historiae - Univ.Prof.Dr. Elisabeth Kovács

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Excerptum ex
ARCH IVT]M
HISTORIAE
PONTIFICIAE
33
1995
PONTIFICIA UNIVERSITAS GREGORIANA
FACULTAS HISTORIAE ECCLESIASTICAE
ROMAE
ELISABETH KOVÁCS
ÖSTERREICH-UNGARN AUS DER SICHT DES VATIKANS:
DIE INSTRUKTION FÜR DEN APOSTOLISCHEN NUNTIUS IN WIEN,
TEODORO VALFRÈ DI BONZO, VOM SOMMER 1916
Sommaire.
L'instruction du nonce Théodore Valfrè di Bonzo éclai¡e de façon prégnante la
situation de ]a -monarchie austro-hongroise dans la troisième année _de la première guerre
mondiale. Elle informe su¡ l'ensemble ães problèmes en relation avec l'Église et l'Etat et sur les
bulwark of Christianity in Europe*.
Am 14. September 1916 ernannte Papst Benedikt XV. den Bischof von
como und Vercelli, Teodoro valfTè di Bonzo, zum Apostolischen Nuntius in
Wien und zum Titularerzbischof von Trebisonda 1. Die Nuntiatur am Habsbur*
Abkürzungen:
:
:
:
:
:
:
HHSTA :
PA AA :
AE
A.S.V.
AVA
BAR
DAS
DBA
Archivio Affa¡i Ecclesiastici Straordina¡ü, Vatikan
Archivio Segreto Vaticano, Vatikan
Allgemeines Verwaltungsarchiv, Wien
Schweizerisches Bundesarchiv, Bern
Diözesanarchiv, Salzburg
Deutsches Bundesa¡chiv, Koblenz
Haus- Hof- und Staatsarchiv, Wien
Politisches A¡chiv des Auswärtigen Amtes, Bonn
SSt
TS
ENcBr-Habsb
Austria
8-1918,ll' Wien 1960'
9/8, hrsg. v'
-.f
y'res,
Konfessionen, Wien 1 985.
Adam
Wien 1980; IV: Di¿
276
ELISABETH KOVÁCS
gerhof besaß damals immer noch den ersten Rang vor allen anderen Nuntiaturen der Welt, sie war die bedeutendste diplomatische Repräsentanz des Heiligen Stuhles 2. Es erstaunte die Beobachter der vatikanischen Politik, daß Papst
Benedikt XV. mitten im ersten Weltkrieg bei der Umbesetzung der Wiener
Nuntiatur keinen Berufsdiplomaten als seinen Vertreter auf diesen so wichtigen Platz sandte. Man rätselte nach Motiven für diese Entscheidung. Hatten
die Intrigen, mit denen man gegen die Berufung des Apostolischen Nuntius
von Brasilien, Mons. Giuseppe Aversa, nach Wien sturmgelaufen war, nden
Papst ermüdet?> War es der andere Kurs Benedikts XV., der jene Prälaten,
die unter Pius X. oabsichtlich in die Eckeo gestellt worden waren, nun rehabili
tierte? Oder war es vielleicht die persönliche Verbindung Valfrès mit dem italienischen Königshaus, die den Papst bewegte, gegen vatikanische Tendenzen,
die lieber den Vertreter eines neutralen Landes als einen Italiener gesehen hät-
ten, einen "Chiesa Nummer zwei, klug, ruhig, taktvoll und mit italienischer
Seele" nach Wien zu senden? 3 Aversa galt als fåihigster Diplomat des Vatikans,
man nahm an, daß er bei eventuellen Friedensverhandlungen zweifellos eine
wichtige Rolle spielen könnte. Aversa wurde am 16. Dezember 191ó, kaum
drei Wochen nach dem Tod Kaiser Franz Josephs I. nach München als Nachfolger von Kardinal Andreas Frtfüwirth, auf die für den Heiligen Stuhl strategisch
nicht weniger wichtige Nuntiatur versetzt. Bereits im Herbst 1916 war Eugenio Pacelli, damals Unterstaatssekretär, im Gespräch füLr die Münchener Nuntiatur gewesen, die er dann nach dem Tod Aversas (17. April 1.91.7), arn 20.
April 1917 erhielta.
Vor diesen Revierments konzipierte man im päpstlichen Staatssekretariat
Instruktionen
für ValfTè di Bonzo. An ihnen arbeiteten die beiden Unterdie
staatssekretäre Federico Tedeschini und Eugenio Pacelli, deren Handschriften
das uns vorliegende Konzept von 20 Kapiteln ausweist s.
ländische Gesinnung des Genannten und besonders seine Anhåinglichkeit an das Haus Savoyen".
HHSTA, PA XI, 255, Der Gesandte Solkon¡izs ftir den österr.-ungar. a.o. Gesandten beim Heiligen Stuhl- Moritz Graf Pálffy von Erdöd, an Baron Stephan Burian, Minister des k.u.k. Hauses
und des Äußeren, Bern, 191ó September 19: "..., daß der Nachfolger Kardinal Scapinelli's über
eine etwas weit verzweigte Verwandtschaft in militåirischen Kreisen verfügt... r.
2 AE, Austria 527, Prot.20.387 (undatiert), "Istmzione per Mons. Teodoro Vaìfrè di Bonzo,
Nunzio Apostolico di Austria-Ungheria", Einleitung.
3 DBA, N¿ 97/41 (: NL Matthias Erzberger), und PAAA, Pcipstlicher Stuhl 4, Bd. 10,
Chur, 191ó September 19,Franz Edler von Stockhammern, Geheimer Legationsrat, an Theodor
von Bethmann-Hollweg, Konfidetenbericht des Herrn 99. Nach Wilhelm Pmw, Beiträge zur Ge-
schichte der Deutsch-Vatikanischen Beziehungen in den letzten lahrzehnten, Berln 1942,56,
war oDieser Herr '99' einer der vier Großwr-i¡denträger des Großorients von Rom, ... er war der
amtliche Redner bei allen offiziellen Veranstaltungen des Großorients. 1904 schied er aus dem
Großbeamtenkörper aus, unterhielt aber auch weiterhin rege Beziehungen zu den maßgebenden
Persönìichkeiten der italienischen (sowohl der offiziellen, wie auch der dissidierenden) und ausländischen Freimaurerein.
a D¡ M¡ncur (wie Anm. 1), 59; HHSTA, PA X[,255, Bern, 1919 September 19, Solkon¡izs
an Burián; Credentiale für Eugenio Pacelli: A.S.V., Epistolae ad Principes, Pos. e Minute 163,
fol. 14, Rom, 1917 April 20.
s ÃF,, Austria 527, ProI.20.387 (undatierl und unfolüert); o¡ M¡ncnr, 240. Federico Tedeschini wurde am 31. März 1921 Apostolischer Nuntius in Spanien.
-_
OSTERREICH-UNGARN ÀUS DER SICHT DES VATTKANS
277
Pacelli schrieb eigenhåindig das große erste Kapitel über die staatskirchliche Gesetzgebung in Österreich-Ungarn, er verfaßte die Kapitel über "Die
Låinder der deutschen Krone" (über die Christlichsoziale Partei, die Katholische Aktion, über die Los-von Rom-Bewegung und den Abfall von der katholischen Kirche in österreich), jenes über die Katholische Autonomie in Ungarn
und Bemerkungen und Zusätze zu Kapitel XV: "Der Heilige Stuhl und der
österreichisch-ungarische Krieg". Alle anderen Texte stammen von Tedeschini
und einem uns unbekannten Schreiber.
auf Nuntiaturberichten vergangener
Die Instruktion Valfrès
- basierend
Abhandlungen, Presseinformationen und
Jahrzehnte, kirchenrechtlichen
widersprüchlicher Beziehungen
päpstlichen Enuntiationen6
- bietet ein Bild
zwischen der Österreichisch-ungarischen Monarchie und dem Heiligen Stuhl.
In der Einleitung wird dem neuen Nuntius die Bedeutung seiner Mission vor
Augen gestellt. Er hätte seine Aufmerksamkeit auf die religiösen und moralischen Interessen der katholischen Kirche des Habsburgerreiches zu lenken, das
im europáischen Krieg "das bedeutendste Bollwerk der christlichen Religion
geblieben isb. Pacelli beginnt das erste Kapitel über die staatskirchliche Gesetzgebung mit einer kurzen Darstellung des Josephinismus, der "die Kirche der
Omnipotenz des Staates> unterworfen und der mit der Annahme des Westfåilischen Friedens (1ó48) die Grundlage ftir die Toleranzgesetzgebung geschaffen
hätte (1781). Er spricht dann über das Konkordat von 1855, und über das
Wiederaufleben des 'Josephinismus" seit 186ó?. Österreich-Ungam sei Typus
des paritätischen Staates und trotz der Mehrheit der katholischen Bevölkerung
würde in der österreichischen Verfassung auf die katholische Religion keine
besondere Rücksicht genommen.
Sehr ausfli]rlich besprach Pacelli die Maigesetze von 18ó8 (Ehegesetz,
Schulgesetz und interkonfessionelles Gesetz) und die Auflösung des Konkordates (1870). Er unterzog die konfessionellen Gesetze von 1874 einer scharfen
Kritik (sie beruhten auf dem Prinzip der unbegrenzten Macht des Staates und
auf seinem Recht, Einfluß auf Religionsangelegenheiten zu nehmen. Theoreó Janos BOREDv, "Einige Bemerkungen zur Abhandlung von Dr. Reiner über die Besetzung
der Bisthümer in Ungarn": Archit fùr katholisches Kirchenrecht 61 (1889) 44-46; Pü IX Pontificis Maximi Acta, Parc I, Vol. IV, Roma 1857 (Reprint: Graz 197 l), 407ff.
7 Pacelli übersieht den Unterschied zwischen dem 'Josephinismus' als staatskirchlicher Gesetzgebung des späten 18. Jahrhunderts und den konfessionellen Gesetzen des Liberalismus im 19.
Jahrhundert. Diese beriefen sich zwar auf Joseph II., strebten aber nach einer Trennung von Staat
r¡nd Kirche, wåihrend Joseph II. die Integration der Kirche in den Staat zum Wohl des Staates versuchte. Interessanterweise kultivierte man beim Heiligen Stuìl den Begriff 'Josephinismus' bis zu
Beginn des 20. Jahrhunderts, mit dem man die spätere konfessionelle Gesetzgebung identifizierte.
Daraus erklåirt sich u.a. die kontroversielle Sicht des 'Josephinismus' in der Historiographie des
18. Jah¡hunderts. Dazu: Elisabeth KovÁcs, "Giuseppinismo" , in Dizionario degli Istituti di Perfezione-IY, Roma 1977, Sp. ó11-ó15; oIns., "Was ist Josephinismus?", in Osterreich zut Zeit Kaiser Josephs IL Mitregent Kaiserin Maria Theresias, Kaiser und Landesfürst (Katalog des Niederösterr. Landesmuseums, n.F.95), Wien 1980, 24-30, rÍttt dort angegebener Literatur; "Der Josephinismus", tn Ausgewrihlte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reþrmen,
hrsg. v. Harm Kruprrxc (Ausgewåihlte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Frefüerr
vom Stein-Gedächtnisausgabe, XIIa), Darmstadt 1995; vgl. auch unten S.335-349.
