Linde Technology Magazin

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Ausgabe
#1.
1 4
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
LINDE
TECHNOLOGY
O
RDNUNG IM NANO-KOSMOS
Kohlenstoff-Nanoröhren aufbereiten
SONNENKRAFT AUF ABRUF
Solarenergie flexibel speichern
MOTOR DER MIKROMECHANIK
Spezialgase treiben Halbleiterbranche voran
ENERGIEDIÄT FÜR HEISSE WINDE
Mehr Effizienz im Hochofen
SCHATZ IM SCHIEFERGESTEIN
Rohstoffe für die Petrochemie
V OM ANBAU ZUM TELLER
G
asetechnologie für die Lebensmittelindustrie
NEUE TECHNOLOGIEN FÜR SCHLÜSSELBRANCHEN
IMPULSE
IMPULSE FÜR
D
DIE
IE ZUKUNFT
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // IMPRESSUM
02
Impressum
Herausgeber:
Linde AG
Klosterhofstraße 1, 80331 München
Telefon +49.89.35757-01
Telefax +49.89.35757-1398
www.linde.com
Redaktion:
Verantwortlich: Dr. Thomas Hagn, Linde AG;
TransQuer GmbH/wissen + konzepte, München
#1.
14
Produktion:
TransQuer GmbH/wissen + konzepte, München
Anfragen und Bestellungen an:
Linde AG, Kommunikation
Klosterhofstraße 1, 80331 München
oder [email protected]
Am Anfang stand eine Idee: Unsichtbare Gase sichtbar
zu machen. Wir haben einen faszinierenden, einzigartigen
Ansatz entwickelt. Numerische Grafiken, errechnet
aus den spezifischen Stoffeigenschaften der Gase.
Mehr unter www.fascinating-gases.com.
Diese Heftreihe sowie weitere Fachberichte
stehen unter www.linde.com als Download
zur Verfügung.
Nachdrucke oder elektronische Verbreitung
nur mit Zustimmung des Herausgebers.
Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen
Fälle (und bei vollständiger Quellenangabe) ist die Nutzung der Berichte aus
„Linde Technology“ ohne Einwilligung des
Herausgebers nicht gestattet.
ISSN 1612-2224, Printed in Germany – 2014
Bildquellen:
Titel: Wie Fang/Getty Images // Seite 04/05: Peter Ginter/Bayer AG, Chris Ryan/Getty Images,
Alfred Buellesbach/Visum, Getty Images (3) // Seite 06/07: Linde AG (3) // Seite 08/09: Stocktrek
Image/Getty Images, Linde AG (2) // Seite 10: Sam Edwards/Getty Images // Seite 12/13: Sam
Edwards/Getty Images, Linde AG (2), Grafik: Almut Jehn // Seite 14/15: Linde AG, Car Culture/
Getty Images, Panos Pictures/Visum, Richard Kail/SPL/Agentur Focus // Seite 17: Laguna Design/
SPL/Agentur Focus // Seite 18: Linde AG, J. Chech, U. Bellhaeuser/beide Getty Images // Seite 21:
Pete Saloutos, Don Nichols/beide Getty Images // Seite 22/23: David Nunuk/SPL/Agentur Focus
[M] // Seite 24/25: Linde AG, Philippe Psalia/SPL/Agentur Focus, Grafik: Almut Jehn // Seite 26:
Colin Cuthbert/SPL/Agentur Focus // Seite 28/29: Hubert Raguet/Eurelios, David Scharf/beide SPL/
Agentur Focus, Y. C./Getty Images, Grafik: Almut Jehn // Seite 31: Sasol // Seite 33: Plainpicture // Seite 34: mauritius Images/Alamy, Plainpicture // Seite 36/37: Dana Smillie/Bloomberg/Getty
Images, Linde AG // Seite 38/39: Getty Images (6), mauritius Images/Cultura // Seite 40/41/42/43:
Linde AG (9), Getty Images (4), Fotolia.com (2), Foodcentrale, Grafik: Almut Jehn // Seite 45: Henrik
Sorensen/Getty Images, All Medical/Phanie // Seite 46: Linde AG // Seite 48/49: Reuters // Seite 50/51: Anno Pietrese/Gallerystock, Murat Celiker/Getty Images, Linde AG // Seite 52/53:
Linde AG // Seite 54: Alex Livesey/Getty Images, BOC/Studio UK
Am Puls der Zukunft: In Wirtschaftsmetropolen
wie hier in Schanghai, China, vernetzen sich
verschiedenste Industriezweige – und generieren
innovative Technologien für morgen.
Sehen Sie Wasserstoff.
In einer Weltpremiere
von Linde.
EDITORIAL // LINDE TECHNOLOGY #1.14
03
EDITORIAL
Liebe Leserinnen
und Leser,
Innovationen sind die Grundlage für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg. Sie leisten zudem wichtige
Beiträge für eine lebenswerte Zukunft. Aber: Innovationen lassen sich nicht einfach verordnen, sondern
sind das Ergebnis intensiver, zielgerichteter Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Gerade die großen
Herausforderungen unserer Zeit – von der zukünftigen Mobilität bis zu einer effizienten Energieversorgung – lassen sich nur mit dem gebündelten Know-how aus unterschiedlichen Fachrichtungen meistern.
Auch deshalb bildet Forschung und Entwicklung das Herzstück von Linde. Ausgehend von einer klaren
strategischen und technologischen Ausrichtung arbeiten unsere Experten in einer Vielzahl von Projekten
gemeinsam mit renommierten Wissenschaftlern und Institutionen daran, Hightech-Anwendungen zur
Marktreife zu bringen.
Als Innovationstreiber für die Industrie entwickeln wir bereits heute Lösungen für die Anforderungen
von morgen. In der Nanotechnologie beispielsweise haben wir jüngst in enger Kooperation mit externen
Wissenschaftlern ein Verfahren entwickelt, um Kohlenstoff-Nanoröhren als Werkstoff für die Elektronik‑
industrie aufzubereiten. Neue Technologien sind auch gefragt, wenn es darum geht, die Kräfte der Natur
bestmöglich zu nutzen. So arbeiten unsere Experten mit Hochdruck an effizienten Speichertechnologien
auf der Basis von Salzschmelzen, um Sonnenenergie auch nachts verfügbar zu machen. Zudem er‑
forschen wir kontinuierlich neue Anwendungsgebiete für Gase und verbessern bestehende Verfahren:
Für die Entwicklung besonders abgasarmer Verbrennungsmotoren bieten wir ebenso innovative Ansätze
wie für die Halbleiterbranche. Und auch bei der Erschließung unkonventioneller Rohstoffquellen, wie
etwa Erdgas aus Schiefergestein, ermöglichen wir mit unserer langjährigen Anlagenbau-Expertise eine
höhere Effizienz.
Auch in unserem Alltag führt kein Weg an Linde-Technologie vorbei. Im Themenspezial lesen Sie,
wie unsere Innovationen die gesamte Wertschöpfungskette der Lebensmittelindustrie begleiten – vom
Gewächshaus über die Verarbeitung und den Transport bis hin zum Endverbraucher.
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.
Professor Dr.-Ing. Aldo Belloni
Mitglied des Vorstands der Linde AG
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // INHALT
Bildquelle: P. Ginter / Bayer AG
04
_14
_38
HIGHTECH-FORSCHUNG: Basis für Innovationen von morgen.
_10
MEDIZINTECHNIK: Inhalierbare Schmerzmittel am Patientenbett.
_32
STAHLINDUSTRIE: Hochöfen effizienter betreiben.
BREITES ANWENDUNGSSPEKTRUM: Gase in der Lebensmittelindustrie.
INHALT // LINDE TECHNOLOGY #1.14
05
03
EDITORIAL
06
FRISCHLUFT FÜR FISCHZUCHT
Aquakultur-Forschungszentrum entwickelt Sauerstoffsysteme
08
NEWS
10
EINE GUTE ATMOSPHÄRE
14
S chmerzmittel lösen sich in Luft auf
TITELTHEMA
IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
Die Industrie von morgen braucht neue Technologien und leistungsfähige Werkstoffe. Linde-Ingenieure bieten
für viele Schlüsselbranchen innovative Lösungen an – und liefern damit die Basis für den Erfolg.
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ORDNUNG IM NANO-KOSMOS
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MOTOR DER MIKROMECHANIK
SPURENSUCHE IM ABGASSTROM
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INTERVIEW: „FÜR INNOVATIONEN AN GRENZEN GEHEN“
20
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Forschung: Kohlenstoff-Nanoröhren für die Elektronikindustrie aufbereiten
Mobilität: Mit Kalibriergasgemischen geringste
Schadstoffmengen nachweisen
SONNENKRAFT AUF ABRUF
ENERGIEDIÄT FÜR HEISSE WINDE 36
LNG MACHT DAMPF
38
40
VOM ANBAU ZUM TELLER
44
KÄLTESCHOCK GEGEN KEIME
46
SCHATZ IM SCHIEFERGESTEIN
50
GASE UNTER KONTROLLE
52
HOCHDRUCK IM TRAILER
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EISKALT AN DIE WELTSPITZE
Elektronik: Spezialgase und Prozesstechnik treiben die Halbleitertechnologie voran
Energie: Speichertechnologien auf Salzbasis machen Solarstrom flexibel
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Hochöfen: mehr Effizienz, weniger Emissionen
Flüssigerdgas für den Schiffsmotor aufbereiten
UNVERZICHTBAR FÜR LEBENSMITTEL UND GETRÄNKE
Gasetechnologie für die gesamte Wertschöpfungskette
Die ganze Vielfalt der Lebensmittelgase
Kryobehandlung von Geflügel
Rohstoffe für die Petrochemie effizient gewinnen
Schweißtechnologie: mehr Sicherheit und Komfort
Effizientere H₂-Infrastruktur
Kältesauna für Leistungssportler
Sven Godorr, Executive Manager Research and Technology, Sasol
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // AQUAKULTUR
Bildquelle: Linde AG
06
↲
Aquakultur-Forschungszentrum entwickelt Sauerstoffsysteme
FRISCHLUFT
FÜR FISCHZUCHT
AQUAKULTUR // LINDE TECHNOLOGY #1.14
07
Lachse ziehen aufs Land – zumindest, wenn sie in Zuchtanlagen
leben. Denn der Fischbedarf wächst weltweit und lässt sich allein mit
Wildfang schon lange nicht mehr decken. Der Konsum hat sich in den
letzten 50 Jahren verdoppelt – und die Nachfrage wird mit dem
Anstieg der Weltbevölkerung weiter wachsen. Weil Freiwasseranlagen Nachteile mit sich bringen, beispielsweise größere Witterungsanfälligkeit und erhöhter Futterbedarf, geht der Trend zu Zuchtanlagen an Land. Wichtigste Ressource für die Fischfarmen: Sauerstoff.
Mit mindestens 80 Prozent muss das Wasser gesättigt sein. Fällt die
Konzentration darunter, können die Fische ihre Nahrung schlechter
verwerten, wachsen langsamer und werden anfälliger für Krankheiten. Um auch große Zuchtanlagen wirtschaftlich und energieeffizient
mit Sauerstoff zu versorgen, haben Linde-Experten am Innovationszentrum für Aquakultur und Wasserbehandlung im norwegischen
Ålesund das SOLVOX® OxyStream-System entwickelt: Es arbeitet mit
Mikroblasen, die mit geringem Druck ins Wasser strömen. Damit lässt
sich die Sauerstoffzufuhr und die Verteilung im Becken exakt und
energieeffizient einstellen.
LINK:
www.was.org
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // NEWS
08
N
EWS
RAUMFAHRT:
K ALIBRIERGASE FÜR DIE ISS
Experimente unter Weltraumbedingungen – diese einmaligen Forschungsbedingungen bietet die International Space Station, kurz ISS.
Neben physikalischen und astronomischen Messungen werden auf
dem Außenposten in der Erdumlaufbahn auch medizinische Untersuchungen an Astronauten durchgeführt. Dazu unterstützt Linde die
Danish Aerospace Company (DAC), ein führendes Unternehmen in der
Entwicklung medizinischer Instru‑
mente für den Weltraum, mit
den Spezialgasflaschen ECOCYL®.
Diese werden für das tragbare
Instrumentensystem zur Messung der Lungenfunktion benötigt. Um physiologische Parameter wie Atemfunktion und
Fitness der Astronauten während
des Fluges exakt analysieren zu
können, müssen die medizinischen Messgeräte der DAC regelmäßig kalibriert werden. „Dass
ECOCYL® die Zulassung erhalten
und sich gegen starken Wettbewerb behauptet hat, freut uns
sehr“, sagt Stephen Harrison, bei
Linde global verantwortlich für
Spezialgase und dazugehörige
Ausstattung. Denn für die Raumfahrtindustrie gelten extrem hohe
Qualitätsstandards – nicht nur
für Gase, sondern auch für die
Behälter. Und die Spezialgasflaschen erfüllen eine weitere Voraus‑
setzung für den Einsatz auf der ISS: Ihre besonders leichte und
kompakte Bauweise spart Platz und Gewicht. Diese Vorteile werden
sich bald bezahlt machen. Denn im Sommer 2014 soll eine europäische Ariane-5-Rakete vom Weltraumbahnhof in Kourou, FranzösischGuayana, mit ECOCYL® an Bord zur ISS starten.
PETROCHEMIE:
P ARTNERSCHAFT ZUM BAU VON ETHAN-CRACKERN
Die Linde AG hat mit Shell Global Solutions International BV
ein Rahmenabkommen abgeschlossen, um weltweit EthanCracker zu bauen. Die Laufzeit beträgt zehn Jahre und kann
verlängert werden. Die Vereinbarung umfasst die Lizensierung,
Planung, Beschaffung, Errichtung und Lieferung von Kompo-
nenten aus eigener Entwicklung für Ethan-Cracker-Anlagen.
Das Rahmenabkommen ist bereits mit einem ersten Auftrag ver‑
bunden: Linde wird die Lizensierung sowie die Basisplanung
für den möglichen Bau eines Ethan-Crackers im Weltmaßstab
übernehmen.
