DIE GRÜNE AGENDA für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte GERHARD SCHICK / SVEN GIEGOLD / UDO PHILIPP 1 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 KOMMENTARE UND BEWERTUNGEN Auf den folgenden Seiten haben wir unsere Sicht auf die wichtigsten Elemente für eine Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte zusammengefasst. Sie beruhen auf unseren Erfahrungen in der Finanzmarktpolitik in Bundestag und Europaparlament sowie aus aktiver Tätigkeit im Finanzmarkt. Jetzt hoffen wir auf Ihr und Eurer kritisch-konstruktives Feedback und Vorschläge für Änderungen, Streichungen und Ergänzungen. Wir freuen uns auf Kommentare und Bewertung bis zum 15. März 2016 Alle Kommentare werden wir bei der Erstellung der Endfassung berücksichtigen, die dann zu einem gemeinsamen Beschluss der Grünen wirtschafts- und finanzpolitischen Abgeordnetengruppen in Europa­­­parlament und Bundestag führen soll. Kommentiert werden kann hier: https://www.discuto.io/en/consultation/11522 2 3 INHALT I. DIE FINANZINDUSTRIE SICHERER MACHEN – DIE GEFAHR EINER NEUEN KRISE BANNEN DIE QUELLE DER INSTABILITÄT ANGEHEN Mehr investieren – Green New Deal Blasen früh erkennen und gezielt bekämpfen Rolle der Geldpolitik Geldreform – Vollgeld? Eigenkapital statt Schulden 9 9 9 10 11 12 13 DIE BANKEN ROBUSTER MACHEN 14 Eigenkapital14 Liquidität16 KEINE AUSNAHMEN FÜR SCHATTENBANKEN 18 ANREIZSYSTEM WEITER REFORMIEREN 20 Vergütungssysteme20 Sanktionen21 EINFACHE ABER HARTE REGELN – FINANZGESETZBUCH 22 BUCHHALTUNGSSTANDARDS UND WIRTSCHAFTSPRÜFER 23 FINANZREGULIERUNG DEMOKRATISIEREN 25 DEN STAAT AUF AUGENHÖHE BRINGEN 26 REFORM DER EU AUFSICHTSLANDSCHAFT 28 II. DIE FINANZINDUSTRIE AUF EINE VERNÜNFTIGE GRÖSSE SCHRUMPFEN 29 KOMPLEXITÄT UND VERFLECHTUNG REDUZIEREN 29 TOO BIG TO FAIL SUBVENTIONEN BEENDEN Radikales Bail-In der Gläubiger Keine trojanischen Pferde – no creditor worse off reformieren Bankenunion vollenden Banken leichter abwickelbar machen – Trennbankensystem einführen 31 31 32 33 34 III. DIE FINANZINDUSTRIE STÄRKER AN DER REALWIRTSCHAFT AUSRICHTEN UND KUNDENFREUNDLICHER MACHEN 39 AN DER REALWIRTSCHAFT AUSRICHTEN 39 LANGFRISTIGKEIT FÖRDERN 40 Kundeneinlagen längerfristiger machen 40 Reform der privaten Altersvorsorge 40 Haltedauer von Aktien und anderen Wertpapieren 41 Kapitalmarktunion42 ANLEGERORIENTIERUNG 43 Honorarberatung43 Verbot von Abschlussgebühren auf zukünftige Zahlungen 44 Strikter Ausweis von Nettorenditen 44 Koppelprodukte44 Basisprodukte44 Produkte ohne Kundennutzen vom Markt nehmen 45 Verbraucherschutz in der Aufsicht stärken 45 REFORM DER RATINGAGENTUREN – NACHHALTIGKEITSRATING EINFÜHREN Wer zahlt schafft an 46 Nachhaltigkeitsrating46 VERSICHERUNGEN46 Pflichtversicherung47 Besser regulieren 48 Mindestzuführung in sinnvolle Erfolgsbeteiligung umwandeln 48 Versicherer robuster machen 49 Solvency II früher einführen und verschärfen 50 Proaktive Aufsicht 50 Kundenguthaben besser schützen 51 WETTBEWERB36 4 KLEINE BANKEN LEBEN LASSEN 37 GEMEINWOHLAUFTRAG ÖFFENTLICHER BANKEN DEUTLICHER MACHEN 38 5 DIE GRÜNE AGENDA FÜR KRISENFESTE, VERBRAUCHERUND INVESTITIONSFREUNDLICHE FINANZMÄRKTE Sieben Jahre nach der Finanzkrise ist die Wirtschaft noch nicht wieder im Lot. Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone ist immer noch unerträglich hoch. Die Investitionen wollen nicht wieder anspringen. Die Sparneigung ist im Vergleich zu den geringen Investitionen viel zu hoch, negative Zinsen sind die Folge. Deutschland ist das Extrembeispiel. Über 200 Milliarden Euro, knapp 8% des BIP, wird im Jahr 2015 der Überschuss der Sparleistung über dem Investitionsniveau liegen. Die EZB schafft es trotz unkonventionell expansiver Geldpolitik nicht, die Inflation wieder auf ein Niveau von 2% anzuheben. Sie flutet die Märkte mit Liquidität. Mangels Anlagemöglichkeiten in produktive Investitionen bläht sich so der Finanzsektor weiter auf. Die Zinsen verharren auf extrem niedrigem Niveau. Große Teile der Finanzwirtschaft sehen bei diesen niedrigen Zinsen ihr Geschäftsmodell gefährdet. Die verzweifelte Suche nach Rendite treibt die Risikobereitschaft in erneute Exzesse. Immer mehr seriöse Stimmen warnen vor den Gefahren einer neuen Krise. Anstatt die Ursachen der Probleme zu bekämpfen und zum Beispiel durch einen Green New Deal mit nachhaltigen Investitionen die Realwirtschaft zu stärken, erschallt immer lauter der Ruf nach erneuter Deregulierung, weil angeblich die Finanzmarktregulierung die Finanzierung von Investitionen erschwere und daher Arbeitsplätze gefährde. Als ob man mit einer neuen Kreditblase Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltige Arbeitsplätze schaffen könnte. Nichts wäre gefährlicher, als sich so kurzfristiges Wachstum zu erkaufen und damit die nächste große Krise auszulösen. Gut funktionierende Märkte darf man gewiss nicht mutwillig kaputt regulieren. Aber: wenn Märkte versagen, muss der Staat einschreiten. Und 6 das ist bei den Finanzmärkten eindeutig der Fall. Doch aus der Finanz-Lobby klingt es längst wieder in der gleichen Tonlage wie vor dem letzten Crash. Und so bearbeitet die Lobby unermüdlich die Politik. Leider erfolgreich. Es ist zwar richtig, dass in den letzten Jahren ein viele Tausend Seiten umfassendes Regulierungsdickicht entstanden ist, das evaluiert, gelichtet und neu geordnet gehört. 34.019 Seiten sind es laut Professor Schulte-Mattler aus Dortmund. Die schiere Seitenzahl zeigt die Absurdität der momentanen Finanzmarktregulierung. Unwesentliches wird bis zum Exzess im kleinsten Detail geregelt und Wesentliches traut man sich nicht anzugehen. Sehr viele der neuen Regeln sind nicht zielführend, verursachen enorme Bürokratie bei den Banken und Aufsichtsbehörden und spiegeln uns Scheinsicherheit vor. Wir wollen dieses Dickicht lichten und unzählige der komplexen Detailvorschriften durch wesentlich weniger, einfachere aber härtere Regeln ersetzen. Finanzlobby und Regulierung vertreten inzwischen häufig die gleiche Position1: dass nämlich die Finanzwirtschaft unendlich komplex sei und deshalb unendlich komplexer Regeln bedarf. So entsteht zutiefst undemokratische Technokratie: Regeln, die für Großbanken und ihre teuren Anwälte leicht zu umgehen sind, während kleine Banken in Bürokratie ersticken. Wir müssen Regulierung daher radikal neu denken. 1 Dies liegt nicht daran, dass die Beamten in der Finanzaufsicht bestechlich wären. Aber allein die enge menschliche Zusammenarbeit teils über Jahrzehnte prägt die Sichtweise. Zu dem Thema regulatory capture, wie dies in der Ökonomie genannt wird, gibt es umfangreiche Literatur. zB Barth, Caprio, Levine (2012) Guardians of Finance – making regulators work for us, The MIT Press 7 1 DIE FINANZMÄRKTE SICHERER MACHEN – DIE GEFAHR EINER NEUEN KRISE BANNEN Um die Gefahr einer neuen Finanzkrise abzuwenden, muss die Finanzindustrie in ihrer Komplexität und Vernetzung reduziert werden und auf eine vernünftige Größe schrumpfen. Das heißt auch Abschied nehmen von überhöhten Gehältern und unrealistischen Renditezielen. Und wir müssen die Finanzmärkte wieder konsequent auf ihre Kundinnen und Kunden ausrichten. Banken und vor allem Schattenbanken haben immer noch zu wenig Eigenkapital. Die Risikokultur ist noch weitgehend unverändert. Natürlich hat es einige Fortschritte gegeben. Aber in Summe ist die Regulierung immer noch dysfunktional, technokratisch und nicht demokratisch kontrollierbar. DIE QUELLE DER INSTABILITÄT ANGEHEN Einer der wichtigen Erkenntnisse der Finanzkrise war, dass die Regulierung zu sehr auf die isolierte Betrachtung der Einzelinstitute wert legte und das große Ganze aus den Augen verloren hatte. Überbordende Risikoneigung, die verzweifelte Suche nach Rendite, kreditfinanzierte Blasen, die Flut von Ersparnissen, die den Finanzsektor aufbläht und nicht für produktive Investitionen in der Realwirtschaft genutzt wird, all dies war nicht im Fokus der Finanzaufsicht. Man verlor sich im KleinKlein der Regulierung, anstatt die gefährlichen makroökonomischen Ungleichgewichte anzugehen. Mit diesen Ungleichgewichten ist es so, wie wenn zu viel Wasser einen großen Berg hinunterfließt. Mit klassischer Mikroregulierung versucht man hier 8 und dort einen kleinen Staudamm zu bauen. Das Wasser kann man so aber nicht aufhalten, es sucht sich einen neuen Weg. Genau das ist vor der Finanzkrise passiert. Überall hat es Regulierungsarbitrage gegeben und die Risiken sind in die weniger regulierten Bereiche der Finanzindustrie ausgewichen. Die Krise konnte man so nicht verhindern. Die G20 hat deshalb empfohlen, sogenannte makroprudenzielle Regulierung einzuführen, um auch das große Ganze im Blick zu behalten. Leider bislang nicht konsequent genug, sodass sie sich kaum gegen die traditionell starke mikroprudentielle Regulierung durchsetzen kann. Gibt es Konflikte zwischen beiden Denkschulen, werden noch zu häufig die Konzepte der Mikroschule umgesetzt, die auf mehr MitarbeiterInnen und gewachsene Strukturen setzen kann. Wir wollen die neugeschaffenen Institutionen zur Blasenprophylaxe stärken und wir wollen vor allem an den Ursachen anzusetzen, um das überschüssige Wasser an der Quelle abzustellen. Mehr investieren – Green New Deal Die ölexportierenden Länder hatten angefangen. Es folgten China und andere asiatische Staaten. Seit einigen Jahren hält jedoch Deutschland den traurigen Negativrekord: wir sparen viel mehr, als wir investieren. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss hat inzwischen 8% des BIP erreicht. Leistungsbilanzüberschüsse sind nichts anderes als die mathematische Differenz zwischen Ersparnissen und Investitionen. Weil wir viel zu wenig investieren, exportieren wir unsere 9 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Ersparnisse ins Ausland. Dieses Jahr dürften es über 200 Milliarden Euro werden. So finanzieren wir Schuldenblasen überall in der Welt.2 Innerhalb Europas gibt es zwar inzwischen das sogenannte „Sixpack“ und das Europäische Semester, die es der Kommission erlauben, ein Verfahren gegen makroökonomische Ungleichgewichte einzuleiten. Auf Druck von Deutschland wurde der Schwellenwert mit 6% vom BIP jedoch extrem hoch angelegt. Und obwohl Deutschland diesen Wert nun schon seit einigen Jahren überschreitet, wurden immer noch keine Sanktionen eingeleitet. Unser Green New Deal ist die Antwort auf dieses Problem. Wir wollen die Investitionstätigkeit in Deutschland und Europa wieder deutlich ausweiten. Die öffentliche Hand darf nicht länger die Infrastruktur verfallen lassen und auch private Unternehmen müssen wieder verstärkte Anreize erhalten zu investieren. Wir wollen insbesondere nachhaltige Zukunftsinvestitionen fördern, damit die Überschüsse nicht wieder den Finanzsektor aufblähen, kreditfinanzierte Blasen und so die nächste Krise verursachen, sondern in solide und nachhaltige Projekte geleitet werden. Und wir wollen die in den letzten Jahrzehnten stark aufgegangene Schere der Einkommens- und Vermögensungleichheit wieder schließen, da diese eine wichtige Ursache für die hohe Sparneigung und die geringe Nachfrage in unseren Volkswirtschaften ist. Wir wollen zudem das europäische Semester auch für Überschussländer konsequent anwenden. Länder mit regelmäßigen Überschüssen sollen schon ab einer Schwelle von 4% Gegenmaßnahmen ergreifen, wie es bei Staaten mit Defiziten schon der Fall ist. Und wir wollen dafür sorgen, dass in Zukunft nicht nur geredet wird, sondern die 2 um genau zu sein, finanzieren wir damit natürlich auch produktive Investitionen im Ausland und sorgen für eine alternde Gesellschaft im Inland vor. Ein Großteil der Überschüsse hat jedoch vor der Krise die Blasen in Südeuropa befeuert und ist in der Krise verbrannt. Es steht zu befürchten, dass dies momentan in anderen Teilen der Welt weiter geschieht. Cf. z.B. Simon Tilford (2015), German Rebalancing: Waiting for Godot, Center for European Reform 10 politischen Maßnahmen auch wirklich umgesetzt werden müssen. Bei Nichtumsetzung sollen in Zukunft bereits früher harte Sanktionen verhängt werden. Blasen früh erkennen und gezielt bekämpfen Der neugegründete Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) ist das zentrale Gremium für sogenannte makroprudenzielle Überwachung, sprich Blasenprophylaxe. Dem Ausschuss gehören jeweils drei Vertreter*innen des Bundesministeriums der Finanzen, der Deutschen Bundesbank und der BaFin an. Er erörtert auf Grundlage von Analysen der Bundesbank Sachverhalte, die für die Stabilität des deutschen Finanzsystems von Bedeutung sind. Der Ausschuss kann aber nur Warnungen und Empfehlungen aussprechen. Das Pendant in Europa ist das European Systemic Risk Board (ESRB). Im Leitungsgremium der ESRB sind u.a. die Präsident*innen der nationalen Zentralbanken, der EZB, sowie der europäischen Regulierungsbehörden vertreten. Aber auch sie dürfen genauso wie der AFS nur Analysen anfertigen und Empfehlungen aussprechen. Leider setzen sich aber die EU Kommission und der Europäische Rat mit schnöder Regelmäßigkeit über diese Empfehlungen hinweg und beschließen das Gegenteil.3 Der ESRB leidet zudem an einem institutionellen Interessenskonflikt, weil er direkt in der EZB angesiedelt ist, sprich der gleichen Organisation, wie die gemeinsame EU-Bankenaufsicht und die Geldpolitik. Der ESRB müsste daher unter Umständen Entscheidungen der EZB hinterfragen, deren Teil er selbst ist. Wir wollen zum einen die Datentransparenz verbessern. Die Notenbanken sollen nicht nur die normale Verbraucherpreisinflation überwachen sondern auch kreditfinanzierte Blasen. Wir brauchen daher insbesondere in Deutschland 3 Wie z.B. der Empfehlung des ESRB, Geldmarktfonds mit festem Rückkaufswert zu verbieten oder der Empfehlung der Bundesbank, ein Verbot für Gewinnausschüttungen bei den deutschen Lebensversicherungen auszusprechen. Kapitel 1 verlässliche offizielle Daten zu Risikoindikatoren auf den Finanzmärkten. Wir wollen zum Beispiel in Zukunft die Immobilientransaktionen über die Grunderwerbsteuer systematisch auswerten und so einen detaillierten Index zur Entwicklung der Immobilienpreise vorlegen. Es ist unverständlich, dass sich die Bundesbank derzeit auf die Daten einer kommerziellen privaten Immobilienberatungsfirma verlassen muss. Wir halten es für sinnvoll, Daten zum Verschuldungsgrad der Haushalte und Unternehmen zu erheben und zur Qualität der Kredite und begrüßen die Initiative der Bundesbank. Wir wollen die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen, dass die makroprudentiellen Aufsichtsgremien ESRB und AFS bei Fehlentwicklungen innerhalb definierter Grenzen institutsübergreifende Maßnahmen ergreifen können wie konjunkturelle Eigenkapitalzuschläge für Banken erheben, die Sicherheitsstandards für Kredite verschärfen oder Beleihungsobergrenzen für Immobilienkredite anheben. Außerdem sollen der ESRB Gesetzesvorschläge machen dürfen, auf die die EU Kommission reagieren muss, entweder indem es die Vorschläge aufgreift oder mit Begründung ablehnt („comply or explain“). Voraussetzung für diese aktivere Rolle ist eine adäquate parlamentarische Kontrolle dieser Gremien, wie für den ESRB bereits realisiert. Mit diesen Maßnahmen wird jedoch nur ein Teil der überschäumenden Risikoneigung im Finanzmarkt gelöst. Insbesondere besteht die Gefahr, dass sich Risiken nur in andere Bereiche der Finanz­wirtschaft verlagern. Daher müssen wir uns mit dem Dilemma expansiver Geldpolitik während einer Rezession auseinandersetzen. Wenn, wie momentan, die Arbeitslosigkeit in Europa so hoch ist, dass die Preisentwicklung in die Deflation abgleiten könnte, muss die EZB dafür sorgen, dass die Preise stabil bleiben, sprich mit etwa 2% pro Jahr steigen. Expansive Geldpolitik ist also wichtig, die geldpolitischen Mittel haben jedoch unerwünschte Nebenwirkungen. Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen Rolle der Geldpolitik Mittels Käufen von Wertpapieren, quantitative easing, und extrem niedrigen Zinsen flutet die EZB den Markt mit Liquidität. Das Ziel dieser Maßnahmen ist, dass die Unternehmen und Haushalte verstärkt Kredite aufnehmen, die Anleger mehr Risiken eingehen und dass die Vermögenspreise steigen. Schließlich soll der Euro abwerten. Auf diese Weise sollen die Investitionen und der Konsum ansteigen und sich die Inflation wieder auf 2% einpendeln. In den USA und in Großbritannien funktionieren die Niedrigzinspolitik und quantitative easing recht problemlos, weil dort die meisten Menschen in ihrer eigenen Immobilie wohnen und Kreditverträge mit variablen Zinsen haben4. Wenn sich dort der Zinssatz halbiert, ist das fast so, wie wenn der Staat in Deutschland den Bürger*innen die Hälfte ihrer monatlichen Miete schenken würde. Bei uns kommt die Zinssenkung nicht im gleichen Maße Nachfrage stimulierend bei den Haushalten an, weil es einerseits weniger Immobilienbesitzer gibt und weil andererseits Immobilien mit langfristig fixen Zinsen finanziert werden. Außerdem erfolgt die private Altersvorsorge in Deutschland über festverzinsliche Anlagen, während sie in den USA weitgehend über die Börse läuft. Deutsche Bürger*innen müssen bei einer Zinssenkung also ihre Sparleistung deutlich erhöhen, wenn sie ihre Rente konstant halten wollen. In den USA hingegen können sie ihre Sparleistung reduzieren, weil die Geldpolitik ihr Aktienvermögen auf ungeahnte Höhen treibt. Dazu kommt noch, dass in den USA und Großbritannien die Regierungen nicht so manisch fokussiert auf Austeritätspolitik sind und mit fiskalischen Maßnahmen parallel die Nachfrage stimulieren. In Deutschland und anderen Ländern Europas hat die auf sich allein gestellte EZB mit ihrer klassischen Geldpolitik Schwierigkeiten, deflationäre Tendenzen wirksam zu bekämpfen. Außerdem müssen wir bei all den begrüßenswerten Effekten der 4 In den USA werden Immobilien zwar mit 30 Jahre festgeschriebenen Zinsen finanziert. Die Kunden haben aber die Möglichkeit ihr Darlehen jederzeit ohne relevante Vorfälligkeitsentschädigung zu refinanzieren. 11 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Geldpolitik der EZB, insbesondere zur Stabilisierung des Euro, auch die negativen Nebenwirkungen adressieren: Vermögenspreisinflation, erneute Blasenbildung, verzweifelte Suche nach Rendite, überbordende Risikoneigung und gravierende Probleme für breite Teile der Finanzindustrie wie kleinen Banken, Bausparkassen, Lebensversicherer sowie andere private Altersvorsorge. Die Risiken einer neuen Blase und einer neuen Finanzkrise dürfen nicht ausgeblendet werden. Ein Denkmodell wäre, dem Rat berühmter Monetaristen wie Irving Fisher, Milton Friedman oder Ben Bernanke zu folgen, und Geld direkt an die Haushalte zu verteilen anstatt die Verschuldung des Finanzsektors künstlich aufzublähen. In den USA hat die Notenbank über 3,6 Billionen Dollar gedruckt - 11.250 Dollar pro Einwohner - und in den Finanzsektor gepumpt. Wahrscheinlich wäre nur ein Bruchteil davon notwendig gewesen, wenn sie direkt Geld geschöpft und in die Realwirtschaft eingebracht hätte. Anstatt also Milliarde über Milliarde an von der EZB geschaffenen Geld an Banken und Investmentfonds zu verteilen, die damit kaum vermehrt Kredite ausreichen geschweige denn langfristig investieren, würde die Zentralbank zielgerichteter Inflation bekämpfen. Wenn jedeR Bürger*in nur ein Bruchteil dieses Geldes erhielte, würde es sofort nachfragewirksam und die Deflation wäre vermieden. Man hört oft, dass diese Form der expansiven Geldpolitik gefährlich sei und daraus unbeherrschbare Inflation entstehen könnte. Das gleiche Argument hören wir nun schon seit sieben Jahren bezüglich der Niedrigzinspolitik. Gefährlich wäre nur, wenn die Notenbank trotz anziehender Inflation immer weiter Geld drucken würde. Die EZB ist jedoch unabhängig. Sobald die Inflation wieder bei 2% liegt, würde sie die Zahlungen an die Bürger*innen wieder einstellen. Bürgergeld wäre also mit hoher Wahrscheinlichkeit ein sinnvolles Instrument, um eine echte Deflation zu bekämpfen und insbesondere dann vorzuziehen, wenn Deflation und eine Finanzmarktblase gleichzeitig auftreten sollten. Dies ist derzeit jedoch nicht 12 der Fall. Die Inflation liegt zwar nicht bei dem gewünschten Ziel von 2% und die Finanzmärkte sind überhitzt. Aber von einer Deflationspirale kann zum Glück derzeit keine Rede sein. Außerdem müssen wir immer daran denken, dass unser Geldsystem ausschließlich auf Vertrauen aufbaut. Eine radikale Maßnahme wie Bürgergeld könnte dieses so wichtige Vertrauen in die Solidität des Euro untergraben. Bürgergeld sollte daher das geldpolitische Mittel der letzten Wahl bleiben und nur bei einer echten Deflation eingesetzt werden, und nur dann, wenn klassische Geldpolitik und quantitative easing eine Blase auf den Finanzmärkten hervorrufen. Richtig ist es jedoch, dass die EZB in Zukunft Deflationsgefahren nicht mehr alleine bekämpfen sollte. Ideal wäre eine koordinierte Geld- und Fiskalpolitik, um sinnvolle Zukunftsinvestitionen zu tätigen und um gezielt die Bezieher*innen von geringen Einkommen zu entlasten. Unsere Forderung ist, endlich einen sinnvollen Politikmix in Europa zu erreichen. Expansive Fiskalpolitik muss die expansive Geldpolitik ergänzen. Nur so – das zeigt auch die japanische Erfahrung der letzten Jahre – kann ein Ausweg aus einem deflatorischen Kontext gelingen. Nach unserer Vorstellung geht es dabei natürlich nicht um irgendwelche Staatsausgaben, sondern um ökologisch sinnvolle Investitionen. Wenn im Rahmen des Green New Deal die Investitionstätigkeit wieder auf ein vernünftiges Niveau ansteigt und die Ungleichheit