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ELISABETH KOVÁCS
tisch seien die österreichischen Kultusgesetze von 1874 den preußischen
Kulturkampfgesetzen gleichzustellen, ihre praktische Durchftihrung würde
jedoch von der Kooperation des Episkopates mit dem Heiligen Stuhl
gemildert. In österreich existiere der praktische Josephinismus, obwohl sich
die Regierung gegenüber der Kirche respektvoll verhalte. Dies sei die Ursache
(warum die Zustlinde in der Kirche schlechter sind als man glaubtr, denn um
nicht die Gunst der Machthaber zu verlieren, leisteten Klerus und Katholiken
nicht jenen Widerstand, den sie leisten sollten. Ein Gesetzesentwurf zugunsten
der Ehescheidung in Österreich, zu Beginn des Jahres 1906 vorgelegt, war von
einer päpstlichen Intervention blockiert worden. Kaiser Franz Joseph I. hätte
am 13. Ill.árz 1906 dem Papst versichert, er würde einem solchen Gesetz nicht
zustimmens.
Ausführlich und kritisch stellt Pacelli das ungarische Patronatsrecht dar,
nach dem der König ein besonderes Schutzrecht für die Religion, für die katholische Kirche und ihre Organisationen besäße. Er könnte Diözesen errich-
ten, Bischöfe ernennen, ihnen Benefizien übertragen, bischöfliche Koadjutoren mit dem Recht der Nachfolge, Äbte, Pröpste und Titularpröpste einsetzen. oEs ist kaum notwendig zu bemerken, daß diese übermäßigen Zuschreibungen, die man dem ungarischen König als oberstem Patron zugestehen
will, eine völlige Dienerschaft der Kirche und ihre gaîze Abhängigkeit von
der weltlichen Macht bedeuten. Dies alles ist ohne juridisches Fundament, e.
Bis 1848 sei in Ungarn das kanonische Recht Teil der Verfassung gewesen.
Seit damals hätte eine tiefgreifende Veränderung stattgefunden und nach
Auffassung des Heiligen Stuhles hätte das Konkordat auch in Ungarn gegolten. Seit 18ó8 wurden in Ungarn Gesetze (gegen die Rechte und gegen die
Freiheit der Kirche" promulgiert, besonders bezüglich des Konfessionswechsels in gemischten Ehen und i.iber deren Scheidung. 1894 wurde auch die Zivilehe eingeftihrt to.
Am 3. Dezember 1905 erließ der Landtag von Zagreb (Sabor) ein interkonfessionelles Gesetz mit Zustimmung des Erzbischofs Jurij (Georg) Posilovic
(1894-1914), das das Heilige Offizium am 18. März 1908 verwarf. nDeswegen
sind die Bischöfe und die Katholiken Slavoniens verpflichtet, alles zu unternehmen und zu insistieren, ... daß dieses unglückselige Gesetz zurückgenommen
oder wenigstens von Grund auf geåindert wirdr. Es ist fünen verboten, an der
Durchführung des geltenden Gesetzes mitzuwirken, vornehmlich bei der katholischen Erziehung von Kindern aus gemischten Ehen oder bei Konversionen zur katholischen Kirche. Der Widerstand der Katholiken gegen dieses Ge-
8 Peter L¡Iscut¡tc, "Die Römisch-Katholische Kirche in Cisleithanien" in Habsburgermonar,
chie lV , l-247 .
e Johann Csnn¡,¡ocn, "Das Wah-l- und Ernennungsrecht bezüglich der Bischöfe und höheren
Prälaten in Ungarn": Archiu fùr katholisches Kirchenrecht 51 (1984) 138-140; Stephanus SIros,
Enchiridion luris Canonici, Romae 1954, 905 (Register: Rex Hungariae).
r0 Moritz CsÁrv, "Die Römisch-Katholische Kirche i¡ Ungarn", in HabsburgermonarchielY,
248-331.
OSTERREICH-UNGARN AUs DER SICHT DES VATIKANS
)10
setz sei religiös begründet, 'obedire opportet magis Deo quam hominibus',
man muß Gott mehr gehorchen als den Menschenlr.
Die Kapitel zwei bis fünf dieser Instruktion beziehen sich auf die kirchlichen Zustände und Probleme in den LZindern der Deutschen Krone. Zunächst
wurde der Nuntius zu großer Wachsamkeit über die religiösen Orden aufgerufen, deren strenge Disziplin verschiedentlich zu wünschen übrig ließ. Einige Bi
schöfe hatten der Lockerung der päpstlichen Klausur zugestimmt. Erwåihnt
werden die Konvente der Unbeschuhten Karmeliten, der Piaristen und der
Barnabiten in Wien, solche von Serviten und Minoriten 12.
In seinem Exkurs über die Christlichsoziale Partei schrieb Pacelli, daß es
das Ziel Dr. Karl Luegers gewesen sei, "Wien von der präpotenten Vorherrschaft der Juden zu erlösen... Diese Partei, aus heterogenen Elementen gebil-
det", sei ideologisch und in ihren religiösen Auffassungen heterogen. "Alle
sind sich darin einig, daß sie sich vom hebräischen Joch, besonders vom finanziellen befreien wollen... Das große heutige Wien ist das Werk Luegers
und es ist allein sein Werk, daß die Schulen in Niederösterreich katholisch
sind". Nach Luegers Tod sei die Partei unter Korruptionsverdacht geraten.
Es kam zu Spaltungen und die Konkurrenz des Sozialismus, der während
des Krieges beim Volk viele Sympathien gewonnen hatte, gäbe zu großer
Sorge Anlaß
13.
Im Kapitel vier <Die Katholische Aktion" stellt Pacelli fest, daß die österreichischen Katholiken zum Großteil noch kirchentreu seien. Es fehle aber der
Bevölkerung die nattirliche Fåihigkeit des Ernstes und der Beståindigkeit, sich
analog zu den deutschen Katholiken zu organisieren. Die nationale Frage sei
so hochgespielt, daß sie die Katholiken
Geistliche wie Laien
über die reli- für die Existenz der
- katholischen
giösen Interessen stellten. Der beste Garant
Kirche sei noch immer die Herrschaft der habsburgischen Dynastie. Höchste
Aufmerksamkeit sei deshalb auf die Bischofsernennungen zu richten la. Es
seien nur solche hiester zu ernennen, die ihr eigenes Land und füre eigene
Sprache liebten und die die Interessen der Religion über jene der Nationalität
stellten. Sie sollten fähig seien, die Serie von kirchlichen Organisationen in der
Katholischen Aktion zu vereinigen.
Die Sterilität der Katholischen Aktion in Österreich sei durch die Rivalität
von Adel und Bürgertum verursacht. Die Aristokratie beanspruche die Repräsentation der katholischen Organisationen und verweigere die Kooperation,
wi.iLrde man sie ihr nicht zugestehen. Sie überließe, zur Vertretung nominiert,
rr Dieses Gesetz wr-rde am 17. Jåinner 1906 zw Regelung der interkonfessionellen Angelegenheiten im füist der Parität zwischen den Konfessionen im Sabor beschlossen, obwohl in der katholischen Offentlichkeit dagegen scharfe Vorwü¡fe erhoben wu¡den. Vgl. Ivan VIrEzrc, "Die Römisch-Katholische Kirche bei den Kroaten", in Habsburgermonarchie I\l , 379.
t2 AE, Austria 527, Prot. 20.387 , "II. Ordini Religiosi in Austria Ungheria".
t3 AE, Austria 527, Prot. 20.387, "[I. Il Pa¡tito cristiano-socia]e".
ta Max Hussen¡r voN HeIt.¡L¡Itt, "Zum Tatbestande des landesftirstlichen Nominations- und
Bestätigungsrechts füLr Bistürner in Osterreich 1848-1918": Zeitschr. d. Savigny-stiftung für
Rechtsgeschichte 47, Kan. Abtlg. 16 (1927) 181-252.
280
ELISABETH KOVÁCS
den BüLrgerlichen Arbeit und Mi.iLhe und erzeuge soziale Spanungen. Die Hegemonie der katholischen Nobilität müsse jedenfalls beseitigt werden, man möge
das deutsche Modell der Zentrumspartei nachahmen, in der sich nMitglieder
des höchsten und âltesten Adels unter Bürgerliche und Arbeiter mischen'. Sie
überließen die Fi.ihrungsangelegenheiten kompetenten Persönlichkeiten und
rs.
begnügten sich mit Plätzen in der zweiten Reihe
Anschließend besprach Pacelli die Konflikte zwischen den Konservativen
und d.en Christlichsozialen in Österreich, sie wi.irden Schlag- und Stoßkraft katholischer Politiker gegenüber Liberalen und Sozialisten schwächen. 'Es wä¡e
sehr zu wünschen, daß sich alle wahren Katholiken vereinigen, wenn nicht in
einer Partei, so doch in einer stabilen Union. Würden die Bischöfe, eine solche
1912 verstorbenen Bischof Joseph Altenweisel, auf die Konflikte zwischen den
16. Nachdem der
Konservativen und Christlichsozialen in der Diözese Brixen
Sozialismus im Habsburgerreich große Fortschritte mache und dessen alte Geschichte zu zerstören drohe, sei es vordringlich, die katholischen Arbeiterorganisationen zu intensivieren. Gegenüber dem kirchenfeindlichen Einfluß des Liberalismus mtißte den katholischen Studenten die größte Sorge gelten. Sie
seien Opfer ihrer liberalen Kollegen, die fürerseits von den Professolen und
der Presse gestützt würden.
In diesem Zusammenhang richtet sich die Instruktion auf die Beschreibung der österreichischen Presse (Neue Freie Presse), in der der "jüdisch-frei
maurerische" Einfluß dominiere. Die okatholischen Tageszeitungen Reichspost
und. Vateiland sind nicht auf dem Niveau der Sache, die sie verfechten". Es
fehle eine katholische Tageszeitung. Die Reichspost, das Organ der Christlichsozialen sei antisemitisch, antimassonisch und antütalienisch, sie wurde während des Krieges militaristisch r7. In Wien sei das Modell der Großstadtseelsorge sehr positiv in Angriff genommen worden, es habe sich auch eine Vereinig.rtrg ,.,* Bau von Notgottesdienststätten zusalnmengefunden, um die seelÀorglichen Bedingungen in der übervölkerten Stadt zu verbessernrE.
ÖSTERREICH-UNGÀRN ÀUS DER SICHT DES VATIKANS
281
Nochmals kam der Unterstaatssekretär auf die kirchliche Situation in Tirol
zu sprechen, in der sich Bischof Josef Altenweisel (Brixen) gegenüber der
Christlichsozialen Partei sehr ablehnend verhalten hatte. Der Nuntius sollte die
katholischen Kräfte im Habsburgerreich systematisch ermutigen, den
Episkopat lebhaft für die Katholische Aktion interessieren. Er solle darüber
wachen, daß die Katholische Aktion mit der Doktrin der Kirche und mit der
Leitung des Heiligen Stuhles konform ginge, daß sie nicht in die Hände von
liberalen und antirömisch gesinnten Menschen fiele.