NEWS // LINDE TECHNOLOGY #1.14
09
WASSERSTOFF:
ANLAGENAUFTRÄGE IN EUROPA GEWONNEN
SCHWERE ERDÖLRÜCKSTÄNDE UMWANDELN
Für den russischen Raffinerie-Betreiber PSC TAIF-NK wird Linde bis
Ende 2015 zwei Wasserstoffanlagen an den Standort Nischnekamsk
in der russischen Republik Tatarstan liefern. Die neuen Anlagen werden jeweils über eine Kapazität von rund 110.000 Normkubikmeter
pro Stunde verfügen und hochreinen Wasserstoff für die dortigen
Einrichtungen zur Umwandlung schwerer Erdölrückstände bereitstellen. Im Rahmen der Vereinbarung ist Linde für das Basis- und DetailEngineering sowie die Beschaffung und Lieferung der Ausrüstung
und Anlagenteile verantwortlich. Das Auftragsvolumen beläuft sich
auf rund 120 Millionen Euro. „Wir freuen uns, mit diesem Projekt den
Startschuss für die Zusammenarbeit mit PSC TAIF-NK geben zu können”, sagt Professor Dr.-Ing. Aldo Belloni, Mitglied des Vorstands der
Linde AG. „Wir schaffen damit eine gute Grundlage, um uns für weitere Aufträge im Bereich Industriegase und Anlagenbau in diesem
wichtigen osteuropäischen Wachstumsmarkt zu positionieren.“
NEUER DAMPFREFORMER IN HAMBURG-HARBURG
Mit Nynas AB, einem der Weltmarktführer für naphthenische Spezialöle (NSPs) und Bitumen, hat Linde einen langfristigen Vertrag zur
On-site-Wasserstoffversorgung geschlossen. Hierzu wird das Unternehmen in Hamburg-Harburg einen neuen Dampfreformer im Wert
von rund 30 Millionen Euro errichten. Die neue H₂-Anlage soll im
vierten Quartal 2015 in Betrieb gehen und dann 400.000 Kubikmeter
Wasserstoff pro Tag erzeugen. Damit steigt die gesamte Produktionskapazität für NSPs bei Nynas um 40 Prozent.
MEDIZINFORSCHUNG:
ATEMWEGS‑
THERAPIEN
UNTERSTÜTZEN
Mit dem REALfund fördert
Linde Innovationen zur therapeutischen Nutzung von Gasen
in der Medizin. Der Fonds richtet sich an alle, die auf dem
Gebiet der Atemwegserkrankungen tätig sind, wie Ärzte,
Techniker und Pflegepersonal. Mit dem REALfund sollen Forschungs- und Entwicklungsprojekte vorangetrieben
werden, die die Therapie von
Lungen- und Atemwegserkrankungen und damit die
Versorgung und das Leben der
Patienten verbessern. Mit dem
REALfund unterstützt Linde die
gesamte Pflegekette und fördert entsprechende Projekte
mit bis zu 75.000 Euro.
FLÜSSIGERDGAS:
NEUE LNG-TANKSTATION IN GROSSBRITANNIEN
Flüssigerdgas macht mobil: Für Asda
Logistic Services (ALS) hat Linde eine
neue Tankstation für Flüssigerdgas – kurz
LNG für Liquefied Natural Gas – in der
Nähe von Bristol errichtet. Dank einer neu
entwickelten Technologie, die das Gas vor
der Betankung herunterkühlt, arbeitet die
Tankstelle im Kühlwaren-Distributionszentrum von ALS verlustfrei. Die LNG-Station versorgt 50 bivalente (LNG- und Diesel-betriebene) Volvo-Lkw der britischen
Supermarktkette Asda. Typischerweise
fahren die Fahrzeuge zu etwa 60 Prozent im
LNG-Betrieb. „Wir freuen uns, diese umweltfreundliche Alternative zum Dieseltreibstoff mit Asda gemeinsam zur Anwendung
zu bringen“, sagt Mark Lowe, LNG-BusinessManager bei der britischen Linde-Tochtergesellschaft BOC. Mit dieser Partnerschaft trägt
Linde dazu bei, den Übergang zu einer emissionsarmen Mobilität mitzugestalten. Der
Wechsel zum gemischten Flüssigerdgas- und
Dieselbetrieb verlief reibungslos. „Alternative Kraftstoffe sind ein wichtiger Bestandteil
unserer Nachhaltigkeitsstrategie“,
sagt Corinne Murp hy, n at i o n a l e
Flottenmanagerin bei ALS. „Die
Zusammenarbeit
mit BOC und Volvo
wird dazu beitragen, unseren CO₂Ausstoß bis 2015
um zehn Prozent
zu verringern.“
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // MEDIZINTECHNIK
10
Akute Schmerztherapie:
Mediziner raten ihren Patienten
zu einem inhalierbaren
Lachgas-Sauerstoff-Gemisch,
wenn Schmerzen kurzzeitig ge‑
lindert werden sollen.
MEDIZINTECHNIK // LINDE TECHNOLOGY #1.14
11
Bildquelle: S. Edwards / Getty Images
Autorin: Clara Stark
Schmerzmittel lösen sich in Luft auf
↲↳
EINE GUTE
ATMOSPHÄRE
Ob in der Notaufnahme oder im Kreißsaal: Wenige Atemzüge eines Lachgas-SauerstoffGemischs können Schmerzen lindern und beruhigen. Für den Einsatz von Lachgas im Klinikalltag
gelten aber Arbeitsplatzgrenzwerte, die Ärzte, Therapeuten und Pflegepersonal vor zu hohen
Konzentrationen in der Umgebungsluft schützen sollen. Ein Team von Linde Healthcare und Lindes
Engineering Divison hat ein mobiles Gerät entwickelt, mit dem sich das Lachgas entsorgen lässt.
Manchmal schallt der erste Schrei eines Babys schon nach kurzer
Zeit durch den Klinikflur. Oft dauert eine Geburt aber viele Stunden. Die wiederkehrenden Wehenschmerzen zehren an den Kräften
der werdenden Mütter – und rauben ihnen Energie, die sie im
weiteren Verlauf der Geburt gut gebrauchen können. Deshalb raten
viele Ärzte im Kreißsaal zu Medikamenten gegen die Schmerzen.
Neben Opioiden und einer lokalen Betäubung im Rückenmark gibt es auch noch eine
weitere Möglichkeit: inhalierbare Schmerzmittel: „Bei mehr als 70 Prozent der gebärenden Mütter in Großbritannien wird ein LindeMedizingasegemisch, das aus Sauerstoff und
Distickstoffmonoxid besteht, eingesetzt“, sagt
Sybille Petersohn, Globale Business-Managerin Analgesia bei Linde Healthcare. Auch in anderen europäischen Ländern wird das Gasegemisch in der Geburtshilfe mehr
und mehr verwendet.
Das Linde-Produkt besteht jeweils zur Hälfte aus Distickstoffmonoxid (N₂O) – auch Lachgas genannt – und Sauerstoff. Bereits
1799 entdeckte der Chemiker Humphry Davy die schmerzstillende
Wirkung von Lachgas. Der amerikanische Zahnarzt Horace Wells
setzte es 1844 erstmals zur Schmerzbetäubung bei Zahnextrak‑
tionen ein. Auch in der Notfallmedizin und bei der Behandlung von
Kindern hat sich das Gasegemisch bewährt: Egal ob eine Darmspiegelung ansteht, eine Wunde genäht oder ein Venenzugang gelegt
werden muss: „Eine Inhalation des Lachgas-Sauerstoff-Gemischs kann
den akuten Schmerz lindern. Spätestens dreißig Minuten nach Ende
der Inhalation ist die Wirkung bereits verflogen“, sagt Petersohn.
Während Patienten meist nur über kurze Zeiträume das LachgasSauerstoff-Gemisch einatmen, sind Ärzte und Krankenhauspersonal dem gasförmigen Arzneimittel länger ausgesetzt. Da es bei lang
andauernder Verabreichung von N₂O zu Nebenwirkungen wie Veränderungen im Blutbild kommen kann, gibt es
– wie für alle anderen Anästhesiegase auch –
Richtwerte, die die maximale Gaskonzentration
festlegen. Dazu kommt, dass Lachgas ein Treib‑
hausgas ist. „Die bei medizinischen Eingriffen
frei werdenden Lachgasmengen sind allerdings
so gering, dass sie nicht für die Klimaerwärmung verantwortlich gemacht werden können“,
sagt Dr. Wolfgang Schmehl, Manager im Bereich Innovation und Entwicklung bei Linde Healthcare. Große Mengen umweltbelastender
Lachgas-Emissionen entstehen vielmehr in der Landwirtschaft, im
Straßenverkehr und in Kohle- oder Gaskraftwerken.
Um der Diskussion um Gesundheit und Umweltschutz verantwortungsvoll Rechnung zu tragen, haben Schmehl und sein Team von
Linde Healthcare gemeinsam mit Kollegen von Lindes Engineering
Division nach einer Lösung gesucht, um Lachgas nach dem therapeutischen Einsatz möglichst vollständig zu entsorgen. Das Ergebnis
ist seit Anfang 2012 bereits in Kliniken unter anderem in Schweden, den Niederlanden und Deutschland im Einsatz und ermöglicht
den sicheren und klimaschonenden Gebrauch von Lachgas: Die
SCHMERZSTILLEN‑
DES GASEGEMISCH
AUCH IN DER GE‑
BURTSHILFE BELIEBT.
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // MEDIZINTECHNIK
12
DIGITALES ZEITALTER AUCH FÜR MOBILE DRUCKGASFLASCHEN
Ein Notfall erfordert absolute Konzentration bei Ärzten und
Rettungsassistenten: Jeder Handgriff muss sitzen. „Um die
Bedienung der mobilen Sauerstoff-Druckgasflaschen zu verbessern, haben wir erstmals das mechanische Manometer
durch eine digitale Anzeige ersetzt und um hilfreiche Funktionen erweitert“, erklärt Helmut Franz, Globaler BusinessManager Medizingasebehälter bei Linde Healthcare. LIV® IQ
gibt jederzeit Auskunft über den aktuellen Füllstand in der
Druckgasflasche und zeigt an, wie lange der Vorrat reicht.
LIV® IQ vergleicht zudem permanent
den tatsächlichen Sauerstofffluss, der
den Patienten erreicht, mit dem voreingestellten Wert. Ist der O -Fluss
²
blockiert, wird der Mediziner durch
einen optischen und akustischen Alarm
gewarnt – und kann entgegenwirken.
Wenn der Sauerstoffvorrat unter einen
Schwellenwert sinkt, erhält man ebenfalls Warnsignale. „Diese Neuerungen
verbessern die Versorgung der Patienten
und ermöglichen den sicheren Einsatz
der mobilen Druckgasflaschen im medizinischen Alltag“, erklärt Franz.
medizintechnische Linde-Entwicklung trägt den Namen EXCIDIO®:
Vereinfacht ausgedrückt ist das Gerät eine dem Lachgas-Sauerstoff-Gemisch nachgeschaltete Apparatur, die das ausge‑
atmete Distickstoffmonoxid direkt entsorgt. Wie bisher atmen die
Patienten das schmerzstillende Gasegemisch über einen Schlauch
mit Atemmaske über Mund und Nase ein. „Eine spezielle am
Schlauch befestigte Vorrichtung leitet die ausgeatmete Luft jetzt
jedoch in einen Sammelbehälter um und verhindert so, dass das Gas
in die Umgebungsluft gelangt“, so Schmehl. Vom Sammelbehälter
aus wird das Lachgas schließlich in die neu entwickelte Anlage
abgesaugt und katalytisch umgewandelt. „Nach dieser so genannten Lachgas-Konvertierung setzt unser EXCIDIO®-Gerät dann nur noch
die unbedenklichen Reaktionsprodukte Stickstoff und Sauerstoff
frei“, erklärt Schmehl vereinfacht das Funktionsprinzip. Das Lachgas
löst sich sozusagen in Luft auf.
Die Anforderungen an die neue Entsorgungsanlage waren klar
vorgegeben, aber auch ambitioniert: „Wir brauchten ein mobiles
Gerät für den Einsatz im Klinikalltag, das Lachgas möglichst voll‑
ständig und ohne unerwünschte Nebenprodukte abbaut und in
unmittelbarer Nähe zum Patienten eingesetzt werden kann“, schildert Schmehl. Dass sich Lachgas dank spezieller Katalysatoren in
Stickstoff und Sauerstoff umwandeln lässt, war bereits bekannt.
„Doch wir wussten zunächst nicht, welche Materialien sich am besten
Schmerzen lindern: Während Patienten das LachgasSauerstoff-Gemisch meist nur über kurze Zeit einatmen,
sind Ärzte und Krankenhauspersonal dem gasförmigen
Arzneimittel über längere Zeit ausgesetzt.
eignen und wie wir die notwendigen hohen Temperaturen in den
Griff bekommen sollten“, so Schmehl. Denn die katalytische Reaktion
läuft erst oberhalb von 350 Grad Celsius optimal ab. Im Inneren von
EXCIDIO® herrschen im normalen Betrieb sogar Spitzentemperaturen
von mehr als 500 Grad Celsius. „Denn bei der Lachgas-Zersetzung
haben wir es mit einer so genannten exothermen Reaktion zu tun.
Es wird also viel Energie in Form von Wärme frei“, erklärt Dr. Ulrike
Wenning, Chemikerin im Bereich Forschung und Entwicklung bei
Linde Engineering. Schritt für Schritt hat sie sich mit ihren Kollegen
an geeignete Katalysatoren herangetastet und mit verschiedenen
Tests deren Reaktionsverhalten untersucht.
Angepasst an die Anforderungen im Klinikalltag
„Auch andere Apparateteile wie Wärmetauscher, Gasvorwärmer und
Ansauggebläse haben wir geprüft, variiert und verbessert“, ergänzt
Dr. Karl-Heinz Hofmann von Linde Engineering. Über Details wie zum
Beispiel die Isolationen dürfen die Linde-Experten jedoch nichts verraten, denn die neu entwickelten Materialien wurden bereits zum
Patent angemeldet. Chemieingenieur Hofmann war auch für die
Prozesssimulation zuständig. Basis für seine unterschiedlichen Berechnungsmodelle war der Bau und Betrieb einer Pilotanlage auf dem
Gelände von Linde Engineering in Pullach bei München. „Wir haben
uns beim Bau des Prototyps zunächst bewusst für eine Anlage in
MEDIZINTECHNIK // LINDE TECHNOLOGY #1.14
13
MEDIZINTECHNIK ERMÖGLICHT THERAPIE AM PATIENTENBETT
Die Linde-Experten haben das mobile Gerät EXCIDIO® entwickelt, mit dem sich das inhalierbare Lachgas-Sauerstoff-Gemisch nach dem
therapeutischen Einsatz möglichst vollständig in Stickstoff und Sauerstoff umwandeln lässt. EXCIDIO® ist nicht nur auf die Anforderungen
im Klinikalltag zugeschnitten, sondern auch in unmittelbarer Nähe zum Patienten einsetzbar.
