer inflationären Volkswirtschaft weniger bereit, Geld zu verleihen. Damit wiederum sinken die Investitionen, was sich dann negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Verstärkt wird die Reduktion der Investitionen noch durch die Steuerpolitik. In Inflation und den meisten Ländern unterliegen Zinserträge der Besteuerung. Steigen nun infla- Besteuerung tionsbedingt die Nominalzinsen, müssen die Kapitaleigner höhere Steuern zahlen. Real erzielen sie jedoch keine höheren Erträge, sodass sie faktisch stärker besteuert werden. Ein Beispiel soll dies illustrieren: BEISPIEL In einem ersten Szenario beträgt der Realzinssatz 4 % und die Inflationsrate 0 %. Dann liegt der Nominalzinssatz ebenfalls bei 4 %. Die Zinserträge sollen mit 25 % versteuert werden, wodurch sich eine Realverzinsung des Kapitals nach Steuern von 3 % ergibt. Im zweiten Szenario bleibt alles gleich bis auf die Inflationsrate, die nun 8 % beträgt. Der Nominalzins beträgt dann 12 %. Nach der Steuerzahlung Kapitel 5 Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt verbleibt dem Haushalt noch eine Nominalverzinsung von 9 %, was einem realen Zinssatz von nur noch 1 % entspricht. Ohne dass die Leistungsfähigkeit also gestiegen ist, muss der Haushalt in dem Szenario mit Steuern nun 75 % seiner Erträge abführen. Dass dies seine Neigung mindert, Geld für Investitionen bereitzustellen, ist unmittelbar einsichtig. Weitere Probleme Darüber hinaus gibt es weitere Probleme der Inflation: der Inflation 쐍 „Schuhsohlen-Kosten“: Gerade bei sehr hoher Inflation sind die Haushalte gefordert, ihr Geld möglichst schnell auszugeben, da es ansonsten schnell an Wert verliert. Zu Zeiten der Hyperinflation in Deutschland mussten die Arbeiter ihren Monatslohn so schnell wie möglich in Waren umsetzen, da der Arbeitslohn am Ende des Monats bereits deutlich weniger Wert war. Die hiermit verbundenen Unannehmlichkeiten und Transaktionskosten, die auf der Tatsache beruhen, dass möglichst wenig Geld in der Brieftasche verweilen soll, werden als „Schuhsohlen-Kosten“ bezeichnet. 쐍 „Speisekarten-Kosten“: In vielen Fällen verursachen Preisänderungen Kosten. Dies ist insbesondere bei einem Restaurant unmittelbar einsichtig. Der Druck 96 einer Speisekarte ist schließlich mit Aufwand verbunden. Doch auch anderen Unternehmen entstehen Kosten durch Preisänderungen. Diese werden unter dem Begriff der „Speisekarten-Kosten“ subsumiert. 쐍 Schließlich erhöht die Inflation allgemein die Unsicherheit. Beispielsweise ver- liert das Geld als Rechengröße an Bedeutung, da Geldbeträge zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Realwerte aufweisen. Die dadurch entstehenden Unsicherheiten machen es Investoren unter anderem schwerer, erfolgreiche von weniger erfolgreichen Unternehmen zu unterscheiden. 5.2.2 Immobilien und Inflation Immobilie als Immobilien gelten als eine Anlageklasse, die weitgehend vor Inflation geschützt ist. Inflationsschutz? Die „Flucht ins Betongold“ ist geradezu sprichwörtlich, vor allem unter Praktikern gilt der vermeintliche Inflationsschutz als ein wesentlicher Vorteil von Immobilien. Teilweise wird sogar davon ausgegangen, dass die Immobilienpreise real steigen, wenn die Inflation anzieht. Diese Erwartung ist jedoch übertrieben. Theoretisch diskutiert wird jedoch, ob Immobilien einen besonders wirksamen Schutz vor der Entwertung des Vermögens darstellen. Begründet wird der Inflations- Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt Kapitel 5 schutz vor allem mit der Indexierung von Mieten. Gerade Mietpreise für Büroimmobilien (Giljohann-Farkas und Pfleiderer, 2008, 2) werden häufig an die Inflation gekoppelt und auch bei Wohnimmobilien, insbesondere im Ausland, ist dies nicht ungewöhnlich. Mietpreise für Einzelhandelsimmobilien sind oft umsatzabhängig, sodass auch hier zumindest eine partielle Anpassung erwartet wird. Immobilienrenditen und Inflation in Deutschland 170 160 150 140 Büro Handel 130 Wohnen Inflation 120 110 100 97 90 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Entwicklung der Total-Return-Indizes für verschiedene Immobiliennutzungsklassen und des Preisniveaus. Die Daten wurden so nominiert, dass sie im Jahr 1998 den Wert 100 annehmen. Quelle: Investment Property Databank, OECD, IW Köln Abb. 13: Immobilienrenditen und Inflation in Deutschland Abbildung 13 zeigt die Renditeentwicklung von Immobilien in Deutschland im Vergleich zur Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus. Tatsächlich entwickeln sich die Renditen schneller als das allgemeine Preisniveau, was aufgrund der mit den Investitionen verbundenen Risiken auch zu erwarten ist. Das Beispiel der Büroimmobilien zeigt jedoch, dass sich die Renditen zumindest zeitweise auch langsamer entwickeln können als die Inflation. Zwischen 2003 und 2006 erzielten die Investoren sogar negative Renditen, während sich das Preisniveau unverändert weiterentwickelte. Die zeitliche Entwicklung der Renditen und des Preisniveaus kann jedoch allenfalls ein Indiz darstellen, den Zusammenhang jedoch nicht belegen. Schließlich können die Entwicklung auch andere Faktoren beeinflusst Kapitel 5 Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt haben. Zur Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Inflation und Immobilienrenditen sind daher genauere empirische Analysen notwendig. Zusammenhang Wie ein Blick in die angelsächsische Literatur zeigt, ist der Zusammenhang zwi- zwischen Immobilien schen Immobilien und Inflation keineswegs eindeutig. Fama und Schwert (1977) und Inflation nicht waren unter den Ersten, die den Einfluss von Inflation auf Aktien untersucht eindeutig haben. Ihrer Analyse nach sind die Renditen von Aktien nicht positiv, sondern negativ korreliert, d. h., die Renditen sinken bei zunehmender Geldentwertung. Diese Studie wurde auf Immobilien übertragen und stellt den Ausgangspunkt einer Reihe von Forschungsbeiträgen zu diesem Thema dar, wobei die Ergebnisse keineswegs eindeutig sind. Für Deutschland haben insbesondere Maurer und Sebastian (2002) das Thema anhand von Daten für offene Immobilienfonds untersucht. Ihre Analyse legt dabei nahe, dass offene Immobilienfonds im Vergleich zu Aktien und Anleihen die Anleger besser vor Geldentwertung schützen können. In einer aktuellen Analyse haben Demary und Voigtländer (2009) den Inflationsschutz von Immobilienaktien und Direktanlagen, unterschieden nach verschiedenen Nutzungsklassen (Wohnen, Büro und Handel), untersucht. Dabei haben sie auch gesamtwirtschaftliche Faktoren wie das Wirtschaftswachstum mit berücksichtigt, da die Inflation schließlich das Investitionsniveau beeinträchtigt. 