wieder abnimmt, werden auch die Voraussetzungen für die EZB geschaffen, aus ihrer expansiven Geldpolitik wieder auszusteigen. Geldreform – Vollgeld? Noch radikaler als ein Bürgergeld in Zeiten von Deflationsgefahr ist die Idee einer Geldreform hin zu Vollgeld beziehungsweise 100% Mindestreservehaltung für Banken. Die Verfechter*innen von Vollgeld wollen die Geldversorgung der Wirtschaft komplett auf Zentralbankgeld umstellen. Das Geld soll nicht mehr von den Banken aus dem Nichts geschöpft werden. Kapitel 1 Viele Bürger*innen fühlen sich unwohl damit, dass die Zentralbanken in unserem Geldsystem die Geldschöpfung an private Banken delegiert haben. Es ist richtig, dass private Banken den größten Teil der Geldschöpfung übernehmen. Im Gegensatz zu den too big to fail Subventionen handelt es sich hierbei allerdings nicht um ein Privileg, aufgrund dessen sich Banken und ihre Manager bereichern. Durch die Konkurrenz im Bankenmarkt werden die Geldschöpfungsgewinne an die Kund*innen weitergegeben. Die hohen Boni werden im Investmentbanking bezahlt und nicht im klassischen Kredit- und Einlagengeschäft der Banken. Außerdem können Banken nicht beliebig Geld schöpfen. Zwar spielt die Mindestreserve in Deutschland keine Rolle mehr, dafür greifen aber Eigenkapitalregeln sowie harte betriebswirtschaftliche Zwänge. Eine Bank kann nur dann Geld schöpfen, wenn sie solvente Kreditnehmer*innen findet, die bereit sind, ihr auskömmliche Zinsen zu bezahlen und wenn sie selbst in der Lage ist, sich preiswert genug zu refinanzieren. Vollgeld wäre vielleicht weniger krisenanfällig, da Geld nicht mehr durch zusätzliche Verschuldung in die Welt kommen würde. Allerdings muss uns bewusst sein, dass die Finanzindustrie nicht auf den Kopf gefallen ist. Spätestens seit der Finanzkrise wissen wir, dass es Geldsubstitute ohne Ende gibt und die Finanzindustrie immer einen Weg finden wird, um außerhalb der regulierten Banken Kreditgeld in die Welt zu bringen.5 Auch sehen wir die zentrale Rolle, die Zentralbanken im Vollgeldsystem bekämen, kritisch. Denn die Entscheidung über ökonomisch notwenige Geldmenge würde komplett zentralisiert und die Machtkonzentration bei der EZB weiter verschärft. Wenn sich die Zentralbank irrt, kann es zu ökonomischen Verwerfungen kommen. Wir sprechen uns trotz gewisser Vorteile des Vollgelds nicht dafür aus, derzeit diesen 5 Charles Kindleberger widmet diesem Thema in seinem Standardwerk über Finanzkrisen Manias, Panics and Crashes – a History of financial crises ein ganzes Kapitel Fueling the Flames: the expansion of credit Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen Reformweg zu beschreiten. Auch wäre ein Pfad vom heutigen Geldsystem zum Vollgeld nur als Bruch und nicht als Prozess schrittweiser Reformen denkbar. Eine Privatisierung des Geldes, wie sie teilweise gefordert wird, lehnen wir wegen der drohenden Instabilität ab. Eigenkapital statt Schulden Wir wollen nicht, so wie es die Vordenker der Geld­ reform im sogenannten Chicago Plan gefordert haben, jegliche klassische Form des Kredites verbieten und nur noch Eigenkapitalfinanzierungen zulassen. Wenn es nur noch Eigenkapitalinstrumente gäbe, wäre es fraglich, ob dann wirklich ausreichend Mittel zur Finanzierung produktiver Investitionen zur Verfügung stehen. Wir halten es zudem nicht für vertretbar, den Bürger*innen vorzuschreiben, wie sie ihr Geld anzulegen haben. Auch wenn wir also Vollgeld insgesamt für nicht zielführend halten, gibt es doch einige Elemente, die wir verfolgen wollen. Dazu gehört im Wesentlichen die Idee, dass schuldenfinanzierte Vermögenspreisblasen gefährlich sind, insbesondere wenn die Schulden so kurzfristig sind, dass sie Geldcharakter haben. Daher wollen wir die Geldpolitik wie oben ausgeführt überdenken und daher schildern wir im Folgenden viele Ideen, wie wir Langfristigkeit und Eigenkapital fördern können. Eine Finanzierung über Fremdkapital hat für Kreditgeber*innen den Vorteil, dass der Schuldendienst, sprich Zinssatz und Tilgung, klar festgeschrieben ist. Genau dies macht Finanzierung über klassische Schuldtitel so problematisch für Kreditnehmer*innen: sie müssen den Schuldendienst auch in schlechten Zeiten in voller Höhe leisten. Eine Finanzierung über Eigenkapital ist nicht so gut kalkulierbar für die Kapitalgeber*innen. Die Bindung des Kapitaldienstes an die wirtschaftliche Lage ist im Gegenzug der große Vorteil für diejenigen, die Kapital aufnehmen. Dies gilt auch für Staatsfinanzierung. Wenn der Schuldendienst nicht unabhängig von der Wirtschaftsentwicklung 13 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 zu leisten ist, kann es nicht so leicht zu Krisen wie jüngst in der Eurozone kommen. Eine Volkswirtschaft, die in ihrer Finanzierung weniger auf klassische Schuldtitel sondern auf Finanzierungsinstrumente mit Eigenkapitalcharakter setzt, ist deutlich stabiler und auch weniger stetigem Wachstumszwang ausgesetzt. Deshalb unterstützen wir die Bestrebungen, für Staaten, Unternehmen und auch für die Immobilienfinanzierung Finanzierungsinstrumente einzuführen, bei denen der Schuldendienst an die wirtschaftliche Entwicklung der Kreditnehmer*innen geknüpft ist. DIE BANKEN ROBUSTER MACHEN Eigenkapital Banken sind existentiell gefährdet, wenn sie insolvent werden, also wenn sie so hohe Verluste machen, dass ihre Schulden ihr Vermögen über­ steigen. Der wichtigste Schutz gegen Insolvenz ist Eigenkapital. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass Eigenkapital kein unproduktives Geld ist, das vorgehalten und nicht investiert wird. Es handelt sich lediglich um eine konservative Form der Refinanzierung. Fremdkapital muss getilgt werden und zusätzlich muss eine fest vereinbarte Verzinsung geleistet werden. Eigenkapital hingegen wird dem Unternehmen bedingungslos zur Verfügung gestellt. Das Unternehmen muss keine Dividenden zahlen, wenn es schlecht läuft, und es muss das Eigenkapital nie tilgen. Jedes „normale“ Unternehmen setzt 25-30% Eigenkapital zur Finanzierung ein. Auch Banken waren in der Vergangenheit so finanziert. Die großen Investmentbanken waren traditionell sogar als Partnerschaften organisiert. Das heißt, jeder Partner haftete mit seinem gesamten Privatvermögen, wenn es zu einer Krise kam. Typischerweise war der mit Abstand größte Teil des privaten Vermögens in der Bank gebunden und konnte erst zu Kasse 14 gemacht werden, wenn der Partner in Rente ging. Aus heutiger Sicht klingt dies wie eine Praxis des 19. Jahrhunderts. Weit gefehlt. Die wahrscheinlich bekannteste Investmentbank weltweit, Goldman Sachs, hat erst 1999 bei ihren eigenen Börsengang die Partnerschaftsstruktur aufgegeben. In den Jahren vor der Krise hatten Banken systematisch ihr Eigenkapital reduziert. Viele der gescheiterten großen Banken nutzten nur 1-2% Eigenkapital zur Finanzierung. Die deutsche HypoRealEstate hatte gar nur 0,08% im Verlust haftendes Eigenkapital.6 Die aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalregeln vor der Finanzkrise hatten zwei fundamentale Schwächen: Das geforderte Eigenkapital bezog sich nicht auf die gesamte Bilanz sondern nur auf sogenannte Risiko gewichtete Aktiva. Um das Risikogewicht zu berechnen durften die Banken ihre eigenen Risikomodelle nutzen. Eine HypoRealEstate war so aus regulatorischer Sicht trotz homöopathischer Eigenkapitaldosis völlig ausreichend kapitalisiert, weil ihre Aktiva angeblich so wenig riskant waren. Das gleiche trifft auf Lehman und die anderen Pleitebanken zu. Die neuen internationalen Regeln von Basel III, in Europa mit der CRD IV Verordnung in europäisches Recht umgesetzt, haben auf diese eklatanten Missstände reagiert und die Eigenkapitalanforderungen deutlich erhöht. In Bezug auf die Risiko gewichteten Aktiva wurde die Eigenkapitalanforderung mit 7% mehr als verdreifacht. Die nationalen beziehungsweise europäischen Aufsichtsbehörden können zusätzlich bis zu 2,5% antizyklische Puffer und bis zu 5% besondere Kapitalanforderungen für systemisch relevante Großbanken verfügen. 6B ezogen auf die gesamte ungewichtete Bilanz. Quelle Bilanz HRE per 31.12.2007. Eigenkapital von 6.074 abzüglich Firmenwert 2.233, Kundenbeziehungen 174 und Markennamen 80 (insgesamter goodwill von 2.487) , sowie abzüglich latenter Steuern 3.267 ergibt im Verlust haftendes EK von 320 Millionen Euro bei einer Bilanzsumme von 394 Milliarden Euro Kapitel 1 Außerdem führten die Regulierer eine sogenannte leverage ratio ein, sprich eine klare Schuldenbremse. Das Eigenkapital soll auch in Bezug auf die gesamte Bilanz eine Minimumquote von 3% nicht unterschreiten. Die leverage ratio ist allerdings noch nicht bindend. Sie soll auch nur als sogenannter backstop dienen. Die Hauptsteuerungsgröße für die Aufsichtsbehörden soll die risikogewichtete Quote bleiben. Die Baseler Regu­lierungsbehörde hat auch dem Druck der Banken nachgegeben und erlaubt selbst für die leverage ratio gewisse Risiken auszublenden. Banken dürfen Derivate weitgehend gegeneinander aufrechnen und Risiken in Zweck­ gesellschaften ausgliedern. Ausgerechnet in Zweckgesellschaften, den Sonder­mülldeponien für hoch giftige Wert­papiere, die während der Finanzkrise eine der Hauptursachen für die vielen Bankenpleiten waren. Die neuen Regeln aus Basel führen zum Beispiel bei der Deutschen Bank dazu, dass ihre nach IFRS berechnete Bilanzsumme von 1.788 Milliarden Euro für die Berechnung der Baseler leverage ratio auf 1.434 Milliarden Euro schrumpft.7 Als die Regeln für die Berechnung der leverage ratio im Januar 2014 in Basel veröffentlicht wurden, war dies eine enorme positive Überraschung für die Banken. Die Aktien von Deutsche Bank zum Beispiel schnellten um fast 5% nach oben.8 Die Eigentümer*innen der Deutschen Bank wurden durch den Sieg der Finanzlobby über die Regulierungsbehörde um über 1 Milliarde Euro reicher. Hochproblematisch ist, dass das Hauptsteuerungsinstrument der Bankenaufsicht die Kapitalquote entsprechend der risikogewichteten Aktiva bleibt und die Banken weiterhin die Freiheit haben, ihre eigenen Risikomodelle zur Berechnung der Risiken zu nutzen. 7 Je nach Lesart der neuen Regeln soagar auf 1.320 Mrd Euro cf. „Basel verbessert die Schuldenquoten deutlich“, Börsenzeitung, 16.01.2015. 8 Financial Times, 13.01.2014, Investment banks hail victory in Basel battle, http://www.ft.com/intl/cms/s/0/69dd59fc-7c7911e3-9179-00144feabdc0.html#axzz3khFMMHw3 Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen Nachdem verschiedene Studien nachgewiesen haben, dass bei völlig identischen Aktiva die verschiedenen Modelle der Banken zu völlig unterschiedlichen Risikogewichten kommen, hat sich die EZB vorgenommen, die Risikomodelle zu untersuchen. Vier Jahre wird sie sich dafür Zeit lassen. Leider ist eine Abschaffung der Steuersubventionen für Fremdkapital auf globaler Ebene nicht in Sicht. Dies macht aus Bankensicht Eigenkapital teurer als Fremdkapital. Die internationalen Regulierungsbehörden haben sich daher verständigt, einen Teil des Fremdkapitals als Risikopuffer zu nutzen. Dies muss bei einer Schieflage der Bank in Eigenkapital wandelbar sein (bail-in).9 Die neuen Eigenkapitalregeln sind ein Schritt in Richtung eines stabileren Finanzsystems, haben aber weiterhin sehr gravierende Mängel. Wir wollen daher, dass sich Banken in Zukunft wieder konservativ finanzieren. Sie sollen mindestens 10% ihrer Finanzierung mit Eigenkapital bestreiten. Wir halten echtes Eigenkapital für besser geeignet als Fremdkapital, das in Eigenkapital gewandelt werden kann. Der einzige Grund für den Rückgriff auf bail-in fähiges Fremdkapital ist die steuerliche Subvention für Fremdkapital, die wir abschaffen wollen. Bei der Berechnung der Eigenkapitalquote müssen die Banken durchgehend die Bruttorisiken ansetzen. Dies gilt insbesondere für Zweckgesellschaften, die konsolidiert und in die leverage ratio voll eingerechnet werden müssen. Bei komplexen Finanzinstrumenten wie Derivaten, soll nicht der Marktwert sondern der plausibel mögliche Verlust zur Berechnung der Eigenkapitalquote angesetzt werden. Um klassische kleine Banken mit konservativem Geschäftsmodell nicht zu benachteiligen, 9 total loss absorbing capital, TLAC, bzw. minimum required eligible liabilitits, MREL. Die Summe aus bail-in fähigem Fremdkapital und Eigenkapital muss etwa doppelt so hoch sein, wie die üblichen Minimum Eigenkapitalanforderungen. 15 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 soll es zusätzlich eine Risikogewichtung geben. Hoch riskante Geschäfte müssen mit mehr Eigenkapital finanziert werden als zum Beispiel solide finanzierte private Immobilienkredite. In Zukunft sollen die Banken ihre Risiken aber nicht mehr künstlich klein rechnen. Wir brauchen einfache und einheitliche Standardregeln zur Bestimmung der Risikogewichte. Die Bankenaufsicht darf sich nicht vier Jahre Zeit lassen, darüber eine Untersuchung anzustellen. Bereits heute darf die Aufsicht großen und komplexen Banken einen 50% Eigenkapitalzuschlag auferlegen. Wir wollen, dass diese Möglichkeit auch wirklich konsequent umgesetzt wird. Dieses Eigenkapital soll in Zukunft atmen. Wenn es zur Krise kommt, sollen Banken nicht sofort gezwungen sein, panikartig Vermögensgegenstände auf den Markt zu werfen, um ihre Eigenkapitalquote zu erhöhen. Eine Bank muss mindestens 10% Eigenkapital haben, um Dividenden an ihre Aktionäre auszuschütten und ihren Mitarbeiter*innen Boni bezahlen zu dürfen. Sobald die Eigenkapitalquote unter 5% fällt, verlieren die Aktionäre ihr Kapital und die Bank wird von der europäischen Abwicklungsbehörde übernommen. Wir wollen die steuerliche Privilegierung von Fremdkapital abschaffen. Wichtig ist uns dabei, dass nicht zusätzlich zum Fremdkapital auch noch das Eigenkapital steuermindernd genutzt wird. Wir wollen nicht die Steuerbasis weiter erodieren. Uns geht es mit dieser Maßnahme auch nicht darum, die Steuern zu erhöhen. Wir wollen, dass der Staat aufhört, ein riskantes Finanzierungsinstrument (Fremdkapital) zu subventionieren und ein stabiles Finanzinstrument (Eigenkapital) zu benachteiligen. Außerdem soll der Staat konsistent sein in seiner Regelsetzung: Ein Finanzprodukt soll nicht mehr aufsichtsrechtlich als Eigenkapital und steuerrechtlich als Fremdkapital eingeordnet werden. Vielmehr braucht es einen Gleichlauf von Steuer- und Aufsichtsrecht. 16 Liquidität Banken kommen nicht nur aufgrund von Insolvenz in existentielle Schieflage, sondern auch wenn sie illiquide werden, sprich nicht mehr über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um ihren akuten Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. Illiquidität ist das klassische Problem einer Bank. Banken finanzieren sich über jederzeit kündbare Kundeneinlagen. Dieses Geld leihen sie langfristig an ihre Kreditnehmer*innen aus. Wenn die Kund*innen nervös werden und ihr Geld abziehen, können selbst hochsolvente Banken in große Schwierigkeiten kommen, weil die Kredite nicht kündbar sind. Bankenpaniken mit langen Schlangen vor den Schaltern waren daher gang und gäbe, bis in den 1930er Jahren die Einlagensicherung und die Zentralbanken als lender of last resort erfunden wurde. Seitdem können sowohl die Kund*innen ruhig schlafen, weil sie ihr Geld notfalls von der Einlagensicherungerhalten und die Banken, weil sie von der Zentralbank immer mit Liquidität versorgt werden, solange sie ausreichend Eigenkapital haben. Das war der Grund, weshalb es in Basel II keinerlei Vorschriften zur Liquidität gab. Allerdings hatten sich Banken in den Jahren vor der Krise drastisch gewandelt. Sie finanzierten sich immer weniger über Kundeneinlagen. Genauso, wie sie kein klassisches Kreditgeschäft mehr betrieben. Eine Deutsche Bank zum Beispiel finanzierte 2007 weniger als ein Viertel ihres Geschäftsvolumens mit Einlagen und nur 10% ihrer Aktivitäten waren noch Kundenkredite. Anstatt also Spareinlagen an die vielversprechendsten Unternehmen zu verleihen, haben Banken Geschäfte miteinander gemacht. Sie finanzierten sich im Interbankenmarkt und betrieben damit ein umfangreiches Handelsgeschäft. Da sie ihre Wertpapiere vor der Krise jederzeit im Millisekundentakt hin und her verkaufen konnten, sahen sie kein Problem damit, diese Aktivitäten mit täglich kündbaren Geldern zu finanzieren. Diese kurzfristige Finanzierung sah für alle Beteiligten höchst vorteilhaft aus: die Banken konnten sich extrem billig finanzieren, weil sich die Geldgeber*innen nicht vorstellen Kapitel 1 konnten, dass die Bank binnen eines Tages pleite gehen könnte. Sie glaubten so auf eine aufwendige Prüfung der Bank verzichteten zu können. Hohes Handelsvolumen spiegelt jedoch nur die Illusion von Liquidität vor. Es mag noch so viel Handel geben. Wenn sich die Stimmung dreht und die meisten Menschen ein Wertpapier verkaufen wollen, versiegt die Liquidität abrupt. Wenn dann, wie 2007, die Geldgeber*innen nervös werden und ihre Kredite nicht mehr blind verlängern, kommt es zum Problem. Alle Banken müssen dringend Papiere verkaufen. Damit gibt es plötzlich keine Käufer*innen mehr. Sie müssen also ihre Wertpapiere mit Abschlägen auf den Markt werfen. Das erzeugt einen Teufelskreis. Weil die Preise weiter sinken, werden die Geldgeber*innen noch nervöser und verlängern noch weniger täglich fällige Kredite. Die Banken müssen noch mehr Papiere im Notverkauf liquidieren, bis sie schließlich kom–plett illiquide werden und staatlich aufgefangen werden müssen. Basel III und in Europa die CRD IV führten daraufhin eine liquidity coverage ratio (LCR) ein. Banken sollen über ausreichend Liquidität verfügen, um 30 Tage lang die Geldabflüsse von ihren Kund*innen und Kreditgeber*innen überstehen zu können. Die LCR gilt erstmalig ab 2015. Ein empirisches Urteil über das Instrument ist daher nicht möglich. Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, dass die Regulierung sich endlich den lebenswichtigen Aspekt der Liquiditätssteuerung vornimmt. Allerdings beruht auch die LCR auf entscheidenden bankinternen Modellannahmen. Wenn man nur die Fristigkeit ohne Modellierungsannahmen als Kriterium genommen hätte, hätte man alle Einlagen und Interbankenkredite mit einer Fälligkeit von unter einem Monat als Liquiditätsabfluss kalkulieren müssen. Das ist bei den meisten Banken der mit Abstand größte Teil ihrer Refinanzierung. Die Deutsche Bank zum Beispiel hat 1.3 Billionen Euro täglich fällige Verbindlichkeiten aus einem Geschäftsvolumen von 1,7 Billionen Euro. Weitere 0,2 Billionen sind binnen 3 Monaten fällig. Auf der Aktivseite weist die Bank weniger als 0,1 Billionen Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen Euro Barreserve und Einlagen bei anderen Banken aus. Damit hätte die Deutsche Bank also eine LCR von etwa 6%. Dank ihrer Modellannahmen kann die Bank jedoch eine LCR von 119% ausweisen.10 Die Regulierer wollten aus gutem Grund die Banken nicht zwingen, ihre Kundengelder bei der EZB zu parken anstatt sie der Wirtschaft als Kredit zur Verfügung zu stellen. So müssen sie sich aber wieder auf die Modellannahmen der Banken verlassen, so als ob die Finanzkrise nicht gezeigt hätte, dass eine Aussage über die Liquidität von Wertpapiermärkten und über die Zuverlässigkeit von Refinanzierungsmöglichkeiten eigentlich unmöglich ist. Der extreme Unterschied zwischen der mechanisch errechneten Quote von 6% zu der Modellquote von 119% zeigt die Schwierigkeit des Unterfangens. Momentan arbeiten die Regulierungsbehörden noch an einer weiteren Kennziffer zur Liquidität, der net stable funding ratio. Diese soll die Banken dazu bringen, auch über die Monatsfrist der LCR stärker auf Fristenkongruenz zu achten. Die Problematik bleibt jedoch dieselbe. Wir halten die neu eingeführten Liquiditätsquoten aufgrund ihrer schwierigen Modellannahmen und aufgrund ihrer regulatorischen Inflexibilität für das falsche Instrument. Wir wollen stattdessen am Grundübel, sprich der zu preiswerten kurzfristigen Interbankenfinanzierung ansetzen. Deren Preise reflektieren nicht die hohen gesellschaftlichen Risiken. Besonders problematisch ist die besicherte kurzfristige Refinanzierung (sogenannte Repo-Kredite), weil hier die Kreditgeber im Grunde vollständig auf eine Risikoprüfung der Bank verzichten und weil diese besicherten Kredite dazu führen, dass das Risiko für die unbesicherten Kreditgeber deutlich steigt. In der Finanzkrise waren die Repo-Kredite besonders volatil und damit eine der Hauptursachen für die Liquiditätskrise. 10 Deutsche Bank, Jahresabschluss 2014, S. 464, 500 und 245 17 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Wir wollen diese negativen externen Effekte internalisieren. Wir sehen die kurzfristige Refinanzierung wie eine Form von Umweltverschmutzung. So wie CO2 eine wesentliche Ursache für den Klimawandel darstellt, sind die kurzfristigen Interbankenkredite eine wesentliche Ursache für die Instabilität auf den Finanzmärkten. Wenn der Preis für CO2 nicht die gesellschaftlichen Kosten beinhaltet, wird zu viel davon genutzt. Das gleiche gilt für kurzfristige Interbankenkredite. Banken müssen nicht den größten Teil ihrer Bilanz mit täglich fälligen Interbankenkrediten finanzieren. Sie können Eigenkapital, langfristige Darlehen oder stabile Kundeneinlagen zur Finanzierung nutzen. Typische kleine Banken, finanzieren sich genau so. Das ist auch einer der Gründe, weshalb sie so gut durch die Krise gekommen sind. Banken nutzen die kurzfristige Refinanzierung, weil sie zu billig ist. Damit die Preise die gesellschaftlichen Risiken widerspiegeln, wollen wir zunächst die Bankenabgabe für den Restrukturierungsfonds besser ausgestalten. Derzeit gibt es zwar einen Risikoaufschlag bei der Berechnung der Abgabe. Dieser ist jedoch zu komplex und in seiner Wirkung schwer nachvollziehbar. Wir wollen statt dessen kurzfristige und insbesondere besicherte Refinanzierung im Interbanken- und Kapitalmarkt so hoch gewichten, dass Banken einen klaren finanziellen Anreiz haben, sich längerfristig zu refinanzieren. KEINE AUSNAHMEN FÜR SCHATTENBANKEN Schattenbank ist ein wunderbarer Begriff für Pseudoregulierer wie die derzeitige Bundesregierung. Niemand weiß so recht, wer mit diesen Instituten gemeint ist. Man vermutet zwielichtige Finanzinstitute auf den Cayman Islands oder anderen dubiosen Steueroasen. So kann man sonntags wunderbar über Schattenbanken lästern. Man tritt schließlich niemandem auf die Füße damit. 