Heiße Leistung: EXCIDIO® konvertiert pro
Stunde ein Gasevolumen von sieben Kubik‑
metern. Dabei entstehen im Inneren
Temperaturen von mehr als 500 Grad Celsius.
Die Therapie: Der Patient atmet das Lachgas-Sauerstoff-Gemisch mit einer MundNase-Atemmaske ein – und dank einer speziel‑
len Vorrichtung in einen Behälter wieder aus.
größerer Dimension entschieden – etwa im Ausmaß eines Schranks“,
erklärt Hofmann. Denn alle Bauteile sollten ausreichend flexibel und
für weitere Anwendungen nutzbar sein. Erst in einem zweiten Schritt
wurde die Anlage von erfahrenen Medizintechnik-Ingenieuren von
Linde Healthcare spezifisch auf die medizinischen Vorgaben und
Anforderungen von Kliniken zugeschnitten. Dabei mussten zahlreiche
Fragen geklärt werden: Wie schnell läuft die Reaktion ab? Welche
Katalysatormenge ist nötig? Wo liegen die günstigen Gaskonzen‑
trationen und Durchflussgeschwindigkeiten für eine möglichst
vollständige Zersetzung? Welche Sicherheitsvorkehrungen sind
notwendig? Hofmann, Wenning und ihr internationales Team fanden die Antworten: Über ein Jahr lang entwickelten sie Modelle
und überprüften diese mithilfe von analytischen Untersuchungen.
Dadurch ist es jetzt möglich, für unterschiedliche Anwendungszwecke den jeweils besten Prozess zu designen – je nach gewünschter Temperatur, Gaskonzentration und Zersetzungsrate.
Das EXCIDIO®-Gerät schafft ein Gasevolumen von sieben Kubikmetern pro Stunde. „Dank unserer Berechnungen und Simulationsmodelle können wir aber auch größere Anlagen konstruieren, die
Gasvolumina von bis zu 100.000 Kubikmeter pro Stunde konvertieren können“, sagt Hofmann. Anlagen in dieser Dimension sind
zum Beispiel in der chemischen Industrie erforderlich. So entsteht
Lachgas zum Beispiel bei der Herstellung von Salpetersäure. Auch in
Die Zersetzung: Das Lachgas wird
abgesaugt und katalytisch in Stickstoff
(blau) und Sauerstoff (rot) konvertiert.
der Lebensmittelindustrie wird Lachgas freigesetzt: Dort ermöglicht
N₂O in kleinen Kartuschen beispielsweise die schnelle Produktion
von Schlagsahne. „Und in den Flaschengas-Abfüllanlagen von Linde
könnte die Zersetzungsanlage künftig ebenfalls eingesetzt werden –
zum Schutz von Personal und Umwelt“, ergänzt Wenning.
Besondere Aufmerksamkeit legten die Linde-Experten bei der
Entwicklung von EXCIDIO® auf den Wärmehaushalt: „Während wir
bei größeren Anlagen meist mehr Zeit für das Anfahren der Anlage
haben, muss das im Klinikalltag in weniger als einer Stunde ab‑
laufen“, schildert Hofmann die speziellen Anforderungen für
den praktischen Einsatz der Lachgas-Konvertierungsanlage. Wie
gut sich medizinisches Know-how und Anlagentechnik im LindeKonzern gegenseitig unterstützen können, hat das EXCIDIO®Projekt bereits bewiesen. Und im Klinikalltag ist die Anwen‑
dung des Lachgas-Sauerstoff-Gemischs noch einfacher und
sicherer geworden.
LINK:
www.linde-healthcare.com
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // TITELTHEMA
14
NEUE TECHNOLOGIEN FÜR SCHLÜSSELBRANCHEN
IMPULSE FÜR
D
IE ZUKUNFT
Energieeffiziente Prozesse, ressourcenschonende Verfahren, digitale Vernetzung
und neue Werkstoffe: Die Ansprüche an die Industrie von morgen sind vielfältig.
Innovative Lösungen von Linde helfen, diese Herausforderungen zu meistern.
FORSCHUNG
Kohlenstoff-Nanoröhren erobern die Elektronikwelt. Um
das Leistungsprofil der Hightech-Materialien zu verbessern,
haben Linde-Experten ein neues Trennverfahren entwickelt.
MOBILITÄT
Fahrzeugmotoren müssen sauberer werden. Kalibrier‑
gasgemische von Linde helfen, um in Abgastestverfahren
geringste Schadstoffmengen nachzuweisen.
TITELTHEMA / LINDE TECHNOLOGY #1.14
15
Weltweit stehen die Ingenieure in der Forschung oder in Schlüsselbranchen wie der Energie-, Auto- oder Elektronikindustrie vor großen
Herausforderungen. Doch diese bieten auch Chancen – für Unternehmen, die Lösungen anbieten können. Trends frühzeitig erkennen und
eine zielgerichtete Strategie sind dafür eine wichtige Basis. Aber die
Innovationskraft ist der eigentliche Schlüssel zum Erfolg. Meist sind
Innovationen das Ergebnis konzentrierter Teamarbeit in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Konzerne. Auch Kooperationen mit Universitäten und Wissenschaftsinstitutionen tragen
dazu bei, Ideen und Impulse für neue Technologien oder Werkstoffe
ENERGIE
Solarstrom ist auch in der Nacht gefragt. Um die Sonnenenergie effizient zu speichern, hat Linde gemeinsam
mit Partnern ein neues System auf Salzbasis entwickelt.
zu generieren. Fachleute unterschiedlichster Disziplinen müssen an
einem Strang ziehen, um Produkte und Anwendungen von der ersten
Idee bis zur Marktreife zu entwickeln. Gemeinsam mit externen Forschern haben Linde-Experten beispielsweise ein Verfahren entwickelt,
um Kohlenstoff-Nanoröhren für die Elektronikindustrie fit zu machen.
In der Halbleiter-Branche sind hochreine Spezialgase von Linde ein
essenzieller Bestandteil in der Fertigung. Und das Gase-Know-how
ist auch in der Mobilität gefragt, beispielsweise in der Autoabgasmessung. Die Linde-Ingenieure treiben auch den Energiesektor voran und
bieten damit innovative Lösungen für die Industrie von morgen.
ELEKTRONIK
Intelligente Mikrosysteme bringen reale und virtuelle
Welten zusammen. Bei der Herstellung der filigranen Halbleitermaterialien helfen Spezialgase von Linde.
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // NANOTECHNOLOGIE
16
O
RDNUNG IM
NANO-KOSMOS
Kohlenstoff-Nanoröhren gelten als Wundermaterial – vor allem für elektronische
Bauteile. Obwohl man ihnen herausragende Fähigkeiten zuschreibt, werden sie wegen
technischer Hürden bislang kaum eingesetzt. Denn selbst die besten kommerziell
erhältlichen Carbon Nanotubes (CNT) erreichen nicht ihre volle Leistungsstärke. Jetzt
ist Werkstoffexperten von Linde in Kalifornien ein wichtiges technologisches Verfahren
gelungen, mit dem sich das Potenzial der Nanoröhren besser ausschöpfen lässt.
Hightech schrumpft: Immer enger rücken elektronische Bauteile heran. Nanotubes besitzen das Potenzial, die Elektronikbranche zu
und komplexe Schaltkreise im Innern von Mobiltelefonen, Kameras revolutionieren: „Sie könnten die Eigenschaften der transparenten,
oder Tablets zusammen. Auch Flachbildschirme werden schlanker – elektrisch leitenden Filme (TCF), die in Displays und in Solarzellen
und kostengünstiger. Und das, obwohl sie mit Zusatzfunktionen wie eingebaut werden, erheblich verbessern“, erklärt Kevin McKeigue,
berührungsempfindlichen Oberflächen aufwarten. Der Trend hin zu Leiter Nanotechnologie im Bereich Clean Energy und Innovationsmakleineren, schnelleren, intelligenteren und billigeren elektronischen nagement bei Linde. Zusammen mit seinen Kollegen will er die KohBauteilen beruht auf der Entwicklung einer neuen Generation von lenstoff-Winzlinge fit machen für den Einsatz in Elektronik-Bauteilen.
Dass die Hightech-Materialien bislang in der Elektronikbranche
kostengünstigen Hochleistungsmaterialien. Bislang wurde Indium‑
zinnoxid für die transparenten, elektrisch leitenden Schichten, kurz kaum Verwendung finden, liegt vor allem an technologischen HürTCF (Transparent Conductive Films), in Displays genutzt. Allerdings den. Kommerziell verfügbare CNTs weisen einfach nicht die herausraist das Material nicht nur teuer, sondern auch unvereinbar mit inno- genden Eigenschaften auf, zu denen sie fähig wären. Wissenschaftler
und Ingenieure von Linde Nanomaterials
vativen Fertigungsprozessen für Displays.
im kalifornischen San Marcos haben sich
Eine Alternative bieten Kohlenstoffdeshalb darauf konzentriert, die kommerNanoröhren – auch Carbon Nanotubes,
ziell erhältlichen CNTs in eine besser nutzkurz CNT genannt – aufgrund ihrer herausbare Form zu bringen. „Zwar ist die Herragenden elektrischen und mechanischen
stellung der Carbon Nanotubes durch
Eigenschaften. Die Röhrenwand der CNTs
Methoden wie das Verdampfen von Kohbesteht aus Kohlenstoffatomen, die ein
„Ihre volle Leistung ent‑
lenstoff im Lichtbogen auf den ersten Blick
regelmäßiges Sechseck-Gitter bilden –
unproblematisch“, erklärt McKeigue. Aber
ähnlich den Waben eines Bienenstocks.
falten die Nanotubes erst,
der nächste Schritt bereitet Schwierigkeiten:
Diese Struktur macht die Winzlinge extrem
wenn sie sauber voneinan„Die produzierten Nanoröhren müssen an‑
robust: Sie gelten als das stabilste Material
schließend geordnet werden. Erst das
der Welt. Und auch an die elektrische und
der getrennt vorliegen.“
macht sie leistungsfähig für die gewünschthermische Leitfähigkeit der „WunderröhrKevin McKeigue, Linde
ten Anwendungen“, so McKeigue. Für
chen“ reicht kaum ein anderes Material
FORSCHUNG
Autor: Sven Titz
B
ildquelle: Laguna Design / SPL / Agentur Focus
Innovatives Verfahren ermöglicht Elektronik mit Kohlenstoff-Nanoröhren
↲↳
Winzige Wunderröhren:
Nanotubes bestehen aus
Kohlenstoffatomen, die
zu Sechsecken verknüpft
sind. Ihre Eigenschaften
sind für viele HightechBranchen interessant.
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // NANOTECHNOLOGIE
18
manche Applikationen müssen die CNTs in die verschiedenen Sorten sauber getrennt werden. Beides ist in der Praxis schwer zu
bewerkstelligen: Ein Blick ins Rasterelektronenmikroskop zeigt,
dass die hauchfeinen, einwandigen Nanoröhren ineinander verschlungen sind. Diese Schnüre verhalten sich wie widerspenstige,
klebrige Spaghetti – und erreichen nicht das Leistungsprofil, das für
die transparenten, elektrisch leitenden Schichten
in Fernsehern, Notebooks oder Smartphones notwendig ist. Dazu müssen die Nanotubes entwirrt
und in einem Lösungsmittel gelöst werden, um sie
dann als gleichmäßigen Film auf der Display-Oberfläche abzuscheiden. Herkömmliche Prozesse setzen auf Ultraschall, um die CNT-Bündel zu trennen und in Lösung zu bringen. Der Nachteil dieser
Methode: Die Ultraschallwellen können die einwandigen Nanoröhren stark beschädigen und so ihre
Länge verringern. „Das wirkt sich negativ auf die elektrischen Eigenschaften der späteren TCFs aus“, erklärt Siân Fogden, Managerin für
Markt- und Technologieentwicklung bei Linde Nanomaterials: „Je
kürzer die Röhrchen, desto schlechter ist die Leitfähigkeit des Films
– und das beeinflusst die Qualität des späteren Produkts.“ Aber eine
viel größere Herausforderung liegt darin, die CNTs nach ihren unter-
schiedlichen Eigenschaften zu trennen: „Die produzierten Nanoröhren beinhalten Exemplare mit metallischen und halbleitenden Eigenschaften“, erklärt McKeigue. Die beiden Sorten eignen sich jedoch
für unterschiedliche Anwendungen. Die halbleitenden CNTs werden beispielsweise für die Herstellung von dünnen Photovoltaik-Zellen eingesetzt. Zwar gibt es Methoden, um die Carbon Nanotubes zu
separieren, aber es hapert noch an der Tauglichkeit
für die industrielle Produktion.
Eine Option bieten Anreicherungsprozesse.
Dabei werden die Kohlenstoff-Nanoröhren mit
energiereichen Ultraschallwellen gelöst, bevor
eine Ultrazentrifuge die CNTs anschließend voneinander trennt. Allerdings ist die Ausbeute sehr
gering: Weniger als ein Prozent der Nanoröhren landen letztlich im späteren Produkt. Zudem besteht
die Gefahr, dass sie durch den Ultraschall-Schritt
beschädigt werden. Um ein Verfahren zu etablieren, mit dem sich
kommerziell erhältliche CNTs in Hochleistungsmaterialien für die
Elektronikindustrie umwandeln lassen, mussten die Linde-Experten
einige Herausforderungen überwinden. Denn die Prozesse sollten
auch für die industrielle Produktion funktionieren. Gemeinsam mit
dem University College London (UCL), dem Imperial College (IC) und
METALLISCHE
UND HALB‑
LEITENDE NANO‑
TUBES OPTIMAL
TRENNEN.
Entwirrungstaktik für Nanotubes: Mithilfe der neu entwickelten Methode können die Forscherinnen in den Linde-Labors in San Marcos,
Kalifornien, die Kohlenstoffröhrchen nach ihren elektronischen Eigenschaften auftrennen (links). Erst dann entfalten die Nanotubes
ihre ganze Leistungsfähigkeit, die in der Hightech-Industrie gefordert wird (rechts, unten). Ein Blick ins Rasterelektronenmikroskop
zeigt, dass die hauchfeinen Nanotubes ineinander verschlungen sind – zum Vergleich ein menschliches Haar (rechts, oben).