98 Wohnimmobilien Ihre Analyse zeigt, dass Immobilienaktien ebenso wie andere Aktien keinen mit relativ Schutz gegen Inflation bieten. Die Korrelationen sind sogar negativ, d. h., ein stei- bestem Schutz gendes Preisniveau wirkt sich negativ auf die Renditen aus. Eine Erklärung hierfür vor Inflation könnte sein, dass die Investoren aufgrund der Inflation und der damit einhergehenden möglichen Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Situation ihre Erwartungen anpassen. Direktanlagen bieten hingegen einen besseren Inflationsschutz. Zwischen den Nutzungsklassen gibt es dabei jedoch signifikante Unterschiede. Handelsimmobilien bieten letztlich nur einen geringen Schutz, was vor allem an der Schwierigkeit der Händler liegen dürfte, ihrerseits die Umsätze bei steigenden Preisen zu vergrößern. Büroimmobilien dagegen bieten der Analyse zufolge einen größeren Schutz. Grundsätzlich sind Büromieten zwar indexiert, es stellt sich jedoch die Frage, ob die Eigentümer ihre höheren Mieten auch tatsächlich durchsetzen können. Schließlich sind gerade bei Neuverträgen Rabatte üblich. Außerdem könnte infolge anziehender Nominalmieten der Leerstand steigen, zumal die wirtschaftliche Aktivität im Zuge der Geldentwertung abnimmt. Wohnimmobilien bieten dagegen den größten Schutz, was auf die Besonderheit des Gutes „Wohnen“ zurückzuführen sein dürfte. Schließlich kann der Wohnkonsum kurzfristig nicht substituiert werden, sodass Vermieter die allgemeine Preissteigerung in der Regel vollständig an die Mieter weitergeben können. Dies ist gerade für Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt Kapitel 5 institutionelle Investoren wie Versicherungen und offene Immobilienfonds interessant. Schließlich versuchen diese Investoren ihre Portfolien vor makroökonomischen Risiken weitgehend zu schützen. Insgesamt zeigt sich, dass das Thema Immobilien und Inflation sehr differen- Keine Überbewertung ziert zu betrachten ist. Dass Immobilien einen gewissen Schutz bieten, sollte letztlich nicht überbewertet werden. Schließlich leiden langfristig auch die Ertragsperspektiven von Immobilieninvestoren unter der durch die Inflation abgeschwächten wirtschaftlichen Entwicklung. 5.3 Wechselwirkungen zwischen Geldpolitik, Konjunktur und Immobilienmärkten Für das Verständnis der Transmissionsmechanismen, also der Übertragung von Faktoren der Immo- geldpolitischen Impulsen auf die Gesamtwirtschaft, ist es hilfreich, sich noch bilienpreisbildung einmal zu vergegenwärtigen, welche fundamentalen Faktoren den Immobilienpreis bestimmen (vgl. Kapitel 3). Der Vermögenswert einer Investition beruht grundsätzlich auf den jährlichen, diskontierten Einnahmen abzüglich der Ausgaben. Bezogen auf Immobilien bedeutet dies, dass der Marktpreis der Immobilien zum einen durch die Nettomieteinnahmen (bzw. im Fall selbstgenutzter Immobilien durch die gesparten Mietkosten) und zum anderen durch den Diskontierungsfaktor, der in der Regel dem Kapitalmarktzins (zuzüglich einer geeigneten Risikoprämie) entspricht, determiniert wird. Je höher die Nettomieteinnahmen sind und je geringer die Verzinsung alternativer Kapitalanlagen ist, desto höher fällt der Immobilienpreis aus. Für die Geldpolitik sind vor allem Immobilienpreisänderungen aufgrund von Zinssatzänderungen relevant. Der Grund für die eingeschränkte Bedeutung von Immobilienpreisschwankungen aufgrund veränderter (erwarteter) Mietpreise wird deutlich, wenn man die Verteilungswirkungen der beiden Einflussgrößen näher betrachtet. Steigen die Nettomieteinnahmen oder erwarten die Marktakteure eine solche Entwicklung, realisieren die Eigentümer der Immobilien einen Vermögenszuwachs. Auf der anderen Seite stellen sich jedoch potenzielle Immobilienkäufer und Mieter schlechter, da sie zum Erwerb einer Immobilie länger und mehr Geld sparen müssen bzw. eine höhere Miete zahlen müssen. Auf der Aggregatebene können sich die beiden Effekte ausgleichen, sodass ein spürbarer Impuls für die Gesamtwirtschaft ausbleibt. Nur wenn die Quote der Selbstnutzer sehr 99 Kapitel 5 Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt hoch oder die Konsumneigung der betroffenen Gruppen sehr unterschiedlich ist, gehen von den Mietpreisänderungen signifikante Wirkungen auf die Gesamtnachfrage aus. Preisänderungen Anders stellt sich hingegen die Situation bei Zinssatzänderungen dar. Sinken aufgrund von die Zinsen, also die Erträge alternativer Kapitalanlagen, realisieren die Eigentümer Zinsänderungen einen Vermögensgewinn, ohne dass die Mieter zusätzlich belastet werden. Auch potenzielle Käufer, die für den Immobilienerwerb hauptsächlich Fremdkapital verwenden möchten, werden nicht schlechter gestellt, weil sie aufgrund der gesunkenen Zinsen mit geringeren Hypothekenzinsen belastet werden. Dieser Betrachtungsweise von Zinsänderungen liegt jedoch die Annahme zugrunde, dass die Zinsänderung dauerhaft und nicht infolge veränderter kurzfristiger Inflationsoder Wachstumserwartungen auftritt. Wie sich Zinsänderungen über die Immobilienpreisentwicklung auf die Gesamtwirtschaft auswirken können, soll im Folgenden