DIE GRÜNE AGENDA für krisenfeste, verbraucher

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DIE GRÜNE AGENDA
für krisenfeste,
verbraucher- und
investitionsfreundliche
Finanzmärkte
GERHARD SCHICK / SVEN GIEGOLD / UDO PHILIPP
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Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
KOMMENTARE UND BEWERTUNGEN
Auf den folgenden Seiten haben wir unsere Sicht auf die wichtigsten
Elemente für eine Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und
investitionsfreundliche Finanzmärkte zusammengefasst. Sie beruhen
auf unseren Erfahrungen in der Finanzmarktpolitik in Bundestag
und Europaparlament sowie aus aktiver Tätigkeit im Finanzmarkt.
Jetzt hoffen wir auf Ihr und Eurer kritisch-konstruktives Feedback und
Vorschläge für Änderungen, Streichungen und Ergänzungen.
Wir freuen uns auf Kommentare und Bewertung bis zum 15. März 2016
Alle Kommentare werden wir bei der Erstellung der Endfassung
berücksichtigen, die dann zu einem gemeinsamen Beschluss der
Grünen wirtschafts- und finanzpolitischen Abgeordnetengruppen in
Europa­­­parlament und Bundestag führen soll.
Kommentiert werden kann hier:
https://www.discuto.io/en/consultation/11522
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INHALT
I.
DIE FINANZINDUSTRIE SICHERER MACHEN –
DIE GEFAHR EINER NEUEN KRISE BANNEN
DIE QUELLE DER INSTABILITÄT ANGEHEN
Mehr investieren – Green New Deal
Blasen früh erkennen und gezielt bekämpfen
Rolle der Geldpolitik
Geldreform – Vollgeld?
Eigenkapital statt Schulden
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DIE BANKEN ROBUSTER MACHEN
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Eigenkapital14
Liquidität16
KEINE AUSNAHMEN FÜR SCHATTENBANKEN 18
ANREIZSYSTEM WEITER REFORMIEREN
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Vergütungssysteme20
Sanktionen21
EINFACHE ABER HARTE REGELN – FINANZGESETZBUCH
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BUCHHALTUNGSSTANDARDS UND WIRTSCHAFTSPRÜFER
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FINANZREGULIERUNG DEMOKRATISIEREN
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DEN STAAT AUF AUGENHÖHE BRINGEN
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REFORM DER EU AUFSICHTSLANDSCHAFT
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II.
DIE FINANZINDUSTRIE AUF EINE
VERNÜNFTIGE GRÖSSE SCHRUMPFEN
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KOMPLEXITÄT UND VERFLECHTUNG REDUZIEREN
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TOO BIG TO FAIL SUBVENTIONEN BEENDEN
Radikales Bail-In der Gläubiger
Keine trojanischen Pferde – no creditor worse off reformieren Bankenunion vollenden
Banken leichter abwickelbar machen – Trennbankensystem einführen
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III.
DIE FINANZINDUSTRIE STÄRKER AN DER
REALWIRTSCHAFT AUSRICHTEN
UND KUNDENFREUNDLICHER MACHEN
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AN DER REALWIRTSCHAFT AUSRICHTEN
39
LANGFRISTIGKEIT FÖRDERN
40
Kundeneinlagen längerfristiger machen
40
Reform der privaten Altersvorsorge
40
Haltedauer von Aktien und anderen Wertpapieren 41
Kapitalmarktunion42
ANLEGERORIENTIERUNG 43
Honorarberatung43
Verbot von Abschlussgebühren auf zukünftige Zahlungen
44
Strikter Ausweis von Nettorenditen
44
Koppelprodukte44
Basisprodukte44
Produkte ohne Kundennutzen vom Markt nehmen
45
Verbraucherschutz in der Aufsicht stärken
45
REFORM DER RATINGAGENTUREN –
NACHHALTIGKEITSRATING EINFÜHREN
Wer zahlt schafft an
46
Nachhaltigkeitsrating46
VERSICHERUNGEN46
Pflichtversicherung47
Besser regulieren
48
Mindestzuführung in sinnvolle Erfolgsbeteiligung umwandeln
48
Versicherer robuster machen
49
Solvency II früher einführen und verschärfen
50
Proaktive Aufsicht
50
Kundenguthaben besser schützen
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WETTBEWERB36
4
KLEINE BANKEN LEBEN LASSEN
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GEMEINWOHLAUFTRAG ÖFFENTLICHER BANKEN DEUTLICHER MACHEN
38
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DIE GRÜNE AGENDA
FÜR KRISENFESTE, VERBRAUCHERUND INVESTITIONSFREUNDLICHE
FINANZMÄRKTE
Sieben Jahre nach der Finanzkrise ist die Wirtschaft
noch nicht wieder im Lot. Die Arbeitslosigkeit in der
Eurozone ist immer noch unerträglich hoch. Die Investitionen wollen nicht wieder anspringen. Die Sparneigung ist im Vergleich zu den geringen Investitionen
viel zu hoch, negative Zinsen sind die Folge. Deutschland ist das Extrembeispiel. Über 200 Milliarden Euro,
knapp 8% des BIP, wird im Jahr 2015 der Überschuss
der Sparleistung über dem Investitionsniveau liegen.
Die EZB schafft es trotz unkonventionell expansiver
Geldpolitik nicht, die Inflation wieder auf ein Niveau
von 2% anzuheben. Sie flutet die Märkte mit Liquidität. Mangels Anlagemöglichkeiten in produktive Investitionen bläht sich so der Finanzsektor weiter auf.
Die Zinsen verharren auf extrem niedrigem Niveau.
Große Teile der Finanzwirtschaft sehen bei diesen
niedrigen Zinsen ihr Geschäftsmodell gefährdet. Die
verzweifelte Suche nach Rendite treibt die Risikobereitschaft in erneute Exzesse. Immer mehr seriöse
Stimmen warnen vor den Gefahren einer neuen Krise.
Anstatt die Ursachen der Probleme zu bekämpfen
und zum Beispiel durch einen Green New Deal mit
nachhaltigen Investitionen die Realwirtschaft zu
stärken, erschallt immer lauter der Ruf nach erneuter
Deregulierung, weil angeblich die Finanzmarktregulierung die Finanzierung von Investitionen erschwere
und daher Arbeitsplätze gefährde. Als ob man mit
einer neuen Kreditblase Wettbewerbsfähigkeit und
nachhaltige Arbeitsplätze schaffen könnte. Nichts
wäre gefährlicher, als sich so kurzfristiges Wachstum zu erkaufen und damit die nächste große Krise
auszulösen. Gut funktionierende Märkte darf man
gewiss nicht mutwillig kaputt regulieren. Aber: wenn
Märkte versagen, muss der Staat einschreiten. Und
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das ist bei den Finanzmärkten eindeutig der Fall.
Doch aus der Finanz-Lobby klingt es längst wieder
in der gleichen Tonlage wie vor dem letzten Crash.
Und so bearbeitet die Lobby unermüdlich die Politik. Leider erfolgreich. Es ist zwar richtig, dass in den
letzten Jahren ein viele Tausend Seiten umfassendes
Regulierungsdickicht entstanden ist, das evaluiert,
gelichtet und neu geordnet gehört. 34.019 Seiten
sind es laut Professor Schulte-Mattler aus Dortmund.
Die schiere Seitenzahl zeigt die Absurdität der momentanen Finanzmarktregulierung. Unwesentliches
wird bis zum Exzess im kleinsten Detail geregelt
und Wesentliches traut man sich nicht anzugehen.
Sehr viele der neuen Regeln sind nicht zielführend,
verursachen enorme Bürokratie bei den Banken und
Aufsichtsbehörden und spiegeln uns Scheinsicherheit
vor. Wir wollen dieses Dickicht lichten und unzählige
der komplexen Detailvorschriften durch wesentlich
weniger, einfachere aber härtere Regeln ersetzen.
Finanzlobby und Regulierung vertreten inzwischen
häufig die gleiche Position1: dass nämlich die Finanzwirtschaft unendlich komplex sei und deshalb unendlich komplexer Regeln bedarf. So entsteht zutiefst
undemokratische Technokratie: Regeln, die für Großbanken und ihre teuren Anwälte leicht zu umgehen
sind, während kleine Banken in Bürokratie ersticken.
Wir müssen Regulierung daher radikal neu denken.
1 Dies liegt nicht daran, dass die Beamten in der Finanzaufsicht
bestechlich wären. Aber allein die enge menschliche Zusammenarbeit teils über Jahrzehnte prägt die Sichtweise. Zu dem
Thema regulatory capture, wie dies in der Ökonomie genannt
wird, gibt es umfangreiche Literatur. zB Barth, Caprio, Levine
(2012) Guardians of Finance – making regulators work for us,
The MIT Press
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1
DIE FINANZMÄRKTE SICHERER
MACHEN – DIE GEFAHR EINER
NEUEN KRISE BANNEN
Um die Gefahr einer neuen Finanzkrise abzuwenden, muss die Finanzindustrie in ihrer Komplexität und Vernetzung reduziert werden und auf
eine vernünftige Größe schrumpfen. Das heißt
auch Abschied nehmen von überhöhten Gehältern und unrealistischen Renditezielen. Und wir
müssen die Finanzmärkte wieder konsequent auf
ihre Kundinnen und Kunden ausrichten. Banken
und vor allem Schattenbanken haben immer noch
zu wenig Eigenkapital. Die Risikokultur ist noch
weitgehend unverändert. Natürlich hat es einige Fortschritte gegeben. Aber in Summe ist die
Regulierung immer noch dysfunktional, technokratisch und nicht demokratisch kontrollierbar.
DIE QUELLE DER INSTABILITÄT ANGEHEN
Einer der wichtigen Erkenntnisse der Finanzkrise
war, dass die Regulierung zu sehr auf die isolierte Betrachtung der Einzelinstitute wert legte und
das große Ganze aus den Augen verloren hatte.
Überbordende Risikoneigung, die verzweifelte
Suche nach Rendite, kreditfinanzierte Blasen, die
Flut von Ersparnissen, die den Finanzsektor aufbläht und nicht für produktive Investitionen in der
Realwirtschaft genutzt wird, all dies war nicht im
Fokus der Finanzaufsicht. Man verlor sich im KleinKlein der Regulierung, anstatt die gefährlichen makroökonomischen Ungleichgewichte anzugehen.
Mit diesen Ungleichgewichten ist es so, wie wenn
zu viel Wasser einen großen Berg hinunterfließt.
Mit klassischer Mikroregulierung versucht man hier
8
und dort einen kleinen Staudamm zu bauen. Das
Wasser kann man so aber nicht aufhalten, es sucht
sich einen neuen Weg. Genau das ist vor der Finanzkrise passiert. Überall hat es Regulierungsarbitrage gegeben und die Risiken sind in die weniger
regulierten Bereiche der Finanzindustrie ausgewichen. Die Krise konnte man so nicht verhindern.
Die G20 hat deshalb empfohlen, sogenannte makroprudenzielle Regulierung einzuführen,
um auch das große Ganze im Blick zu behalten.
Leider bislang nicht konsequent genug, sodass
sie sich kaum gegen die traditionell starke mikroprudentielle Regulierung durchsetzen kann.
Gibt es Konflikte zwischen beiden Denkschulen,
werden noch zu häufig die Konzepte der Mikroschule umgesetzt, die auf mehr MitarbeiterInnen und gewachsene Strukturen setzen kann.
Wir wollen die neugeschaffenen Institutionen
zur Blasenprophylaxe stärken und wir wollen
vor allem an den Ursachen anzusetzen, um das
überschüssige Wasser an der Quelle abzustellen.
Mehr investieren – Green New Deal
Die ölexportierenden Länder hatten angefangen.
Es folgten China und andere asiatische Staaten.
Seit einigen Jahren hält jedoch Deutschland den
traurigen Negativrekord: wir sparen viel mehr,
als wir investieren. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss hat inzwischen 8% des BIP erreicht. Leistungsbilanzüberschüsse sind nichts
anderes als die mathematische Differenz zwischen Ersparnissen und Investitionen. Weil wir
viel zu wenig investieren, exportieren wir unsere
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Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Ersparnisse ins Ausland. Dieses Jahr dürften es
über 200 Milliarden Euro werden. So finanzieren wir Schuldenblasen überall in der Welt.2
Innerhalb Europas gibt es zwar inzwischen das
sogenannte „Sixpack“ und das Europäische Semester, die es der Kommission erlauben, ein Verfahren gegen makroökonomische Ungleichgewichte
einzuleiten. Auf Druck von Deutschland wurde der
Schwellenwert mit 6% vom BIP jedoch extrem
hoch angelegt. Und obwohl Deutschland diesen
Wert nun schon seit einigen Jahren überschreitet,
wurden immer noch keine Sanktionen eingeleitet.
Unser Green New Deal ist die Antwort auf dieses
Problem. Wir wollen die Investitionstätigkeit in
Deutschland und Europa wieder deutlich ausweiten. Die öffentliche Hand darf nicht länger die
Infrastruktur verfallen lassen und auch private
Unternehmen müssen wieder verstärkte Anreize
erhalten zu investieren. Wir wollen insbesondere
nachhaltige Zukunftsinvestitionen fördern, damit
die Überschüsse nicht wieder den Finanzsektor
aufblähen, kreditfinanzierte Blasen und so die
nächste Krise verursachen, sondern in solide und
nachhaltige Projekte geleitet werden. Und wir
wollen die in den letzten Jahrzehnten stark aufgegangene Schere der Einkommens- und Vermögensungleichheit wieder schließen, da diese eine
wichtige Ursache für die hohe Sparneigung und die
geringe Nachfrage in unseren Volkswirtschaften ist.
Wir wollen zudem das europäische Semester auch
für Überschussländer konsequent anwenden. Länder mit regelmäßigen Überschüssen sollen schon
ab einer Schwelle von 4% Gegenmaßnahmen
ergreifen, wie es bei Staaten mit Defiziten schon
der Fall ist. Und wir wollen dafür sorgen, dass
in Zukunft nicht nur geredet wird, sondern die
2 um genau zu sein, finanzieren wir damit natürlich auch produktive Investitionen im Ausland und sorgen für eine alternde
Gesellschaft im Inland vor. Ein Großteil der Überschüsse hat
jedoch vor der Krise die Blasen in Südeuropa befeuert und
ist in der Krise verbrannt. Es steht zu befürchten, dass dies
momentan in anderen Teilen der Welt weiter geschieht. Cf. z.B.
Simon Tilford (2015), German Rebalancing: Waiting for Godot,
Center for European Reform
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politischen Maßnahmen auch wirklich umgesetzt werden müssen. Bei Nichtumsetzung sollen in Zukunft bereits früher
harte Sanktionen verhängt werden.
Blasen früh erkennen
und gezielt bekämpfen
Der neugegründete Ausschuss für Finanzstabilität
(AFS) ist das zentrale Gremium für sogenannte
makroprudenzielle Überwachung, sprich Blasenprophylaxe. Dem Ausschuss gehören jeweils drei
Vertreter*innen des Bundesministeriums der Finanzen, der Deutschen Bundesbank und der BaFin an.
Er erörtert auf Grundlage von Analysen der Bundesbank Sachverhalte, die für die Stabilität des
deutschen Finanzsystems von Bedeutung sind.
Der Ausschuss kann aber nur Warnungen und
Empfehlungen aussprechen.
Das Pendant in Europa ist das European Systemic Risk Board (ESRB). Im Leitungsgremium der
ESRB sind u.a. die Präsident*innen der nationalen Zentralbanken, der EZB, sowie der europäischen Regulierungsbehörden vertreten. Aber
auch sie dürfen genauso wie der AFS nur Analysen anfertigen und Empfehlungen aussprechen.
Leider setzen sich aber die EU Kommission und
der Europäische Rat mit schnöder Regelmäßigkeit über diese Empfehlungen hinweg und beschließen das Gegenteil.3 Der ESRB leidet zudem
an einem institutionellen Interessenskonflikt,
weil er direkt in der EZB angesiedelt ist, sprich
der gleichen Organisation, wie die gemeinsame
EU-Bankenaufsicht und die Geldpolitik. Der ESRB
müsste daher unter Umständen Entscheidungen
der EZB hinterfragen, deren Teil er selbst ist.
Wir wollen zum einen die Datentransparenz
verbessern. Die Notenbanken sollen nicht nur die
normale Verbraucherpreisinflation überwachen
sondern auch kreditfinanzierte Blasen. Wir brauchen daher insbesondere in Deutschland
3 Wie z.B. der Empfehlung des ESRB, Geldmarktfonds mit festem
Rückkaufswert zu verbieten oder der Empfehlung der Bundesbank, ein Verbot für Gewinnausschüttungen bei den deutschen
Lebensversicherungen auszusprechen.
Kapitel 1
verlässliche offizielle Daten zu Risikoindikatoren
auf den Finanzmärkten. Wir wollen zum Beispiel
in Zukunft die Immobilientransaktionen über die
Grunderwerbsteuer systematisch auswerten und
so einen detaillierten Index zur Entwicklung der
Immobilienpreise vorlegen. Es ist unverständlich,
dass sich die Bundesbank derzeit auf die Daten einer kommerziellen privaten Immobilienberatungsfirma verlassen muss. Wir halten es für sinnvoll,
Daten zum Verschuldungsgrad der Haushalte und
Unternehmen zu erheben und zur Qualität der Kredite und begrüßen die Initiative der Bundesbank.
Wir wollen die gesetzlichen Grundlagen dafür
schaffen, dass die makroprudentiellen Aufsichtsgremien ESRB und AFS bei Fehlentwicklungen
innerhalb definierter Grenzen institutsübergreifende
Maßnahmen ergreifen können wie konjunkturelle
Eigenkapitalzuschläge für Banken erheben, die
Sicherheitsstandards für Kredite verschärfen oder
Beleihungsobergrenzen für Immobilienkredite
anheben. Außerdem sollen der ESRB Gesetzesvorschläge machen dürfen, auf die die EU Kommission
reagieren muss, entweder indem es die Vorschläge
aufgreift oder mit Begründung ablehnt („comply
or explain“). Voraussetzung für diese aktivere Rolle
ist eine adäquate parlamentarische Kontrolle dieser Gremien, wie für den ESRB bereits realisiert.
Mit diesen Maßnahmen wird jedoch nur ein Teil der
überschäumenden Risikoneigung im Finanzmarkt
gelöst. Insbesondere besteht die Gefahr,
dass sich Risiken nur in andere Bereiche der Finanz­wirtschaft verlagern.
Daher müssen wir uns mit dem Dilemma expansiver
Geldpolitik während einer Rezession auseinandersetzen. Wenn, wie momentan, die Arbeitslosigkeit
in Europa so hoch ist, dass die Preisentwicklung
in die Deflation abgleiten könnte, muss die EZB
dafür sorgen, dass die Preise stabil bleiben, sprich
mit etwa 2% pro Jahr steigen. Expansive Geldpolitik ist also wichtig, die geldpolitischen Mittel
haben jedoch unerwünschte Nebenwirkungen.
Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen
Rolle der Geldpolitik
Mittels Käufen von Wertpapieren, quantitative
easing, und extrem niedrigen Zinsen flutet die EZB
den Markt mit Liquidität. Das Ziel dieser Maßnahmen ist, dass die Unternehmen und Haushalte verstärkt Kredite aufnehmen, die Anleger mehr Risiken
eingehen und dass die Vermögenspreise steigen.
Schließlich soll der Euro abwerten. Auf diese Weise
sollen die Investitionen und der Konsum ansteigen
und sich die Inflation wieder auf 2% einpendeln.
In den USA und in Großbritannien funktionieren
die Niedrigzinspolitik und quantitative easing recht
problemlos, weil dort die meisten Menschen in ihrer eigenen Immobilie wohnen und Kreditverträge
mit variablen Zinsen haben4. Wenn sich dort der
Zinssatz halbiert, ist das fast so, wie wenn der Staat
in Deutschland den Bürger*innen die Hälfte ihrer
monatlichen Miete schenken würde. Bei uns kommt
die Zinssenkung nicht im gleichen Maße Nachfrage
stimulierend bei den Haushalten an, weil es einerseits weniger Immobilienbesitzer gibt und weil andererseits Immobilien mit langfristig fixen Zinsen
finanziert werden. Außerdem erfolgt die private
Altersvorsorge in Deutschland über festverzinsliche Anlagen, während sie in den USA weitgehend
über die Börse läuft. Deutsche Bürger*innen müssen bei einer Zinssenkung also ihre Sparleistung
deutlich erhöhen, wenn sie ihre Rente konstant
halten wollen. In den USA hingegen können sie
ihre Sparleistung reduzieren, weil die Geldpolitik
ihr Aktienvermögen auf ungeahnte Höhen treibt.
Dazu kommt noch, dass in den USA und Großbritannien die Regierungen nicht so manisch fokussiert auf Austeritätspolitik sind und mit fiskalischen
Maßnahmen parallel die Nachfrage stimulieren.
In Deutschland und anderen Ländern Europas hat
die auf sich allein gestellte EZB mit ihrer klassischen Geldpolitik Schwierigkeiten, deflationäre
Tendenzen wirksam zu bekämpfen. Außerdem müssen wir bei all den begrüßenswerten Effekten der
4 In den USA werden Immobilien zwar mit 30 Jahre festgeschriebenen Zinsen finanziert. Die Kunden haben aber die
Möglichkeit ihr Darlehen jederzeit ohne relevante Vorfälligkeitsentschädigung zu refinanzieren.
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Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Geldpolitik der EZB, insbesondere zur Stabilisierung des Euro, auch die negativen Nebenwirkungen
adressieren: Vermögenspreisinflation, erneute
Blasenbildung, verzweifelte Suche nach Rendite, überbordende Risikoneigung und gravierende Probleme für breite Teile der Finanzindustrie
wie kleinen Banken, Bausparkassen, Lebensversicherer sowie andere private Altersvorsorge. Die
Risiken einer neuen Blase und einer neuen Finanzkrise dürfen nicht ausgeblendet werden.
Ein Denkmodell wäre, dem Rat berühmter Monetaristen wie Irving Fisher, Milton Friedman oder
Ben Bernanke zu folgen, und Geld direkt an die
Haushalte zu verteilen anstatt die Verschuldung
des Finanzsektors künstlich aufzublähen. In den
USA hat die Notenbank über 3,6 Billionen Dollar
gedruckt - 11.250 Dollar pro Einwohner - und in
den Finanzsektor gepumpt. Wahrscheinlich wäre
nur ein Bruchteil davon notwendig gewesen, wenn
sie direkt Geld geschöpft und in die Realwirtschaft
eingebracht hätte. Anstatt also Milliarde über
Milliarde an von der EZB geschaffenen Geld an
Banken und Investmentfonds zu verteilen, die
damit kaum vermehrt Kredite ausreichen geschweige denn langfristig investieren, würde die
Zentralbank zielgerichteter Inflation bekämpfen.
Wenn jedeR Bürger*in nur ein Bruchteil dieses
Geldes erhielte, würde es sofort nachfragewirksam
und die Deflation wäre vermieden.
Man hört oft, dass diese Form der expansiven
Geldpolitik gefährlich sei und daraus unbeherrschbare Inflation entstehen könnte. Das gleiche Argument hören wir nun schon seit sieben Jahren
bezüglich der Niedrigzinspolitik. Gefährlich wäre
nur, wenn die Notenbank trotz anziehender Inflation immer weiter Geld drucken würde. Die EZB
ist jedoch unabhängig. Sobald die Inflation wieder bei 2% liegt, würde sie die Zahlungen an die
Bürger*innen wieder einstellen. Bürgergeld wäre
also mit hoher Wahrscheinlichkeit ein sinnvolles
Instrument, um eine echte Deflation zu bekämpfen und insbesondere dann vorzuziehen, wenn
Deflation und eine Finanzmarktblase gleichzeitig auftreten sollten. Dies ist derzeit jedoch nicht
12
der Fall. Die Inflation liegt zwar nicht bei dem
gewünschten Ziel von 2% und die Finanzmärkte sind überhitzt. Aber von einer Deflationspirale kann zum Glück derzeit keine Rede sein.
Außerdem müssen wir immer daran denken, dass
unser Geldsystem ausschließlich auf Vertrauen aufbaut. Eine radikale Maßnahme wie Bürgergeld könnte dieses so wichtige Vertrauen in
die Solidität des Euro untergraben. Bürgergeld
sollte daher das geldpolitische Mittel der letzten Wahl bleiben und nur bei einer echten Deflation eingesetzt werden, und nur dann, wenn
klassische Geldpolitik und quantitative easing
eine Blase auf den Finanzmärkten hervorrufen.