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
dem Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Bordeaux
haben die Nano-Experten jetzt eine neue Methode entwickelt, um
die Kohlenstoffröhren zuverlässig zu entwirren, zu trennen und in
Lösung zu bringen. McKeigue, der bei Linde als „Talentsucher“ für
neue Technologien tätig ist, begann bereits 2009 mit UCL/IC-Forschern daran zu arbeiten. Nun trägt die Kooperation zwischen akademischer Forschung und industriellem Know-how erste Früchte: Die
neue Methode nennt sich „Salt-enhanced Electrostatic Repulsion“,
kurz SEER. Damit lassen sich Bündel einwandiger Kohlenstoff-Nanoröhren nicht nur entwirren, sondern auch nach ihren elektronischen
Eigenschaften separieren. Eine Schlüsselrolle übernimmt dabei
flüssiger Ammoniak, eine Chemikalie, bei der die Linde-Ingenieure
auf eine langjährige Erfahrung zurückgreifen können. Die Nanoröhren lösen sich in dem ammoniakhaltigen Lösungsmittel, laden
sich negativ auf und stoßen sich aufgrund ihrer gleichen Ladung
ab. Dadurch entwirren sie sich, und es liegen einzelne Stränge vor.
Anschließend wird der Ammoniak entfernt und das CNT-Salz mit
einem organischen Lösungsmittel behandelt: Es bildet sich eine
Lösung aus einzelnen Kohlenstoff-Nanoröhren – die ideale Druckerfarbe für Hochleistungs-TCFs.
Carbon Nanotubes mit einheitlicher Länge
Ein weiterer Vorteil der Methode: Sie ist skalierbar. „Anders als bisherige Dispersions- und Abtrennungstechniken kann das SEER-Verfahren ohne Nachteile auf beliebig große Mengen angewendet
werden“, sagt Graham McFarlane, Leiter Linde Nanomaterials. Im
Vergleich zu anderen Verfahren schneidet die neue Methode besser ab. „Die durchschnittliche Länge der Carbon Nanotubes in den
Lösungen beträgt bei unserem Verfahren 20 Mikrometer – und diese
Länge bleibt auch erhalten“, erklärt Fogden. „Bei anderen Methoden, die auf Ultraschall basieren, verkürzen sich die Röhrchen signifikant – teilweise bis auf ein bis zwei Mikrometer“, so Fogden. Und
das wirkt sich negativ auf die Eigenschaften aus. In einem weiteren
Schritt wollen die Wissenschaftler jetzt die „Individualisierung“ der
Röhrchen verbessern, die in den transparenten, elektrisch leitenden
Schichten (TCF) eingesetzt werden. Das heißt: Die produzierten Röhrenbündel sollen noch dünner werden. „Im Idealfall blieben am Ende
des Abscheidungsprozesses sogar einzelne CNTs übrig. Wenn wir dieses Ziel erreichen, ließe sich die Transparenz des Films verbessern
und auch die benötigte Leitfähigkeit bliebe erhalten“, sagt McFarlane.
Aber die Anforderungen der Monitor-Hersteller sind extrem hoch.
„Wir brauchen eine Transparenz der leitenden Filme von mindestens
90 Prozent und einen Flächenwiderstand von höchstens 100 Ohm“,
sagt McFarlane. Diesen Wert will man weiter verbessern. Der LindeExperte verspricht sich dabei viel von dem neu entwickelten Verfahren. Das wäre eine interessante Perspektive, um das teure Indiumzinnoxid zu ersetzen. Der Nanochemiker Prof. Karl S. Coleman von
der Durham University sieht zudem potenzielle Anwendungen bei
elektronischen Sensoren und in Batterien.
LINK:
www.london-nano.com
NANOTECHNOLOGIE // LINDE TECHNOLOGY #1.14
19
KURZINTERVIEW
„KOHLENSTOFF-NANORÖHREN
SIND EXTREM LEITFÄHIG“
Prof. Karl S. Coleman, Nanochemiker
an der britischen Durham University,
forscht mit seiner Arbeitsgruppe
seit 1998 auf dem Gebiet der Carbon
Nanotubes. Linde Technology
sprach mit ihm über die Besonder‑
heiten der winzigen Röhrchen.
↳ WAS MACHT KOHLENSTOFF-NANORÖHREN
SO INTERESSANT?
Carbon Nanotubes haben besonders gute mechanische,
physikalische und chemische Eigenschaften. Die herausragenden Merkmale gehen vor allem auf die spezielle Elek‑
tronenstruktur zurück. Bei den Carbon Nanotubes sind diese
„delokalisiert“, das heißt: Die negativ geladenen Elektronen
erstrecken sich über mehrere atomare Bausteine hinweg –
ähnlich wie bei einem Benzolring. Das verleiht den Nanoröhren beispielsweise ihre hohe elektrische Leitfähigkeit.
↳ WELCHE VERSCHIEDENEN SORTEN VON CNTS GIBT ES?
Kohlenstoff-Nanoröhren können ein- oder mehrwandig
sein, also nur aus einer oder mehreren ineinander gesteckten Röhren mit unterschiedlichen Durchmessern bestehen.
Außerdem gibt es Exemplare mit metallischen Eigenschaften und solche mit Halbleiter-Eigenschaften. Das hängt von
ihrem Durchmesser und ihrer Chiralität, also der räumlichen
Anordnung der Atome, ab.
↳ WELCHE HERAUSFORDERUNGEN GIBT ES BEI DER PRODUKTION VON NANOTUBES?
Bei der Herstellung von Nanoröhren entsteht immer eine
Mischung. Die einwandigen CNTs besitzen einen Durchmesser von einem bis fünf Nanometer, mehrwandige Nano‑
tubes einen Durchmesser von bis zu zehn Nanometern.
Unter kontrollierten Fertigungsprozessen erreichen CNTs
eine Länge von einigen Mikrometern. Die Länge lässt sich
steuern. Der Durchmesser ist schlechter kontrollierbar, weil
er von der Partikelgröße des Katalysators abhängt. Um die
großartigen Eigenschaften der Kohlenstoff-Nanoröhren
nutzen zu können, kommt den Trennungsverfahren nach
der Synthese also eine entscheidende Rolle zu.
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // AUTOINDUSTRIE
20
Saubere Mobilität: Prüfgase für exakte Messungen
SPURENSUCHE IM
ABGASSTROM
Die Automobilindustrie muss immer sauberere Motoren entwickeln, um die Emissionsgrenz‑
werte zu erfüllen. Damit die Messgeräte der Abgastests geringste Schadstoffmengen aufspüren
können, müssen sie mit Präzisionsgasemischungen geeicht werden. Diese bietet Linde für
eine Vielzahl von Schadstoffen an. Ein Prüfgas-Mix steht bereits im Guinness-Buch der Rekorde.
Rund eine Milliarde Autos rollen über die Straßen der Welt. Und ihr werte einhält. Die Teststände der Autofabriken, Prüfinstitute und die
Hunger nach Kraftstoffen ist gewaltig: Milliarden Tonnen Benzin und Hersteller von Sensorchips eichen ihre Geräte mit exakt dosierten
Diesel verschlingen die Motoren – und pusten eine Fülle an Verbren‑ standardisierten Gasemischungen. Solche Kalibriergasgemische lie‑
nungsrückständen als Abgase in die Luft. Viele dieser Schadstoffe fert Linde unter der Marke SPECTRA® bereits seit vielen Jahren in
verursachen Atemprobleme oder sind sogar krebserregend. Zwar Spezialgasebehältern – von der einfachen Gaskartusche bis zum
haben die Autobauer dank moderner Katalysatoren und Rußparti‑ mannshohen -zylinder. Die Firma Bosch etwa nutzt die Linde-Gase
kelfilter dafür gesorgt, dass die Fahrzeuge sauberer geworden sind. zur Vermessung ihrer Abgassensoren, bevor sie in den Autos verbaut
Doch die Schadstoffemissionen sollen weltweit noch weiter sinken. werden. „Für die Sensortests brauchen wir hochpräzise Mischungen,
In der Europäischen Union tritt 2014 beispielsweise die neue Euro-6- mit denen wir die Abgase von Benzin- und Dieselfahrzeugen simu‑
Norm in Kraft, die strengere Grenzwerte vorschreibt: Durfte ein Ben‑ lieren“, sagt Vaclav Pixa, Technischer Anlagenleiter bei Bosch in der
zinmotor Anfang des Jahres 2000 noch 150 Milligramm Stickoxid pro Tschechischen Republik. „Die kontinuierliche Versorgung mit diesen
Kilometer ausstoßen, so liegt das Limit künftig bei 60 Milligramm.
Spezialgasen ist für unsere Labors besonders wichtig“, so Pixa.
Für die Automobilhersteller und technischen Prüforganisationen
Die immer strengeren Emissionsvorschriften stellten auch Linde
ist das eine echte Herausforderung: Je weniger Schadstoffteilchen vor neue Herausforderungen: Soll ein Messinstrument bei der Abder Abgasstrom enthält, desto schwie‑
gasuntersuchung nur wenige Teilchen
riger lässt sich der Gehalt präzise messen.
unter einer Million anderer Teilchen, also
„Auf eine Million Teile Luft kommen nur
parts per million (ppm), korrekt detek‑
sehr wenige Schadstoffteilchen, die sicher
tieren, muss auch das Prüfgas für die
detektiert werden müssen“, erklärt Michael
Eichung genauso exakt zusammengestellt
Hayes, Leiter Umwelt- und Kalibriergase
sein. „Unsere Gasemischungen müssen
bei Linde in den USA. „Wenige Teilchen
ppm-genau sein und gleichzeitig meh‑
„Für die Sensortests brauchen
in einer Million oder sogar in einer Milli‑
rere Schadstoffe nachweisen können“,
arde anderer Teilchen zu messen, bedeutet
so Hayes. Dazu gehören Stickoxide, aber
wir hochpräzise Spezialgase‑
die Nadel im Heuhaufen zu suchen“, sagt
auch leicht flüchtige Kohlenwasserstoffe –
mischungen, um die Fahrzeug‑
der Linde-Experte. Dafür müssen die Mess‑
so genannte Volatile Organic Compounds,
geräte nicht nur extrem genau, sondern
kurz VOCs. „Es muss eine Fülle von Gasen
emissionen zu simulieren.“
auch exakt geeicht sein. Nur dann lässt
quasi auf ein ppm genau dosiert werden.
Vaclav Pixa, Bosch
sich analysieren, ob der Motor die Grenz‑
An der Verfeinerung unserer Abfüllproze‑
MOBILITÄT
AUTOINDUSTRIE // LINDE TECHNOLOGY #1.14
21
Rushhour rund um die Uhr: Blechlawinen wälzen
sich durch die Megastädte – und pusten Schadstoffe
in die Luft. Strengere Grenzwerte sollen die Emis‑
sionen eindämmen. Um die Motoren (unten) einem
genauen Abgas-Check zu unterziehen, brauchen
die Autohersteller und Prüfinstitute hochreine Kalibrier‑
gasgemische von Linde. Damit eichen sie die
sensiblen Messgeräte ihrer Teststände im Labor.
↲
↳
Autor: Tim Schröder
Bildquelle: P. Salutos / D. Nichols / Getty Images
dur haben wir mehrere Jahre lang getüftelt“, sagt der Linde-Experte.
Ein besonderes Augenmerk mussten Hayes und seine Kollegen dabei
auf die Wasser- und Sauerstoffmoleküle richten: Weil diese mit eini‑
gen der Kalibriergase sofort chemisch reagieren, wäre die Mischung
schnell unbrauchbar. In dem neu entwickelten Verfahren werden die
Wassermoleküle durch mehrstufiges Erhitzen der Gasflasche aus‑
getrieben. Und Vakuumpumpen sorgen dafür, dass auch die letzten
Sauerstoffmoleküle verschwinden. Zudem musste die Beschaffen‑
heit der Zylinderwand so gewählt werden, dass keine Gasmoleküle
hängen bleiben oder mit dem Material reagieren. „Um sicherzuge‑
hen, dass wir schließlich reproduzierbar exakte Gasmengen abfüllen,
mussten wir unsere Anlage immer wieder durchmessen und jeden
Schritt mehrfach testen“, sagt Hayes.
Mehr als 100 Substanzen ppm-genau abfüllen
Benzin und Diesel bestehen fast ausschließlich aus leichtflüchtigen Kohlenwasserstoffen – den VOCs –, die bei der Verbrennung
im Motor in andere Verbindungen wie Kohlendioxid umgewandelt
werden. Allerdings bläst ein Auto vor allem in den ersten fünf Minu‑
ten Dutzende verschiedene Schadstoffe in die Luft. Denn anfangs ist
der Motor noch kalt, der Treibstoff verbrennt unvollständig, und es
gelangen viele VOCs ins Abgas. Das ist besonders fatal, weil viele
VOCs krebserregend sind. Früher fasste man diese Verbindungen
in einem Messwert zusammen: der Gesamtmenge an Kohlenwas‑
serstoffen. „Die strengeren Abgasnormen schreiben jetzt vor, dass
bestimmte VOCs einzeln nachgewiesen werden müssen“, sagt Hayes.
Die Prüfgasflaschen aus den Linde-Labors enthalten deshalb auch
unterschiedlichste VOCs. Der Rekord liegt bei 110 verschiedenen
Substanzen in einem Zylinder. Jede einzelne liegt in einer Konzentration von exakt einem ppm vor – abzüglich der üblichen Präparations- und Messungenauigkeiten. Zwei Tage dauert es, um eine Gasflasche derart präzise zu befüllen. Das hat Hayes nicht nur Respekt
in der Fachwelt eingebracht, sondern Linde auch einen Eintrag im
Guinness-Buch der Rekorde. „Solche genauen Messstandards gibt es
gewöhnlich nur bei staatlichen Eich- oder Prüfbehörden wie der Bun‑
desanstalt für Materialprüfung“, sagt Stephen Harrison, bei Linde glo‑
bal verantwortlich für Spezialgase und dazugehörige Ausstattung. „Mit
unserer SPECTRA® VOC-Kalibriergasmischung, die wir unter der Dach‑
marke HiQ® vertreiben, haben wir jetzt die Nase vorn. Keine andere
Institution ist in der Lage, VOCs und andere Schadstoffe in diesem
Umfang und dieser Präzision zu einem Eichgas zu mischen“, so Harrison.
Der Erfolg gibt den Linde-Experten Recht: Als erstes Labor weltweit
hat das Team eine Zertifizierung nach dem internationalen Prüfstan‑
dard ISO 17025 für die VOC-Bestimmung in Messapparaturen erhalten.
Und die Linde-Entwicklung hat eine große Zukunft vor sich: Sie
eignet sich auch für den Nachweis von Schadstoffen, die bei der Ver‑
brennung von Bioethanol entstehen – wie zum Beispiel Formaldehyd.