anhand von Abbildung 14 dargestellt werden Der immobilienwirtschaftliche Transmissionsmechanismus 100 Geldpolitischer Impuls Kapitalkosten Hypothekenzinsen Immobilienpreise Vermögenseffekt Verfügbares Einkommen Kreditmarktkanal Privater Konsum Quelle: Hüther, Jäger und Voigtländer (2008) Abb. 14: Der immobilienwirtschaftliche Transmissionsmechanismus Wirkungen Ausgangspunkt sind immer die geldpolitischen Instrumente der Zentralbank, die der Geldpolitik die Geldmengenexpansion und die Refinanzierungssätze der Banken bestimmen. Für die Europäische Zentralbank sind vor allem die Hauptrefinanzierungsgeschäfte relevant, da sie bestimmen, zu welchen Konditionen Geschäftsbanken Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt Kapitel 5 liquide Mittel erhalten können. Betreibt die Zentralbank eine expansive Geldmengenpolitik, sinken die Refinanzierungskosten der Banken, und sie werden im Wettbewerb diesen Vorteil an die Kunden weitergeben, d. h., die Kreditzinsen sinken. Aktien, Anleihen und andere Anlageformen, wie z. B. Immobilien, sind dann bei zunächst unveränderten Kursen bzw. Preisen relativ attraktiv, sodass die Nachfrage nach ihnen steigt. Bei einem kurzfristig unelastischen Angebot bewirkt dies eine Preissteigerung. Da die zusätzliche Nachfrage zunächst nicht durch Neubauten gedeckt werden kann, werden die Immobilienpreise jedenfalls kurz- und mittelfristig steigen. Weiterhin wirkt sich preissteigernd aus, dass die Hypothekenzinsen infolge der verbesserten Refinanzierungsmöglichkeiten der Banken sinken. Somit wird der Eigentumserwerb gegenüber dem Mieten relativ günstiger, mehr Haushalte werden in die Lage versetzt, Eigentum zu erwerben. Auch hier ist wieder damit zu rechnen, dass aufgrund der langen Bautätigkeit die Nachfrageerhöhung nach Immobilien zu einer Preiserhöhung führt. Höhere Immobilienpreise können über zwei Mechanismen den privaten Stimulierung Konsum und somit die Konjunktur stimulieren: Erstens über den Vermögenseffekt des privaten und zweitens über den Kreditkanal. Dabei sind beide Mechanismen nicht isoliert Konsums zu betrachten, sondern bedingen sich gegenseitig. Nach dem Vermögenseffekt werden Haushalte ihre Konsumneigung erhöhen, weil sie nun über ein größeres Vermögen verfügen. Tendenziell werden Haushalte Vermögenseffekt in Anbetracht ihres gestiegenen Vermögens andere Ersparnisse auflösen und/oder ihre Sparaktivitäten reduzieren. In beiden Fällen führen gestiegene Immobilienpreise zu einem höheren privaten Konsum. Maßgeblich verstärkt werden kann der Vermögenseffekt durch den Kreditkanal, dem in den letzten Jahren in der Forschung verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Gewöhnlich ist es privaten Haushalten aufgrund von Kreditmarktrestriktionen nicht möglich, in beliebiger Weise Kredite aufzunehmen, selbst wenn ihr zukünftiges Einkommen im Prinzip eine Finanzierung erlauben würde. Sie müssen Sicherheiten nachweisen, um das Ausfallrisiko für die Bank zu reduzieren. Da Immobilien weithin als Sicherheiten fungieren, bedeuten steigende Immobilienpreise, dass die Haushalte zusätzliche Kreditmöglichkeiten erhalten. Eine Möglichkeit zur Realisierung des zusätzlichen Konsums besteht über das in Deutschland noch wenig verbreitete, aber im angelsächsischen Raum gebräuchliche Mortgage Equity Withdrawal (MEW). Hiernach können Immobilieneigentümer ihren Hypothekenkredit bei steigenden Vermögenswerten aufstocken, um so zusätzliche Konsummöglichkeiten zu erhalten. Außerdem, und hier wird die Verbindung zum Vermögenseffekt besonders deutlich, kann der Preisanstieg den Kreditkanal 101 Kapitel 5 Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt Immobilienbesitzer dazu bewegen, anderweitige, bisher nicht genutzte Kreditmöglichkeiten zu ergreifen, beispielsweise in Form von Verbraucherkrediten. Schließlich wird der private Konsum auch direkt über den Rückgang der Hypothekenzinsen belebt. Da die Hypothekennehmer geringere Zinszahlungen leisten müssen, sinkt ihre Finanzierungslast, und sie erhalten einen größeren Spielraum für Konsumausgaben. Immobilienwirtschaft- Über das Zusammenspiel von Vermögenseffekt und Kreditkanal kann der licher Transmissions- immobilienwirtschaftliche Transmissionsmechanismus besonders effektiv geld- mechanismus politische Impulse auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Besonders für die USA wird vermutet, dass die Binnennachfrage wesentlich durch steigende Immobilienpreise getragen wird bzw. wurde. Die andere Seite der Medaille, nämlich eine deutliche Schwächung des Konsums bei fallenden Preisen, kann jedoch seit 2007 beobachtet werden. Die notwendigen Zinsschritte der Federal Reserve ab 2004 haben einen Preisrückgang eingeleitet, wobei jedoch erschwerend hinzu kam, dass sich zuvor teilweise Zinsen und Mieterträge von der Preisentwicklung abkoppelt hatten. Neben dem direkten Effekt der Zinserhöhung auf die Immobilienpreise hatten die Zinsschritte daher auch spekulative Anleger zu einem Rückzug aus dem Immobilienmarkt bewegt, was den Preisrückgang deutlich verstärkte. Haushalte, 102 die Hypothekendarlehen ohne feste Zinsbindung oder mit kurzen Laufzeiten gewählt hatten, traf dies in doppelter Hinsicht: Erstens, weil sich ihre Schulden relativ zum Vermögen erhöhten, und zweitens, weil sie aufgrund der Zinserhöhungen auch höhere Hypothekenzinsen tragen mussten. Ein Crash auf dem Immobilienmarkt kann sich so leicht auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Unabhängig von den Möglichkeiten eines Booms oder Crashs auf den Immobilienmärkten bleibt festzuhalten, dass der immobilienwirtschaftliche Transmissionsmechanismus ein besonders wichtiges Vehikel für die Geldpolitik darstellt und daher ständig beobachtet werden sollte. Allerdings ist zu beachten, dass die Effektivität der dargelegten Transmissionsmechanismen nicht nur von dem Verhalten der privaten Haushalte abhängt, sondern zu einem wesentlichen Teil auch von den institutionellen Gegebenheiten. Faktoren des Transmissionsmechanismus Im Folgenden sind beispielhaft einige Faktoren aufgeführt, die den Transmissionsmechanismus maßgeblich beeinflussen können: 쐍 Eigenheimquote Je höher die Eigentumsquote in einer Volkswirtschaft ist, desto stärker wirkt der Vermögenseffekt. Zinsen, Geldpolitik und Immobilienmarkt Kapitel 5 쐍 Zinsanpassung der Hypothekendarlehen Bei fixen Zinssätzen bleibt der Kreditkanal für bereits bestehende Verträge weitgehend wirkungslos. 