Sehr ausführlich spricht das ftinfte Kapitel über die Los-von Rom-Bewegung, die eine Union der Deutschen Österreichs mit dem evangelischen
Deutschland nach dem Ideal Bismarcks herbeiführen wollte. Es weist auf die
Agitationen des Gustav-Adolf-Vereines mit seiner antirömischen Propaganda
in Verbindung mit den Pangermanisten hin. Obwohl die Wirkung der Los-von
Rom-Bewegung nachlasse, füge sie der katholischen Kirche beträchtlichen
Schaden zure. Nach dem Nuntiaturbericht Belmontes vom 28. Oktober 1907
lagen die Ursachen für die Übertritte von Katholiken zur evangelischen und
zur altkatholischen Kirche Österreichs in der Unzulåinglichkeit des Religionsunterrichtes, in fehlenden Kirchen in den Großstädten, in der Isolation der Dörfer und in der Nachlàissigkeit einiger Bischöfè beim Ansuchen um Dispensen
ftir Mischehen. Damals war Belmonte angewiesen worden, die Bischöfe diesbezüglich streng zu ermahnen. Sie wären, gegenüber der Regierung zu servil.
<Die Bischöfe, ... können ihre Stimme erheben und Maßnahmen gegen den
Protestantismus treffen; aber sie werden gescholten von den Liberalen in der
Kammer, oder das Ministerium ruft die Bischöfe zur Ordnung, und es ist unmöglich, das zu verhindern". Bei den zukünftigen Bischofsernennungen müßte
man apostolische Måinner wählen, die die katholische Religion besser vertei-
digten 20.
Verschiedene katholische Vereine, besonders der Bonifatiusverein, der in
Wien öffentliche Veranstaltungen abgehalten hätte, arbeiteten gegen die
Los-von Rom-Bewegung und versuchten energisch, ihre Attacken gegen Religion und Vaterland zu parieren. Ttotz anhaltender Propaganda der GustavAdolf-Vereine schien die Los-von Rom-Bewegung in Österreich eingedåimmt.
Mit ihrer antirömischen Tendenz breitete sie sich nun in Böhmen und Måihren
aus, wo die katholische Kirche vom deutschen Protestantismus und vom nationalen Hussitismus geschädigt wijrde 21.
Analog zur Deskription der österreichischen Kirche beziehen sich fïinf weitere Kapitel der Instruktion Valfrès auf die Kirche in Ungarn und auf füre Verflochtenheit mit den Gläubigen des östlichen Ritus, des armenischen, des griete Friedrich
Gorr¡s, "Die Geschichte des Protestantismus in der Habsburgermonarchie", in
IV, 386-390.
Hab sbur germonarchie
20
Zuden Bischofsernennungen: Habsburgermonarchie IV, 844 (Register: Nomination, No-
minationsrecht).
2r Futtotn, Vom Gestern ins Heute (wie Anm. l7),215-231; Gorms, "Geschichte des Protestantismus" (wie Anm. 19), 588-591.
282
ELISABETH KOVÁCS
chisch-rumänischen und des griechisch-ruthenischen Ritus. Diese uOstchristen,
lebten innerhalb der Grenzen Ungarns in Kroatien und Siebenbürgen, über
die Grenzen Ungarns hinweg in Galizien und in der Bukowina22.
Ausführlich behandelt das Kapitel VI die Autonomie der katholischen Kirche in Ungarn23. Angesichts des Patronats- und Präsentationsrechtes des Königs, der Parität mit Protestanten (seit 1790/92) und Griechisch-Orthodoxen
(seit 1848 und 18ó8), begannen auch die ungarischen Katholiken von Autonomie zu sprechen. Den anderen christlichen Konfessionen war die weitgehende
Autonomie von der ungarischen Regierung bei der Ernennung fürer Priester,
bei der Leitung fürer Schulen und bei der Verwaltung ihrer religiösen Stiftungen gewährt. Deshalb ordnete der König 1870 die Wahl von Respräsentanten
an. Sie erarbeiteten einen Autonomieplan (187 1), in dem die Laien (ein unzul2issiges Übergewicht in der katholischen Kirche, erhielten. 1895 und in den
darauf folgenden Jahren wurden andere Pläne erstellt, die den Laien ebenfalls
eine <übermZißige Einmischungo in kirchliche Belange zugestanden.
Der Heilige Stuhl nverabsäumte es nicht, dem ungarischen Episkopat seine Meinung in dieser Angelegenheit zw Kenntnis zu bringen. Er stellte fest,
daß der katholischen Kirche durch göttliches Recht die vollståindige Autonomie
zustehe, die in Ungarn umsomehr Anerkennung hätte finden müssen, damit
der Katholizismus nicht unterhalb der sieben 'Andersgläubigen' rangiere,. Der
Heilige Stuhl würde den Plan der Katholischen Autonomie unweigerlich verurteilen. oln Anlehung an die heterodoxen Sekten, wi.irden Gewalt und kirchliche Rechtssprechung auf das Laientum übergehen und die Rechte des Römischen Pontifex und des Episkopates verletzt werdeno'
Der Plan von Kt¡ltusminister Graf Albert Apponyi aus dem Jahr 1908 suchte eine administrative Vereinigung aller ungarischen Katholiken, jener des griechisch-rumåir¡ischen Ritus mit jenen des lateinischen Ritus. Die griechisch-rumänische Kirche Ungarns war vom Heiligen Stuhl und vom ungarischen öffentlichen Recht als separierte kirchliche Provinz anerkannt und dem Heiligen Stuhl
direkt unter5¡sll¿. uAuf diese Weise wollte die Regierung den Rumåinen eine fürer nationalen Bindungen nehmenr. Sie wehrten sich dagegen und appellierten
über die Wiener Nuntiatur an den Heiligen Stuhl, an den Kaiser und den ungarischen Episkopat. Im Jahr 1913 versuchte man nochmals, einen modifizierten
Plan zur Katholischen Autonomie zu erarbeiten. Der Nuntius war' urn eine rasche lösung des seit langem anstehenden Problems bemüht, denn es war bei
der zunehmenden Radikalisierung der Parteien notwendig, die Nutzung und
Verwaltung des Kirchengutes zu sichern. Das hoblem blieb durch den Ausbruch
des Ersten Weltkrieges ungelöst. Valfrè di Bonzo sollte die noch zu erstellenden
Statuten einer Katholischen Autonomie in Ungarn beeinflussen, damit die Rechte von Heiligem Stuhl und ungarischem König gewahrt blieben.
22 Diözesen Crisio, Eperjes, Munkács, Hajdúdorog und in verschiedenen Klöstern des Basilianerordens.
23 AE, Austria 527, Prot. 20.387, "VI. Autonomia della Chiesa Cattoìica in Ungheria''; vgl'
dazu auch: CsÁry, "Die Römisch-Katholische Kirche in Ungarn" (wie Anm. l0), 271-275'
305-306.
lF__
OSTERREICH-UNGARN AUS DER SICHT DBS VATTKANS
283
Drei ausführliche Kapitel zum Thema der Kirche in Ungarn befassen sich
mit den Ruthenen ('Rusnyny'), einem slawischen Volksstamm, der zersplittert
sowohl in Teilen der Osterreichisch-ungarischen Monarchie (in Galizien, in
nordungarischen Komitaten und in der Bukowina) als auch in Rußland (Karpathorußland) lebte. Die 'Rusnyny' (bis 1918 in der Österreichisch-ungarischen
Monarchie offiziell als Ruthenen bezeichnet) veråinderten ihren Namen im allgemeinen Nationalisierungsprozeß des späten 19. und füihen 20. Jahrhunãerts in Ukrainer. Ein Teil der galizischen Ruthenen in der Österreichisch-ungarischen Monarchie entwickelten im Einflußbereich von russischer Orthodoxie und Panslawismus russophile Tendenzen2a.
Gegen diese Propaganda wandte sich der andere Teil, die ukrainische Partei, und träumte von einer selbständigen, vereinigten Ukraine, einer Ruthenenprovinz innerhalb der Österreichisch-ungarischen Monarchie. Einer ihrer
Führer war der Basilianermönch Monsignore Andrej Graf Szeptickyj, seit 1900
ruthenisch-griechischer Metropolit mit Sitz in Lemberg. In den Sommermona-
ten des Ersten Weltkrieges wurde Szeptickyj nach dem Fall
Lembergs
(1,2.09.1914) von russischen Truppen gefangengenommen und am 30' September 1914 unter dem Titel eines politischen Agitators nach Rußland deportiert. Tatsächlich hatte der Metropolit am 15. August 1914 in Erwartung eines
schnellen Sieges Osterreich.Ungalns über Rußland ein Memoriale verfaßt, in
dem er die Vereinigung der gesamten Ukraine, füre Integration in die Habsburgermonarchie, wie ihre politische, juridische, soziale und religiöse Neuordnung forderte. Das Konzept dieses Promemoria, das er an die Österreichisch-ungarische Regierung übersandt hatte, war bei der Eroberung Lembergs von den russischen Truppen gefunden worden. Man begründete damit
Szeptickyjs Deportation nach Rußland und seine strenge Gefangenschaft. Trotz
vatikanischer, amerikanischer und spanischer Interventionen war Rußland
nicht gewillt, Szeptickyj freizulassen2s. uAus den letzten beim Heiligen Stuhl
eingelangten Nachrichten geht hervor, daß Monsignore Szeptickyj heute mehr
denn je isoliert wird und daß es füm unmöglich ist, mit irgend jemandem Verbindung aufzunehmen. Außerdem, sagt man, sei sein Gesundheitszustand wegen der rigorosen Behandlung, der er in materieller wie in moralischer Hinsicht ausgesetzt ist, sehr schlechto. Der neue Nuntius ist aufgefordert, alles nur
Erdenkliche zu unternehmen, urn Monsignore Szeptickyj zu helfen26'
Mit dieser Symbiose konfessioneller und nationalistischer Tendenzen innerhalb der Habsburgermonarchie befassen sich auch die Kapitel 8 und 9 von
Valfrès Instruktion, in denen man fün über die kirchenrechtlichen Forderungen der ungarischen griechisch-unierten Ruthenen in den Vereinigten Staaten
Wolfdieter Brsl, ,,Die Ruthenen,', in Habsburgermonarchie llv2, 555-584; Emanuel
Unierte", in H absbur germonatchie lV, 448-453.
2s Ambrosius Eszrn, "Der Diener Gottes Metropolit Andrej Szeptickyj und der Plan eines Katholischen Patriarchats der Ukraine": Die stille Schar. Iahrbuch der Gebetsliga, 1991,5-28, mit
2a
TuRczyNSKr, "Orthodoxe und
Abdruck des Promemoria.
26 AE, Austria 527,
Mons. Szepticki" (sicl).