18 Leider führt der Begriff völlig in die Irre. Viele dieser Finanzinstitute operieren im vollen Tageslicht. Sie sind in Deutschland oder anderen Ländern der EU beheimatet. Sie betreiben völlig legale Geschäfte, die im Grunde Bankgeschäfte sind, nur anders benannt und deshalb anders reguliert werden. Es handelt sich zum Beispiel um hoch angesehene Finanzinstitute wie die Allianz und andere Versicherungsgesellschaften oder die DWS und andere Fondsgesellschaften. Niemand traut sich, sie als Schattenbanken zu bezeichnen, weil der Begriff so negativ belegt ist. Auch wir wollen nicht die Allianz als Schattenbank verunglimpfen. Wir wollen aber die Regulierung nicht mehr nach der offiziellen Bezeichnung eines Finanzinstitutes ausrichten, sondern nach dessen Tätigkeit. Wenn ein Finanzinstitut kurzfristig kündbare Gelder von Anlegern einsammelt, einen festen Wert garantiert, und diese Gelder langfristig anlegt, muss diese Geschäftstätigkeit nach den gleichen Regeln wie eine Bank operieren. Lebensversicherer betreiben Bankgeschäft, wenn sie ihren Kunden ermöglichen, ihre Einlagen jederzeit abzuziehen und ihnen dafür einen festen Rückkaufswert garantieren. Sie betreiben auch Bankgeschäft, wenn sie immer mehr Kredite ausreichen. Manche Geldmarktfonds garantieren feste Rückkaufswerte und extrem kurzfristige Verfügbarkeit der Gelder. Diese Geschäfte sind keineswegs zwielichtig und deshalb führt der Begriff Schattenbank so in die Irre. Geldmarktfonds und Lebensversicherer sollen ihre Geschäfte weiter betreiben. Aber solange sie kurzfristige Kündbarkeit und feste Rückkaufswerte garantieren, müssen sie sich denselben Regeln wie Banken unterwerfen. Sonst gibt es keinen fairen Wettbewerb zwischen reguliertem und nicht reguliertem Bankgeschäft. Die Risiken der Finanzindustrie wandern dann von den regulierten Instituten in die nicht regulierten. Der nächste staatliche bail-out wird dann möglicherweise nicht bei Banken, sondern bei den Lebensversicherern oder Fondsgesellschaften stattfinden. Kapitel 1 Die Regulierung von Geldmarktfonds ist ein gutes Beispiel, wie derzeit völlig unnötig Bürokratie und Komplexität produziert wird. Es besteht Konsens in der Wirtschaftswissenschaft und bei den großen internationalen Regulierungsbehörden, dass Geldmarktfonds keine festen Rückkaufswerte garantieren sollten. Wir sind ebenfalls dieser Meinung. Wer einen festen Rückkaufswert benötigt, muss sein Geld mit etwas geringeren Zinsen auf die Bank legen und nicht in einen Fonds. Die Regulierung von Geldmarktfonds ist also sehr einfach: Fonds mit festen Rückkaufswerten sind untersagt. Die jetzige Regulierung hat aber lieber auf die Fondslobby anstatt auf ihre eigenen Thinktanks wie ESRB oder Financial Stability Board gehört. Herausgekommen sind wieder Dutzende von Seiten komplizierteste Gesetzestexte. Sie erlauben den Fonds weiterhin den festen Rückkaufswert aber machen ihnen unzählige andere bürokratische Auflagen, die nur Bürokratie erzeugen aber das eigentliche Problem nicht lösen. Auch Wertpapierfonds können Schattenbankcharakter haben. Dies ist insbesondere bei Fonds der Fall, die wenig liquide Vermögensgegenstände investieren und ihren Anleger*innen kurzfristige Kündigungsrechte versprechen. Die Einführung einer einjährigen Kündigungsfrist für offene Immobilienfonds in Deutschland war richtig und sollte konsequent auf alle Anlageformen mit wenig liquiden Vermögensgegenständen angewandt werden. In den letzten Jahren haben große Fonds enorme Marktanteile gewonnen. Der größte Fonds Blackrock mit seinen über 4 Billionen Euro verwaltetem Vermögen ist inzwischen etwa doppelt so groß wie die größte Bank der Welt. Ein Fonds kann zwar nicht wie eine Bank pleite gehen. Dennoch können auch Fonds zum Beispiel aufgrund dem Verlust von Schlüsselpersonen11 oder anderen Reputationsproblemen plötzlich hohe Mittelabflüsse verzeichnen, die aufgrund der Größe des Fonds oder aufgrund der Investitionsstrategie in wenig 11 wie zum Beispiel die massiven Abflüsse bei Pimco, dem lange zweitgrößten Fonds der Welt, der hunderte von Milliarden Dollar Kundengelder verlor, als sein Gründer Bill Gross ausschied Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen liquide Aktiva, ganze Märkte erschüttern können. Es ist höchst plausibel, dass von diesen großen Fonds inzwischen systemisches Gefahren ausgehen. Wir begrüßen daher die Initiative des Financial Stability Boards, Wertpapierfonds genauer unter die Lupe zu nehmen und sprechen uns dafür aus, auch für Fonds restriktive Kriterien für die Beurteilung marktbeherrschender Stellung anzuwenden und zu große Fonds notfalls zu entflechten. Pensionsgeschäfte (Repos) sind die wichtigsten Instrumente, mit denen sich Finanzinstitute liquide halten. Sie nutzen so eine extrem kurzfristige Refinanzierung, um damit langfristig zu investieren. Dabei werden zur Sicherheit hinterlegte Wertpapiere mitunter um ein vielfaches weiterverpfändet, es entstehen sog. Repo-Ketten. Ein plötzlicher Run auf diesen Repo-Markt und damit ein abruptes Ende der Liquidität war einer der Hauptauslöser der Finanzkrise. Durch die Weiterverleihung der Sicherheiten war der Verbleib der Papiere oft unklar. Es kam zu Panikverkäufen und dramatischem Preisverfall von Vermögenswerten. Die mangelnde Transparenz des Marktes war ausschlaggebend für diese Herdenreaktionen – bis heute fehlen der Aufsicht der Überblick und ein angemessenes Frühwarnsystem. Wir wollen daher, dass Wertpapiere grundsätzlich nur einmal verpfändet werden dürfen, um die problematischen Repo-Ketten zu durchbrechen. Außerdem soll bei einem Repo-Geschäft beziehungsweise bei einer Verpfändung eines Wertpapiers immer ein angemessener Sicherheitsabschlag (haircut) angewandt werden. Und bei aller ehrlichen Liebe für junge kreative neue Finanzdienstleister: auch crowd-funding muss gewisse Regeln beachten. Solange diese Finanzierungen keine Fristentransformation betreiben, wollen wir sie nicht als Bank regulieren. Aber wie bei allen Vermittler*innen von Finanzanlagen darf es auch hier in der Anreizstruktur keine strukturellen Interessenskonflikte geben. Heute finanzieren sich die Plattformen über eine Erfolgsgebühr für das Vermitteln der Kredite. Genau so wurden auch die Kreditvermittler*innen der amerikanischen Schrottanleihen bezahlt, die die Finanzkrise 19 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 ausgelöst hatten. Der Anreiz, schlechte Kredite zu vermitteln, ist dann einfach zu hoch. Daher wollen wir die Gebührenstruktur der crowd-funding Plattformen wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Die Plattformen müssen von den Anleger*innen dafür bezahlt werden, dass sie eine gute Kreditselektion betreiben. Mit der letzten Tilgungsrate eines Kredites sollen die Plattformen ein Erfolgshonorar bekommen. Sobald die Plattformen eine kritische Größe erreicht haben, müssen sie auch eigenes Kapital einsetzen. Sie sollen mit ins Risiko gehen und von jedem vermittelten Kredit einen kleinen Teil in ihren Büchern behalten. dass die Kultur in Banken unehrliches Verhalten fördert. Verständlich, wenn man als einzelner Händler einen Jahresbonus von über 80 Millionen Euro verdienen kann.15 Einer der größten Erfolge der Grünen im Europaparlament war es daher, die Vergütungssysteme in Banken zu reformieren und die Boni auf das zweifache des jährlichen Festgehaltes zu begrenzen. Damit wird zwar noch nicht das Problem gelöst, dass Banken aufgrund ihrer übertriebenen Gehälter weiterhin die besten Absolvent*innen anziehen können. Aber wenigstens wird man durch übertriebenes Risiko oder gar kriminelles Verhalten nicht mehr ganz so leicht zum Multimillionär. ANREIZSYSTEM WEITER REFORMIEREN Vergütungssysteme Seit der Deregulierungswelle in den 1980er Jahren haben sich nicht nur die Bilanzen der Banken aufgebläht, sondern auch die Gehälter ihrer Mitarbeiter*innen. Im Vergleich zu anderen Industrien sind die Gehälter in Banken etwa doppelt so schnell gestiegen.12 Die Höhe der Gehälter führt dazu, dass besonders viele talentierte Absolvent*innen13 prestigereicher Universitäten bei Investmentbanken mit komplexen Finanzinnovationen handeln anstatt in anderen Wirtschaftssektoren Produkte oder Dienstleistungen mit klarem Kundennutzen zu entwickeln. Die Struktur der Gehälter mit ungedeckelten Boni führt zu einem besonders risikoaffinen und oft sogar kriminellen Verhalten. Eine kürzlich in Nature veröffentlichte Studie14 konnte nachweisen, 12 nur der geringste Teil dieses schnellen Anstiegs erklärt sich aus einem vergleichsweise höheren Ausbildungsstand in der Finanzindustrie. Vgl die Arbeiten von Philippon und Reshef zu diesem Thema (insb. Wages and human capital in the US finance industry: 1909 – 2006) sowie den Bericht des Advisory Scientific Committees des European Systemic Risk Boards (ESRB), Is Europe Overbanked?, Juni 2014 13leider fast keine Frauen. Ob wohl die gleiche extreme, in Teilen sogar kriminelle, Risikokultur in den Handelssälen entstanden wäre, wenn die Hälfte der Mitarbeiter Frauen gewesen wären? 14 Cohn, Alain, Fehr, Ernst, und Maréchal, Michel Andre (2014), Business culture and dishonesty in the banking industry, Nature 20 Wir wollen die Haftung der Manager aller komplexer Finanzinstitute, sprich nicht nur von Banken, noch weiter erhöhen. Wir wollen die Manager wieder dazu zu bringen, den langfristigen Erfolg im Auge zu haben und nicht den kurzfristigen Aktienkurs und den Wert ihrer Aktienoptionen. Daher soll die Entlohnung über 500.000 Euro pro Jahr pro Manager nicht mehr steuerlich absetzbar sein und grundsätzlich für zehn Jahre aufgeschoben werden. Wenn das Finanzinstitut in diesem Zeitraum in eine Krise kommen sollte, und das Eigenkapital unter die regulatorischen Mindestanforderungen fallen sollte, verfallen diese aufgeschobenen Vergütungsansprüche. Sanktionen Marktwirtschaft setzt Freiheit, aber eben auch Haftung der handelnden Personen und Unternehmen voraus. Unternehmen und ihre leitenden Manager müssen für Schäden, die sie verursachen, zur Verantwortung gezogen werden. Leider gilt diese Grundbedingung für eine funktionierende wettbewerbliche Marktordnung in Deutschland nach wie vor an vielen Stellen nicht. Wer sein Geschäftsmodell 15 e s geht um Christian Bittar, der durch die kriminelle Manipulation des Libor Referenzzinssatzes bei der Deutschen Bank einen Jahresbonus von 80 Millionen Euro erhielt, cf Bloomberg, http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-06-18/ deutsche-bank-s-96-million-banker-bonus-at-center-oflawsuit Kapitel 1 ausreichend komplex gestaltet, wird nur selten zur Rechenschaft gezogen. Die Beispiele aus der Finanzwirtschaft sind Legion: systematischer Steuerbetrug, Preismanipulationen bei Zinsen, Gold und Devisen, Geldwäsche. Solches Fehlverhalten muss auch in Deutschland klare zivil- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Deutschland indessen hat im Gegensatz zu den meisten anderen Industrieländern kein Unternehmensstrafrecht. Auch massives Fehlverhalten von Firmen kann nur als Ordnungswidrigkeit mit einer Maximalbuße von 10 Millionen Euro geahndet werden. Dies ist eine Rundungsdifferenz bei den Milliardengewinnen großer Unternehmen und ein großes Defizit unserer Rechtsordnung. Typischerweise geht von einem Delikt, das ein Unternehmen begeht, ein viel höheres Risiko für das Gemeinwesen aus als von dem Fehlverhalten eines Einzelnen. In der komplexen und anonymen Struktur eines Unternehmens lässt sich individuelle Verantwortlichkeit zudem verschleiern. Deshalb brauchen wir ein echtes Strafrecht für Unternehmen. Sie müssen auf der Anklagebank landen, wenn sie Straftaten begehen, und sich in einem öffentlichen Gerichtsverfahren der Verantwortung für ihr Tun stellen. Gleichzeitig müssen wir die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit des Führungspersonals verbessern. Auch bei noch so gravierenden Skandalen kommt es kaum jemals zur strafrechtlichen Verurteilung leitender Manager in Deutschland. Die Führungskräfte verstehen es gut, ihr Unternehmen so zu organisieren, dass ihnen eine individuelle Verantwortlichkeit für die aus dem Unternehmen begangenen Straftaten nicht nachweisbar ist. Größe und Komplexität eines Unternehmens sind der Garant für erfolgreiche Haftungsvermeidung. Großbritannien hat auf dieses Problem mit dem Senior Managers Regime eine überzeugende Antwort gefunden, die wir uns als Vorbild nehmen wollen. Führenden Bank-Managern wird ein persönlicher Verantwortungsbereich zugeordnet. Für Abläufe und Geschehnisse in diesem Bereich wird die Verantwortlichkeit des einzelnen Managers künftig vermutet. Kommt es zur Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen Gesetzesverletzung, obliegt es dem jeweiligen Manager darzulegen, dass er alles getan hat, um Gesetzesverstöße in seinem Verantwortungsbereich zu verhindern. Andernfalls droht ihr oder ihm eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren. Der zentrale Straftatbestand für pflichtwidriges Verhalten von Führungspersonen in Unternehmen ist in Deutschland die Untreue. Die Anforderungen an den Nachweis des Untreuetatbestands sind in den letzten Jahren von der Rechtsprechung derart hochgeschraubt worden, dass es kaum noch zu Verurteilungen kommt. Die Manager kaufen sich gerade bei komplexen Wirtschaftsdelikten mit „Deals“ aus dem Strafverfahren frei. Zu einer öffentlichen Aufarbeitung der Verfehlungen vor Gericht kommt es dann nicht. Die individuelle Strafandrohung für das Führungspersonal eines Unternehmens muss so gefasst werden, dass sie künftig wieder durchsetzbar wird. Damit die Strafverfolgungsbehörden auch komplexen Wirtschaftsverfahren gewachsen sind, müssen Staatsanwaltschaften personell besser ausgestattet werden. Zugleich muss aber auch eine sinnvolle Priorisierung beim Einsatz der vorhandenen Ressourcen erfolgen, die auch einen Sinneswandel bei manch einem Ermittler erfordert. Die Verfolgung des Bankmanagers, der einen enormen gesellschaftlichen Schaden verursacht hat, muss gegenüber der Ahndung von Bagatelldelikten klaren Vorrang haben. Auch die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Führungspersonals muss dringend verbessert werden. Verursacht ein Manager schuldhaft einen Schaden, muss er dies auch im eigenen Portemonnaie spüren. Die in Deutschland übliche Ausgestaltung der Manager-Versicherung als Gruppenversicherung zum Pauschaltarif konterkariert jedoch notwendige individuelle Sorgfaltsanreize. Der 2009 eingeführte obligatorische Selbstbehalt läuft leer, weil er vom Vorstandsmitglied seinerseits wieder versichert wird. Wir brauchen daher eine Reform der Vorstandshaftung, um die dringend notwendigen Sorgfaltsanreize für leitende Manager*innen zu verstärken. Dazu gehört auch, dass die Möglichkeit von Aktionären, Ansprüche gegen pflichtwidrig 21 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 handelnde Vorstände geltend zu machen, praxistauglich ausgestaltet wird. Die Vorstands- oder Aufsichtsratskolleg*innen sind nämlich regelmäßig nicht bereit, Ansprüche gegen ihre Kolleg*innen gerichtlich einzuklagen. Die Aktionärsklage gegen Vorstandsmitglieder, die sich schadensersatzpflichtig gemacht haben, muss deshalb so ausgestaltet werden, dass sie sich für den klagenden Aktionär im Erfolgsfall auch finanziell lohnt. Überdies fordern wir die Einführung einer Sammelklage für geprellte Anleger*innen. Betrügerische Finanzprodukte lohnen sich für die Banken und Hintermänner heute selbst dann, wenn Anleger*innen vor Gericht beweisen können, dass das Produkt von vornherein zu ihrem Nachteil konstruiert wurde. Denn es zieht zu meist nur ein kleiner Teil der Anleger*innen vor Gericht. Deshalb müssen Rechts- und Tatsachenfragen, die gleichermaßen für eine Vielzahl von Fällen relevant sind, in einem Verfahren einheitlich geklärt werden können. Den Betroffenen muss dabei ermöglicht werden, die Verjährung ihrer Ansprüche durch einen Sammelantrag zu stoppen. Für langlaufende Kapitalanlagen muss außerdem die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren verlängert werden, die auch ohne Kenntnis der Anspruchsvoraussetzungen beginnt. Betroffene können die Falschberatung häufig erst erkennen, wenn die langjährige Anlage ausgelaufen ist. Eine vorher einsetzende Verjährung ihrer Ansprüche ist nicht zu rechtfertigen. Neben Strafrecht muss sich auch die Kultur in den Unternehmen ändern. Dazu würde übrigens auch der von uns geforderte deutlich höhere Frauenanteil im Management beitragen. Wir wollen auch eine Kultur der Offenheit und Angstfreiheit fördern. Dazu gehört der Schutz sogenannter Whistleblower. Missstände und rechtswidrige Praktiken in Unternehmen und Behörden werden oft erst durch Hinweise mutiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekannt. Die Grüne Bundestagsfraktion hat einen Gesetzentwurf zum Schutz von Hinweisgebern vorgelegt, der endlich umgesetzt werden muss. Auf EU-Ebene fordern wir eine Richtlinie, die in allen EU-Ländern den Schutz von Whistleblowern sicherstellt. EINFACHE ABER HARTE REGELN – FINANZGESETZBUCH Anstatt die Finanzwelt durch harte Regeln wirklich sicherer zu machen, wurde sie in den letzten Jahren in einer Gesetzesflut ertränkt. Kein normaler Bankenvorstand kann mit Zehntausenden von Seiten detailliertesten Vorschriften zurecht kommen. Die bürokratischen Kosten für die Einhaltung der Regeln sind exorbitant. Es bleibt immer das Risiko, dass man selbst bei sorgfältigem Arbeiten eine Regel übersieht. Bildlich gesprochen ist man als Bankvorstand mit einem Bein immer im Gefängnis. Kein Wunder, dass die Finanzunternehmen inzwischen auf die Barrikaden gehen. Der Sparkassenpräsident spricht öffentlich von „Regulierungstsunami“ und fordert eine Regulierungspause. Der Chefredakteur des Handelsblatts bezeichnet den Regulierer als Strangulierer und selbst der BaFin Präsident gibt sich verständnisvoll.16 Nicht eine Regulierungspause brauchen wir und schon gar keine Deregulierung. Ja, die Regulierung muss ausgemistet werden. Die vielen Gesetze gehören auf den Prüfstand und müssen insbesondere in ihrer Wechselwirkung evaluiert werden. Wir wollen nach der Vereinfachung der vielen Gesetze ein einheitliches europäisches Finanzgesetzbuch durchsetzen. Das Dickicht aus Duzenden von Verordnungen und Richtlinien sowie rund 400 delegierten Rechtsakten und technischen Standards sowie zahlreichen Leitlinien kann und muss gelichtet werden. Das Ziel ist weniger Bürokratie, mehr Klarheit und eine Regulierung, mit der auch kleine Banken ohne große Expertenteams wieder zurecht kommen. Aber das Resultat müssen härtere Regeln sein, also Regeln, die endlich den Kern der Probleme ohne Ausnahmen angehen. 16 Handelsblatt Bericht von der Bankentagung, 3.9.2015 22 Kapitel 1 BUCHHALTUNGSSTANDARDS UND WIRTSCHAFTSPRÜFER Die Bücher eines Unternehmens müssen die wahren Vermögensverhältnisse (true and fair view) wiedergeben. Dies ist wichtig für alle Beteiligten: Kund*innen, Lieferant*innen, Eigentümer*innen, Investoren, Mitarbeiter*innen, Finanzamt, Regulierungsbehörden. Niemand bis auf die Mitarbeiter*innen im Rechnungswesen des Unternehmens kann sonst eine Aussage über Finanzverhältnisse des Unternehmens treffen. Deswegen sind objektive und faire Regeln für die Bilanzierung so wichtig und deshalb ist es so wichtig, dass es unabhängige und vertrauenswürdige Wirtschaftsprüfer gibt, die das Zahlenwerk prüfen und bestätigen. Dies nicht leicht sicherzustellen, da die Wirtschaftsprüfungsbranche privat organisiert ist und von vier großen Anbietern weltweit beherrscht wird. Die Prüfer erhalten ihre Aufträge von den Unternehmen und werden von diesen bezahlt. Leider gilt auch hier, wie so oft: wer bezahlt, schafft an. Das heißt, den Prüfern liegt ihr lukratives Mandat sehr am Herzen. Nicht alle der Beteiligten haben dieselben Interessen. Manche möchten besonders vorsichtig bilanzieren und gar Gewinne verstecken. Normalerweise sind das die Eigentümer*innen, die keine Steuern zahlen möchten oder die nicht wollen, dass ihre Kund*innen und Lieferant*innen sehen, wie profitabel sie sind, sonst müssten sie ja vielleicht die Preise großzügiger gestalten. Ebenso haben Mitarbeiter*innen ein Interesse an einer klaren Sicht auf die Profitabilität eines Unternehmens. Auch die Finanzaufsicht hat ein großes Interesse an vorsichtiger Bilanzierung. Umso weniger Gewinne ausgewiesen werden, umso mehr Vermögen bleibt im Unternehmen und steht bei einer Verschlechterung der Ertragslage des Unternehmens als Reserve zur Verfügung. Dadurch ist das Risiko eines staatlichen bail-outs geringer. Neben den Kund*innen, Lieferant*innen und dem Finanzamt freuen sich auch die Manager*innen, wenn sie hohe Gewinne ausweisen. Seitdem die angelsächsische Bonuskultur mit ihrer oft Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen exorbitanten Belohnung kurzfristiger Gewinne auch in deutschen Finanzinstituten heimisch geworden ist, haben Manager einen Anreiz zu hohe Gewinne auszuweisen. In Unternehmen, in denen sehr hohe Boni gezahlt werden und in denen es nur ein hauchdünnes Eigenkapital gibt, wie in Banken, ist dies besonders gefährlich. Die hohe Verschuldung wirkt wie ein gewaltiger Hebel und verstärkt die Wirkung der Boni massiv. Außerdem wirken bei geringer Eigenkapitalquote volatile Gewinne hochgradig prozyklisch. Banken hatten meist einen Hebel von 50. Das heißt, wenn sie einen Gewinn von 2 Millionen Euro machten, konnten sie 100 Millionen Euro mehr Kredite vergeben oder spekulative Wertpapiere zum Eigenhandel kaufen. Umgekehrt führte ein Verlust zu einer genauso großen Reduzierung ihrer Geschäftstätigkeit. Die enorme Prozyklizität der Banken ist einer der wichtigen Ursachen für heißlaufende Konjunktur und für Rezessionen in der Realwirtschaft. Dies ist auch ein Grund, weshalb wir uns so sehr für deutlich mehr Eigenkapital in den Bankbilanzen aussprechen. Die Buchhaltungsstandards IFRS fördern die Prozyklizität der Banken, weil sie auf einer Marktbewertung aufsetzen. Wenn der Markt nach oben geht, können Banken großzügig Buchgewinne ausweisen, obwohl diese nur auf dem Papier stehen und nicht realisiert wurden. Gewinne können also nach IFRS ausgewiesen und auch ausgeschüttet werden, obwohl sie sich in Luft auflösen, wenn zu viele Marktteilnehmer versuchen, ihre Gewinne zu realisieren. Wir wollen daher die IRFS Standards ändern. Nicht realisierte Gewinne sollen lediglich als stille Reserven transparent gemacht werden. Durch den Ausweis von stillen Reserven ist die Vermögenslage klar erkenntlich, ohne dass der Bilanzgewinn und das bilanzierte Eigenkapital erhöht werden. So können aus nicht realisierten Gewinnen auch keine Dividenden mehr ausgeschüttet werden. Wir wollen ferner dafür sorgen, dass auch die regulatorischen Eigenkapitalanforderungen nicht durch stille Reserven gelockert werden. 