쐍 Möglichkeit des Mortgage Equity Withdrawal Sofern diese Möglichkeit ausgeschlossen wird, fehlt den Haushalten das maßgebliche Instrument zur Liquidierung ihrer Vermögensgewinne. 쐍 Beleihungsgrenze und Bewertungsgrundlage Je geringer die Beleihungsmöglichkeiten sind, desto weniger stark wirkt der Kreditkanal. Wichtig ist dabei auch die Bewertungsgrundlage (Beleihungswert, Marktwert) und die Beleihungsgrenze. Wenn von historischen Werten ausgegangen wird, kann der gestiegene Marktpreis nicht als Sicherheit fungieren. 쐍 Transaktionssteuern Hohe Transaktionssteuern, wie beispielsweise die Grunderwerbsteuer, behindern den Handel mit Immobilien und stehen damit der Liquidierung von Immobilienvermögen zu Konsumzwecken entgegen. Wie die nachfolgende Tabelle 3 zeigt, sind die institutionellen Regelungen hinsichtlich dieser Faktoren in Deutschland, Großbritannien und den USA sehr unterschiedlich. 103 Tabelle 3: Ausgewählte Charakteristika der Immobilienmärkte in Deutschland, Großbritannien und den USA Hypothekensystem Eigenheimquote ZinsMEW anpassung* Typische Beleihungsausläufe Bewertungsmethode Grunderwerbsteuer Deutschland 41,6 % Fix Nein 60–80 % Beleihungswert 3,5 % Großbritannien 71,3 % Variabel Ja 90–100 % Marktwert 1–4 % USA 66,9 % Fix Ja 80–100 % Marktwert 1–2,625 % * Die Angaben zur Zinsanpassung gelten für den überwiegenden Teil der Hypothekendarlehen. In den USA sind beispielsweise zwischen 30 und 40% der Hypothekenzinsen variabel. Quelle: Jäger und Voigtländer (2007) Anhand der dargestellten Charakteristika wird deutlich, dass der deutsche Wohn- Ursachen der stabilen immobilienmarkt weit weniger empfänglich für geldpolitische Impulse ist als etwa Preisentwicklung der britische oder amerikanische Markt. Dies bietet eine Erklärung für die im inter- in Deutschland nationalen Vergleich sehr stabile Preisentwicklung in Deutschland. Mit zunehmender Flexibilisierung des deutschen Immobilienfinanzierungsmarktes ist künftig jedoch auch in Deutschland mit etwas stärkeren Reaktionen zu rechnen. Kapitel 6 6 104 Immobilienzyklen und spekulative Blasen Immobilienzyklen und spekulative Blasen Zyklische Immobilienpreise unterliegen immer wieder zyklischen Schwankungen. Beson- Schwankungen ders gut lässt sich dies am Beispiel Großbritannien zeigen, wo Hauspreise schon der Immobilien- seit den 1950er-Jahren landesweit statistisch erfasst werden (Abbildung 15). Immer preise wieder folgte einer Phase stark anziehender Preise eine Phase mit einem deutlichen Rückgang der Wachstumsrate. Betrachtet werden hier nur die nominalen Zuwächse. Bei einer Betrachtung realer Größen wären tatsächlich mehr Phasen negativer Wachstumsraten zu beobachten. Besonders Anfang der 1990er-Jahre und zwischen 2007 und 2009 waren starke Preisrückgänge zu beobachten. Diese Phasen können als Immobilienkrisen bezeichnet werden. Sie folgen jeweils auf eine Phase besonders stark anziehender Preise. Der britische Immobilienmarkt weist eine besonders hohe Volatilität auf und zeichnet sich durch sehr ausgeprägte Boom- und Crash-Phasen aus. Insgesamt kann sich jedoch kein Immobilienmarkt den Zyklen entziehen, auch wenn sich die Dauer und die Stärke der Zyklen deutlich unterscheiden können. Nicht immer müssen dabei Preisabschwünge in Immobilienkrisen enden. Definition der Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich wählt als Definition einen Immobilienkrise Preisrückgang um mehr als 60 % des durchschnittlichen Preisrückgangs während eines Abschwungs. Nach dieser Definition gab es in 14 OECD-Staaten in den letzten Jahrzehnten 20 Immobilienkrisen. In 40 bis 60 % der Fälle folgte auf einen Immobilienzyklen und spekulative Blasen Kapitel 6 Preisaufschwung eine Immobilienrezession mit einem durchschnittlichen Wertverlust von 27 % (Helbling, 2005). Die Zyklen sind keineswegs auf Wohnimmobilien beschränkt. Im Gegenteil, gerade in Büroimmobilienmärkten sind besonders starke Ausschläge nach oben Zyklen auf allen Immobilienmärkten und unten zu beobachten. Ferner kann man keineswegs von „dem Zyklus“ sprechen. Sowohl die Amplituden als auch die Dauer der Zyklen unterscheiden sich teilweise deutlich. Auch dies zeigt das britische Beispiel. So gab es etwa in den 1970er-Jahren einen sehr ausgeprägten Zyklus, während sich der Immobilienmarkt in den 1980er-Jahren weitgehend konstant entwickelte. Sowohl bezüglich der Dauer als auch der Amplitude sind daher nur schwer Vorhersagen zu treffen. Veränderung der britischen Hauspreise gegenüber dem Vorjahresquartal % 50 40 30 20 10 0 –10 –20 53 57 60 63 66 70 73 76 79 83 86 89 92 96 99 02 05 09 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 20 20 20 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Quelle: Nationwide Abb. 15: Veränderung der britischen Hauspreise gegenüber dem Vorjahresquartal Zunächst werden die Gründe für die zyklische Entwicklung der Immobilienpreise betrachtet. Außerdem soll auch das Phänomen spekulativer Blasen, deren Platzen zumeist eine Immobilienkrise einleiten, genauer untersucht werden. Dabei nimmt Deutschland eine Sonderposition ein: Denn der deutsche Immobilienmarkt hat sich in den letzten Jahren als äußerst stabil erwiesen und sich weitgehend von der internationalen Entwicklung, die durch eine zunehmende Synchronität gekennzeichnet ist, abgekoppelt. 