Richtig ist es jedoch, dass die EZB in Zukunft Deflationsgefahren nicht mehr alleine bekämpfen sollte.
Ideal wäre eine koordinierte Geld- und Fiskalpolitik, um sinnvolle Zukunftsinvestitionen zu tätigen
und um gezielt die Bezieher*innen von geringen
Einkommen zu entlasten. Unsere Forderung ist,
endlich einen sinnvollen Politikmix in Europa zu
erreichen. Expansive Fiskalpolitik muss die expansive Geldpolitik ergänzen. Nur so – das zeigt auch
die japanische Erfahrung der letzten Jahre – kann
ein Ausweg aus einem deflatorischen Kontext
gelingen. Nach unserer Vorstellung geht es dabei
natürlich nicht um irgendwelche Staatsausgaben,
sondern um ökologisch sinnvolle Investitionen.
Wenn im Rahmen des Green New Deal die Investitionstätigkeit wieder auf ein vernünftiges Niveau
ansteigt und die Ungleichheit wieder abnimmt,
werden auch die Voraussetzungen für die EZB
geschaffen, aus ihrer expansiven Geldpolitik wieder auszusteigen.
Geldreform – Vollgeld?
Noch radikaler als ein Bürgergeld in Zeiten von
Deflationsgefahr ist die Idee einer Geldreform
hin zu Vollgeld beziehungsweise 100% Mindestreservehaltung für Banken. Die Verfechter*innen von Vollgeld wollen die Geldversorgung
der Wirtschaft komplett auf Zentralbankgeld
umstellen. Das Geld soll nicht mehr von den
Banken aus dem Nichts geschöpft werden.
Kapitel 1
Viele Bürger*innen fühlen sich unwohl damit, dass
die Zentralbanken in unserem Geldsystem die Geldschöpfung an private Banken delegiert haben. Es
ist richtig, dass private Banken den größten Teil der
Geldschöpfung übernehmen. Im Gegensatz zu den
too big to fail Subventionen handelt es sich hierbei
allerdings nicht um ein Privileg, aufgrund dessen
sich Banken und ihre Manager bereichern. Durch
die Konkurrenz im Bankenmarkt werden die Geldschöpfungsgewinne an die Kund*innen weitergegeben. Die hohen Boni werden im Investmentbanking
bezahlt und nicht im klassischen Kredit- und Einlagengeschäft der Banken. Außerdem können Banken nicht beliebig Geld schöpfen. Zwar spielt die
Mindestreserve in Deutschland keine Rolle mehr,
dafür greifen aber Eigenkapitalregeln sowie harte
betriebswirtschaftliche Zwänge. Eine Bank kann
nur dann Geld schöpfen, wenn sie solvente Kreditnehmer*innen findet, die bereit sind, ihr auskömmliche Zinsen zu bezahlen und wenn sie selbst in
der Lage ist, sich preiswert genug zu refinanzieren.
Vollgeld wäre vielleicht weniger krisenanfällig,
da Geld nicht mehr durch zusätzliche Verschuldung in die Welt kommen würde. Allerdings muss
uns bewusst sein, dass die Finanzindustrie nicht
auf den Kopf gefallen ist. Spätestens seit der Finanzkrise wissen wir, dass es Geldsubstitute ohne
Ende gibt und die Finanzindustrie immer einen
Weg finden wird, um außerhalb der regulierten Banken Kreditgeld in die Welt zu bringen.5
Auch sehen wir die zentrale Rolle, die Zentralbanken im Vollgeldsystem bekämen, kritisch.
Denn die Entscheidung über ökonomisch notwenige Geldmenge würde komplett zentralisiert
und die Machtkonzentration bei der EZB weiter
verschärft. Wenn sich die Zentralbank irrt, kann
es zu ökonomischen Verwerfungen kommen.
Wir sprechen uns trotz gewisser Vorteile des
Vollgelds nicht dafür aus, derzeit diesen
5 Charles Kindleberger widmet diesem Thema in seinem
Standardwerk über Finanzkrisen Manias, Panics and Crashes –
a History of financial crises ein ganzes Kapitel Fueling the
Flames: the expansion of credit
Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen
Reformweg zu beschreiten. Auch wäre ein Pfad vom
heutigen Geldsystem zum Vollgeld nur als Bruch
und nicht als Prozess schrittweiser Reformen denkbar. Eine Privatisierung des Geldes, wie sie teilweise
gefordert wird, lehnen wir wegen der drohenden
Instabilität ab.
Eigenkapital statt Schulden
Wir wollen nicht, so wie es die Vordenker der Geld­
reform im sogenannten Chicago Plan gefordert
haben, jegliche klassische Form des Kredites verbieten und nur noch Eigenkapitalfinanzierungen
zulassen. Wenn es nur noch Eigenkapitalinstrumente gäbe, wäre es fraglich, ob dann wirklich
ausreichend Mittel zur Finanzierung produktiver
Investitionen zur Verfügung stehen. Wir halten
es zudem nicht für vertretbar, den Bürger*innen
vorzuschreiben, wie sie ihr Geld anzulegen haben.
Auch wenn wir also Vollgeld insgesamt für
nicht zielführend halten, gibt es doch einige
Elemente, die wir verfolgen wollen. Dazu gehört im Wesentlichen die Idee, dass schuldenfinanzierte Vermögenspreisblasen gefährlich
sind, insbesondere wenn die Schulden so kurzfristig sind, dass sie Geldcharakter haben.
Daher wollen wir die Geldpolitik wie oben ausgeführt überdenken und daher schildern wir
im Folgenden viele Ideen, wie wir Langfristigkeit und Eigenkapital fördern können.
Eine Finanzierung über Fremdkapital hat für
Kreditgeber*innen den Vorteil, dass der Schuldendienst, sprich Zinssatz und Tilgung, klar festgeschrieben ist. Genau dies macht Finanzierung über
klassische Schuldtitel so problematisch für Kreditnehmer*innen: sie müssen den Schuldendienst
auch in schlechten Zeiten in voller Höhe leisten.
Eine Finanzierung über Eigenkapital ist nicht so
gut kalkulierbar für die Kapitalgeber*innen. Die
Bindung des Kapitaldienstes an die wirtschaftliche Lage ist im Gegenzug der große Vorteil für
diejenigen, die Kapital aufnehmen. Dies gilt auch
für Staatsfinanzierung. Wenn der Schuldendienst
nicht unabhängig von der Wirtschaftsentwicklung
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Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
zu leisten ist, kann es nicht so leicht zu Krisen wie jüngst in der Eurozone kommen. Eine
Volkswirtschaft, die in ihrer Finanzierung weniger auf klassische Schuldtitel sondern auf
Finanzierungsinstrumente mit Eigenkapitalcharakter setzt, ist deutlich stabiler und auch weniger stetigem Wachstumszwang ausgesetzt.
Deshalb unterstützen wir die Bestrebungen,
für Staaten, Unternehmen und auch für die
Immobilienfinanzierung Finanzierungsinstrumente einzuführen, bei denen der Schuldendienst an die wirtschaftliche Entwicklung
der Kreditnehmer*innen geknüpft ist.
DIE BANKEN ROBUSTER MACHEN
Eigenkapital
Banken sind existentiell gefährdet, wenn sie
insolvent werden, also wenn sie so hohe Verluste
machen, dass ihre Schulden ihr Vermögen über­
steigen. Der wichtigste Schutz gegen Insolvenz
ist Eigenkapital.
Dabei ist wichtig zu verstehen, dass Eigenkapital kein unproduktives Geld ist, das vorgehalten und nicht investiert wird. Es handelt sich
lediglich um eine konservative Form der Refinanzierung. Fremdkapital muss getilgt werden
und zusätzlich muss eine fest vereinbarte Verzinsung geleistet werden. Eigenkapital hingegen wird dem Unternehmen bedingungslos zur
Verfügung gestellt. Das Unternehmen muss keine Dividenden zahlen, wenn es schlecht läuft,
und es muss das Eigenkapital nie tilgen.
Jedes „normale“ Unternehmen setzt 25-30% Eigenkapital zur Finanzierung ein. Auch Banken waren
in der Vergangenheit so finanziert. Die großen
Investmentbanken waren traditionell sogar als
Partnerschaften organisiert. Das heißt, jeder Partner haftete mit seinem gesamten Privatvermögen,
wenn es zu einer Krise kam. Typischerweise war der
mit Abstand größte Teil des privaten Vermögens
in der Bank gebunden und konnte erst zu Kasse
14
gemacht werden, wenn der Partner in Rente ging.
Aus heutiger Sicht klingt dies wie eine Praxis des
19. Jahrhunderts. Weit gefehlt. Die wahrscheinlich
bekannteste Investmentbank weltweit, Goldman
Sachs, hat erst 1999 bei ihren eigenen Börsengang die Partnerschaftsstruktur aufgegeben.
In den Jahren vor der Krise hatten Banken
systematisch ihr Eigenkapital reduziert. Viele der gescheiterten großen Banken nutzten nur 1-2% Eigenkapital zur Finanzierung.
Die deutsche HypoRealEstate hatte gar nur
0,08% im Verlust haftendes Eigenkapital.6
Die aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalregeln
vor der Finanzkrise hatten zwei fundamentale Schwächen: Das geforderte Eigenkapital bezog sich nicht auf die gesamte Bilanz sondern
nur auf sogenannte Risiko gewichtete Aktiva.
Um das Risikogewicht zu berechnen durften die
Banken ihre eigenen Risikomodelle nutzen. Eine
HypoRealEstate war so aus regulatorischer Sicht
trotz homöopathischer Eigenkapitaldosis völlig
ausreichend kapitalisiert, weil ihre Aktiva angeblich so wenig riskant waren. Das gleiche trifft
auf Lehman und die anderen Pleitebanken zu.
Die neuen internationalen Regeln von Basel III, in
Europa mit der CRD IV Verordnung in europäisches
Recht umgesetzt, haben auf diese eklatanten Missstände reagiert und die Eigenkapitalanforderungen
deutlich erhöht. In Bezug auf die Risiko gewichteten Aktiva wurde die Eigenkapitalanforderung
mit 7% mehr als verdreifacht. Die nationalen beziehungsweise europäischen Aufsichtsbehörden
können zusätzlich bis zu 2,5% antizyklische Puffer
und bis zu 5% besondere Kapitalanforderungen
für systemisch relevante Großbanken verfügen.
6B
ezogen auf die gesamte ungewichtete Bilanz. Quelle Bilanz
HRE per 31.12.2007. Eigenkapital von 6.074 abzüglich Firmenwert 2.233, Kundenbeziehungen 174 und Markennamen 80
(insgesamter goodwill von 2.487) , sowie abzüglich latenter
Steuern 3.267 ergibt im Verlust haftendes EK von 320 Millionen Euro bei einer Bilanzsumme von 394 Milliarden Euro
Kapitel 1
Außerdem führten die Regulierer eine sogenannte
leverage ratio ein, sprich eine klare Schuldenbremse. Das Eigenkapital soll auch in Bezug auf die gesamte Bilanz eine Minimumquote von 3% nicht
unterschreiten. Die leverage ratio ist allerdings noch
nicht bindend. Sie soll auch nur als sogenannter
backstop dienen. Die Hauptsteuerungsgröße für die
Aufsichtsbehörden soll die risikogewichtete Quote
bleiben. Die Baseler Regu­lierungsbehörde hat auch
dem Druck der Banken nachgegeben und erlaubt
selbst für die leverage ratio gewisse Risiken auszublenden. Banken dürfen Derivate weitgehend
gegeneinander aufrechnen und Risiken in Zweck­
gesellschaften ausgliedern. Ausgerechnet in Zweckgesellschaften, den Sonder­mülldeponien für hoch
giftige Wert­papiere, die während der Finanzkrise
eine der Hauptursachen für die vielen Bankenpleiten waren.
Die neuen Regeln aus Basel führen zum Beispiel
bei der Deutschen Bank dazu, dass ihre nach IFRS
berechnete Bilanzsumme von 1.788 Milliarden
Euro für die Berechnung der Baseler leverage ratio
auf 1.434 Milliarden Euro schrumpft.7
Als die Regeln für die Berechnung der leverage
ratio im Januar 2014 in Basel veröffentlicht wurden,
war dies eine enorme positive Überraschung für
die Banken. Die Aktien von Deutsche Bank zum Beispiel schnellten um fast 5% nach oben.8 Die Eigentümer*innen der Deutschen Bank wurden durch
den Sieg der Finanzlobby über die Regulierungsbehörde um über 1 Milliarde Euro reicher.
Hochproblematisch ist, dass das Hauptsteuerungsinstrument der Bankenaufsicht die Kapitalquote
entsprechend der risikogewichteten Aktiva bleibt
und die Banken weiterhin die Freiheit haben, ihre
eigenen Risikomodelle zur Berechnung der Risiken
zu nutzen.
7 Je nach Lesart der neuen Regeln soagar auf 1.320 Mrd Euro
cf. „Basel verbessert die Schuldenquoten deutlich“, Börsenzeitung, 16.01.2015.
8 Financial Times, 13.01.2014, Investment banks hail victory in
Basel battle, http://www.ft.com/intl/cms/s/0/69dd59fc-7c7911e3-9179-00144feabdc0.html#axzz3khFMMHw3
Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen
Nachdem verschiedene Studien nachgewiesen
haben, dass bei völlig identischen Aktiva die
verschiedenen Modelle der Banken zu völlig unterschiedlichen Risikogewichten kommen, hat sich
die EZB vorgenommen, die Risikomodelle zu untersuchen. Vier Jahre wird sie sich dafür Zeit lassen.
Leider ist eine Abschaffung der Steuersubventionen
für Fremdkapital auf globaler Ebene nicht in Sicht.
Dies macht aus Bankensicht Eigenkapital teurer als
Fremdkapital. Die internationalen Regulierungsbehörden haben sich daher verständigt, einen Teil des
Fremdkapitals als Risikopuffer zu nutzen. Dies
muss bei einer Schieflage der Bank in Eigenkapital
wandelbar sein (bail-in).9
Die neuen Eigenkapitalregeln sind ein Schritt in
Richtung eines stabileren Finanzsystems, haben
aber weiterhin sehr gravierende Mängel.
Wir wollen daher, dass sich Banken in Zukunft
wieder konservativ finanzieren. Sie sollen mindestens 10% ihrer Finanzierung mit Eigenkapital bestreiten. Wir halten echtes Eigenkapital
für besser geeignet als Fremdkapital, das in
Eigenkapital gewandelt werden kann. Der einzige Grund für den Rückgriff auf bail-in fähiges Fremdkapital ist die steuerliche Subvention
für Fremdkapital, die wir abschaffen wollen.
Bei der Berechnung der Eigenkapitalquote müssen die Banken durchgehend die Bruttorisiken
ansetzen. Dies gilt insbesondere für Zweckgesellschaften, die konsolidiert und in die leverage ratio voll eingerechnet werden müssen.
Bei komplexen Finanzinstrumenten wie Derivaten, soll nicht der Marktwert sondern der
plausibel mögliche Verlust zur Berechnung
der Eigenkapitalquote angesetzt werden.
Um klassische kleine Banken mit konservativem Geschäftsmodell nicht zu benachteiligen,
9 total loss absorbing capital, TLAC, bzw. minimum required eligible
liabilitits, MREL. Die Summe aus bail-in fähigem Fremdkapital
und Eigenkapital muss etwa doppelt so hoch sein, wie die
üblichen Minimum Eigenkapitalanforderungen.
15
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
soll es zusätzlich eine Risikogewichtung geben.
Hoch riskante Geschäfte müssen mit mehr Eigenkapital finanziert werden als zum Beispiel
solide finanzierte private Immobilienkredite.
In Zukunft sollen die Banken ihre Risiken aber
nicht mehr künstlich klein rechnen. Wir brauchen einfache und einheitliche Standardregeln
zur Bestimmung der Risikogewichte. Die Bankenaufsicht darf sich nicht vier Jahre Zeit lassen, darüber eine Untersuchung anzustellen.
Bereits heute darf die Aufsicht großen und komplexen Banken einen 50% Eigenkapitalzuschlag
auferlegen. Wir wollen, dass diese Möglichkeit
auch wirklich konsequent umgesetzt wird.
Dieses Eigenkapital soll in Zukunft atmen. Wenn
es zur Krise kommt, sollen Banken nicht sofort
gezwungen sein, panikartig Vermögensgegenstände auf den Markt zu werfen, um ihre Eigenkapitalquote zu erhöhen. Eine Bank muss mindestens
10% Eigenkapital haben, um Dividenden an ihre
Aktionäre auszuschütten und ihren Mitarbeiter*innen Boni bezahlen zu dürfen. Sobald die
Eigenkapitalquote unter 5% fällt, verlieren die
Aktionäre ihr Kapital und die Bank wird von der
europäischen Abwicklungsbehörde übernommen.
Wir wollen die steuerliche Privilegierung von
Fremdkapital abschaffen. Wichtig ist uns dabei,
dass nicht zusätzlich zum Fremdkapital auch noch
das Eigenkapital steuermindernd genutzt wird. Wir
wollen nicht die Steuerbasis weiter erodieren. Uns
geht es mit dieser Maßnahme auch nicht darum,
die Steuern zu erhöhen. Wir wollen, dass der Staat
aufhört, ein riskantes Finanzierungsinstrument
(Fremdkapital) zu subventionieren und ein stabiles
Finanzinstrument (Eigenkapital) zu benachteiligen.
Außerdem soll der Staat konsistent sein in
seiner Regelsetzung: Ein Finanzprodukt soll
nicht mehr aufsichtsrechtlich als Eigenkapital und steuerrechtlich als Fremdkapital eingeordnet werden. Vielmehr braucht es einen
Gleichlauf von Steuer- und Aufsichtsrecht.
16
Liquidität
Banken kommen nicht nur aufgrund von Insolvenz
in existentielle Schieflage, sondern auch wenn sie
illiquide werden, sprich nicht mehr über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um ihren akuten
Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können.
Illiquidität ist das klassische Problem einer Bank.
Banken finanzieren sich über jederzeit kündbare
Kundeneinlagen. Dieses Geld leihen sie langfristig
an ihre Kreditnehmer*innen aus. Wenn die Kund*innen nervös werden und ihr Geld abziehen, können
selbst hochsolvente Banken in große Schwierigkeiten kommen, weil die Kredite nicht kündbar
sind. Bankenpaniken mit langen Schlangen vor
den Schaltern waren daher gang und gäbe, bis
in den 1930er Jahren die Einlagensicherung und
die Zentralbanken als lender of last resort erfunden wurde. Seitdem können sowohl die Kund*innen ruhig schlafen, weil sie ihr Geld notfalls von
der Einlagensicherungerhalten und die Banken,
weil sie von der Zentralbank immer mit Liquidität
versorgt werden, solange sie ausreichend Eigenkapital haben. Das war der Grund, weshalb es in
Basel II keinerlei Vorschriften zur Liquidität gab.
Allerdings hatten sich Banken in den Jahren vor
der Krise drastisch gewandelt. Sie finanzierten sich
immer weniger über Kundeneinlagen. Genauso, wie
sie kein klassisches Kreditgeschäft mehr betrieben. Eine Deutsche Bank zum Beispiel finanzierte
2007 weniger als ein Viertel ihres Geschäftsvolumens mit Einlagen und nur 10% ihrer Aktivitäten
waren noch Kundenkredite. Anstatt also Spareinlagen an die vielversprechendsten Unternehmen
zu verleihen, haben Banken Geschäfte miteinander
gemacht. Sie finanzierten sich im Interbankenmarkt und betrieben damit ein umfangreiches
Handelsgeschäft. Da sie ihre Wertpapiere vor der
Krise jederzeit im Millisekundentakt hin und her
verkaufen konnten, sahen sie kein Problem damit,
diese Aktivitäten mit täglich kündbaren Geldern
zu finanzieren. Diese kurzfristige Finanzierung
sah für alle Beteiligten höchst vorteilhaft aus: die
Banken konnten sich extrem billig finanzieren,
weil sich die Geldgeber*innen nicht vorstellen
Kapitel 1
konnten, dass die Bank binnen eines Tages pleite
gehen könnte. Sie glaubten so auf eine aufwendige Prüfung der Bank verzichteten zu können.
Hohes Handelsvolumen spiegelt jedoch nur die
Illusion von Liquidität vor. Es mag noch so viel
Handel geben. Wenn sich die Stimmung dreht und
die meisten Menschen ein Wertpapier verkaufen
wollen, versiegt die Liquidität abrupt. Wenn dann,
wie 2007, die Geldgeber*innen nervös werden und
ihre Kredite nicht mehr blind verlängern, kommt
es zum Problem. Alle Banken müssen dringend Papiere verkaufen. Damit gibt es plötzlich keine Käufer*innen mehr. Sie müssen also ihre Wertpapiere
mit Abschlägen auf den Markt werfen. Das erzeugt
einen Teufelskreis. Weil die Preise weiter sinken,
werden die Geldgeber*innen noch nervöser und
verlängern noch weniger täglich fällige Kredite. Die
Banken müssen noch mehr Papiere im Notverkauf
liquidieren, bis sie schließlich kom–plett illiquide
werden und staatlich aufgefangen werden müssen.
Basel III und in Europa die CRD IV führten daraufhin eine liquidity coverage ratio (LCR) ein. Banken
sollen über ausreichend Liquidität verfügen, um 30
Tage lang die Geldabflüsse von ihren Kund*innen
und Kreditgeber*innen überstehen zu können.
Die LCR gilt erstmalig ab 2015. Ein empirisches
Urteil über das Instrument ist daher nicht möglich. Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, dass
die Regulierung sich endlich den lebenswichtigen
Aspekt der Liquiditätssteuerung vornimmt. Allerdings beruht auch die LCR auf entscheidenden
bankinternen Modellannahmen. Wenn man nur
die Fristigkeit ohne Modellierungsannahmen als
Kriterium genommen hätte, hätte man alle Einlagen und Interbankenkredite mit einer Fälligkeit
von unter einem Monat als Liquiditätsabfluss kalkulieren müssen. Das ist bei den meisten Banken
der mit Abstand größte Teil ihrer Refinanzierung.
Die Deutsche Bank zum Beispiel hat 1.3 Billionen
Euro täglich fällige Verbindlichkeiten aus einem
Geschäftsvolumen von 1,7 Billionen Euro. Weitere
0,2 Billionen sind binnen 3 Monaten fällig. Auf der
Aktivseite weist die Bank weniger als 0,1 Billionen
Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen
Euro Barreserve und Einlagen bei anderen Banken
aus. Damit hätte die Deutsche Bank also eine LCR
von etwa 6%. Dank ihrer Modellannahmen kann
die Bank jedoch eine LCR von 119% ausweisen.10
Die Regulierer wollten aus gutem Grund die Banken nicht zwingen, ihre Kundengelder bei der EZB
zu parken anstatt sie der Wirtschaft als Kredit zur
Verfügung zu stellen. So müssen sie sich aber wieder auf die Modellannahmen der Banken verlassen,
so als ob die Finanzkrise nicht gezeigt hätte, dass
eine Aussage über die Liquidität von Wertpapiermärkten und über die Zuverlässigkeit von Refinanzierungsmöglichkeiten eigentlich unmöglich ist.
Der extreme Unterschied zwischen der mechanisch
errechneten Quote von 6% zu der Modellquote von
119% zeigt die Schwierigkeit des Unterfangens.
Momentan arbeiten die Regulierungsbehörden
noch an einer weiteren Kennziffer zur Liquidität, der net stable funding ratio. Diese soll die
Banken dazu bringen, auch über die Monatsfrist
der LCR stärker auf Fristenkongruenz zu achten. Die Problematik bleibt jedoch dieselbe.
Wir halten die neu eingeführten Liquiditätsquoten aufgrund ihrer schwierigen Modellannahmen
und aufgrund ihrer regulatorischen Inflexibilität
für das falsche Instrument. Wir wollen stattdessen
am Grundübel, sprich der zu preiswerten kurzfristigen Interbankenfinanzierung ansetzen. Deren
Preise reflektieren nicht die hohen gesellschaftlichen Risiken. Besonders problematisch ist die besicherte kurzfristige Refinanzierung (sogenannte
Repo-Kredite), weil hier die Kreditgeber im Grunde
vollständig auf eine Risikoprüfung der Bank verzichten und weil diese besicherten Kredite dazu
führen, dass das Risiko für die unbesicherten Kreditgeber deutlich steigt. In der Finanzkrise waren die Repo-Kredite besonders volatil und damit
eine der Hauptursachen für die Liquiditätskrise.