Prot.20.387, "VII. Sui fedeli di rito orientale in Austria-Ungheria -
284
ELISABETH KOVÁCS
und über den Gebrauch der ungarischen Sprache in fürer heiligen Liturgie informierte. In den USA lebten ca 400.000 bis 500.000 griechisch-unierte Ruthenen galizischer und ungarischer Herkunft. Die H2ilfte von ihnen war kirchlich
organisiert und besuchte eigene Kirchen. Der Rest lebte verstreut, einige gingen in römisch-katholische (lateinische) Kirchen, andere wechselten zur griechischen Orthodoxie oder zum Protestantismus über, ndie meisten von ihnen
bleiben der Kirche und den sakramenten in ritueller Hinsicht fern,. Nur wenige ruthenische Pfarren waren in der Nationalität ihrer Mitglieder einheitlich
und unvermischt, ausschließlich galizisch oder rein ungarisch, die meisten waren gemischt. 1907 betraute der Heilige Stuhl mit seinem Dekret Ea semper
den galizischen Prdlaten Ortynsky 27 mit der Seelsorge griechisch-unierter Ruthenen in den USA. Die Gläubigen ungarischer Nationalität protestierten gegen ihn als neuen Bischof. Man denuzierte Ortynsky als politischen Agenten
Galiziens und Österreichs und wü,nschte einen eigenen ungarischen Prálaten
für die Seelsorge der ungarischen Ruthenen2s. Tatsächlich waren die Beziehungen zwischen Ruthenen und galizischen Polen innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie sehr gespannt und, wie wir aus den Aufzeichntrngen des Thronfolgers Erzherzog carl Franz Joseph, des späteren Kaisers
und Königs Karl, wissen, unterdrtickten die Polen die Ruthenen2e. In ihren
Magyarisierungsimpulsen unterstützte die Budapester Regierung die Forderungen der ungarischen Ruthenen in den usA nach einem eigenen kirchlichen
oberhaupt. Der Heilige stuhl lehnte ab. um seine Kompromißbereitschaft zu
signalisieren, entzog er ortynsky der Judikatur der lateinischen Bischöfe in
den Vereinigten Staaten und unterstellte fün direkt dem Heiligen Stuhl, dem
Apostolischen Delegaten in den USA. Man schlug der ungarischen Regierung
vor, Ortynsky einen ungarischen Generalvikar beizugeben. Budapest war damit nicht zufrieden. Man ersuchte nun, den ungarischen Generalvfüar zum
Bischof zu erheben und präsentierte sogleich einen Kandidaten. über all diesen diplomatischen Schritten starb ortynsky und es stand nun ein Dreiervorschlag für die Neubesetzung fest. Ein Kanonikus aus dem Bistum Eperjes, ein
ungarischer Ruthene, war erstgerefüt 30.
Landeskirchliche Tendenzen waren bei den ungarischen Katholiken des
griechisch-ruthenischen Ritus bis ins 17. Jahrhundert zurückzuverfolgen: man
tendierte nach einem eigenen Episkopat und wollte die heilige Liturgie in der
ungarischen Landessprache feiern. Diese Bestrebungen nahmen im Nationalisierungsprozeß des 19. Jahrhunderts zu. Der Klerus der griechischen Ruthenen in Ungarn begann um 1848 die heiligen Messen bis auf den Kanon ungarisch zu zelebrieren. Nach dem Ausgleich von 18ó7, dem Abschluß des neuen
verfassungswerkes der Österreichisch-ungarischen Monarchie, der dem ungain
fl.,
30
Wie oben Anm. 29.
OSTERREICH-UNGARN AUS DER SICHT DES VATIKANS
285
rischen Königreich staatliche Unabhängigkeit von den anderen habsburgi
schen Kronlåindern zugestand, begann eine eigene Kommission, die liturgischen Bücher der griechischen Ruthenen in die ungarischen "Vulgåirspracheo
zu übertragen und zu publizieren. Die griechisch-ruthenischen Bischöfe Ungarns w¿rren ohne Zustimmung und ohne Information des Heiligen Stuhles
bei diesen liturgischen Neuerungen vorgegangen. Rom erfuhr aus den Zeitungen, daß am 27. Juni 189ó in der Budapester Universitätskirche ein feierlicher Gottesdienst nach griechisch-ruthenischem Ritus in ungarischer Sprache abgehalten worden war. Der Heilige Stuhl reagierte rasch (20.08.1896):
Er bezeichnete das Abhalten der ungarischen Liturgie nals Mißbrauch, der
nicht zu dulden wäre>, um die Bildung von Nationalkirchen zu vermeiden
und um die Einheit der Kirche zu erhalten. Bereits wenige Wochen danach
reagierte das Heilige Offizium am 02.09.189ó mit einem Verbot, die liturgi
schen Bücher in ungarischer Sprache zu veröffentlichen und danach die Liturgie zu feiern.
Nun wurden diese zweifellos pastoralen Unternehmungen zum kirchenpolitischen Problem, bei dem sich die ungarische Regierung für den griechischruthenischen Episkopat engagierte. Schließlich gelang nach zehnjåihrigem
Schriftwechsel ein Kompromiß: der Heilige Stuhl errichtete am 8. Juni 1912
die neue Diözese Hajdúdorog ftir Gläubige des griechisch-ruthenischen Ritus in
Ungarn. Er wollte mit dieser Diözesangründung "den säkulären Agitationen
all jener magyarischen oder magyarisierenden Gläubigen" aus anderen ruthenischen oder rumänischen Diözesen ein Ende setzen. Denn die Ungarn unterstanden sehr ungern Bischöfen anderer nationaler Herkunft: die Budapester
Regierung, ndie das alte Vorhaben, alles zu magyarisieren mit Zåihigkeit wei-
ter betrieb und mehr oder weniger direkt den Mißbrauch der ungarischen
Sprache in der hl. Liturgie förderteo, unterstützte diese Tendenzen gaaz offen.
Nachdem Papst Pius X. die Diözese Hajdúdorog errichtet hatte, schrieb er ihr
ndas Altgriechische als liturgische Sprache vor,. Er billigte den Priestern eine
Frist von drei Jahren zur Erlernung der Sprache zu und ordnete an, daß sich
"der ruthenischen oder rumänischen Sprache im Gottesdienst bedienteno.
Die Rumåinen waren von Anfang an gegen die Errichtung der neuen Diözese, besonders, da einige fürer Pfarren Hajdúdorog eingegliedert werden sollten. Trotz kalmierender Bemi.ihungen des Heiligen Stulles nahm die Empörung der Rumänen darüber in ki.irzester Zeit außerordentlich zu. Sie verdiese in der Zwischenzeit
weigerten dem neuen Bischof den Gehorsam. Die ungarische Regierung befürchtete den Einfluß panslawistischer und russophiler Tendenzen auf die Rumänen des griechisch-ruthenischen Ritus. Sie unterstüzte deshalb die ruthenischen Bischöfe rumänischer Nationalität, die eine Revision der Gründungsbulle
von Hajdúdorog, Christi fideles, und die Ausgliederung der rumänischen Pfarren aus der neuen Diösese beantragten. Nun ordnete der Heilige Stuhl eine
Untersuchung dieser Anträge an. Darüber brach der Krieg aus. Der Nuntius
wurde aufgefordert, sofort nach Kriegsende sich diesem Problem zuzuwenden
F,LISABETH KOVÁCS
286
und fifu den Druck der liturgischen Bücher in altgriechischer Sprache zu
sorgen
31.
Als letztes Kapitel über die ungarische Kirche behandelt Kapitel X die Katholische Volkspartei. Analog zur konservativen Partei in Österreich wurde in
Ungarn die Katholische Volkspartei von der magyarischen Aristokratie unterstützt. Sie wollte in Koa-lition mit anderen Parteien die Regierung bekämpfen,
falls sie deren Programm und Gesetzesvorlagen deren als ftir die Nation unhätte die ideologische
gtiLnstig fand. Diese Koalition
l9l2 vorangetrieben
Grundlage der Katholischen Volkspartei zerstört. Deshalb stellte sich der Episkopat dagegen. Der Klerus leistete finanzielle Unterstützung, um die politischen Prinzipien der Katholischen Volkspartei aufrechtzuerhalten. Da konkrete Erfolge fehlten, wollte man diese finanzielle Förderung einstellen.
Der Aufschwung der Sozialdemokratie, die bei den ungarischen Bauern
und Arbeitern Zustimmung fand, schien eine radikale Reform und eine Neuorganisation der Katholischen Volkspartei zu gebieten. Ihr Reformprogramm
sollte sich an den Prinzipien der christlichen Soziologie orientieren, um nden
Sozialisten jene Waffe aus der Hand zu nehmen, derer sie sich bedienen, um
die Massen zu täuscheno. Anhänger der Ungarischen Volkspartei würden mit
der Christlichsozialen Partei Österreichs sympathisieren und mit deren Programm die Reform in Ungarn beginnen. Es sei jedoch darauf zu achten, daß
die Mängel und Unzulåinglichkeiten der Christlichsozialen Partei Österreichs
nicht auf Ungarn übertragen würden32.
Bevor sich das päpstliche Staatssekretariat den kirchenpolitischen Problemen im Süden der Donaumonarchie zuwandte und die Ansichten des Heiligen
Stuhles zum Ersten Weltkrieg darstellte, behandelte man in einem ku¡zen Kapitel die Bestimmungen der Haager Konventionen über die Ehescheidung zwischen Ausländern 33. Die Haager Konventionen basierten auf zivilem Eherecht
und waren dem kirchlichen Eherecht entgegengesetzt. Nach der Haager Konvention II konnten Auslåinder eine Ehescheidung beantragen. "Dieses Privileg
wird jedoch aufgehoben, wenn das Gesetz eines Staates sich das Recht, über
eine Scheidung zu urteilen, vorbehált: das gilt fi.ir Österreich, wo die Gerichte
nach der Konvention das Recht haben, über die Trennung von Ehen nach
österreichischem Gesetz zu entscheideno3a. Im Juni 1913 protestierte der
österreichische Episkopat durch den Kardinalerzbischof von Prag, Leo Graf
3t AF,, Austrio 527, Prot. 20.387 , "IX. Uso della lingua ungherese nella S. Liturgia. Erezione
della nuova Diocesi di Hajdu-Dorogh" (sic!); Erika WEINZIERI, "Spannungen in der Osterreichisch-ungarischen Monarchie 1878-7914": in Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. v. Hubert
J¡orN, IV, Freiburg 1973,54-55.
32 AF,, Austria 527,Pror.20.387, "X. Partito popolare cattolico in Ungheria"; CsÁKY, "Die
Römisch-Katholische Ki¡che in Ungarn" (wie Anm. 10), 304-309, 317-320.
33 Die Haager Konventionen über Familien¡echt, Eheschließung, Ehescheidung, Wirkungen
der Ehe, Vormundschaft und Entmündigung wurden 1902 und 1905 abgeschlossen'
3a AE, Austria 527, ProI.20.387 "XI. Convenzioni dell'Aja sulla forma del matrimonio e sul
divorzio".
Y
OSTERREICH.UNGARN AUS DER SICHT DES VATTKÀNS
287
Skrbensky3s, gegen die Annahme der Haager Konventionen du¡ch das Herrenhaus. Falls diese Konventionen rechtliche Punkte beri.ihrten, die ausschließlich
der Autorität der Kirche unterlägen, wiirden die Bischöfe an der Abstimmung
nicht teilnehmen. Der Protest wurde zwar in der Sitzung verlesen und zu Protokoll gebracht, dessen ungeachtet nahm das Herrenhaus die Haager Konventionen in erster und zweiter læsung an. Diese gingen danach zur Debatte ins
Abgeordnetenhaus und an den Kaiser zur Genehmigung'u.