105 Kapitel 6 Immobilienzyklen und spekulative Blasen 6.1 Ursachen für Immobilienzyklen Konjunkturzyklen und Ein wesentlicher Grund für das Auftreten von Immobilienzyklen ist der Konjunk- Immobilienzyklen turzyklus. Nicht nur Immobilienpreise, sondern auch die Gesamtwirtschaft unterliegt im Zeitablauf Schwankungen. Da die Nachfrage nach Immobilien von der Einkommens- und Beschäftigungsentwicklung abhängt, ist es unmittelbar einsichtig, dass sich Immobilien von der konjunkturellen Entwicklung nicht lösen können. Die konjunkturelle Entwicklung kann jedoch nur einen Teil des Zyklus erklären. Schließlich sind die konjunkturellen Ausschläge wesentlich kleiner als die Immobilienpreisschwankungen. Darüber hinaus leiten Immobilienkrisen häufig auch Rezessionen ein, d. h., die Immobilienpreise selbst haben einen erheblichen Effekt auf die Konjunktur (vgl. Demary, 2008). Da ein Großteil der Kredite für Immobilien vergeben wird, kann ein Rückgang der Preise zu einer Reduzierung von Kreditsicherheiten mit negativen Folgen für das Kreditvolumen führen. Dadurch wird häufig eine konjunkturelle Krise eingeleitet. 106 Vier Phasen des Um den Immobilienzyklus zu verstehen, ist es hilfreich, ihn schematisch in vier Immobilien- Phasen zu unterteilen (vgl. Rottke, 2008). Diese vier Phasen und die damit verbun- zyklus denen Marktentwicklungen sind in Tabelle 4 dargestellt. Tabelle 4: Phasen des Immobilienzyklus Phase Flächennachfrage Absorption Neuflächenbestands zuwachs Mieten Leerstand Fremdkapitalverfügbarkeit Konjunktur Überbauung – – ++ – + 0 – Marktbereinigung – –/0 + – ++ – – Marktstabilisierung +/0 + – +/0 – –/0 +/0 Projektentwicklung ++ ++ –– + –– ++ ++ Quelle: Rottke (2008) Die erste Phase ist durch eine ausgeprägte Überbauung (Angebotsüberhang) geprägt. In dieser Phase steigt der Neuflächenbestand stark an, die Flächennachfrage ist jedoch rückläufig. Folglich gehen auch die Mieten langsam zurück und der Leerstand steigt. Begleitet wird diese Entwicklung häufig durch eine abflauende Konjunktur. Verschärft wird diese Entwicklung in der zweiten Phase, der Markt- Immobilienzyklen und spekulative Blasen Kapitel 6 bereinigung. Es kommen immer noch neue Flächen auf den Markt, allerdings weniger als in der ersten Phase. Die Flächennachfrage geht jedoch noch weiter zurück. Somit geben die Mieten deutlich nach und der Leerstand steigt. In dieser Phase sind die Banken kaum bereit, neue Projekte zu finanzieren. In der Folge sind Insolvenzen und Notverkäufe von Immobilieneignern nicht auszuschließen. Nach der Marktbereinigung folgt die dritte Phase, die der Marktstabilisierung. Aufgrund der niedrigeren Mieten, der gegebenenfalls wieder anziehenden Konjunktur und/oder günstigeren Finanzierungen zieht die Flächennachfrage wieder an. Neue Flächen werden jedoch noch nicht angeboten, sodass die Mieten leicht ansteigen und der Leerstand etwas zurückgeht. Dieser Trend setzt sich in der nächsten, der vierten Phase, fort. Die Nachfrage steigt weiter an, die Bautätigkeit ist jedoch immer noch niedrig. Dafür werden jedoch umso mehr Projekte geplant und auch die Banken sind in dieser Phase bereit, neue Finanzierungen bereitzustellen. Die so geplanten Projekte werden dann in der Phase des Angebotsüberhangs fertiggestellt, womit sich der Kreis wieder schließt. Wie bereits festgestellt wurde, verlaufen die Immobilienzyklen keineswegs Grundsätzliche gleich, auch die Abfolge der Marktentwicklungen kann sich unterscheiden. Das Ursache von Schema von Rottke (2008) macht jedoch das grundsätzliche Problem deutlich: Immobilien- Immobiliennachfrage und Immobilienangebot (Bautätigkeit) fallen auseinander. zyklen In Zeiten starker Nachfrage gibt es wenig neue Angebote, sodass die Preise dann stark anziehen. Die aufgrund dieser Signale begonnenen Projekte werden erst dann fertiggestellt, wenn die Nachfrage bereits wieder zurückgeht. Damit wird der Abwärtstrend verstärkt. Wesentliches Problem für den Immobilienmarkt sind also Time-Lags auf der Angebotsseite, d. h. verzögerte Reaktionen des Marktes auf neue Rahmenbedingungen. Dabei können drei verschiedene Lags identifiziert werden: 쐍 Preismechanismus-Lag Die Bauwirtschaft reagiert auf Preissignale. Steigen die Preise, wird der Neubau attraktiver. Aufgrund der Heterogenität und Intransparenz des Marktes sind die Preissignale jedoch oft nicht eindeutig und erreichen die Marktakteure erst verzögert. Die darauf fußende Unsicherheit verlängert den Entscheidungsprozess. 쐍 Entscheider-Lag Große Unternehmen – egal ob Bauunternehmen, Immobilienunternehmen oder Projektentwickler – sind durch lange Entscheidungsprozesse gekennzeichnet. Time-Lags 107 Kapitel 6 Immobilienzyklen und spekulative Blasen 쐍 Konstruktions-Lag Planung und Fertigstellung eines neuen Gebäudes benötigen mitunter Jahre. In dieser Zeit kann sich der Markt deutlich geändert haben. Darüber hinaus gibt es weitere Gründe für die häufig auftretenden Überangebote. So werden Manager vor allem dann bezahlt, wenn sie Projekte abschließen. Dies verleitet die Manager dazu, auch dann neues Angebot zu schaffen, wenn die Aussichten ungewiss sind. Auch die Datenlage und die Prognosen sind oft nicht gut genug, um die Entscheidungsgrundlage zu verbessern. Hinzu kommt, dass die Projektentwickler oft gar nicht wissen, welche Projekte die Konkurrenz plant. Ihr Angebot zu drosseln, wäre für alle vorteilhaft, weil dadurch die Preise stabil bleiben würden. Aufgrund der fehlenden Koordination, die aus wettbewerblichen Gründen auch wünschenswert ist, bleibt dies jedoch aus. Schließlich haben institutionelle Anleger wie Fonds oder Versicherungen häufig einen Anlagedruck und müssen die Gelder ihrer Kunden investieren. So wird teilweise auch zu ungünstigen Zeiten das Angebot weiter erhöht. 