I Symmetrien in der Quantenmechanik

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I
Symmetrien in der
Quantenmechanik
1
Symmetrien in der klassischen Physik
Symmetrien spielen in der Physik eine fundamentale Rolle. Die Kenntnis der
Symmetrien in gegebenen Problemen vereinfacht deren Lösung oft beträchtlich.
Wir verdeutlichen dies an drei wichtigen Beispielen aus der klassischen Physik.
Homogenität des Raumes
Wir nehmen an, dass der Raum homogen sei, d. h. an allen
Orten r die gleiche Struktur habe. Das ist gleichbedeutend mit der Annahme, dass die Lösung eines gegebenen
physikalischen Problems invariant unter Translationen
ist, weil in diesem Fall die Umgebung eines beliebigen
Punktes durch eine Verschiebung einer ähnlichen Umgebung irgendeines anderen Punktes hervorgehen muss
(siehe Abb. 1.1).
Diese Translationsinvarianz impliziert nun die Erhaltung
des Impulses für ein abgeschlossenes System. Wir definieren hier die Homogenität des Raumes wie folgt, dass
sich die Lagrange-Funktion L(ri ,r˙ i , t) eines Teilchensystems nicht ändert, wenn die Teilchenkoordinatenri durch
ri + a bei willkürlichem konstantem a ersetzt werden.
(Ein allgemeineres Konzept der Homogenität des Raumes
würde nur die Invarianz der Bewegungsgleichungen unter
räumlichen Translationen erfordern. In diesem Fall kann
wiederum die Existenz einer Erhaltungsgröße gefolgert
werden, aber diese ist nicht notwendig gleich dem kanonischen Impuls. Eine ausführliche Diskussion dieses
Aspekts findet man in Beispiel 1.1 und Aufgabe 1.4.)
Daher muss
∂L
∂L
δL = ∑
· δri = a · ∑
=0
∂
r
∂
i
i
i ri
gelten. Weil a beliebig gewählt werden kann, folgt daraus
∂L
∂L
∂L
∂L
∑ ∂ri = 0 = ∑ ∂xi , ∑ ∂yi , ∑ ∂zi .
i
i
i
i
y
P
a1
a2
P1
x
P2
Abb. 1.1 Homogenität oder
Translationsinvarianz des Raumes
bedeutet, dass die Umgebung von P
aus der irgendeines anderen Punktes
(z. B. P1 , P2 , . . .) durch Verschiebungen (a1 , a2 , . . .) hervorgeht.
(1.1)
(1.2)
2
I Symmetrien in der Quantenmechanik
In diesen Gleichungen haben wir mit
∂L
∂L ∂L ∂L
=
, ,
∂ri
∂xi ∂yi ∂zi
den Gradienten von L bezüglich ri abgekürzt. Aus den Euler-Lagrange-Gleichungen
d ∂L
∂L
−
= 0, usw.
dt ∂ẋi ∂xi
folgt nun wegen (1.2) sofort
d
d
∂L
= Px = 0, daher Px = const.
dt ∑
∂
ẋ
dt
i
i
Hier haben wir die Relation ∂L/∂ẋi = Pxi für den kanonischen Impuls und
∑i Pxi = Px benutzt. Px ist die x-Komponente des Gesamtimpulses
∑ Pxi , ∑ Pyi , ∑ Pzi
P =
i
i
i
= ∑ Pi .
(1.3)
i
Das ist der Impulserhaltungssatz der klassischen Mechanik. In der nichtrelativistischen Physik ermöglicht er die Definition des Schwerpunkts, denn er muss in allen
Inertialsystemen gelten, weil in allen diesen der Raum gleichermaßen homogen
ist. Im System K sei P = ∑i mivi der Gesamtimpuls. Dann ist er im System K , das
sich mit der Geschwindigkeit v gegen K bewegt, gegeben durch
P = ∑ mivi = ∑ mi (vi − v) = P − v ∑ mi ,
i
i
i
vi
= vi − v gilt. Das Schwerpunktsystem ist
weil im nichtrelativistischen Fall
definiert durch die Bedingung, dass der Gesamtimpuls P verschwindet. Es bewegt
sich in K mit der Geschwindigkeit
P
vS =
= ∑ mivi
(1.4)
∑ mi
∑ mi
i
i
i
dri
= ∑ mi
dt
i
wobei
R =
∑
miri
∑ mi
i
i
d
=
dt
∑ miri
i
∑ mi
i
≡
dR
,
dt
∑ mi
(1.5)
i
die Koordinate des nichtrelativistischen Schwerpunkts ist.
Homogenität der Zeit
Der Homogenität des Raumes steht die Homogenität der Zeit an Bedeutung nicht
nach. Sie besagt, dass die Naturgesetze abgeschlossener Systeme in Bezug auf
Zeittranslationen, d. h. zur Zeit t + t0 die gleiche Form haben wie zur Zeit t. Dies
1 Symmetrien in der klassischen Physik
3
wird mathematisch dadurch ausgedrückt, dass die Lagrange-Funktion nicht explizit
von der Zeit abhängt, d. h.
L = L(qi , q̇i ).
(1.6)
Dann folgt
∂L
∂L
dL
q̇i + ∑
q̈i .
(1.7)
=∑
dt
∂
q
∂
q̇i
i
i
i
[Anmerkung: Falls L explizit von der Zeit t abhängt, so kommt auf der rechten
Seite von (1.7) noch der Term ∂L/∂t hinzu.] Unter Benutzung der Euler-LagrangeGleichungen
∂L
d ∂L
−
=0
dt ∂q̇i ∂qi
erhält man
dL
d ∂L
∂L
d
∂L
= ∑ q̇i
q̇i
,
+
q̈i = ∑
dt
dt ∂q̇i ∑
∂q̇i
i
i ∂q̇i
i dt
oder
d
dt
∂L
∑ q̇i ∂q̇i − L
= 0.
(1.8)
i
Das drückt die Erhaltung der Größe
∂L
E ≡ ∑ q̇i
− L = ∑ q̇i π i − L = H
∂
q̇i
i
i
(1.9)
aus, welche die Gesamtenergie (Hamilton-Funktion H) darstellt. Die Größen
π i = ∂L/∂q̇i sind die kanonischen Impulse. Da die Energie (1.9) linear in L ist, ist
sie additiv. Das heißt für zwei Systeme, die durch L1 bzw. L2 beschrieben werden,
ist die Energie E = E1 + E2 . Das gilt, solange keine Wechselwirkung L12 zwischen
beiden Systemen existiert, d. h. wenn L1 und L2 von unterschiedlichen dynamischen Variablen qi1 und qi2 abhängen. Der Energieerhaltungssatz gilt nicht nur
für abgeschlossene Systeme, sondern auch in einem beliebigen zeitunabhängigen
äußeren Feld, weil dann L immer noch unabhängig von der Zeit ist. Dies war
aber die einzige vorausgesetzte Eigenschaft von L, die zur Energieerhaltung (1.9)
führte. Solche Systeme, deren Gesamtenergie erhalten (konserviert) ist, werden als
konservative Systeme bezeichnet.
Isotropie des Raumes
Die Isotropie des Raumes bedeutet, dass der Raum in allen Richtungen gleich
beschaffen ist (siehe Abb. 1.2). Mit anderen Worten: Die mechanischen Eigenschaften eines abgeschlossenen Systems ändern sich nicht, wenn das gesamte
System beliebig im Raum gedreht wird. Das bedeutet, dass die Lagrange-Funktion
invariant unter Rotationen ist. Wir betrachten nun infinitesimale Rotationen (siehe
Abb. 1.3)
δ φ = {δ φ x ,δ φ y ,δ φ z }.
(1.10)
4
I Symmetrien in der Quantenmechanik
Der Betrag δ φ charakterisiert die Größe des Drehwinkels, und die Richtung δ φ /δ φ definiert die Drehachse.
Der Radiusvektorr ändert sich unter der Rotation δ φ um
δr. Es ist
z
δ r = |δr| = r sin θ δ φ ,
e
y
und die Richtung von δr ist senkrecht zu der von δ φ und
r aufgespannten Ebene. Daher gilt
δr = δ φ ×r.
(1.11)
x
Abb. 1.2 Der isotrope Raum ist
in jeder Richtung von e gleich
beschaffen.
Bei der Rotation des Systems ändern sich nicht nur die
Ortsvektoren ri , sondern auch die Teilchengeschwindigkeiten vi ; sie ändern ihre Richtung. Überhaupt ändern
sich dabei alle Vektoren in gleicher Weise. Die Geschwindigkeitsänderungen δ vi sind gegeben durch
δ vi = δ φ × vi .
df
df
(1.12)
Da sich unter der infinitesimalen Rotation die LagrangeFunktion nicht ändern soll, gilt
∂L
∂L
δL = ∑
· δri +
· δ vi = 0.
(1.13)
∂ri
∂vi
i
dr
(dA)
Die kanonischen Impulse sind
∂L
∂L ∂L ∂L
π i =
=
,
,
,
∂vi
∂vix ∂viy ∂viz
r
q
(A)
0
Abb. 1.3 Zur Beschreibung einer
infinitesimalen Rotation des Ortsvektors r und eines beliebigen
A.
Vektors und nach den Euler-Lagrange-Gleichungen gilt
d ∂L
∂L
π˙ i =
=
.
dt ∂vi
∂ri
Nach entsprechender Substitution dieser Größen unter Berücksichtigung von (1.11)
und (1.12) geht Gl. (1.13) über in
∑ π˙ i · (δ φ ×ri ) +π i · (δ φ × vi )
i
d
= δ φ · ∑ ri ×π˙ i + vi ×π i = δ φ ·
dt
i
∑ri ×π i
(1.14)
= 0.
i
Da
L = ∑ri ×π i
(1.15)
i
der klassische Drehimpuls ist und der infinitesimale Drehvektor δ φ beliebig ist,
folgt
dL
= 0,
dt
(1.16)
1 Symmetrien in der klassischen Physik
5
also
L = const.
Da sich die Summe in (1.15) über alle Teilchen erstreckt, ist der Drehimpuls –
wie der in (1.3) notierte Impuls – additiv, d. h. bei weiteren hinzukommenden
Teilchen addieren sich deren Beiträge zum Gesamtdrehimpuls entsprechend (1.15).
Das gilt unabhängig davon, ob diese hinzukommenden Teilchen mit den bereits
vorhandenen wechselwirken oder nicht.
Wir vertiefen das Gesagte durch die folgenden beiden Aufgaben:
Drehimpulse in unterschiedlichen Bezugssystemen
Aufgabe 1.1
Problemstellung:
a) Wie lautet die Beziehung zwischen den Drehimpulsen in zwei Bezugssystemen, die sich
zueinander in Ruhe befinden und deren Nullpunkte den Abstand a voneinander haben?
b) Wie lautet die Beziehung zwischen den Drehimpulsen in zwei Inertialsystemen K und
K , die sich mit der Geschwindigkeit V gegeneinander bewegen?