Gleiches gilt für Ammoniak, das eingesetzt wird, um Stickoxide im
Abgas zu neutralisieren. Die präzisen Kalibriergasgemische von Linde
leisten damit einen wichtigen Beitrag, um den Herausforderungen
immer strengerer Umweltvorschriften gerecht zu werden.
LINK:
www.dieselnet.com
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ENERGIESPEICHER
22
SONNENKRAFT
AUF ABRUF
Bei Nacht oder schlechtem Wetter produzieren Solarkraftwerke keinen Strom. Doch
regenerative Energie ist rund um die Uhr gefragt. Um Sonnenenergie effizient zu speichern,
sind neue Technologien notwendig. Ein Weg sind latente Wärmespeicher auf Salzbasis.
Linde arbeitet gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt daran, dieses
Konzept zu etablieren – und künftig auch für weitere Prozesse verfügbar zu machen.
Diese Sonnenanbeter brauchen keinen UV-Schutz. Gelassen stre- bler zu machen. Ein aktuelles Projekt in Kooperation mit dem Deutcken die Parabolspiegel ihre silbrigen Körper gen Himmel in das glei- schen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) heißt Direct Steam
ßende Licht – und fangen gigantische Energiemengen auf. 1,5 Trilliar- Generation Store, kurz DSG-Store. Dabei geht es um die Entwicklung
den Kilowattstunden (eine Zahl mit 21 Nullen) schickt die Sonne pro einer neuen Generation von Wärmespeicher-Lösungen für solartherJahr auf die Erde. Mithilfe derzeit verfügbarer Technologien könnte mische Kraftwerke. „Wir erhoffen uns auch wichtige Erkenntnisse,
die Solarkraft bereits 380 Prozent des Weltenergiebedarfs decken. um ähnliche Systeme für Industrieprozesse etablieren zu können –
Um die Sonnenenergie bestmöglich zu nutzen, folgen die Parabol- beispielsweise zur Nutzung von Abwärme“, sagt der Linde-Experte.
spiegel dem Sonnenstand automatisch, damit ihnen keine LichtstrahDie Art des Wärmeträgermediums spielt eine Schlüsselrolle. Bislen entgehen. Die gebogenen Flächen bündeln sie im Brennpunkt auf lang fließt durch die Receiverröhren von Parabolspiegel-Kraftwerken
ein langgezogenes Rohr, die so genannte Receiverröhre, die über der ein so genanntes Thermoöl. Es erwärmt sich auf seinem Weg durch
Spiegelfläche angebracht ist. „Darin strömt ein Wärmeträgermedium, das Solarfeld auf etwa 390 Grad Celsius. In einem zweiten Schritt
das sich aufheizt. Es nimmt die Sonnenenergie auf und überträgt erhitzt es Wasser zu Wasserdampf, der dann eine Turbine zur Strom‑
sie vom Solarfeld ins Kraftwerk“, erklärt Stefan Hübner, Projektlei- erzeugung antreibt. Aber das Thermoöl hat einen Nachteil: Das
ter Energieproduktion und Speicherung im Bereich Clean Energy und Medium zersetzt sich oberhalb von 400 Grad Celsius. Um mit höheren
Innovationsmanagement bei Linde. „Die
Temperaturen arbeiten und mehr Wärme
darin gespeicherte Energie lässt sich dann
speichern zu können, will man bei dem
zur Stromerzeugung nutzen – zumindest so
Konzept von Linde und dem DLR stattdeslange die Sonne scheint“, so Hübner.
sen Wasser als Wärmeträger nutzen. Das
Denn sobald die Dämmerung naht, ist
hat Vorteile: „Wenn wir Wasser bereites vorbei mit der Sonnenernte und das
stellen, das unter einem Druck von etwa
Solarkraftwerk produziert keinen Strom. Es
120 Bar steht, lässt sich der Wasserdampf
„Die solare Direktverdampsei denn, man speichert die über den Tag
auf eine Temperatur von über 500 Grad
gesammelte Wärme. „Dann ließe sich die
Celsius erhitzen“, erklärt Projektleiter Marfung von Wasser erfordert
regenerativ erzeugte Energie auch nachts
kus Eck vom DLR-Institut für Solarforschung.
angepasste Speicherkonzepte
nutzen“, sagt Hübner. Gemeinsam mit seiDas steigert die Prozesstemperatur und
nen Kollegen von der Linde-Tochtergeden Wirkungsgrad des Kraftwerks deut– wie Latentwärmespeicher.“
sellschaft Bertrams Heatec arbeitet er an
lich. Aber die Direktverdampfung erfordert
Markus Eck, DLR
Lösungen, um die Sonnenenergie flexi‑
angepasste Speichertechnologien.
ENERGIE
Autorin: Caroline Zörlein
B
ildquelle: D. Nunuk / SPL / Agentur Focus [M]
Flexible Wärme: Speichertechnologien mit Salzschmelzen
↲↳
ENERGIESPEICHER // LINDE TECHNOLOGY #1.14
23
Reiche Energieernte:
Parabolspiegel fangen
die Sonnenstrahlen
ein und bündeln sie auf
Röhren. Darin zirkuliert
ein Wärmeträgermedium,
das die Sonnenenergie
zur Speicher- bzw. Kraft‑
werkseinheit führt.
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ENERGIESPEICHER
24
SONNENWÄRME
EINFANGEN
Wasserdampf
Salz
Die solare Direktverdampfung nutzt
Wasser als Wärmeträgermedium.
Es strömt durch die Receiverrohre,
auf die die Parabolspiegel das
Sonnenlicht konzentrieren. Das Was‑
ser erwärmt sich zu heißem Dampf.
Die darin gespeicherte Energie lässt
sich von Dampfturbinen und Gene‑
ratoren in Strom umwandeln. Um die
Sonnenenergie für den Nachtbetrieb
zu speichern, wird die Energie des
überhitzten Wasserdampfs von meh‑
reren Wärmespeichern aufgenommen:
Zuerst wird die fühlbare Wärme über
Wärmetauscher in einem Flüssigsalz
gespeichert (heißer Speichertank).
Anschließend nimmt der Latentwär‑
mespeicher die Verdampfungswärme
auf. Danach kann noch vorhandene
fühlbare Wärme des nun konden‑
sierten Dampfes im Flüssigsalz (Zwi‑
schenspeicher) eingefangen werden.
Der kalte Speichertank dient der
Lagerung des Flüssigsalzes im unge‑
ladenen Zustand.
Ventile (geschlossen,
für Entladevorgang)
Ventile (geöffnet,
für Beladevorgang)
Heißer
Speichertank
Sonnenkollektoren
Salz
Zwischenspeicher
Salz
Wasser
Solarfeld
Um die Wärme zu speichern, eignen sich beispielsweise Salzschmelzen. „Das so genannte Solar Salt, derzeit die Salzmischung der Wahl,
besteht aus Kalium- und Natriumnitrat“, erklärt Markus Weikl, Produktmanager bei Bertrams Heatec in der Schweiz. Für die Solarthermie müssen die beiden Komponenten extrem sauber sein, weil Verunreinigungen wie Chloride zu Korrosion in den Leitungen führen
können. Stand der Technik sind: mit Thermoöl betriebene Solarkraftwerke, in denen diese flüssige Salzmischung als sensibler Wärmespeicher eingesetzt wird. „Sensibel deshalb, weil die Wärmeenergie
durch die Erhöhung der Temperatur fühlbar ist“, sagt Weikl. In zwei
großen Tanks lagern unterschiedlich temperierte Salzschmelzen.
Mehr als 30.000 Tonnen passen in ein Tankpaar. Tagsüber wird das
flüssige Salz aus dem kalten Tank mit 290 Grad Celsius in einen Wärmetauscher gepumpt. Dort nimmt es die Energie aus dem sonnenerhitzten Thermoöl auf – und erreicht so eine Temperatur von etwa 380
Grad Celsius. Nachts wird die Schmelze in den kälteren Tank zurückgeleitet. Wärmetauscher entziehen die gespeicherte Energie und
speisen sie in den Kraftwerksbetrieb zur Stromerzeugung.
Die Salzschmelze könnte sogar noch größere Wärmemengen aufnehmen – maximal 565 Grad Celsius. Für den überhitzten Wasserdampf und somit den Wirkungsgrad des Kraftwerks wäre das eine
ideale Temperatur. Deshalb testet man auch Anlagen, bei denen
statt Thermoöl zum Beispiel die Salzschmelze direkt durch das Solarfeld zirkuliert. Neben der höheren Einsatztemperatur können Direkt-
Kalter
Speichertank
Speichersystem
salzanlagen ebenfalls auf einfache Art und Weise mit einem sensiblen Wärmespeicher kombiniert werden. „Aber das System birgt
auch Nachteile: Sinkt die Temperatur unter 240 Grad Celsius, erstarrt
die Salzschmelze. Da die Receiverrohre einen geringen Durchmesser
besitzen, kann das Salz über Nacht schnell gefrieren – und das Kraftwerk wäre am nächsten Tag nicht einsetzbar. „Erstarrtes Salz lässt
sich nur mit großem Aufwand wieder aufschmelzen“, so Weikl. „Die
Receiverrohre müssen also über Nacht unter hohem Energieaufwand
warmgehalten werden. Hierfür werden etwa sechs Prozent der im
Jahresmittel eingesammelten Sonnenenergie benötigt“, erklärt der
Linde-Experte. Daher suchen Wissenschaftler nach Salzmischungen,
die erst bei möglichst niedrigen Temperaturen fest werden.
Beim Projekt DSG-Store setzen Linde und das DLR auf die
direkte Dampferzeugung im Solarfeld in Verbindung mit latenten
Wärmespeichern. Diese Technologie kombiniert den Vorteil der
hohen Dampftemperatur und Wirkungsgrade mit dem Einsatz eines
sehr gut handhabbaren Wärmeträgermediums ohne aufwendige
Gefrierschutzmaßnahmen. „Aber für die solare Direktverdampfung
brauchen wir angepasste Speichertechnologien, um den großen
Energieanteil im Wasserdampf effizient zu speichern“, weiß DLRExperte Eck. Latente Wärme ist „verborgene“ Energie, die ein Material während eines Phasenwechsels – beispielsweise von fest nach
flüssig – aufnimmt, ohne dass sich die Temperatur fühlbar verändert.
Spezielle Nitratsalze können das leisten, weshalb sie auch im Herz-
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
ENERGIESPEICHER // LINDE TECHNOLOGY #1.14
25
Dampfturbine
und Generator
Wärmetauscher
Kondensator
Latentwärmespeicher
Pumpe
Wärmetauscher
Vorwärmer
Kraftwerkseinheit
stück der Linde-DLR-Kooperation stecken: dem Latentwärmespeicher – ein Salztank, in dem lange Rohre installiert sind, durch die der
Wasserdampf strömen kann. Die Rohre sind außen mit feinen Aluminium-Lamellen versehen. „Diese sorgen dafür, dass der Wasserdampf
seine Wärmeenergie besonders gut auf das Speichersalz übertragen
kann“, sagt Eck. Das steigert den Wärmetransfer um ein Vielfaches.
„Um die Energie aus dem System wieder freizusetzen und nutzen
zu können, ist es wichtig, dass die Salzschmelze fest wird“, erklärt
der DLR-Experte. Nach einem sehr ähnlichen Prinzip arbeiten auch
die Handwärmer für die Jackentasche. Die Energiespeicherung in
Solarthermie-Kraftwerken soll genauso funktionieren: Die Sonne lädt
über den Wasserdampf das feste Salz mit Wärme auf. Dabei schmilzt
es. Entzieht man ihm diese Energie später, kristallisiert das Salz wieder aus und kann erneut Sonne tanken. Der Vorteil der Latentwärmespeicher: Damit lässt sich die verborgene Wärme speichern, die im
Wasserdampf selbst steckt – die so genannte Verdampfungsenthalpie.
Hübner: „Über 60 Prozent des durch die Sonnenwärme aufgenommenen Energiegehalts ist im Phasenwechsel vom siedenden Wasser
zum gesättigten Dampf enthalten. Und diese Energie lässt sich nur
mit latenten Salzspeichern effizient sammeln.“ Aber die Wärmebunker sind nicht nur für Solarkraftwerke interessant. „Großes Potenzial
bieten die Latentwärmespeicher auch für konventionelle Kraftwerke,
die ebenfalls mit Dampf und Wärme arbeiten. Zum Beispiel Industriekraftwerke, die ihre Kraft- und Wärmeerzeugung entkoppeln wollen,
Effizienter Wärme‑
transfer: Die Rohre,
die den Latent‑
wärmespeicher
durchziehen, sind
außen mit feinen
Aluminium-Lamellen
versehen (oben).
So kann der Wasser‑
dampf seine Wärme
besonders gut auf
das Speichersalz
übertragen. Noch
sind Solarkraftwerke
(rechts) die Haupt‑
anwendung, doch
auch Industrie‑
prozesse könnten
von den Speicher‑
lösungen profitieren.
könnten von der Technologie profitieren“, so der Linde-Ingenieur.
Zudem fallen bei vielen Prozessen große Mengen Abwärme an, die
sich in den Salzschmelzen speichern und wiederverwenden lassen.
Für die Experten von Linde, Bertrams Heatec und dem DLR steht
nach dem DSG-Store-Projektstart die nächste Phase an. „Nachdem
das DLR in Labortests und einem Demonstrationsprojekt gezeigt hat,
dass das System funktioniert, geht es jetzt darum, die Komponenten und das Gesamtkonzept zu verbessern“, sagt Hübner. Dazu gehören Computersimulationen zur Optimierung des Wärmeübergangs,
die Entwicklung von industriellen Fertigungsverfahren für den La‑
tentwärmespeicher und der Bau eines Testmoduls. Koordiniert wird
das Projekt vom Linde Innovationsmanagement. Hübner: „Durch das
Know-how der Kollegen von Bertrams Heatec und der Linde Engineering Division werden wir bestens unterstützt – beispielsweise bei der
Wärmeübertragung und Prozessauslegung, dem Tankdesign sowie
der industriellen Fertigung der mit Aluminium-Lamellen bestückten
Rohre. Das gebündelte Wissen im Konzern beeindruckt mich immer
wieder“, freut sich der Jungingenieur, der auch auf dem Fachgebiet
promoviert. Dass dem Team gute Erfolgschancen eingeräumt werden, zeigte sich Ende 2013. „Im Dezember erhielten wir den Förderbescheid des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit – und können jetzt richtig loslegen“, freut sich
Hübner. Jetzt arbeiten die Experten daran, das System weiterzuentwickeln und verfahrenstechnisch auf die Solarkraftwerke abzustimmen, um den Sonnenstrom tagesunabhängig zu machen.