Den kirchenpolitischen Problemen im Süden der Monarchie, der z.T. vom
Krieg betroffen war, und durch den sich die Linien der Fronten zogeru, sind die
Kapitel XII (Dalmatien), XIII (Trient), XfV (Bosnien und die Herzegowina)
gewidmet. Um ein objektives Bild zu gewinnen, erhielt Valfrè di Bonzo auch
den Text des Konkordates, das der Heilige Stuhl mit Serbien abgeschlossen
hatte 37.
Die kirctrliche Situation Dalmatiens kristallisierte sich um den damaligen
Bischof von Split, Mons. Anton Grivoje (Gjivoje). Obwohl bereits am 12. April
1915 aus uns unbekannten Grtinden vom Heiligen Stuhl abgesetzt und von
Erzbischof Vinzentius Pulisics 38 zur Demission aufgefordert, resignierte Grivoje (Gjivoje) nicht. Er begründete seine Absetzung mit der Ungnade der Regierung, weil er der serbophilen Partei anhing. Kaiser Franz Joseph und der Kultusminister hatten der Absetzung von Grivoje (Gjivoje) zugestimmt. Noch war
eine Pension fi.ir ihn beim Ministerium auszuhandeln. Auch dieses hoblem
war vom Krieg eingeholt worden und liegen geblieben3e.
In
Bosnien und Herzegowina, das Österreich-Ungarn 1878 okkupiert,
1908 annektiert und dem Osmanischen Reich abgekauft hatte, ließen sich die
Bewohner dieser Region, derselben Rasse angehörig, dieselbe Sprache spre-
chend nin drei voneinander verschiedene Hauptgruppen einteilen, wobei die
Kraft der Religion derart groß ist, daß die Konfession den Platz der Nationalität einnimmt". Die Katholiken nannten sich Kroaten, die Orthodoxen Serben
und die Muselmanen Bosnier. 22,88o/o der Bevölkemng waren Katholiken, davon 9.000-10.000 im griechisch-ruthenischen Ritus. Der größere Teil der Bevölkerung, ca. 826.000, waren griechisch-orthodoxe Serben (mehr als 43o/o),
3s læo Graf Skrbensky, Kardinalerzbischof von Prag (1899-191ó), Pråisident der österreichischen Bischofskonferenz, protestierte mit seinem Sch¡eiben, Prag,20. Juni 1913.
36 28. Sitzung des Herrenhauses am 23. Juni 1913; vgJ. Stenographßche Protokolle über die
Sitzungen des Herren- Hauses des Reichsrates 1911-1914, XXI. Session, Wien 1914, 571 (Brief
des Prager Fti¡sterzbischofs), 580-583 : Sitzungsprotokoll.
37 AF,, Austria 527, Prot. 20.387 , "XIL Vescovo di Spalato; XIIL Questione del Vescovo di
Trento Mons. Endrici; XW. Bosnia ed Erzegovina; XVII. Del Concordato Serbo". Das Konkordat
mit Serbien wurde am 24. Jlrrri 1914 abgesctrlossen. Es wr:rden die Bistümer Belgrad und Skoplje
errichtet. Bis l9l4 wurde Belgrad als Titula¡bistum herkömmlich an den Wefübischof von Agram
(Zagreb) verliehen. Bis zum serbischen Konkordat unterstand die katholische Kirche dieses Gebietes dem Erzbischof von Agram (Zagreb).
38 Erzbischof Vinzentius Pulisics, 19 I 8- 1922 Erzbischof von Zadar (Zara).
3e Bischof Grivoje (Gjivoje) verstarb arn 27.02.1917; ihm folge der von Kaiser und König
Karl im Einvernehmen mit Rom ernannte Georg Carió (1918-1921); vgl. dazu: AYA, Neuer Kultus, Präsidium 1918,ProT.2280 und 141ó, und AE, Austria 613,Prot.51.084, 60.996.
288
ELISABETH KOVÁCS
ó00.000 bekannten sich zum Islam (ca. 32o/o). In der Regionalversammlung,
die nach der Erwerbung von Bosnien und Herzegowina durch österreich-ungarn gebildet wurde, blieb das konfessionell-nationale Verhåiltnis 2:3:4. Die
katholischen Kroaten hatten 2l , die bosnischen Muselmanen 29 und die orthodoxen Serben 3ó Sitze in diesem Parlament.
Trotz ihrer schwäche waren die Katholiken gespalten: 1908 entstanden
die Nationalkroatische und die Katholisch-Kroatische Partei, die in Presse und
Nationalversammlung gegeneinander agitierten. Auch der Klerus war in diesen Konfljkt einbezogen. Die Franziskaner, die durch Jahrhunderte des Apostolats großen Einfluß auf die Bevölkerung hatten und der Apostolische vikar
von Banjaluka, Mons. Markovics (Markovic) a0, standen auf Seiten der Nationalkroatischen Partei. Der Erzbischof von Sarajewo trat ftir die Kroatisch-Katholische Partei ein. Dieser Konflikt übertrug sich auf die Pfarren, die Franziskaner und weltpriester betreuten. Er übertrug sich auch auf die Frage der
Kongrua, der staatlichen Besoldung des Klerus in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Franziskaner waren gegen die Kongrua, um das volk
vor übermäßigen Belastungen zu schonen. Die weltpriester sahen in der Einflihrung der Kongrua eine Erleichterung ihrer Finanzsituation. Seit November
1910 suchte der vatikan, diese Problematik selbst auszugleichen. Don pietro
Bastien, OSB, Professor an der Benediktiner Hochschule S. Anselmo in Rom,
wurde im Dezember l9l2 als vatikanischer sondergesandter nach BosnienHerzegowina delegiert. Es gelang füm, die streitenden katholischen parteien
einander näher zu bringen. schwieriger war die lösung des Pfarrproblems.
Die situation der weltkleriker war finanziell angespannt, doch sie waren in
der Minderzahl. Da die Franziskanerpfarren finanziell besser dotiert waren,
suchte der Erzbischof von sarajewo, Mons. Josef stadler, diese mit seinem
SZikularklerus zu besetzen.
Der Heilige stuhl und die wiener Regierung wtinschten übereinstimmend
Stadlers Resignation. Er hatte die finanzielle Verwaltung seiner Erzdiözese aus
mangelnder Umsicht derangiert, sie in einen entsetzlichen Zustand versetzt.
nHeute ist es füm untersagt, irgendeinen vertrag über kirchliche Güter ohne
vorhergehende Zustimmung des Heiligen Stuhles oder des Apostolischen Nuntius in Wien abzuschließen, ar.
Noch immer schwelte das Problem, den Zehent, mit dem die pfarren finanziert wurden, durch die Kongrua zu ersetzen. An Stelle von Naturalleistungen sollte die Bevölkerung die Kongrua mit einem r}o/oigen Zuschlag auf die
direkten steuern mitfinanzieren, staatlicherseits verpflichtete man sich zu einer progressiven Jahreszulage von ó00 Kronen fürjeden Pfarrer, bei Resignation oder Invalidität zw zù:/rung einer ausreichenden Pension. Die Regierung
a0
FranzMariaMarkovics(Markovic),TitularbischofvonDanabals8l-lgl2,WeihbischofvonSa-
rajewo, Apostolischer Vikar für Banjaluka.
t-t AE, Austria 527, ProL. 20.387, "XfV.
Bosnia ed Erzegovina". Josef (Josip) Stadler, Erzbi
schof von Sarajewo 1881-1918; ENctl--Jntosr lI, ll9-121: auch: Vrrezrc, Römisch-Katholische Ki¡che bei den Kroaten (wie Anm. lI), 362-367.
OSTERREICH-UNGÀRN AUS DER SICHT DES VATIKANS
289
verlangte als Gegenleistung das Mitspracherecht bei Ernennung bzw. Absetzung der Pfarrer. Der Heilige Stuhl war gegen die Einführung der Kongrua.
Man prüfte das Problem seit Måirz 1913 und meinte, daß die Kongrua die
Konflikte zwischen Såikula¡- und Regularklerus nur vergrößerte. Im Gegensatz
zu den anderen Konfessionen sollten die Katholiken höher besteuert werden,
die anderen Konfessionen jedoch einen Zuschuß erhalten. Schließlich stellte die
erwähnte Kongregation fest, daß udie Regierung als Gegenleistung exorbitante
Rechte beanspruche, welche die Freiheit der Kirche noch weiter einschränken
wiirdeo. Der Heilige Stuhl empfahl den bedi.irftigsten Pfarrern, sich um eine
außerordentliche Unterstützung an die Zivilbehörden zu wenden, was auch Erfolg hatte. Diese Entscheidung des Vatikans löste beim Säkularklerus von Bosnien-Herzegowina eine deutliche Verstimmr¡ng aus.
Benedikt XV., der am 5. September l9l4 nxn Papst gewàihlt worden
war, versuchte, diesen Konflikt zu beruhigen, die Enscheidungen des Staatssekretariates als vorläufig da¡zustellen. Der Erzbischof von Sarajewo sollte die
Gemüter beruhigen, alles weitere in iibereinstimmung mit P. Bastien erledigen. Dieser sollte die materiellen und moralischen Interessen der beiden klerikalen Parteien untersuchen und schützen. Im Oktober 1914, als die Fronten
des Ersten Weltkrieges über den Balkan zogen, wurde P. Bastian nach Rom
zurückberufen 42.
Nach den Erzbischöfen und Bischöfen Szeptickyj, Grivoje (Gjivoje) und
Stadler beschäftigte sich die Instruktion Valfrès mit dem letzten in Konflikte
geratenen Bischof der Donaumonarchie, mit Celestino Endrici, dem Fürstbischof von Trienta3, der mit Kriegsausbruch vom geheimen Nachrichtendienst
des Tiroler Armeeoberkommandos mehr und mehr überwacht wurde. Wien
hatte Zweifel über Endricis patriotische Einstellung und ihn sogar als italianophil betrachtet, obwohl man seit 12 Jahren keine Handlung feststellen konnte,
die den Bischof als Feind der Regierung denunzierte. Die Bindung des Klerus
an den Bischof war so stark, daß einige seiner Mitglieder in schiefes Licht gerieten und interniert wurden. Von Seiten der Armee
sie behauptete, der Bi-
- italienischen Front
schof hätte eine geheime Telefonverbindung mit der
wurde die pastorale Tätigkeit Endricis sukzessive behindert. Seine Akten
unterlagen seit dem Ausbruch des Krieges mit Italien der Zensur, seine
Diözesanpublikationen, auch die päpstlichen Friedensaufrufe, fielen für zum
Opfer. Er blieb in seinem Landhaus San Niccolò über Aufforderung der Bezirkshauptmannschaft von Trient in höherem Auftrag konfiniert, am 1. März
191ó wurde er auf Befehl des Festungskommandos von Trient in San Niccolò
interniert und unter militåirische Bewachung gestellt. Am 8. Mai 191ó kam er
auf Wunsch des Kaisers nach Wien. Er war Gast des Wiener Erzbischofs und
a2 AE,
Austria 527, Prot. 20.387 , "XW. Bosnia ed Erzegovina".
loc. cit., "XlI. Questione del Vescovo di Trento Mons. Endrici". A¡mando Cosr¡ -Erwin
G¡rz, "End¡ici Celestino (18óó-1940), 1904-1940 Fürstbischof von Trient", tn Bischöfe der
a3
deutschsprachigen Länder (wie Anm. 16), 169-172.