10 Deutsche Bank, Jahresabschluss 2014, S. 464, 500 und 245
17
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Wir wollen diese negativen externen Effekte internalisieren. Wir sehen die kurzfristige Refinanzierung wie eine Form von Umweltverschmutzung.
So wie CO2 eine wesentliche Ursache für den
Klimawandel darstellt, sind die kurzfristigen Interbankenkredite eine wesentliche Ursache für
die Instabilität auf den Finanzmärkten. Wenn der
Preis für CO2 nicht die gesellschaftlichen Kosten beinhaltet, wird zu viel davon genutzt. Das
gleiche gilt für kurzfristige Interbankenkredite.
Banken müssen nicht den größten Teil ihrer Bilanz
mit täglich fälligen Interbankenkrediten finanzieren. Sie können Eigenkapital, langfristige Darlehen
oder stabile Kundeneinlagen zur Finanzierung nutzen. Typische kleine Banken, finanzieren sich genau
so. Das ist auch einer der Gründe, weshalb sie so
gut durch die Krise gekommen sind. Banken nutzen
die kurzfristige Refinanzierung, weil sie zu billig ist.
Damit die Preise die gesellschaftlichen Risiken
widerspiegeln, wollen wir zunächst die Bankenabgabe für den Restrukturierungsfonds besser
ausgestalten. Derzeit gibt es zwar einen Risikoaufschlag bei der Berechnung der Abgabe. Dieser ist jedoch zu komplex und in seiner Wirkung
schwer nachvollziehbar. Wir wollen statt dessen
kurzfristige und insbesondere besicherte Refinanzierung im Interbanken- und Kapitalmarkt so hoch
gewichten, dass Banken einen klaren finanziellen
Anreiz haben, sich längerfristig zu refinanzieren.
KEINE AUSNAHMEN FÜR
SCHATTENBANKEN
Schattenbank ist ein wunderbarer Begriff für Pseudoregulierer wie die derzeitige Bundesregierung.
Niemand weiß so recht, wer mit diesen Instituten
gemeint ist. Man vermutet zwielichtige Finanzinstitute auf den Cayman Islands oder anderen
dubiosen Steueroasen. So kann man sonntags
wunderbar über Schattenbanken lästern. Man
tritt schließlich niemandem auf die Füße damit.
18
Leider führt der Begriff völlig in die Irre. Viele
dieser Finanzinstitute operieren im vollen Tageslicht. Sie sind in Deutschland oder anderen
Ländern der EU beheimatet. Sie betreiben völlig
legale Geschäfte, die im Grunde Bankgeschäfte
sind, nur anders benannt und deshalb anders reguliert werden. Es handelt sich zum Beispiel um
hoch angesehene Finanzinstitute wie die Allianz
und andere Versicherungsgesellschaften oder
die DWS und andere Fondsgesellschaften. Niemand traut sich, sie als Schattenbanken zu bezeichnen, weil der Begriff so negativ belegt ist.
Auch wir wollen nicht die Allianz als Schattenbank
verunglimpfen. Wir wollen aber die Regulierung
nicht mehr nach der offiziellen Bezeichnung eines
Finanzinstitutes ausrichten, sondern nach dessen Tätigkeit. Wenn ein Finanzinstitut kurzfristig
kündbare Gelder von Anlegern einsammelt, einen
festen Wert garantiert, und diese Gelder langfristig anlegt, muss diese Geschäftstätigkeit nach
den gleichen Regeln wie eine Bank operieren.
Lebensversicherer betreiben Bankgeschäft, wenn
sie ihren Kunden ermöglichen, ihre Einlagen jederzeit abzuziehen und ihnen dafür einen festen
Rückkaufswert garantieren. Sie betreiben auch
Bankgeschäft, wenn sie immer mehr Kredite ausreichen. Manche Geldmarktfonds garantieren feste
Rückkaufswerte und extrem kurzfristige Verfügbarkeit der Gelder. Diese Geschäfte sind keineswegs
zwielichtig und deshalb führt der Begriff Schattenbank so in die Irre. Geldmarktfonds und Lebensversicherer sollen ihre Geschäfte weiter betreiben.
Aber solange sie kurzfristige Kündbarkeit und
feste Rückkaufswerte garantieren, müssen sie sich
denselben Regeln wie Banken unterwerfen. Sonst
gibt es keinen fairen Wettbewerb zwischen reguliertem und nicht reguliertem Bankgeschäft. Die
Risiken der Finanzindustrie wandern dann von den
regulierten Instituten in die nicht regulierten. Der
nächste staatliche bail-out wird dann möglicherweise nicht bei Banken, sondern bei den Lebensversicherern oder Fondsgesellschaften stattfinden.
Kapitel 1
Die Regulierung von Geldmarktfonds ist ein gutes Beispiel, wie derzeit völlig unnötig Bürokratie
und Komplexität produziert wird. Es besteht Konsens in der Wirtschaftswissenschaft und bei den
großen internationalen Regulierungsbehörden,
dass Geldmarktfonds keine festen Rückkaufswerte garantieren sollten. Wir sind ebenfalls dieser
Meinung. Wer einen festen Rückkaufswert benötigt, muss sein Geld mit etwas geringeren Zinsen
auf die Bank legen und nicht in einen Fonds. Die
Regulierung von Geldmarktfonds ist also sehr
einfach: Fonds mit festen Rückkaufswerten sind
untersagt. Die jetzige Regulierung hat aber lieber auf die Fondslobby anstatt auf ihre eigenen
Thinktanks wie ESRB oder Financial Stability Board
gehört. Herausgekommen sind wieder Dutzende von Seiten komplizierteste Gesetzestexte. Sie
erlauben den Fonds weiterhin den festen Rückkaufswert aber machen ihnen unzählige andere
bürokratische Auflagen, die nur Bürokratie erzeugen aber das eigentliche Problem nicht lösen.
Auch Wertpapierfonds können Schattenbankcharakter haben. Dies ist insbesondere bei Fonds der
Fall, die wenig liquide Vermögensgegenstände
investieren und ihren Anleger*innen kurzfristige
Kündigungsrechte versprechen. Die Einführung
einer einjährigen Kündigungsfrist für offene Immobilienfonds in Deutschland war richtig und
sollte konsequent auf alle Anlageformen mit wenig liquiden Vermögensgegenständen angewandt
werden. In den letzten Jahren haben große Fonds
enorme Marktanteile gewonnen. Der größte Fonds
Blackrock mit seinen über 4 Billionen Euro verwaltetem Vermögen ist inzwischen etwa doppelt so
groß wie die größte Bank der Welt. Ein Fonds kann
zwar nicht wie eine Bank pleite gehen. Dennoch
können auch Fonds zum Beispiel aufgrund dem
Verlust von Schlüsselpersonen11 oder anderen Reputationsproblemen plötzlich hohe Mittelabflüsse
verzeichnen, die aufgrund der Größe des Fonds
oder aufgrund der Investitionsstrategie in wenig
11 wie zum Beispiel die massiven Abflüsse bei Pimco, dem
lange zweitgrößten Fonds der Welt, der hunderte von Milliarden Dollar Kundengelder verlor, als sein Gründer Bill Gross
ausschied
Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen
liquide Aktiva, ganze Märkte erschüttern können.
Es ist höchst plausibel, dass von diesen großen
Fonds inzwischen systemisches Gefahren ausgehen. Wir begrüßen daher die Initiative des Financial Stability Boards, Wertpapierfonds genauer unter
die Lupe zu nehmen und sprechen uns dafür aus,
auch für Fonds restriktive Kriterien für die Beurteilung marktbeherrschender Stellung anzuwenden und zu große Fonds notfalls zu entflechten.
Pensionsgeschäfte (Repos) sind die wichtigsten Instrumente, mit denen sich Finanzinstitute liquide
halten. Sie nutzen so eine extrem kurzfristige Refinanzierung, um damit langfristig zu investieren.
Dabei werden zur Sicherheit hinterlegte Wertpapiere mitunter um ein vielfaches weiterverpfändet,
es entstehen sog. Repo-Ketten. Ein plötzlicher Run
auf diesen Repo-Markt und damit ein abruptes
Ende der Liquidität war einer der Hauptauslöser
der Finanzkrise. Durch die Weiterverleihung der
Sicherheiten war der Verbleib der Papiere oft unklar. Es kam zu Panikverkäufen und dramatischem
Preisverfall von Vermögenswerten. Die mangelnde
Transparenz des Marktes war ausschlaggebend
für diese Herdenreaktionen – bis heute fehlen
der Aufsicht der Überblick und ein angemessenes
Frühwarnsystem. Wir wollen daher, dass Wertpapiere grundsätzlich nur einmal verpfändet werden
dürfen, um die problematischen Repo-Ketten zu
durchbrechen. Außerdem soll bei einem Repo-Geschäft beziehungsweise bei einer Verpfändung
eines Wertpapiers immer ein angemessener Sicherheitsabschlag (haircut) angewandt werden.
Und bei aller ehrlichen Liebe für junge kreative
neue Finanzdienstleister: auch crowd-funding muss
gewisse Regeln beachten. Solange diese Finanzierungen keine Fristentransformation betreiben,
wollen wir sie nicht als Bank regulieren. Aber wie
bei allen Vermittler*innen von Finanzanlagen darf
es auch hier in der Anreizstruktur keine strukturellen Interessenskonflikte geben. Heute finanzieren sich die Plattformen über eine Erfolgsgebühr
für das Vermitteln der Kredite. Genau so wurden
auch die Kreditvermittler*innen der amerikanischen Schrottanleihen bezahlt, die die Finanzkrise
19
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
ausgelöst hatten. Der Anreiz, schlechte Kredite zu
vermitteln, ist dann einfach zu hoch. Daher wollen wir die Gebührenstruktur der crowd-funding
Plattformen wieder vom Kopf auf die Füße stellen.
Die Plattformen müssen von den Anleger*innen
dafür bezahlt werden, dass sie eine gute Kreditselektion betreiben. Mit der letzten Tilgungsrate
eines Kredites sollen die Plattformen ein Erfolgshonorar bekommen. Sobald die Plattformen
eine kritische Größe erreicht haben, müssen sie
auch eigenes Kapital einsetzen. Sie sollen mit ins
Risiko gehen und von jedem vermittelten Kredit
einen kleinen Teil in ihren Büchern behalten.
dass die Kultur in Banken unehrliches Verhalten
fördert. Verständlich, wenn man als einzelner Händler einen Jahresbonus von über 80 Millionen Euro
verdienen kann.15
Einer der größten Erfolge der Grünen im Europaparlament war es daher, die Vergütungssysteme in
Banken zu reformieren und die Boni auf das zweifache des jährlichen Festgehaltes zu begrenzen.
Damit wird zwar noch nicht das Problem gelöst,
dass Banken aufgrund ihrer übertriebenen Gehälter weiterhin die besten Absolvent*innen anziehen
können. Aber wenigstens wird man durch übertriebenes Risiko oder gar kriminelles Verhalten
nicht mehr ganz so leicht zum Multimillionär.
ANREIZSYSTEM WEITER REFORMIEREN
Vergütungssysteme
Seit der Deregulierungswelle in den 1980er Jahren
haben sich nicht nur die Bilanzen der Banken aufgebläht, sondern auch die Gehälter ihrer Mitarbeiter*innen. Im Vergleich zu anderen Industrien sind
die Gehälter in Banken etwa doppelt so schnell
gestiegen.12 Die Höhe der Gehälter führt dazu, dass
besonders viele talentierte Absolvent*innen13 prestigereicher Universitäten bei Investmentbanken mit
komplexen Finanzinnovationen handeln anstatt in
anderen Wirtschaftssektoren Produkte oder Dienstleistungen mit klarem Kundennutzen zu entwickeln.
Die Struktur der Gehälter mit ungedeckelten Boni
führt zu einem besonders risikoaffinen und oft
sogar kriminellen Verhalten. Eine kürzlich in Nature
veröffentlichte Studie14 konnte nachweisen,
12 nur der geringste Teil dieses schnellen Anstiegs erklärt sich
aus einem vergleichsweise höheren Ausbildungsstand in der
Finanzindustrie. Vgl die Arbeiten von Philippon und Reshef
zu diesem Thema (insb. Wages and human capital in the US
finance industry: 1909 – 2006) sowie den Bericht des Advisory Scientific Committees des European Systemic Risk Boards
(ESRB), Is Europe Overbanked?, Juni 2014
13leider fast keine Frauen. Ob wohl die gleiche extreme, in
Teilen sogar kriminelle, Risikokultur in den Handelssälen
entstanden wäre, wenn die Hälfte der Mitarbeiter Frauen
gewesen wären?
14 Cohn, Alain, Fehr, Ernst, und Maréchal, Michel Andre (2014),
Business culture and dishonesty in the banking industry,
Nature
20
Wir wollen die Haftung der Manager aller komplexer Finanzinstitute, sprich nicht nur von Banken, noch weiter erhöhen. Wir wollen die Manager
wieder dazu zu bringen, den langfristigen Erfolg
im Auge zu haben und nicht den kurzfristigen
Aktienkurs und den Wert ihrer Aktienoptionen.
Daher soll die Entlohnung über 500.000 Euro
pro Jahr pro Manager nicht mehr steuerlich absetzbar sein und grundsätzlich für zehn Jahre
aufgeschoben werden. Wenn das Finanzinstitut
in diesem Zeitraum in eine Krise kommen sollte,
und das Eigenkapital unter die regulatorischen
Mindestanforderungen fallen sollte, verfallen
diese aufgeschobenen Vergütungsansprüche.
Sanktionen
Marktwirtschaft setzt Freiheit, aber eben auch Haftung der handelnden Personen und Unternehmen
voraus. Unternehmen und ihre leitenden Manager
müssen für Schäden, die sie verursachen, zur Verantwortung gezogen werden. Leider gilt diese Grundbedingung für eine funktionierende wettbewerbliche
Marktordnung in Deutschland nach wie vor an
vielen Stellen nicht. Wer sein Geschäftsmodell
15 e
s geht um Christian Bittar, der durch die kriminelle Manipulation des Libor Referenzzinssatzes bei der Deutschen Bank
einen Jahresbonus von 80 Millionen Euro erhielt, cf Bloomberg, http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-06-18/
deutsche-bank-s-96-million-banker-bonus-at-center-oflawsuit
Kapitel 1
ausreichend komplex gestaltet, wird nur selten zur
Rechenschaft gezogen. Die Beispiele aus der Finanzwirtschaft sind Legion: systematischer Steuerbetrug, Preismanipulationen bei Zinsen, Gold und
Devisen, Geldwäsche. Solches Fehlverhalten muss
auch in Deutschland klare zivil- und strafrechtliche
Konsequenzen nach sich ziehen.
Deutschland indessen hat im Gegensatz zu den
meisten anderen Industrieländern kein Unternehmensstrafrecht. Auch massives Fehlverhalten von
Firmen kann nur als Ordnungswidrigkeit mit einer
Maximalbuße von 10 Millionen Euro geahndet
werden. Dies ist eine Rundungsdifferenz bei den
Milliardengewinnen großer Unternehmen und ein
großes Defizit unserer Rechtsordnung. Typischerweise geht von einem Delikt, das ein Unternehmen
begeht, ein viel höheres Risiko für das Gemeinwesen aus als von dem Fehlverhalten eines Einzelnen.
In der komplexen und anonymen Struktur eines
Unternehmens lässt sich individuelle Verantwortlichkeit zudem verschleiern. Deshalb brauchen wir
ein echtes Strafrecht für Unternehmen. Sie müssen
auf der Anklagebank landen, wenn sie Straftaten
begehen, und sich in einem öffentlichen Gerichtsverfahren der Verantwortung für ihr Tun stellen.
Gleichzeitig müssen wir die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit des Führungspersonals
verbessern. Auch bei noch so gravierenden Skandalen kommt es kaum jemals zur strafrechtlichen
Verurteilung leitender Manager in Deutschland. Die
Führungskräfte verstehen es gut, ihr Unternehmen
so zu organisieren, dass ihnen eine individuelle
Verantwortlichkeit für die aus dem Unternehmen begangenen Straftaten nicht nachweisbar
ist. Größe und Komplexität eines Unternehmens
sind der Garant für erfolgreiche Haftungsvermeidung. Großbritannien hat auf dieses Problem
mit dem Senior Managers Regime eine überzeugende Antwort gefunden, die wir uns als Vorbild
nehmen wollen. Führenden Bank-Managern wird
ein persönlicher Verantwortungsbereich zugeordnet. Für Abläufe und Geschehnisse in diesem
Bereich wird die Verantwortlichkeit des einzelnen Managers künftig vermutet. Kommt es zur
Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen
Gesetzesverletzung, obliegt es dem jeweiligen
Manager darzulegen, dass er alles getan hat, um
Gesetzesverstöße in seinem Verantwortungsbereich zu verhindern. Andernfalls droht ihr oder
ihm eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren.
Der zentrale Straftatbestand für pflichtwidriges
Verhalten von Führungspersonen in Unternehmen
ist in Deutschland die Untreue. Die Anforderungen
an den Nachweis des Untreuetatbestands sind in
den letzten Jahren von der Rechtsprechung derart
hochgeschraubt worden, dass es kaum noch zu Verurteilungen kommt. Die Manager kaufen sich gerade bei komplexen Wirtschaftsdelikten mit „Deals“
aus dem Strafverfahren frei. Zu einer öffentlichen
Aufarbeitung der Verfehlungen vor Gericht kommt
es dann nicht. Die individuelle Strafandrohung
für das Führungspersonal eines Unternehmens
muss so gefasst werden, dass sie künftig wieder
durchsetzbar wird. Damit die Strafverfolgungsbehörden auch komplexen Wirtschaftsverfahren
gewachsen sind, müssen Staatsanwaltschaften
personell besser ausgestattet werden. Zugleich
muss aber auch eine sinnvolle Priorisierung beim
Einsatz der vorhandenen Ressourcen erfolgen,
die auch einen Sinneswandel bei manch einem
Ermittler erfordert. Die Verfolgung des Bankmanagers, der einen enormen gesellschaftlichen
Schaden verursacht hat, muss gegenüber der Ahndung von Bagatelldelikten klaren Vorrang haben.
Auch die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Führungspersonals muss dringend verbessert werden.
Verursacht ein Manager schuldhaft einen Schaden, muss er dies auch im eigenen Portemonnaie
spüren. Die in Deutschland übliche Ausgestaltung
der Manager-Versicherung als Gruppenversicherung zum Pauschaltarif konterkariert jedoch notwendige individuelle Sorgfaltsanreize. Der 2009
eingeführte obligatorische Selbstbehalt läuft leer,
weil er vom Vorstandsmitglied seinerseits wieder
versichert wird. Wir brauchen daher eine Reform
der Vorstandshaftung, um die dringend notwendigen Sorgfaltsanreize für leitende Manager*innen
zu verstärken. Dazu gehört auch, dass die Möglichkeit von Aktionären, Ansprüche gegen pflichtwidrig
21
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
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handelnde Vorstände geltend zu machen, praxistauglich ausgestaltet wird. Die Vorstands- oder
Aufsichtsratskolleg*innen sind nämlich regelmäßig nicht bereit, Ansprüche gegen ihre Kolleg*innen gerichtlich einzuklagen. Die Aktionärsklage
gegen Vorstandsmitglieder, die sich schadensersatzpflichtig gemacht haben, muss deshalb so
ausgestaltet werden, dass sie sich für den klagenden Aktionär im Erfolgsfall auch finanziell lohnt.
Überdies fordern wir die Einführung einer
Sammelklage für geprellte Anleger*innen. Betrügerische Finanzprodukte lohnen sich für die Banken und Hintermänner heute selbst dann, wenn
Anleger*innen vor Gericht beweisen können, dass
das Produkt von vornherein zu ihrem Nachteil
konstruiert wurde. Denn es zieht zu meist nur ein
kleiner Teil der Anleger*innen vor Gericht. Deshalb
müssen Rechts- und Tatsachenfragen, die gleichermaßen für eine Vielzahl von Fällen relevant sind,
in einem Verfahren einheitlich geklärt werden können. Den Betroffenen muss dabei ermöglicht werden, die Verjährung ihrer Ansprüche durch einen
Sammelantrag zu stoppen. Für langlaufende Kapitalanlagen muss außerdem die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren verlängert werden, die
auch ohne Kenntnis der Anspruchsvoraussetzungen
beginnt. Betroffene können die Falschberatung
häufig erst erkennen, wenn die langjährige Anlage
ausgelaufen ist. Eine vorher einsetzende Verjährung ihrer Ansprüche ist nicht zu rechtfertigen.
Neben Strafrecht muss sich auch die Kultur in
den Unternehmen ändern. Dazu würde übrigens
auch der von uns geforderte deutlich höhere Frauenanteil im Management beitragen. Wir wollen
auch eine Kultur der Offenheit und Angstfreiheit fördern. Dazu gehört der Schutz sogenannter Whistleblower. Missstände und rechtswidrige
Praktiken in Unternehmen und Behörden werden oft erst durch Hinweise mutiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekannt. Die Grüne
Bundestagsfraktion hat einen Gesetzentwurf
zum Schutz von Hinweisgebern vorgelegt, der
endlich umgesetzt werden muss. Auf EU-Ebene
fordern wir eine Richtlinie, die in allen EU-Ländern den Schutz von Whistleblowern sicherstellt.
EINFACHE ABER HARTE REGELN –
FINANZGESETZBUCH
Anstatt die Finanzwelt durch harte Regeln wirklich sicherer zu machen, wurde sie in den letzten
Jahren in einer Gesetzesflut ertränkt. Kein normaler Bankenvorstand kann mit Zehntausenden von
Seiten detailliertesten Vorschriften zurecht kommen. Die bürokratischen Kosten für die Einhaltung
der Regeln sind exorbitant. Es bleibt immer das
Risiko, dass man selbst bei sorgfältigem Arbeiten
eine Regel übersieht. Bildlich gesprochen ist man
als Bankvorstand mit einem Bein immer im Gefängnis. Kein Wunder, dass die Finanzunternehmen
inzwischen auf die Barrikaden gehen. Der Sparkassenpräsident spricht öffentlich von „Regulierungstsunami“ und fordert eine Regulierungspause.
Der Chefredakteur des Handelsblatts bezeichnet den Regulierer als Strangulierer und selbst
der BaFin Präsident gibt sich verständnisvoll.16
Nicht eine Regulierungspause brauchen wir und
schon gar keine Deregulierung. Ja, die Regulierung
muss ausgemistet werden. Die vielen Gesetze gehören auf den Prüfstand und müssen insbesondere in ihrer Wechselwirkung evaluiert werden.
Wir wollen nach der Vereinfachung der vielen
Gesetze ein einheitliches europäisches Finanzgesetzbuch durchsetzen. Das Dickicht aus Duzenden
von Verordnungen und Richtlinien sowie rund 400
delegierten Rechtsakten und technischen Standards sowie zahlreichen Leitlinien kann und muss
gelichtet werden. Das Ziel ist weniger Bürokratie,
mehr Klarheit und eine Regulierung, mit der auch
kleine Banken ohne große Expertenteams wieder zurecht kommen. Aber das Resultat müssen
härtere Regeln sein, also Regeln, die endlich den
Kern der Probleme ohne Ausnahmen angehen.
16 Handelsblatt Bericht von der Bankentagung, 3.9.2015
22
Kapitel 1
BUCHHALTUNGSSTANDARDS UND
WIRTSCHAFTSPRÜFER
Die Bücher eines Unternehmens müssen die wahren Vermögensverhältnisse (true and fair view)
wiedergeben. Dies ist wichtig für alle Beteiligten:
Kund*innen, Lieferant*innen, Eigentümer*innen,
Investoren, Mitarbeiter*innen, Finanzamt, Regulierungsbehörden. Niemand bis auf die Mitarbeiter*innen im Rechnungswesen des Unternehmens kann
sonst eine Aussage über Finanzverhältnisse des
Unternehmens treffen. Deswegen sind objektive
und faire Regeln für die Bilanzierung so wichtig
und deshalb ist es so wichtig, dass es unabhängige
und vertrauenswürdige Wirtschaftsprüfer gibt, die
das Zahlenwerk prüfen und bestätigen. Dies nicht
leicht sicherzustellen, da die Wirtschaftsprüfungsbranche privat organisiert ist und von vier großen
Anbietern weltweit beherrscht wird. Die Prüfer
erhalten ihre Aufträge von den Unternehmen und
werden von diesen bezahlt. Leider gilt auch hier,
wie so oft: wer bezahlt, schafft an. Das heißt, den
Prüfern liegt ihr lukratives Mandat sehr am Herzen.