Lösung:
a) Wir betrachten ein System von Teilchen mit den Ortsvektoren ri in einem Koordinatensystem, und den Ortsvektoren ri in einem anderen System. Da die Ursprünge der
Koordinatensysteme um a gegeneinander verschoben sind, gilt:
ri = ri + a.
(1)
Der Gesamtdrehimpuls des Systems ist
L = ∑ri × pi .
(2)
i
Setzt man (1) in (2) ein, so folgt
L = ∑ri × pi = ∑ri × pi + a × ∑ pi .
i
i
(3)
i
Nun ist ∑iri × pi = L , da sich der Impuls eines Teilchens beim Übergang zwischen
relativ zueinander ruhenden Systemen nicht ändert, und ∑i pi = P ist der Gesamtimpuls
des Systems; also
L = L + a × P.
(4)
Der Gesamtdrehimpuls setzt sich zusammen aus dem inneren Gesamtdrehimpuls und
dem Drehimpuls des Systems als Ganzes um den Koordinatenursprung im Abstand |a|.
L = L gilt nur, wenn P parallel zu a (oder wenn P = 0) ist, d. h. wenn sich das System
als Ganzes in der Richtung der Translation bewegt. Dennoch ist auch im allgemeinen
Fall (4) der Drehimpuls des Systems eine Erhaltungsgröße, weil der lineare Impuls P
ebenfalls erhalten ist!
b) Wir betrachten K und K zu dem Zeitpunkt, in dem die Koordinatenursprünge zusammenfallen, d. h. ri = ri . Die Geschwindigkeiten sind vi = vi + V ; daher
L = ∑ miri × vi = ∑ miri × vi + ∑ miri × V .
i
i
i
(5)
6
I Symmetrien in der Quantenmechanik
Wegen ri = ri gilt L = ∑i miri × vi , und der Ortsvektor des Schwerpunkts ist
1
R = ∑ miri
∑ mi = M ∑ miri ,
i
i
i
wobei M die Gesamtmasse des Systems ist. Damit ergibt Gl. (5)
L = L + M(R × V ).
(6)
Ruht das Teilchensystem im Bezugssystem K , so ist V die Geschwindigkeit des Massenschwerpunkts, und P = MV ist der Gesamtimpuls des Systems bezüglich K, d. h.
L = L + R × P = L +LS . Das bedeutet: der Drehimpuls setzt sich aus dem Drehimpuls
L im Ruhesystem und dem Drehimpuls des Schwerpunkts LS zusammen.
Aufgabe 1.1
Erhaltungsgrößen bestimmter Felder
Aufgabe 1.2
Problemstellung:
Welche Komponenten des Impulses P und des Drehimpulses L bleiben bei der Bewegung
in folgenden Feldern erhalten?
a)
b)
c)
d)
e)
f)
g)
h)
Feld einer unendlichen homogenen Ebene,
Feld eines unendlichen homogenen Kreiszylinders,
Feld eines unendlichen homogenen Prismas,
Feld von zwei Punkten,
Feld einer unendlichen homogenen Halbebene,
Feld eines homogenen Kegels,
Feld eines homogenen Kreisringes,
Feld einer unendlichen homogenen Schraubenlinie.
Lösung:
Die Projektionen des Impulses und des Drehimpulses auf eine Symmetrieachse des gegebenen Feldes bleiben erhalten, da die mechanischen Eigenschaften (Lagrange-Funktion
und Bewegungsgleichungen) bei einer Translation entlang dieser Achse bzw. einer Drehung
um die Achse nicht verändert werden. Für die Drehimpulskomponente gilt dies nur dann,
wenn der Drehimpuls in Bezug auf das Zentrum des Feldes definiert ist und nicht in
Bezug auf einen beliebigen Raumpunkt. Der Impuls bzw. eine Impulskomponente bleibt
im Sinne der Lagrange-Mechanik genau dann erhalten, wenn das Potential des Feldes von
der entsprechenden generalisierten Koordinate nicht abhängt.
a) Feld einer unendlichen homogenen Ebene. Wir wählen die xy-Ebene. Wegen der
Translationsinvarianz in der Ebene hängt das Potential nicht von x und y ab, so dass
px und py erhalten sind. Weiterhin ändert sich die Lagrange-Funktion nicht bei einer
Drehung um die z-Achse, d. h. Lz ist erhalten.
b) Feld eines unendlichen homogenen Kreiszylinders. Wegen der unendlichen Ausdehnung ändert sich das Potential nicht bei einer Translation entlang der Zylinderachse (zAchse); d. h. pz ist erhalten. Weiterhin besteht Rotationssymmetrie um die z-Achse, d. h.
Lz ist erhalten.
c) Feld eines unendlichen homogenen Prismas (Kanten parallel zur z-Achse). Wie in
Punkt b) ist pz erhalten. Es besteht aber keine Rotationssymmetrie um die z-Achse mehr,
d. h. Lz ist nicht erhalten.
1 Symmetrien in der klassischen Physik
7
d) Feld von zwei Punkten (Punkte auf der z-Achse). Hier besteht nur Rotationssymmetrie
um die z-Achse. Einzige Erhaltungsgröße ist Lz .
e) Unendliche homogene Halbebene. Wir wählen wieder die xy-Ebene, die nun durch Begrenzung durch die y-Achse zur Halbebene wird. Hier besteht nur Translationsinvarianz
entlang der y-Achse, d. h. py ist erhalten.
f) Homogener Kegel (z-Achse = Kegelachse). Rotationssymmetrie um die z-Achse: Lz ist
erhalten.
g) Homogener Kreisring (z-Achse = Achse des Kreisringes). Wiederum Rotationssymmetrie um die z-Achse; Lz ist erhalten.
h) Unendliche homogene Schraubenlinie (z-Achse = Achse der Schraubenlinie). Das
Potential (Lagrange-Funktion) ändert sich nicht bei einer Drehung um δ φ um die
z-Achse, wenn man sich gleichzeitig längs der z-Achse um δ z bewegt. Beträgt die
Ganghöhe der Schraubenlinie h (bei einer Drehung der Schraubenlinie um 2π ist die
Änderung in z-Richtung gleich h), dann erhält eine Translation um δ z = (h/2π )δ φ
bei gleichzeitiger Drehung um δ φ gerade die Symmetrie des Potentials; demzufolge
verschwindet die Änderung der Lagrange-Funktion:
δL = 0 =
∂L
∂L
δz+
δφ.
∂z
∂φ
(1)
Nun gilt
d
∂L
pz =
dt
∂z
und
d
∂L
Lz =
,
dt
∂φ
und damit:
d
h
pz
+ Lz δ φ = 0.
dt
2π
Für beliebige δ φ folgt damit
d
h
+ Lz = 0,
pz
dt
2π
und daher
pz
h
+ Lz
2π
= const.,
d. h. für die Schraubenlinie bleibt eine bestimmte Linearkombination von pz und Lz
erhalten.
Ebenso wie in der klassischen Mechanik spielen die Homogenität von Raum und
Zeit und die Isotropie des Raumes auch in der Quantenmechanik eine wichtige
Rolle. In quantenmechanischen Systemen existieren aber auch noch andere Symmetrien. Wir wollen daher eine einheitliche Betrachtung der Symmetrieeigenschaften entwickeln. Außerdem unterscheiden wir geometrische Symmetrien – die mit
der Invarianz des Systems gegen Translationen und Spiegelungen in Raum und Zeit
und unter Rotationen zusammenhängen – von dynamischen Symmetrien, die oft die
Ursache für unerwartete Entartungen von Energieniveaus (etwa des Wasserstoffatoms oder des isotropen harmonischen Oszillators) sind. Darüber hinaus müssen
wir noch andere Symmetrien in verschiedenen Disziplinen der Physik erwähnen
Aufgabe 1.2
8
I Symmetrien in der Quantenmechanik
(z. B. die Symmetrien der speziellen Relativitätstheorie 1) ). Wir behandeln meist
nur das Einteilchenproblem (oder das nichtrelativistische Zweiteilchenproblem
im Schwerpunktsystem, das dem Einteilchenproblem äquivalent ist). Die meisten Ergebnisse können jedoch ohne Schwierigkeiten auf das Problem mehrerer
wechselwirkender Teilchen übertragen werden, solange die zugrundeliegenden
Symmetrien für alle Teilchen gleichermaßen gelten.
Das Noether’sche Theorem (zur Vertiefung)
Beispiel 1.1
Das Noether’sche Theorem, das wir hier beweisen wollen, besagt Folgendes:
Noether, E.
(1882–1935) Wenn die Euler-Lagrange-Bewegungsgleichungen invariant unter einer Koordinatentrans→ unten formation t, q → t (t), q (q, t) sind, so resultiert daraus die Existenz eines Integrals der
Bewegung, also einer Erhaltungsgröße.
˙ t) der Koordinaten q (i = 1, . . . , l) und der Zeit
Gegeben sei eine Lagrange-Funktion L(q,q,
i
t. Wir führen nun neue Koordinaten t , q ein durch die Definitionen
t := t (t), qi := qi (q, t).
(1)
Diese Transformation soll umkehrbar eindeutig sein. Wir können schreiben
t := t + δ t(t),
qi := qi + δ qi (q, t).
(2)
˙
˙
Die Funktionen δ t und δ qi sind zunächst beliebig. Die Geschwindigkeiten q,q sind
gegeben durch
d
d
q̇i := qi , q̇i := qi .
dt
dt
Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Größen ist
d
d dt
d
dt
q̇i = qi = qi = (qi + δ qi ) dt
dt dt
dt
dt
d
1
= q̇i + δ qi
δ t,
(3)
dt
1 + (d/dt)
wobei wir
1
dt
1
=
(3 )
= dt dt /dt
1 + (d/dt)δ t
benutzt haben. Für infinitesimale Transformationen wird das zu
d
d
δ q̇i := q̇i − q̇i = δ qi − q̇i δ t.
(4)
dt
dt
1)
Eine ausführliche Darstellung findet man bei Walter Greiner: Relativistische Quantenmechanik –
Wellengleichungen (Harri Deutsch, Frankfurt am Main, 1987).
E MMY N OETHER
Erlangen 23.3.1882, † Bryn Mawr 14.4.1935. Emmy Noether studierte in Göttingen und Erlangen. In
Göttingen wurde sie 1922 a. o. Professor. Nach ihrer Emigration 1933 in die USA erhielt sie dort eine Gastprofessur am kleinen College von Bryn Mawr. Emmy Noether hat durch ihre Arbeiten die verschiedenen
Gebiete der Algebra zutiefst beeinflusst. Ihr ist es zuzuschreiben, dass das strukturtheoretische Denken zu
einem beherrschenden Zug der modernen Mathematik geworden ist.
1 Symmetrien in der klassischen Physik
9
Beispiel 1.1 Die Physik darf sich durch die Koordinatentransformation nicht ändern, d. h. die Wirkung
muss invariant bleiben:
t2
S(t1 , t2 ) :=
˙ t)dt = S (t ,t )
L(q(t),q(t),
1 2
t1
t (t2 )
L (q (t ),q˙ (t ), t ) dt .