290
ELISABETH KOVÁCS
sollte sich vor der Wiener Regierung verantworten aa. Nachdem die Konfrontation mit dem Vertreter des Ministers flir Kultus und Unterricht, Max Hussarek
von Heinlein, unbefriedigend verlaufen war, wurde Endrici im Zisterzienserstift Heiligenkreuz bei Baden in Niederösterreich interniert. Endrici appellierte
fortwährend an den Papst, Wien forderte mit kaiserlicher Zustimmung von
diesem Endricis Absetzung. Seitdem er den bischöflichen Stuhl von Trient bestiegen hatte, betrachtete man ihn als Vertreter und Sprachrohr der oberitalienischen Irredenta. Im Gegensatz zu den anderen Bischöfen der Monarchie,
weigerte er sich bei Kriegsausbruch, die Bevölkerung seiner Diözese mit einem
Hirtenbrief patriotisch zu beeinflussen und antütalienische Kriegspropaganda
zu betreiben. Man warf ihm vor, er habe eine Huldigungsadresse der Bevölkerung an Kaiser Franz Joseph verhindert, in seinem Priesterseminar die patriotische Einstellung zu österreich-Ungarn ungenügend gepflegt, ja sie sogar sabotiert, und die österreichfeindliche Zeiúng Giornale il Trento gefördert.
Endrici betrachtete sich als Opfer udes Hasses einiger protestantischer Ztrkel" (vermutlich pangermanistischer Kreise, deren Propaganda er entgegengetreten war). Als Bischof hätte er sich im Krieg nicht öffentlich engagieren, sein
Amt nicht in den Dienst der Politik stellen wollen. Die Unterlassung der Huldigungsadresse an den Kaiser erklärte er als Mißverständnis seiner pastoralen
Bemi.ihungen, die beim italienischen Kriegsausbruch in Klerus und Gläubigen
keinen Haß auslösen sollten. Endrici bezeichnete seine Verfolgung und jene
der ihm anhängenden Geistlichen als
"Physiognomie eines Kulturkampfeso.
Würde man dem Wunsch, ihn abzusetzen, zustimmen, hätte sich der praktische 'Josephinismus' behauptet, und seine Diözese wäre das Opfer der (protestantischen Zirkel und Gesellschaften". Im August 1916lehnte Rom die defini
tive Regelung der Causa Endrici als augenblicklich inopportun ab.
In den Verhandlungen kam das Problem des Trienter Priesterseminars
zur Sprache. Seit Kriegsbeginn waren die Trienter Alumnen in Innsbruck; das
Gebäude des Priesterseminars war vom österreichisch-ungarischen Militär besetzt; man überlegte, wer die Priesterstudenten überwachen sollte. Endrici war
ein sehr zäher und schwieriger Verhandlungspartner. Schließlich suchte man
nach einem Kompromiß, mit neuen Generalvikaren fi.ir Trient und ftir die finanzielle Bedeckung der Alumnen. Die Leitung des Seminars sollte Endrici behalten. Auch der Kompromiß war noch unbefriedigt gelöst. ValfTè di Bonzo
wurde instruiert, die sehr apostolische Tätigkeit Endricis so zu behandeln,
aa Sehr ausführlìche Darstellung
auf der Basis der Akten: Hans KRÂMER, "FüLrstbischof Dr.
Cölestin Endrici von Trient": Mitteilungen d.es
7;
DAS, Nachlali Sigismund Waitz, Franz Joseph
in
schwerster Zeit. Sein Leben und Wirken nach
nmaterial(Manuskript): Kapitel V,/c: "Frontbesuch 1915", 14-15: <Ich muß nun hier leider bemerken, daß die Stimmung im
und daß
unwahre Meldungen
diese
aubt, so
zum Beispiel, daß er unter
abe, mit
deren Hilfe Berichte an die
österreichischen Offizieren dieses Gebietes nur einen einzigen Offizier gefunden, der ein güLnstiges Urteiì
über Bischof Endrici abgegeben hat und dieser war ein Italienisch-Ti¡oler".
OSTERREICH.UNGARN ÀUS DER SICHT DES VATIKANS
291
die zivile Autorität sich nicht das Recht anmaße, das Verhalten eines Bi"daß
schofs zu richten und ihn nur deswegen zu veru.rteilen, weil er den Zielen und
Machenschaften fürer Politik nicht zustimmto
as.
Die Beziehungen des Heiligen Stuhles zur Donaumonarchie seien seit
dem Kriegsausbruch zwischen Osterreich-Ungaln und Italien sehr delikat, aus
der Natur der Sache und wegen der Abberufung des österreichisch- ungarischen Botschafters beim Heiligen Stuhl, aber auch die Situation des Nuntius in
Wien selbst sei schwieriger geworden, ist im Kapitel XV nDer Heilige Stuhl
und der österreichisch-italienische Kriego zu lesen. Monsignore Valfrè, dem
unter diesen Umständen höchste Klugheit und Wachsamkeit empfohlen wurde, sollte wissen, daß der Heilige Stuhl alles unternommen hätte, um den Ein-
abzuwenden. Er hatte alles in seinen
Möglichkeiten Stehende versucht, die italienische Regierung in fürer Neutralität zu erhalten. Der Heilige Stuhl hatte bei der Wiener Regierung direkt, bei
der italienischen Regierung indirekt interveniert. Pa¡allell dazu hatte sich auch
die Berliner Regierung fi.ir dieses Ziel eingesetzt. Der Heilige Stuhl hätte nicht
nur den Interessen von Kirche und Religion dienen, sondern auch Italien das
tritt Italiens in den Ersten Weltkrieg
Unglück des Krieges ersparen und die Habsburgermonarchie stützen wollenaó.
uDie europdische Massonerie, die den Krieg fortw2ihrend schiirte, suchte das
Habsburgerreich wie die Kirche in ihrer weltlichen Macht und Moralität zu ruiniereno
47.
Nach der italienischen Kriegserklåirung (23. Mai 1915) hätte der Heilige
Stuhl, dessen Vermittlung mißgelungen war, versucht, durch seinen Einfluß
die Konsequenzen des Krieges zu mäßigen. Er hatte nach der Bombardierung
Ankonas und anderer Städte der adriatischen Küste durch österreichisch-ungarische Schiffe interveniert, andererseits waren Fiume, Triest, Miramare und
Duino von italienischer Seite bombardiert wordenaE. In den von Italien besetzten Gebieten der Donaumonarchie unterstand der Klerus nicht den benachbarten Bischöfen, sondern dem Militåirbischof. Man plante auch dem Heilgen
StuÌìl direkt unterstellte Militåirvika¡e zu ernennen und die österreichisch-ungarische Regierung von Sonderfakultäten, die Monsignore Bartholomasiae eras AF., Austria 527, ProT. 20.387, "X[I. Questione del Vescovo di Trento Mons. Endrici". In
AE, Austria 491 Erñen sich sÈimtliche Briefe über Endrici und alle Eingaben End¡icis an Papst Be-
nedikt XV., Kardinalstaatssekretåir Pietro Gasparri und an die Wiener Nr¡ntien Scapinelli rmd Valfrè di Bonzo.
a6 AE, Austria 527, Prot. 20.387, "XV. La Santa Sede e la Guerra ltalo-Austriaca"' Eine im
mmen
Konzept durchgestri
Italien
wurde, spricht von
Seiten
Krieg zu führen. Es
ht von
den Krieg erklåirten.
Cölestin Schwaighofer von Deggendorf, OFMCap, an das päpstliche Staatssekretariat über seine
Vermittlr.rngsmission in Wien; auch Excer--J¡¡osr ll, l9O-247: Italiens Eintritt in den Weltkrieg.
47 A.S.V., 55t.244, El, Fasc. 114, hot.4339, fol.36-37,
[o.O.-Rom?], 1915 Februar 1: Anonymer Bericht über den Einfluß des Groß-Orients von Rom auf italienische Kriegspropaganda gegen die Osterreichisch-ungarische Monarchie.
4E Eucer-Jntost Il, 287 -288.
ae Angelo Bartholomasi (geb. 18ó9), päpstlicher Militlirvikar: Annuario Pontificio 1917,
Roma 1918.
ELISABETH KOVÁCS
292
halten hatte, nicht zu informieren. Die Instruktion Valfrès bestätigt die Ergebnisse Engel-Janosis über die Motive des Heiìigen Stuhles, die Existenz Österreich-Ungarns im Ringen des Ersten Weltkrieges zu erhalten. Seine Politik war
von der damals schwelenden Römischen Frage bestimmts0.
Der Apostolische Nuntius sollte die frir den Heiligen Stuhl und flir den Vicarius Christi unerträgliche Situation immer vor Augen haben und keine Gele-
genheit versäumen, Regierung, Episkopat, einflußreiche Personen und katholi
sche Bevölkerung Osterreich-Ungarns damit zu konfrontieren. Da zwischen
Österreich-Ungarn und Italien keine diplomatischen Beziehungen bestünden,
sei jeder offizielle Kontakt mit italienischen Diplomaten im Ausland zu vermeiden, auch private Beziehungen mit fünen seien auf das notwendigste zu beschränken. Ähnlictr hätte sich der Apostolische Nuntius auch gegenüber den
Vertretern Fra¡kreichs und Portugals zu verhalten.
Kapitel XVI. der Instruktion skizziert das uWiederaufleben des religiöin 1ó Kirchen
der Stadt in der Fastenzeit des Jahres 1914 abgehalten worden war. Diese
Volksmission hatte einen Zustrom von Gläubigen gefunden, uwie man ihn
bisher noch nie erlebt hatte". In allen sozialen Gruppen sei ein echtes
Wiederaufleben des christlichen Glaubens und der christlichen Frömmigkeit
zu beobachten, was im wesentlichen dem Eucharistischen Kongreß von 1912
zu verdanken war: er hätte dem Klerus starke Impulse zur Entfaltung seiner
seelsorglichen Aktivitäten verliehen. Auch die religiösen Vereinigungen für
Jugendliche und Erwachsene, wie z.B. die Marianischen Kongregationen, erlebten eine neue Blüte. Im April 1914 hätten an einer Mission fur das Mitit¿ir
im Wiener Offizierskasino der Kriegsminister, Generále und über 500 Offiziere teilgenommen. Geistliche Exerzitien wären in vielen Kasernen der
Stadt, in Militärakademien und Kadettenanstalten abgehalten worden, auch
"im Gebäude der Apostolischen Nuntiatur, wobei die angesehensten Persönlichkeiten des Hofes, der Regierung und der Gesellschaft daran teilnahsen Lebens in Wien". Es informiert über die Volksmission, die
menrr 5l,
Hinweise auf die Korrespondenz mit dem Heiligen Stuhl, auf die Art und
Häufigkeit der Berichterstattung und auf das kirchlich exemplarische, Verhalten von Nuntius und Nuntiaturpersonal, entsprechen dem traditionellen Kanon und Genre solcher Dokumentes2.
gel-Janosi
II,
248-264.
sekretär Raphael Meny del Val hatte auf den Bericht Scapinellis über die Volksmission dem Wiener Fi.irsterzbischof Fried¡ich Gustav Piffl am 16. April 1914 einen anerkennenden Brief geschrieben, publiziert in Wiener Diözesanblatt, Nr. 12,27. Juni 1914, 99-100; Martin Knnx¡en, Hirte an
der Zeitenwende. Kardinal Friedrich Gustav Piffl und seine Zeit,Wien 1988, 98-99; Bericht über
den XXllL lnternationalen Eucharischen KongrelS, Wien 12.- I 5. September 1912, hrsg. von Karl
K.luÎuel, Wien 1913.
di Mons. Nunzio Apostolico e del personale addetto alla Rappresentanza Pontificia".