Nicht alle der Beteiligten haben dieselben Interessen. Manche möchten besonders vorsichtig
bilanzieren und gar Gewinne verstecken. Normalerweise sind das die Eigentümer*innen, die keine
Steuern zahlen möchten oder die nicht wollen,
dass ihre Kund*innen und Lieferant*innen sehen,
wie profitabel sie sind, sonst müssten sie ja vielleicht die Preise großzügiger gestalten. Ebenso
haben Mitarbeiter*innen ein Interesse an einer
klaren Sicht auf die Profitabilität eines Unternehmens. Auch die Finanzaufsicht hat ein großes
Interesse an vorsichtiger Bilanzierung. Umso weniger Gewinne ausgewiesen werden, umso mehr
Vermögen bleibt im Unternehmen und steht bei
einer Verschlechterung der Ertragslage des Unternehmens als Reserve zur Verfügung. Dadurch ist
das Risiko eines staatlichen bail-outs geringer. Neben den Kund*innen, Lieferant*innen und dem
Finanzamt freuen sich auch die Manager*innen, wenn sie hohe Gewinne ausweisen. Seitdem
die angelsächsische Bonuskultur mit ihrer oft
Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen
exorbitanten Belohnung kurzfristiger Gewinne
auch in deutschen Finanzinstituten heimisch geworden ist, haben Manager einen Anreiz zu hohe
Gewinne auszuweisen. In Unternehmen, in denen sehr hohe Boni gezahlt werden und in denen es nur ein hauchdünnes Eigenkapital gibt,
wie in Banken, ist dies besonders gefährlich. Die
hohe Verschuldung wirkt wie ein gewaltiger Hebel und verstärkt die Wirkung der Boni massiv.
Außerdem wirken bei geringer Eigenkapitalquote volatile Gewinne hochgradig prozyklisch.
Banken hatten meist einen Hebel von 50. Das
heißt, wenn sie einen Gewinn von 2 Millionen
Euro machten, konnten sie 100 Millionen Euro
mehr Kredite vergeben oder spekulative Wertpapiere zum Eigenhandel kaufen. Umgekehrt
führte ein Verlust zu einer genauso großen Reduzierung ihrer Geschäftstätigkeit. Die enorme
Prozyklizität der Banken ist einer der wichtigen
Ursachen für heißlaufende Konjunktur und für Rezessionen in der Realwirtschaft. Dies ist auch ein
Grund, weshalb wir uns so sehr für deutlich mehr
Eigenkapital in den Bankbilanzen aussprechen.
Die Buchhaltungsstandards IFRS fördern die Prozyklizität der Banken, weil sie auf einer Marktbewertung aufsetzen. Wenn der Markt nach oben geht,
können Banken großzügig Buchgewinne ausweisen,
obwohl diese nur auf dem Papier stehen und nicht
realisiert wurden. Gewinne können also nach IFRS
ausgewiesen und auch ausgeschüttet werden, obwohl sie sich in Luft auflösen, wenn zu viele Marktteilnehmer versuchen, ihre Gewinne zu realisieren.
Wir wollen daher die IRFS Standards ändern.
Nicht realisierte Gewinne sollen lediglich als stille Reserven transparent gemacht werden. Durch
den Ausweis von stillen Reserven ist die Vermögenslage klar erkenntlich, ohne dass der Bilanzgewinn und das bilanzierte Eigenkapital erhöht
werden. So können aus nicht realisierten Gewinnen auch keine Dividenden mehr ausgeschüttet
werden. Wir wollen ferner dafür sorgen, dass auch
die regulatorischen Eigenkapitalanforderungen
nicht durch stille Reserven gelockert werden.
23
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Das sogenannte Niederstwertprinzip ist uns jedoch
wichtig. Wir wollen, dass Banken in der Zukunft
ihre Risiken noch konsequenter bilanzieren. Es darf
nicht sein, dass Risiken zum Beispiel in Zweckgesellschaften ausgelagert werden können, die nicht
bilanziert werden, und diese Zweckgesellschaften
dann die Banken ruinieren. Auch müssen Rückstellungen für erkennbare Risiken, wie zum Beispiel für
faule Kredite bereits bilanzierbar sein, sobald gravierende wirtschaftliche Probleme beim Kreditnehmer erkennbar sind. Dies macht die Bilanzierung
zwar weniger objektiv. Aber kein vorsichtiger Kaufmann würde Kredite erst wertberichtigen, wenn
der Kreditnehmer seine Zahlungen eingestellt hat.
Außerdem müssen wir die Buchhaltungsstandards wieder vereinfachen. Mit Standards, die
Tausende von Seiten dick sind, werden kleine
Unternehmen und Wirtschaftsprüfer überfordert.
Große hingegen haben einen unlauteren Wettbewerbsvorteil, weil sie mit ihren teuren Beratern
im Dickicht der Vorschriften immer Schlupflöcher
finden. Die extrem detaillierten Vorschriften lullen uns in Scheingenauigkeit ein und führen dazu,
dass nur noch Regeln blind abgehakt werden.
Der Blick für die wirklich großen Risiken geht so
verloren. Um Willkür zu vermeiden, brauchen wir
starke prinzipienbasierte Regeln. Anstatt Hunderter von technischen Vorschriften, wann zum
Beispiel eine Zweckgesellschaft bilanziert werden muss, reicht das Prinzip, dass Risiken realistisch in der Bilanz abgebildet werden müssen.
Vereinfachte Regeln, bei denen auch nachgedacht
und eigene Urteile gebildet werden müssen, machen die Bilanzierung vielleicht weniger vergleichbar. Es ist uns aber wichtiger, dass die Beteiligten
dazu gezwungen werden, das große Ganze im Blick
zu behalten, als dass nur Häkchen gemacht werden.
Damit diese Art der Bilanzierung funktioniert,
brauchen wir starke und wirklich unabhängige
Wirtschaftsprüfer und die Prüfer müssen allen Stakeholder verpflichtet sein. Situationen, in denen
ein Prüfer einem Unternehmen ein gutes Zeugnis
ausstellt und dieses wenige Monate später Konkurs
24
anmeldet, obwohl sich die externen Rahmenbedingungen nicht dramatisch verändert haben,
dürfen nicht mehr so oft vorkommen. Außerdem
sollen die Prüfer auch eine Verantwortung dem
Finanzamt gegenüber haben. Es ist nicht zu vertreten, dass ein Wirtschaftsprüfer die Zahlen eines Unternehmens testiert und die Steuerprüfung
im Anschluss massive Abweichungen findet. Wir
wollen daher die Haftungsregeln der Wirtschaftsprüfer sowohl gegenüber der Finanzaufsicht wie
gegenüber dem Finanzamt deutlich verschärfen.
Wir brauchen viel mehr Konkurrenz unter den
Prüfern. Ein globales Oligopol von nur vier Gesellschaften führt im Bereich der Großunternehmen
dazu, dass die Prüfer zu abhängig von ihren Kunden
werden. Der Markt für Wirtschaftsprüfung großer
Gesellschaften ist extrem konzentriert. Daraus
entsteht zum einen eine große politische Macht
der vier marktbeherrschenden Wirtschaftsprüfer, zum anderen sind häufig dieselben Prüfer zu
lange in den einzelnen Unternehmen und haben
nicht mehr die nötige kritische Distanz. Vor allem
aber verschwimmt über die Vermischung von Beratung und Prüfung die Rolle. Als Berater suchen
die Wirtschaftsprüfergesellschaften gemeinsam
mit den Unternehmen Möglichkeiten der Gewinnsteigerung und der optimalen Präsentation des
Unternehmens für Investoren, als Wirtschaftsprüfer müssen sie Auswüchse des Gewinnstrebens
verhindern und im öffentlichen Interesse eine
korrekte Darlegung der Unternehmenssituation
sicherstellen. Wir wollen daher den Wettbewerb
unter Prüfern stärker fördern, indem die Großunternehmen verpflichtet werden, regelmäßig ihre
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu wechseln und
die neuen Prüfer während einer angemessenen
Zeit keinerlei geschäftliche Beziehungen mit dem
zu prüfenden Unternehmen gehabt haben dürfen. Die Trennung von Prüfung und Beratung, die
als europäische Richtlinie ansatzweise bereits
vorgeschrieben wurde, wollen wir in Deutschland wesentlich konsequenter und nicht nur für
Unternehmen öffentlichen Interesses einführen.
Kapitel 1
Auch wollen wir dafür sorgen, dass in Zukunft die
Buchhaltungsregeln demokratischer erlassen werden. Derzeit werden die internationalen Regeln von
einer privaten Organisation - dem International Accounting Standards Board - festgesetzt. Obwohl Bilanzierungsregeln viele gesellschaftliche Gruppen
betreffen, sitzen in den Gremien des IASB praktisch
nur Vertreter aus den vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Großunternehmen. Andere
Gruppen sind nicht vertreten. Rechenschaftspflichtig sind diese Entscheidungsträger nur sich selbst.
Auch die Vertreter aus Europa werden nicht demokratisch legitimiert. Sie müssen sich keinem
Parlament verantworten. Lediglich bei der Aufsicht
über den IASB und beim Beschluss der bereits
ausgearbeiteten Standards haben demokratisch
legitimierte Akteure einen maßgeblichen Einfluss.
Der IASB ist damit ein besonders extremes Beispiel
von Postdemokratie in internationalen Finanzinstitutionen. Die Globalisierung darf jedoch nicht
den Abschied von der Demokratie befördern, sondern muss die Demokratie selbst globalisieren.
Daher wollen wir die Zusammensetzung der Expertengruppe verändern, so dass Experten aus
kleinen und mittleren Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft angemessen repräsentiert sind. Die europäischen Vertreter im
IASB müssen durch das Europaparlament gewählt
werden. Wenn diese Veränderungen nicht durchsetzbar sind, unterstützen wir die Entwicklung
eigener europäischer Buchhaltungsstandards.
Auch wenn wir die Vergleichbarkeit der Unternehmensbilanzen innerhalb von Europa grundsätzlich für wichtig halten, lehnen wir dennoch
die Einführung von IFRS für kleine und mittlere
Unternehmen ab, solange wie der IASB nicht in
unserem Sinne demokratisch reformiert ist.
Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen
FINANZREGULIERUNG
DEMOKRATISIEREN
Regulierung muss demokratisch kontrollierbar
werden. Heute ist die Regulierung viel zu technisch und komplex, um dies zu ermöglichen. Dies
ist auch ein wichtiger Grund, um Regulierung
stark zu vereinfachen. Banken und Versicherungen sind auch nicht komplizierter als andere
Unternehmen. Der Popanz um ihre angebliche
Komplexität ist ein von der Finanzlobby bewusst
instrumentalisierter Kult, damit Finanzmarktregulierung zwischen Finanzlobby und Finanzaufsicht
im Hinterzimmer ausgekungelt werden kann.
Wenn neue Finanzmarktgesetze eingeführt werden, behauptet die Bundesregierung regelmäßig,
ihre Gesetzesvorlagen seien alternativlos. Sie
legt grundsätzlich keine datengestützte Situationsanalyse vor und vergleicht nicht verschiedene Handlungsalternativen. Ohne Zugang zu
den Industriedaten sind seriöse Alternativen jedoch nicht zu erarbeiten. Bei der Beratung zu
den Gesetzen treten im Finanzausschuss fast
nur Lobbyisten oder von Banken oder Versicherungen finanziell abhängige Berater auf. Es gibt
viel zu wenige unabhängige Expert*innen.
Wir wollen daher unabhängige Expertise fördern.
Analog zu der von den europäischen Grünen initiierten Finance Watch Organisation, die wesentlich
von der EU Kommission finanziert wird, braucht
es auch in Deutschland öffentliche Unterstützung
für unabhängige Finanzmarktexpertise, sowohl
in der Wissenschaft (zum Beispiel durch ein Institut, das die aufsichtlichen Daten wissenschaftlich
aufbereitet und der Öffentlichkeit zur Verfügung
stellt) als auch in der Zivilgesellschaft. Das Ziel
ist mehr Transparenz über den Zustand der Finanzindustrie und der Regulierung. In Zukunft sollen
Finanzmarktgesetze grundsätzlich erst nach einer öffentlich transparenten und datengestützten Situationsanalyse verabschiedet werden.
Ein weiteres großes Problem für die Demokratie in der Finanzmarktgesetzgebung ist , dass die
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Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Parlamente regelmäßig vor vollendete Tatsachen
gestellt werden. Alle wichtigen Regeln werden
in internationalen Organisationen verhandelt
und detailliert festgelegt. Das Europaparlament
kann im Grunde nur die Regeln so umsetzen, wie
sie international verhandelt wurden oder sich
zum kompletten Außenseiter machen. Während
die Bankenregulierung in Basel wenigstens von
Vertreter*innen der Zentralbanken und Regulierungsbehörden verhandelt wird, werden die fast
genauso wichtigen internationalen Buchhaltungsstandards von einer komplett privaten Organisation festgesetzt. In beiden Fällen ist es aber so, dass
das Europaparlament nicht frühzeitig informiert
wird und keine Möglichkeit hat, auf das Verhandlungsmandat einzuwirken. Wir wollen daher den
Prozess der internationalen Regelsetzung demokratisieren. In den wichtigen Finanzgremien
soll die EU verstärkt mit einer Stimme sprechen.
Und die Verhandlungsführer müssen frühzeitig
das Europaparlament informieren und sich ihr
Mandat demokratisch legitimieren lassen. Die
Sitzungsprotokolle der internationalen Regulierungsgremien sollen öffentlich gemacht werden.
An anderer Stelle haben wir dargelegt, wie wir
Lobbyismus auch in anderen Bereichen transparent machen und in Schranken verweisen wollen.
DEN STAAT AUF AUGENHÖHE BRINGEN
Die erhöhte Transparenz über den Zustand der
Finanzindustrie und der Regulierung soll auch
dazu führen, dass Finanzministerium und Bankenaufsicht ihr Selbstverständnis überdenken.
Die Regierung und ihre Aufsichtsbehörden haben
oft die Neigung, große Unternehmen besonders
zu fördern, weil viele Arbeitsplätze von ihnen abhängen und weil man „den Standort Deutschland“
fördern möchte. Ähnlich wie in der Automobilindustrie wurden sogenannte national champions
auch in der Finanzwirtschaft besonders gepflegt.
Wenn man aber unbedingt „seine Banken“ vor der
„bösen“ Konkurrenz aus London oder New York
schützen möchte, schaut man im Zweifel nicht
26
so genau hin. Ein klares Beispiel für Machtwirtschaft. Dieses Problem war einer der Gründe für
die gemeinsame Bankenaufsicht in Europa.
Zu diesem Faible für die national champions
kommt eine besonders juristische Herangehensweise an die Aufsicht. Die sogenannte erste Säule
der Regulierung besteht aus klaren Vorschriften
wie zum Beispiel einer festgeschriebenen Eigenkapitalquote. Die Aufsicht kann hier einfach ihre
Checklisten abhaken. Das Problem mit solch einer Vorgehensweise ist, dass sich die Welt immer
wieder ändert. Banken sind besonders kreativ
darin, die Regeln zwar formal einzuhalten aber inhaltlich zu umgehen. Deswegen hat der Baseler
Ausschuss für Bankenaufsicht auch eine zweite
Säule der Regulierung vorgesehen. Die Bankenaufsicht soll sich von den festen Quoten und
Checklisten lösen und stattdessen das Gesamtrisiko einer Bank identifizieren und würdigen.
Die BaFin hat die aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten aus der zweiten Säule aber nicht genutzt.
So hat sie zum Beispiel festgestellt, dass Banken
ihre Risiken in sogenannte Zweckgesellschaften
auslagern, die sie formal nicht in ihren Büchern
konsolidieren mussten, denen sie aber Liquiditätszusagen gegeben hatten. Jeder Buchhalter Lehrling
konnte sehen, dass die Risiken wirtschaftlich gesehen bei der Bank verblieben waren. Dieser Vorgang
passte aber nicht in die juristischen Checklisten
der BaFin. Sie hat daher allen Pleitebanken vor
der Krise ein gutes Zeugnis ausgestellt, weil sie
formal die Regeln einhielten, anstatt sich zu überlegen, ob die Regeln nur formal aber nicht wirtschaftlich eingehalten waren. Die BaFin fand auch
nicht bemerkenswert, dass die HypoRealEstate
kurz im Jahr vor ihrer Pleite nur 0,08% Eigenkapital bezogen auf die komplette Bilanzsumme hatte
(leverage ratio). Auf den Checklisten stand nur die
Eigenkapitalquote nach risikogewichteten Aktiva
und die war in Ordnung. So hat sie der HRE mitten in der Finanzkrise noch genehmigt, eine hohe
Dividende an ihre Aktionäre auszubezahlen, obwohl die Bank mit dem Rücken zur Wand stand.
Kapitel 1
Diese Einstellung hat sich immer noch nicht wirklich geändert. Die Bundesbank führt immer wieder Analysen und Szenarienrechnungen in den
verschiedenen Bereichen der Finanzwirtschaft
durch. Dabei geht es zum Beispiel um das Risiko eines plötzlichen gravierenden Zinsanstieges
oder die Auswirkungen der Niedrigzinsphase auf
die Bausparkassen und Lebensversicherer. Immer
wieder weist die Bundesbank auf existenzbedrohliche Risiken hin. Besonders gravierend ist die
Situation für die Lebensversicherungsbranche.
Gemäß Bundesbank werden etwa 80% der Unternehmen insolvent, wenn die Niedrigzinsphase
anhält und die Unternehmen ihre Gewinne nicht
einbehalten, um ihre Kapitalbasis zu stärken. Was
macht die BaFin? Sie stellt fest, dass die Unternehmen heute noch solvent sind und erlaubt
ihnen weiterhin ihre Gewinne auszuschütten.
Auch bei kriminellen Aktivitäten in den Banken oder durch die Banken schaut die BaFin
viel zu lange weg. So blieb sie über Jahre untätig, obwohl bekannt war, dass Banken und
durch sei vermittelt auch private Investor*innen mit den Cum-Ex-Geschäften den Fiskus um
geschätzte 12 Milliarden Euro betrogen. Auch
wenn Banken ihre Kund*innen in Steueroasen locken, schaut der Staat regelmäßig weg.
Wenn es darum geht, aus Fehlern zu lernen
und im Parlament aufzuarbeiten, wie man solche Probleme in Zukunft verhindert, stellt sich
die Regierung regelmäßig stur. Deutsche Regierungsbeamt*innen oder Politiker*innen machen
schließlich keine Fehler. Wenn hier eine Bank
pleite geht, liegt dies ausschließlich an den USA,
ihren Giftpapieren und ihrer Fehlentscheidung
Lehman Brothers in den Konkurs zu schicken.
Wir wollen in Zukunft die Einstellung der Behörden grundsätzlich ändern. Überall passieren Fehler.
Das ist kein Grund für einen Skandal. Skandalös
ist nur, wenn man Fehler nicht zugibt und sich
weigert aus ihnen zu lernen. Wir wollen daher
die Ursachen der Fehler in der Bankenaufsicht
Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen
und im Finanzministerium systematisch aufarbeiten, um diese in Zukunft zu vermeiden.
Wir wollen vor allem die BaFin dazu bringen, in Zukunft nicht mehr rein formalistisch die Gegenwart
zu betrachten, sondern bei erkennbaren Risiken in
der Zukunft rechtzeitig auf die Bremse zu treten,
selbst wenn dies bedeutet, dass die schwächsten
Unternehmen dann scheitern. Eine Einstellung wie
zum Beispiel, „den Bausparkassen geht es schlecht,
deswegen ist es alternativlos, ihnen zu gestatten größere Risiken einzugehen“17, halten wir für
sträflich. In der Wirtschaftswissenschaft nennt man
das gambling for resurrection. Heute hätten die Bausparkassen noch ausreichende Kapitalreserven, um
im Konkursfall ihre Bausparer*innen auszubezahlen. Wenn sie jetzt größere Risiken eingehen, kann
es zwar sein, dass sie damit ausreichend viel Geld
verdienen. Ebenso möglich ist es aber, dass sie mit
den Risiken vor die Wand fahren. Dann aber haben sie ihr verbleibendes Kapital verspielt und der
Staat muss für die Bausparer*innen aufkommen.
Wenn wir nicht mehr jedes kleinste Detail und
jede kleinste Ausnahme minutiös regeln wollen,
muss die Aufsicht in Zukunft die zweite Säule der
Baseler Regulierung wirklich ernst nehmen. Weil
es in Zukunft also nicht mehr nur noch um das
Abhaken von Checklisten geht, ist die demokratische Kontrolle durch den Bundestag und die
unabhängige Expertise einer zivilgesellschaftlichen Organisation wie Finance Watch so wichtig.
Im Bereich der Finanzaufsicht braucht es dafür unbedingt ausreichend, aber vor allem auch
hochqualifiziertes Personal. In dieser Hinsicht
hat es seit 2008 relevante Fortschritte gegeben.
Sie reichen aber noch nicht aus. Der Staat kann
nur auf Augenhöhe mit den Instituten agieren,
wenn die Personen in der Aufsicht, die wirklich
spezifisches Fachwissen haben, durch attraktive
Vergütung nicht so leicht von Banken, Fonds und
Versicherungen abgeworben werden können.
17 leicht paraphrasierte Begründung des Bausparkassenreformgesetzes von September 2015
27
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Wir wollen der BaFin auch organisatorisch mehr
Verantwortung geben. Heute ist die BaFin eine
nachgeordnete Behörde. Das Bundesfinanzministerium ist kann also jederzeit direkte Weisungen aussprechen. Damit unterscheidet sich die BaFin von
den Aufsichtsbehörden in anderen Industrieländern. Normalerweise ist die Aufsicht unabhängig
und muss sich nicht jeden einzelnen Schritt absegnen lassen. Wir wollen, dass sich die BaFin einmal
im Jahr ausführlich dem Bundestag Rechenschaft
ablegt und ausschließlich dem Bundestag gegenüber verantwortlich ist. Das ist zum einen wichtig,
um wie andere europäische Aufsichtsbehörden im
Rahmen des Systems europäischer Aufsichtsbehörden unabhängig von Weisungen des Finanzministeriums agieren zu können. Es ist aber auch
sinnvoll, weil das Ministerium häufig das Interesse
hat, unliebsame Nachrichten zu unterdrücken, während für die Finanzstabilität gut wäre, über gezielte
Warnhinweise Fehlentwicklungen zu bremsen.
REFORM DER EUROPÄISCHEN
AUFSICHTSLANDSCHAFT
Ein weiterer Schritt um den Staat auf Augenhöhe zu bringen und die Finanzindustrie stringenter
zu beaufsichtigen, ist eine Neustrukturierung der
europäischen Aufsichtsbehörden. Es gibt viel zu
viele unterschiedliche Behörden, die jeweils einzelne Aspekte der Finanzwirtschaft regulieren.
Bei der Bankenaufsicht gibt es zum Beispiel die
European Banking Authority, deren Aufgabe darin
besteht, die Regeln zu harmonisieren. Dann gibt
es die eigentliche Aufsichtsbehörde, SSM, die bei
der EZB angesiedelt ist. Im Krisenfall greift die
Abwicklungsbehörde, SRM und die großen Zusammenhänge soll die Behörde für systemische
Risiken, ESRB, überblicken. Und bei all dem spielen noch die nationalen Aufseher eine Rolle.
Uns geht es einerseits um eine weitere Vereinfachung der Struktur und zum anderen um eine
bessere Kontrolle der Aufsicht. Die Zuordnung
zur EZB birgt Interessenskonflikte und macht
die parlamentarische Kontrolle schwierig.
28
2.
DIE FINANZINDUSTRIE
AUF EINE VERNÜNFTIGE
GRÖSSE SCHRUMPFEN
Die Finanzindustrie ist immer noch viel zu komplex und untereinander verflochten. Too big to fail
und die damit verbundenen unerträglich hohen
Subventionen sind immer noch nicht gelöst. Es
gibt nicht ausreichend Wettbewerb - und kleine
Banken sind immer noch stark benachteiligt.
KOMPLEXITÄT UND VERFLECHTUNG
REDUZIEREN
Komplexe und selbst für Spezialisten schwer
bewertbare Finanzinstrumente wie Derivate
und Verbriefungen waren einer der Hauptauslöser der Krise. Über diese Instrumente sollten
die Risiken im System besser verteilt werden.
Anstatt jedoch wie im theoretischen Idealbild
von den stärksten Markteilnehmern wurden sie
am Ende von den dümmsten gehalten – the idiots from Düsseldorf war das geflügelte Wort
in den USA für die Käufer der Giftpapiere.