:=
t (t1 )
Um dies zu erreichen, muss gelten:
˙ q ,q˙ , t ), t(t ) dt .
L (q ,q˙ , t ) := L q(q , t ), q(
(5)
dt Wenn die Bewegungsgleichungen unter dieser Koordinatentransformation forminvariant
sind, nennt man diese Transformation eine Symmetrietransformation. Im einfachsten Fall
bleibt die Lagrange-Funktion selbst invariant, d. h.
L (q ,q˙ , t ) = L(q ,q˙ , t ),
dies ist aber nicht notwendig. Es genügt, dass gilt
d
L (q ,q˙ , t ) = L(q ,q˙ , t ) + Ω (q , t ),
(6)
dt
mit anderen Worten, dass sich die beiden Lagrange-Funktionen nur um eine totale Zeitableitung voneinander unterscheiden. Es ist leicht zu zeigen, dass für L̄ = d[Ω (q, t)]/dt die
Bewegungsgleichungen
d ∂L̄
∂L̄
d ∂
∂Ω
∂Ω
∂
∂Ω
∂Ω
−
=
q̇ j +
−
∑ ∂q j q̇ j + ∂t
dt ∂q̇i
∂qi
dt ∂q̇i ∑
∂t
∂qi
j ∂q j
j
2
2
d ∂Ω
∂ Ω
∂ Ω
=
− ∑
q̇ j +
dt ∂qi
∂
q
∂
q
∂
t ∂qi
i
j
j
∂2 Ω
∂2 Ω
∂2 Ω
∂2 Ω
q̇ j +
− ∑
q̇ j +
=∑
∂t ∂qi
∂t ∂qi
j ∂qi ∂q j
j ∂qi ∂q j
= 0,
also identisch erfüllt sind. Durch Einsetzen von (5) in (6) erhalten wir
dt
d
L q(q , t ), . . . , t(t ) = L(q ,q˙ , t ) + Ω (q , t ),
dt
dt
und nach Rückkehr zu den alten Koordinaten
˙ t) = L(q (q, t), q˙ (q,q,
˙ t), t (t)) dt + d Ω (q (q, t), t (t)),
L(q,q,
dt
dt
was mit (2) bzw. (3 ) die Gleichung
˙ t) − L(q (q, t), . . . , t (t)) =L(q (q, t), . . .)
L(q,q,
+
d
δt
dt
d
Ω (q (q, t), t (t))
dt
(7)
10
I Symmetrien in der Quantenmechanik
ergibt. Ist die Transformation kontinuierlich, so genügt es, in (2) infinitesimale Transformationen zu betrachten. Dann kann (7) (in erster Ordnung) als
˙ t + δ t)
˙ t) − L(q + δ q, q˙ + δ q,
−δ L := L(q,q,
˙ t) d δ t + d Ω (q + δ q, t + δ t)
= L(q,q,
dt
dt
geschrieben werden. Wählen wir speziell δ q, δ t = 0, so ist q = q , t = t und wegen (6)
folgt dann, dass d[Ω (q, t)]/dt = 0. Wir können dies benutzen, um (−δ L) in
d
d
δt +
Ω (q + δ q, t + δ t) − Ω (q, t)
dt
dt
d
d
= L δ t + δ Ω (q, t).
dt
dt
−δ L = L
(8)
umzuschreiben. Setzt man nun
∂L
∂L
∂L
δ qi +
δ q̇i −
δt
−δ L = − ∑
∂
q
∂
q̇
∂t
i
i
i
(9)
in (8) ein, dann ist wegen (4)
∑
i
∂L
∂qi
=−
+
∂L d
∂q̇i dt
δ qi +
∂L
∂t
δt +
L−∑
∂L
i ∂q̇i
q̇i
d
δ Ω (q,t)
dt
d
δt
dt
(10)
für beliebige q, t die Bedingung dafür, dass ein durch L beschriebenes mechanisches System
unter der infinitesimalen Symmetrietransformation (2) invariant bleibt. Ist insbesondere
δ Ω = 0, d(δ t)/dt = 0, so ist δ L = 0, und die Lagrange-Funktion selbst ist invariant gegenüber der Transformation. Ist die Bedingung (10) erfüllt, so folgt unter Berücksichtigung
der Bewegungsgleichungen ∂L/∂qi = d(∂L/∂q̇i )/dt:
∂L
∂L
d
δ qi + L − ∑
q̇i δ t + δ Ω
dt ∑
i ∂q̇i
i ∂q̇i
∂L
∂L d
∂L
∂L
∂L
∂L
δ qi +
δ qi +
q̇i +
q̈i −
q̇i −
q̈i δ t
= ∑
∂qi
∂q̇i dt
∂qi
∂q̇i
∂qi
∂q̇i
i
∂L
∂L
d
d
+ δt + L − ∑
q̇i
δ t + δ Ω = 0,
∂t
∂
q̇
dt
dt
i
i
d. h. die Größe
∂L
∑ ∂q̇i δ qi +
i
L−∑
∂L
i ∂q̇i
q̇i
δ t + δ Ω = const.
ist ein Integral der Bewegung (eine Erhaltungsgröße).
Beispiel 1.1
(11)
1 Symmetrien in der klassischen Physik
11
Zeit-invariante Bewegungsgleichungen: Lagrange-Funktion und Erhaltungsgrößen
Aufgabe 1.3
Problemstellung:
˙ t) genügen und welche ErhaltungsWelcher Bedingung muss die Lagrange-Funktion L(q,q,
größen kann man finden, wenn die Bewegungsgleichungen gegen Zeittranslationen invariant
sind?
Lösung:
Eine Zeittranslation wird durch die Koordinatentransformation δ q = δ q̇ = 0, δ t(t) =
δ τ = const. parametrisiert, und die Bedingung [Beispiel 1.1, Gl. (10)] lautet
∂L
d
δΩ.
(1)
dt
Ist L nicht explizit zeitabhängig, so ist δ Ω = 0, und die Lagrange-Funktion selbst ist
zeittranslationsinvariant. Die zugehörige Erhaltungsgröße [Beispiel 1.1, Gl. (11)] ist die
Gesamtenergie,
∂L
q̇i .
(2)
E =L−∑
i ∂q̇i
∂t
δτ = −
Ist die kinetische Energie T in L = T − V explizit zeitunabhängig und ein zeitabhängiges
Potential V vorhanden, dann müsste ein δ Ω so gefunden werden, dass
∂V
∂t
=
1 d
δ τ dt
δΩ
(3)
gilt. Dies ist i. Allg. nicht möglich, weil ∂V /∂t ja keine totale Zeitableitung zu sein braucht.
Aufgabe 1.3
Bedingungen für Translations-, Rotations- und Galilei-Invarianz
Aufgabe 1.4
Problemstellung:
Gegeben sei die Lagrange-Funktion (in kartesischen Koordinaten)
1 ˙2
mr − V (r).
2
Untersuchen Sie die folgenden Transformationen:
L=
(1)
a) räumliche Translationen,
δ x1 = δ x2 = 0,
δ x3 = const.,
δ t = 0;
(2a)
b) räumliche Drehungen,
δ x1 = −δ φ x2 ,
δ t = 0,
δ x2 = +δ φ x1 ,
δ x3 = 0,
(δ φ = const.);
(2b)
c) Galilei-Transformationen,
δ x1 = δ x2 = 0,
δ x3 = δ v3 t,
δ t = 0,
(δ v3 = const.).
(2c)
Unter welchen Bedingungen handelt es sich um Symmetrietransformationen? Welche Erhaltungsgrößen gibt es?
12
I Symmetrien in der Quantenmechanik
Aufgabe 1.4
Lösung:
Für δ t = 0 lautet die Bedingungsgleichung für eine Symmetrietransformation (siehe Beispiel 1.1, Gl. (11))
d
∂L
∂L d
(3)
∑ ∂xi + ∂ẋi dt δ xi = − dt δ Ω (r, t).
i
Die linke Seite muss eine totale Zeitableitung sein. Wenn sich ein solches δ Ω finden lässt,
dann ist (nach dem Noether’schen Theorem – siehe Beispiel 1.1) die Größe
∂L
(4)
∑ ∂ẋi δ xi + δ Ω = const.
i
eine Erhaltungsgröße. In unseren Fällen ist stets
∂L
∂V
∂L
=− ,
= mẋi .
∂xi
∂xi
∂ẋi
a) Die Bedingung für Forminvarianz der Bewegungsgleichungen lautet hier
d
∂V
−
δ x3 = − δ Ω (r, t)
∂x3
dt
∂
∂
δ Ω (r, t)ẋi − δ Ω (r, t).
∂
x
∂
t
i
i
= −∑
(5)
(6)
Die linke Seite enthält kein ẋi ; also muss gelten
∂
∂xi
δ Ω (r, t) = 0
oder
Unsere Bedingung lautet daher
∂V
∂
δ x3 = δ Ω (t).
∂x3
∂t
δ Ω (r, t) = δ Ω (t).
(7)
(8)
Daraus folgt sofort, dass ∂V /∂x3 eine Konstante (unabhängig von x, t) sein muss, und
mit
∂V
δΩ =
δ x3 t
(9)
∂x3
ist die Bewegungsgleichung forminvariant. Nur in diesem Fall ist die Translation eine
Symmetrietransformation. Die Erhaltungsgröße ist dann (siehe (4), nach Kürzen durch
δ x3 )
∂V
mẋ3 +
t = const.
(10)
∂x3
Ist insbesondere die konstante Kraft in der x3 -Richtung gleich null,
∂V
= 0,
(11)
∂x3
so ist die Erhaltungsgröße der Impuls
∂L
p3 =
= mẋ3 .
(12)
∂ẋ3
Da nun δ Ω = 0, ist die Lagrange-Funktion selbst invariant.
Damit haben wir gezeigt, dass die Impulserhaltung aus der räumlichen Translationsinvarianz der Lagrange-Funktion folgt, aber nicht aus der Invarianz der Bewegungsgleichungen gegenüber räumlichen Translationen. In diesem (allgemeineren) Fall ist die
1 Symmetrien in der klassischen Physik
13
Aufgabe 1.4 Erhaltungsgröße
P˜ = p − F t = mr˙ − F t,
(10 )
d. h., der Impuls ist eine lineare Funktion der Zeit. F ist hierbei ein konstantes und homogenes Kraftfeld. Von einer höheren Warte aus gesehen veranschaulicht das konstante
Kraftfeld den Unterschied zwischen lokaler und globaler Homogenität des Raumes.