23 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Das sogenannte Niederstwertprinzip ist uns jedoch wichtig. Wir wollen, dass Banken in der Zukunft ihre Risiken noch konsequenter bilanzieren. Es darf nicht sein, dass Risiken zum Beispiel in Zweckgesellschaften ausgelagert werden können, die nicht bilanziert werden, und diese Zweckgesellschaften dann die Banken ruinieren. Auch müssen Rückstellungen für erkennbare Risiken, wie zum Beispiel für faule Kredite bereits bilanzierbar sein, sobald gravierende wirtschaftliche Probleme beim Kreditnehmer erkennbar sind. Dies macht die Bilanzierung zwar weniger objektiv. Aber kein vorsichtiger Kaufmann würde Kredite erst wertberichtigen, wenn der Kreditnehmer seine Zahlungen eingestellt hat. Außerdem müssen wir die Buchhaltungsstandards wieder vereinfachen. Mit Standards, die Tausende von Seiten dick sind, werden kleine Unternehmen und Wirtschaftsprüfer überfordert. Große hingegen haben einen unlauteren Wettbewerbsvorteil, weil sie mit ihren teuren Beratern im Dickicht der Vorschriften immer Schlupflöcher finden. Die extrem detaillierten Vorschriften lullen uns in Scheingenauigkeit ein und führen dazu, dass nur noch Regeln blind abgehakt werden. Der Blick für die wirklich großen Risiken geht so verloren. Um Willkür zu vermeiden, brauchen wir starke prinzipienbasierte Regeln. Anstatt Hunderter von technischen Vorschriften, wann zum Beispiel eine Zweckgesellschaft bilanziert werden muss, reicht das Prinzip, dass Risiken realistisch in der Bilanz abgebildet werden müssen. Vereinfachte Regeln, bei denen auch nachgedacht und eigene Urteile gebildet werden müssen, machen die Bilanzierung vielleicht weniger vergleichbar. Es ist uns aber wichtiger, dass die Beteiligten dazu gezwungen werden, das große Ganze im Blick zu behalten, als dass nur Häkchen gemacht werden. Damit diese Art der Bilanzierung funktioniert, brauchen wir starke und wirklich unabhängige Wirtschaftsprüfer und die Prüfer müssen allen Stakeholder verpflichtet sein. Situationen, in denen ein Prüfer einem Unternehmen ein gutes Zeugnis ausstellt und dieses wenige Monate später Konkurs 24 anmeldet, obwohl sich die externen Rahmenbedingungen nicht dramatisch verändert haben, dürfen nicht mehr so oft vorkommen. Außerdem sollen die Prüfer auch eine Verantwortung dem Finanzamt gegenüber haben. Es ist nicht zu vertreten, dass ein Wirtschaftsprüfer die Zahlen eines Unternehmens testiert und die Steuerprüfung im Anschluss massive Abweichungen findet. Wir wollen daher die Haftungsregeln der Wirtschaftsprüfer sowohl gegenüber der Finanzaufsicht wie gegenüber dem Finanzamt deutlich verschärfen. Wir brauchen viel mehr Konkurrenz unter den Prüfern. Ein globales Oligopol von nur vier Gesellschaften führt im Bereich der Großunternehmen dazu, dass die Prüfer zu abhängig von ihren Kunden werden. Der Markt für Wirtschaftsprüfung großer Gesellschaften ist extrem konzentriert. Daraus entsteht zum einen eine große politische Macht der vier marktbeherrschenden Wirtschaftsprüfer, zum anderen sind häufig dieselben Prüfer zu lange in den einzelnen Unternehmen und haben nicht mehr die nötige kritische Distanz. Vor allem aber verschwimmt über die Vermischung von Beratung und Prüfung die Rolle. Als Berater suchen die Wirtschaftsprüfergesellschaften gemeinsam mit den Unternehmen Möglichkeiten der Gewinnsteigerung und der optimalen Präsentation des Unternehmens für Investoren, als Wirtschaftsprüfer müssen sie Auswüchse des Gewinnstrebens verhindern und im öffentlichen Interesse eine korrekte Darlegung der Unternehmenssituation sicherstellen. Wir wollen daher den Wettbewerb unter Prüfern stärker fördern, indem die Großunternehmen verpflichtet werden, regelmäßig ihre Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu wechseln und die neuen Prüfer während einer angemessenen Zeit keinerlei geschäftliche Beziehungen mit dem zu prüfenden Unternehmen gehabt haben dürfen. Die Trennung von Prüfung und Beratung, die als europäische Richtlinie ansatzweise bereits vorgeschrieben wurde, wollen wir in Deutschland wesentlich konsequenter und nicht nur für Unternehmen öffentlichen Interesses einführen. Kapitel 1 Auch wollen wir dafür sorgen, dass in Zukunft die Buchhaltungsregeln demokratischer erlassen werden. Derzeit werden die internationalen Regeln von einer privaten Organisation - dem International Accounting Standards Board - festgesetzt. Obwohl Bilanzierungsregeln viele gesellschaftliche Gruppen betreffen, sitzen in den Gremien des IASB praktisch nur Vertreter aus den vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Großunternehmen. Andere Gruppen sind nicht vertreten. Rechenschaftspflichtig sind diese Entscheidungsträger nur sich selbst. Auch die Vertreter aus Europa werden nicht demokratisch legitimiert. Sie müssen sich keinem Parlament verantworten. Lediglich bei der Aufsicht über den IASB und beim Beschluss der bereits ausgearbeiteten Standards haben demokratisch legitimierte Akteure einen maßgeblichen Einfluss. Der IASB ist damit ein besonders extremes Beispiel von Postdemokratie in internationalen Finanzinstitutionen. Die Globalisierung darf jedoch nicht den Abschied von der Demokratie befördern, sondern muss die Demokratie selbst globalisieren. Daher wollen wir die Zusammensetzung der Expertengruppe verändern, so dass Experten aus kleinen und mittleren Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft angemessen repräsentiert sind. Die europäischen Vertreter im IASB müssen durch das Europaparlament gewählt werden. Wenn diese Veränderungen nicht durchsetzbar sind, unterstützen wir die Entwicklung eigener europäischer Buchhaltungsstandards. Auch wenn wir die Vergleichbarkeit der Unternehmensbilanzen innerhalb von Europa grundsätzlich für wichtig halten, lehnen wir dennoch die Einführung von IFRS für kleine und mittlere Unternehmen ab, solange wie der IASB nicht in unserem Sinne demokratisch reformiert ist. Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen FINANZREGULIERUNG DEMOKRATISIEREN Regulierung muss demokratisch kontrollierbar werden. Heute ist die Regulierung viel zu technisch und komplex, um dies zu ermöglichen. Dies ist auch ein wichtiger Grund, um Regulierung stark zu vereinfachen. Banken und Versicherungen sind auch nicht komplizierter als andere Unternehmen. Der Popanz um ihre angebliche Komplexität ist ein von der Finanzlobby bewusst instrumentalisierter Kult, damit Finanzmarktregulierung zwischen Finanzlobby und Finanzaufsicht im Hinterzimmer ausgekungelt werden kann. Wenn neue Finanzmarktgesetze eingeführt werden, behauptet die Bundesregierung regelmäßig, ihre Gesetzesvorlagen seien alternativlos. Sie legt grundsätzlich keine datengestützte Situationsanalyse vor und vergleicht nicht verschiedene Handlungsalternativen. Ohne Zugang zu den Industriedaten sind seriöse Alternativen jedoch nicht zu erarbeiten. Bei der Beratung zu den Gesetzen treten im Finanzausschuss fast nur Lobbyisten oder von Banken oder Versicherungen finanziell abhängige Berater auf. Es gibt viel zu wenige unabhängige Expert*innen. Wir wollen daher unabhängige Expertise fördern. Analog zu der von den europäischen Grünen initiierten Finance Watch Organisation, die wesentlich von der EU Kommission finanziert wird, braucht es auch in Deutschland öffentliche Unterstützung für unabhängige Finanzmarktexpertise, sowohl in der Wissenschaft (zum Beispiel durch ein Institut, das die aufsichtlichen Daten wissenschaftlich aufbereitet und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt) als auch in der Zivilgesellschaft. Das Ziel ist mehr Transparenz über den Zustand der Finanzindustrie und der Regulierung. In Zukunft sollen Finanzmarktgesetze grundsätzlich erst nach einer öffentlich transparenten und datengestützten Situationsanalyse verabschiedet werden. Ein weiteres großes Problem für die Demokratie in der Finanzmarktgesetzgebung ist , dass die 25 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Parlamente regelmäßig vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Alle wichtigen Regeln werden in internationalen Organisationen verhandelt und detailliert festgelegt. Das Europaparlament kann im Grunde nur die Regeln so umsetzen, wie sie international verhandelt wurden oder sich zum kompletten Außenseiter machen. Während die Bankenregulierung in Basel wenigstens von Vertreter*innen der Zentralbanken und Regulierungsbehörden verhandelt wird, werden die fast genauso wichtigen internationalen Buchhaltungsstandards von einer komplett privaten Organisation festgesetzt. In beiden Fällen ist es aber so, dass das Europaparlament nicht frühzeitig informiert wird und keine Möglichkeit hat, auf das Verhandlungsmandat einzuwirken. Wir wollen daher den Prozess der internationalen Regelsetzung demokratisieren. In den wichtigen Finanzgremien soll die EU verstärkt mit einer Stimme sprechen. Und die Verhandlungsführer müssen frühzeitig das Europaparlament informieren und sich ihr Mandat demokratisch legitimieren lassen. Die Sitzungsprotokolle der internationalen Regulierungsgremien sollen öffentlich gemacht werden. An anderer Stelle haben wir dargelegt, wie wir Lobbyismus auch in anderen Bereichen transparent machen und in Schranken verweisen wollen. DEN STAAT AUF AUGENHÖHE BRINGEN Die erhöhte Transparenz über den Zustand der Finanzindustrie und der Regulierung soll auch dazu führen, dass Finanzministerium und Bankenaufsicht ihr Selbstverständnis überdenken. Die Regierung und ihre Aufsichtsbehörden haben oft die Neigung, große Unternehmen besonders zu fördern, weil viele Arbeitsplätze von ihnen abhängen und weil man „den Standort Deutschland“ fördern möchte. Ähnlich wie in der Automobilindustrie wurden sogenannte national champions auch in der Finanzwirtschaft besonders gepflegt. Wenn man aber unbedingt „seine Banken“ vor der „bösen“ Konkurrenz aus London oder New York schützen möchte, schaut man im Zweifel nicht 26 so genau hin. Ein klares Beispiel für Machtwirtschaft. Dieses Problem war einer der Gründe für die gemeinsame Bankenaufsicht in Europa. Zu diesem Faible für die national champions kommt eine besonders juristische Herangehensweise an die Aufsicht. Die sogenannte erste Säule der Regulierung besteht aus klaren Vorschriften wie zum Beispiel einer festgeschriebenen Eigenkapitalquote. Die Aufsicht kann hier einfach ihre Checklisten abhaken. Das Problem mit solch einer Vorgehensweise ist, dass sich die Welt immer wieder ändert. Banken sind besonders kreativ darin, die Regeln zwar formal einzuhalten aber inhaltlich zu umgehen. Deswegen hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht auch eine zweite Säule der Regulierung vorgesehen. Die Bankenaufsicht soll sich von den festen Quoten und Checklisten lösen und stattdessen das Gesamtrisiko einer Bank identifizieren und würdigen. Die BaFin hat die aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten aus der zweiten Säule aber nicht genutzt. So hat sie zum Beispiel festgestellt, dass Banken ihre Risiken in sogenannte Zweckgesellschaften auslagern, die sie formal nicht in ihren Büchern konsolidieren mussten, denen sie aber Liquiditätszusagen gegeben hatten. Jeder Buchhalter Lehrling konnte sehen, dass die Risiken wirtschaftlich gesehen bei der Bank verblieben waren. Dieser Vorgang passte aber nicht in die juristischen Checklisten der BaFin. Sie hat daher allen Pleitebanken vor der Krise ein gutes Zeugnis ausgestellt, weil sie formal die Regeln einhielten, anstatt sich zu überlegen, ob die Regeln nur formal aber nicht wirtschaftlich eingehalten waren. Die BaFin fand auch nicht bemerkenswert, dass die HypoRealEstate kurz im Jahr vor ihrer Pleite nur 0,08% Eigenkapital bezogen auf die komplette Bilanzsumme hatte (leverage ratio). Auf den Checklisten stand nur die Eigenkapitalquote nach risikogewichteten Aktiva und die war in Ordnung. So hat sie der HRE mitten in der Finanzkrise noch genehmigt, eine hohe Dividende an ihre Aktionäre auszubezahlen, obwohl die Bank mit dem Rücken zur Wand stand. Kapitel 1 Diese Einstellung hat sich immer noch nicht wirklich geändert. Die Bundesbank führt immer wieder Analysen und Szenarienrechnungen in den verschiedenen Bereichen der Finanzwirtschaft durch. Dabei geht es zum Beispiel um das Risiko eines plötzlichen gravierenden Zinsanstieges oder die Auswirkungen der Niedrigzinsphase auf die Bausparkassen und Lebensversicherer. Immer wieder weist die Bundesbank auf existenzbedrohliche Risiken hin. Besonders gravierend ist die Situation für die Lebensversicherungsbranche. Gemäß Bundesbank werden etwa 80% der Unternehmen insolvent, wenn die Niedrigzinsphase anhält und die Unternehmen ihre Gewinne nicht einbehalten, um ihre Kapitalbasis zu stärken. Was macht die BaFin? Sie stellt fest, dass die Unternehmen heute noch solvent sind und erlaubt ihnen weiterhin ihre Gewinne auszuschütten. Auch bei kriminellen Aktivitäten in den Banken oder durch die Banken schaut die BaFin viel zu lange weg. So blieb sie über Jahre untätig, obwohl bekannt war, dass Banken und durch sei vermittelt auch private Investor*innen mit den Cum-Ex-Geschäften den Fiskus um geschätzte 12 Milliarden Euro betrogen. Auch wenn Banken ihre Kund*innen in Steueroasen locken, schaut der Staat regelmäßig weg. Wenn es darum geht, aus Fehlern zu lernen und im Parlament aufzuarbeiten, wie man solche Probleme in Zukunft verhindert, stellt sich die Regierung regelmäßig stur. Deutsche Regierungsbeamt*innen oder Politiker*innen machen schließlich keine Fehler. Wenn hier eine Bank pleite geht, liegt dies ausschließlich an den USA, ihren Giftpapieren und ihrer Fehlentscheidung Lehman Brothers in den Konkurs zu schicken. Wir wollen in Zukunft die Einstellung der Behörden grundsätzlich ändern. Überall passieren Fehler. Das ist kein Grund für einen Skandal. Skandalös ist nur, wenn man Fehler nicht zugibt und sich weigert aus ihnen zu lernen. Wir wollen daher die Ursachen der Fehler in der Bankenaufsicht Die Finanzmärkte sicherer machen – die Gefahr einer neuen Krise bannen und im Finanzministerium systematisch aufarbeiten, um diese in Zukunft zu vermeiden. Wir wollen vor allem die BaFin dazu bringen, in Zukunft nicht mehr rein formalistisch die Gegenwart zu betrachten, sondern bei erkennbaren Risiken in der Zukunft rechtzeitig auf die Bremse zu treten, selbst wenn dies bedeutet, dass die schwächsten Unternehmen dann scheitern. Eine Einstellung wie zum Beispiel, „den Bausparkassen geht es schlecht, deswegen ist es alternativlos, ihnen zu gestatten größere Risiken einzugehen“17, halten wir für sträflich. In der Wirtschaftswissenschaft nennt man das gambling for resurrection. Heute hätten die Bausparkassen noch ausreichende Kapitalreserven, um im Konkursfall ihre Bausparer*innen auszubezahlen. Wenn sie jetzt größere Risiken eingehen, kann es zwar sein, dass sie damit ausreichend viel Geld verdienen. Ebenso möglich ist es aber, dass sie mit den Risiken vor die Wand fahren. Dann aber haben sie ihr verbleibendes Kapital verspielt und der Staat muss für die Bausparer*innen aufkommen. Wenn wir nicht mehr jedes kleinste Detail und jede kleinste Ausnahme minutiös regeln wollen, muss die Aufsicht in Zukunft die zweite Säule der Baseler Regulierung wirklich ernst nehmen. Weil es in Zukunft also nicht mehr nur noch um das Abhaken von Checklisten geht, ist die demokratische Kontrolle durch den Bundestag und die unabhängige Expertise einer zivilgesellschaftlichen Organisation wie Finance Watch so wichtig. Im Bereich der Finanzaufsicht braucht es dafür unbedingt ausreichend, aber vor allem auch hochqualifiziertes Personal. In dieser Hinsicht hat es seit 2008 relevante Fortschritte gegeben. Sie reichen aber noch nicht aus. Der Staat kann nur auf Augenhöhe mit den Instituten agieren, wenn die Personen in der Aufsicht, die wirklich spezifisches Fachwissen haben, durch attraktive Vergütung nicht so leicht von Banken, Fonds und Versicherungen abgeworben werden können. 17 leicht paraphrasierte Begründung des Bausparkassenreformgesetzes von September 2015 27 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Wir wollen der BaFin auch organisatorisch mehr Verantwortung geben. Heute ist die BaFin eine nachgeordnete Behörde. Das Bundesfinanzministerium ist kann also jederzeit direkte Weisungen aussprechen. Damit unterscheidet sich die BaFin von den Aufsichtsbehörden in anderen Industrieländern. Normalerweise ist die Aufsicht unabhängig und muss sich nicht jeden einzelnen Schritt absegnen lassen. Wir wollen, dass sich die BaFin einmal im Jahr ausführlich dem Bundestag Rechenschaft ablegt und ausschließlich dem Bundestag gegenüber verantwortlich ist. Das ist zum einen wichtig, um wie andere europäische Aufsichtsbehörden im Rahmen des Systems europäischer Aufsichtsbehörden unabhängig von Weisungen des Finanzministeriums agieren zu können. Es ist aber auch sinnvoll, weil das Ministerium häufig das Interesse hat, unliebsame Nachrichten zu unterdrücken, während für die Finanzstabilität gut wäre, über gezielte Warnhinweise Fehlentwicklungen zu bremsen. REFORM DER EUROPÄISCHEN AUFSICHTSLANDSCHAFT Ein weiterer Schritt um den Staat auf Augenhöhe zu bringen und die Finanzindustrie stringenter zu beaufsichtigen, ist eine Neustrukturierung der europäischen Aufsichtsbehörden. Es gibt viel zu viele unterschiedliche Behörden, die jeweils einzelne Aspekte der Finanzwirtschaft regulieren. Bei der Bankenaufsicht gibt es zum Beispiel die European Banking Authority, deren Aufgabe darin besteht, die Regeln zu harmonisieren. Dann gibt es die eigentliche Aufsichtsbehörde, SSM, die bei der EZB angesiedelt ist. Im Krisenfall greift die Abwicklungsbehörde, SRM und die großen Zusammenhänge soll die Behörde für systemische Risiken, ESRB, überblicken. Und bei all dem spielen noch die nationalen Aufseher eine Rolle. Uns geht es einerseits um eine weitere Vereinfachung der Struktur und zum anderen um eine bessere Kontrolle der Aufsicht. Die Zuordnung zur EZB birgt Interessenskonflikte und macht die parlamentarische Kontrolle schwierig. 28 2. DIE FINANZINDUSTRIE AUF EINE VERNÜNFTIGE GRÖSSE SCHRUMPFEN Die Finanzindustrie ist immer noch viel zu komplex und untereinander verflochten. Too big to fail und die damit verbundenen unerträglich hohen Subventionen sind immer noch nicht gelöst. Es gibt nicht ausreichend Wettbewerb - und kleine Banken sind immer noch stark benachteiligt. KOMPLEXITÄT UND VERFLECHTUNG REDUZIEREN Komplexe und selbst für Spezialisten schwer bewertbare Finanzinstrumente wie Derivate und Verbriefungen waren einer der Hauptauslöser der Krise. Über diese Instrumente sollten die Risiken im System besser verteilt werden. Anstatt jedoch wie im theoretischen Idealbild von den stärksten Markteilnehmern wurden sie am Ende von den dümmsten gehalten – the idiots from Düsseldorf war das geflügelte Wort in den USA für die Käufer der Giftpapiere. Bei den Verbriefungen ist ein großes Problem die Anreizstruktur: normale Kredite werden von einer Bank in ihrer Bilanz gehalten. Die Bank verdient ausschließlich daran, dass ihre Kundinnen regelmäßig ihren Kredit bedienen. Wenn es einer Kundin zwischenzeitlich schlecht geht, hat die Bank einen hohen Anreiz, nach einer vernünftigen beidseits akzeptablen Lösung zu suchen. Wenn die Bank dann sorglos Kredite vergibt, muss sie die Konsequenzen selber ausbaden. Mittels Verbriefungen kann die Bank Kredite in Bündeln zu handelbaren Wertpapieren verpacken und an Investor*innen verkaufen. Die Bank kassiert eine hohe Provision für den Verkauf der Verbriefungen. Ob die Kundinnen ihre Kredit bedienen, ist für die Bank dann unerheblich. Sollte es den Kund*innen später schlecht gehen, steht sie einem Konsortium von über die Welt verteilten Investor*innen gegenüber. Das Aushandeln einer auch für die Kund*innen vernünftigen Lösung ist quasi unmöglich. Die Bank muss sich keine Sorgen mehr machen, dass die Kredite ausfallen. Außerdem ist die Berechnung der Ausfallwahrscheinlichkeiten dieser strukturierten komplexen Produkte schwierig. Viele Investoren haben nicht verstanden, dass Risiken innerhalb der Verbriefungsprodukte systemisch korreliert sind und haben daher die Risiken deutlich unterschätzt. Derivate werden typischerweise als eine Art Versicherung genutzt. Man will sich zum Beispiel vor Wechselkursrisiken schützen oder vor steigenden Zinsen. Die Versicherung führt dazu, dass die Banken das Risiko aus regulatorischer Sicht komplett aus ihren Büchern auslagern können. Diejenigen, die ein Schutzversprechen abgeben, kaufen sich bei einer anderen Bank über ein anderes Derivat eine Art Rückversicherung. Da sich die meisten Parteien gerne schützen wollen, entstehen unendlich lange Ketten von Derivateverträgen. 