108 Exogene Dass Immobilienzyklen nicht immer gleich sind, hängt vor allem mit den exo- Einflüsse genen Einflüssen zusammen. Neue Technologien, steuerliche Förderungen oder gesetzliche Auflagen (wie z. B. Klimaschutz) können einen Zyklus verändern oder verstärken. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für einen exogenen Einfluss stellt die Wiedervereinigung dar. Weltweit fielen die Immobilienpreise Anfang der 1990er-Jahre. In Deutschland wurde durch die Wiedervereinigung ein Preisaufschwung beobachtet. 6.2 Spekulative Blasen In Kapitel 3 wurde ausführlich dargelegt, wodurch der Immobilienpreis bestimmt wird. Im Mittelpunkt standen dabei die fundamentalen Faktoren bzw. der fundamentale Preis einer Immobilie. Immer wieder ist jedoch zu beobachten, dass sich die Immobilienpreise von der fundamentalen Entwicklung abkoppeln, also deutlich schneller steigen als z. B. die Zins- und Einkommensentwicklung dies erwarten lassen würden. In diesen Fällen spricht man von einer spekulativen Blase. Immobilienzyklen und spekulative Blasen Nach dem so genannten Discounted-Cashflow-Modell resultiert der Immobilienpreis aus den zukünftigen diskontierten Mieterträgen. Der Preis beruht folglich Kapitel 6 Erwartungsbildung ist Schlüssel zum Problem auf künftigen Preisen, nämlich den Mieten und den Zinsen. Da beide Größen nicht bekannt sind, basieren die Preise also auf der Erwartungsbildung über diese Größen. Immobilien haben eine lange Lebensdauer. Für die Bestimmung des Fundamentalwertes ist es folglich notwendig, sich eine Vorstellung über die Entwicklung von Mieten und Zinsen über einen Zeitraum von 40 Jahren und mehr zu machen. Dies überfordert nicht nur Laien, sondern auch professionelle Immobilieninvestoren. In der Regel schreibt man daher die Entwicklung der letzten Jahre fort. Dies kann bei einer durchschnittlichen Entwicklung ein durchaus angemessener Ansatz sein. Waren die letzten Jahre jedoch durch eine sehr starke Entwicklung gekennzeichnet, kann es schnell zu einer zu optimistischen Bewertung kommen. Tatsächlich kann man sich dem nur schwer entziehen. In den USA waren die Preise seit 1995 sehr stark gestiegen, was sowohl auf die gute wirtschaftliche Situation als auch auf niedrige Zinssätze zurückzuführen war. Haushalte und Unternehmen hatten über einen Zeitraum von zehn Jahren ausschließlich stark anziehende Immobilienmärkte erlebt und diese Entwicklung weiter fortgeschrieben. Nur so ist es plausibel, dass trotz einer Verdoppelung der Preise in vielen 109 Regionen zahlreiche Haushalte unbedingt Eigentum erwerben wollten. Doch auch institutionelle Investoren hatten weiter in Wohnungen und Gewerbeimmobilien investiert, obwohl es schon seit Jahren Warnungen von Seiten der OECD oder des IWF gab. Dies ist vornehmlich auf den „Herdentrieb“ zurückzuführen. Auch professionelle Investoren müssen unter Unsicherheit agieren und werden an einem Benchmark gemessen, d. h., die Performance der Investmentmanager wird an dem durchschnittlichen Ergebnis der übrigen gemessen. Da auch Fondsmanager, zumindest was ihre eigene Position betrifft, eher risikoavers agieren, orientieren sie sich mit ihrem Investitionsverhalten an der Masse der übrigen Manager, der „Herde“. Schließlich ist es leichter verzeihlich, mit der Masse zu irren, als der Einzige zu sein, der einen Trend verpasst. Hierdurch wird die bestehende Nachfrage verstärkt, was eine beginnende Blasenbildung weiter fördert. Shiller (2005) nennt noch weitere Faktoren, die den „irrationalen Überschwang“ antreiben: 쐍 Medien Zeitungen, Zeitschriften und das Fernsehen berichten nur über Bullen- und Bärenmärkte und neigen dazu, bestehende Entwicklungen zu überzeichnen, um das Thema aufzuwerten. Gerade bei anziehenden Märkten wird dadurch Weitere Faktoren der Blasenbildung Kapitel 6 Immobilienzyklen und spekulative Blasen eine zusätzliche Nachfrage stimuliert; ob der vielen positiven Nachrichten fällt es auch professionellen Investoren zunehmend schwerer, sich einem Investment zu entziehen. Auf der anderen Seite werden jedoch auch negative Entwicklungen verstärkt. 쐍 Innovationen Neue Produkte, wie etwa die New Economy oder Verbriefungen, können vom Markt nur sehr schlecht eingeschätzt werden. Für diese Produkte gibt es auch keine Möglichkeit, die Entwicklung fortzuschreiben. Im Zusammenspiel mit dem Herdentrieb („Entwicklung nicht verpassen“) kommt es so oft zu einer überschießenden Nachfrage, was die Bildung einer spekulativen Blase begünstigt. 쐍 Intransparenz Fehlende Fakten und Analysen erschweren die rationale Einschätzung von Risiken. Gerade in Phasen großen Optimismus kann dies übertriebene Erwartungen schüren. Platzen Die beschriebenen Faktoren führen zu einer Überzeichnung der Erwartungen und von Blasen damit der Nachfrage und der Preise. Zu einem bestimmten Zeitpunkt kehren sich 110 die Erwartungen jedoch um und es setzt ein schneller Verkauf ein. Auslöser können eine Eintrübung der Konjunktur, eine politische Eskalation oder, wie im Fall des US-Immobilienmarktes, zunehmende Ausfälle von Krediten sein. Identifikation Damit stellt sich die Frage, wie spekulative Blasen identifiziert werden können. von Blasen Grundsätzlich ist dies schwierig, da sich Erwartungen nicht direkt ablesen lassen. So ist es zwar richtig festzustellen, dass eine spekulative Blase droht, wenn sich die fundamentalen Faktoren von den Preisen entfernen. Da jedoch nur die gegenwärtigen Fundamentalfaktoren bekannt sind, nicht jedoch deren zukünftige Entwicklung, bleibt eine solche Analyse unvollständig. Dennoch haben sich Ansätze wie der User-cost-of-Housing-Ansatz, der in Kapitel 3 vorgestellt wurde, bewährt, um Ungleichgewichte zu antizipieren. Andere Ansätze versuchen, die Ungleichgewichte mit ökonometrischen Methoden zu identifizieren. Dabei wird versucht, mittels historischer Daten den Verlauf der Preise zu erklären. Auf der Basis des so entwickelten Modells werden dann Prognosen für die letzten verfügbaren Daten berechnet. Die Abweichung der Prognose von den tatsächlichen Daten stellt dann eine Über- oder Unterbewertung dar. Das Problem ist hier jedoch, dass damit implizit die Zusammenhänge der Vergangenheit fortgeschrieben werden. Gerade Immobilienzyklen und spekulative Blasen Kapitel 6 wenn Innovationen oder neue politische Entwicklungen vorliegen, ist zu bezweifeln, dass dies sinnvoll ist. So werden spekulative Blasen auch in Zukunft immer wieder ein Thema sein. Wachsam sollten Martktteilnehmer insbesondere dann werden, wenn zunehmend Immobilien nur deshalb gekauft werden, um sie in naher Zukunft mit Gewinn zu verkaufen – dieser Gewinn ist aber nur dann zu realisieren, wenn die Erwartungen immer optimistischer werden. Der Bezug zu den fundamentalen Werten ist bei einer solchen Strategie nicht mehr vorhanden. 