Der felderfüllte Raum ist lokal homogen, weil kein Punkt des Raumes durch lokale
Messungen von irgendeinem anderen Punkt unterschieden werden kann. Allerdings
muss das Kraftfeld von irgendeiner Quelle erzeugt werden, z. B. von einer entfernten
Masse für ein Gravitationsfeld, oder von weit entfernten Kondensatorplatten im Falle
eines konstanten elektrischen Feldes. Diese Quellenkonfiguration zerstört die globale
Homogenität des Raumes (siehe Abb. 1.4).
F = eE
a
r´
r
Abb. 1.4 Unterschied zwischen lokaler
und globaler Homogenität des Raumes.
Globale Homogenität impliziert Impulserhaltung, während in einem lokal
homogenen Feld der Impuls als eine
lineare Funktion der Zeit anwächst.
b) Hier haben wir
∂L
∂L
d
δ x1 +
δ x2 = − δ Ω (x, t) oder
∂x1
∂x2
dt
d
∂V
∂V
x2 −
x1 δ φ = − δ Ω (x, t).
∂x1
∂x2
dt
Die linke Seite ist im Wesentlichen das Drehmoment um die x3 -Achse,
d
(r × ∇V )3 δ φ = δ Ω (r, t).
dt
Mit dem gleichen Argument wie in Punkt a) schließen wir, dass nur für
(r × ∇V )3 = const.
(13)
(14)
(15)
(16)
die Euler-Lagrange-Gleichungen forminvariant sind. Man sollte sich klar machen: Wenn
(r × ∇V )3 = 0
d
erfüllt ist, dann gilt δ Ω = 0 und daher auch
dt
δ Ω = 0.
(17)
(18)
Die zugehörige Erhaltungsgröße ist
−mẋ1 x2 + mẋ2 x1 = const.
(19)
Das ist gerade die x3 -Komponente des Drehimpulses,
L3 = (r × p)3 = const.
(20)
14
I Symmetrien in der Quantenmechanik
Aus der räumlichen Drehinvarianz der Lagrange-Funktion folgt also die Drehimpulserhaltung.
c) Für Galilei-Transformationen wird Gl. (3) zu
∂L
∂L d
d
+
δ v3 t = − δ Ω oder
∂x3
∂ẋ3 dt
dt
∂V
d
∂δ Ω
∂
−
ẋi − δ Ω .
t + mẋ3 δ v3 = − δ Ω = − ∑
∂x3
dt
∂
x
∂
t
i
i
(21)
(22)
Es muss also gelten
∂
∂x1
δΩ =
∂
∂x2
δ Ω = 0,
∂
∂x3
δ Ω = −mδ v3 ,
und
∂
∂t
δΩ =
∂V
∂x3
δ v3 t.
(23)
Aus den ersten drei Gleichungen folgt
δ Ω = −mx3 δ v3 + f (t)
und aus der vierten schließlich
d f (t)
∂V
δ v3 t.
=
dt
∂x3
Also muss auch hier ∂V /∂x3 = const. gelten. Dann ist
1 ∂V 2
δ Ω = −mx3 +
t δ v3 .
2 ∂x3
(24)
(25)
(26)
Ist L außerdem translationsinvariant (∂V /∂x3 = 0), dann ist die zugehörige Erhaltungsgröße
mẋ3t − mx3 = const.
(27)
oder
P3
t = x3 (0) = const.
m
Das Teilchen bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit.
x3 − ẋ3 t = x3 −
(28)
Aufgabe 1.4
Erhaltungssätze in homogenen elektromagnetischen Feldern
Aufgabe 1.5
Problemstellung:
Leiten Sie die Erhaltungssätze bei Translationssymmetrie her für ein geladenes Teilchen in
a) einem homogenen elektrischen Feld E ,
b) einem homogenen magnetischen Feld B.
Lösung:
Die Lagrange-Funktion eines (nichtrelativistischen) Punktteilchens der Masse m und der
Ladung q in einem elektromagnetischen Feld, das durch das skalare Potential φ und das
1 Symmetrien in der klassischen Physik
15
Aufgabe 1.5 Vektorpotential A beschrieben wird, lautet: 1)
m 2 q
L = x˙ + A · x˙ − qφ .
2
c
Der kanonische Impuls ist
q
∂L
p = ˙ = mx˙ + A.
c
∂x
Die auf das Teilchen wirkende Kraft (Lorentz-Kraft) hat die Komponenten
q ∂A ˙
∂φ
· x − q .
∂xi
c ∂xi
∂xi
Daraus ergeben sich die Bewegungsgleichungen
d ∂L
∂L
−
0=
dt ∂ẋi
∂xi
q ∂Ai
∂Ai
∂A
∂φ
q
= mẍi +
+ ∑ ẋk
− ∑ k ẋk + q
c
∂t
∂
x
c
∂
x
∂
xi
i
k
k
k
1 ∂Ai
∂φ
q
∂Ai
∂A
+
= mẍi + q
+ ∑ ẋk
− k ,
c ∂t
∂xi
c k
∂xk
∂xi
∂L
=
(1)
(2)
(3)
(4)
oder in vektorieller Schreibweise
q
1˙
mx¨ = q − A − ∇φ + x˙ × (∇ × A)
c
c
(5)
q
= q
E + x˙ × B.
c
Wenn sich die verallgemeinerte Kraft ∂L/∂xi als totale Zeitableitung ∂L/∂xi = (d/dt)Gi
eines Vektors G schreiben lässt, so folgt aus den Euler-Lagrange-Gleichungen als Erhaltungssatz
d
d ∂L
∂L
d ∂L
−
=
− Gi = [Pi − Gi ].
(6)
0=
dt ∂ẋi
∂xi
dt ∂ẋi
dt
Hierbei ist Pi der kanonische Impuls.
a) Ein homogenes elektrisches Feld E kann entweder durch das Potential
φ = −
E · x, A = 0
(7a)
oder durch
φ = 0, A = −
E tc
(7b)
beschrieben werden. Die beiden Darstellungen entsprechen verschiedenen Eichungen.
Im ersten Fall können wir schreiben:
∂L
∂φ
d
d
= −q
= +qEi = (+qEi t) = Gi ,
(8a)
∂xi
∂xi
dt
dt
woraus wir den Erhaltungssatz
d
(p − q
E t) = 0
(9a)
dt
1) Siehe
Walter Greiner: Klassische Elektrodynamik (Harri Deutsch, Frankfurt am Main, 2002) oder
J. D. Jackson, Klassische Elektrodynamik (De Gruyter, Berlin, 2002); J. D. Jackson, Classical Electrodynamics (Wiley, New York, 1998).
16
I Symmetrien in der Quantenmechanik
ableiten. In dieser Eichung ist die Erhaltungsgröße nicht gleich dem kanonischen Impuls.
Im zweiten Fall jedoch gilt
∂L ∂xi
=0 → G = 0,
(8b)
und der kanonische Impuls ist erhalten:
d
p = 0.
(9b)
dt
Der scheinbare Widerspruch zwischen (9a) und (9b) kann dadurch erklärt werden, dass
(2) zwei unterschiedliche Ausdrücke für den kanonischen Impuls liefert. Im ersten Fall
ist
˙
p = mx,
(10a)
während im zweiten Fall gilt :
p = mx˙ − qE t.
In beiden Fällen findet man, dass die Größe
Et
mx˙ − q
(10b)
(11)
erhalten ist. Wir lernen daraus, dass die physikalische Bedeutung von Gesetzen, die den
kanonischen Impuls enthalten, bei Anwesenheit äußerer elektromagnetischer Felder von
der gewählten Eichung abhängen kann!
b) Ein homogenes magnetisches Feld B kann z. B. durch das Vektorpotential
A = 1 B × x, φ = 0
2
beschrieben werden. Hier erhalten wir
q
∂L
∂A
= ∑ ẋk k
∂xi
c k
∂xi
q
∂
=
ẋk
∑ ε klmBl xm
2c ∑
∂xi lm
k
=
q
2c
(12)
(13)
∑ ẋk ∑ ε kli Bl ,
k
l
oder in vektorieller Schreibweise
d q
d
∂L
q
x × B = G.
(14)
= x˙ × B =
∂x
2c
dt 2c
dt
Der Erhaltungssatz, welcher der Translationssymmetrie entspricht, lautet also
d q
p − x × B = 0.
(15)
dt
2c
Man beachte, dass in diesem Fall die Erhaltungsgrößen nicht mit den Komponenten des
kanonischen Impulses übereinstimmen. Wegen (2) ist der kanonische Impuls gegeben
durch
q
q
p = mx˙ + B × x = mx˙ − x × B.
(16)
2c
2c
Somit können wir die Erhaltungsgröße durch die Geschwindigkeit ausdrücken:
q
mx˙ − x × B.
(17)
c
Aufgabe 1.5
VIII Quarks und die Gruppe
SU(3)
Im vorigen Kapitel haben wir gezeigt, dass die SU(3)-Symmetrie tatsächlich Multiplettstrukturen ergibt, wie wir sie zuvor empirisch kennengelernt haben (Beispiele
und Aufgaben 41.2–41.2). Es erscheint daher so, als könne diese Gruppe eine neue
fundamentale Symmetrie in der Klassifizierung der Elementarteilchen darstellen.
Natürlich erhebt sich die Frage, ob die SU(3)-Symmetrie auch weitere Multipletts
voraussagen kann, die bisher noch nicht gefunden worden sind.
51
Quarks als kleinste nichttriviale Darstellung
der SU(3)
Auf der Suche nach einer physikalischen Deutung der SU(3) sollten wir die
Implikationen der SU(3)-Darstellung und ihrer Quantenzahlen T3 und Y verstehen.
T -, U- und V -Spin genügen der Drehimpulsalgebra [SU(2)-Lie-Algebra] und sind
Unteralgebren der SU(3). Die folgenden Betrachtungen werden es ermöglichen,
Elementarteilchen nach SU(3)-Multipletts zu klassifizieren, wenn man Y als Hyperladung und T als Isospin interpretiert. Dieser Hypothese folgend werden wir
die theoretischen Folgerungen mit experimentellen Fakten vergleichen. IsospinMultipletts in einem gegebenen SU(3)-Multiplett werden durch Parallelen zur T3 Achse dargestellt. Als ersten Schritt definieren wir den Ladungsoperator entsprechend Gl. (41.6) als
1
Q̂ = Ŷ + T̂3 .
(51.1)
2
Wir bezeichnen die SU(3)-Zustände durch
|T3Y, α ,
(51.2)
wobei die durch α abgekürzten zusätzlichen Quantenzahlen später durch die
Eigenwerte der beiden Casimir-Operatoren, welche die Multipletts eindeutig klassifizieren, spezifiziert werden sollen. Die Eigenwertgleichungen
Ŷ |T3Y, α = Y |T3Y, α , T̂3 |T3Y, α = T3 |T3Y, α ergeben für den Ladungsoperator
Y
Q̂ |T3Y, α =
+ T3 |T3Y, α ≡ Q |T3Y, α .