OSTERREICH-UNGARN AUS DER SICHT DES VATIKANS
293
Wie eingangs erwähnt, findet sich in dieser Instruktion fur den Wiener
Nuntius keine exakte Deskription von Status und Zustand der Kirche in der
Österreichisch-ungarischen Monarchie. Pragmatisch angelegt, informiert sie
über die staatskirchlichen Gesetzgebungen und referiert Nuntiaturberichte. Es
fehlt ihr ein wie immer gearteter systematischer Aufbau. Man konzentrierte
sich auf Schwerpunkte im Problemfeld von Staat und Kirche im allgemeinen,
was die Kirchenrechtslage betraf. Im besonderen folgte man wie mit einer
Filmkamera den Linien der Fronten des Ersten Weltkrieges. Von der galizisch-ungarisch-rumänischen Grenze schwenkte man auf den Balkan nach Sla-
wonien, Dalmatien, Bosnien und Herzegowina hinüber, informierte über das
Serbische Konkordat und wandte sich schließlich dem Süden und Südwesten
der Monarchie zu, den Grafschaften Görz und Tirol und dem Fürstbistum
Trient (Trento). Speziell wurde die Reichs- und Residenzhauptstadt Wien und
füre pastorale Situation erwähnt.
Diesen geographischen Zonen entsprechend wurde die Situation von vier
der insgesamt ó5 Bischöfe der Österreichisch-ungarischen Monarchies3 ausfuhrlich behandelt: die des Metropoìiten Andrej Szeptickyj (Lemberg), der Bischöfe Anton Grivoje (Gjivoje) (Split), Josip Stadler (Sarajewo) und Celestino
Endrici (Trient). Szeptickyj und Endrici waren interniert, Grivoje (Gjivoje) serbophil und vom Papst abgesetzt, jedoch resignationsunwillig, Stadler war unfåihigsa. Die Instruktion für Valftè zeigt die Kirche Österreich-Ungarns vom
praktischen Josephinismus regiert, im Widerspruch zum kanonischen Recht
stehend. Ihre Bischöfe wären staatlich abhåingig und ohne Widerstandsgeist,
der Klerus staatlich besoldet (Kongrua). In den neu erworbenen Provinzen
Bosnien und Herzegowina stand die Einfúhrung dieses Staatskirchensystems
bevor. Trotz der Mehrheit der katholischen Bevölkerung wäre die Habsburgermonarchie ein paritätischer Staat, der dem Toleranzprinzip Josephs II.
(1781) den anderen Konfessionsangehörigen gleiche Rechte wie den Katholi
ken gewährte. Die Strömung des Nationalismus wäre so mächtig, daß die
Menschen ihre Nationalität über ihre Religiosität stellten.
Im Reich der deutschen Krone (österreich) manifestierte sich der Nationalismus in der Los-von Rom-Bewegung, die zum Anschluß an das protestantische Deutschland und zum Abfall von der katholischen Kirche aufrief. Im Land
der heiligen Stephanskrone (Ungarn), in dem verschiedene Nationalitäten wie
Ruthenen, Kroaten, Dalmatiner zusammenlebten, war eine heftige Magyarisierungspolitik am Werk. Sie brachte Polarisierungen bei den griechisch-unierten Ruthenen ungarischer Herkunft in den USA und unterstützte die landeskirchlichen Bestrebungen der griechisch-unierten Ruthenen gegen die griechisch-unierten Rumänen. Der Nationalismus, der die Ruthenen (Ukrainer) in
Galizien erfaßt hatte, bedrohte füre national-kulturelle Existenz. Es war zu befurchten, daß die Ruthenen im Spannungsfeld von polnischen und ungarischen
s3 Cölestin
sa
Wor¡scnusBn, Kirchengeschichte Österreich-(lngarns, Wien 1909.
Vgl. die andere Beurteilung Stadlers durch Vitezic: unsere Anmerkungen 4l und 42 oben.
294
ELISABETH KOVÁCS
Nationalismen dem russischem Panslawismus und der griechischen Orthodoxie erlagen. Der italienische Nationalismus, die Irredenta, war in Trient
(Trento) eingedrungen. Der FüLrstbischof, der sich mit einem Teil seines Klerus
vom habsburgischen Patriotismus distanzierte, geriet in Konflikt mit Regierung und Armee.
Die Instruktion Valfrès deskribierte den Liberalismus, der paritätischen
Staat, Kultusgesetze, Auflösung des Konkordates und die Såikularisierung von
Ehe und Schule durchgesetzt hatte. Er blieb kirchlichen Forderungen
gegenüber scheinba¡ gleichgriltig, faktisch war er ablehnend. Er hatte den
Hochadel erfaßt und im gehobenen Wirtschaftsbürgertum sein Terrain
gewonnen. Er beherrschte die Presse (über den
"Judeo-Massonismus") und
warb um die Studenten. Kleinbi.irger, Soldaten und Bauern sympathisierten
mit dem Sozialismus, der das Habsburgerreich zu zerstören drohte.
Angesichts dieser Bewegungen war es hoch an der Zeit, dre Christen in
der Katholischen Aktion zu mobiliseren, sie im heraufziehenden Zeitalter des
Parlamentarismus und der Massenbewegungen zum öffentlichen Widerstand
und zur katholischen Alternative zu ermutigen, sie in enger Verbindung mit
den Bischöfen vor liberalen und antirömischen Einflüssen zu behüten. Der
österreichische Volkscharakter schien aus römischer Sicht als zu leichtlebig,
unernst und unbeständig, um eine åihnlich schlagkräftige Organisation wie die
deutsche Zentrumspartei hervorzubringen. Es läge an der Geltungssucht des
österreichischen Adels, daß fåihige Persönlichkeiten aus dem Bürgertum, die
sich in den katholischen Vereinen engagierten, auf ihre öffentìiche Ehre verzichten mußten. Es scheint, daß die Bewunderung für den deutschen Katholi
zismus von damals
er hatte durch den päpstlichen Geheimkämmerer Ru- den Zentrumspolitiker
dolf von Gerlach und
Matthias Erzberger direkten Zugang
Papst Benedikt XV. und Eugenio Pacelli gefunden ss
diese Deskriptionen^)des österreichischen Volkscharakters erzeugte.
Trotz josephinischer Prägungen war die katholische Kirche in der Österreichisch-ungarischen Monarchie, deren neue Lebensimpulse in der Reichs- und
Residenzhauptstadt Wien in dem Modell ihrer Großstadtseelsorge sichtbar geworden waren, noch immer ein Bollwerk gegenüber den Bewegungen der Säkularisation. Der habsburgische Herrscher blieb oadvocatus et defensor Ecclesiae" mitten in den Stürmen, die die Existenz des Heiligen Stuhles im italienischen Königreich und während des Ersten Weltkrieges bedrohten. Im Nationalitätenkonflikt der Habsburgermonarchie versuchte der Vatikan eine ausgleichende Position einzunehmen, die Übereinstimmung von Konfession und Na-
tion zu fördern und dabei den "praktischen
Josephinismuso auszuhöhlen,
ss EtsteIN, Matthias Erzberger (wie
Anm. l5), 170-172, 183-18ó; PntN, Beiträge (wie Anm.
3), 229-271 lKapitel III: "Du¡kelmänner der Kurie"]. In diffamierender Tendenz, jedoch auf Originaldokumenten beruhend, die man adaptiert hatte, war dieses Buch ftiLr den Dienstgebrauch der
Waffen SS verfaßt worden. Jedes Exemplar war nummeriert und trug den Vermerk: oNur für den
Dienstgebrauch. Jeder SS-Führer, der dieses Buch erhält, ist persönlich verantworllich, daß das
Buch in keine unberufenen Håinde gelangt".
Y_
OSTERREICH-UNGARN AUS DER SICHT DES VATIKANS
295
Staatskirchenrechte an sich zu ziehen. Die römische Kirche war so die Inin der Defensive. Liberalismus und Nationalismus hatstruktion fi.ir Va]frè
- Kirchenstaates geführt. Derrr Syllabus errotum vo¡'
ten zur Besetzung des
1864 entsprechend, verhielt sich der Heilige Stuhl dogrnatisch, konservativ, antiliberal, antimassonisch und antisemitisch. Er war gegen den Pangermanismus, bewunderte aber den deutschen Katholizismus.
Bedrängt von der Römischen Frage suchte der Papst den Eintritt Italiens
in den Ersten Weltkrieg zu verhindern, der Verbleib des Heiligen Stuhles in
Rom war infragegeste[t. Man befürchtete eine vom Krieg ausgelöste republikanische Revolution in Italien und die Vertreibung des Vatikanss6. Das Habsburgerreich erschien als letztes katholisches Bollwerk gegen die Feinde der Kirche, gegen Nationalismus, Liberalismus und Sozialismus (Bolschewismus).
Seine Erhaltung im blutigen Ringen des Ersten Weltkrieges war fùir den Papst
und den Heiligen Stuhl trotz josephinischer Traumata das Gebot der Stunde.
Abschließend stellt sich die Frage, nach der Bedeutung dieser Instruktion
für die konkrete Tätigkeit Valfrès di Bonzo in Wien. Ein Vergleich von Instruktion und Nuntiaturberichten kann nur Thema einer anderen Untersuchung sein. valfrè kam kurz vor dem Tod Kaiser Franz Josephs I. nach
Wien. Mit den Berichten von des Kaisers Tod und seinem Leichenbegängnis,
was vielfach als Symbol für den Untergang des Reiches erlebt und dargestellt
wurde, beginnen seine NuntiaturberichtesT. Der unausgebildete Diplomat
glitt sehr bald auf dem Parkett des Wiener Hofes aus. Sofort die Rechte des
Heiligen Stuhles verfechtend, suchte er, in die ungarische Krönungszeremonie für den jungen König Karl einzugreifen. Er wollte erreichen, daß der Kö-
nig von ErzherzogJoseph August, der zum ungarischen Palatin erhoben werden sollte, gemeinsam mit dem Primas Hungariae gekrönt würde. Den ungarischen Ministerpräsidenten Stephan Graf Tisza, er war Calviner, wollte Valfrè bei der Krönung ausschalten. Valfrè di Bonzo scheiterte bei diesen Unternehmungen an der Kompetenz und politischen Macht des Primas Hungariae,
Kardinal Janos Csernoch s8.
pörung bei den Zentralmächten war groß. Der deutsche Nachrichtendienst begu.r.r, ãi" Biographie des Apostolischen Nuntius von Österreich gründlich zu
só Maximilian Llrnumru, "Der Papst
Fi.irst von Liechtenstein. Ein Vorschlag zur Iäsung
3-108'
l9ló":
Jahre
dem
Frage
aus
Römischen
der
-
li Ambrogio
E"szpn
-Nicola SroRrr, "
l9l2-Lgl7 in ãocumenti dell'Archivio segret
(1987)
428-437
'
si Loc. cit.