29 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 In diesen Ketten denkt jeder, er habe eine perfekte Absicherung. Wenn jedoch in der langen Kette auch nur ein Glied zu schwach ist, fällt das gesamte Konstrukt wie ein Kartenhaus um. Normalerweise gibt es sogenannte Großkreditlimits, die dafür sorgen sollen, dass der Ausfall eines großen Kreditnehmers niemals die Bank in existentielle Schieflage bringen kann. Diese funktionieren aber hier nicht, da für das Derivategeschäft nicht die vollen Risiken berechnet werden. Das Problem der Verbriefungen versuchte man seit der Krise zu lösen, in dem man Banken zwingt, wenigstens 5% ihrer verbrieften Kredite selber auf den Büchern zu halten. Skin in the game nennen dies die Fachleute. Nur löst dies das Anreizproblem nicht. Eine kleine Schürfwunde kann man schon einmal in Kauf nehmen, angesichts des hochlukrativen Verbriefungsgeschäftes. Die Banken haben einen starken Anreiz, immer noch ihre faulen Kredite verbriefen. Schließlich ist es besser, nur 5% des Risikos schlechter Kredite zu tragen als 100%. Zusätzlich wurde auf Seite der Investor*innen dafür gesorgt, dass diese nicht mehr ganz so sorgenfrei die Verbriefungen in ihre Bücher nehmen können. Sie mussten diese mit mehr Eigenkapital finanzieren. Natürlich muss man nicht alle Verbriefungen verteufeln. Es ist aber äußerst schwierig die Anreizstrukturen so zu konstruieren, dass den Käufer*innen von verbrieften Krediten nicht die schlechten Risiken weitergegeben werden. Der Ansatz der Kommission überzeugt hier jedenfalls noch nicht. Vor allem aber gibt es keinen Grund Verbriefungen gezielt zu fördern, weil so angeblich die Realwirtschaft beflügelt würde. Viel wichtiger wäre die Förderung von lokalen Banken, die zu ihren Kund*innen eine Vertrauensbeziehung aufbauen. Die lokalen Banken sollten ausreichend stark sein, um Unternehmenskredite auf ihrer Bilanz zu halten und diese nicht über Verbriefungen an den Kapitalmarkt veräußern, der bei jeder Krise zu Panik neigt. Die intransparenten und überlangen Derivateketten versucht man seit der Krise zu verhindern, indem man den Marktteilnehmern Anreize gibt, Derivate über sogenannte zentrale Kontrahenten abzuwickeln. Zentrale Kontrahenten schalten sich in die Transaktion zweier Gegenparteien ein und sind jeweils Handelspartner für die Interessenten. Solange die zentrale Gegenpartei solvent ist, kann es also keine Kettenausfälle mehr geben. Inzwischen werden gut ein Viertel der Credit Default Swaps über zentrale Kontrahenten abgewickelt18 und 44% aller Zinsderivate19. Ein mäßiger Erfolg angesichts des 2009 von der G20 formulierten Ziels, dass bis 2012 alle Derivate über zentrale Plattformen abgewickelt werden sollten. Allerdings sind die zentralen europäischen Regulierungsprojekte zu diesem Thema, die EMIR und die Mifid/Mifir Richtlinien noch nicht überall umgesetzt. Eine abschließende Bewertung ist daher noch nicht möglich. Zentrale Plattformen gewähren aber auch nur Scheinsicherheit, weil dort neue too big to fail Institute entstanden sind, deren Gewinne privat verfrühstückt werden, aber deren Verluste im Zweifel vom Staat getragen werden müssen. Wichtig ist es daher, dass zentrale Kontrahenten nicht nur über ausreichend Eigenkapital verfügen, sondern dass es analog zu Banken funktionierende Abwicklungspläne gibt, um erneute Risiken für die Steuerzahler*innen zu vermeiden. Immer noch gibt es keine wirksamen Regeln, die das volle Risiko der Derivate abbilden. Für die Berechnung der leverage ratio, die ja eigentlich die Bruttorisiken zeigen sollte, dürfen Derivate weiter gegeneinander aufgerechnet werden. Sie stehen auch weiterhin nur mit ihrem Marktwert in der Bilanz, der aber nur einen Bruchteil des maximalen Verlustrisikos aus einem Derivat anzeigt. Auch für Großkreditlimits müssen im Derivategeschäft immer noch nicht die vollen Risiken eingerechnet werden. 18 BIS, OTC derivatives statistics at end December 2014 19 F SB, OTC derivates market reform, eighth progress report on implementation, 7 November 2014, S. 18 Kapitel 2 Um zu verhindern, dass in Zukunft die Pleite einer Bank wieder eine Kettenreaktion auslöst, sollen die Risiken zwischen Banken stärker begrenzt werden. Der Ausfall einer Bank darf nicht automatisch die nächste Bank in die Insolvenz ziehen. Daher sollen die Großkreditlimits im Interbankenbereich deutlich verschärft werden und vor allem nicht mehr durch interne Modelle der Banken klein gerechnet werden. Dies gilt insbesondere auch für die Risiken aus Derivaten. Um Schneisen in die endlosen Ketten bilateraler Derivate zu schneiden, wollen wir den Druck auf die Finanzindustrie weiter erhöhen, ihre Derivate über Börsen oder ähnliche zentrale Kontrahenten abzuwickeln. Diese zentralen Kontrahenten müssen als systemische Finanzinstitute reguliert werden und mit einem dementsprechend besonders hohen Eigenkapital ausgestattet sein. Um die extrem langen Ketten von miteinander verflochtenen Derivateverträgen aufzubrechen und um wirksam verschiedene Risiken gegeneinander aufrechnen zu können, darf es auch nur möglichst wenige Derivatebörsen geben. Es handelt sich hier um eine Art natürliches Monopol und sollte daher mittelfristig staatlich oder genossenschaftlich betrieben werden. In den USA trägt ein genossenschaftliches Modell zu sehr viel niedrigeren Handelskosten bei. TOO BIG TO FAIL SUBVENTIONEN BEENDEN In keinem anderen Wirtschaftssektor ist in den letzten Jahren so deutlich geworden, was es bedeutet, wenn man Unternehmen nicht einfach pleite gehen lassen kann. Too big to fail ist das Schlagwort seit der Finanzkrise. Als die USA Lehman in den Konkurs schickten, gingen Schockwellen um den Globus. Für die verantwortlichen Personen in der Bundesregierung war dies die „größte wirtschaftspolitische Fehlentscheidung des 21. Jahrhunderts“20. Für alle Verantwortlichen erschien es damals völlig normal, dass der Staat die Banken retten musste. 20 Peer Steinbrück im Untersuchungsausschuss zur HRE 30 Die Finanzindustrie auf eine vernünftige Größe schrumpfen Diese vermeintliche Alternativlosigkeit führte zu unvorstellbar hohen Kosten: Allein in Deutschland mussten die Steuerzahler*innen Banken mit der astronomischen Summe von insgesamt 392 Milliarden Euro vor dem Zusammenbruch retten. Ein Teil dieser Mittel konnte zwar abgelöst werden. Doch auch im Jahr 2015 beträgt die Auswirkung der Bankenrettung auf den Schuldenstand Deutschlands immer noch fast 9% des BIPs.21 Im Grunde noch schlimmer sind jedoch die sich aus dem too big to fail Status ergebenden laufenden Wettbewerbsvorteile: Große Banken können sich zu deutlich subventionierten Konditionen verschulden. Weil die Geldgeber*innen wissen, dass diese Banken nicht in Konkurs gehen können, sind Anleihen großer Banken so sicher wie Staatsanleihen. Jedes Jahr fließen auf diese Weise implizite Subventionen von über 200 Milliarden Euro an Europas Großbanken. Dank dieser extrem günstigen Refinanzierungskonditionen können diese Banken ein wesentlich größeres Rad drehen. Kleine Banken, die nicht in den Genuss dieser Subventionen kommen, haben einen massiven Wettbewerbsnachteil. Kein Wunder, dass die Großbanken so hohe Erträge erwirtschaften, dass sie ihre Mitarbeiter*innen mit fürstlichen Gehältern und exorbitanten Boni entlohnen können. Radikales Bail-In der Gläubiger Der größte Skandal während der Bankenrettung war, dass die Bundesregierung, so wie manche andere Staaten, auch die Bankaktionäre und -gläubiger rettete und so die Marktwirtschaft komplett aushebelte: Vor der Krise durften die 21 cf Eurostat: http://ec.europa.eu/eurostat/documents/1015035/7036501/Summary-table-for-the-financial-crisis-Oct2015.xlsx Die Zahlen sind nicht die Nettokosten für den Staat. Sie umfassen alle Steuermittel, die für den Kauf von Wertpapieren und für Staatsgarantien mobilisiert werden mussten. Diesen staatlichen Finanzmitteln stehen auch heute noch Wertpapiere und Kredite gegenüber, die der Staat den Banken abgenommen hat. Es wird auch in Zukunft weitere Rückflüsse geben. Fakt aber ist, dass auf dem Höhepunkt der Krise, 392 Milliarden Euro Steuergelder mobilisiert werden mussten und ins Risiko gestellt wurden, weil kein privater Investor bereit war, diese Giftpapiere zu übernehmen. 31 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Aktionäre mit einer hochriskanten Geschäftspolitik eine Verzinsung von 25% auf ihr eingesetztes Kapital einstreichen und in der Krise haben sie noch nicht einmal ihr Kapital verloren. Die neue europäische Bankenabwicklungsrichtlinie (BRRD) ist hier ein großer Fortschritt. Sie erleichtert die Bankenrestrukturierung und schreibt den Regierungen vor, dass in Zukunft zunächst die Aktionär*innen und ein Teil der Gläubiger*innen haften müssen, bevor der Staat die Bank auffangen darf. Die BRRD erlaubt den Staaten jedoch, die Banken in bestimmten Ausnahmefällen vor der Abwicklung noch mit Steuergeldern aufzupäppeln. Außerdem fordert sie lediglich eine Mindesthaftung von 8% der Bilanz22 und nimmt zudem kurzfristige Interbankengläubiger explizit von der Haftung aus. Ausgerechnet diejenigen Gläubiger*innen, die den Banken schon vor der Krise blind und billigst Geld zur Verfügung gestellt haben und ihnen ermöglicht hatten, das hoch riskante Handelsgeschäft zu finanzieren, müssen sich also immer noch keine Sorgen machen. Wir wollen daher die Mindesthaftung von 8% erhöhen. In einer Krise muss zunächst das vollständige Fremdkapital in Eigenkapital gewandelt werden, bevor ein bail-out durch Steuergelder erlaubt ist. Ausgenommen werden dürfen nur die staatlich geschützten Einlagen. Wir wollen allerdings zusätzlich zu den Einlagen von Privatkunden, die bis zu 100.000 Euro geschützt sind, noch die Betriebsmittel von Unternehmen schützen. Unternehmen müssen die Möglichkeit haben, ihre laufenden Zahlungsverpflichtungen, wie zum Beispiel die Gehaltszahlungen eines Monats, einer Bank anzuvertrauen, ohne sich über eine potentielle Pleite der Bank Sorgen zu müssen. 22 Die BRRD fordert eine komplette Haftung aller eligible liabilities. Sie erlaubt davon abzuweichen. Wenn die Finanzstabilität in Gefahr sein sollte und der Restrukturierungsfond genutzt wird, müssen mindestens 8% der Bilanz zum Bail-In herangezogen werden. Mit dieser Ausnahme zur kompletten Haftung bleibt ein Tor für politisch motivierte Gläubigerrettungen offen. 32 Keine trojanischen Pferde – no creditor worse off reformieren Die Finanzmarktlobby konnte mit dem sogenannten no creditor worse off Prinzip ein Trojanisches Pferd in das Gesetz platzieren. Ein Gutachter muss sich überlegen, was die Vermögensgegenstände der Bank wert sind. Dies ist nicht möglich, ohne sich auf die Modelle der Bank zu stützen. Noch schwieriger ist es, einen fiktiven Konkurswert zu bestimmen. Viele Vermögenswerte einer Bank können sich im Chaos eines Konkurses in Luft auflösen. Genauso ist aber auch das Gegenteil möglich. Unternehmen haben jede Menge Tafel­ silber, dessen Marktwert deutlich höher als der Buchwert ist. Man muss sich nur die aktuellen Kurs-Buch Ver­ hältnisse der Banken in Europa ansehen, um das Problem zu verstehen. Der Buchwert eines Unternehmens entspricht im Grunde dem Zerschlagungswert. Bei Commerzbank und Deutsche Bank entspricht der Marktwert aber nur 50% des Buchwertes. Das heißt, der Konkurswert der Commerzbank ist doppelt so hoch wie der heutige Marktwert. Anstatt die Aktionär*innen im Rahmen eines bail-in zur Kasse zu bitten, würden die Aktionär*innen also bei einer Abwicklung eine Entschädigung in Höhe des doppelten Aktienkurse erhalten. Es besteht also enormer Spielraum bei diesem Gutachten. Der Staat hat zusätzlich das Gutachten in die Hand der Finanzindustrie gegeben: Es darf nicht von den Aufsichtsbehörden gemacht werden. Wer außer der Aufsicht hat die Kompetenz? Nur Berater, die in ihrem Lebensunterhalt von den Banken abhängig sind. Sie werden kaum ein neutrales Gutachten produzieren. Wir wollen daher das no creditor worse off Prinzip neu definieren. Wir wollen dafür sorgen, dass die notwendigen Gutachten vor einem bail-in von einer öffentlichen Institution durchgeführt werden können. Außerdem wollen wir verfassungsrechtlich klären, wie wir die juristischen Spielregeln für den Erwerb von Bankaktien so fassen können, dass Aktionäre ihre Ansprüche auch ohne Entschädigung Kapitel 2 verlieren können, falls die Eigenkapitalquote unter 5% fällt: Aktionären von systemisch wichtigen Banken muss klar gemacht werden, dass sie in ein Unternehmen investieren, das niemals in einen normalen Konkurs gehen kann. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass die Bank ausreichend kapitalisiert ist und ausreichend Liquidität zur Verfügung hat. Wenn ihnen das nicht gelingt, verlieren sie ihre Ansprüche, selbst wenn in einem hypothetischen Konkursfall theoretisch noch Masse vorhanden gewesen wäre. Es werden so viele Kredite in Eigenkapital gewandelt, bis die Bank wieder ausreichend kapitalisiert ist. Eine Ausgleichszahlung findet nicht statt. Die Gläubiger wurden ja nicht enteignet, sie haben Aktien der Bank erhalten. Weitere Ansprüche haben sie nicht. Bankenunion vollenden Ein Grund für die hohen Kosten der Krise war auch, dass die BaFin, so wie viele andere nationale Aufseher auch, komplett weisungsabhängig von der Politik ist und sich daher nicht traut, die sogenannten nationalen Bank Champions wirklich hart zu beaufsichtigen oder gar rechtzeitig in die Abwicklung zu schicken. Regulatory forebearance wird dieses typische Verhalten in der Wissenschaft genannt. Außerdem hat die Krise gezeigt, dass es eine fatale Abhängigkeit zwischen Banken und Staaten gibt. Kamen Banken in die Krise, befürchteten die Märkte, dass die Rettung den Staat ruinieren würde. Kamen Staatsfinanzen in die Krise, befürchteten die Märkte, dass die Banken ebenfalls in den Ruin getrieben würden. Diese Probleme wurden mit der Bankenunion adressiert, einem Reformprojekt, das wir als europäische Grüne als Berichterstatter im Europaparlament maßgeblich mitgestaltet konnten. Auch wenn die neuen Institutionen, die gemeinsame Aufsicht (SSM), die gemeinsame europäische Abwicklungsbehörde (SRM) und der Abwicklungsfonds (SRF) natürlich angesichts notwendiger politischer Kompromisse und Zwänge, die sich aus den europäischen Verträgen ergeben, nicht perfekt sind, werten wir die Bankenunion doch als einer der größten Errungenschaften seit der Die Finanzindustrie auf eine vernünftige Größe schrumpfen Krise. Sie bringt eine Trennung von wirtschaftlicher und politischer Macht. Erstmals verzichten Nationalstaaten auf die Möglichkeit, ihre Banken mit dem Geld der Steuerzahler zu retten und mit laxer Finanzaufsicht zu hätscheln. Probleme sind eine fehlende Kreditlinie des Abwicklungsfonds, die Ansiedlung des SSM in der EZB, viele der 150 nationalen Sonderregelungen im Europäischen Bankenaufsichtsrecht, die Bankenabgabe, die kleine und wenig riskante Banken zu stark belastet; die komplizierte Entscheidungsstruktur im SRM zur Abwicklung einer Bank und die fehlende europäische Einlagensicherung. Die Ansiedlung des SSM bei der EZB ist den europäischen Verträgen geschuldet. Wenn es in den nächsten Jahren zu einer Vertragsänderung kommt, wollen wir die gemeinsame Aufsicht außerhalb der EZB in einer eigenen EU Institution organisieren. In diesem Zusammenhang wollen wir auch den ESRB unabhängig von der EZB machen. Dann wollen wir die Aufsicht auch über die Banken hinaus auf die großen Versicherungen ausdehnen. Die EZB darf aus rechtlichen Gründen keine Versicherungsaufsicht betreiben. Dies war einer der Hauptgründe, weshalb es nicht zur gemeinsame Aufsicht über große, grenzüberschreitende Versicherungsgruppen gekommen ist. Wir wollen auch die Entscheidungsstrukturen der europäischen Abwicklungsbehörde deutlich vereinfachen. In Zukunft soll die Behörde die Entscheidung zur Bankenabwicklung autonom treffen. Willkürliches Handeln wird vermieden, da sich die Behörde nach vollzogener Abwicklung in aller Transparenz vor dem Europäischen Parlament verantworten muss. Bei konsequenten bail-in Maßnahmen wird es unwahrscheinlich, dass noch Steuermittel zur Rekapitalisierung erforderlich werden. Für den Fall, dass der europäische Bankenrestrukturierungsfonds für weitergehende Kosten nicht ausreichend Mittel zur Verfügung haben sollte, soll sich der Fonds beim ESM verschulden dürfen. 33 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Diese Schulden sollen durch nachträgliche Bankenabgaben wieder abgetragen werden. Um die fatale Wechselwirkung zwischen schwachen Staaten und schwachen Banken aufzuheben, sollen für Kredite an Staaten die normalen Großkreditgrenzen gelten. Mit einer vernünftigen Schuldenbremse (leverage ratio) können Banken Staatsanleihen auch nicht mehr ohne Eigenkapital refinanzieren. Außerdem wollen wir mit der Schaffung eines europäischen Einlagensicherungssystems die Bankenunion vollenden. In einem einzelnen Land kann eine Bankenkrise leicht die nationale Einlagensicherung sprengen. In Deutschland konnte der Einlagensicherungsfonds der Privatbanken nach der Pleite der IKB und der Düsseldorfer Hypothekenbank die Schieflage der deutschen Tochtergesellschaft von Lehman Brothers nicht mehr verkraften und brauchte einen Notkredit vom Staat. Auch die Einlagensicherungssysteme der heute so starken Sparkassen und Genossenschaftsbanken können bei einer systemischen Krise bei der mehrere kleine Banken gleichzeitig in Schieflage kommen, leicht überfordert sein. Zudem haften diese Systeme auch für die Landesbanken und die genossenschaftlichen Zentralinstitute wie die DZ Bank. Derartige Großkrisen rein national abzusichern wäre prohibitiv teuer. Außerdem ist ein europäisches Einlagensicherungssystem wichtig, damit bei einer Krise keine Kapitalflucht einsetzt. Diese verstärkt die Krise massiv und führt leicht zu einer Negativspirale. Um gut funktionierende nationale Systeme wie die Institutssicherung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu bewahren, wollen wir das europäische System lediglich als Rückversicherung konstruieren. Zudem würden wir begrüßen, wenn beide Institutsgruppen sich selbst europäische Partner suchen, um ihre Modelle der Absicherung in einem größeren Teil der Eurozone zur Wirkung zu bringen, was sich positiv auf die Krisenstabilität der Eurozone auswirken würde. 34 Bei der Finanzierung der Bankenunion, also dem Abwicklungsfonds und der Einlagensicherung wollen wir sicherstellen, dass die Beiträge ausreichend das höhere Risiko großer und komplexer Banken , sowie die Kapitalausstattung und das Geschäftsmodell der jeweiligen Banken reflektieren. Das sieht das europäische Recht durch Grünes Engagement schon heute vor, wurde aber unvollkommen umgesetzt. Die Beiträge zum Bankenabwicklungsfonds müssen mit der nächsten turnusmäßigen Überarbeitung des Gesetzes tatsächlich risikoproportional werden. Wir wollen, wie oben geschildert, die Neugestaltung der Beiträge nutzen, um Banken einen starken Anreiz zu geben, sich weniger kurzfristig zu verschulden. Banken leichter abwickelbar machen – Trennbankensystem einführen Großbanken können so schwer abgewickelt werden, weil sie so komplex und so international sind. Sie bestehen aus tausenden von gesellschaftsrechtlichen Einheiten, deren Existenz meist nur zur Steuervermeidung dient und nichts mit der Geschäftslogik zu tun hat. Daher können in der Krise unmöglich schnell die gesunden von den kranken Geschäftsteilen getrennt werden. Die Internationalität führt dazu, dass jedes Land Sorge hat, auf den kostspieligen Problemen alleine sitzen zu bleiben. Um die Komplexität in den Griff zu bekommen, müssen die Banken sogenannte Testamente, living wills, schreiben, in denen sie aufzeigen, wie sie in der Krise schnell aufgespalten und abgewickelt werden können. Noch ist in der Öffentlichkeit wenig zu den Testamenten bekannt geworden. Aus Schutz vor angeblichen Geschäftsgeheimnissen, gibt es keinen Zugang zu diesen Dokumenten. Lediglich von der Aufsicht in den USA hat man gehört, dass die bislang eingereichten Entwürfe auch der europäischen Banken noch völlig unzureichend seien. Es ist auch schwer vorstellbar, was diese Testamente bringen sollen, wenn nicht gleichzeitig gesellschaftsrechtliche Vorbereitungen getroffen werden. Banken können nur dann schnell in gesunde und kranke Teile aufgespalten Kapitel 2 werden, wenn ihre Geschäftsfelder auch in separaten rechtlichen Einheiten organisiert sind. Die offizielle europäische Expertengruppe um den finnischen Zentralbankchef Liikanen hatte sich eindeutig dafür ausgesprochen, dass Banken ihre Handelsaktivitäten und ihr klassisches Bankgeschäft in zwei juristisch eigenständigen Schwestergesellschaften unter einem Dach führen. Nur so ist es in einer Krise schnell möglich, die Bank aufzuspalten und dafür zu sorgen, dass eine Abwicklung ohne Steuergelder realistisch wird. Auch hier hat die EU Kommission dem Druck der deutschen Regierung nachgegeben und die Trennbankenreform der Willkür nationaler Aufseher überlassen. Wenn Herr Schäuble nicht will, muss also keine deutsche Großbank ihre Geschäfte aufspalten. Und dass er nicht will, hat er mit dem deutschen Trennbankengesetz23 schon bewiesen. Das Gesetz ist der Höhepunkt der Scheinheiligkeit. Placeboregulierung pur. Nichts als Sand, der in die Augen der Wähler gestreut werden soll. In ein separates Tochterunternehmen soll in Deutschland ausschließlich der Eigenhandel überführt werden. Nur kann niemand Eigenhandel vernünftig definieren. Die Banken jedenfalls behaupten, alle ihre Handelsaktivitäten hätten Kundenbezug24. Und Handel mit Kundenbezug fällt selbstverständlich nicht unter das Gesetz. Das deutsche Trennbankengesetz verbietet also gar nichts. So kann man sich großspurig in Fernsehtalkshows setzen und sagen: „Trennbanken – haben wir doch schon alles geregelt, was wollt Ihr denn“. 