6.3 Deutschland in der Sonderrolle Auch der deutsche Immobilienmarkt weist Zyklen auf – sie sind jedoch deutlich Keine Preissteigerungen weniger ausgeprägt als in Großbritannien oder den USA. Auch den Preisboom seit Mitte der 1990er-Jahre hat der deutsche Immobilienmarkt nicht mitgemacht. Während im Durchschnitt der OECD-Staaten die Preise zwischen 2000 und 2007 um 68 % gestiegen sind, stagniert der deutsche Wohnimmobilienmarkt seit über 111 zehn Jahren (Abbildung 16). Jährliche Veränderung von Reihenhauspreisen in Deutschland % 8 6 4 2 0 –2 Abb. 16: Jährliche Veränderung von Reihenhauspreisen in Deutschland 08 06 20 04 20 02 20 00 Quelle: BulwienGesa AG 20 98 20 96 19 94 19 92 19 90 19 88 19 86 19 84 19 82 19 80 19 78 19 19 19 76 –4 Kapitel 6 Geringere Volatilität Immobilienzyklen und spekulative Blasen Darüber hinaus weist der deutsche Immobilienmarkt im internationalen Vergleich auch eine sehr viel geringere Volatilität auf, d. h., es gibt nur wenige Abweichungen von der durchschnittlichen Preissteigerung. Zwei wesentliche Gründe hierfür wurden schon in Kapitel 5 genannt: Deutschland hat eine ausgeprägte Festzinskultur, und die Wohneigentumsquote ist im internationalen Vergleich sehr gering. Anders als etwa in Großbritannien wirken sich Veränderungen der Zinssätze daher nicht auf das Haushaltseinkommen der Mehrheit der Bevölkerung aus. Darüber hinaus verändert sich aufgrund der Festzinskultur nach einer Zinsänderung nur bei einem kleinen Teil der Darlehensnehmer das verfügbare Einkommen. Damit kann sich der Immobilienmarkt weitgehend unabhängig von kurzfristigen Schwankungen entwickeln. Weniger Aufmerksamkeit Die geringe Wohneigentumsquote hat darüber hinaus weitere Auswirkungen durch geringere auf den Immobilienmarkt. So sind Immobilienpreise für die Medien nur von Eigentumsquote geringem Interesse, während die Immobilienpreisentwicklung in Großbritannien und den USA sehr aufmerksam verfolgt wird und in den Medien intensiv der richtige Einstiegszeitpunkt diskutiert wird. Dies wirkt sich beruhigend auf den Markt aus, da so wenig Nährboden für irrationale Über- oder Untertreibungen vorhanden ist. Auch für die Politik ist das Thema daher zweitrangig. 112 Dezentrale In vielen Ländern versucht der Staat aktiv die Immobilienpreise zu stützen, bei- Planung spielsweise durch eine restriktive Bauflächenausweisung. Gerade bei Ländern mit zentraler Planung, wie etwa Großbritannien, wird vermutet, dass durch die geringe Ausweisung von Bauland die Interessen der Wohneigentümer an hohen Preisen bedient werden (Evans und Hartwich, 2005). In Deutschland dagegen werden die Flächen dezentral ausgewiesen, wodurch benachbarte Kommunen und Städte, eben auch mit Hilfe des Baulandangebots, um Haushalte und Unternehmen konkurrieren. Schließlich ist es für die Städte attraktiv, wenn sich junge Familien und Unternehmen ansiedeln, da dies die Basis für künftige Steuereinnahmen sichert. Dezentrale Auch die dezentralen Wirtschaftsstrukturen in Deutschland dürften zu einer Wirtschaftsstrukturen stabileren Preisentwicklung beitragen. Während sich die wirtschaftliche Aktivität etwa in Frankreich oder Großbritannien auf die jeweilige Hauptstadt konzentriert, gibt es in Deutschland eine Vielzahl von Wirtschaftszentren. Das hat auch Auswirkungen auf die Preise. Eigentümer von Bauland oder Immobilien in London oder Paris befinden sich in einer sehr starken Marktposition, die tendenziell zu sehr hohen Preisen führt. In Deutschland hingegen konkurrieren die Anbieter nicht nur mit den anderen lokalen Anbietern, sondern auch mit den Anbietern in anderen Immobilienzyklen und spekulative Blasen Kapitel 6 Wirtschaftszentren. Schließlich können allzu hohe Bodenpreise schnell zu Standortveränderungen führen, was wiederum mäßigend auf die Preisentwicklung wirkt. Diese strukturellen Faktoren wirken generell dämpfend auf die Preisvolatilität. Verschobener Darüber hinaus ist der Immobilienzyklus in Deutschland insgesamt verschoben. Immobilienzyklus Nach einer Analyse des Internationalen Währungsfonds (2004) verlaufen die in Deutschland Immobilienpreiszyklen zunehmend synchron. Schließlich gleichen sich durch die Globalisierung auch die Konjunkturzyklen zunehmend an, und über den Kapitalmarkt können die Marktakteure Ungleichgewichte auf den Immobilienmärkten immer schneller zu ihrem Vorteil nutzen. Bedingt durch die Wiedervereinigung hat sich Deutschland jedoch von dem allgemeinen Zyklus abgekoppelt. Zu Beginn der 1990er-Jahre stiegen die Preise in Deutschland, obwohl sie weltweit gefallen sind. Als dann in der Mitte der 1990er-Jahre erkannt wurde, dass sich die wirtschaftlichen Erwartungen der Wiedervereinigung nicht erfüllen, gaben die Preise deutlich nach. Weltweit setzte dagegen Mitte der 1990er-Jahre der nun zu Ende gehende Preisboom ein. Die international gegenläufigen Entwicklungen und damit verbundenen Stimmungen haben mäßigend auf den deutschen Immobilienmarkt gewirkt. Darüber hinaus ist die Kapitalmarktorientierung des deutschen Immobilienmarktes noch sehr gering. Dies zeigt sich vor allem an der geringen Bedeutung von Immobilienaktiengesellschaften. Durch die Einführung von REITs könnte sich jedoch zumindest mittelfristig die Lage ändern. Zudem ist davon auszugehen, dass sich der deutsche Immobilienmarktzyklus im Zeitablauf wieder stärker an den internationalen Zyklus angleicht. 