Bei den Verbriefungen ist ein großes Problem die
Anreizstruktur: normale Kredite werden von einer
Bank in ihrer Bilanz gehalten. Die Bank verdient
ausschließlich daran, dass ihre Kundinnen regelmäßig ihren Kredit bedienen. Wenn es einer Kundin
zwischenzeitlich schlecht geht, hat die Bank einen
hohen Anreiz, nach einer vernünftigen beidseits akzeptablen Lösung zu suchen. Wenn die Bank dann
sorglos Kredite vergibt, muss sie die Konsequenzen
selber ausbaden. Mittels Verbriefungen kann die
Bank Kredite in Bündeln zu handelbaren Wertpapieren verpacken und an Investor*innen verkaufen. Die Bank kassiert eine hohe Provision für den
Verkauf der Verbriefungen. Ob die Kundinnen ihre
Kredit bedienen, ist für die Bank dann unerheblich.
Sollte es den Kund*innen später schlecht gehen,
steht sie einem Konsortium von über die Welt verteilten Investor*innen gegenüber. Das Aushandeln
einer auch für die Kund*innen vernünftigen Lösung ist quasi unmöglich. Die Bank muss sich keine
Sorgen mehr machen, dass die Kredite ausfallen.
Außerdem ist die Berechnung der Ausfallwahrscheinlichkeiten dieser strukturierten komplexen
Produkte schwierig. Viele Investoren haben nicht
verstanden, dass Risiken innerhalb der Verbriefungsprodukte systemisch korreliert sind und
haben daher die Risiken deutlich unterschätzt.
Derivate werden typischerweise als eine Art Versicherung genutzt. Man will sich zum Beispiel vor
Wechselkursrisiken schützen oder vor steigenden
Zinsen. Die Versicherung führt dazu, dass die Banken das Risiko aus regulatorischer Sicht komplett
aus ihren Büchern auslagern können. Diejenigen,
die ein Schutzversprechen abgeben, kaufen sich
bei einer anderen Bank über ein anderes Derivat eine Art Rückversicherung. Da sich die meisten Parteien gerne schützen wollen, entstehen
unendlich lange Ketten von Derivateverträgen.
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Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
In diesen Ketten denkt jeder, er habe eine perfekte Absicherung. Wenn jedoch in der langen
Kette auch nur ein Glied zu schwach ist, fällt das
gesamte Konstrukt wie ein Kartenhaus um. Normalerweise gibt es sogenannte Großkreditlimits,
die dafür sorgen sollen, dass der Ausfall eines
großen Kreditnehmers niemals die Bank in existentielle Schieflage bringen kann. Diese funktionieren aber hier nicht, da für das Derivategeschäft
nicht die vollen Risiken berechnet werden.
Das Problem der Verbriefungen versuchte man
seit der Krise zu lösen, in dem man Banken zwingt,
wenigstens 5% ihrer verbrieften Kredite selber
auf den Büchern zu halten. Skin in the game nennen dies die Fachleute. Nur löst dies das Anreizproblem nicht. Eine kleine Schürfwunde kann
man schon einmal in Kauf nehmen, angesichts
des hochlukrativen Verbriefungsgeschäftes. Die
Banken haben einen starken Anreiz, immer noch
ihre faulen Kredite verbriefen. Schließlich ist es
besser, nur 5% des Risikos schlechter Kredite
zu tragen als 100%. Zusätzlich wurde auf Seite der Investor*innen dafür gesorgt, dass diese
nicht mehr ganz so sorgenfrei die Verbriefungen in ihre Bücher nehmen können. Sie mussten diese mit mehr Eigenkapital finanzieren.
Natürlich muss man nicht alle Verbriefungen
verteufeln. Es ist aber äußerst schwierig die Anreizstrukturen so zu konstruieren, dass den Käufer*innen von verbrieften Krediten nicht die
schlechten Risiken weitergegeben werden. Der
Ansatz der Kommission überzeugt hier jedenfalls noch nicht. Vor allem aber gibt es keinen
Grund Verbriefungen gezielt zu fördern, weil so
angeblich die Realwirtschaft beflügelt würde.
Viel wichtiger wäre die Förderung von lokalen
Banken, die zu ihren Kund*innen eine Vertrauensbeziehung aufbauen. Die lokalen Banken
sollten ausreichend stark sein, um Unternehmenskredite auf ihrer Bilanz zu halten und diese
nicht über Verbriefungen an den Kapitalmarkt
veräußern, der bei jeder Krise zu Panik neigt.
Die intransparenten und überlangen Derivateketten versucht man seit der Krise zu verhindern,
indem man den Marktteilnehmern Anreize gibt, Derivate über sogenannte zentrale Kontrahenten abzuwickeln. Zentrale Kontrahenten schalten sich in
die Transaktion zweier Gegenparteien ein und sind
jeweils Handelspartner für die Interessenten. Solange die zentrale Gegenpartei solvent ist, kann es
also keine Kettenausfälle mehr geben. Inzwischen
werden gut ein Viertel der Credit Default Swaps
über zentrale Kontrahenten abgewickelt18 und 44%
aller Zinsderivate19. Ein mäßiger Erfolg angesichts
des 2009 von der G20 formulierten Ziels, dass
bis 2012 alle Derivate über zentrale Plattformen
abgewickelt werden sollten. Allerdings sind die
zentralen europäischen Regulierungsprojekte zu
diesem Thema, die EMIR und die Mifid/Mifir Richtlinien noch nicht überall umgesetzt. Eine abschließende Bewertung ist daher noch nicht möglich.
Zentrale Plattformen gewähren aber auch nur
Scheinsicherheit, weil dort neue too big to fail
Institute entstanden sind, deren Gewinne privat verfrühstückt werden, aber deren Verluste
im Zweifel vom Staat getragen werden müssen.
Wichtig ist es daher, dass zentrale Kontrahenten
nicht nur über ausreichend Eigenkapital verfügen,
sondern dass es analog zu Banken funktionierende Abwicklungspläne gibt, um erneute Risiken für die Steuerzahler*innen zu vermeiden.
Immer noch gibt es keine wirksamen Regeln,
die das volle Risiko der Derivate abbilden. Für
die Berechnung der leverage ratio, die ja eigentlich die Bruttorisiken zeigen sollte, dürfen
Derivate weiter gegeneinander aufgerechnet
werden. Sie stehen auch weiterhin nur mit ihrem Marktwert in der Bilanz, der aber nur einen Bruchteil des maximalen Verlustrisikos aus
einem Derivat anzeigt. Auch für Großkreditlimits müssen im Derivategeschäft immer noch
nicht die vollen Risiken eingerechnet werden.
18 BIS, OTC derivatives statistics at end December 2014
19 F
SB, OTC derivates market reform, eighth progress report
on implementation, 7 November 2014, S. 18
Kapitel 2
Um zu verhindern, dass in Zukunft die Pleite einer Bank wieder eine Kettenreaktion auslöst,
sollen die Risiken zwischen Banken stärker begrenzt werden. Der Ausfall einer Bank darf nicht
automatisch die nächste Bank in die Insolvenz
ziehen. Daher sollen die Großkreditlimits im Interbankenbereich deutlich verschärft werden und
vor allem nicht mehr durch interne Modelle der
Banken klein gerechnet werden. Dies gilt insbesondere auch für die Risiken aus Derivaten.
Um Schneisen in die endlosen Ketten bilateraler
Derivate zu schneiden, wollen wir den Druck auf
die Finanzindustrie weiter erhöhen, ihre Derivate
über Börsen oder ähnliche zentrale Kontrahenten
abzuwickeln. Diese zentralen Kontrahenten müssen
als systemische Finanzinstitute reguliert werden
und mit einem dementsprechend besonders hohen Eigenkapital ausgestattet sein. Um die extrem langen Ketten von miteinander verflochtenen
Derivateverträgen aufzubrechen und um wirksam
verschiedene Risiken gegeneinander aufrechnen
zu können, darf es auch nur möglichst wenige Derivatebörsen geben. Es handelt sich hier um eine
Art natürliches Monopol und sollte daher mittelfristig staatlich oder genossenschaftlich betrieben
werden. In den USA trägt ein genossenschaftliches
Modell zu sehr viel niedrigeren Handelskosten bei.
TOO BIG TO FAIL
SUBVENTIONEN BEENDEN
In keinem anderen Wirtschaftssektor ist in den
letzten Jahren so deutlich geworden, was es
bedeutet, wenn man Unternehmen nicht einfach pleite gehen lassen kann. Too big to fail
ist das Schlagwort seit der Finanzkrise. Als die
USA Lehman in den Konkurs schickten, gingen
Schockwellen um den Globus. Für die verantwortlichen Personen in der Bundesregierung
war dies die „größte wirtschaftspolitische Fehlentscheidung des 21. Jahrhunderts“20. Für alle
Verantwortlichen erschien es damals völlig normal, dass der Staat die Banken retten musste.
20 Peer Steinbrück im Untersuchungsausschuss zur HRE
30
Die Finanzindustrie auf eine vernünftige Größe schrumpfen
Diese vermeintliche Alternativlosigkeit führte zu
unvorstellbar hohen Kosten: Allein in Deutschland mussten die Steuerzahler*innen Banken mit
der astronomischen Summe von insgesamt 392
Milliarden Euro vor dem Zusammenbruch retten.
Ein Teil dieser Mittel konnte zwar abgelöst werden. Doch auch im Jahr 2015 beträgt die Auswirkung der Bankenrettung auf den Schuldenstand
Deutschlands immer noch fast 9% des BIPs.21
Im Grunde noch schlimmer sind jedoch die sich
aus dem too big to fail Status ergebenden laufenden Wettbewerbsvorteile: Große Banken können
sich zu deutlich subventionierten Konditionen verschulden. Weil die Geldgeber*innen wissen, dass
diese Banken nicht in Konkurs gehen können, sind
Anleihen großer Banken so sicher wie Staatsanleihen. Jedes Jahr fließen auf diese Weise implizite
Subventionen von über 200 Milliarden Euro an
Europas Großbanken. Dank dieser extrem günstigen Refinanzierungskonditionen können diese
Banken ein wesentlich größeres Rad drehen.
Kleine Banken, die nicht in den Genuss dieser
Subventionen kommen, haben einen massiven
Wettbewerbsnachteil. Kein Wunder, dass die Großbanken so hohe Erträge erwirtschaften, dass sie
ihre Mitarbeiter*innen mit fürstlichen Gehältern und exorbitanten Boni entlohnen können.
Radikales Bail-In der Gläubiger
Der größte Skandal während der Bankenrettung war, dass die Bundesregierung, so wie manche andere Staaten, auch die Bankaktionäre und
-gläubiger rettete und so die Marktwirtschaft
komplett aushebelte: Vor der Krise durften die
21 cf Eurostat: http://ec.europa.eu/eurostat/documents/1015035/7036501/Summary-table-for-the-financial-crisis-Oct2015.xlsx Die Zahlen sind nicht die Nettokosten
für den Staat. Sie umfassen alle Steuermittel, die für den
Kauf von Wertpapieren und für Staatsgarantien mobilisiert
werden mussten. Diesen staatlichen Finanzmitteln stehen
auch heute noch Wertpapiere und Kredite gegenüber, die
der Staat den Banken abgenommen hat. Es wird auch in
Zukunft weitere Rückflüsse geben. Fakt aber ist, dass auf
dem Höhepunkt der Krise, 392 Milliarden Euro Steuergelder
mobilisiert werden mussten und ins Risiko gestellt wurden,
weil kein privater Investor bereit war, diese Giftpapiere zu
übernehmen.
31
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Aktionäre mit einer hochriskanten Geschäftspolitik eine Verzinsung von 25% auf ihr eingesetztes Kapital einstreichen und in der Krise haben
sie noch nicht einmal ihr Kapital verloren.
Die neue europäische Bankenabwicklungsrichtlinie (BRRD) ist hier ein großer Fortschritt. Sie erleichtert die Bankenrestrukturierung und schreibt
den Regierungen vor, dass in Zukunft zunächst die
Aktionär*innen und ein Teil der Gläubiger*innen
haften müssen, bevor der Staat die Bank auffangen darf. Die BRRD erlaubt den Staaten jedoch,
die Banken in bestimmten Ausnahmefällen vor
der Abwicklung noch mit Steuergeldern aufzupäppeln. Außerdem fordert sie lediglich eine
Mindesthaftung von 8% der Bilanz22 und nimmt
zudem kurzfristige Interbankengläubiger explizit von der Haftung aus. Ausgerechnet diejenigen
Gläubiger*innen, die den Banken schon vor der
Krise blind und billigst Geld zur Verfügung gestellt
haben und ihnen ermöglicht hatten, das hoch riskante Handelsgeschäft zu finanzieren, müssen
sich also immer noch keine Sorgen machen.
Wir wollen daher die Mindesthaftung von 8%
erhöhen. In einer Krise muss zunächst das vollständige Fremdkapital in Eigenkapital gewandelt
werden, bevor ein bail-out durch Steuergelder
erlaubt ist. Ausgenommen werden dürfen nur
die staatlich geschützten Einlagen. Wir wollen
allerdings zusätzlich zu den Einlagen von Privatkunden, die bis zu 100.000 Euro geschützt sind,
noch die Betriebsmittel von Unternehmen schützen. Unternehmen müssen die Möglichkeit haben, ihre laufenden Zahlungsverpflichtungen, wie
zum Beispiel die Gehaltszahlungen eines Monats,
einer Bank anzuvertrauen, ohne sich über eine
potentielle Pleite der Bank Sorgen zu müssen.
22 Die BRRD fordert eine komplette Haftung aller eligible
liabilities. Sie erlaubt davon abzuweichen. Wenn die Finanzstabilität in Gefahr sein sollte und der Restrukturierungsfond
genutzt wird, müssen mindestens 8% der Bilanz zum Bail-In
herangezogen werden. Mit dieser Ausnahme zur kompletten
Haftung bleibt ein Tor für politisch motivierte Gläubigerrettungen offen.
32
Keine trojanischen Pferde –
no creditor worse off reformieren
Die Finanzmarktlobby konnte mit dem sogenannten no creditor worse off Prinzip ein Trojanisches
Pferd in das Gesetz platzieren. Ein Gutachter muss
sich überlegen, was die Vermögensgegenstände
der Bank wert sind. Dies ist nicht möglich, ohne
sich auf die Modelle der Bank zu stützen. Noch
schwieriger ist es, einen fiktiven Konkurswert zu
bestimmen. Viele Vermögenswerte einer Bank
können sich im Chaos eines Konkurses in Luft
auflösen. Genauso ist aber auch das Gegenteil
möglich. Unternehmen haben jede Menge Tafel­
silber, dessen Marktwert deutlich höher als der
Buchwert ist.
Man muss sich nur die aktuellen Kurs-Buch Ver­
hältnisse der Banken in Europa ansehen, um das
Problem zu verstehen. Der Buchwert eines Unternehmens entspricht im Grunde dem Zerschlagungswert. Bei Commerzbank und Deutsche Bank
entspricht der Marktwert aber nur 50% des Buchwertes. Das heißt, der Konkurswert der Commerzbank ist doppelt so hoch wie der heutige Marktwert.
Anstatt die Aktionär*innen im Rahmen eines bail-in
zur Kasse zu bitten, würden die Aktionär*innen also
bei einer Abwicklung eine Entschädigung in Höhe
des doppelten Aktienkurse erhalten.
Es besteht also enormer Spielraum bei diesem
Gutachten. Der Staat hat zusätzlich das Gutachten
in die Hand der Finanzindustrie gegeben: Es darf
nicht von den Aufsichtsbehörden gemacht werden.
Wer außer der Aufsicht hat die Kompetenz? Nur
Berater, die in ihrem Lebensunterhalt von den
Banken abhängig sind. Sie werden kaum ein neutrales Gutachten produzieren.
Wir wollen daher das no creditor worse off Prinzip
neu definieren. Wir wollen dafür sorgen, dass die
notwendigen Gutachten vor einem bail-in von einer
öffentlichen Institution durchgeführt werden können. Außerdem wollen wir verfassungsrechtlich
klären, wie wir die juristischen Spielregeln für den
Erwerb von Bankaktien so fassen können, dass Aktionäre ihre Ansprüche auch ohne Entschädigung
Kapitel 2
verlieren können, falls die Eigenkapitalquote unter
5% fällt: Aktionären von systemisch wichtigen Banken muss klar gemacht werden, dass sie in ein Unternehmen investieren, das niemals in einen
normalen Konkurs gehen kann. Sie müssen dafür
Sorge tragen, dass die Bank ausreichend kapitalisiert ist und ausreichend Liquidität zur Verfügung
hat. Wenn ihnen das nicht gelingt, verlieren sie ihre
Ansprüche, selbst wenn in einem hypothetischen
Konkursfall theoretisch noch Masse vorhanden gewesen wäre. Es werden so viele Kredite in Eigenkapital gewandelt, bis die Bank wieder ausreichend
kapitalisiert ist. Eine Ausgleichszahlung findet
nicht statt. Die Gläubiger wurden ja nicht enteignet, sie haben Aktien der Bank erhalten. Weitere
Ansprüche haben sie nicht.
Bankenunion vollenden
Ein Grund für die hohen Kosten der Krise war
auch, dass die BaFin, so wie viele andere nationale Aufseher auch, komplett weisungsabhängig
von der Politik ist und sich daher nicht traut, die
sogenannten nationalen Bank Champions wirklich
hart zu beaufsichtigen oder gar rechtzeitig in die
Abwicklung zu schicken. Regulatory forebearance wird dieses typische Verhalten in der Wissenschaft genannt. Außerdem hat die Krise gezeigt,
dass es eine fatale Abhängigkeit zwischen Banken und Staaten gibt. Kamen Banken in die Krise,
befürchteten die Märkte, dass die Rettung den
Staat ruinieren würde. Kamen Staatsfinanzen in
die Krise, befürchteten die Märkte, dass die Banken ebenfalls in den Ruin getrieben würden.
Diese Probleme wurden mit der Bankenunion
adressiert, einem Reformprojekt, das wir als europäische Grüne als Berichterstatter im Europaparlament maßgeblich mitgestaltet konnten. Auch
wenn die neuen Institutionen, die gemeinsame
Aufsicht (SSM), die gemeinsame europäische Abwicklungsbehörde (SRM) und der Abwicklungsfonds (SRF) natürlich angesichts notwendiger
politischer Kompromisse und Zwänge, die sich
aus den europäischen Verträgen ergeben, nicht
perfekt sind, werten wir die Bankenunion doch
als einer der größten Errungenschaften seit der
Die Finanzindustrie auf eine vernünftige Größe schrumpfen
Krise. Sie bringt eine Trennung von wirtschaftlicher und politischer Macht. Erstmals verzichten Nationalstaaten auf die Möglichkeit, ihre
Banken mit dem Geld der Steuerzahler zu retten und mit laxer Finanzaufsicht zu hätscheln.
Probleme sind eine fehlende Kreditlinie des Abwicklungsfonds, die Ansiedlung des SSM in der
EZB, viele der 150 nationalen Sonderregelungen
im Europäischen Bankenaufsichtsrecht, die Bankenabgabe, die kleine und wenig riskante Banken
zu stark belastet; die komplizierte Entscheidungsstruktur im SRM zur Abwicklung einer Bank und
die fehlende europäische Einlagensicherung.
Die Ansiedlung des SSM bei der EZB ist den europäischen Verträgen geschuldet. Wenn es in
den nächsten Jahren zu einer Vertragsänderung
kommt, wollen wir die gemeinsame Aufsicht außerhalb der EZB in einer eigenen EU Institution
organisieren. In diesem Zusammenhang wollen
wir auch den ESRB unabhängig von der EZB machen. Dann wollen wir die Aufsicht auch über die
Banken hinaus auf die großen Versicherungen
ausdehnen. Die EZB darf aus rechtlichen Gründen
keine Versicherungsaufsicht betreiben. Dies war
einer der Hauptgründe, weshalb es nicht zur gemeinsame Aufsicht über große, grenzüberschreitende Versicherungsgruppen gekommen ist.
Wir wollen auch die Entscheidungsstrukturen
der europäischen Abwicklungsbehörde deutlich vereinfachen. In Zukunft soll die Behörde
die Entscheidung zur Bankenabwicklung autonom treffen. Willkürliches Handeln wird vermieden, da sich die Behörde nach vollzogener
Abwicklung in aller Transparenz vor dem Europäischen Parlament verantworten muss.
Bei konsequenten bail-in Maßnahmen wird es
unwahrscheinlich, dass noch Steuermittel zur
Rekapitalisierung erforderlich werden. Für den
Fall, dass der europäische Bankenrestrukturierungsfonds für weitergehende Kosten nicht
ausreichend Mittel zur Verfügung haben sollte,
soll sich der Fonds beim ESM verschulden dürfen.
33
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Diese Schulden sollen durch nachträgliche
Bankenabgaben wieder abgetragen werden.
Um die fatale Wechselwirkung zwischen schwachen
Staaten und schwachen Banken aufzuheben, sollen
für Kredite an Staaten die normalen Großkreditgrenzen gelten. Mit einer vernünftigen Schuldenbremse (leverage ratio) können Banken Staatsanleihen
auch nicht mehr ohne Eigenkapital refinanzieren.
Außerdem wollen wir mit der Schaffung eines
europäischen Einlagensicherungssystems die
Bankenunion vollenden. In einem einzelnen Land
kann eine Bankenkrise leicht die nationale Einlagensicherung sprengen. In Deutschland konnte
der Einlagensicherungsfonds der Privatbanken
nach der Pleite der IKB und der Düsseldorfer
Hypothekenbank die Schieflage der deutschen
Tochtergesellschaft von Lehman Brothers nicht
mehr verkraften und brauchte einen Notkredit
vom Staat. Auch die Einlagensicherungssysteme
der heute so starken Sparkassen und Genossenschaftsbanken können bei einer systemischen
Krise bei der mehrere kleine Banken gleichzeitig
in Schieflage kommen, leicht überfordert sein.
Zudem haften diese Systeme auch für die Landesbanken und die genossenschaftlichen Zentralinstitute wie die DZ Bank. Derartige Großkrisen
rein national abzusichern wäre prohibitiv teuer.
Außerdem ist ein europäisches Einlagensicherungssystem wichtig, damit bei einer Krise keine
Kapitalflucht einsetzt. Diese verstärkt die Krise
massiv und führt leicht zu einer Negativspirale.
Um gut funktionierende nationale Systeme wie
die Institutssicherung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu bewahren, wollen wir das
europäische System lediglich als Rückversicherung konstruieren. Zudem würden wir begrüßen,
wenn beide Institutsgruppen sich selbst europäische Partner suchen, um ihre Modelle der Absicherung in einem größeren Teil der Eurozone
zur Wirkung zu bringen, was sich positiv auf die
Krisenstabilität der Eurozone auswirken würde.
34
Bei der Finanzierung der Bankenunion, also dem
Abwicklungsfonds und der Einlagensicherung
wollen wir sicherstellen, dass die Beiträge ausreichend das höhere Risiko großer und komplexer
Banken , sowie die Kapitalausstattung und das
Geschäftsmodell der jeweiligen Banken reflektieren. Das sieht das europäische Recht durch
Grünes Engagement schon heute vor, wurde aber
unvollkommen umgesetzt. Die Beiträge zum Bankenabwicklungsfonds müssen mit der nächsten
turnusmäßigen Überarbeitung des Gesetzes tatsächlich risikoproportional werden. Wir wollen,
wie oben geschildert, die Neugestaltung der Beiträge nutzen, um Banken einen starken Anreiz zu
geben, sich weniger kurzfristig zu verschulden.
Banken leichter abwickelbar machen –
Trennbankensystem einführen
Großbanken können so schwer abgewickelt werden, weil sie so komplex und so international sind.
Sie bestehen aus tausenden von gesellschaftsrechtlichen Einheiten, deren Existenz meist nur zur
Steuervermeidung dient und nichts mit der Geschäftslogik zu tun hat. Daher können in der Krise
unmöglich schnell die gesunden von den kranken
Geschäftsteilen getrennt werden. Die Internationalität führt dazu, dass jedes Land Sorge hat, auf den
kostspieligen Problemen alleine sitzen zu bleiben.
Um die Komplexität in den Griff zu bekommen,
müssen die Banken sogenannte Testamente, living
wills, schreiben, in denen sie aufzeigen, wie sie in
der Krise schnell aufgespalten und abgewickelt
werden können. Noch ist in der Öffentlichkeit wenig zu den Testamenten bekannt geworden. Aus
Schutz vor angeblichen Geschäftsgeheimnissen,
gibt es keinen Zugang zu diesen Dokumenten.