23 Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen 24 Sie deklarieren als sogenanntes market making. Was ist market making? Die Banken kaufen und verkaufen Wertpapiere auf eigenes Risiko, angeblich nur damit ein liquider Markt entsteht. Das ist nichts anderes als Eigenhandel. Die Deutsche Bank zum Beispiel hat 1 Billion Euro Risiken im Handelsbuch. Nichts davon fällt angeblich unter die verbotene Kategorie des Eigenhandels. Die Finanzindustrie auf eine vernünftige Größe schrumpfen Das einzige, was das Gesetz also gebracht hat, ist interne Bürokratie, weil die Banken sich zu jedem Handelsgeschäft nun einen Kundenbezug ausdenken und dokumentieren müssen. Die Risiken in der Bank sind dieselben wie vor dem Gesetz geblieben und abspalten kann man das Geschäft in der Krise immer noch nicht, weil es nicht in einer eigenen rechtlichen Einheit organisiert ist. Wir wollen daher ein klares und einfaches Trennbankensystem einführen. Jede größere Bank hat heute schon mehrere klar definierte Geschäftsbereiche, zum Beispiel das Handelsgeschäft und das Kreditgeschäft. Die Managementstruktur erfolgt normalerweise so, dass Manager für einen Geschäftsbereich voll verantwortlich sind, das heißt für die Kundenbeziehungen sowie für die Finanzierung ihres Geschäftes. Diese klaren Managementstrukturen wollen wir verpflichtend machen. Zusätzlich müssen Banken in der Zukunft aber auch ihre rechtliche Struktur so reformieren, dass jedes Geschäftsfeld auch gesellschaftsrechtlich eigenständig ist. Die Banken sollen nicht zerschlagen werden, sondern nur sauber organisiert. Auf Steuervermeidung, der in der Regel die jetzigen verschachtelten gesellschaftsrechtlichen Strukturen dienen, müssen die Banken in Zukunft verzichten. Auch müssen sich die einzelnen Geschäftseinheiten in ihren Verrechnungspreisen untereinander wie fremde Dritte behandeln. So werden wir die Subventionierung riskanter Handelsaktivitäten durch staatlich geschützte Kundeneinlagen beenden. Das Trennbankengesetz ist ein gutes Beispiel, wie ein langes Gesetz mit komplizierten Regeln vereinfacht werden könnte. Mann muss nicht ausführlich definieren, was Eigenhandel ist, welche Handelsaktivitäten und welche Sicherungsgeschäfte im Kundeninteresse stattfinden. So schafft man nur Komplexität, Bürokratie und eine Vielzahl von Ausnahmen. Wir wollen stattdessen alle Handelsaktivitäten in die Handelsbank geben. Ohne Ausnahmen. 35 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 WETTBEWERB Von fairem Wettbewerb kann in der Finanzindustrie derzeit keine Rede sein. Alle Banken, egal ob groß oder klein, müssen jedoch die gleichen Chancen haben, sich am Markt erfolgreich zu betätigen. Staatliches Handeln darf nicht dazu führen, dass sich die großen Banken Monopolgewinne sichern können. Daher müssen unbedingt die too big to fail Subventionen eingestellt werden. Sollten wir mit unseren Reformen diese Subventionen nicht in den Griff bekommen, muss auch über härtere Maßnahmen nachgedacht werden. Wir begrüßen daher die Abspaltung der Postbank von der Deutschen Bank. Dies ist ein guter erster Schritt in die richtige Richtung. Die Fusion von Großbanken wie der Deutschen Bank und der Postbank hätte nie genehmigt werden dürfen. Das zeigt eine Lücke auf: Es fehlt, wie die Monopolkommission zu recht anmerkt, ein eigenständiges Bankenfusionsrecht, das für die Zukunft ausschließt, dass bereits systemrelevante Banken durch Aufkäufe noch weiter wachsen können. Auch im Versicherungsbereich gibt es ein Problem mit Marktmacht. Die Allianz dominiert den Markt. Jede dritte neue Lebensversicherung in Deutschland geht zur Allianz. Die Kunden wissen, dass der Staat die Allianz niemals pleite gehen lassen wird. Jahr für Jahr erzielt die Allianz so eine Rendite auf das in der Lebensversicherung eingesetzte Eigenkapital von über 30%, während ihre Kunden nur noch 1,25% garantiert bekommen. Wir müssen daher die Versicherungsindustrie wie weiter unten geschildert so reformieren, dass ein Marktführer wie die Allianz nicht nur deswegen so viel Neugeschäft an sich zieht, weil die Kunden sich nicht trauen ihre Altersvorsorge einem kleinen und daher nicht mit einer impliziten staatlichen Garantie versehenen Unternehmen anzuvertrauen. Bei allem unserem Engagement für die kleinen lokalen Akteure, für Sparkassen, Genossenschafts­ banken und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, ist jedoch auch hier nicht alles im grünen Bereich. Es gibt über Tausend kleine 36 Genossenschafts­banken und über 400 kleine Sparkassen. Diese sind zwar formal unabhängig. In Wirklichkeit aber haben sie den Markt untereinander aufgeteilt. Jede dieser kleinen Banken ist nur in einer festgelegten Region tätig und macht sich gegenseitig keine Konkurrenz. Sowohl die Sparkassen wie die Volks- und Raiffeisenbanken haben sich zu Verbünden zusammengeschlossen und wichtige Funktionen zentralisiert. So gibt es zwar auf dem Papier viele Banken, aus Wettbewerbssicht aber nur vier große Bankengruppen. In vielen ländlichen Gegenden Deutschlands gibt es nur zwei oder sogar nur eine einzige Bank. Dieses Gebietsmonopol ist ein zentrales Grundprinzip sowohl der Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Zwar schränkt es den Wettbewerb ein. Doch nur so sind diese kleinen Banken überhaupt kooperationsfähig und damit überlebensfähig. Das dezentrale Bankensystem der deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken ist eine der großen Stärken in unserem Land. Das Gebietsmonopol dient eindeutig der Finanzstabilität. Wir wollen es daher unter keinen Umständen abschaffen. Wir wollen aber auch nicht zulassen, dass kleine Banken ihre lokale Monopolstellung dazu nutzen, um ihre Kund*innen unfair auszunehmen. Wir wollen Indizien zu unerlaubten Preisabsprachen bei kleinen Banken auf dem Land, wie von der Monopolkommission jüngst berichtet, genauso hart verfolgen, wie jede Form von illegalem Verhalten bei Großbanken. Wir wollen nicht länger tolerieren, dass Banken oder auch Versicherungen ihre Preise, wie z.B. für Dispokredite verschleiern. Transparenz und Vergleichbarkeit sind enorm wichtige Faktoren für funktionierenden Wettbewerb in der Finanz­industrie. Derzeit sind in kaum einem Land der OECD die Gebühren für die Geldanlage so hoch wie in Deutschland. Auch die Zinsen für mittelständische Unternehmen waren in Deutschland in den letzten Jahren fast immer höher als in den meisten anderen Ländern Europas. Oft werden Menschen mangels anderer Alternative für ihre Kapitel 2 Dispokredite abgezockt. All dies wollen wir nicht tolerieren. Dispozinsen wollen wir gesetzlich deckeln. Die große Koalition setzt hier leider im wesentlich auf Transparenz und eine Verpflichtung der Institute, Kunden mit Dispokredite Beratung anzubieten. Das reicht nicht aus. Wir müssen bei der Deckelung allerdings darauf achten, dass wir damit nicht Menschen mit schlechterer Kreditwürdigkeit in die Arme von Kredithaien treiben. Wir wollen alles tun, damit Markteintrittsbarrieren im Finanzsektor durch einfachere Regulierung verringert werden und der Wettbewerb auch in der Fläche Deutschlands wieder steigt. Dazu gehört auch eine weitere Harmonisierung der Verbraucherschutzregeln und der Bankenregulierung in Europa. Es kann nicht sein, dass eine grenzüberschreitende Bank in jedem Land ein eigenes IT System aufbauen muss, weil die Regulierung sonst nicht abgebildet werden kann. Kosten für IT und Regulierung sind gerade für kleine Banken prohibitiv hoch und verhindern so grenzüberschreitenden Wettbewerb. Wir begrüßen die Pläne der EU-Kommission im Rahmen der Kapitalmarktunion, kleine Kreditgenossenschaften überall in allen EU-Ländern gründen zu können. Deutschland sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen und die bestehenden Marktzugangsschranken aufgeheben. Wir wollen auch junge und innovative Finanzdienstleister fördern. Die Markteintrittsbarriere für neue Unternehmen darf nicht prohibitiv sein. Die Digitalisierung bietet jungen Fin-Tech Unternehmen spannende Chancen, in einen sonst extrem konservativen Markt für Finanzdienstleistungen einzudringen und Finanzmittel für nachhaltige Projekte zu mobilisieren. Funktionierender Wettbewerb im Finanzmarkt ist essentiell für eine innovative, dynamische und faire Gesellschaft. Wir werden aber auch darauf achten, dass Fin-Tech Unternehmen ab einer gewissen Größe sich an die gleichen Spielregeln wie alle anderen Banken halten müssen. Die Finanzindustrie auf eine vernünftige Größe schrumpfen KLEINE BANKEN LEBEN LASSEN Die Finanzkrise hat gezeigt, wie wichtig kleine lokal verwurzelte Banken für die Wirtschaft eines Landes sind. Nicht nur sind diese Banken wesentlich stabiler und weniger krisenanfällig, sie sind auch die viel zuverlässigeren Geldgeber für kleine und mittlere Unternehmen. KMU finanzieren sich in keinem Land der Welt über den Kapitalmarkt. Sie brauchen lokale Banken, zu denen sie ein langjähriges Vertrauensverhältnis aufbauen können und die ihnen auch bei schlechter Konjunktur die Treue halten. Neben den Subventionen für too big to fail nutzen Großbanken auch auf perfide Weise die Bankenregulierung, um sich vor unliebsamer Konkurrenz abzuschotten. Kleine Banken kommen mit dem hohen regulatorischen Aufwand nicht klar und sind daher oft gezwungen mit größeren Banken oder zu größeren Einheiten innerhalb der gleichen Gruppe zu fusionieren. Große Banken hingegen können Regulierungskosten im Verhältnis zum Geschäftsvolumen begrenzen oder sich ganze Heerscharen von Rechtsanwälten und anderen Experten leisten und finden so ihre Schlupflöchern, wie sie die Regeln umgehen können: ein wunderbares Instrument, sich aufstrebende Konkurrenz von kleinen Banken vom Leibe zu halten. Dies ist ein wichtiger Grund, weshalb wir die Regulierung reformieren wollen. Auch die Meldepflichten können massiv entschlackt werden, wenn die Regeln dementsprechend angepasst sind. Banken mit einem vernünftigen Eigenkapitalpuffer und wenig riskantem Geschäftsmodell brauchen kein Meldeverfahren, dessen Richtlinien allein knapp 1800 Seiten umfassen. Wir wollen auch für kleine, regional tätige Banken mit eingeschränkten Geschäftsmodell einen eigenständigen Regulierungsansatz (Small Bank Box) innerhalb der CRD/CRR, damit nicht bei jeder neuen Reform der Bankenregulierung wieder Ungemach für diese Institute droht. Sie sollen keine Privilegien erhalten, sondern eine passgenaue Regulierung, 37 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 die nicht an den komplexen Risikomodellen großer Banken ansetzt, sondern dem traditionellen Kreditund Einlagengeschäft kleiner Institute entspricht. Nicht nur die Regeln, auch die Aufsichtspraxis muss reformiert werden. Heute verwenden die Aufseher im Verhältnis zur Größe der Banken viel mehr Zeit für kleine als für große Banken. Wir wollen daher in Zukunft die Aufsicht über Sparkassen und Genossenschaftsbanken stärker auf die Ebene ihrer Institutssicherung verlagern. Diese beiden Bankengruppen sind unter anderem deshalb so sicher, weil sie gegenseitig füreinander einstehen und sich gegenseitig überwachen. Solange die Institutssicherung ausreichend stark ist, sprich über genügend Kapital, ausreichende Transparenz und präventive Eingriffsrechte gegenüber den angeschlossenen Instituten verfügt, ist eine Einzelprüfung der insgesamt über 1.400 kleinen Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Deutschland weniger wichtig. GEMEINWOHLAUFTRAG ÖFFENTLICHER BANKEN DEUTLICHER MACHEN Die Sparkassen haben sich nicht nur in der Finanzkrise als besonders stabil erwiesen, sie sind auch eine wesentliche Säule der Kreditversorgung des Mittelstands in Deutschland. Die Rolle der meisten Landesbanken hingegen war weniger rühmlich. Ihr Geschäftsmodell war unklar und sie haben sich in der Vergangenheit durch besonders unverantwortliche Risikoblindheit hervorgetan. Leider fällt ihr Name auch immer wieder bei Großskandalen wie dem systematischen cum-ex Steuerbetrug oder der Präsenz in Steueroasen. Man fragt sich, wie eine staatliche Bank Gefallen daran finden kann, den Staat mit Steuertricksereien zu betrügen oder Kommunen mit fragwürdigen Zins-Swaps oder Fremdwährungskrediten über den Tisch zu ziehen. Aus dem Desaster bei den Landesbanken sind noch nicht alle nötigen Konsequenzen insbesondere bezüglich der Governance-Strukturen gezogen. 38 In der letzten Zeit liest man immer wieder in der Presse über Streitereien zwischen Sparkassenvorständen und ihren kommunalen Trägern über die Gewinnverwendung. Die Vorstände weigern sich angemessene Gewinne an die Kommunen auszuschütten und ziehen es vor, diese als wohltätige Spenden in der Gemeinde zu verteilen. Wir sprechen uns deutlich dagegen aus, dass die Kommunen die Rücklagen der Sparkassen plündern und ihnen so die Risikovorsorge unmöglich machen. Wenn aber ausreichend Eigenkapital aufgebaut wurde, sollen die Gewinne der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden, die nach demokratischen Kriterien entscheiden kann, wie diese verwendet werden. Die Förderung von Sport- oder Gesangvereinen sollte kommunale Aufgabe sein und nicht in Gutsherrenart von den Sparkassendirektoren entschieden werden. Wichtig ist auch, dass Förderbanken, Landesbanken und Sparkassen, ihren Gemeinwohlauftrag besser definieren und ihre Zielerreichung in bezug auf diesen Auftrag klarer darlegen. Die Banken sollen einen Finanzierungsauftrag haben mit klar definierten sogenannten ESG Kriterien. Das heißt, wir wollen dafür sorgen, dass öffentliche Banken mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Finanzmittel in besonderem Maße nachhaltigen und sozial sinnvollen Finanzierungsprojekten zur Verfügung stellen. Sie sollen auch im Verbraucherschutz Vorreiter sein und hier das kundenfreundlichste Verhalten vorleben. Wir wollen den Ansatz der Gemeinwohlbilanzierung aufgreifen und für öffentliche Unternehmen wie Sparkassen und Landesbanken eine geeignete Form der Bilanzierung ihrer Gemeinwohl-Wirkung entwickeln. 3. DIE FINANZINDUSTRIE STÄRKER AN DER REALWIRTSCHAFT AUSRICHTEN UND KUNDENFREUNDLICHER MACHEN Die Finanzmärkte sind immer noch zu sehr auf sich selbst fokussiert. Kurzfristiges Spekulieren ist immer wichtiger als langfristiges investieren und Kundennutzen wird nicht konsequent genug groß geschrieben. AN DER REALWIRTSCHAFT AUSRICHTEN Dem ehemaligen Präsidenten der US Notenbank Fed, Paul Volcker, wird der Spruch nachgesagt, „die einzige sinnvolle Finanzinnovation der letzten Jahrzehnte war der Geldautomat“. Selbst wenn man die Radikalität dieses Ausspruches nicht teilt, muss man doch festhalten, dass kaum eine Finanzinnovation dazu geführt hat, dass Unternehmen ihre Zukunftsinvestitionen leichter finanzieren können oder dass Haushalte ihre existentiellen Risiken besser absichern können und ihre Ersparnisse sicherer und ertragsbringender anlegen können. Die Finanzwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr von von der Realwirtschaft abgekoppelt und mit sich selbst beschäftigt. Das Wachstum der Handelsaktivitäten mit Wertpapieren stammt nicht aus gestiegenen Wertpapieremissionen sondern aus Handel mit Papieren, die schon lange auf dem Markt sind. Genauso dient das explodierte Derivatevolumen nicht gestiegenen Sicherungsbedürfnissen der Unternehmen und Haushalte sondern der Absicherung von Positionen, die Finanzinstitute untereinander eingehen. Dies ist einer der Gründe, weshalb wir die Finanzwirtschaft wieder schrumpfen lassen wollen und weshalb wir keine Probleme sehen, wenn aufgrund unserer Vorschläge manche Geschäfte unrentabel werden und eingestellt werden müssen. Wir wollen auch verhindern, dass die Entkoppelung der Finanzmärkte auf immer neue Märkte wie zum Beispiel Immobilien- oder Rohstoffmärkte übergreift. Wir wollen nicht, dass aus Wohnraum ein leicht handelbares Finanzprodukt entsteht und die Preise für Immobilien ähnlichen Schwankungen unterliegen, wie typische Wertpapiermärkte. Daher sprechen wir uns für die Wiederabschaffung der 2007 genehmigten Immobilienaktien (REITS) aus. Wenn Kleinanleger in ein diversifiziertes Immobilienportfolio investieren wollen, können sie dies über einen Immobilienfonds mit angemessen langer Kündigungsfrist machen. Wenn Wohnungen in Aktien umgewandelt werden, steht auch hier nicht mehr eine Finanzierungsform für den Bau neuen Wohnraums im Vordergrund, sondern das Handeln mit Wertpapieren im Millisekundentakt. Die Gefahr von hoch volatilen Preisen nimmt dann Überhand. Sollten wir mit dem Verbot von REITS scheitern, zum Beispiel weil die Märkte kreative Umgehungen finden, wollen wir auf jede Immobilientransaktion, auch wenn nur wie bei REITS minimale Anteile an Immobilien gehandelt werden, Grunderwerbsteuer erheben und so Sand ins Getriebe der Immobilienspekulation streuen. 39 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Das ist auch ein Grund, weshalb wir Rohstoffspekulationen einschränken wollen. Rohstoffpreise unterliegen hohen natürlichen Schwankungen. Ein klassisches Beispiel sind die Agrarmärkte, deren Preise mit dem Ertrag der Ernten schwanken. Käufer und Verkäufer von Rohstoffen sichern daher seit Jahrhunderten ihre Preise langfristig ab. Zusätzlich zu diesen wichtigen Sicherungsgeschäften, hat sich jedoch seit einiger Zeit der Handel mit Rohstoffen verselbständigt und ist zum eigenen Finanzprodukt geworden. Dadurch sind die gehandelten Volumina massiv angestiegen und die Preisausschläge ebenfalls. Wir wollen daher den Handel mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln wieder stärker an den Bedürfnissen der realen Rohstoffmärkte ausrichten. Wir sind der festen Überzeugung, dass Finanzinstitute nicht in die reale Wertschöpfungskette der Rohstoff- und Nahrungsmittelproduktion oder Bevorratung einsteigen sollten und wollen daher Banken untersagen, Rohstofflager oder Rohstoffproduktion zu betreiben. Wir wollen auch den Rohstoff- und Nahrungsmittelhandel besser regulieren. Wir haben uns daher auf europäischer Ebene erfolgreich für verbindliche, europaweite Positionsgrenzen eingesetzt. Jetzt werden wir nicht zulassen, dass dieser Erfolg über das Kleingedruckte in Ausführungsgesetzen unwirksam gemacht wird. LANGFRISTIGKEIT FÖRDERN Die wichtigste Funktion der Finanzwirtschaft ist die sogenannte Kapitalallokation. Die Gelder der Sparer*innen müssen in die gesellschaftlich vielversprechendsten Projekte gelenkt werden. Ob ein Windpark gebaut werden soll, bessere Batterien für Elektrofahrzeuge entwickelt werden oder ob eine Elterninitiative eine neue Kita einrichten will, alle Projekte brauchen eine langfristige und flexible Finanzierung. Wenn die Finanzmittel fällig werden, bevor die Investitionen wirklich Früchte tragen, kann das den Ruin des Projektes bedeuten. Genauso gefährlich ist ein hoher und starrer Schuldendienst, weil dann schon eine Zeitverzögerung oder 40 ein anderes kurzfristiges Problem die Zahlungsunfähigkeit bedeutet. Wenn Investitionen zu sehr über Fremdkapital und zu wenig mit Eigenkapital finanziert werden, ist dies sowohl für die einzelnen Projekte riskant wie auch gesellschaftlich problematisch, da sich aus dem hohen Fremdkapitalhebel leicht volkswirtschaftliche Instabilität und Prozyklizität ergibt. Daher wollen wir Langfristigkeit in der Finanzierung fördern und Eigenkapital sowohl für die Anleger wie für die Unternehmen im Vergleich zu Fremdkapital attraktiver machen. Kundeneinlagen vom täglich fälligem Girokonto in längerfristige Sparformen Die Finanzindustrie in ihrer heutigen Form hat darauf keine überzeugenden Antworten. In Deutschland halten die Haushalte 39% ihres Finanzvermögens - knapp 2 Billionen Euro, also fast 100% des jährlichen Volkseinkommens - als Bargeld und Einlagen bei Banken. Es ist schwer erklärlich, warum im Durchschnitt jeder Haushalt ein ganzes Bruttojahreseinkommen täglich verfügbar haben muss. Banken haben keinen Anreiz, Kunden durch höhere Zinsen in längerfristige Anlageformen zu bewegen. Aus regulatorischer Sicht gelten Kundeneinlagen als stabile Form der Refinanzierung, auch wenn sie täglich fällig sind. Tatsächlich waren in der Finanzkrise Kundeneinlagen deutlich stabiler als Interbankenkredite. Dies muss aber