IV., des letzten
Feítschrift fùr
402-431.
e la Santa
Sede
he Mitteilungen 29
Elisabeth KovÁcs, "Krönung r.¡¡d Dethronisation Karls
iegel vatikanischer Dokumente", in Setvitium Pietatis.
Groer zum 70. Geburtstag, Maria Roggendorf 1989,
296
ELISABETH KOVACS
durchleuchtense. Die Cronique scandaleuse stammte aus Valfrès Familienkreis, von den Neffen des Nuntius. Affairen Valfrès aus dessen Zeit als Bischof
von Cuneo ó0 hätten Papst Pius X. erzürnt. Valftè wäre dann zur Buße in einem Kloster verschwunden. Durch die Fürsprache des italienischen Königs
hätte der Entsühnte das Bistum Como und Vercelli erhalten, dem er bis zu seiner Ernennung als Apostolischer Nuntius in Wien vorgestanden war. Teodoro
Valfïè di Bonzo galt als nati.irlicher Sohn König Viktor Emmanuels II' 6t Kaiser und König Karl, soll im Elan des neuen Anfangs, nach diesen Enthti{lungen
die sofortige Abberufung des Nuntius verlangt haben. Der Wiener Kardinal
Friedrich Gustav Piffl "sagte dem Kaiser, daß dies nicht möglich sei,ó2.
Der junge Kaiser trachtete, mit seinem Regierungsantritt gemeinsam mit
dem Heiligen Vater zum Frieden zu kommen. Die Vergangenheit des Nuntius
bewirkte an der Wende von 1916/I917 eine Verstimmung zwischen Wien und
Rom, die äußerlich von der Problemati,k um das feierliche Funerale des Papstes fi.ir Kaiser Franz Joseph L überschattet war63. Um die Vertrauensbasis zu
erhalten, sandte im Jänner 1917 Papst Benedikt XV. seinen Geheimkämmerer
Rudolf von Gerlach nach Wien6a. Ab nun liefen die Kontakte zwischen Kaiser
und Papst über Gerlach, über den bayerischen Kapuziner P. Cölestin Schwaighofer und über Eugenio Pacelli, der im Marz 1,917 Apostolischer Nuntius in
München wurde. Von Pacelli gingen die Informationen entweder über Geheimkuriere oder über den Apostolischen Delegaten in Bern, Francesco Marchetti-Selvaggiani direkt zu Papst Benedikt XV.6s.
5e PAAA, Osterreich 8ó, Nr. 1, 8d.4, Wien, 191ó Dezember 20, Botho Graf Wedel a¡r den
Staatssekretåir des deutschen Auswåirtigen Amtes Arthur Zimmermann: Der Nuntius n... genießt
les Petri bei S. Apostolischen Majestät!,.
ó0 Teodoro Valftè di Bonzo war von 1885-1895 Bischofvon Cuneo'
ót PAAA, Paps
Berlin des Generals
Scapinelli aus Wien
nach Rom und von
tor Emmanuels. Ku¡z darauf erfolgte die Ernennung Valfrès zum Nu¡tius in Wien>. Ubernommen von P^rrN, Beiträge (wie Anm. 3), I2I.
62 Ludwig Freiherr von Pastor 1854-1928, Tagebíicher-Briefe-Erinnerungere,
hrsg. v. Wilhelm WüHn, Heidelberg 1950,729.
63 Das Funerale des Papstes für Kaiser Franz Joseph fand am 20. Dezember 191ó in der Capella Contessa Mathilde als Privatrequiem des Papstes statt, arì dem der Kardinalstaatssekretåir Pietro
der Sixtinischen Kapelle t¡t AF,. Italia 477, Prot. 23.430, 23.624, 23.891, 23.923,23.939, 24.088.
6a AF,, Austria 567, Prot. 26.786, St. Moritz, 1917 Februar 17, Rudolf von Gerlach an Eugenio Pacelli; Ptot.27.345. St. Moritz, 1917 Februar 25, Gerlach an Papst Benedikt XV. mit nicht
mehr vorhandenem Autograph Kaiser Ka¡ls. [Iber Gerlach bei P¡rt¡¡, vgl. oben Anm. 55.
ós Dazu unsere in Vorbereitung stehende Edition: Untergang oder Rettung der Donantmonat
OSTERREICH-UNGARN AUS DER SICHT DES VATIKANS
297
Soweit wir sehen, berichtete Valfrè laufend über die innenpolitischen
Ereignisse in Österreich-Ungarn. Er widmete sich besonders der Betreuung italienischer Kriegsgefangener. Die gemeinsamen Friedensbemühungen zwischen
Kaiser und Papst nahmen den Umweg über München, über Eugenio Pacelli.
Kaiserin Zita vrtelte exakt und scharfsichtig über Valfrè di Bonzo:
Nuntius Valfrè di Bonzo, der ein Jugendfreund Benedikts XV. und äußerst
rigenZerfen in der Politik nicht sehr
unvorsichtige Äußerungen schwere
[Kaiser Karl] trat dieser Kritik so
energisch entgegen, ... daß auch diese Schwierigkeit überbrückt werden konnte.
Nuntius Valfrè di Bonzo hatte die unangenehme Gewohnheit, nie zuzuhören,
wenn er in Audienz [bei Kaiser Karl] war. Vielmehr sprach er selbst unauftrörlich bis zum Verlassen des Audienzzimmers in der Sorge, die Aufträge, die er erhielt, nicht richig zu erfassen. [Kaiser Karl] bat fün wiederholt, die Güte zu haben, sich das, was er füm zur Weiterleitung an den Heiligen Stuhl anvertraute,
aufzunotieren. Aber auch dies tat der Nuntius nicht. Hingegen sandte er eine
Menge Nachrichten nach Rom, die den Tatsachen gar nicht entsprachen und die
vielfach aus Konfusionen und halbem Hinhören stammten. fKaiser Karl] konnte
sich darüber zum Teil Rechenschaft geben, weil alle Telegramme im Krieg durch
das Chiffrenkabinett gingen und dort gelesen wurden. [Kaiser Karl] ließ daher
< ...
wohlmeinend,
gewandt war,
Kritik in der
i:ìåäffi ïå,:s'l'tr3il'i':nläT:f ü,ï,i;
enarbeit speziell in Friedensfragen in dieser
Zeit unbefriedigend, lückenhaft und resultatloso 6ó.
Der italienische Nationalismus im Herzen Valfrès kam sofort in den Tagen
des Zusammenbruchs der Donaumonarchie ans Licht, als in der allgemeinen
Verwirrung des November 1918 ihr Zerfall in Nationalstaaten eingesetzt hatte.
Der Nuntius telegraphierte aufgeregt nach Rom, Kaiser und König Karl habe
abgedankt. Die diplomatische Formulierung vom Verzicht des Kaisers auf sei-
fi.ir Österreich am 11., fur Ungarn am
nen Anteil an den Staatsgeschäften
juridische
Kapazität des Nuntius6T. Er
überstieg die
13. November 1918
gebildete
um auftragsgemäß den
Tschechoslowakei,
reiste auch bald in die neu
Deutschen gegenüber
Rechte
der
der
die
PauI
Huyn,
Prager Erzbischof Graf
vorläufigen Rückzug
war,
zum
unhaltbar
und
nun
betont
hatte
den Tschechen
chie? Politische Dokumente zu Kaiser und König Karl von Osterreich aus internationalen Architen. Herausgegeben und bearbeitet von Elisabeth KovÁcs r¡nter Mitwirkung von Pal Aneró SJ (t),
Franz hcsorr.¡¡n und Lotte WEwÀLK.À. Dazu auch BAR, E 2300, Wien 32, Bourcart an den Schweizerischen Bundesrat, Wien, 1917 Februar 23: <Mgr. Valfrè di Bonzo scheint mir nicht der Man¡
ausschùtte
es
k. Botschafter beim
sein Herz
die Schweiz geht;
r annehmen, daß der konen Grund haben, daß, wie
veranlaßt worden ist, die
teitung seiner Botschaft mit Sitz in der Schweiz wieder zu übernehmen,.
66 T52924-2925. Dazu auch BAR, E 2300, Wien 32, Bourcart an den Schweizerischen Bunj'ai déjà eu l'occasion de vous signaler le fait
desrat, Wien, 1917 September 28: "læ Nonce
est, au fond de son coeur un a¡dent patriote italien, aussi les aspirations de l'Italie ne lui sont-elles
pas
- étrangèreso.
ó7 AÈ, Austria624,Prot.84.39ó(Cifra3ó3),Wien, lgl8November,ValfrèdiBonzoanGa,sparri. Zur Verzichtserklåirung des Kaisers und Königs vgl. u¡sere in Vorbereitung befindliche Edition, wie oben Anm. ó5.
298
ELISABETH KOVÁCS
aus seiner Diözese zu bewegen. Valfrè berichtete
beredt vom Ausbruch der
antihabsburgischen Stimmung am 1. November 19lg
am weirJen Berg, wo
man-die habsburgischen Embreme ebenso vernichte,te,
wie die Mariensäure
auf dem Alten Platz in Prag, die Kaiser Ferdinand III.
ló50 hatte errichten
lassen
68.
von seiner Instruktion vönig uninformiert, sta'd valfrè di
Bonzo fas_
sungslos dem Aufbruch der hussitischen
Kirche
über. Er verhandelte damals mit dem Rom treu
den tschechischen Republikanern machte er Wi
gen_
g
zLL
Kir_
chenpolitik für die situation der Kirche in der Tscher:hoslowakei
verantwort_
lich. Als man 1920 die praktische Durchführung des
Friedensvertrags von Tria_
non vorbereitete, drängte valfrè di Bonzo auf .ine
rasche Àrplrr.,.rg der un_
garischen Kirchenstruktur an die neu gezogenen
G'enzen des verkleinerten
Amtszeit agitierte er gegen eine mögrichggianì
rol, suchtJdie Tiroler Diözesanstruktur
Bistum Brixen zu reiten und den
flussen
70.
Am
l9I9 zu
fekt
des
der
Heil
ersetzt' Noch in seiner letzten
ger in Ti-
Klerus
erie
hat
ion
)iLji:
di Bonzo, den er
verstarb als prä_
Kongregationen
am
6.279,yalfrè di Bonzo an Gasparri, Wien ,,Cose
Dezember g.
(wie Arrm. 5g),-417_4lg; DrES., ,,papst Benedikt
ers uncl Á.omgs Karl von Osterreich,,: Arch.
Hi.st.
iviltà CattolicaT3 (1922)III, 172 nennt den 24.
e (wie Anm. l), 50 nennt den 25. Juru 1922.
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