Lediglich von der Aufsicht in den USA hat man
gehört, dass die bislang eingereichten Entwürfe
auch der europäischen Banken noch völlig unzureichend seien. Es ist auch schwer vorstellbar,
was diese Testamente bringen sollen, wenn nicht
gleichzeitig gesellschaftsrechtliche Vorbereitungen getroffen werden. Banken können nur dann
schnell in gesunde und kranke Teile aufgespalten
Kapitel 2
werden, wenn ihre Geschäftsfelder auch in separaten rechtlichen Einheiten organisiert sind.
Die offizielle europäische Expertengruppe um den
finnischen Zentralbankchef Liikanen hatte sich
eindeutig dafür ausgesprochen, dass Banken ihre
Handelsaktivitäten und ihr klassisches Bankgeschäft in zwei juristisch eigenständigen Schwestergesellschaften unter einem Dach führen. Nur so
ist es in einer Krise schnell möglich, die Bank aufzuspalten und dafür zu sorgen, dass eine Abwicklung ohne Steuergelder realistisch wird. Auch hier
hat die EU Kommission dem Druck der deutschen
Regierung nachgegeben und die Trennbankenreform der Willkür nationaler Aufseher überlassen.
Wenn Herr Schäuble nicht will, muss also keine
deutsche Großbank ihre Geschäfte aufspalten.
Und dass er nicht will, hat er mit dem deutschen
Trennbankengesetz23 schon bewiesen. Das Gesetz
ist der Höhepunkt der Scheinheiligkeit. Placeboregulierung pur. Nichts als Sand, der in die Augen
der Wähler gestreut werden soll. In ein separates
Tochterunternehmen soll in Deutschland ausschließlich der Eigenhandel überführt werden.
Nur kann niemand Eigenhandel vernünftig definieren. Die Banken jedenfalls behaupten, alle ihre
Handelsaktivitäten hätten Kundenbezug24. Und
Handel mit Kundenbezug fällt selbstverständlich
nicht unter das Gesetz. Das deutsche Trennbankengesetz verbietet also gar nichts. So kann
man sich großspurig in Fernsehtalkshows setzen und sagen: „Trennbanken – haben wir doch
schon alles geregelt, was wollt Ihr denn“.
23 Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der
Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen
24 Sie deklarieren als sogenanntes market making. Was ist
market making? Die Banken kaufen und verkaufen Wertpapiere auf eigenes Risiko, angeblich nur damit ein liquider
Markt entsteht. Das ist nichts anderes als Eigenhandel. Die
Deutsche Bank zum Beispiel hat 1 Billion Euro Risiken im
Handelsbuch. Nichts davon fällt angeblich unter die verbotene Kategorie des Eigenhandels.
Die Finanzindustrie auf eine vernünftige Größe schrumpfen
Das einzige, was das Gesetz also gebracht hat, ist
interne Bürokratie, weil die Banken sich zu jedem
Handelsgeschäft nun einen Kundenbezug ausdenken und dokumentieren müssen. Die Risiken
in der Bank sind dieselben wie vor dem Gesetz
geblieben und abspalten kann man das Geschäft
in der Krise immer noch nicht, weil es nicht in einer eigenen rechtlichen Einheit organisiert ist.
Wir wollen daher ein klares und einfaches Trennbankensystem einführen. Jede größere Bank hat
heute schon mehrere klar definierte Geschäftsbereiche, zum Beispiel das Handelsgeschäft und das
Kreditgeschäft. Die Managementstruktur erfolgt
normalerweise so, dass Manager für einen Geschäftsbereich voll verantwortlich sind, das heißt
für die Kundenbeziehungen sowie für die Finanzierung ihres Geschäftes. Diese klaren Managementstrukturen wollen wir verpflichtend machen.
Zusätzlich müssen Banken in der Zukunft aber auch
ihre rechtliche Struktur so reformieren, dass jedes
Geschäftsfeld auch gesellschaftsrechtlich eigenständig ist. Die Banken sollen nicht zerschlagen
werden, sondern nur sauber organisiert. Auf Steuervermeidung, der in der Regel die jetzigen verschachtelten gesellschaftsrechtlichen Strukturen
dienen, müssen die Banken in Zukunft verzichten.
Auch müssen sich die einzelnen Geschäftseinheiten
in ihren Verrechnungspreisen untereinander wie
fremde Dritte behandeln. So werden wir die Subventionierung riskanter Handelsaktivitäten durch
staatlich geschützte Kundeneinlagen beenden.
Das Trennbankengesetz ist ein gutes Beispiel, wie
ein langes Gesetz mit komplizierten Regeln vereinfacht werden könnte. Mann muss nicht ausführlich
definieren, was Eigenhandel ist, welche Handelsaktivitäten und welche Sicherungsgeschäfte im
Kundeninteresse stattfinden. So schafft man nur
Komplexität, Bürokratie und eine Vielzahl von Ausnahmen. Wir wollen stattdessen alle Handelsaktivitäten in die Handelsbank geben. Ohne Ausnahmen.
35
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
WETTBEWERB
Von fairem Wettbewerb kann in der Finanzindustrie derzeit keine Rede sein. Alle Banken, egal ob
groß oder klein, müssen jedoch die gleichen Chancen haben, sich am Markt erfolgreich zu betätigen. Staatliches Handeln darf nicht dazu führen,
dass sich die großen Banken Monopolgewinne
sichern können. Daher müssen unbedingt die
too big to fail Subventionen eingestellt werden.
Sollten wir mit unseren Reformen diese Subventionen nicht in den Griff bekommen, muss auch
über härtere Maßnahmen nachgedacht werden.
Wir begrüßen daher die Abspaltung der Postbank von der Deutschen Bank. Dies ist ein guter
erster Schritt in die richtige Richtung. Die Fusion von Großbanken wie der Deutschen Bank und
der Postbank hätte nie genehmigt werden dürfen.
Das zeigt eine Lücke auf: Es fehlt, wie die Monopolkommission zu recht anmerkt, ein eigenständiges Bankenfusionsrecht, das für die Zukunft
ausschließt, dass bereits systemrelevante Banken
durch Aufkäufe noch weiter wachsen können.
Auch im Versicherungsbereich gibt es ein Problem
mit Marktmacht. Die Allianz dominiert den Markt.
Jede dritte neue Lebensversicherung in Deutschland geht zur Allianz. Die Kunden wissen, dass
der Staat die Allianz niemals pleite gehen lassen
wird. Jahr für Jahr erzielt die Allianz so eine Rendite auf das in der Lebensversicherung eingesetzte
Eigenkapital von über 30%, während ihre Kunden
nur noch 1,25% garantiert bekommen. Wir müssen daher die Versicherungsindustrie wie weiter
unten geschildert so reformieren, dass ein Marktführer wie die Allianz nicht nur deswegen so viel
Neugeschäft an sich zieht, weil die Kunden sich
nicht trauen ihre Altersvorsorge einem kleinen und
daher nicht mit einer impliziten staatlichen Garantie versehenen Unternehmen anzuvertrauen.
Bei allem unserem Engagement für die kleinen
lokalen Akteure, für Sparkassen, Genossenschafts­
banken und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, ist jedoch auch hier nicht alles im grünen
Bereich. Es gibt über Tausend kleine
36
Genossenschafts­banken und über 400 kleine
Sparkassen. Diese sind zwar formal unabhängig.
In Wirklichkeit aber haben sie den Markt untereinander aufgeteilt. Jede dieser kleinen Banken ist nur
in einer festgelegten Region tätig und macht sich
gegenseitig keine Konkurrenz. Sowohl die Sparkassen wie die Volks- und Raiffeisenbanken haben sich
zu Verbünden zusammengeschlossen und wichtige
Funktionen zentralisiert. So gibt es zwar auf dem
Papier viele Banken, aus Wettbewerbssicht aber
nur vier große Bankengruppen. In vielen ländlichen
Gegenden Deutschlands gibt es nur zwei oder
sogar nur eine einzige Bank.
Dieses Gebietsmonopol ist ein zentrales Grundprinzip sowohl der Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Zwar schränkt es den Wettbewerb ein.
Doch nur so sind diese kleinen Banken überhaupt
kooperationsfähig und damit überlebensfähig. Das
dezentrale Bankensystem der deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken ist eine der großen Stärken in unserem Land. Das Gebietsmonopol
dient eindeutig der Finanzstabilität. Wir wollen
es daher unter keinen Umständen abschaffen.
Wir wollen aber auch nicht zulassen, dass kleine
Banken ihre lokale Monopolstellung dazu nutzen,
um ihre Kund*innen unfair auszunehmen. Wir wollen Indizien zu unerlaubten Preisabsprachen bei
kleinen Banken auf dem Land, wie von der Monopolkommission jüngst berichtet, genauso hart
verfolgen, wie jede Form von illegalem Verhalten
bei Großbanken. Wir wollen nicht länger tolerieren,
dass Banken oder auch Versicherungen ihre Preise,
wie z.B. für Dispokredite verschleiern. Transparenz
und Vergleichbarkeit sind enorm wichtige Faktoren
für funktionierenden Wettbewerb in der
Finanz­industrie.
Derzeit sind in kaum einem Land der OECD die
Gebühren für die Geldanlage so hoch wie in
Deutschland. Auch die Zinsen für mittelständische Unternehmen waren in Deutschland in
den letzten Jahren fast immer höher als in den
meisten anderen Ländern Europas. Oft werden
Menschen mangels anderer Alternative für ihre
Kapitel 2
Dispokredite abgezockt. All dies wollen wir nicht
tolerieren. Dispozinsen wollen wir gesetzlich deckeln. Die große Koalition setzt hier leider im wesentlich auf Transparenz und eine Verpflichtung
der Institute, Kunden mit Dispokredite Beratung
anzubieten. Das reicht nicht aus. Wir müssen bei
der Deckelung allerdings darauf achten, dass wir
damit nicht Menschen mit schlechterer Kreditwürdigkeit in die Arme von Kredithaien treiben.
Wir wollen alles tun, damit Markteintrittsbarrieren im Finanzsektor durch einfachere Regulierung
verringert werden und der Wettbewerb auch in der
Fläche Deutschlands wieder steigt. Dazu gehört
auch eine weitere Harmonisierung der Verbraucherschutzregeln und der Bankenregulierung in
Europa. Es kann nicht sein, dass eine grenzüberschreitende Bank in jedem Land ein eigenes IT
System aufbauen muss, weil die Regulierung sonst
nicht abgebildet werden kann. Kosten für IT und
Regulierung sind gerade für kleine Banken prohibitiv hoch und verhindern so grenzüberschreitenden Wettbewerb. Wir begrüßen die Pläne der
EU-Kommission im Rahmen der Kapitalmarktunion, kleine Kreditgenossenschaften überall in allen
EU-Ländern gründen zu können. Deutschland sollte
hier mit gutem Beispiel vorangehen und die bestehenden Marktzugangsschranken aufgeheben.
Wir wollen auch junge und innovative Finanzdienstleister fördern. Die Markteintrittsbarriere für
neue Unternehmen darf nicht prohibitiv sein. Die
Digitalisierung bietet jungen Fin-Tech Unternehmen spannende Chancen, in einen sonst extrem
konservativen Markt für Finanzdienstleistungen
einzudringen und Finanzmittel für nachhaltige Projekte zu mobilisieren. Funktionierender Wettbewerb
im Finanzmarkt ist essentiell für eine innovative,
dynamische und faire Gesellschaft. Wir werden aber
auch darauf achten, dass Fin-Tech Unternehmen ab
einer gewissen Größe sich an die gleichen Spielregeln wie alle anderen Banken halten müssen.
Die Finanzindustrie auf eine vernünftige Größe schrumpfen
KLEINE BANKEN LEBEN LASSEN
Die Finanzkrise hat gezeigt, wie wichtig kleine
lokal verwurzelte Banken für die Wirtschaft eines Landes sind. Nicht nur sind diese Banken
wesentlich stabiler und weniger krisenanfällig,
sie sind auch die viel zuverlässigeren Geldgeber für kleine und mittlere Unternehmen. KMU
finanzieren sich in keinem Land der Welt über
den Kapitalmarkt. Sie brauchen lokale Banken,
zu denen sie ein langjähriges Vertrauensverhältnis aufbauen können und die ihnen auch
bei schlechter Konjunktur die Treue halten.
Neben den Subventionen für too big to fail nutzen
Großbanken auch auf perfide Weise die Bankenregulierung, um sich vor unliebsamer Konkurrenz
abzuschotten. Kleine Banken kommen mit dem
hohen regulatorischen Aufwand nicht klar und
sind daher oft gezwungen mit größeren Banken
oder zu größeren Einheiten innerhalb der gleichen Gruppe zu fusionieren. Große Banken hingegen können Regulierungskosten im Verhältnis
zum Geschäftsvolumen begrenzen oder sich ganze
Heerscharen von Rechtsanwälten und anderen
Experten leisten und finden so ihre Schlupflöchern, wie sie die Regeln umgehen können: ein
wunderbares Instrument, sich aufstrebende Konkurrenz von kleinen Banken vom Leibe zu halten.
Dies ist ein wichtiger Grund, weshalb wir die
Regulierung reformieren wollen. Auch die Meldepflichten können massiv entschlackt werden,
wenn die Regeln dementsprechend angepasst
sind. Banken mit einem vernünftigen Eigenkapitalpuffer und wenig riskantem Geschäftsmodell
brauchen kein Meldeverfahren, dessen Richtlinien allein knapp 1800 Seiten umfassen.
Wir wollen auch für kleine, regional tätige Banken
mit eingeschränkten Geschäftsmodell einen eigenständigen Regulierungsansatz (Small Bank Box) innerhalb der CRD/CRR, damit nicht bei jeder neuen
Reform der Bankenregulierung wieder Ungemach
für diese Institute droht. Sie sollen keine Privilegien erhalten, sondern eine passgenaue Regulierung,
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Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
die nicht an den komplexen Risikomodellen großer
Banken ansetzt, sondern dem traditionellen Kreditund Einlagengeschäft kleiner Institute entspricht.
Nicht nur die Regeln, auch die Aufsichtspraxis muss
reformiert werden. Heute verwenden die Aufseher
im Verhältnis zur Größe der Banken viel mehr Zeit
für kleine als für große Banken. Wir wollen daher
in Zukunft die Aufsicht über Sparkassen und Genossenschaftsbanken stärker auf die Ebene ihrer
Institutssicherung verlagern. Diese beiden Bankengruppen sind unter anderem deshalb so sicher, weil
sie gegenseitig füreinander einstehen und sich gegenseitig überwachen. Solange die Institutssicherung ausreichend stark ist, sprich über genügend
Kapital, ausreichende Transparenz und präventive
Eingriffsrechte gegenüber den angeschlossenen
Instituten verfügt, ist eine Einzelprüfung der insgesamt über 1.400 kleinen Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Deutschland weniger wichtig.
GEMEINWOHLAUFTRAG ÖFFENTLICHER
BANKEN DEUTLICHER MACHEN
Die Sparkassen haben sich nicht nur in der Finanzkrise als besonders stabil erwiesen, sie sind auch
eine wesentliche Säule der Kreditversorgung des
Mittelstands in Deutschland. Die Rolle der meisten
Landesbanken hingegen war weniger rühmlich. Ihr
Geschäftsmodell war unklar und sie haben sich in
der Vergangenheit durch besonders unverantwortliche Risikoblindheit hervorgetan. Leider fällt ihr
Name auch immer wieder bei Großskandalen wie
dem systematischen cum-ex Steuerbetrug oder
der Präsenz in Steueroasen. Man fragt sich, wie
eine staatliche Bank Gefallen daran finden kann,
den Staat mit Steuertricksereien zu betrügen oder
Kommunen mit fragwürdigen Zins-Swaps oder
Fremdwährungskrediten über den Tisch zu ziehen.
Aus dem Desaster bei den Landesbanken sind noch
nicht alle nötigen Konsequenzen insbesondere
bezüglich der Governance-Strukturen gezogen.
38
In der letzten Zeit liest man immer wieder in der
Presse über Streitereien zwischen Sparkassenvorständen und ihren kommunalen Trägern über
die Gewinnverwendung. Die Vorstände weigern
sich angemessene Gewinne an die Kommunen
auszuschütten und ziehen es vor, diese als wohltätige Spenden in der Gemeinde zu verteilen.
Wir sprechen uns deutlich dagegen aus, dass die
Kommunen die Rücklagen der Sparkassen plündern und ihnen so die Risikovorsorge unmöglich
machen. Wenn aber ausreichend Eigenkapital
aufgebaut wurde, sollen die Gewinne der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden, die
nach demokratischen Kriterien entscheiden kann,
wie diese verwendet werden. Die Förderung von
Sport- oder Gesangvereinen sollte kommunale Aufgabe sein und nicht in Gutsherrenart von
den Sparkassendirektoren entschieden werden.
Wichtig ist auch, dass Förderbanken, Landesbanken und Sparkassen, ihren Gemeinwohlauftrag
besser definieren und ihre Zielerreichung in bezug auf diesen Auftrag klarer darlegen. Die Banken sollen einen Finanzierungsauftrag haben mit
klar definierten sogenannten ESG Kriterien. Das
heißt, wir wollen dafür sorgen, dass öffentliche
Banken mit gutem Beispiel vorangehen und ihre
Finanzmittel in besonderem Maße nachhaltigen
und sozial sinnvollen Finanzierungsprojekten zur
Verfügung stellen. Sie sollen auch im Verbraucherschutz Vorreiter sein und hier das kundenfreundlichste Verhalten vorleben. Wir wollen den
Ansatz der Gemeinwohlbilanzierung aufgreifen
und für öffentliche Unternehmen wie Sparkassen
und Landesbanken eine geeignete Form der Bilanzierung ihrer Gemeinwohl-Wirkung entwickeln.
3.
DIE FINANZINDUSTRIE
STÄRKER AN DER REALWIRTSCHAFT
AUSRICHTEN UND
KUNDENFREUNDLICHER MACHEN
Die Finanzmärkte sind immer noch zu sehr
auf sich selbst fokussiert. Kurzfristiges Spekulieren ist immer wichtiger als langfristiges investieren und Kundennutzen wird nicht
konsequent genug groß geschrieben.
AN DER REALWIRTSCHAFT AUSRICHTEN
Dem ehemaligen Präsidenten der US Notenbank
Fed, Paul Volcker, wird der Spruch nachgesagt, „die
einzige sinnvolle Finanzinnovation der letzten
Jahrzehnte war der Geldautomat“. Selbst wenn man
die Radikalität dieses Ausspruches nicht teilt, muss
man doch festhalten, dass kaum eine Finanzinnovation dazu geführt hat, dass Unternehmen ihre
Zukunftsinvestitionen leichter finanzieren können
oder dass Haushalte ihre existentiellen Risiken
besser absichern können und ihre Ersparnisse sicherer und ertragsbringender anlegen können.
Die Finanzwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr von von der Realwirtschaft
abgekoppelt und mit sich selbst beschäftigt. Das
Wachstum der Handelsaktivitäten mit Wertpapieren stammt nicht aus gestiegenen Wertpapieremissionen sondern aus Handel mit Papieren, die
schon lange auf dem Markt sind. Genauso dient
das explodierte Derivatevolumen nicht gestiegenen Sicherungsbedürfnissen der Unternehmen und
Haushalte sondern der Absicherung von Positionen, die Finanzinstitute untereinander eingehen.
Dies ist einer der Gründe, weshalb wir die Finanzwirtschaft wieder schrumpfen lassen wollen und
weshalb wir keine Probleme sehen, wenn aufgrund
unserer Vorschläge manche Geschäfte unrentabel werden und eingestellt werden müssen.
Wir wollen auch verhindern, dass die Entkoppelung der Finanzmärkte auf immer neue Märkte wie
zum Beispiel Immobilien- oder Rohstoffmärkte
übergreift. Wir wollen nicht, dass aus Wohnraum
ein leicht handelbares Finanzprodukt entsteht und
die Preise für Immobilien ähnlichen Schwankungen unterliegen, wie typische Wertpapiermärkte.
Daher sprechen wir uns für die Wiederabschaffung
der 2007 genehmigten Immobilienaktien (REITS)
aus. Wenn Kleinanleger in ein diversifiziertes Immobilienportfolio investieren wollen, können sie
dies über einen Immobilienfonds mit angemessen
langer Kündigungsfrist machen. Wenn Wohnungen in Aktien umgewandelt werden, steht auch
hier nicht mehr eine Finanzierungsform für den
Bau neuen Wohnraums im Vordergrund, sondern
das Handeln mit Wertpapieren im Millisekundentakt. Die Gefahr von hoch volatilen Preisen nimmt
dann Überhand. Sollten wir mit dem Verbot von
REITS scheitern, zum Beispiel weil die Märkte kreative Umgehungen finden, wollen wir auf jede
Immobilientransaktion, auch wenn nur wie bei
REITS minimale Anteile an Immobilien gehandelt
werden, Grunderwerbsteuer erheben und so Sand
ins Getriebe der Immobilienspekulation streuen.
39
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Das ist auch ein Grund, weshalb wir Rohstoffspekulationen einschränken wollen. Rohstoffpreise
unterliegen hohen natürlichen Schwankungen.
Ein klassisches Beispiel sind die Agrarmärkte,
deren Preise mit dem Ertrag der Ernten schwanken. Käufer und Verkäufer von Rohstoffen sichern
daher seit Jahrhunderten ihre Preise langfristig
ab. Zusätzlich zu diesen wichtigen Sicherungsgeschäften, hat sich jedoch seit einiger Zeit der
Handel mit Rohstoffen verselbständigt und ist
zum eigenen Finanzprodukt geworden. Dadurch
sind die gehandelten Volumina massiv angestiegen und die Preisausschläge ebenfalls.
Wir wollen daher den Handel mit Rohstoffen und
Nahrungsmitteln wieder stärker an den Bedürfnissen der realen Rohstoffmärkte ausrichten. Wir
sind der festen Überzeugung, dass Finanzinstitute
nicht in die reale Wertschöpfungskette der Rohstoff- und Nahrungsmittelproduktion oder Bevorratung einsteigen sollten und wollen daher Banken
untersagen, Rohstofflager oder Rohstoffproduktion
zu betreiben. Wir wollen auch den Rohstoff- und
Nahrungsmittelhandel besser regulieren. Wir haben uns daher auf europäischer Ebene erfolgreich
für verbindliche, europaweite Positionsgrenzen
eingesetzt. Jetzt werden wir nicht zulassen, dass
dieser Erfolg über das Kleingedruckte in Ausführungsgesetzen unwirksam gemacht wird.
LANGFRISTIGKEIT FÖRDERN
Die wichtigste Funktion der Finanzwirtschaft ist
die sogenannte Kapitalallokation. Die Gelder der
Sparer*innen müssen in die gesellschaftlich vielversprechendsten Projekte gelenkt werden. Ob ein
Windpark gebaut werden soll, bessere Batterien für
Elektrofahrzeuge entwickelt werden oder ob eine
Elterninitiative eine neue Kita einrichten will, alle
Projekte brauchen eine langfristige und flexible
Finanzierung. Wenn die Finanzmittel fällig werden,
bevor die Investitionen wirklich Früchte tragen,
kann das den Ruin des Projektes bedeuten. Genauso gefährlich ist ein hoher und starrer Schuldendienst, weil dann schon eine Zeitverzögerung oder
40
ein anderes kurzfristiges Problem die Zahlungsunfähigkeit bedeutet. Wenn Investitionen zu sehr
über Fremdkapital und zu wenig mit Eigenkapital
finanziert werden, ist dies sowohl für die einzelnen
Projekte riskant wie auch gesellschaftlich problematisch, da sich aus dem hohen Fremdkapitalhebel leicht volkswirtschaftliche Instabilität und
Prozyklizität ergibt. Daher wollen wir Langfristigkeit in der Finanzierung fördern und Eigenkapital
sowohl für die Anleger wie für die Unternehmen
im Vergleich zu Fremdkapital attraktiver machen.