LINK:
www.dlr.de
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ELEKTRONIKINDUSTRIE
26
Reinste Räume für elektro‑
mechanische Wunderwerke:
Die filigranen Mikrostrukturen
müssen mit Spezialgasen
exakt herausgeätzt werden.
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
ELEKTRONIKINDUSTRIE // LINDE TECHNOLOGY #1.14
27
Bildquelle: C. Cuthbert / SPL / Agentur Focus
Autor: Sebastian Kirschner
Spezialgase für die Halbleiterindustrie
↲↳
MOTOR DER
MIKROMECHANIK
Ob autonomes Fahren oder hochintelligente Logistik: Informationsaustausch zwischen
Maschinen untereinander und mit ihrer Umwelt wird immer wichtiger – und Mikrosysteme
im Auto oder Smartphone helfen dabei. Die Mikromechanik könnte jetzt den nächsten
Schub in der Halbleiterindustrie auslösen – forciert durch das Spezialgas Xenondifluorid
sowie Prozesstechnik von Linde und seinem strategischen Partner Pelchem.
Nach einem schweren Autounfall zählt oft jede Sekunde – und die eure müssen auch ihre Herstellungsprozesse verbessern. Moderne
Bordelektronik kann zum Lebensretter werden: Denn mittels auto- MEMS bestehen heute aus bis zu 20 verschiedenen Elementen und
matischem Notrufsystem „eCall“ alarmieren bereits heute Fahrzeuge werden üblicherweise unter Verwendung von Silizium oder Galliden Notarzt oder die Verkehrsleitstelle – sekundenschnell und voll- umarsenid hergestellt. Die Bearbeitung dieser Halbleitermaterialien
automatisch. In vielen Oberklassewagen arbeiten die elektroni- erfordert spezielles Know-how, um die filigranen Hightech-Komposchen Wächter schon, und ab Oktober 2015 sollen alle Neuwagen nenten aufzubauen, denn MEMS sind elektromechanische Wunderin der EU verpflichtend damit ausgestattet werden. Die Schlüssel‑ werke: Auf einer Fläche von deutlich unter einem Quadratmikrometechnologie für solche lebensrettenden Sensoren, die Maschinen ter werden winzige Federn gespannt, bewegen sich Balken, arbeiten
untereinander und mit ihrer Umwelt intelligent vernetzen, heißt Gewichte und greifen Zahnräder ineinander.
Derart klassische Mechanik im Mikroformat lässt sich nur er‑
Mikro-Elektro-Mechanische Systeme, kurz MEMS. „Schon seit vielen Jahren nutzt man solche Kleinstsensoren im Auto. Sie messen zeugen, indem die Strukturen geätzt werden. „Früher nutzte man
beispielsweise Beschleunigungen bei einem Aufprall und lösen dafür flüssige Chemikalien, heute setzt man immer häufiger Spezial‑
gase ein“, erklärt Andreas Weisheit, Leidann zuverlässig den Airbag aus“, erklärt
ter Marketing und Planung bei Linde ElecGreg Shuttleworth, Globaler Produkttronics. Denn die immer kleineren und
manager Spezialgase bei Linde Electrokomplexeren Mikrosysteme erfordern
nics. Jetzt rechnen Experten mit einem
einen wesentlich exakteren Produktirasanten Wachstum der Technologie, die
onsprozess. Weisheit: „Diese filigranen
nicht nur unsere Autos revolutionieren
Strukturen lassen sich mittlerweile nur
kann, sondern in vielen Industrieberei„Spezialgase haben keine
noch mit Spezialgasen realisieren“. Beichen völlig neue Möglichkeiten eröffnet:
spiel Drehsensor: Um aus einer Fläche
vom Gesundheitsdiagnoselabor auf dem
Oberflächenspannung oder
aus Siliziumoxid einen beweglichen DrehMikrochip über eine hocheffiziente LogisHaftreibung. Das ist ideal
sensor zu ätzen, benötigt man wassertik bis zum Internet der Dinge.
freies Fluorwasserstoffgas (HF). Doch
Für eine breitere Anwendung der
für die MEMS-Produktion.“
erst mehrere Ätz- und Abscheideschritte
MEMS benötigt die Industrie nicht nur
Dr. Petro Terblanche, Pelchem
bilden die feinen Mikrostrukturen vollneue Normen und Richtlinien, die Ingeni-
ELEKTRONIK
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ELEKTRONIKINDUSTRIE
28
ständig aus. „Das funktioniert ähnlich wie bei der Halbleiter‑
fertigung“, erklärt Shuttleworth. Daher produzieren bereits viele
große Halbleiterhersteller derartige MEMS-Komponenten.
Xenondifluorid ermöglicht gleichmäßiges Ätzen
„Die Qualitätsanforderungen an die Produktionsmittel – und damit
auch an die Ätzsubstanzen – sind sehr hoch und wachsen mit der
Miniaturisierung der Systeme und der Vielfalt der genutzten Werkstoffe“, erklärt Weisheit. Zusammen mit seinem Team arbeitet er
daran, Linde-Spezialgase bestmöglich an die Anforderungen der Elektronikindustrie und die Herstellung der MEMS anzupassen. „Denn anders als
flüssige Ätzmittel haben Spezialgase keine Oberflächenspannung oder Haftreibung. Solche Eigenschaften könnten die immer feineren Mikrostrukturen
schon zerstören, während sie entstehen“, erläutert
Dr. Petro Terblanche, Geschäftsführer von Pelchem
SOC Ltd. Bereits seit 2008 verbindet das südafrikanische Spezial‑
unternehmen für fluorierte Gase und Linde eine enge Partnerschaft,
unter anderem bei Fluor (F₂) und Stickstofftrifluorid (NF3). Gemein-
sam verbessern sie die Produktionsprozesse beim Kunden, denn:
„Nicht jedes Ätzgas passt auch zu jedem Material“, erklärt Weisheit. Die Spezialgase müssen nicht nur ultrarein sein. Für die exakte
Herstellung der Hightech-Produkte ist es auch wichtig, dass die
Gase hochselektiv reagieren, also nur ganz bestimmte Oberflächen
von Halbleitermaterialien angreifen.
Um die feineren Mechanikstrukturen auf den MEMS zu erzeugen, muss häufig auch Siliziumoxid abgetragen werden. Es ist daher
üblich, hochreinen Fluorwasserstoff als Ätzgas einzusetzen. „Immer
öfter müssen wir bei den MEMS aber auch reines
Silizium bearbeiten, um beispielsweise einen Drucksensor herzustellen“, erklärt Linde-Elektronik‑
experte Shuttleworth. Und dazu setzt die Industrie jetzt verstärkt auf das Spezialgas Xenondifluorid (XeF₂) – eine der wertvollsten Fluorchemikalien.
Denn das Gas erlaubt es, die komplexen Strukturen
nicht nur schnell zu produzieren; XeF₂ besitzt noch
einen weiteren Vorteil: „Es ätzt sehr gleichmäßig in alle Richtungen
und sehr selektiv – und das speziell bei Silizium“, sagt Shuttleworth.
Die übrigen Strukturen bleiben erhalten und frei von Rückständen.
FEINSTE MIKROSTRUKTUREN
HOCHSELEKTIV
PRODUZIEREN.
Mechanik im Kleinstformat: Der elektrostatische Motor (rechts, unten) wandelt
elektrische in mechanische Energie um. Hochwertige MEMS-Komponenten (links) sind
Teil vieler Technologietrends – wie dem Internet der Dinge, das nur mithilfe riesiger
Serverfarmen entstehen kann (oben, rechts).
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
ELEKTRONIKINDUSTRIE// LINDE TECHNOLOGY #1.14
29
MIKROSYSTEME HOCH IM KURS
Der globale MEMS-Markt wächst: Analysten von Yole Développement erwarten Wachstumsraten von etwa 13 Prozent. Vor allem in
Smartphones und Tablets werden die begehrten Bauteile verstärkt eingesetzt, aber auch in Fahrzeugen bieten sich interessante Anwendungsmöglichkeiten (siehe Grafik unten, rechts).
Milliarden
US-Dollar
Drucksensor für
Einspritzventil
GPS-Navigation /
Trägheitsnavigation
Drahtlose
Kommunikation
14
12
Beschleuni‑
gungssensor für
Fahrwerk
Fest installierte
Kommunikation
10
Militärische & zivile Luftfahrt
8
Abgassensor
Beschleunigungssensor für Airbag
Medizinische
Elektronik
6
Industrie
4
Daten‑
verarbeitung
2
2016
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
0
Unterhaltungselektronik
Automobilbereich
Quelle: MEMS Market Tracker, IHS Electronics & Media, Yole Développement
Aber nur wenige Unternehmen weltweit können den entscheidenden Rohstoff Xenondifluorid im Industriemaßstab herstellen oder anbieten. Deshalb arbeiten Weisheit und sein Team auch
bei diesem Spezialgas eng mit Pelchem zusammen. Das süd‑
afrikanische Unternehmen bietet XeF₂ bereits seit 1998 für die
Elektronikindustrie an und ist hier Weltmarktführer. Weisheit:
„Durch diese Zusammenarbeit ermöglichen wir der Elektronik‑
industrie, die steigende Nachfrage an MEMS-Geräten zu decken.“
Die Linde-Ingenieure verbinden ihr breites Vertriebs- und ServiceNetzwerk mit Pelchems hohen Produktionskapazitäten: „Denn
mit der weltweit größten Xenondifluorid-Produktionsanlage kann
Pelchem alle Anwendungen dieses Gases unterstützen – von
der universitären Forschung bis hin zur industriellen Serienfertigung“, sagt Terblanche. Das wird auch die Entwicklung der Mikrosysteme beschleunigen.
Mehr als 100 Hightech-Sensoren in einem Auto
Zahlreiche Einsatzmöglichkeiten der MEMS stecken zwar noch
in der Entwicklung, die häufig an verschiedensten Universitäten überall auf der Welt betrieben wird. Doch schon heute stehen
immer wieder Projekte an der Schwelle zur Serienreife. „Internetwachstum, Cloud-Computing und verbesserte Halbleitertechnologien werden die MEMS-Entwicklung weiter vorantreiben“, erklärt
Shuttleworth. Ob voll vernetzte Mobilität oder Augmented Reality (erweiterte Realität) – die mikromechanischen Sensoren und
Umwandler ermöglichen es, aus vielen Geräten gleichzeitig Daten
zu analysieren und zu nutzen – ferngesteuert und in Echtzeit. Schon
jetzt verbauen Automobilhersteller mehr als 100 Hightech-Sensoren in einem Neuwagen – Tendenz steigend. Und der MEMS Industry Report prognostiziert eine jährliche Wachstumsrate des MEMSMarktes von 13 Prozent bis 2017. MEMS-Komponenten sind ein
wesentlicher Bestandteil des neuesten „mehr als Moore“ Technologietrends. Der Chemiker Gordon Moore hatte 1965 angekündigt,
dass sich die Anzahl der Transistoren auf einem Mikrochip etwa
alle zwei Jahre verdoppeln würde. Das gilt im Wesentlichen immer
noch für die traditionelle Halbleitertechnologie. Doch die Hersteller arbeiten derzeit an der Integration zusätzlicher Funktionalitäten
(wie den MEMS), die zwar nicht im gleichen Maße Moores Gesetz
folgen, aber erweiterte Möglichkeiten bieten. Und seit Gründung
der exklusiven Vertriebspartnerschaft mit Pelchem sieht Weisheit
Linde erst recht gut aufgestellt, um die künftigen Anforderungen
der Elektronikindustrie weltweit zu erfüllen: „Die Zukunft der Mi‑
krosysteme hängt von Spezialgasen ab“, ist Weisheit überzeugt.
LINK:
www.memsindustrygroup.org
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // INTERVIEW
30
Interview
„FÜR INNOVATIONEN
AN GRENZEN GEHEN“
Wie sehen Strategien für die Industrie von morgen aus? Linde Technology sprach
hierzu mit Sven Godorr aus dem Bereich Forschung und Entwicklung bei Sasol,
einem internationalen integrierten Energie- und Chemieunternehmen aus Südafrika.
↳ WIE STELLT SICH FÜR SIE DER ENERGIEMIX DER ZUKUNFT DAR
UND WELCHE HERAUSFORDERUNGEN ENTSTEHEN DADURCH?
Langfristig kann die Gesellschaft in ihrer heutigen Form nur
überleben, wenn es uns gelingt, den Energiebedarf größtenteils
aus erneuerbaren Quellen zu decken. Kurz- und mittelfristig werden wir weiter von fossilen Brennstoffen abhängig sein. Nach
meiner Einschätzung befinden wir uns derzeit in der Mitte des
„Kohlenwasserstoff-Zeitalters“ und seiner kostengünstigen Rohstoffe. Zuerst lag der Schwerpunkt auf Kohle, dann auf Öl und
jetzt auf Gas. Mangelnde Alternativen könnten eine Rückkehr zu
Kohle notwendig machen. In den nächsten Jahrzehnten stehen
wir vor einer spannenden Aufgabe: Der Umstellung auf einen
immer vielfältigeren Energiemix, der Integration ins Energienetz
und mehr Effizienz. Dafür sind innovative stationäre und mobile
Speicherlösungen gefragt, insbesondere für elektrischen Strom.
↳ WELCHE ROLLE WERDEN KOHLE UND GAS HIERBEI SPIELEN?
Kurzfristig bleibt Kohle aufgrund großer Reserven eine kostengünstige Alternative, deren umweltverträgliche Verarbeitung
allerdings schwierig ist. Bei der Suche nach konkurrenzfähigen erneuerbaren Energien hat uns unkonventionelles Erdgas
eine wichtige Atempause verschafft. Dessen effektive Nutzung
in verschiedenen Energieanwendungen spielt eine immer größere Rolle. Ich denke für Unternehmen wie Sasol und Linde ist
es entscheidend einzuschätzen, wie viel Erdgas herkömmlich als
komprimiertes Erdgas (CNG) oder Flüssigerdgas (LNG) verwendet und wie viel in andere Kraftstoffformen umgewandelt wird.
In seiner Funktion als Energieträger dürfte Erdgas auch mit Wasserstoff konkurrieren und konventionelle Kraftstoffe wie Diesel,
Schweröl oder Benzin ersetzen.
↳ WIE GEHT SASOL MIT DIESEN AUFGABEN UM?