2
(51.3)
(51.4)
216
VIII Quarks und die Gruppe SU(3)
Y
1
Für SU(3)-Zustände ist die Ladung Q eine gute Quantenzahl. Insbesondere hat ein Singulettzustand die Ladung
null (siehe Abb. 51.1),
Singulett
-1
2
1
2
1
Q̂ |00, α = 0 |00, α ,
3 T3
2
Abb. 51.1 Die Singulett-Darstellung der SU (3): ( p, q ) = (0, 0). Sie
ist die kleinste triviale Darstellung.
-1
2
T3
1
2
Abb. 51.2 Das Isospin-Dublett
T = 12 mit
den
Zuständen
|T T3 = 12 12 und
|T T3 = 12 − 12
ist die kleinste nichttriviale
Darstellung der SU (2).
[3] U-Spin-Dublett
ψ2
Y
Isospin-Dublett
ψ1
1
3
-1
2
1
2
ψ3
T3
-2
3
V-Spin-Dublett
[3]
U-Spin-Dublett
ψ3
Y
2
3
T3
1
- 1 ψ 2 Isospin3 2
Dublett
-1
2 ψ1
V-Spin-Dublett
Abb. 51.3 Die kleinsten nichttrivialen
Darstellungen der SU (3).
1)
(51.5)
weil die Eigenwerte Y und T3 in diesem Fall verschwinden.
Es liegt nahe, das Λ ∗ -Hyperon unter den BaryonenResonanzen (siehe die Tabelle in Aufgabe 41.2) mit der
Energie 1405 MeV, dem Spin 12 und negativer Parität als
einen Singulettzustand zu interpretieren. 1)
Wir erinnern uns, dass es nicht in das hochgradig symmetrische Schema der Aufgabe 41.2 passte. Es repräsentiert
tatsächlich die trivialste SU(3)-Darstellung. Wir betrachten nun die kleinste nichttriviale Darstellung der SU(3).
Wir erinnern uns, dass das Isospin-Dublett mit T = 12
die kleinste nichttriviale Beschreibung der Isospingruppe
SU(2) ist (siehe Abb. 51.2). Dies bedeutet, dass man
alle höheren Multipletts aus dieser Darstellung aufbauen
kann.
Technisch erreicht man das durch Clebsch-GordanKopplung von Isospins T = 12 zu einem beliebigen Isospinwert. Mit dem kleinsten SU(2)-Multiplett T = 0 ist
dies nicht möglich. Das T = 0-Multiplett der SU(2) ist in
diesem Sinne trivial.
Da die F-Spin-Algebra [SU(3)] den Isospin als eine
Unteralgebra enthält, muss die kleinste gesuchte SU(3)Darstellung mindestens ein T = 12 -Ladungsdublett enthalten. Nun treten aber die T -Spin-, U-Spin- und V Spin-Algebren völlig symmetrisch in der F-Spin-Algebra
auf. Daher muss das gesuchte SU(3)-Multiplett sowohl
ein T - als auch ein U- und ein V -Dublett enthalten.
Wegen der inhärenten Symmetrien der SU(3)-Multipletts
in der Y -T3 -Ebene (vgl. die Schlussfolgerungen über
T -U-V -Multiplettverkopplung in Kapitel VII) werden
wir zwangsläufig auf die beiden gleichseitigen Dreiecke
in Abb. 51.3 geführt. Wie es die allgemeinen Symmetrien
erfordern, liegen diese symmetrisch um den Ursprung
(Y = 0, T3 = 0). Wir bezeichnen die Darstellungen mit
[3] bzw. [3], weil jede 3 Zustände enthält.
Siehe S. L. Glashow, A. H. Rosenfeld: Phys. Rev- Lett. 10, 192 (1963).
51 Quarks als kleinste nichttriviale Darstellung der SU(3)
217
Wenn [3] den Teilchen entspricht, so repräsentiert [3] die zugehörigen Antiteilchen,
da der Zustand ψ ν die entgegengesetzte Hyperladung und die umgekehrte T3 Komponente und somit die umgekehrte Ladung im Vergleich zum Zustand ψ ν
besitzt:
Q̂ψ ν = Qν ψ ν , Q̂ψ ν = −Qν ψ ν .
(51.6)
Beide Darstellungen [3] und [3] enthalten je ein Iso-Dublett T = 12 und ein IsoSingulett T = 0. Das Iso-Dublett für [3] z. B. wird durch die Zustände
1
1
ψ 1 ≡ Y , ψ 2 ≡ − Y
(51.7)
2
2
und das Iso-Singulett durch
ψ 3 ≡ |0Y (51.8)
gegeben. Die Hyperladungen sind bisher offen geblieben, können aber nun bestimmt werden. Die T3 -Werte von ψ 1 ,ψ 2 ,ψ 3 folgen direkt aus den Eigenwertgleichungen
1
1
T̂3 ψ 1 = + ψ 1 , T̂3 ψ 2 = − ψ 2 , T̂3 ψ 3 = 0ψ 3 .
(51.9)
2
2
Beachtet man, dass ψ 1 ein U-Spin-Singulett ist, so lassen sich die zugehörigen
Werte der Hyperladung Y ableiten:
Û3 ψ 1 = 0.
Weil nun Û3 = (3Ŷ − 2T̂3 )/4 ist [siehe (45.7)], folgt
1
2
1
Ŷ ψ 1 = (4Û3 + 2T̂3 )ψ 1 = T̂3 ψ 1 = ψ 1 .
3
3
3
(51.10)
(51.11a)
Da ψ 1 und ψ 2 zum gleichen Isospin-Dublett gehören (senkrecht zur Y -Achse
angeordnet) und daher dieselbe Hyperladung besitzen, gilt auch
Ŷ ψ 2 =
1
1
(4Û3 + 2T̂3 )ψ 2 = ψ 2 .
3
3
(51.11b)
Daraus ergibt sich [4U3 + 2 × (− 21 )]/3 = 13 und daher U3 = 12 für ψ 2 . Deshalb muss
ψ 3 den Eigenwert U3 = − 21 besitzen. In der Tat führt der Operator Û− von ψ 2 nach
ψ 3 , wie man aus Abb. 46.1 erkennt. Das ergibt dann
1
(4Û3 + 2T̂3 )ψ 3
3
1
1
2
=
4× −
+ 2 × (0) ψ 3 = − ψ 3 .
3
2
3
Ŷ ψ 3 =
(51.11c)
Mit ähnlichen Argumenten erhalten wir für die Zustände von [3]:
1
1
2
Ŷ ψ 1 = − ψ 1 , Ŷ ψ 2 = − ψ 2 , Ŷ ψ 3 = + ψ 3 .
(51.12)
3
3
3
Wir werden also zwangsläufig auf drittelzahlige Hyperladungen geführt. Dies hat
weitreichende Konsequenzen, wenn man akzeptiert, dass der Ladungsoperator Q̂
218
VIII Quarks und die Gruppe SU(3)
[(51.1)] durch die Gell-Mann–Nishijima-Relation bestimmt ist. Dann ergeben sich
für die Zustände von [3] die folgenden Ladungseigenwerte:
1
1 1 1
2
Q̂ψ 1 = ( Ŷ + T̂3 )ψ 1 = ( × + )ψ 1 = ψ 1 ,
2
2 3 2
3
1
1 1 1
1
Q̂ψ 2 = ( Ŷ + T̂3 )ψ 2 = ( × − )ψ 2 = − ψ 2 ,
2
2 3 2
3
2
1
1
1
Q̂ψ 3 = ( Ŷ + T̂3 )ψ 3 = ( × (− ) + 0)ψ 3 = − ψ 3 ,
2
2
3
3
(51.13)
und analog für die Zustände ψ ν des Antitripletts [3]:
2
1
1
Q̂ψ 1 = − ψ 1 , Q̂ψ 2 = + ψ 2 , Q̂ψ 3 = + ψ 3 .
(51.14)
3
3
3
Die Teilchen, die den Zuständen des [3]-Multipletts der SU(3) entsprechen, haben
gebrochene Ladungen. Gell-Mann schlug dafür den Namen Quark vor, während
Zweig diese Teilchen aces (Asse) nannte. 1) Da ψ 1 und ψ 2 ein Iso-Dublett analog
dem Proton und Neutron bilden, wurde das ψ 1 -Quark als „p-Quark“ und das ψ 2
entsprechend als „n-Quark“ benannt; das ψ 3 heißt auch „λ -Quark“. Die modernere
Bezeichnung ist Up-Quark (u), Down-Quark (d) und Strange-Quark (s). Die
Quark-Zustände ψ 1 ,ψ 2 ,ψ 3 werden fortan mit q1 ,q2 ,q3 bezeichnet. Entsprechend
schreiben wir für die Antiquarks:
ψ 1, ψ 2, ψ 3
52
→
q1 , q2 , q3 .
Suche nach Quarks
Motiviert durch die Entwicklung des Quark-Modells haben viele Physiker nach
Teilchen mit Drittel-Ladungen gesucht. Jones 2) hat Versuche beschrieben, die
Quarks in Beschleunigern zu erzeugen und sie in Seewasser, Mineralien und in
der kosmischen Strahlung zu finden. McCusher und Cairns 3) glaubten, Quarks
in hochenergetischer kosmischer Strahlung gefunden zu haben. Dennoch wurden
keine überzeugenden positiven Ergebnisse erhalten. Auf große Skepsis stießen
auch die Berichte von Fairbank 4) über Experimente, in einer modernen Version
des bekannten Millikan-Versuches zur Messung der Elementarladung Teilchen mit
drittelzahliger Ladung gefunden zu haben. Andere Autoren widersprachen diesen
Resultaten. 5) Es gibt also gewichtige Gründe anzunehmen, dass freie Quarks in der
1)
2)
G. Zweig: CERN Preprint 8409/Th. 412 (1964).
L. W. Jones: Int. Conference on Symmetries and Quark Models, Wayne State University, Detroit
(1969).
3)
C. B. A. McCusher, I. Cairns: Phys. Rev. Lett. 23, 658 (1969).
G. S. LaRue, W. M. Fairbank, A. F. Hebard: Phys. Rev. Lett. 38, 1011 (1977).
5) R. G. Milner, B. H. Cooper, K. H. Chang, K. Wilson, J. Labrenz, R. D. McCeown: Phys. Rev. Lett. 54,
1472 (1985).
4)
53 Die Transformationseigenschaften der Quark-Zustände
219
Natur nicht vorkommen. Eine noch immer gültige, zusammenfassende Diskussion
zum Status der Suche nach freien Quarks ist bei P. F. Smith 6) zu finden.
Der große Erfolg des Quarkmodells bei der Klassifizierung und Beschreibung
der Hadronen (Mesonen und Baryonen) legt angesichts dieser experimentellen
Befunde die Frage nahe, ob Quarks als fundamentale Teilchen überhaupt existieren,
und wenn ja, weshalb sie dann nicht als freie Teilchen beobachtet werden können.