Kundeneinlagen vom täglich fälligem
Girokonto in längerfristige Sparformen
Die Finanzindustrie in ihrer heutigen Form
hat darauf keine überzeugenden Antworten. In
Deutschland halten die Haushalte 39% ihres Finanzvermögens - knapp 2 Billionen Euro, also fast
100% des jährlichen Volkseinkommens - als Bargeld und Einlagen bei Banken. Es ist schwer erklärlich, warum im Durchschnitt jeder Haushalt ein
ganzes Bruttojahreseinkommen täglich verfügbar
haben muss. Banken haben keinen Anreiz, Kunden
durch höhere Zinsen in längerfristige Anlageformen zu bewegen. Aus regulatorischer Sicht gelten
Kundeneinlagen als stabile Form der Refinanzierung, auch wenn sie täglich fällig sind. Tatsächlich
waren in der Finanzkrise Kundeneinlagen deutlich
stabiler als Interbankenkredite. Dies muss aber
nicht so bleiben. Wir halten es daher für sinnvoll,
die Sparer*innen dazu zu bewegen, einen großen
Teil ihrer Ersparnisse langfristig anzulegen. So
können Investitionen wesentlich risikoärmer finanziert werden. Wir wollen daher die Versicherungsprämien für die gesetzliche Einlagensicherung
so staffeln, dass Banken mit langfristigen Kundeneinlagen geringere Prämien zu zahlen haben.
Reform der privaten Altersvorsorge
Nach dem Geld auf dem Bankkonto, ist die Lebensversicherung das Lieblingsprodukt deutscher Sparer*innen. Jahr für Jahr werden über 80
Milliarden Euro an eines der 93 Lebensversicherungsunternehmen überwiesen. Das sind über
5% des verfügbaren Einkommens und 55% des
jährlichen Sparvolumens deutscher Haushalte.
Kapitel 3
Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen
Die private Altersvorsorge ist eigentlich die ideale Quelle für langfristige Investitionsmittel. Das
Geld kann theoretisch für Jahrzehnte angelegt
werden. Der Sparerin sollte es eigentlich egal
sein, wenn der Wert ihrer Guthaben im Laufe der
Jahrzehnte hohen Schwankungen unterliegt, solange am Ende eine vernünftige Rente gesichert
ist. Trotzdem legen Lebensversicherer nur 3%
ihrer Geldanlagen in Aktien oder anderen Eigenkapitalanlagen an, obwohl die Regulierung eigentlich einen höheren Anteil erlaubt. Der Grund
liegt in ihrem derzeitigen Geschäftsmodell.
Unternehmen tragen dann aber trotz Abschluss
einer Versicherung weiterhin voll das Risiko der
Altersvorsorge. Das heißt, wenn der Lebensversicherer insolvent wird, haftet das Unternehmen für
seine betriebliche Altersvorsorge. Dieses Risiko
ist angesichts der oben geschilderten gravierenden Probleme der Versicherungswirtschaft nicht
rein hypothetisch. Da Unternehmen neben der
Zahlung von Beiträgen an die Versicherer keine
weitere Vorsorge für ihre Pensionszusagen treffen, könnte der Konkurs eines Versicherers viele Mittelständler in Deutschland gefährden.
Lebensversicherer gestatten ihren Kund*innen
jederzeitiges Kündigungsrecht und garantieren
einen festen Wert für das Kundenguthaben. Damit hat auch die Lebensversicherung den Charakter eines Bankkontos und kann nur in liquide
und festverzinsliche Anlagen investieren. Angesichts der Drückerkolonnen im Vertrieb und
5% sofort fälliger Abschlussgebühr auf die über
Jahrzehnte geplante zukünftige Sparleistung
bei einem Lebensversicherungsvertrag sind solche Verbraucherschutzmaßnahmen unumgänglich. Sie machen aber eine echte langfristige
Anlage der Lebensversicherer fast unmöglich.
Für die Begünstigten der betrieblichen Altersvorsorge ist die Vorsorge über Lebensversicherung
aufgrund der exorbitanten Kosten und mangelnden Verbraucherfreundlichkeit der Lebensversicherungsverträge auch nicht attraktiv.
Wir wollen daher die private Altersvorsorge reformieren und so wie in Schweden einen Bürgerfonds
ins Leben rufen. Dieser Fonds wird keine Vertriebsprovisionen in Rechnung stellen und aufgrund
seiner Größe wird die laufende Verwaltungsgebühr
vernachlässigbar sein. In dem Bürgerfonds kann
Altersvorsorge langfristig angelegt werden, sprich
Gelder, die nicht jederzeit kündbar sein müssen und
die zwischenzeitlichen Wertschwankungen unterliegen können. So kann der Bürgerfonds, wie auch
das erfolgreiche schwedische Modell zeigt, die
Wirtschaft mit Eigenkapital unterstützen und langfristige und nachhaltige Investitionen finanzieren.
Dieser Bürgerfonds soll auch für die betriebliche Altersvorsorge offen stehen. Für kleine Unternehmen ist betriebliche Altersvorsorge heute
kaum zu organisieren, wenn sie diese nicht an
eine private Lebensversicherung auslagern. Die
Haltedauer von Aktien und anderen
Wertpapieren
Wir werden außerdem an verschiedenen anderen Stellen im Finanzmarkt gezielt Langfristigkeit fördern. Die Unternehmenskultur hat sich in
den letzten Jahrzehnten immer stärker in Richtung kurzfristige Gewinnsteigerung gewandelt.
Ein Grund hierfür ist der Aktienmarkt mit seiner
Fokussierung auf Quartalsberichte und schnelle Erfolge. Investitionen, insbesondere in Weiterbildung, in Forschung und Entwicklung aber
auch in Maschinen, belasten zunächst die Gewinn- und Verlustrechnung und rechnen sich
oft erst nach vielen Jahren. Unternehmen, die
in die Zukunft investieren, brauchen daher geduldiges und langfristig orientiertes Kapital.
Auch für die meisten Manager*innen lohnt es sich
nicht, auf langfristigen Erfolg zu setzen, da ihre Entlohnung sehr stark den kurzfristigen Erfolg belohnt.
Viele Aktionär*innen sind nicht am langfristigen Erfolg des Unternehmens interessiert, da
sie ihre Aktien nur wenige Monate halten und
dann wieder verkaufen. Der klassische Investor, im Stile eines Warren Buffets, der Unternehmen und ihre Zukunftsaussichten fundamental
41
Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
analysiert und dann mit einer extrem langen
Perspektive erwirbt, gehört inzwischen einer
Minderheit an. Die meisten Händler*innen versuchen eher den Markt als die Perspektiven eines Unternehmens zu verstehen. Das extremste
Beispiel sind Hochfrequenzhändler*innen, die
Wertpapiere gar im Millisekundentakt drehen.
Wir wollen daher verschiedene Reformen in
Gang bringen, um Nachhaltigkeit wieder stärker
zu belohnen. Wir sprechen uns deutlich gegen
Hochfrequenzhandel aus, der aus unserer Sicht
keinerlei volkswirtschaftlichen Nutzen erzeugt.
Dies ist einer der Gründe, weshalb wir eine umfassende Finanztransaktionssteuer fordern, die
schnelles Drehen von Aktien weniger attraktiv
macht und langfristiges Halten fördert. Solange die Finanztransaktionssteuer nicht in vollem
Umfang eingeführt ist und den Hochfrequenzhandel ausbremsen kann, brauchen wir für dieses
Ziel spezifische Maßnahmen wie zum Beispiel
das Verbot von privilegiertem Zugang mancher
Marktteilnehmer auf die Handelsplattformen.
Wir unterstützen die Initiative des Europaparlamentes einer Reform des Aktienrechtes, um Investor*innen zu privilegieren, die ihre Aktien länger
halten. Ein Beispiel sind Stimmrechte, die Aktionär*innen erst bei einer Mindesthaltedauer ausüben können. Außerdem halten wir es für richtig,
dass Gewinne erst dann an Aktionär*innen oder
Mitarbeiter*innen ausgeschüttet werden können,
wenn sie tatsächlich realisiert wurden. Mark-tomarket Bewertungen dürfen daher nicht noch mehr
Bedeutung in Unternehmensbilanzen bekommen.
Wichtig ist auch eine Reform der Managerentlohnung. Wir brauchen gesetzliche Vorgaben, damit
Anreizsysteme in allen Unternehmen so gestaltet
werden, dass der größte Teil der variablen Vergütung wirklich langfristige Erfolge belohnt.
Kapitalmarktunion
Das große Finanzmarktprojekt in Europa derzeit
heißt Kapitalmarktunion. Die Kommission hat die
Losung ausgegeben, dass ein besserer Zugang
der Unternehmen in Europa zum Kapitalmarkt
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viele Probleme lösen würde. Nach der Finanzkrise
seien viele der Banken immer noch zu schwach
aufgestellt, um vernünftig Kredite vergeben zu
können. Aufgrund dieser Kreditklemme komme
die Wirtschaft in den Krisenländern nicht wieder in Schwung. Die USA hätten diese Probleme
nicht, da dort die Wirtschaft nicht so sehr von
den Banken abhängig sei, sondern sich wesentlich stärker über Kapitalmärkte finanziere.
Diese Analyse ist in der Wissenschaft umstritten.
Es gibt eine Unmenge an Untersuchungen, ob Kapitalmarktfinanzierung im Vergleich zu Bankenfinanzierung wachstumsfördernd oder im Krisenfall
stabilisierend wirke.25 Beide Finanzierungsformen
haben Vor- und Nachteile. Sehr fragwürdig ist die
Schlussfolgerung der Kommission, dass die USA
aufgrund ihrer Kapitalmarktfinanzierung besser aus der Krise gekommen sei. Im Gegensatz
zu Europa haben die USA nämlich ihre Banken
zwangsrekapitalisiert, so dass diese viel schneller
wieder in der Lage waren Kredite zu vergeben.
Die USA verfügen ähnlich wie wir in Deutschland
über ein weit verzweigtes Netz von tausenden kleinen unabhängigen lokalen Banken. Diese finanzieren die lokale und mittelständische Wirtschaft.
Kapitalmärkte eignen sich nämlich nirgendwo auf
der Welt als Finanzierungsquelle für kleine und
mittlere Unternehmen. Das ist ganz normal, weil
Unternehmenskredite nicht standardisierbar sind
und immer ein wesentlich höheres Risiko tragen
als beispielsweise eine private Baufinanzierung.
Eine Bank kann den Unternehmer beurteilen und
die Aussichten des Unternehmens. Sie kann eine
Vertrauensbeziehung zu ihren Kund*innen aufbauen und so auch in einer Krise flexibel reagieren
und den Kredit anpassen. All das können Kapitalmärkte nicht. Um die Finanzierung von kleinen
und mittelständischen Unternehmen zu fördern,
brauchen wir keine Kapitalmärkte sondern starke lokal oder sektoral verwurzelte Banken.
25 E
ine gute Übersicht geben Ross Levine (2002), bank based
or market based financial systems, which is better und Julien
Allard & Rodolphe Blavy (2011), Market Phoenixes and Banking Ducks – Are recoveries faster in market-based systems?
Kapitel 3
Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen
Es ist auch alles andere als eindeutig, dass in
den Krisenländern eine Kreditklemme aufgrund fehlenden Angebots herrscht. Die Kreditzinsen sind historisch niedrig. Viele Banken
klagen über mangelnde Kreditnachfrage.
Richtig ist, dass kleine und mittlere Unternehmen zu wenig Zugang zu Eigenkapital haben. Dies
trifft besonders auf junge und schnell wachsende
Unternehmen zu. Aber auch dafür ist der Kapitalmarkt nicht die richtige Lösung. Die Finanzierung
junger Unternehmen läuft auch in den USA nicht
über den Markt sondern über Venture Capital Firmen, die eine persönliche und langfristige Vertrauensbeziehung zu den Unternehmen aufbauen.
Auch wir wollen Gründer*innen und deren Zugang
zu Venture Capital fördern. In den USA gibt es zum
Beispiel achtmal so viel Venture Capital Finanzierung wie in Deutschland. Das liegt wesentlich an
dem oben geschilderten Problem der deutschen
Altersvorsorge, die fast ausschließlich in Kredite und fest verzinsliche Wertpapiere investiert.
Dies ist einer der Gründe für unseren Vorschlag
eines Bürgerfonds für die private Altersvorsorge. Dieser soll das Mandat bekommen, wesentlich in Eigenkapital von Unternehmen zu
investieren, sprich auch in Venture Capital.
Insgesamt begrüßen wir daher alle Vorschläge der Kommission, die wirklich den Zugang
der Unternehmen zu langfristiger Finanzierung und insbesondere zu Eigenkapital erleichtern, wie zum Beispiel den Vorschlag, die
steuerliche Subventionierung von Fremdkapital im Vergleich zu Eigenkapital abzuschaffen. Leider gibt es davon nicht so viele.
Der Aktionsplan enthält eine Reihe weiterer positiver Elemente, wie die europaweite Zulassung
kleiner Kreditgenossenschaften. Es wird unsere
Wirtschaft sozialer machen, wenn die Solidarische Ökonomie gestärkt wird. Auch ist es im Sinne
der Verbraucher, wenn Europa einfache, transparente und kostengünstige Finanzprodukte sowie
Standards für sozial und ökologisch sinnvolle Anlagen (ESG Standards) entwickelt. Wir werden uns
dafür einsetzen, dass diese Elemente im weiteren
Gesetzgebungsprozess noch gestärkt werden.
Eines der Hauptelemente der Kapitalmarktunion
ist jedoch die Förderung von Verbriefungen, die
wir, wie oben geschildert, für fragwürdig halten.
Das Versprechen einer echten Kapitalmarktunion
wird durch den Aktionsplan der EU nicht gehalten.
Um einen großen Schritt nach vorne zu machen,
wären gemeinsame Regeln bei Kapitalmarktaufsicht, Steuern, Vertrags- und Bilanzierungsrecht
nötig. Davor schreckt der britische Kommissar Hill
leider zurück, obwohl ironischerweise insbesondere die City of London davon profitieren würde.
Ein wichtiges Problem für grenzüberschreitende
Investitionen ist das so unterschiedliche Insolvenzrecht in Europa. Die Kommission fordert daher zu
Recht eine Vereinheitlichung. Seltsamerweise
sperrt sich die Bundesregierung gegen dieses so
wichtige Projekt.
ANLEGERORIENTIERUNG
Wir wollen, dass Kundinnen und Kunden eine
hochwertige Beratung erhalten. Kund*innen sollen
sich weniger Sorgen machen müssen, Produkte
nur wegen Vertriebsprovisionen aufgeschwatzt zu
bekommen. Wir wollen Finanzdienstleister jedoch
nicht in einer Bürokratie von Beratungsprotokollen
ersticken. Wir wollen daher versuchen, den Interessenskonflikt zwischen Finanzinstitut und Kunden
stark zu reduzieren.
Honorarberatung
Wir wollen sicherstellen, dass für alle Finanzprodukte sämtliche Vertriebsprovisionen offen
gelegt werden. Wenn sich eine Kundin beraten
lässt und der Berater eine einmalige oder auch
eine laufende Vergütung für den Vertrag erhält,
muss diese Vergütung komplett transparent gemacht werden. Für alle Produkte muss es zwei
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Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte
Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Tarife geben, einen inklusive Provisionen und einen provisionsfreien, sogenannten Netto-Tarif.
Alle Produkte müssen provisionsfrei über Honorarberater zu beziehen sein. Die Kundin bekommt
so die Freiheit, entweder einen Honorarberater zu
bezahlen oder sich von einem über Provisionen
vergüteten Vertriebsmitarbeiter beraten zu lassen.
Damit sich auch wirklich alle Menschen
nicht provisionsfinanzierte Finanzberatung leisten können, wollen wir öffentlich
finanzierte Finanzberatung stärken, zum Beispiel über die Verbraucherzentralen.
Verbot von Abschlussgebühren
auf zukünftige Zahlungen
Für viele Produkte werden heute exorbitante
Abschlussgebühren verlangt. Das eklatanteste Beispiel ist die Lebensversicherung, für die
eine Kundin sofort bei Vertragsabschluss 5%
Gebühr auf Beiträge zahlen muss, die erst Jahrzehnte später fällig werden und die sie vielleicht
nie entrichten wird, weil sie schon lange vorher
gekündigt haben wird. Ähnliche überhöhte Vorabgebühren gibt es bei den Bausparverträgen
und anderen langlaufenden Finanzprodukten.
Diese Vergütungsstrukturen sind besonders anfällig für rein provisionsorientierte Beratung. Wir
wollen daher Provisionen und Abschlussgebühren auf zukünftige Zahlungen verbieten. Stattdessen müssen Abschlussgebühren pro rata auf
die gesamte Vertragslaufzeit verteilt werden.
Strikter Ausweis von Nettorenditen
In vielen Bereichen der Finanzwirtschaft wird mit
Renditen vor Kosten geworben. Das eklatanteste
Beispiel ist die Lebensversicherung. Die Industrie
gaukelt ihren Kund*innen eine völlig übertriebene Verzinsung vor. Sie zeigt nicht die Rendite
auf die gezahlten Beiträge, sondern auf das, was
die Versicherung nach Vertriebsprovisionen und
anderen Kosten noch von den Beiträgen übrig
lässt. Das überzeichnet die Rendite massiv. Völlig
perfide darf die Versicherungswirtschaft hierfür
den Begriff Sparbeitrag nutzen. Die Kund*innen
werden so systematisch in die Irre geführt, weil
44
man als normaler Mensch mit dem Begriff Sparbeitrag die komplette persönliche Sparleistung
assoziiert und nicht nur den Teil, den die Versicherer davon übrig lassen. Die Garantierendite von
derzeit 1,25% beträgt bei vielen Versicherern in
Wirklichkeit nur 0,25%, so hoch sind die Kosten.
In Zukunft sollen daher Lebensversicherer, so wie
alle anderen Finanzdienstleister auch, nur noch
ehrliche Nettorenditen nach Abzug aller Kosten ausweisen. Dies gilt ganz besonders auch für
die Garantieverzinsung. Wir begrüßen daher die
europäische PRIIPS Verordnung, die für alle Anlageprodukte ein einheitliches Produktinformationsblatt vorsieht, auf dem immerhin die Kosten
des Produktes ausgewiesen werden müssen. Wir
setzen uns dafür ein, dass diese Richtlinie konsequent in Deutschland umgesetzt wird und fordern, dass Unternehmen, die Produkte mit in einer
festen Verzinsung anbieten, in sämtlichen Marketingmaterialien nur mit Nettorenditen (nach
allen Kosten) werben dürfen. Dies gilt insbesondere auch für Lebensversicherungsprodukte.
Koppelprodukte
Zu häufig werden dem Kunden gekoppelte Produkte ohne Kundennutzen verkauft. In Zukunft
muss jede miteinander verkoppelte Finanzdienstleistung einzeln bepreist werden und einzeln
abschließbar sein. Der Kunde muss auf die verschiedenen Alternativen hingewiesen werden und
ein geeigneter Preisvergleich muss möglich sein.
Basisprodukte
Für besonders komplexe Finanzdienstleistungen
wie zum Beispiel die private Altersvorsorge werden wir wie oben geschildert nach dem schwedischen Beispiel ein Basisprodukt entwerfen und
im Gegenzug die Regulierung für alternative
Produkte einschränken. Verbraucher*innen haben dann die Wahl entweder das staatlich angebotene einfache Basisprodukt zu erwerben
oder, wenn sie sich per Opt-out explizit gegen
das Basisprodukt entscheiden, mit weniger regulierten Produkten für ihr Alter vorzusorgen.
Kapitel 3
Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen
Produkte ohne Kundennutzen
vom Markt nehmen
Viele Produkte, wie komplexe Zertifikate spiegeln
den Kund*innen Sicherheit und Rendite vor. In
Wirklichkeit dienen sie jedoch nur zur Gewinnmaximierung der Finanzwirtschaft. Wir haben uns
daher auf europäischer Ebene erfolgreich dafür
eingesetzt, dass die neue Mifid Richtlinie erlaubt,
komplexe Produkte ohne erkennbaren Kundennutzen aus dem Markt zu nehmen. Wir wollen die
deutsche Finanzaufsicht nun dazu bewegen, diese Möglichkeit auch konsequent anzuwenden.
In der Vergangenheit haben Banken immer wieder Produkte an Kommunen, Unternehmen und
Privatkunden verkauft, bei denen die Kund*innen
deutlich mehr als ihren Kapitaleinsatz verlieren
konnten, wie zum Beispiel Fremdwährungskredite
oder Zinsderivate. In Zukunft sollen Banken unmissverständlich auf die ungedeckelten Risiken
dieser Produkte hinweisen. Wir wollen auch eine
Finanzordnung für Kommunen, damit Kommunen
in Zukunft nicht mehr im Finanzkasino die Zukunft
ihrer kommunalen Haushalte verwetten dürfen.
Verbraucherschutz in der
Aufsicht stärken
Die BaFin ist heute sowohl für die Stabilität der
Finanzinstitute wie für den Verbraucherschutz zuständig. Diese beiden Aufgaben sind jedoch immer
wieder im Zielkonflikt. Bei den Lebensversicherungen zum Beispiel genehmigt die BaFin immer
wieder Maßnahmen zu Lasten der Verbraucher, um
die Gewinne der Versicherungswirtschaft zu erhöhen und damit ihre Kapitalausstattung zu verbessern. Heute ist der Verbraucherschutz eine von 23
Abteilungen in der BaFin berichtet an Exekutivdirektoren, deren Hauptaufgabe die Finanzstabilität
ist und diese wiederum berichten an das Bundesfinanzministerium, dessen Selbstverständnis auch
nicht der Verbraucherschutz ist. Verbraucherschutz
kommt deshalb in der BaFin so gut wie nicht vor.
In Zukunft wollen wir den Verbraucherschutz im
Finanzmarkt deutlich aufwerten. Wir kämpfen seit
langem dafür, dass der Verbraucherschutz auch im
Handeln der Aufsicht eine deutlich stärkere Rolle
spielt. Manche Skandale hätte die BaFin verhindern
oder zumindest zu einem früheren Zeitpunkt eingreifen können, als der Schaden für die Kund*innen
noch nicht so groß war. Auf europäischer Ebene
haben wir dafür gesorgt, dass Verbraucherschutz
Teil des Mandats der Aufsichtsbehörden geworden ist. Nun ist, wie von uns seit Jahren gefordert,
der kollektive Verbraucherschutz auch explizit
als Aufsichtsziel der BaFin gesetzlich festgelegt
worden. Doch in der Organisation der deutschen
Finanzaufsicht bildet sich das noch nicht ausreichend ab, so dass wir befürchten müssen, dass sich
in der Aufsichtspraxis zunächst nicht viel ändern
wird. Auch bei den drei europäischen Aufsichtsbehörden sind Personal und Kompetenzen im Bereich des Finanzmarktverbraucherschutzes nicht
ausreichend, um dem Mandat gerecht zu werden.
Mindestens sollte es für den Bereich Verbraucherschutz bei der BaFin einen eigenen, den
anderen Exekutivdirektoren gleichrangigen Exekutivdirektor geben. Wenn sich zeigen sollte, dass
die BaFin auch mit ihrem neuen klaren Verbraucherschutzauftrag den Verbraucherschutz immer
noch stiefmütterlich behandelt, auch weil das
Ministerium über seine Fachaufsicht das nicht
will, bleibt nur die Alternative einer eigenständige Verbraucherschutzbehörde wie in den USA.
Auch in Europa wollen wir, dass der Verbraucherschutz bei den Finanzaufsichtsbehörden
EBA, EIOPA und ESMA ausgebaut wird, nachdem
wir erreicht haben, dass der Verbraucherschutz
bei ihnen in ihr Mandat aufgenommen wurde.
REFORM DER RATINGAGENTUREN –
NACHHALTIGKEITSRATING EINFÜHREN
Ratingagenturen helfen idealerweise den Anlegern die Risiken von Unternehmen und Staaten
zu bewerten. Es ist unmöglich, dass Tausende von
Anlegern individuell die Bücher der Unternehmen detailliert prüfen. Ratingagenturen führen
diese Prüfung zentral durch und stellen sie den
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Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
Anlegern zur Verfügung. Obwohl die Agenturen für die Anleger*innen arbeiten, werden sie
jedoch von den Emittenten beauftragt und bezahlt. Angesichts des Prinzips „wer zahlt, schafft
an“, ist verständlich, dass so viele Giftpapiere vor
der Krise eine AAA Bewertung erhalten hatten.
Die Benotung der Ratingagenturen lässt sich
nicht geheim halten. Es handelt sich hier also
um ein klassisches öffentliches Gut, das vom
Markt nicht optimal bereitgestellt wird.