Wir sind in der technologisch günstigen Position, hochwertige
Flüssigkraftstoffe aus Rohstoffen wie Kohle, Gas und sogar Biomasse oder Abfall zu erzeugen. Unsere Produkte bedienen die
üblichen Verkehrsströme, aber auch spezielle Anwendungen:
Sehr sauberer Dieselkraftstoff ist beispielsweise im Bergbau
oder bei städtischen Omnibus-Flotten gefragt, wo es auf geringe
Partikelemissionen ankommt. Zudem können wir mit unserer
Technologie gut auf Veränderungen beim Rohstoffangebot und
seiner Wertentwicklung, die durch den Schiefergas-Boom in den
USA ausgelöst wurden, reagieren. So bauen wir derzeit in Louisiana eine GTL-Anlage mit einer Kapazität von rund 100.000 Barrel
pro Tag: Dort werden wir mit unserer Gas-to-Liquids-Technologie leicht verfügbares Erdgas in Diesel umwandeln. Der Flüssigkraftstoff bietet mit seinen niedrigen Schwefel- und Aromatenanteilen sowie hohen Cetan-Werten große Vorteile. Bei diesem
Projekt geht es auch um die Extraktion hochwertiger Chemierohstoffe für Spezialanwendungen.
↳ WIE SIEHT ES MIT STRATEGISCHEN KOOPERATIONEN UND
PARTNERSCHAFTEN AUS?
Viele Verfahrenstechnologien haben wir selbst entwickelt. Für
spezielle Projekte arbeiten wir aber auch mit externen Partnern
zusammen. Über unsere Schlüsseltechnologien möchten wir
jedoch möglichst immer die volle Kontrolle behalten, um Wettbewerbsvorteile nachhaltig ausbauen zu können.
Dennoch haben wir in der Vergangenheit sehr von der frühzeitigen Einbindung von Engineering-Kontraktoren profitiert. Mit
Linde haben wir beispielsweise vor einigen Jahren hinsichtlich
chemischer Extraktionsprozesse eng zusammengearbeitet.
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
DIE ORYX-GTL-ANLAGE VON SASOL
IN RAS LAFFAN IN KATAR.
↳ INWIEFERN PROFITIERT SASOL VON DER ZUSAMMENARBEIT MIT
EINEM ENGINEERING-DIENSTLEISTER?
Ein Partner, der über eine ausgeprägte Technologiekultur verfügt wie Linde, bietet einen großen Mehrwert: Exakte Daten,
leistungsfähige Modelle und solides Engineering schaffen eine
starke Basis. Gerade in der Pilotphase sind detaillierte Messungen und Prüfungen für eine effektive Anlagenskalierung und
effiziente Vermarktung unerlässlich. Während meiner Zeit bei
Linde habe ich intensiv erfahren, wie wichtig es ist, Grundlagen
in Thermodynamik, Hydraulik und Chemie mit höchster Ingenieurssorgfalt zu vereinen. Wenn wir mit Linde zusammenarbeiten, können wir uns auf exzellentes Engineering, hohe Effizienz
sowie eine ausgewogene Sichtweise auf Anlagenplanung und
-betrieb verlassen. Das erhöht die Chancen auf eine erfolgreiche Kommerzialisierung enorm.
↳
Bildquelle: Sasol
↳ FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG IST DAS HERZSTÜCK
EINES UNTERNEHMENS. WIE MANAGT SASOL SEINE F & EAKTIVITÄTEN?
Wir waren schon immer bereit, für Innovationen bis an unsere
Grenzen zu gehen und nachhaltig in Forschung, Entwicklung und
Personal zu investieren. Dies ist keine schnelllebige Industrie.
Bis eine Idee oder Erfindung erfolgreich auf dem Markt ist, vergehen viele Jahre. Für unseren F & E-Erfolg ist entscheidend, dass
das Technikteam, die Geschäftsebene und die strategische Zielsetzung bestmöglich aufeinander abgestimmt sind. In unseren
Forschungs- und Entwicklungsprojekten wenden wir den anerkannten Stage-Gate-Prozess an. Und wir achten stets darauf,
dass der Mix unseres Forschungsportfolios noch zur strategischen Ausrichtung passt.
INTERVIEW // LINDE TECHNOLOGY #1.14
31
Sven Godorr, Executive Manager
Research and Technology, Sasol
↳ WELCHES SIND IHRE WICHTIGSTEN WACHSTUMSMÄRKTE?
Der US-Markt ist zweifelsohne ein Sonderfall und eher kurzfristig
zu sehen. Die Entdeckung riesiger Gasvorkommen in Mosambik,
also vor unserer Haustür, bietet uns große Chancen. Ich denke,
ähnliche Projekte ergeben sich weltweit auch in anderen Regionen, sobald die Technologie zur Förderung konventioneller und
unkonventioneller Reserven ausgereift und global verfügbar ist.
Die Option, mit unserem GTL-Prozess wertvolle Chemikalien zu
erzeugen und mit Produkten, die aus Erdgas gewonnen werden,
zu kombinieren, wird unsere Chemiesparte sicher beflügeln.
↳ WIE WIRD SASOL DEM TREND „SAUBER UND GRÜN” GERECHT?
Für ein Unternehmen, das Kohlenwasserstoffe verarbeitet und
vor allem Brennstoffe produziert, ist das eine große Herausforderung. Das beginnt schon bei der Rohstoffwahl: Wir bevorzugen Gas statt Kohle. Thermodynamisch ist es effizienter, wasserstoffreiche Einsatzstoffe umzuwandeln als wasserstoffarme.
Wir investieren viel, um unsere Gaskreisläufe zu optimieren und
einen maximalen Wirkungsgrad zu erreichen. Das verbessert
den ökologischen Fußabdruck und auch die Wirtschaftlichkeit.
Zudem versuchen wir, unsere Produkte zu verbessern: Synthetischer Diesel zum Beispiel ist schwefel- und aromatenfrei, das
reduziert die Partikelemissionen von Motoren deutlich. Zudem
setzen wir auch Biomasse als Rohstoff ein und haben eine
Reihe neuer Wasseraufbereitungsverfahren entwickelt.
LINK:
www.sasol.com
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // STAHLINDUSTRIE
32
ENERGIEDIÄT FÜR
HEISSE WINDE
Linde und Siemens haben ein Abgasrecycling für Stahlwerke entwickelt, das den
Energieverbrauch und die Schadstoffemissionen senkt. Das Verfahren zahlt sich nicht
nur für die Umwelt aus, sondern schon nach kurzer Zeit auch für die Betreiber.
Stahlkocher brauchen Energie: Das Höllenfeuer im Hochofen brennt
mit Temperaturen über 1.400 Grad Celsius – dabei schmelzen Eisen‑
erze mit Koks und Zuschlagstoffen zu glühendem, flüssigem Roh‑
eisen. Die hierfür nötige Verbrennungsluft erzeugen zylinderförmige
so genannte Winderhitzer, die neben dem Hochofen vorgeheizt wer‑
den. Das Ofenensemble produziert allerdings nicht nur heiße Luft
und glühenden Stahl, sondern auch jede Menge CO₂. „Die Hochöfen
mit ihren Winderhitzern sind für den weitaus größten Teil der Koh‑
lendioxidemissionen von Stahlwerken verantwortlich“, sagt Andy
Cameron, Verfahrensspezialist bei Linde. Und die
sind gewaltig: Weltweit emittiert die Stahlindus‑
trie fast zwei Milliarden Tonnen Kohlendioxid
jährlich – und damit mehr als jede andere Indus‑
triebranche. Der Anteil an den globalen Emissionen
liegt bei über sechseinhalb Prozent.
Doch der CO₂-Ausstoß beim Stahlkochen
könnte schon bald erheblich sinken: Ingenieure
von Linde und Siemens haben jetzt gemeinsam ein neues Abgasrecycling für Winderhitzer entwickelt: das so genannte Flue Gas
Recycling (FGR). „Das Verfahren spart Wärmeenergie und kann –
gekoppelt mit einer Kohlendioxidabtrennung und -speicherung –
den CO₂-Ausstoß eines Stahlwerks um mindestens 30 Prozent
senken“, erläutert Cameron. Und ein energieoptimierter Produkti‑
onsprozess würde das Image des silbergrauen und extrem robusten
Werkstoffs noch einmal aufpolieren. Denn Stahl ist nicht nur die
Materialbasis für ganze Industriebereiche wie den Maschinenbau,
sondern kann auch ökologisch punkten. Unter anderem ist er gut
recycelbar und unverzichtbar für die Konstruktion von Windkraft-
werken. Zudem setzen Auto- und Flugzeug-Ingenieure den Werkstoff
in innovativen, hochfesten Leichtbau-Konstruktionen ein.
Die Linde-Experten nutzen für ihr neues Verfahren die Wärme,
die noch in den etwa 400 Grad Celsius heißen Verbrennungsabga‑
sen der Winderhitzer steckt. Bislang verpufft diese meist ungenutzt
durch die Schornsteine. „Die Energieverluste pro Zeiteinheit sind
dabei selbst in einem kleinen Hochofen so groß, dass man die elek‑
trische Leistung der größten Windturbine der Welt bräuchte, um sie
wieder auszugleichen“, erklärt Cameron. Beim FGR-Verfahren reichern
die Linde-Ingenieure rund ein Drittel der Abgase
mit reinem Sauerstoff an und führen diese wieder
in die Brennkammer der Winderhitzer zurück. Dort
verbrennen die heißen sauerstoffreichen Abgase
zusammen mit den gereinigten Hochofenabga‑
sen – auch Kuppelgase genannt –, die noch unvoll‑
ständig verbranntes Kohlenmonoxid enthalten.
Im konventionellen Betrieb führt man Luft zu den
Kuppelgasen. Allerdings enthält sie nur etwa 20 Prozent des flam‑
menfördernden Sauerstoffs. Der Hauptbestandteil Stickstoff muss mit‑
erhitzt werden, obwohl er nicht zur Verbrennung beiträgt.
Weil das sauerstoffreiche Abgas diesen Stickstoffballast nicht mit
sich führt und zudem noch Wärme mitbringt, erreichen die Winder‑
hitzer die gewünschte Temperatur wesentlich schneller. Das erhöht
die Effizienz des Hochofens. Außerdem entstehen deutlich weniger
Stickoxide, deren klimaschädliche Wirkung rund 300-mal stärker ist
als die von Kohlendioxid. Und weil das Linde-Abgasrecycling mehr
Energie in die Brennkammern zurückbringt, können die Stahlkocher
außerdem auf Zusätze wie Erd- oder Hüttengas verzichten.
MEHR SAUER‑
STOFF IM BRENN‑
GAS VERRINGERT
EMISSIONEN.
Autorin: Andrea Hoferichter
Bildquelle: Plainpicture
Hochöfen: mehr Effizienz, weniger Emissionen
↲↳
STAHLINDUSTRIE // LINDE TECHNOLOGY #1.14
33
Flüssiges Eisen unter
Kontrolle: Hochöfen
sollen künftig weniger
Energie verbrauchen
und eine bessere CO₂Bilanz aufweisen –
dank des Linde-Abgas‑
recyclings.
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // STAHLINDUSTRIE
34
Aber vor allem spart das Abgasrecycling eine große Menge Wärme‑
energie: „Ein typisches europäisches Stahlwerk produziert pro Jahr
zwischen drei und fünf Millionen Tonnen Stahl. Der jährliche ther‑
mische Energieverbrauch hierfür könnte mit dem FGR-Verfahren im
Vergleich zur Verbrennung mit Luft um bis zu 60 Terajoule sinken“,
sagt Cameron. Das entspricht etwa dem Jahresstromverbrauch von
fast 4.000 Drei-Personen-Haushalten in Mitteleuropa. Alternativ
könnte die Wärmeenergie des Abgases auch für die Stromerzeugung
per Dampfturbine genutzt werden. „Aber die Energieeffizienz wäre
erheblich niedriger“, sagt Cameron.
Und das neue Linde-Abgasrecycling hat noch eine weitere Beson‑
derheit: die Flammenform. „Gewöhnlich ist eine sauerstoffreiche
Flamme sehr heiß und intensiv. Das ist bei manchen Prozessen durch‑
aus gewünscht, zum Beispiel beim Stahlschweißen oder -schneiden,
kann aber in einigen Ofentypen wegen lokaler Überhitzungen Schä‑
den verursachen“, erklärt Cameron. Die eigentlich feuerfeste Struktur
der Winderhitzer kann einen thermischen Schock erleiden oder sogar
schmelzen. Beim FGR-Verfahren wird die Flamme deshalb durch den
Abgasstrom regelrecht verdünnt. Das macht sie so voluminös und dif‑
fus, dass sie mit bloßem Auge gar nicht zu erkennen ist. Die Verbren‑
nung wird deshalb auch als „flammenlos“ (engl. flameless) bezeich‑
net. Der Vorteil der transparenten Riesenflamme: Sie sorgt für eine
gleichmäßige Temperaturverteilung im Ofen. „Die Betreiber können
ihre Öfen dadurch kontrolliert und mit maximaler Betriebstemperatur
fahren“, sagt der Hochofen-Experte von Linde. Auch das hilft, Energie
und Rohstoffe zu sparen. Cameron: „Je heißer die Winderhitzer sind,
desto heißer wird auch die Luft für die Hochöfen und desto weni‑
ger Kohle und Koks werden dort für die Eisenproduktion verbraucht.“
Eine der größten Herausforderungen für die weltweite Stahl‑
industrie ist die Verbesserung der CO₂-Bilanz. Da die bewährten Hoch‑
öfen heute bereits sehr energieeffizient arbeiten, lassen sich weitere
Fortschritte nur erzielen, wenn das Kohlendioxid abgetrennt und in
nachgeschaltete Prozesse eingespeist oder unterirdisch gespeichert
wird. Die FGR-Technologie kann hierzu ebenfalls einen Beitrag lei‑
sten, weil sie die CO₂-Konzentration im Winderhitzer-Abgas auf etwa
50 Prozent erhöhen kann. Zum Vergleich: Bei der Verbrennung mit
13,5 %
STAHL IN ZAHLEN
Im Jahr 2013 erreichte die Weltstahlproduktion mit 1.607 Millionen
Tonnen einen neuen Höchststand. Fast die Hälfte des gefragten
Rohstoffs wird in China erzeugt (46,3 Prozent), gefolgt von Europa
mit 13,5 Prozent. Im Jahr 2001 lag die globale Stahlproduktion
noch bei bei 851 Millionen Tonnen. Die Stahlindustrie ist direkter
Arbeitgeber für mehr als zwei Millionen Menschen. Stahl ist nicht
nur für die Automobilindustrie und den Maschinenbau ein wichtiger
Rohstoff. 50 Prozent der Weltstahlproduktion werden in die
Konstruktion von Hochhäusern, Brücken und Gebäuden verbaut.