nicht so bleiben. Wir halten es daher für sinnvoll, die Sparer*innen dazu zu bewegen, einen großen Teil ihrer Ersparnisse langfristig anzulegen. So können Investitionen wesentlich risikoärmer finanziert werden. Wir wollen daher die Versicherungsprämien für die gesetzliche Einlagensicherung so staffeln, dass Banken mit langfristigen Kundeneinlagen geringere Prämien zu zahlen haben. Reform der privaten Altersvorsorge Nach dem Geld auf dem Bankkonto, ist die Lebensversicherung das Lieblingsprodukt deutscher Sparer*innen. Jahr für Jahr werden über 80 Milliarden Euro an eines der 93 Lebensversicherungsunternehmen überwiesen. Das sind über 5% des verfügbaren Einkommens und 55% des jährlichen Sparvolumens deutscher Haushalte. Kapitel 3 Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen Die private Altersvorsorge ist eigentlich die ideale Quelle für langfristige Investitionsmittel. Das Geld kann theoretisch für Jahrzehnte angelegt werden. Der Sparerin sollte es eigentlich egal sein, wenn der Wert ihrer Guthaben im Laufe der Jahrzehnte hohen Schwankungen unterliegt, solange am Ende eine vernünftige Rente gesichert ist. Trotzdem legen Lebensversicherer nur 3% ihrer Geldanlagen in Aktien oder anderen Eigenkapitalanlagen an, obwohl die Regulierung eigentlich einen höheren Anteil erlaubt. Der Grund liegt in ihrem derzeitigen Geschäftsmodell. Unternehmen tragen dann aber trotz Abschluss einer Versicherung weiterhin voll das Risiko der Altersvorsorge. Das heißt, wenn der Lebensversicherer insolvent wird, haftet das Unternehmen für seine betriebliche Altersvorsorge. Dieses Risiko ist angesichts der oben geschilderten gravierenden Probleme der Versicherungswirtschaft nicht rein hypothetisch. Da Unternehmen neben der Zahlung von Beiträgen an die Versicherer keine weitere Vorsorge für ihre Pensionszusagen treffen, könnte der Konkurs eines Versicherers viele Mittelständler in Deutschland gefährden. Lebensversicherer gestatten ihren Kund*innen jederzeitiges Kündigungsrecht und garantieren einen festen Wert für das Kundenguthaben. Damit hat auch die Lebensversicherung den Charakter eines Bankkontos und kann nur in liquide und festverzinsliche Anlagen investieren. Angesichts der Drückerkolonnen im Vertrieb und 5% sofort fälliger Abschlussgebühr auf die über Jahrzehnte geplante zukünftige Sparleistung bei einem Lebensversicherungsvertrag sind solche Verbraucherschutzmaßnahmen unumgänglich. Sie machen aber eine echte langfristige Anlage der Lebensversicherer fast unmöglich. Für die Begünstigten der betrieblichen Altersvorsorge ist die Vorsorge über Lebensversicherung aufgrund der exorbitanten Kosten und mangelnden Verbraucherfreundlichkeit der Lebensversicherungsverträge auch nicht attraktiv. Wir wollen daher die private Altersvorsorge reformieren und so wie in Schweden einen Bürgerfonds ins Leben rufen. Dieser Fonds wird keine Vertriebsprovisionen in Rechnung stellen und aufgrund seiner Größe wird die laufende Verwaltungsgebühr vernachlässigbar sein. In dem Bürgerfonds kann Altersvorsorge langfristig angelegt werden, sprich Gelder, die nicht jederzeit kündbar sein müssen und die zwischenzeitlichen Wertschwankungen unterliegen können. So kann der Bürgerfonds, wie auch das erfolgreiche schwedische Modell zeigt, die Wirtschaft mit Eigenkapital unterstützen und langfristige und nachhaltige Investitionen finanzieren. Dieser Bürgerfonds soll auch für die betriebliche Altersvorsorge offen stehen. Für kleine Unternehmen ist betriebliche Altersvorsorge heute kaum zu organisieren, wenn sie diese nicht an eine private Lebensversicherung auslagern. Die Haltedauer von Aktien und anderen Wertpapieren Wir werden außerdem an verschiedenen anderen Stellen im Finanzmarkt gezielt Langfristigkeit fördern. Die Unternehmenskultur hat sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker in Richtung kurzfristige Gewinnsteigerung gewandelt. Ein Grund hierfür ist der Aktienmarkt mit seiner Fokussierung auf Quartalsberichte und schnelle Erfolge. Investitionen, insbesondere in Weiterbildung, in Forschung und Entwicklung aber auch in Maschinen, belasten zunächst die Gewinn- und Verlustrechnung und rechnen sich oft erst nach vielen Jahren. Unternehmen, die in die Zukunft investieren, brauchen daher geduldiges und langfristig orientiertes Kapital. Auch für die meisten Manager*innen lohnt es sich nicht, auf langfristigen Erfolg zu setzen, da ihre Entlohnung sehr stark den kurzfristigen Erfolg belohnt. Viele Aktionär*innen sind nicht am langfristigen Erfolg des Unternehmens interessiert, da sie ihre Aktien nur wenige Monate halten und dann wieder verkaufen. Der klassische Investor, im Stile eines Warren Buffets, der Unternehmen und ihre Zukunftsaussichten fundamental 41 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 analysiert und dann mit einer extrem langen Perspektive erwirbt, gehört inzwischen einer Minderheit an. Die meisten Händler*innen versuchen eher den Markt als die Perspektiven eines Unternehmens zu verstehen. Das extremste Beispiel sind Hochfrequenzhändler*innen, die Wertpapiere gar im Millisekundentakt drehen. Wir wollen daher verschiedene Reformen in Gang bringen, um Nachhaltigkeit wieder stärker zu belohnen. Wir sprechen uns deutlich gegen Hochfrequenzhandel aus, der aus unserer Sicht keinerlei volkswirtschaftlichen Nutzen erzeugt. Dies ist einer der Gründe, weshalb wir eine umfassende Finanztransaktionssteuer fordern, die schnelles Drehen von Aktien weniger attraktiv macht und langfristiges Halten fördert. Solange die Finanztransaktionssteuer nicht in vollem Umfang eingeführt ist und den Hochfrequenzhandel ausbremsen kann, brauchen wir für dieses Ziel spezifische Maßnahmen wie zum Beispiel das Verbot von privilegiertem Zugang mancher Marktteilnehmer auf die Handelsplattformen. Wir unterstützen die Initiative des Europaparlamentes einer Reform des Aktienrechtes, um Investor*innen zu privilegieren, die ihre Aktien länger halten. Ein Beispiel sind Stimmrechte, die Aktionär*innen erst bei einer Mindesthaltedauer ausüben können. Außerdem halten wir es für richtig, dass Gewinne erst dann an Aktionär*innen oder Mitarbeiter*innen ausgeschüttet werden können, wenn sie tatsächlich realisiert wurden. Mark-tomarket Bewertungen dürfen daher nicht noch mehr Bedeutung in Unternehmensbilanzen bekommen. Wichtig ist auch eine Reform der Managerentlohnung. Wir brauchen gesetzliche Vorgaben, damit Anreizsysteme in allen Unternehmen so gestaltet werden, dass der größte Teil der variablen Vergütung wirklich langfristige Erfolge belohnt. Kapitalmarktunion Das große Finanzmarktprojekt in Europa derzeit heißt Kapitalmarktunion. Die Kommission hat die Losung ausgegeben, dass ein besserer Zugang der Unternehmen in Europa zum Kapitalmarkt 42 viele Probleme lösen würde. Nach der Finanzkrise seien viele der Banken immer noch zu schwach aufgestellt, um vernünftig Kredite vergeben zu können. Aufgrund dieser Kreditklemme komme die Wirtschaft in den Krisenländern nicht wieder in Schwung. Die USA hätten diese Probleme nicht, da dort die Wirtschaft nicht so sehr von den Banken abhängig sei, sondern sich wesentlich stärker über Kapitalmärkte finanziere. Diese Analyse ist in der Wissenschaft umstritten. Es gibt eine Unmenge an Untersuchungen, ob Kapitalmarktfinanzierung im Vergleich zu Bankenfinanzierung wachstumsfördernd oder im Krisenfall stabilisierend wirke.25 Beide Finanzierungsformen haben Vor- und Nachteile. Sehr fragwürdig ist die Schlussfolgerung der Kommission, dass die USA aufgrund ihrer Kapitalmarktfinanzierung besser aus der Krise gekommen sei. Im Gegensatz zu Europa haben die USA nämlich ihre Banken zwangsrekapitalisiert, so dass diese viel schneller wieder in der Lage waren Kredite zu vergeben. Die USA verfügen ähnlich wie wir in Deutschland über ein weit verzweigtes Netz von tausenden kleinen unabhängigen lokalen Banken. Diese finanzieren die lokale und mittelständische Wirtschaft. Kapitalmärkte eignen sich nämlich nirgendwo auf der Welt als Finanzierungsquelle für kleine und mittlere Unternehmen. Das ist ganz normal, weil Unternehmenskredite nicht standardisierbar sind und immer ein wesentlich höheres Risiko tragen als beispielsweise eine private Baufinanzierung. Eine Bank kann den Unternehmer beurteilen und die Aussichten des Unternehmens. Sie kann eine Vertrauensbeziehung zu ihren Kund*innen aufbauen und so auch in einer Krise flexibel reagieren und den Kredit anpassen. All das können Kapitalmärkte nicht. Um die Finanzierung von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu fördern, brauchen wir keine Kapitalmärkte sondern starke lokal oder sektoral verwurzelte Banken. 25 E ine gute Übersicht geben Ross Levine (2002), bank based or market based financial systems, which is better und Julien Allard & Rodolphe Blavy (2011), Market Phoenixes and Banking Ducks – Are recoveries faster in market-based systems? Kapitel 3 Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen Es ist auch alles andere als eindeutig, dass in den Krisenländern eine Kreditklemme aufgrund fehlenden Angebots herrscht. Die Kreditzinsen sind historisch niedrig. Viele Banken klagen über mangelnde Kreditnachfrage. Richtig ist, dass kleine und mittlere Unternehmen zu wenig Zugang zu Eigenkapital haben. Dies trifft besonders auf junge und schnell wachsende Unternehmen zu. Aber auch dafür ist der Kapitalmarkt nicht die richtige Lösung. Die Finanzierung junger Unternehmen läuft auch in den USA nicht über den Markt sondern über Venture Capital Firmen, die eine persönliche und langfristige Vertrauensbeziehung zu den Unternehmen aufbauen. Auch wir wollen Gründer*innen und deren Zugang zu Venture Capital fördern. In den USA gibt es zum Beispiel achtmal so viel Venture Capital Finanzierung wie in Deutschland. Das liegt wesentlich an dem oben geschilderten Problem der deutschen Altersvorsorge, die fast ausschließlich in Kredite und fest verzinsliche Wertpapiere investiert. Dies ist einer der Gründe für unseren Vorschlag eines Bürgerfonds für die private Altersvorsorge. Dieser soll das Mandat bekommen, wesentlich in Eigenkapital von Unternehmen zu investieren, sprich auch in Venture Capital. Insgesamt begrüßen wir daher alle Vorschläge der Kommission, die wirklich den Zugang der Unternehmen zu langfristiger Finanzierung und insbesondere zu Eigenkapital erleichtern, wie zum Beispiel den Vorschlag, die steuerliche Subventionierung von Fremdkapital im Vergleich zu Eigenkapital abzuschaffen. Leider gibt es davon nicht so viele. Der Aktionsplan enthält eine Reihe weiterer positiver Elemente, wie die europaweite Zulassung kleiner Kreditgenossenschaften. Es wird unsere Wirtschaft sozialer machen, wenn die Solidarische Ökonomie gestärkt wird. Auch ist es im Sinne der Verbraucher, wenn Europa einfache, transparente und kostengünstige Finanzprodukte sowie Standards für sozial und ökologisch sinnvolle Anlagen (ESG Standards) entwickelt. Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese Elemente im weiteren Gesetzgebungsprozess noch gestärkt werden. Eines der Hauptelemente der Kapitalmarktunion ist jedoch die Förderung von Verbriefungen, die wir, wie oben geschildert, für fragwürdig halten. Das Versprechen einer echten Kapitalmarktunion wird durch den Aktionsplan der EU nicht gehalten. Um einen großen Schritt nach vorne zu machen, wären gemeinsame Regeln bei Kapitalmarktaufsicht, Steuern, Vertrags- und Bilanzierungsrecht nötig. Davor schreckt der britische Kommissar Hill leider zurück, obwohl ironischerweise insbesondere die City of London davon profitieren würde. Ein wichtiges Problem für grenzüberschreitende Investitionen ist das so unterschiedliche Insolvenzrecht in Europa. Die Kommission fordert daher zu Recht eine Vereinheitlichung. Seltsamerweise sperrt sich die Bundesregierung gegen dieses so wichtige Projekt. ANLEGERORIENTIERUNG Wir wollen, dass Kundinnen und Kunden eine hochwertige Beratung erhalten. Kund*innen sollen sich weniger Sorgen machen müssen, Produkte nur wegen Vertriebsprovisionen aufgeschwatzt zu bekommen. Wir wollen Finanzdienstleister jedoch nicht in einer Bürokratie von Beratungsprotokollen ersticken. Wir wollen daher versuchen, den Interessenskonflikt zwischen Finanzinstitut und Kunden stark zu reduzieren. Honorarberatung Wir wollen sicherstellen, dass für alle Finanzprodukte sämtliche Vertriebsprovisionen offen gelegt werden. Wenn sich eine Kundin beraten lässt und der Berater eine einmalige oder auch eine laufende Vergütung für den Vertrag erhält, muss diese Vergütung komplett transparent gemacht werden. Für alle Produkte muss es zwei 43 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Tarife geben, einen inklusive Provisionen und einen provisionsfreien, sogenannten Netto-Tarif. Alle Produkte müssen provisionsfrei über Honorarberater zu beziehen sein. Die Kundin bekommt so die Freiheit, entweder einen Honorarberater zu bezahlen oder sich von einem über Provisionen vergüteten Vertriebsmitarbeiter beraten zu lassen. Damit sich auch wirklich alle Menschen nicht provisionsfinanzierte Finanzberatung leisten können, wollen wir öffentlich finanzierte Finanzberatung stärken, zum Beispiel über die Verbraucherzentralen. Verbot von Abschlussgebühren auf zukünftige Zahlungen Für viele Produkte werden heute exorbitante Abschlussgebühren verlangt. Das eklatanteste Beispiel ist die Lebensversicherung, für die eine Kundin sofort bei Vertragsabschluss 5% Gebühr auf Beiträge zahlen muss, die erst Jahrzehnte später fällig werden und die sie vielleicht nie entrichten wird, weil sie schon lange vorher gekündigt haben wird. Ähnliche überhöhte Vorabgebühren gibt es bei den Bausparverträgen und anderen langlaufenden Finanzprodukten. Diese Vergütungsstrukturen sind besonders anfällig für rein provisionsorientierte Beratung. Wir wollen daher Provisionen und Abschlussgebühren auf zukünftige Zahlungen verbieten. Stattdessen müssen Abschlussgebühren pro rata auf die gesamte Vertragslaufzeit verteilt werden. Strikter Ausweis von Nettorenditen In vielen Bereichen der Finanzwirtschaft wird mit Renditen vor Kosten geworben. Das eklatanteste Beispiel ist die Lebensversicherung. Die Industrie gaukelt ihren Kund*innen eine völlig übertriebene Verzinsung vor. Sie zeigt nicht die Rendite auf die gezahlten Beiträge, sondern auf das, was die Versicherung nach Vertriebsprovisionen und anderen Kosten noch von den Beiträgen übrig lässt. Das überzeichnet die Rendite massiv. Völlig perfide darf die Versicherungswirtschaft hierfür den Begriff Sparbeitrag nutzen. Die Kund*innen werden so systematisch in die Irre geführt, weil 44 man als normaler Mensch mit dem Begriff Sparbeitrag die komplette persönliche Sparleistung assoziiert und nicht nur den Teil, den die Versicherer davon übrig lassen. Die Garantierendite von derzeit 1,25% beträgt bei vielen Versicherern in Wirklichkeit nur 0,25%, so hoch sind die Kosten. In Zukunft sollen daher Lebensversicherer, so wie alle anderen Finanzdienstleister auch, nur noch ehrliche Nettorenditen nach Abzug aller Kosten ausweisen. Dies gilt ganz besonders auch für die Garantieverzinsung. Wir begrüßen daher die europäische PRIIPS Verordnung, die für alle Anlageprodukte ein einheitliches Produktinformationsblatt vorsieht, auf dem immerhin die Kosten des Produktes ausgewiesen werden müssen. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Richtlinie konsequent in Deutschland umgesetzt wird und fordern, dass Unternehmen, die Produkte mit in einer festen Verzinsung anbieten, in sämtlichen Marketingmaterialien nur mit Nettorenditen (nach allen Kosten) werben dürfen. Dies gilt insbesondere auch für Lebensversicherungsprodukte. Koppelprodukte Zu häufig werden dem Kunden gekoppelte Produkte ohne Kundennutzen verkauft. In Zukunft muss jede miteinander verkoppelte Finanzdienstleistung einzeln bepreist werden und einzeln abschließbar sein. Der Kunde muss auf die verschiedenen Alternativen hingewiesen werden und ein geeigneter Preisvergleich muss möglich sein. Basisprodukte Für besonders komplexe Finanzdienstleistungen wie zum Beispiel die private Altersvorsorge werden wir wie oben geschildert nach dem schwedischen Beispiel ein Basisprodukt entwerfen und im Gegenzug die Regulierung für alternative Produkte einschränken. Verbraucher*innen haben dann die Wahl entweder das staatlich angebotene einfache Basisprodukt zu erwerben oder, wenn sie sich per Opt-out explizit gegen das Basisprodukt entscheiden, mit weniger regulierten Produkten für ihr Alter vorzusorgen. Kapitel 3 Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen Produkte ohne Kundennutzen vom Markt nehmen Viele Produkte, wie komplexe Zertifikate spiegeln den Kund*innen Sicherheit und Rendite vor. In Wirklichkeit dienen sie jedoch nur zur Gewinnmaximierung der Finanzwirtschaft. Wir haben uns daher auf europäischer Ebene erfolgreich dafür eingesetzt, dass die neue Mifid Richtlinie erlaubt, komplexe Produkte ohne erkennbaren Kundennutzen aus dem Markt zu nehmen. Wir wollen die deutsche Finanzaufsicht nun dazu bewegen, diese Möglichkeit auch konsequent anzuwenden. In der Vergangenheit haben Banken immer wieder Produkte an Kommunen, Unternehmen und Privatkunden verkauft, bei denen die Kund*innen deutlich mehr als ihren Kapitaleinsatz verlieren konnten, wie zum Beispiel Fremdwährungskredite oder Zinsderivate. In Zukunft sollen Banken unmissverständlich auf die ungedeckelten Risiken dieser Produkte hinweisen. Wir wollen auch eine Finanzordnung für Kommunen, damit Kommunen in Zukunft nicht mehr im Finanzkasino die Zukunft ihrer kommunalen Haushalte verwetten dürfen. Verbraucherschutz in der Aufsicht stärken Die BaFin ist heute sowohl für die Stabilität der Finanzinstitute wie für den Verbraucherschutz zuständig. Diese beiden Aufgaben sind jedoch immer wieder im Zielkonflikt. Bei den Lebensversicherungen zum Beispiel genehmigt die BaFin immer wieder Maßnahmen zu Lasten der Verbraucher, um die Gewinne der Versicherungswirtschaft zu erhöhen und damit ihre Kapitalausstattung zu verbessern. Heute ist der Verbraucherschutz eine von 23 Abteilungen in der BaFin berichtet an Exekutivdirektoren, deren Hauptaufgabe die Finanzstabilität ist und diese wiederum berichten an das Bundesfinanzministerium, dessen Selbstverständnis auch nicht der Verbraucherschutz ist. Verbraucherschutz kommt deshalb in der BaFin so gut wie nicht vor. In Zukunft wollen wir den Verbraucherschutz im Finanzmarkt deutlich aufwerten. Wir kämpfen seit langem dafür, dass der Verbraucherschutz auch im Handeln der Aufsicht eine deutlich stärkere Rolle spielt. Manche Skandale hätte die BaFin verhindern oder zumindest zu einem früheren Zeitpunkt eingreifen können, als der Schaden für die Kund*innen noch nicht so groß war. Auf europäischer Ebene haben wir dafür gesorgt, dass Verbraucherschutz Teil des Mandats der Aufsichtsbehörden geworden ist. Nun ist, wie von uns seit Jahren gefordert, der kollektive Verbraucherschutz auch explizit als Aufsichtsziel der BaFin gesetzlich festgelegt worden. Doch in der Organisation der deutschen Finanzaufsicht bildet sich das noch nicht ausreichend ab, so dass wir befürchten müssen, dass sich in der Aufsichtspraxis zunächst nicht viel ändern wird. Auch bei den drei europäischen Aufsichtsbehörden sind Personal und Kompetenzen im Bereich des Finanzmarktverbraucherschutzes nicht ausreichend, um dem Mandat gerecht zu werden. Mindestens sollte es für den Bereich Verbraucherschutz bei der BaFin einen eigenen, den anderen Exekutivdirektoren gleichrangigen Exekutivdirektor geben. Wenn sich zeigen sollte, dass die BaFin auch mit ihrem neuen klaren Verbraucherschutzauftrag den Verbraucherschutz immer noch stiefmütterlich behandelt, auch weil das Ministerium über seine Fachaufsicht das nicht will, bleibt nur die Alternative einer eigenständige Verbraucherschutzbehörde wie in den USA. Auch in Europa wollen wir, dass der Verbraucherschutz bei den Finanzaufsichtsbehörden EBA, EIOPA und ESMA ausgebaut wird, nachdem wir erreicht haben, dass der Verbraucherschutz bei ihnen in ihr Mandat aufgenommen wurde. REFORM DER RATINGAGENTUREN – NACHHALTIGKEITSRATING EINFÜHREN Ratingagenturen helfen idealerweise den Anlegern die Risiken von Unternehmen und Staaten zu bewerten. Es ist unmöglich, dass Tausende von Anlegern individuell die Bücher der Unternehmen detailliert prüfen. Ratingagenturen führen diese Prüfung zentral durch und stellen sie den 45 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Anlegern zur Verfügung. Obwohl die Agenturen für die Anleger*innen arbeiten, werden sie jedoch von den Emittenten beauftragt und bezahlt. Angesichts des Prinzips „wer zahlt, schafft an“, ist verständlich, dass so viele Giftpapiere vor der Krise eine AAA Bewertung erhalten hatten. Die Benotung der Ratingagenturen lässt sich nicht geheim halten. Es handelt sich hier also um ein klassisches öffentliches Gut, das vom Markt nicht optimal bereitgestellt wird. Wer zahlt schafft an Wir werden daher die Bezahlung der Ratingagenturen so organisieren, wie dies für alle öffentliche Güter üblich ist. Wir finden es grundsätzlich richtig, die Agenturen über eine erfolgsabhängige Prämie zu finanzieren. Wir stellen deshalb zur Diskussion, ob es nicht sinnvoll ist, einen kleinen Teil des Aufkommens der geplanten Finanztransaktionsteuer, für die Bezahlung der Ratingagenturen zu verwenden. Ratingagenturen erhielten dann einen minimalen jährlichen Fixbetrag. Die Prognosen der Agenturen würden regelmäßig mit der Realität verglichen. Die besten Agenturen erhielten eine hohe Erfolgsprämie. So könnten wir sicherstellen, dass sich wirklich die seriösesten Agenturen durchsetzen und der Markt nicht von den großen drei amerikanischen Platzhirschen dominiert wird, die vor der Finanzkrise vollkommen versagt hatten. Nachhaltigkeitsrating Nach dem gleichen Prinzip werden wir ein Nachhaltigkeitsrating (ESG Rating) einführen. Alle größeren Emittenten von Wertpapieren werden verpflichtet, sich einem solchen Rating zu unterziehen. Investoren sollen nicht nur Finanzinformationen zur Verfügung gestellt bekommen sondern auch umfassende Transparenz über die ökologische und soziale Nachhaltigkeit ihres Investments. Wir werden die Wertpapier- und Pensionsfonds verpflichten zu veröffentlichen, welchen Prozentsatz ihrer Anlagen sie in besonders gut bewertete Unternehmen investieren. So bekommt endlich auch die Kleinanlegerin eine Chance, ihr Geld in besonders nachhaltige Investments anzulegen. 