Im Rahmen der heute akzeptierten fundamentalen Theorie der Starken Wechselwirkung, der Quantenchromodynamik (QCD), 1) liefert das Konzept des FarbEinschlusses (Colour-Confinement) hierauf eine Antwort. In der QCD tragen alle
Teilchen, die der Starken Wechselwirkung unterliegen, eine sogenannte Farbladung. Neben den Quarks tragen auch die Austausch-Bosonen der QCD, die
sog. Gluonen, diese Ladung. Das Konzept des Farb-Einschlusses besagt, dass
freie Teilchen keine Farbladung tragen dürfen. Das bedeutet, dass Quarks nur
als gebundene Zustände (d. h. eingeschlossen innerhalb von Hadronen) existieren können. Wir müssen im Rahmen dieses Buches leider auf eine vollständige
Diskussion dieses Problems verzichten. Wir weisen aber darauf hin, dass bis heute
nicht streng bewiesen werden konnte, dass der experimentell beobachtete FarbEinschluss zwingend aus der QCD folgt.
53
Die Transformationseigenschaften
der Quark-Zustände
In der Triplett-Darstellung [3] werden die Operatoren F̂α durch 3 × 3-Matrizen
repräsentiert, weil wir es mit drei Zuständen |qi (i = 1, 2, 3) zu tun haben, d. h.
(F̂α )i j = qi |F̂α |q j .
(53.1)
Mit Hilfe der Schiebeoperatoren V̂± , Û± und T̂± und deren Eigenschaften (siehe
(45.7) und Abschnitt 46) ergibt sich für die Quarkzustände:
T̂− |q1 = |q2 ,
T̂+ |q2 = |q1 ,
Û− |q2 = |q3 ,
Û+ |q3 = |q2 ,
V̂− |q1 = |q3 ,
V̂+ |q3 = |q1 ,
1
1
|q1 , T̂3 |q2 = − |q2 , T̂3 |q3 = 0 |q3 ,
2
2
1
1
2
Ŷ |q1 = |q1 , Ŷ |q2 = |q2 ,
Ŷ |q3 = − |q3 3
3
3
(53.2)
T̂3 |q1 =
6) P. F. Smith:
1) Siehe
2002).
usw.
Ann. Rev. Nucl. and Part. Sci. 39, 73 (1989).
Walter Greiner, S. Schramm, E. Stein: Quantum Chromodynamics (Springer, New York,
220
VIII Quarks und die Gruppe SU(3)
Daraus lassen sich alle Matrixelemente der Operatoren Û± , T̂± , V̂± und wegen
1
1
F̂1 = T̂1 = (T̂+ + T̂− ),
F̂5 = − i(V̂+ − V̂− ),
2
2
1
1
F̂2 = T̂2 = − i(T̂+ − T̂− ), F̂6 = (Û+ + Û− ),
2
2
1
F̂3 = T̂3 ,
F̂7 = − i(Û+ − Û− ),
(53.3)
2
√
3
1
Ŷ
F̂4 = (V̂+ + V̂− ),
F̂8 =
2
2
auch alle Matrixelemente der Operatoren F̂α (α = 1, . . . , 8) berechnen. Mit
1
F̂α = λ̂ α
2
erhält man nach einfacher Rechnung das frühere Ergebnis für die Generatoren λ̂ α
der SU(3) [siehe Aufgabe 53.1]. Allgemein kann man aus den F̂α die unitären
Operatoren
Û(θ ) = exp − i ∑ θ α F̂α
(53.4)
α
aufbauen. Diese stellen die Gruppenoperatoren der SU(3) dar und transformieren
die Zustände innerhalb jedes SU(3)-Multipletts (F-Spin-Multipletts). Im Falle der
Triplett-Darstellung sind die F̂α hermitesch und die Û(θ ) in (53.4) daher unitäre
3 × 3-Matrizen mit der Determinante det Û(θ ) = 1. Wir schreiben daher
|qi = Û(θ ) |qi = ∑ |q j U ji (θ ), wobei
j
(53.5)
U ji (θ ) = q j |Û(θ )|qi .
In den folgenden Aufgaben untersuchen wir das Transformationsverhalten der
Zustände |qi und |qi der Darstellungen [3] bzw. [3].
Die Generatoren der SU(3) in der Darstellung [3]
Aufgabe 53.1
Problemstellung:
Berechnen Sie die Generatoren λ̂ α der SU(3) in der Darstellung [3] durch Anwendung der
Schiebeoperatoren auf die Quark-Zustände.
Lösung:
Es ist λ̂ α = 2F̂α . Die Quarkzustände sind orthonormal, d. h. qi |q j = δ i j . Mit den Relationen (53.1) – (53.3) erhalten wir
(λ̂ α )i j = 2qi |F̂α |q j .
(1)
Für λ̂ 1 folgt beispielsweise:
(λ̂ 1 )i j = 2qi |F̂1 |q j = qi |T̂+ + T̂− |q j = qi |T̂+ |q j + qi |T̂− |q j .
(2)
53 Die Transformationseigenschaften der Quark-Zustände
221
Aufgabe 53.1 Wegen (53.2)
T̂+ q j = δ j2 |q1 und
T̂− q j = δ j1 |q2 (3)
folgt
(λ̂ 1 )i j = qi |q1 δ j2 + qi |q2 δ j1 = δ i1 δ j2 + δ i2 δ j1
(4)
mit Verwendung der Orthonormalitätsbedingung. Somit erhalten wir die einzigen nichtverschwindenden Matrixelemente (λ̂ 1 )12 = (λ̂ 1 )21 = 1, d. h.
⎛
⎞
0 1 0
⎜
⎟
λ̂ 1 = ⎝1 0 0⎠ .
(5)
0 0 0
Um die Matrixdarstellung der Generatoren λ̂ 2 , . . . , λ̂ 8 zu konstruieren, verfahren wir in der
gleichen Weise:
1
(λ̂ 2 )i j = 2qi |F̂2 |q1 = qi |T̂+ |q j − qi |T̂− |q j i
(6)
= − i(δ i1 δ j2 − δ i2 δ j1 ),
d. h.
(λ̂ 2 )12 = − i und
(λ̂ 2 )21 = i, d. h.
⎛
⎞
0 −i 0
⎜
⎟
λ̂ 2 = ⎝ i 0 0⎠ .
0 0 0
(7)
Für λ̂ 3 folgt
(λ̂ 3 )i j = 2qi |F̂3 |q j = 2qi |T̂3 |q j ,
(8)
d. h. die Matrixelemente sind
(λ̂ 3 )i1 = 2qi |T̂3 |q1 = qi |q1 = δ i1 ,
(λ̂ 3 )i2 = 2qi |T̂3 |q2 = − qi |q2 = −δ i2 ,
(9)
(λ̂ 3 )i3 = 2qi |T̂3 |q3 = 0,
und daher
⎛
⎞
1 0 0
⎜
⎟
λ̂ 3 = ⎝0 −1 0⎠ .
0 0 0
(10)
Weiter ist
Da
(λ̂ 4 )i j = 2qi |F̂4 |q j = qi |V̂+ |q j + qi |V̂− |q j .
(11)
V̂+ q j = δ j3 |q1 (12)
und V̂− q j = δ j1 |q3 gelten, folgt:
(λ̂ 4 )i j = qi |q1 δ j3 + qi |q3 δ j1 = δ i1 δ j3 + δ i3 δ j1 ,
d. h.
(λ̂ 4 )13 = 1 = (λ̂ 4 )31
und
⎛
⎞
0 0 1
⎜
⎟
λ̂ 4 = ⎝0 0 0⎠ .
1 0 0
(13)
(14)
222
VIII Quarks und die Gruppe SU(3)
Aufgabe 53.1
Für λ̂ 5 gilt:
1
qi |V̂+ |q j − qi |V̂− |q j i
1
= [δ i1 δ j3 − δ i3 δ j1 ],
i
= − i und (λ̂ 5 )31 = i
(λ̂ 5 )i j =
(λ̂ 5 )13
(alle anderen Matrixelemente sind gleich null) und damit
⎛
⎞
0 0 −i
⎜
⎟
λ̂ 5 = ⎝0 0 0 ⎠ .
i 0 0
(15)
(16)
Analog finden wir für λ̂ 6 :
Da
(λ̂ 6 )i j = 2qi |F̂6 |q j = qi |Û+ |q j + qi |Û− |q j .
(17)
Û+ q j = δ j3 |q2 (18)
und Û− q j = δ j2 |q3 ,
folgt
(λ̂ 6 )i j = qi |q2 δ j3 + qi |q3 δ j2 = δ i2 δ j3 + δ i3 δ j2 ,
d. h.
(λ̂ 6 )23 = (λ̂ 6 )32 = 1 und
⎛
⎞
0 0 0
⎜
⎟
λ̂ 6 = ⎝0 0 1⎠ .
0 1 0
(19)
(20)
Für λ̂ 7 erhalten wir
1
qi |Û+ |q j − qi |Û− |q j i
1
= [δ i2 δ j3 − δ i3 δ j2 ],
i
(λ̂ 7 )i j =
(λ̂ 7 )23 = − i und
(λ̂ 7 )32
Schließlich finden wir für λ̂ 8 :
(λ̂ 8 )i j = 2qi |F̂8 |q j =
d. h.
√
3qi |Ŷ |q j ,
1√
1
3 qi |q1 = √ δ i1 ,
3
3
√
1√
1
3 qi |q2 = √ δ i2 ,
(λ̂ 8 )i2 = 3qi |Ŷ |q2 =
3
3
√
1√
2
3(−2) qi |q3 = − √ δ i3 ,
(λ̂ 8 )i3 = 3qi |Ŷ |q3 =
3
3
⎛
⎞
1 0 0
1 ⎜
⎟
λ̂ 8 = √ ⎝0 1 0 ⎠ .
3
0 0 −2
(λ̂ 8 )i1 =
√
⎛
⎞
0 0 0
⎜
⎟
= i, d. h. λ̂ 7 = ⎝0 0 − i⎠ .
0 i 0
3qi |Ŷ |q1 =
(21)
(22)
(23)
(24)
(25)
(26)
(27)
53 Die Transformationseigenschaften der Quark-Zustände
223
Die Generatoren λ̂ α in der Darstellung [3] sind die von Gell-Mann angegebenen Matrizen.
Das Resultat ist nicht besonders überraschend.
Aufgabe 53.1
Transformationseigenschaften der Zustände des Antitripletts [3]
Aufgabe 53.2
Problemstellung:
Zeigen Sie, dass sich die Zustände |qi des Antitripletts [3] wie folgt transformieren:
ˆ θ ) |q = q U (θ ).
|qi = U(
∑ j ji
(1)
j
Der unitäre Transformationsoperator ist gegeben durch
1
ˆ θ ) = exp − i θ Fˆ
U(
∑ α α , Fˆ α = − 2 λ̂ α∗,
α
(2)
seine Matrixdarstellung lautet
ˆ θ )|q = U ∗ (θ ).
U ji (θ ) = q j |U(
i
ji
(3)
Lösung:
Zum Beweis des Theorems gehen wir aus von der Transformation der Triplettzustände:
ˆ
F ),
Û(θ ) = exp(− iθ · |qi = Û(θ ) |qi .