113 Kapitel 6 Literaturverzeichnis Akerlof, George (1970), The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: The Quarterly Journal of Economics, Jg. 84, Heft 3, S. 488–500. Braun, Reiner und Ullrich Pfeiffer (2006), Eigenheimförderung in Europa: Was Deutschland von anderen Ländern lernen kann, Deutsches Institut für Altersvorsorge (Hrsg.), Köln. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.) 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den USA nach Kreditstandards in Milliarden US-Dollar 86 Abb. 13: Immobilienrenditen und Inflation in Deutschland 97 Abb. 14: Der immobilienwirtschaftliche Transmissionsmechanismus Abb. 15: Veränderung der britischen Hauspreise gegenüber dem Vorjahresquartal Abb. 16: 100 105 Jährliche Veränderung von Reihenhauspreisen in Deutschland 111 119 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Gewinne aus der Immobiliensanierung in Geldeinheiten 27 Tabelle 2: Immobilieneigentümer – Geringere Wohnkosten im Rentenalter 73 Tabelle 3: Ausgewählte Charakteristika der Immobilienmärkte in Deutschland, Großbritannien und den USA Tabelle 4: Phasen des Immobilienzyklus 120 103 106 Stichwortverzeichnis A Aktienmarkt 61 ALG II 37 Allokation 25 Altersvorsorge 72 Anleihen 80 Anleihenmarkt 61 Annuität 78 Annuitätendarlehen 78 Anpassungsprozess 55 Anreize 10 Ansatz – hedonischer 21 – normativer 16 – positiver 16 Äquivalenzbeziehungen 34 Äquivalenzsteuer 35 Arbeitsteilung 11, 39 Asset Meltdown 49 Ausfallrisiko 84 Ausfallwahrscheinlichkeiten 80 Ausweichreaktion 33, 36 B Banken 74 Belegungsrechte 41 Beleihungsauslauf 79, 85 Beleihungsgrenze 82 Beleihungswert 81 Bestandsmarkt 24, 45 Beteiligungsgesellschaft 38, 68 Beteiligungsmarkt 68 Blase, spekulative 108 Bodenwertsteuer 35 Bonität 74, 85 Bundeskartellamt 29 Bürobeschäftigte 58 Büroimmobilien 57 Bürokratien 39 Büromarkt 58 C Cap-Darlehen 78 Commercial Mortgage Backed Securities 83 D Deckungsmasse 81 Deckungsstock 81 Deflation 92 De-Leveraging 79 Demografie 49 E Effekte, externe 13, 25 Effizienz 17 Einflüsse, exogene 108 Einkommen 48 Einkommenselastizität 58 Einzelhandelsimmobilien 58 Einzelhandelsumsatz 58 Ersparnis 61 Existenzminimum 37 Exit-Tax 67 F Finanzierung 62, 75 Finanzintermediäre 74 G Gefangenen-Dilemma 26 Geldmenge 15, 91 Geldpolitik 15, 91, 100 Geldschöpfungsmultiplikator 93 121 Stichwortverzeichnis Geldwertstabilität 15, 91 Gemeinnützigkeit 40 Gerechtigkeit 17, 34 Gewerbeimmobilien 57 Grenzbetrachtungen 10 Grunderwerbsteuer 25 Gutachterausschüsse 21 Güter – homogene 19 – öffentliche 39 H Hand, unsichtbare 12 Hartz IV 37 Hypothekendarlehen 52, 76 122 I Immobilienaktiengesellschaften 65 Immobilienangebot 45 Immobilienfonds – geschlossene 63 – offene 64 Immobilienmarkt 60 Immobiliennachfrage 47 Immobilienpreisindizes 44 Immobilienzyklen 106 Inflation 15, 83, 92, 94 Inflationsschutz 96 Information, asymmetrische 20, 22, 88 Initiator 63 Insolvenz 107 Investitionen 60 Investmentgesetz 64 K Kapitalanlagegesellschaft 64 Kapitalbindung 24 Kapitalmarkt 60, 74, 80 Klumpenrisiko 25 Konjunktur 14, 106 Konjunkturzyklus 106 Konsumgut 48 Konsumpläne 25 Kostenvorteile, komparative 11 Kreditkanal 101 Kreditklemme 93 Kreditmarkt 74 L Leerstand 45 Leistungsfähigkeitsprinzip 34 Liquiditätsschwemme 68 Lock-in-Effekt 36 M Makler 21 Marktgleichgewicht 54 Marktmacht 28 Marktungleichgewicht 24 Marktunvollkommenheit 13, 19 Marktversagen 42 Marktwirtschaft 12 Matching-Problem 20, 45 Mieten 50 Mietrecht 32 Mietstopp 42 Monopol 28 Mortgage Backed Securities 82 Mortgage Equity Withdrawal 101 N Nutzungsdauer 24 O Offenmarktgeschäfte 93 Offenmarktpolitik 94 Oligopol 29 Opportunitätskosten 9, 21 Stichwortverzeichnis P Pfandbriefe 80 Phillips-Kurve 16, 94 Planungsrecht 31 Planwirtschaft 12 Portfoliotheorie 69 Preismechanismus 13 Preis-Miet-Relation 55 Preisniveaustabilität 94 Preisrelation 55 Preistrend 44 Prinzipal-Agenten-Probleme 88 Private-Equity-Gesellschaft 68 Produktivität 14 R Rating 62 Real Estate Investment Trusts 65 Rechtssicherheit 31 Refinanzierung 80 Regulierung 11 Renditen 21 Rentenversicherung 73 Reservesatz 93 Rezession 83, 106 Risiko, moralisches 23 Risikoprämie 61 S Schuldverschreibungen 80 Segregation 42 Selektion, adverse 22, 74 Skaleneffekte 84 Sondertilgung 78 Spezialfonds 65 Spezialisierungen 11 Staatsversagen 43 Stadtumbauprogramm 28 Steuern 33 Steuerprivilegien 35 Subprime 83 Subventionen 36 Suchkosten 21 Such- und Informationskosten 20 T Tilgung 78 Time-Lags 107 Tobin-Q 46 Traglast 35 Transaktionskosten 25 Transmissionsmechanismus 102 U Umlaufgeschwindigkeit 91 Umverteilung 95 V Veräußerungsgewinnsteuer 67 Verbraucherpreisindex 90 Verbriefung 82, 84 Vermögenseffekt 101 Volatilität 51, 58, 71, 76, 104, 112 Vorfälligkeitsentschädigung 76 W Wettbewerb 18, 29 Wirtschaftswachstum 14 Wohneigentumsbildung 50 Wohneigentumsquote 112 Wohnfläche 48 Wohngeld 37 Wohnungsgesellschaft 38 Z Zahlungsproblem 41 Zentralbank 15 Zielkonflikte 9 Zinsen 51, 61, 76 Zugangsproblem 41 123 Kapitel Herausgeber: Verband deutscher Pfandbriefbanken e. V. Georgenstraße 21 10117 Berlin Telefon +49 30 20915-100 Telefax +49 30 20915-101 [email protected] http://www.pfandbrief.de Postanschrift: Postfach 64 01 36 10047 Berlin Abgeschlossen Dezember 2009 Grafische Konzeption, Layout und Abbildungen: FROMM MediaDesign, Selters/Taunus Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Alle Rechte vorbehalten. Die Wiedergabe von Auszügen ist nur unter Angabe der Quelle gestattet. Volkswirtschaftliches Basiswissen Immobilien b Volkswirtschaftliches Basiswissen Immobilien