46 Transparenz über Nachhaltigkeit in Unternehmen ist eines der wichtigsten Instrumente, um den ökologischen Umbau der Wirtschaft voranzutreiben. Viele Menschen würden ihr Geld gern in nachhaltigere Geldanlagen anlegen, sie wissen aber nicht, welche Unternehmen wirklich nachhaltig wirtschaften. Mit dieser Transparenz können wir der Divestment Bewegung wirklichen Schwung verleihen und öffentlichen Geldgebern wie Sparkassen oder Pensionsfonds Vorgaben machen, einen zunehmenden Anteil ihrer Anlagen in gut bewertete nachhaltige Unternehmen zu investieren. Auf Initiative der Europäischen Grünen soll es in Zukunft eine vergleichbare Anlegerinformation für alle komplexen Finanzprodukte geben (PRIIPS). Darin sollen sozial-ökologische Anlageprodukte zukünftig standardisiert gekennzeichnet werden, um dem verbreiteten Missbrauch mit blumigen aber unbestimmten Worten wie „ethisch verantwortlich“, „nachhaltig“, usw. einen Riegel vorzuschieben. Mit dem Rating wollen wir aber noch weiter gehen. Anleger*innen sollen Transparenz auch darüber erhalten, ob und wie sehr sich die ESG Standards bei einem Unternehmen verbessern. VERSICHERUNGEN Das Absichern von Risiko ist eine besonders wichtige Funktion der Finanzwirtschaft. Manche Risiken sind existenziell und würden bei Eintritt den Haushalt in den finanziellen Ruin stürzen. Andere sind so groß, dass man zwar individuell vorsorgen könnte, die notwendige Sparleistung aber unverhältnismäßig hoch wäre. Doch so wichtig Versicherungen sind, so schwierig sind sie rein privatwirtschaftlich zu organisieren. Viele Menschen sehen die Notwendigkeit der Vorsorge nicht. Sie hoffen, dass sie kein Pech haben werden oder dass die Gesellschaft ihnen schon beistehen wird, wenn sie in Not kommen. Die Wahrscheinlichkeiten, in Not zu kommen, sind auch nicht gleich verteilt. Für ein Versicherungsunternehmen ist es extrem schwer, das individuelle Risiko zu beurteilen. Es besteht immer die Gefahr, dass Kapitel 3 Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen sich nur die schlechten Risiken versichern (sogenannte adverse Selektion). Daher sind bei einer freiwilligen Versicherung die Tarife meist so teuer, dass es sich nur noch für die schlechtesten Risiken lohnt, eine Versicherung abzuschließen. Pflichtversicherungen Für viele Risiken muss man daher Versicherungen staatlich organisieren. Krankenversicherung ist ein gutes Beispiel. In den USA gab es bis zu Obama nur private Krankenversicherung ohne Versicherungspflicht. Die Folge waren 60 Millionen Menschen ohne Versicherung. Die Tarife der privaten Versicherung waren abschreckend hoch, schwer kranke Menschen wurden von der Versicherung ausgeschlossen und endeten im finanziellen Ruin. Die meisten Menschen in Deutschland würde das amerikanische System der freiwilligen Krankenversicherung als unzumutbar empfinden. Aber auch wir leisten uns ähnliches staatliches Versagen. Berufsunfähigkeit ist ein Beispiel. Versicherung für Berufsunfähigkeit in Deutschland funktioniert so wie die private Krankenversicherung in den USA vor Obama. Versicherungen sind abschreckend teuer. Menschen mit echten Risiken werden nicht angenommen. Viel zu wenige versichern sich. Wer berufsunfähig wird, ist auch finanziell am Ende. Die Lösung dieses Problems geht nur wie in der Krankenversicherung: jeder Mensch muss eine Versicherung abschließen und jede Versicherung muss alle Antragsteller aufnehmen. Die Tarife werden durch die Pflichtversicherung ganz erheblich sinken. Das große Lebensrisiko Berufsunfähigkeit verliert dann wenigstens seinen finanziellen Schrecken. Die wenigsten Selbständigen sorgen ausreichend für ihr Alter vor. Die Folge ist, dass die meisten Männer in Altersarmut ehemalige Selbständige sind. Sie versichern sich nicht, weil die Tarife viel zu teuer sind. Man müsste weit über 90 Jahre alt werden, damit sich eine Versicherung lohnt. Dies liegt an der Freiwilligkeit. Es versichern sich hauptsächlich diejenigen, die viel Geld verdienen und daher statistisch gesehen länger leben. Bei Rentenbeginn können sich die Versicherten ihre Rente als Einmalbetrag ausbezahlen lassen. Dies führt dazu, dass Kettenraucher*innen oder Menschen mit einer problematischen Krankheitsgeschichte natürlich den Einmalbetrag wählen. Es bleiben nur die „schlechten Risiken“, sprich diejenigen, die im Durchschnitt wirklich 90 Jahre alt werden. Daran glaubt ex ante aber niemand, also wird keine Versicherung abgeschlossen. Auch Altersarmut von Selbständigen lässt sich nur durch Versicherungspflicht lösen. Wir wollen, dass alle Selbständigen für ihr Alter vorsorgen und dass die Absicherung im Alter nicht mehr am Beschäftigungsverhältnis hängt, sondern als Bürgerversicherung organisiert ist. Auch private Altersvorsorge muss anders organisiert werden. Das Ziel ist nicht eine weitere Privatisierung der Altersvorsorge. Die Riesterrente ist gescheitert. Das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung ist insbesondere für Geringverdiener*innen zu sehr abgesenkt worden. Wer weniger als 1.835 Euro im Monat verdient, sprich 11,50 Euro pro Stunde, bekommt im Alter Sozialhilfe anstatt Rente, selbst nach 45 Jahren ununterbrochener Vollzeittätigkeit. Wir wollen daher die umlagefinanzierte gesetzlichen Rente wieder stärken. Aber auch mit der besten umlagefinanzierten Rente gibt es noch Bedarf für kapitalgedeckte private Altersvorsorge. Wir halten hierfür jedoch eine Versicherungspflicht für nicht angebracht. Wir wollen stattdessen ein opt-out System in den oben beschriebenen Bürgerfonds einführen. Wir sind davon überzeugt, dass sich auch mit dem opt-out Verfahren die größten Schwächen der Freiwilligkeit lösen lassen. Hochwasserschutz ist zwar ein Thema, das nur wenige Menschen in Deutschland wirklich betrifft, angesichts verfehlter Umweltpolitik aber leider zunehmend viele. Nach jedem Hochwasser entscheiden sich die Regierungen großzügig zulasten der SteuerzahlerInnen viele Milliarden Euro Hilfe zu leisten. Angesichts der erschütternden Fernsehbilder ist diese Hilfe hochgradig populär. Es ist aber 47 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 nicht einzusehen, warum sich die Regierungspartei ihre Wiederwahl mit dieser Art von Katastrophen sichern soll und warum die Steuerzahler*innen in z.B. Gelsenkirchen dafür zur Kasse gebeten werden, dass z.B. die Besitzer einer schönen Villa am Rheinufer keine Hochwasserversicherung abschließen. Auch Hochwasser muss also verpflichtend von denjenigen versichert werden, die in einem Hochwassergebiet wohnen. Die Privatisierung der früher meist öffentlich-rechtlichen Pflichtversicherungen war hier ein Fehler. Wir wollen diesen Fehler durch eine Versicherungspflicht korrigieren. Besser regulieren Versicherungen sind aus Unternehmersicht ein faszinierendes Produkt. Warren Buffet ist hauptsächlich dank seines Versicherungsunternehmens so reich geworden. Das schöne einer Versicherung ist, dass die Kunden oftmals über Jahrzehnte Geld einbezahlen, bevor ein Schaden eintritt. Das Unternehmen könnte also die Tarife niedrig kalkulieren und so besonders viele Kunden anlocken, über viele Jahre hohe Gewinne ausschütten und, wenn die Schäden in großem Stil anfallen, Konkurs anmelden. Dies ist der Grund, weshalb Versicherungen besonders effektiv beaufsichtigt werden müssen. Leider ist über die Jahrzehnte in Deutschland eine enge Symbiose zwischen Versicherungsaufsicht und Versicherungsunternehmen entstanden. Das Regelwerk wurde immer komplexer. Man kommuniziert in einer geheimnisvollen Insider-Sprache. Nur noch die Versicherungslobby und einige wenige Personen in der Versicherungsaufsicht verstehen, was warum und wie geregelt wird. Kritische und kompetente mediale Berichterstattung ist selten. Demokratische Kontrolle ist quasi unmöglich geworden. Gesetze zur Versicherungsaufsicht wurden in der Vergangenheit vom Bundestag ohne gründliche, für alle verständliche Debatte durchgewunken. Die Folge ist ein insbesondere in der Lebensversicherung abstruses und verbraucherfeindliches Regelwerk. Kein Kunde kann die Abrechnung seiner Lebensversicherung nachvollziehen. Wir wollen daher auch in der Lebensversicherung die Regulierung deutlich vereinfachen. Das wird auch dazu führen, 48 dass weniger Lebensversicherungen verkauft werden und der bisher aufgeblähte Vertrieb mit über 200.000 Vermittler*innen schrumpfen wird. Zudem wurde die Normierung der Produkte aufgegeben. Dadurch sind die Policen nicht mehr vergleichbar. Leistungswettbewerb kann so kaum noch stattfinden. Unser Ziel ist, dass Kund*innen zumindest mit Hilfe von Experten aufgrund der Informationen der Versicherung nachvollziehen können, warum sie wieviel erhalten. Mindestzuführung in sinnvolle Erfolgsbeteiligung umwandeln Die Versicherer werden von der Aufsicht angehalten, möglichst konservative Tarife zu kalkulieren, sprich möglichst viele Kostenpuffer einzuberechnen. An sich wäre das eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme, wenn sich die Unternehmen nicht unabhängig von der Rendite für den Verbraucher immer einen erheblichen Teil dieser Kostenpuffer einverleiben dürften. Wir wollen, wie im Abschnitt Anlegerschutz geschildert, die Unternehmen verpflichten, deutlich verbraucherfreundlicher zu agieren. Dazu gehört auch eine Neuregelung der Überschussverteilung. Eigentlich sollten die Versicherer nicht unabhängig von ihrer Leistung automatisch einen großen Teil der Überschüsse einbehalten dürfen. Was spräche daher dagegen, für die Neuverträge die Überschussverteilung in eine Erfolgsbeteiligung umzuwandeln? Nur wenn der Kunde nach Ablauf seiner Versicherung besser abgeschnitten hat als bei einer fiktiven Alternativanlage in Bundesanleihen, ginge dann ein Teil der Überschüsse an das Unternehmen. Aber auch im gegenwärtigen System sind kundenfreundliche Reformen in der Überschussbeteiligung möglich. Dazu gehört in erster Linie eine verbesserte Transparenz. Kunden müssen endlich ohne Fachanwalt nachvollziehen können, ob ihr Unternehmen wirklich korrekt abgerechnet hat. Kapitel 3 Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen Weiterhin wollen wir die Überschussbeteiligung konsequent für alle Überschusskomponenten auf mindestens 90% anheben. Derzeit erhalten die Kund*innen dank unseres Einsatzes im Bundestag immerhin mindestens 90% der Überschüsse, die das Unternehmen aufgrund zu vorsichtiger Sterbetafeln erzielt (Risikoergebnis). In Zukunft wollen wir, dass die Kund*innen auch 90% der Kapitalerträge erhalten, die zusätzlich zur Garantieverzinsung erwirtschaftet werden, sowie 90% der Überschüsse, die aufgrund zu vorsichtiger Kostenkalkulation entstehen. Wir wollen auch die absurde Vorabverzinsung der Aktionäre abschaffen. In jedem normalen Unternehmen werden zuerst alle Fremdkapitalgeber bedient. Die Aktionäre bekommen immer nur das, was nach den Kosten übrig bleibt. Anders in der Lebensversicherung. Dort dürfen Aktionäre vorab 4% für sich einstreichen. So als ob sie dem Unternehmen ein festverzinsliches Darlehen anstatt von Eigenkapital gegeben hätten. Außerdem wollen wir die Möglichkeiten einschränken, Gewinne an der Überschussbeteiligung vorbei aus den Unternehmen zu schleusen. Die Aktionäre vergeben heute zum Beispiel sogenannte Nachrangdarlehen, die aufsichtsrechtlich als Eigenkapital gewertet werden, die aber eine sehr hohe feste Verzinsung tragen dürfen. Diese geht direkt an die Aktionäre und muss nicht zu 90% mit den Kund*innen geteilt werden. Auch Lizenzverträge für die Nutzung des Namens der Muttergesellschaft oder Rückversicherungsverträge mit der Muttergesellschaft sind Konstruktionen, die die Erträge des Unternehmens zu Lasten der Kund*innen aushöhlen. Versicherer robuster machen Auch aus Gesichtspunkten der Finanzmarktstabilität ist die Lebensversicherung in ihrer jetzigen Form problematisch. Finanzmathematisch ist es abschreckend teuer, eine Garantie für Sparleistungen abzugeben, die erst Jahrzehnte später geleistet werden. Die Versicherer geben also Versprechen ab, die sie in schlechten Zeiten unmöglich halten können. Sie müssen dabei noch nicht einmal eigenes Risiko tragen, dafür gibt es stattdessen Gesetze, die es den Versicherern erlauben, in schlechten Zeiten ihre Kunden zu enteignen, ohne dass die Aktionäre zuerst zur Kasse gebeten werden. Die anhaltende Niedrigzinsphase und die Krise der Versicherungsbranche zeigen, dass es sich hier nicht um ein fiktives Horrorszenario handelt. In der betrieblichen Altersvorsorge haben einige Pensionskassen bereits mit diesen Leistungskürzungen angefangen. Es hat zwar in den letzten Jahren immer wieder Reformgesetze für die Lebensversicherungswirtschaft gegeben. Diese waren aber immer nur Stückwerk und die Maßnahmen gingen regelmäßig einseitig zu Lasten der Verbraucher*innen. Insbesondere ist vollkommen unverständlich, wie es sein kann, dass die Bundesregierung die drastischen Warnungen der Bundesbank so nonchalant in den Wind schlagen kann. Die Bundesbank zeigt, dass der Lebensversicherung eine Existenzkrise droht, wenn sie nicht konsequent ihre Eigenkapitalpuffer erhöht und ihre Gewinne vollständig thesauriert. Die Bundesregierung erlaubt den Unternehmen aber immer noch, ihre Gewinne auszuschütten. Wir wollen nicht sehenden Auges in die nächste milliardenschwere staatliche Rettungsaktion schlittern. Wir müssen die Versicherungsbranche daher robuster machen und dafür sorgen, dass die Versicherungsunternehmen scheitern können, ohne dass sich die private Altersvorsorge der Versicherten in Luft auflöst. Während Banken ihr Eigenkapital wenigstens in Prozent messen und im Durchschnitt immerhin fast 5% Eigenkapital in ihrer Bilanz ausweisen, geben die Versicherer ihr Eigenkapital in Promille an, so unterkapitalisiert sind sie. Viele Versicherer haben weniger als 1% Eigenkapital. 1,5% ist der Branchendurchschnitt. Auch festverzinsliche Wertpapiere unterliegen aber hohen Kursschwankungen. Wenn die Zinsen wieder auf ein normales Niveau ansteigen, können die Anlagen der Versicherer zweistellige Verluste verbuchen. 49 Grüne Agenda für krisenfeste, verbraucher- und investitionsfreundliche Finanzmärkte Gerhard Schick/Sven Giegold/Udo Philipp I Februar 2016 Solvency II früher einführen und verschärfen Solvency II heißt das europäische Regelwerk, das mit der schlechten Kapitalisierung der Versicherungsindustrie aufräumen wollte. Leider hat sich hier Lobbyarbeit – insbesondere vom deutschen Versichererverband GDV – einmal wieder bezahlt gemacht. Die Richtlinie ist löchrig wie ein Schweizer Käse. In ihrer Konzeption entstammt sie der Philosophie des überkomplexen Bankenregelwerks Basel II, das den Banken erlaubt hatte, ihre Risiken selber zu berechnen. Auch Solvency baut auf diese internen Risikomodelle und auf zu hohe Komplexität. Ein großes Problem ist die Höhe der vertraglichen Garantieverpflichtungen. Derzeit erlauben die deutschen Bilanzierungsvorschriften den Versicherern diese mit viel zu niedrigen Werten zu bilanzieren. Dies liegt daran, dass eine realistische Bewertung leicht dazu führen würde, dass die Versicherer aufgrund von Überschuldung insolvent wären. Die Übergangsfristen zu den etwas realistischeren Werten aus Solvency II sind mit 15 Jahren absurd lang. Vor allem, weil sich auch bei Solvency II noch das Prinzip Hoffnung durchgesetzt hat. Die Regulierung baut darauf, dass in Zukunft der Zins für risikolose Anlagen wieder von derzeit etwa 0,5% auf 4,2% steigen wird. Sollte der Zins niedriger bleiben, sind die Garantieverpflichtungen weiterhin zu niedrig bilanziert und die Versicherer hätten nicht ausreichend Vermögen, um sie zu bedienen. Außerdem wurden den Kapitallebensversicherern auf europäischer Ebene gegen jahrelangen Grünen Widerstand noch eine Reihe willkürlicher Optionen eingeräumt, mit denen sie ihre Kapitalanforderungen kleinrechnen können. Um Versicherer wirklich robuster zu machen, wollen wir sie verpflichten, deutlich mehr Eigenkapital einzusetzen. Lange Übergangsfristen sind dabei völlig fehl am Platz, schließlich zeigt die Bundesbank, dass 80% der Unternehmen schon in den nächsten Jahren insolvent werden, wenn sie nicht substanziell Eigenkapital aufbauen und Kosten reduzieren. Diese Analysen dürfen nicht 50 Kapitel 3 Die Finanzindustrie stärker an der Realwirtschaft ausrichten und kundenfreundlicher machen folgenlos bleiben. Ein Geschäftsmodell, das Kunden über Jahrzehnte laufende Garantien verspricht, und zusätzlich den Kunden feste und jederzeit realisierbare Rückkaufswerte gestattet, lässt sich nur mit einem hohen Eigenkapitalpuffer betreiben, wenn nicht im Krisenfall der Staat zur Haftung herangezogen werden soll. Wir wollen daher die zu langen Übergangsregeln von Solvency II deutlich verkürzen, die diversen Extrawürste bei den Kapitalanforderungen streichen und wir wollen den Langfristzins zur Berechnung der Rückstellungen von derzeit 4,3% auf ein deutlich niedrigeres realistisches Niveau absenken. Kundenguthaben besser schützen Versicherer müssen aber auch scheitern können, ohne dass es eine einseitige Kürzung bei den Kund*innen gibt. Das wichtigste hierbei ist ein konsequentes Haftungsverfahren für die privaten Kapitalgeber. Heute werden die Kund*innen werden mit einer garantierten Verzinsung gelockt, ohne sie darauf hinzuweisen, dass die Garantie in guten Zeiten erhebliche Rendite kostet und in schlechten Zeiten völlig wertlos ist. Mit Paragraph 89 VAG und Paragraph 163 VVG hat der Gesetzgeber den Versicherern die Möglichkeit gegeben, in schlechten Zeiten einfach die Leistungen der Versicherten zu kürzen. Wir wollen vor allem dafür sorgen, dass die Lebensversicherer in Zukunft echtes Eigenkapital nutzen. Momentan besteht der mit Abstand größte Teil des aufsichtsrechtlich zu den Eigenmitteln gerechnetem Kapital aus Geldern, die den Kund*innen gehören, diesen aber noch nicht individuell zugeschrieben wurden (sogenannte freie RfB). Diese Kundenmittel sind eigentlich dazu gedacht, die Erträge in einer vorübergehenden Niedrigzinsphase zu glätten. Dadurch, dass sie von den Unternehmen mit Billigung der BaFin als Eigenkapitalersatz genutzt werden dürfen, stehen sie den Kund*innen nicht mehr in schlechten Zeiten als Puffer zur Verfügung. In Zukunft soll das Haftungsprinzip wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. In der Krise dürfen Kundenansprüche nicht mehr herabgesetzt werden, bevor nicht zunächst die Aktionäre und alle Fremdkapitalgeber zur Haftung herangezogen wurden. Proaktive Aufsicht Wir wollen vor allem eine proaktive Aufsicht einführen. Die von der Bundesbank jüngst durchgeführten Prognoserechnungen, die verschiedene Zinsszenarien simuliert haben, sollen in Zukunft obligatorisch werden. Wenn sich daraus Solvenzschwierigkeiten ablesen lassen, wollen wir nicht zulassen, dass die Eigentümer der Versicherungsgesellschaften weiterhin durch Gewinnausschüttungen, überhöhe Gehälter oder durch teuer verzinste Gesellschafterdarlehen Substanz aus den Unternehmen abziehen. Wenn die Gewinnthesaurierung nicht ausreicht, um die prognostizierten Solvenzprobleme zu beheben, wollen wir die Unternehmen zu rechtzeitiger externer Kapitalerhöhung verpflichten. sollten direkt von EIOPA beaufsichtigt werden, wie es das Europaparlament mit Grüner Unterstützung gefordert hat. Dazu gehört auch ein europäisches Abwicklungsregime für Großversicherer, wie es die EU-Kommission bereits in Planung hat, aber in der Schublade lässt. Dabei werden wir darauf drängen, dass die Kundenguthaben geschützt bleiben und auf den Sicherungsfonds übertragen werden, während die Unternehmen geordnet abgewickelt werden. Wir werden auch die Regeln des Sicherungsfonds der Versicherungsindustrie (des sogenannten Protektor) ändern. Das Volumen des Fonds reicht nicht, um eine größere Versicherung oder mehrere mittlere Versicherer aufzufangen. Wir wollen daher eine europäische Rückversicherungspflicht einführen. Sollte diese auch nicht ausreichen, um die Kundenguthaben in einer Krise zu garantieren, wollen wir dem Sicherungsfonds die Möglichkeit geben, sich zu verschulden und die Schulden durch eine Nachschusspflicht der Versicherungswirtschaft abzutragen. Derzeit gibt es zwar eine minimale Nachschusspflicht, diese ist aber zu gering dimensioniert und greift nur, wenn zuerst die Guthaben der Kund*innen reduziert wurden. Wir wollen daher die Nachschusspflicht für den Sicherungsfonds erhöhen und nicht mehr an eine vorherige Enteignung der Kundenguthaben knüpfen. Wir wollen dem Sicherungsfonds in Zusammenarbeit mit der BaFin ermöglichen, die Beiträge zu dem Fonds nach Risiken zu differenzieren. Analog zur Bankenunion braucht Europa für die Branchengrößen unter den Versicherungen eine Versicherungsunion. Die größten Versicherer 51