Die komplex konjugierte Gleichung ist
|qi ∗ = Û ∗ (θ ) q∗i ,
(4)
(5)
wobei nun
ˆ
ˆ
F )∗ ) ≡ exp(− iθ · F ).
Û ∗ (θ ) = exp(+ iθ · (
(6)
ˆ∗
ˆ
Die Operatoren −
F =
F sind die Generatoren des Antitripletts [3]. Sie werden so
eingeführt, dass entsprechend (53.4) der Exponent (beachte das Minuszeichen) lautet:
ˆ
− iθ F . Komplexe Konjugation ändert nicht die Eigenschaften der Matrixmultiplikation,
aber sie ändert das Vorzeichen auf der rechten Seite der Kommutationsrelationen. Dies wird
ˆ
durch das zusätzliche Minuszeichen korrigiert, so dass die (−
F ∗ ) wieder eine Darstellung
bilden, d. h. sie genügen der gleichen Lie-Algebra (44.3). Entsprechend (51.1) sind die
Generatoren gegeben durch Fˆ i = −(F̂i )∗ oder (Fˆ α = −λ̂ α∗ /2), d. h. T̂3 und Ŷ3 (und ebenso
ihre Eigenwerte) werden mit (−1) multipliziert. Das ist genau die Eigenschaft, die das
Antitriplett charakterisiert. Daher werden die Zustände |qi ∗ Antitriplettzustände genannt
und wir bezeichnen sie mit |qi . Die Änderung der Schreibweise |qi ∗ → |qi und −F̂i∗ → Fˆ i
sollte nicht mit hermitescher Konjugation verwechselt werden. In der folgenden Aufgabe
beweisen wir, dass es keine unitäre Transformation gibt, die Û und Û ∗ verbindet, d. h. dass
[3] und [3] unabhängige Darstellungen sind.
Aufgabe 53.2
224
VIII Quarks und die Gruppe SU(3)
Nicht-Äquivalenz der beiden fundamentalen Darstellungen von SU(3)
Aufgabe 53.3
Problemstellung:
Zeigen Sie, dass die beiden Darstellungen [3] und [3] (Triplett und Antitriplett) verschiedene
Fundamentaldarstellungen sind, die nicht ineinander überführt werden können.
Lösung:
Wir haben in Aufgabe 53.2 gesehen, dass die Generatoren Fˆ α = −λ̂ α∗ /2 zur Darstellung von
[3] gehören, die F̂α = λ̂ α /2 dagegen die Generatoren des Tripletts [3] sind. Das bedeutet,
dass die Zustände qi sich mit Û ∗ (θ α ) transformieren und nicht mit Û(θ α ). Die Darstellungen
wären dann äquivalent, wenn sich ihre Generatoren nur um eine unitäre Transformation Ŝ
unterscheiden würden, d. h. es müsste gelten:
!
ŜF̂α Ŝ−1 = Fˆ α
oder
Ŝλ̂ α Ŝ−1 = −λ̂ α∗ .
(1)
Wenden wir diese Transformation auf die Eigenwertgleichung der λ̂ α [λ̂ α |qi = λ |qi mit
dem Eigenwert λ ] an, so folgt:
Ŝλ̂ α |qi = Ŝλ |qi = λ Ŝ |qi = Ŝλ̂ α Ŝ−1 Ŝ |qi ,
(2)
mit
Ŝ |qi = |qi .
Gilt Gl. (1), so folgt:
−λ̂ α∗ |qi = λ |qi ,
d. h. λ̂ α müsste dieselben Eigenwerte haben wie −λ̂ α∗ . Nun sind die λ̂ α hermitesche
Matrizen, d. h.
λ̂ α = λ̂ α† = (λ̂ α∗ )T ,
wobei T die Transposition bezeichnet. Da die Determinante einer Matrix gleich der ihrer
Transponierten ist, haben λ̂ α∗ und λ̂ α dieselben Eigenwerte λ , die durch die Säkulargleichung
det(λ̂ α − λ 1̂) = det(λ̂ α∗ − λ 1̂) = 0
(3)
bestimmt werden. Die Eigenwerte von −λ̂ α∗ und λ̂ α unterscheiden sich also nur im Vorzeichen. Die Rechnung ergibt, dass die Eigenwerte
aller λ̂ α −1, √
0 und +1 sind, mit der
√
Ausnahme von λ̂ 8 , das die Eigenwerte 1/ 3 (zweimal) und −2/ 3 hat. Daher haben λ̂ 8
und −λ̂ 8∗ verschiedene Eigenwerte. Folglich existiert keine Transformation, die [3] in [3]
überführt, d. h. Triplett und Antitriplett sind unabhängige Darstellungen. Dies ist natürlich
keine Überraschung, weil die Operatoren Û nur die Zustände eines gegebenen Multipletts
ineinander transformieren. Die Zustände des Antitripletts können nicht über die Generatoren
F̂i in Zustände des Tripletts überführt werden.
Aufgabe 53.3
Man beachte, dass dies nicht für die Gruppe SU(2) gilt: dort sind Dublett und Antidublett
äquivalente Darstellungen. Das liegt offenbar daran, dass die Eigenwerte der Generatoren
τ̂ i alle −1 und +1 sind, d. h. τ̂ i und (−τ̂ i∗ ) haben die gleichen Eigenwerte!
XI Charm und SU(4)
89
Die Entdeckung des Charm-Quarks
Wir haben bisher Quarkmodelle mit drei Konstituenten-Quark-Flavours (QuarkTriplett) diskutiert. Im November 1974 wurde von zwei Arbeitsgruppen in Brookhaven und Stanford (USA) ein neues Vektormeson entdeckt, 1) das mit J oder Ψ
bezeichnet wurde und heute allgemein J/Ψ -Meson genannt wird. Danach wurden
weitere Teilchen entdeckt. Später wurden diese Befunde auch am Deutschen
Elektronen-Synchroton (DESY) im Speicherring DORIS in Hamburg experimentell bestätigt und weitere Teilchen entdeckt. Abb. 89.1 vermittelt einen Eindruck
der komplizierten Anlagen am Hamburger Beschleuniger, an denen derartige
Experimente durchgeführt wurden.
Abb. 89.1 Schema der
Beschleunigeranlage bei
DESY, Hamburg.
Das Experiment beruht auf Elektron-Positron (e− e+ )-Stößen, in denen sowohl
Myonen (e+ e− → μ + μ − ) als auch Hadronen (e+ e− → Hadronen) produziert
werden. Das J/Ψ -Meson hat eine ungewöhnlich hohe Masse von M = 3097 MeV
und eine extrem geringe Resonanzbreite von Γ = 0.091 MeV (siehe Tabelle 89.1).
1) J. J. Aubert
et al. (14 Autoren): Phys. Rev. Lett. 33, 1404 (1974); J. E. Augustin et al. (35 Autoren):
Phys. Rev. Lett. 33, 1406 (1974).
370
XI Charm und SU(4)
Für die Entdeckung des J/Ψ -Teilchens erhielten S. C. C. Ting und B. Richter im
Jahre 1976 den Physik-Nobelpreis. 1)
Tabelle 89.1 Die Eigenschaften der Vektormesonen mit Charm. Alle Teilchen der Tabelle
haben Isospin T = 0 und Hyperladung Y = 0. (Daten aus S. Eidelman et al. (Particle Data
Group): Phys. Lett. B 592, 1 (2004)).
Name
Symbol
Spin/Parität Ladung Masse Breite
(e)
(MeV) Γ = /τ
JP
(MeV)
J/Ψ
1−
0
3097
0.091
Hauptzerfallsmoden
Hadronen
e+ +e−
μ + +μ −
88%
6%
6%
1−
0
3686
0.281
J/Ψ + Hadronen
Hadronen (ohne J/Ψ )
e+ +e−
μ + +μ −
Ψ (3770)
1−
0
3770
23.6
D+D
100%
Ψ (4040)
1−
0
4040
52
Hadronen
100%
Ψ (4415)
1−
0
4415
43
Hadronen
100%
Ψ (2S) (Ψ
)
58%
40%
1%
1%
Das Verhältnis der Streuquerschnitte der beiden Reaktionen bezeichnet man mit
σ (e+ e− → Hadronen)
R=
.
σ (e+ e− → μ + μ − )
Trägt man R über der Schwerpunktsenergie E des e+ e− -Systems auf, so treten das
J/Ψ und das Ψ als extrem schmale Resonanzen bei 3.1 GeV und 3.7 GeV klar
hervor (siehe Abb. 89.2).
Außerdem werden noch weitere Resonanzen bei E ∼ 4.1 GeV und E ∼ 4.4 GeV
beobachtet, die jedoch eine wesentlich größere Breite haben als das J/Ψ bei
3.1 GeV. Wir betrachten daher zuerst diesen schmalen Zustand etwas genauer.
Da dieses Vektormeson stark wechselwirkt, was gut gesichert ist, sollte seine Lebensdauer τ von der Größenordnung der Zerfallszeiten anderer hochliegender hadronischer Resonanzen, also τ = 5 × 10−24 s sein, was einer Breite
von Γ ∼ 100 MeV entspricht. Der gemessene Wert beträgt jedoch nur Γexp =
0.091 MeV. Dies deutet auf die Erhaltung einer neuen Quantenzahl hin, die den
Zerfall des J/Ψ über die Starke Wechselwirkung sehr behindert. Die einfachste
Möglichkeit, diese neue Quantenzahl in den Rahmen des Quarkmodells einzufügen, ist, ein viertes Quark c (für „Charm“) einzuführen, das sich von u, d und s
durch die Charm-Quantenzahl C unterscheidet: u, d und s haben C = 0, während
1)
In ihren Nobel-Vorträgen schildern die Entdecker ihre Experimente und die Umstände, unter denen
sie ausgeführt wurden: S. C. C. Ting: Rev. Mod. Phys. 49, 235 (1977); B. Richter: Rev. Mod. Phys.
49, 251 (1977).
90 Teilchen mit Charm und die SU(4)
371
das vierte Quark C = 1 hat. Charm ist eine additive (ladungsartige) Quantenzahl
wie T3 und Y , d. h. das T3 -Y -Diagramm wird auf drei Achsen erweitert. Es existiert
auch das Antiquark c mit C = −1. Anstelle des fundamentalen Tripletts (3) haben
wir also ein Quartett (4) als kleinste Darstellung der Symmetriegruppe. Dies führt
uns auf die Gruppe SU(4).