Wer zahlt schafft an
Wir werden daher die Bezahlung der Ratingagenturen so organisieren, wie dies für alle öffentliche
Güter üblich ist. Wir finden es grundsätzlich richtig,
die Agenturen über eine erfolgsabhängige Prämie
zu finanzieren. Wir stellen deshalb zur Diskussion, ob es nicht sinnvoll ist, einen kleinen Teil des
Aufkommens der geplanten Finanztransaktionsteuer, für die Bezahlung der Ratingagenturen zu
verwenden. Ratingagenturen erhielten dann einen
minimalen jährlichen Fixbetrag. Die Prognosen der
Agenturen würden regelmäßig mit der Realität verglichen. Die besten Agenturen erhielten eine hohe
Erfolgsprämie. So könnten wir sicherstellen, dass
sich wirklich die seriösesten Agenturen durchsetzen und der Markt nicht von den großen drei
amerikanischen Platzhirschen dominiert wird, die
vor der Finanzkrise vollkommen versagt hatten.
Nachhaltigkeitsrating
Nach dem gleichen Prinzip werden wir ein Nachhaltigkeitsrating (ESG Rating) einführen. Alle
größeren Emittenten von Wertpapieren werden
verpflichtet, sich einem solchen Rating zu unterziehen. Investoren sollen nicht nur Finanzinformationen zur Verfügung gestellt bekommen sondern
auch umfassende Transparenz über die ökologische und soziale Nachhaltigkeit ihres Investments.
Wir werden die Wertpapier- und Pensionsfonds
verpflichten zu veröffentlichen, welchen Prozentsatz ihrer Anlagen sie in besonders gut bewertete
Unternehmen investieren. So bekommt endlich
auch die Kleinanlegerin eine Chance, ihr Geld in
besonders nachhaltige Investments anzulegen.
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Transparenz über Nachhaltigkeit in Unternehmen
ist eines der wichtigsten Instrumente, um den ökologischen Umbau der Wirtschaft voranzutreiben.
Viele Menschen würden ihr Geld gern in nachhaltigere Geldanlagen anlegen, sie wissen aber
nicht, welche Unternehmen wirklich nachhaltig
wirtschaften. Mit dieser Transparenz können wir
der Divestment Bewegung wirklichen Schwung
verleihen und öffentlichen Geldgebern wie Sparkassen oder Pensionsfonds Vorgaben machen,
einen zunehmenden Anteil ihrer Anlagen in gut bewertete nachhaltige Unternehmen zu investieren.
Auf Initiative der Europäischen Grünen soll es in
Zukunft eine vergleichbare Anlegerinformation für
alle komplexen Finanzprodukte geben (PRIIPS).
Darin sollen sozial-ökologische Anlageprodukte
zukünftig standardisiert gekennzeichnet werden,
um dem verbreiteten Missbrauch mit blumigen
aber unbestimmten Worten wie „ethisch verantwortlich“, „nachhaltig“, usw. einen Riegel vorzuschieben. Mit dem Rating wollen wir aber noch
weiter gehen. Anleger*innen sollen Transparenz
auch darüber erhalten, ob und wie sehr sich die
ESG Standards bei einem Unternehmen verbessern.
VERSICHERUNGEN
Das Absichern von Risiko ist eine besonders wichtige Funktion der Finanzwirtschaft. Manche Risiken sind existenziell und würden bei Eintritt den
Haushalt in den finanziellen Ruin stürzen. Andere
sind so groß, dass man zwar individuell vorsorgen könnte, die notwendige Sparleistung aber
unverhältnismäßig hoch wäre. Doch so wichtig
Versicherungen sind, so schwierig sind sie rein
privatwirtschaftlich zu organisieren. Viele Menschen sehen die Notwendigkeit der Vorsorge
nicht. Sie hoffen, dass sie kein Pech haben werden
oder dass die Gesellschaft ihnen schon beistehen
wird, wenn sie in Not kommen. Die Wahrscheinlichkeiten, in Not zu kommen, sind auch nicht
gleich verteilt. Für ein Versicherungsunternehmen ist es extrem schwer, das individuelle Risiko
zu beurteilen. Es besteht immer die Gefahr, dass
Kapitel 3
Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen
sich nur die schlechten Risiken versichern (sogenannte adverse Selektion). Daher sind bei einer freiwilligen Versicherung die Tarife meist so
teuer, dass es sich nur noch für die schlechtesten
Risiken lohnt, eine Versicherung abzuschließen.
Pflichtversicherungen
Für viele Risiken muss man daher Versicherungen staatlich organisieren. Krankenversicherung
ist ein gutes Beispiel. In den USA gab es bis zu
Obama nur private Krankenversicherung ohne
Versicherungspflicht. Die Folge waren 60 Millionen Menschen ohne Versicherung. Die Tarife der
privaten Versicherung waren abschreckend hoch,
schwer kranke Menschen wurden von der Versicherung ausgeschlossen und endeten im finanziellen Ruin. Die meisten Menschen in Deutschland
würde das amerikanische System der freiwilligen
Krankenversicherung als unzumutbar empfinden.
Aber auch wir leisten uns ähnliches staatliches
Versagen. Berufsunfähigkeit ist ein Beispiel. Versicherung für Berufsunfähigkeit in Deutschland
funktioniert so wie die private Krankenversicherung in den USA vor Obama. Versicherungen
sind abschreckend teuer. Menschen mit echten
Risiken werden nicht angenommen. Viel zu wenige versichern sich. Wer berufsunfähig wird, ist
auch finanziell am Ende. Die Lösung dieses Problems geht nur wie in der Krankenversicherung:
jeder Mensch muss eine Versicherung abschließen und jede Versicherung muss alle Antragsteller aufnehmen. Die Tarife werden durch die
Pflichtversicherung ganz erheblich sinken. Das
große Lebensrisiko Berufsunfähigkeit verliert
dann wenigstens seinen finanziellen Schrecken.
Die wenigsten Selbständigen sorgen ausreichend
für ihr Alter vor. Die Folge ist, dass die meisten
Männer in Altersarmut ehemalige Selbständige sind. Sie versichern sich nicht, weil die Tarife
viel zu teuer sind. Man müsste weit über 90 Jahre
alt werden, damit sich eine Versicherung lohnt.
Dies liegt an der Freiwilligkeit. Es versichern sich
hauptsächlich diejenigen, die viel Geld verdienen und daher statistisch gesehen länger leben.
Bei Rentenbeginn können sich die Versicherten
ihre Rente als Einmalbetrag ausbezahlen lassen.
Dies führt dazu, dass Kettenraucher*innen oder
Menschen mit einer problematischen Krankheitsgeschichte natürlich den Einmalbetrag
wählen. Es bleiben nur die „schlechten Risiken“,
sprich diejenigen, die im Durchschnitt wirklich
90 Jahre alt werden. Daran glaubt ex ante aber
niemand, also wird keine Versicherung abgeschlossen. Auch Altersarmut von Selbständigen
lässt sich nur durch Versicherungspflicht lösen.
Wir wollen, dass alle Selbständigen für ihr Alter vorsorgen und dass die Absicherung im Alter
nicht mehr am Beschäftigungsverhältnis hängt,
sondern als Bürgerversicherung organisiert ist.
Auch private Altersvorsorge muss anders organisiert werden. Das Ziel ist nicht eine weitere
Privatisierung der Altersvorsorge. Die Riesterrente ist gescheitert. Das Niveau der gesetzlichen
Rentenversicherung ist insbesondere für Geringverdiener*innen zu sehr abgesenkt worden.
Wer weniger als 1.835 Euro im Monat verdient,
sprich 11,50 Euro pro Stunde, bekommt im Alter
Sozialhilfe anstatt Rente, selbst nach 45 Jahren
ununterbrochener Vollzeittätigkeit. Wir wollen daher die umlagefinanzierte gesetzlichen
Rente wieder stärken. Aber auch mit der besten umlagefinanzierten Rente gibt es noch Bedarf für kapitalgedeckte private Altersvorsorge.
Wir halten hierfür jedoch eine Versicherungspflicht
für nicht angebracht. Wir wollen stattdessen ein
opt-out System in den oben beschriebenen Bürgerfonds einführen. Wir sind davon überzeugt, dass
sich auch mit dem opt-out Verfahren die größten Schwächen der Freiwilligkeit lösen lassen.
Hochwasserschutz ist zwar ein Thema, das nur wenige Menschen in Deutschland wirklich betrifft,
angesichts verfehlter Umweltpolitik aber leider
zunehmend viele. Nach jedem Hochwasser entscheiden sich die Regierungen großzügig zulasten
der SteuerzahlerInnen viele Milliarden Euro Hilfe
zu leisten. Angesichts der erschütternden Fernsehbilder ist diese Hilfe hochgradig populär. Es ist aber
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Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016
nicht einzusehen, warum sich die Regierungspartei
ihre Wiederwahl mit dieser Art von Katastrophen
sichern soll und warum die Steuerzahler*innen in
z.B. Gelsenkirchen dafür zur Kasse gebeten werden, dass z.B. die Besitzer einer schönen Villa am
Rheinufer keine Hochwasserversicherung abschließen. Auch Hochwasser muss also verpflichtend
von denjenigen versichert werden, die in einem
Hochwassergebiet wohnen. Die Privatisierung der
früher meist öffentlich-rechtlichen Pflichtversicherungen war hier ein Fehler. Wir wollen diesen
Fehler durch eine Versicherungspflicht korrigieren.
Besser regulieren
Versicherungen sind aus Unternehmersicht ein
faszinierendes Produkt. Warren Buffet ist hauptsächlich dank seines Versicherungsunternehmens
so reich geworden. Das schöne einer Versicherung ist, dass die Kunden oftmals über Jahrzehnte Geld einbezahlen, bevor ein Schaden eintritt.
Das Unternehmen könnte also die Tarife niedrig
kalkulieren und so besonders viele Kunden anlocken, über viele Jahre hohe Gewinne ausschütten
und, wenn die Schäden in großem Stil anfallen,
Konkurs anmelden. Dies ist der Grund, weshalb
Versicherungen besonders effektiv beaufsichtigt
werden müssen. Leider ist über die Jahrzehnte in
Deutschland eine enge Symbiose zwischen Versicherungsaufsicht und Versicherungsunternehmen entstanden. Das Regelwerk wurde immer
komplexer. Man kommuniziert in einer geheimnisvollen Insider-Sprache. Nur noch die Versicherungslobby und einige wenige Personen in der
Versicherungsaufsicht verstehen, was warum und
wie geregelt wird. Kritische und kompetente mediale Berichterstattung ist selten. Demokratische
Kontrolle ist quasi unmöglich geworden. Gesetze
zur Versicherungsaufsicht wurden in der Vergangenheit vom Bundestag ohne gründliche, für alle
verständliche Debatte durchgewunken. Die Folge
ist ein insbesondere in der Lebensversicherung
abstruses und verbraucherfeindliches Regelwerk.
Kein Kunde kann die Abrechnung seiner Lebensversicherung nachvollziehen. Wir wollen daher
auch in der Lebensversicherung die Regulierung
deutlich vereinfachen. Das wird auch dazu führen,
48
dass weniger Lebensversicherungen verkauft
werden und der bisher aufgeblähte Vertrieb mit
über 200.000 Vermittler*innen schrumpfen wird.
Zudem wurde die Normierung der Produkte aufgegeben. Dadurch sind die Policen nicht mehr
vergleichbar. Leistungswettbewerb kann so kaum
noch stattfinden. Unser Ziel ist, dass Kund*innen zumindest mit Hilfe von Experten aufgrund
der Informationen der Versicherung nachvollziehen können, warum sie wieviel erhalten.
Mindestzuführung in sinnvolle
Erfolgsbeteiligung umwandeln
Die Versicherer werden von der Aufsicht angehalten, möglichst konservative Tarife zu kalkulieren, sprich möglichst viele Kostenpuffer
einzuberechnen. An sich wäre das eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme, wenn sich die Unternehmen nicht unabhängig von der Rendite
für den Verbraucher immer einen erheblichen
Teil dieser Kostenpuffer einverleiben dürften.
Wir wollen, wie im Abschnitt Anlegerschutz geschildert, die Unternehmen verpflichten, deutlich
verbraucherfreundlicher zu agieren. Dazu gehört
auch eine Neuregelung der Überschussverteilung. Eigentlich sollten die Versicherer nicht
unabhängig von ihrer Leistung automatisch einen großen Teil der Überschüsse einbehalten
dürfen. Was spräche daher dagegen, für die Neuverträge die Überschussverteilung in eine Erfolgsbeteiligung umzuwandeln? Nur wenn der
Kunde nach Ablauf seiner Versicherung besser
abgeschnitten hat als bei einer fiktiven Alternativanlage in Bundesanleihen, ginge dann ein
Teil der Überschüsse an das Unternehmen.
Aber auch im gegenwärtigen System sind kundenfreundliche Reformen in der Überschussbeteiligung
möglich. Dazu gehört in erster Linie eine
verbesserte Transparenz. Kunden müssen endlich
ohne Fachanwalt nachvollziehen können, ob ihr
Unternehmen wirklich korrekt abgerechnet hat.
Kapitel 3
Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen
Weiterhin wollen wir die Überschussbeteiligung
konsequent für alle Überschusskomponenten
auf mindestens 90% anheben. Derzeit erhalten die Kund*innen dank unseres Einsatzes im
Bundestag immerhin mindestens 90% der Überschüsse, die das Unternehmen aufgrund zu vorsichtiger Sterbetafeln erzielt (Risikoergebnis). In
Zukunft wollen wir, dass die Kund*innen auch
90% der Kapitalerträge erhalten, die zusätzlich zur Garantieverzinsung erwirtschaftet werden, sowie 90% der Überschüsse, die aufgrund
zu vorsichtiger Kostenkalkulation entstehen.
Wir wollen auch die absurde Vorabverzinsung der
Aktionäre abschaffen. In jedem normalen Unternehmen werden zuerst alle Fremdkapitalgeber
bedient. Die Aktionäre bekommen immer nur
das, was nach den Kosten übrig bleibt. Anders
in der Lebensversicherung. Dort dürfen Aktionäre vorab 4% für sich einstreichen. So als ob sie
dem Unternehmen ein festverzinsliches Darlehen anstatt von Eigenkapital gegeben hätten.
Außerdem wollen wir die Möglichkeiten einschränken, Gewinne an der Überschussbeteiligung vorbei
aus den Unternehmen zu schleusen. Die Aktionäre
vergeben heute zum Beispiel sogenannte Nachrangdarlehen, die aufsichtsrechtlich als Eigenkapital gewertet werden, die aber eine sehr hohe feste
Verzinsung tragen dürfen. Diese geht direkt an die
Aktionäre und muss nicht zu 90% mit den Kund*innen geteilt werden. Auch Lizenzverträge für die
Nutzung des Namens der Muttergesellschaft oder
Rückversicherungsverträge mit der Muttergesellschaft sind Konstruktionen, die die Erträge des Unternehmens zu Lasten der Kund*innen aushöhlen.
Versicherer robuster machen
Auch aus Gesichtspunkten der Finanzmarktstabilität ist die Lebensversicherung in ihrer jetzigen
Form problematisch. Finanzmathematisch ist es
abschreckend teuer, eine Garantie für Sparleistungen abzugeben, die erst Jahrzehnte später geleistet
werden. Die Versicherer geben also Versprechen ab,
die sie in schlechten Zeiten unmöglich halten können. Sie müssen dabei noch nicht einmal eigenes
Risiko tragen, dafür gibt es stattdessen Gesetze, die
es den Versicherern erlauben, in schlechten Zeiten
ihre Kunden zu enteignen, ohne dass die Aktionäre
zuerst zur Kasse gebeten werden. Die anhaltende
Niedrigzinsphase und die Krise der Versicherungsbranche zeigen, dass es sich hier nicht um ein fiktives Horrorszenario handelt. In der betrieblichen
Altersvorsorge haben einige Pensionskassen bereits mit diesen Leistungskürzungen angefangen.
Es hat zwar in den letzten Jahren immer wieder Reformgesetze für die Lebensversicherungswirtschaft
gegeben. Diese waren aber immer nur Stückwerk
und die Maßnahmen gingen regelmäßig einseitig
zu Lasten der Verbraucher*innen. Insbesondere
ist vollkommen unverständlich, wie es sein kann,
dass die Bundesregierung die drastischen Warnungen der Bundesbank so nonchalant in den
Wind schlagen kann. Die Bundesbank zeigt, dass
der Lebensversicherung eine Existenzkrise droht,
wenn sie nicht konsequent ihre Eigenkapitalpuffer
erhöht und ihre Gewinne vollständig thesauriert.
Die Bundesregierung erlaubt den Unternehmen
aber immer noch, ihre Gewinne auszuschütten.
Wir wollen nicht sehenden Auges in die nächste milliardenschwere staatliche Rettungsaktion
schlittern. Wir müssen die Versicherungsbranche daher robuster machen und dafür sorgen,
dass die Versicherungsunternehmen scheitern können, ohne dass sich die private Altersvorsorge der Versicherten in Luft auflöst.
Während Banken ihr Eigenkapital wenigstens in
Prozent messen und im Durchschnitt immerhin
fast 5% Eigenkapital in ihrer Bilanz ausweisen,
geben die Versicherer ihr Eigenkapital in Promille an, so unterkapitalisiert sind sie. Viele Versicherer haben weniger als 1% Eigenkapital. 1,5%
ist der Branchendurchschnitt. Auch festverzinsliche Wertpapiere unterliegen aber hohen Kursschwankungen. Wenn die Zinsen wieder auf ein
normales Niveau ansteigen, können die Anlagen
der Versicherer zweistellige Verluste verbuchen.
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Solvency II früher einführen
und verschärfen
Solvency II heißt das europäische Regelwerk,
das mit der schlechten Kapitalisierung der Versicherungsindustrie aufräumen wollte. Leider hat
sich hier Lobbyarbeit – insbesondere vom deutschen Versichererverband GDV – einmal wieder
bezahlt gemacht. Die Richtlinie ist löchrig wie
ein Schweizer Käse. In ihrer Konzeption entstammt sie der Philosophie des überkomplexen Bankenregelwerks Basel II, das den Banken
erlaubt hatte, ihre Risiken selber zu berechnen. Auch Solvency baut auf diese internen Risikomodelle und auf zu hohe Komplexität.
Ein großes Problem ist die Höhe der vertraglichen Garantieverpflichtungen. Derzeit erlauben
die deutschen Bilanzierungsvorschriften den Versicherern diese mit viel zu niedrigen Werten zu
bilanzieren. Dies liegt daran, dass eine realistische
Bewertung leicht dazu führen würde, dass die
Versicherer aufgrund von Überschuldung insolvent wären. Die Übergangsfristen zu den etwas
realistischeren Werten aus Solvency II sind mit 15
Jahren absurd lang. Vor allem, weil sich auch bei
Solvency II noch das Prinzip Hoffnung durchgesetzt
hat. Die Regulierung baut darauf, dass in Zukunft
der Zins für risikolose Anlagen wieder von derzeit
etwa 0,5% auf 4,2% steigen wird. Sollte der Zins
niedriger bleiben, sind die Garantieverpflichtungen weiterhin zu niedrig bilanziert und die Versicherer hätten nicht ausreichend Vermögen, um
sie zu bedienen. Außerdem wurden den Kapitallebensversicherern auf europäischer Ebene gegen
jahrelangen Grünen Widerstand noch eine Reihe
willkürlicher Optionen eingeräumt, mit denen sie
ihre Kapitalanforderungen kleinrechnen können.
Um Versicherer wirklich robuster zu machen, wollen wir sie verpflichten, deutlich mehr Eigenkapital einzusetzen. Lange Übergangsfristen sind
dabei völlig fehl am Platz, schließlich zeigt die
Bundesbank, dass 80% der Unternehmen schon
in den nächsten Jahren insolvent werden, wenn
sie nicht substanziell Eigenkapital aufbauen und
Kosten reduzieren. Diese Analysen dürfen nicht
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Kapitel 3
Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen
folgenlos bleiben. Ein Geschäftsmodell, das Kunden über Jahrzehnte laufende Garantien verspricht,
und zusätzlich den Kunden feste und jederzeit
realisierbare Rückkaufswerte gestattet, lässt sich
nur mit einem hohen Eigenkapitalpuffer betreiben, wenn nicht im Krisenfall der Staat zur Haftung herangezogen werden soll. Wir wollen daher
die zu langen Übergangsregeln von Solvency
II deutlich verkürzen, die diversen Extrawürste bei den Kapitalanforderungen streichen und
wir wollen den Langfristzins zur Berechnung der
Rückstellungen von derzeit 4,3% auf ein deutlich niedrigeres realistisches Niveau absenken.
Kundenguthaben besser schützen
Versicherer müssen aber auch scheitern können,
ohne dass es eine einseitige Kürzung bei den
Kund*innen gibt. Das wichtigste hierbei ist ein konsequentes Haftungsverfahren für die privaten Kapitalgeber. Heute werden die Kund*innen werden mit
einer garantierten Verzinsung gelockt, ohne sie darauf hinzuweisen, dass die Garantie in guten Zeiten
erhebliche Rendite kostet und in schlechten Zeiten
völlig wertlos ist. Mit Paragraph 89 VAG und Paragraph 163 VVG hat der Gesetzgeber den Versicherern die Möglichkeit gegeben, in schlechten Zeiten
einfach die Leistungen der Versicherten zu kürzen.
Wir wollen vor allem dafür sorgen, dass die Lebensversicherer in Zukunft echtes Eigenkapital nutzen. Momentan besteht der mit Abstand
größte Teil des aufsichtsrechtlich zu den Eigenmitteln gerechnetem Kapital aus Geldern, die
den Kund*innen gehören, diesen aber noch nicht
individuell zugeschrieben wurden (sogenannte freie RfB). Diese Kundenmittel sind eigentlich
dazu gedacht, die Erträge in einer vorübergehenden Niedrigzinsphase zu glätten. Dadurch,
dass sie von den Unternehmen mit Billigung der
BaFin als Eigenkapitalersatz genutzt werden
dürfen, stehen sie den Kund*innen nicht mehr
in schlechten Zeiten als Puffer zur Verfügung.
In Zukunft soll das Haftungsprinzip wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
In der Krise dürfen Kundenansprüche nicht
mehr herabgesetzt werden, bevor nicht zunächst die Aktionäre und alle Fremdkapitalgeber zur Haftung herangezogen wurden.
Proaktive Aufsicht
Wir wollen vor allem eine proaktive Aufsicht einführen. Die von der Bundesbank jüngst durchgeführten Prognoserechnungen, die verschiedene
Zinsszenarien simuliert haben, sollen in Zukunft
obligatorisch werden. Wenn sich daraus Solvenzschwierigkeiten ablesen lassen, wollen wir
nicht zulassen, dass die Eigentümer der Versicherungsgesellschaften weiterhin durch Gewinnausschüttungen, überhöhe Gehälter oder
durch teuer verzinste Gesellschafterdarlehen
Substanz aus den Unternehmen abziehen. Wenn
die Gewinnthesaurierung nicht ausreicht, um
die prognostizierten Solvenzprobleme zu beheben, wollen wir die Unternehmen zu rechtzeitiger externer Kapitalerhöhung verpflichten.
sollten direkt von EIOPA beaufsichtigt werden,
wie es das Europaparlament mit Grüner Unterstützung gefordert hat. Dazu gehört auch ein
europäisches Abwicklungsregime für Großversicherer, wie es die EU-Kommission bereits in
Planung hat, aber in der Schublade lässt. Dabei
werden wir darauf drängen, dass die Kundenguthaben geschützt bleiben und auf den Sicherungsfonds übertragen werden, während die
Unternehmen geordnet abgewickelt werden.
Wir werden auch die Regeln des Sicherungsfonds
der Versicherungsindustrie (des sogenannten Protektor) ändern. Das Volumen des Fonds reicht
nicht, um eine größere Versicherung oder mehrere mittlere Versicherer aufzufangen. Wir wollen
daher eine europäische Rückversicherungspflicht
einführen. Sollte diese auch nicht ausreichen, um
die Kundenguthaben in einer Krise zu garantieren,
wollen wir dem Sicherungsfonds die Möglichkeit
geben, sich zu verschulden und die Schulden
durch eine Nachschusspflicht der Versicherungswirtschaft abzutragen. Derzeit gibt es zwar eine
minimale Nachschusspflicht, diese ist aber zu gering dimensioniert und greift nur, wenn zuerst die
Guthaben der Kund*innen reduziert wurden. Wir
wollen daher die Nachschusspflicht für den Sicherungsfonds erhöhen und nicht mehr an eine
vorherige Enteignung der Kundenguthaben knüpfen. Wir wollen dem Sicherungsfonds in Zusammenarbeit mit der BaFin ermöglichen, die Beiträge
zu dem Fonds nach Risiken zu differenzieren.
Analog zur Bankenunion braucht Europa für die
Branchengrößen unter den Versicherungen eine
Versicherungsunion. Die größten Versicherer
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