7
J/ψ
R
Mark I
Mark I + LGW
Mark II
PLUTO
DASP
Crystal Ball
BES
6
5
4
ψ4160
ψ(2S)
ψ3770
ψ4040
Charm-Resonanzen
ψ4415
3
2
3
3.5
4
4.5
5
s 1/2 [GeV]
Abb. 89.2 Das Verhältnis der Streuquerschnitte der Reaktionen e+ e− → Hadronen und
e+ e− → μ + μ − für Schwerpunktsenergien zwischen 3 und 5 GeV. Die scharfen Spitzen sind
das J /Ψ und das Ψ (2S ). Die höheren Charm-Resonanzen sind gut sichtbar. Die Darstellung
ist eine Zusammenstellung der Ergebnisse verschiedener Experimente (Abbildung aus
S. Eidelman et al. (Particle Data Group): Phys. Lett. B 592, 1 (2004)).
90
Teilchen mit Charm und die SU(4)
Wir nehmen also an, dass ein viertes Quark c existiert, das eine zusätzliche
Quantenzahl trägt, die als Charm C bezeichnet wird, d. h. das c-Quark hat C = 1.
Die anderen Quantenzahlen des c-Quark sind T = T3 = 0 und Y = 13 . Daher ist c
ein Singulett bezüglich der gewöhnlichen Flavour-SU(3). Wir haben nun anstelle
des Tripletts der SU(3) das Quartett q = u, d, s, c als fundamentale Darstellung der
Symmetriegruppe. Weiterhin haben wir neben den additiven Quantenzahlen T3 und
Y der SU(3) (Gruppe vom Rang 2) die Charm-Quantenzahl C, d. h. die Zustände
eines Multipletts der neuen Symmetriegruppe werden spezifiziert durch |T3YC.
Da wir nun drei additive Quantenzahlen haben, muss die Symmetriegruppe vom
Rang 3 sein und außerdem das Quartett (Antiquartett) als fundamentale Darstellung
haben. Die Gruppe, die diese Voraussetzungen erfüllt, ist die SU(4). Wir werden
daher die Untersuchung der Teilchen mit Charm auf die gruppentheoretische
Betrachtung der SU(4) aufbauen.
372
XI Charm und SU(4)
91
Die Gruppeneigenschaften der SU(4)
Da die SU(3)-Multipletts auch im SU(4)-Modell erhalten bleiben müssen, wollen
wir möglichst viel von der Struktur der SU(3) in der SU(4) erhalten [analog zur
Einbettung der Isospin-SU(2) in der SU(3)]. Wir verwenden wieder die Matrixdarstellung der Lie-Algebra bzw. deren Generatoren, d. h. die Generatoren sind 4 × 4Matrizen. Analog zu den SU(3)-Matrizen λ̂ i , die mit Hilfe der τ̂ i (Pauli-Matrizen)
der SU(2) entstehen, erzeugen wir die SU(4)-Matrizen aus den λ̂ i der SU(3).
Da die Anzahl der Generatoren der Gruppe SU(n) allgemein durch n2 − 1 gegeben
ist, bekommen wir fünfzehn 4×4-Matrizen für die SU(4). Die ersten acht entstehen
aus den acht Generatoren der SU(3). (Wir bezeichnen die Generatoren der SU(4)
ebenfalls mit λ̂ i , um die formale Ähnlichkeit zu betonen.)
⎛
⎞
⎛
⎞
0 1 0 0
0 −i 0 0
⎜1 0 0 0⎟
⎜ i 0 0 0⎟
λ̂ 1 = ⎝
, λ̂ 2 = ⎝
,
0 0 0 0⎠
0 0 0 0⎠
0 0 0 0
0 0 0 0
⎛
⎞
⎛
⎞
1 0 0 0
0 0 1 0
⎜0 −1 0 0⎟
⎜0 0 0 0 ⎟
λ̂ 3 = ⎝
, λ̂ 4 = ⎝
,
0 0 0 0⎠
1 0 0 0⎠
0 0 0 0
0 0 0 0
⎛
⎛
⎞
⎞
0 0 −i 0
0 0 0 0
⎜0 0 0 0⎟
⎜0 0 1 0⎟
λ̂ 5 = ⎝
, λ̂ 6 = ⎝
,
i 0 0 0⎠
0 1 0 0⎠
0 0 0 0
0 0 0 0
⎛
⎞
⎛
⎞
0 0 0 0
1 0 0 0
1 ⎜0 1 0 0 ⎟
⎜0 0 − i 0⎟
λ̂ 7 = ⎝
, λ̂ 8 = √ ⎝
(91.1)
⎠.
0 i 0 0⎠
3 0 0 −2 0
0 0 0 0
0 0 0 0
Die nächsten sechs λ̂ i entstehen durch Verschieben der nichtverschwindenden
Elemente 1, −1 und − i, i (wie etwa λ̂ 4 bis λ̂ 7 aus λ̂ 1 und λ̂ 2 ):
⎛
⎞
⎛
⎞
0 0 0 1
0 0 0 −i
⎜0 0 0 0⎟
⎜0 0 0 0 ⎟
λ̂ 9 = ⎝
, λ̂ 10 = ⎝
,
0 0 0 0⎠
0 0 0 0⎠
1 0 0 0
i 0 0 0
⎛
⎞
⎛
⎞
0 0 0 0
0 0 0 0
⎜0 0 0 1⎟
⎜0 0 0 − i⎟
λ̂ 11 = ⎝
, λ̂ 12 = ⎝
,
0 0 0 0⎠
0 0 0 0⎠
0 1 0 0
0 i 0 0
⎛
⎞
⎛
⎞
0 0 0 0
0 0 0 0
⎜0 0 0 0⎟
⎜0 0 0 0 ⎟
λ̂ 13 = ⎝
, λ̂ 14 = ⎝
.
(91.2)
0 0 0 1⎠
0 0 0 − i⎠
0 0 1 0
0 0 i 0
91 Die Gruppeneigenschaften der SU(4)
373
λ̂ 15 wird so gewählt, dass alle λ̂ i linear unabhängig sind. Üblicherweise wählt man
λ̂ 15 analog zu λ̂ 8 , d. h.
λ̂ 15
⎛
1
1 ⎜
0
=√ ⎜
6 ⎝0
0
0
1
0
0
0
0
1
0
⎞
0
0⎟
⎟.
0⎠
−3
(91.3)
Die Matrizen λ̂ i der SU(4) erfüllen die gleichen Vertauschungs- und Spurrelationen
wie die SU(3)-Matrizen:
[λ̂ i , λ̂ j ]− = 2 i fi jk λ̂ k , [λ̂ i , λ̂ j ]+ = 43 δ i j 1 + 2di jk λ̂ k ,
(91.4a)
Tr(λ̂ i ) = 0,
(91.4b)
Tr(λ̂ i λ̂ j ) = 2δ i j .
Die erste und dritte Gleichung sind selbstverständlich, die zweite und vierte
Gleichung werden in der folgenden Übung für allgemeine SU(n) bewiesen. Die
Strukturkonstanten fi jk und di jk der SU(4) erhält man aus den bereits bewiesenen
Relationen (siehe Aufgaben 45.1 und 45.2 und auch die folgenden Aufgaben 91.1
bis 91.3)
1
1
fi jk =
Tr([λ̂ i , λ̂ j ]− λ̂ k ), di jk = Tr([λ̂ i , λ̂ j ]+ λ̂ k ).
(91.5)
4i
4
Antikommutatoren der Generatoren der SU(N )
Aufgabe 91.1
Problemstellung:
Zeigen Sie, dass die Matrixdarstellung einer SU(N) mit (N 2 − 1) spurlosen λ̂ i -Matrizen die
Beziehung
[λ̂ i , λ̂ j ]+ =
4
δ i j 1N×N + 2di jk λ̂ k
N
(1)
erfüllt, mit
di jk :=
1
Tr{[λ̂ i , λ̂ j ]+ λ̂ k }.
4
(2)
Lösung:
Die λ̂ i bilden zusammen mit der Einheitsmatrix 1N×N eine Basis der N × N-Matrizen. Dies
erlaubt die Darstellung
[λ̂ i , λ̂ j ]+ = 1N×N α i j + β i jk λ̂ k ,
(3)
mit noch zu bestimmenden Koeffizienten α i j und β i jk . Die Spur von (3) ist
Tr{[λ̂ i , λ̂ j ]+ } = 2 Tr{λ̂ i λ̂ j } = N α i j + 0,
αi j =
4
δi j,
N
(4)
wobei Tr{λ̂ k } = 0 und Tr{λ̂ i λ̂ j } = 2δ i j verwendet wurden. Die letztere Beziehung wird
später bewiesen werden (siehe auch Aufgabe 91.2). Nun multiplizieren wir mit λ̂ l und
374
XI Charm und SU(4)
berechnen wieder die Spur:
4
Tr{λ̂ l }δ i j + β i jk Tr{λ̂ l λ̂ k },
N
= 2β i jl , β i jl = 2di jl .
Tr{λ̂ l [λ̂ i , λ̂ j ]+ } =
4di jl = 2β i jk δ lk
(5)
Somit gilt
[λ̂ i , λ̂ j ]+ =
4
δ i j + 2di jk λ̂ k ;
N
q.e.d.
Wir begründen noch die Gleichung Tr{λ̂ i λ̂ j } = 2δ i j , die einfach eine Normierungsbedingung ist. Dazu nehmen wir an, dass
Tr{λ̂ i2 } = 2 (Normierung)
(6)
und weisen dann nach, dass Tr{λ̂ i λ̂ j } = 0 für i = j gilt.
Das Produkt λ̂ i λ̂ j , i = j, hat nur in zwei Fällen Diagonalelemente, nämlich:
a) λ̂ i und λ̂ j sind nichtdiagonale Matrizen und gehören zur gleichen SU(2)-Unteralgebra
mit den Schiebeoperatoren
1
Λ̂ ± = (λ̂ i ± iλ̂ j ).
2
Dann gilt
(7)
1
Λ̂ +2 = (λ̂ i2 − λ̂ j2 + iλ̂ i λ̂ j + iλ̂ j λ̂ i ).
4
(8)
Die Diagonalelemente von Λ̂ + und Λ̂ +2 sind gleich null. Daher gilt
Tr{Λ̂ +2 } = Tr{Λ̂ + Λ̂ + } = 0,
Tr{λ̂ i2
− λ̂ j2
(9)
+ 2 iλ̂ i λ̂ j } = 0,
(10)
oder mit (6),
Tr{λ̂ i λ̂ j } = 0,
i = j.
(11)
b) λ̂ i und λ̂ j sind Diagonalmatrizen, also
i, j ∈ {3, 8, 15, . . . , n2 − 1, . . .}.
Nun sind die λ̂ -Matrizen aber gerade so konstruiert, dass gilt:
λ̂ l λ̂ m ∼ λ̂ l
für l < m.
(12)
Dies führt mit (12) (i = j) zu
Tr{λ̂ i λ̂ j } ∼ Tr{λ̂ min(i, j) } = 0,
i = j.
(13)
Aus (6), (11) und (13) erhalten wir
Tr{λ̂ i λ̂ j } = 2δ i j ,
Vergleichen Sie dieses Ergebnis noch mit der folgenden Aufgabe 91.2!
Aufgabe 91.1
q.e.d. (14)
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