Quelle: World Steel Association
6,1 %
12,2 %
6,9 %
7,2 %
7,8 %
•
••
••
••
China
Japan
restliches Asien
Andere
Europa
GUS
NAFTA
46,3 %
Geburtsstätte der Stähle: Hoch‑
öfen sind das Herzstück der Stahlin‑
dustrie – wie beispielsweise Tata
Steel (links). Bei der Weiterverarbei‑
tung wird der flüssige Stahl ver‑
gossen (rechts) und erstarrt dann.
STAHLINDUSTRIE // LINDE TECHNOLOGY #1.14
35
Luft sind es nur 25 Prozent. „Das reduziert die Kosten bei der Kohlen‑
dioxidabtrennung signifikant“, sagt Cameron. „Das angereicherte
Rauchgas enthält etwa ein Drittel der gesamten CO₂-Emissionen des
Stahlwerks. Wird dieser Anteil abgetrennt, lassen sich die Emissionen
– bezogen auf eine Tonne Stahl – von zurzeit 1,8 Tonnen auf 1,2 Ton‑
nen CO₂ reduzieren“, erläutert Cameron. Die Prozessmetallurgie des
Hochofens bleibt davon unberührt. „Die FGR-Technologie ist einfach
und kostengünstiger zu installieren als in der Entwicklung befind‑
liche alternative Verfahrensrouten zur Roheisenerzeugung, die eben‑
falls auf eine günstigere CO₂-Bilanz abzielen“, sagt Cameron.
Die Idee für das Abgasrecycling basiert auf einer Linde-Tech‑
nologie, die sich bereits bei anderen Prozessschritten in der Stahl‑
industrie bewährt hat: Flammenlose REBOX® Oxyfuel-Brenner hei‑
zen mit sauerstoffangereicherter Luft und abgasverdünnter Flamme
unter anderem die Öfen der Walzwerke, in denen Stahlstränge vor
dem Walzen erwärmt werden. Im Werk des schwedischen Stahlpro‑
duzenten Ovako zum Beispiel sind mittlerweile etwa 60 Öfen auf die
flammenlose Sauerstofftechnologie umgestellt. Das Unternehmen
profitiert dabei vor allem von den kürzeren Heizzeiten. „Wir können
damit mindestens 20 Prozent mehr Stahl in der gleichen Zeit erhit‑
zen“, erklärt Anders Lugnet, Technologiemanager bei Ovako. Und
auch die Qualität der Stahlprodukte lässt sich mit dem Linde-Verfah‑
ren steigern: Es entstehen keine lokalen Überhitzungen und des‑
halb auch keine strukturschädigenden Spannungen im Stahl. „Wir
konnten die Technologie einfach integrieren. Die Investition hat sich
schnell gelohnt“, sagt Lugnet.
Drei Betriebsvarianten für alle Fälle
Und das gilt auch für das Abgasrecycling: Nach Berechnungen der
Linde-Experten sollten sich die Kosten für das neue Verfahren schon
nach maximal zwei Jahren amortisiert haben. Die Investitionen für
eine Anlage an einem Hochofen typischer Größe liegen bei weni‑
ger als zehn Prozent dessen, was Planer einer Konkurrenztechnolo‑
gie veranschlagen. Und obwohl aufwendige Computersimulationen,
mit denen das Abgasrecycling-Verfahren entwickelt wurde, die rei‑
bungslose Verbrennung bestätigen, haben die Linde-Ingenieure für
alle Fälle vorgesorgt. Das FGR-System ist mit drei Betriebsvarianten
ausgestattet: In der Kontrollzentrale des Stahlwerks finden sich drei
Knöpfe, einer für das Abgasrecycling, einer für den konventionellen
Betrieb mit Luft und einer für einen Mischbetrieb. Je nach Wunsch
kann der Hochofen-Betreiber dann per Knopfdruck zwischen den
verschiedenen Verfahren wechseln.
Wann der erste Winderhitzer mit einer Abgasrecycling-Anlage
bestückt wird, ist noch unklar. „Eine neue Technologie in der Stahl‑
branche zu etablieren, ist erfahrungsgemäß ein langwieriger Pro‑
zess“, sagt der Technologieexperte. Doch die Branche zeige großes
Interesse, sodass erste Anlagen schon bald zum Einsatz kommen
könnten. Cameron: „Die Gespräche mit Stahlwerksbetreibern laufen
bereits – und sind vielversprechend.“
LINK:
www.worldsteel.org
KURZINTERVIEW
„SAUERSTOFF STEIGERT
DIE EFFIZIENZ“
Linde Technology sprach mit
Professor Jan-Olov Wikstrøm vom
schwedischen Forschungsinstitut
Swerea MEFOS über die Heraus‑
forderungen der Stahlindustrie
und die Rolle von Sauerstoff.
↳ WAS SIND DERZEIT DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN
BEI DER STAHLPRODUKTION?
Das sind einerseits die hohen Kohlendioxidemissionen und
andererseits die Kosten. Es wird immer schwieriger, quali‑
tativ hochwertige Rohstoffe zu bezahlbaren Preisen zu
bekommen. So haben sich allein in den letzten 15 Jahren
die Preise für Hüttenkoks etwa verdoppelt.
↳ WIE KÖNNTEN LÖSUNGEN FÜR DIESE PROBLEME AUSSEHEN?
Um Kohlendioxidemissionen zu senken, kann zum Beispiel
CO₂ abgetrennt und gespeichert werden. Allerdings müssen
die CCS-Technologien dafür noch wirtschaftlicher und die
Akzeptanz in der Bevölkerung noch verbessert werden. Was
das Rohstoffproblem betrifft, wird es einen Trend weg von
fossilen Rohstoffen wie Kohle und Koks hin zu elektrischer
Energie geben, die im Idealfall aus regenerativen Quellen
stammt. So wird im EU-Projekt ULCOS gerade ein Verfahren
entwickelt, bei dem chemisch reduziertes Eisenerz in elek‑
trischen Lichtbogenöfen geschmolzen wird. Bisher wird in
diesen Öfen ausschließlich Schrott recycelt. Auch eine elek‑
trochemische Zersetzung des Erzes zu Eisen ist möglich.
Diese Technologie steckt aber noch in den Kinderschuhen.
↳ WELCHE ROLLE WIRD SAUERSTOFF SPIELEN?
Eine ganz wichtige. Die Verbrennung mit höheren Sauer‑
stoffkonzentrationen ist effizienter, spart Rohstoffe und
damit Treibhausgasemissionen. Und sie liefert gleichzeitig
höhere CO₂-Konzentrationen im Abgas, das dadurch wie‑
derum attraktiver für eine Kohlendioxidspeicherung wird.
Außerdem lässt sich Sauerstoff mit elektrischer Energie und
deshalb auch, zumindest theoretisch, klimaneutral herstel‑
len. Ökonomisch wünschenswert wäre, dass das Gas künftig
nicht nur mit einer Reinheit von über 99 Prozent, sondern
auch in niedrigerer Qualität und dafür preisgünstiger zu
haben wäre. Doch das ist noch Gegenstand der Forschung.
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // LNG-TRANSPORT
36
Flüssigerdgas für den Schiffsmotor aufbereiten
LNG MACHT DAMPF
Schiffe, die verflüssigtes Erdgas transportieren, sollen statt Schweröl verstärkt Erdgas für den
Antrieb nutzen können. Die französische Linde-Tochter Cryostar hat eine Kompressortechnologie
entwickelt, die diese Herausforderung meistert – und die Motoren zudem effizienter macht.
Träge schieben sich Erdgastanker über den Atlantik. Mit 300 Metern
Länge zählen sie zu den größten Schiffen, die die Weltmeere befahren. Auf die Spitze gestellt wären sie fast so hoch wie der Eiffelturm. Bis zu 260.000 Kubikmeter tiefkalt verflüssigtes Erdgas, kurz
LNG für Liquefied Natural Gas, passen in den Schiffsbauch. Genug
um eine 150.000-Einwohner-Stadt ein Jahr lang mit Erdgas zu versorgen. Der Erdgasbedarf für die Strom- und Wärmegewinnung ist weltweit gestiegen – und auf den Ozeanen sind immer mehr LNG-Frachter
unterwegs: Mehr als zehn Prozent des weltweit gehandelten Erdgases, so der BP Energy Outlook, wird bereits als LNG über den Seeweg
transportiert. Im Jahr 2030 soll der Anteil bei rund 20 Prozent liegen.
Ein Grund: In den Importnationen Japan und Südkorea steigt die Nachfrage rasant. „Hinzu kommt, dass die Vereinigten Staaten durch die
Erschließung ihrer Schiefergasvorräte LNG in naher Zukunft nach Asien
oder Europa exportieren werden“, sagt Roger Dambach, Bereichsleiter LNG Transport und Terminals bei der französischen Linde-Tochter
Cryostar. Heute transportieren etwa 400 große LNG-Carrier das Erd-
gas rund um den Globus – doppelt so viele Schiffe wie vor zehn Jahren. Angetrieben werden die Schiffsmotoren vor allem mit Schweröl.
LNG-Schiffe sollen künftig auch verstärkt Erdgas nutzen können. Dabei
geht es vor allem um das so genannte Boil-off-Gas, kurz BOG. Zwar
wird das Flüssigerdgas bei minus 160 Grad Celsius und gut isoliert im
Schiffsbauch gelagert. Dennoch erwärmt es sich während des Transports unweigerlich, und ein Teil verdampft als BOG. „Eine Möglichkeit besteht darin, Rückverflüssigungsanlagen an Bord zu installieren;
diese benötigen allerdings große Energiemengen“, erklärt Dambach.
Auch Faktoren wie der Füllstand in den Tanks zwingen die LNGBranche zu neuen Lösungen: „In der Vergangenheit führten die Erdgastanker auf der Rückreise noch beträchtliche LNG-Mengen mit,
die die Tanks kühl hielten“, sagt Dambach. „Durch die veränderten
ökonomischen Bedingungen werden die Schiffe im Ankunftshafen
jedoch häufig komplett entladen und fahren leer zurück – zumindest nahezu.“ Ein kleiner Rest kann aus technischen Gründen nicht
abgepumpt werden. Das stellt die Ingenieure vor neue Herausfor-
LNG-TRANSPORT // LINDE TECHNOLOGY #1.14
37
Erdgas auf Reisen: Membrantanker transportieren verflüssigtes
Erdgas um die Welt (links). Während der Fahrt verdampftes
LNG kann die Schiffsmotoren antreiben. Das ermöglicht der Vierstufen-Kompressor von Cryostar (rechts).
im französischen Hésingue gehörten zu den ersten, die sich diesen Anforderungen gestellt haben. „Wir standen vor der Aufgabe,
einen Kompressor zu entwickeln, der bei annähernd gleicher Größe
deutlich leistungsfähiger als das bisherige System sein musste“,
erklärt Dambach. Die Ingenieure setzten auf ihre bewährte Zentri‑
fugalkompressor-Technologie: Bei diesem vierstufigen Verfahren
wird das warme BOG mithilfe von Schaufelrädern, ähnlich einer
Flugzeugturbine, komprimiert. Das Gas wandert von einer Kammer
in die nächste und wird dabei schrittweise verdichtet.
Zentrifugalkompressoren für mehr Effizienz
↲
↳
Autor: Tim Schröder
Bildquelle: D. Smillie/Bloomberg/Getty Images, Linde AG
derungen: Der fast leere Tank erwärmt sich schneller, und es bildet sich sehr viel warmes Boil-off-Gas. „Solange genügend LNG im
Tank vorhanden ist, steigt die BOG-Temperatur kaum über minus
90 Grad Celsius“, erklärt der Linde-Experte. „Dieses vergleichsweise
kalte BOG lässt sich mit einem Zweistufen-Kompressor in zwei Schritten auf 6,5 Bar verdichten, sodass ein Dual-Fuel-Schiffsmotor es verarbeiten kann“, so Dambach. Ein solcher Viertakt-Schiffsmotor kann
sowohl mit einem Schweröl-Luft-Gemisch als auch mit BOG angetrieben werden. Seit die Schiffe fast leer nach Hause fahren, steigt
die Temperatur des BOG hingegen auf bis zu plus 40 Grad Celsius –
zu warm für den Zweistufen-Kompressor; denn gemäß thermodynamischer Gesetzmäßigkeiten muss für die Verdichtung eines warmen
Gases mehr Arbeit aufgewendet werden. Die Cryostar-Ingenieure
ERDGAS-HANDEL: LNG-ANTEIL STEIGT
2014
40 %
Gesamt
30 %
Pipeline
20 %
LNG
10 %
0%
1990
2005
2020
2035
Quelle: BP World Energy Outlook 2035
Gegenüber herkömmlichen Kolbenkompressoren hat die Zentrifugaltechnik Vorteile. Dambach: „Die Anlage läuft sehr gleichmäßig, muss
keine wechselnden Druckverhältnisse verkraften, ist kompakter und
leichter.“ Vor allem kann der Vierstufen-Zentrifugalkompressor das
bis zu 40 Grad Celsius warme Boil-off-Gas ohne Zwischenkühlung
verarbeiten. Ein weiterer Vorteil: Die Zentrifugaltechnik ist wartungs‑
ärmer. Die Entwicklung von Cryostar überzeugte auch die LNG-Transporteure: Seit der Einführung im Dezember 2010 wurde der Vierstufen-Zentrifugalkompressor bereits über hundertmal bestellt.
Und die Anforderungen beim LNG-Transport steigen weiter: Der
Treibstoffverbrauch soll reduziert werden – nicht zuletzt durch effizientere Motoren. Und das betrifft nicht nur Viertakt-, sondern auch
Zweitakt-Motoren, mit denen viele große Handelsschiffe angetrieben
werden. Gewöhnlich arbeiten Zweitakter ausschließlich mit Schweröl,
dafür verbrauchen sie weniger Kraftstoff als Viertakt-Motoren. Zwar
kamen 2011 Dual-Fuel-Zweitakter auf den Markt, die auch Boiloff-Gas verarbeiten können. Allerdings muss dabei das BOG mit
einem extrem hohen Druck von 300 Bar in den Motor eingespritzt
werden. Dafür bietet Cryostar eine elegante kryogene Pumpenlösung.
Es gibt aber derzeit auch einen weiteren Hersteller, der einen neuen
Zweitakter entwickelt, der nur einen Eingangsdruck von etwa 16 Bar
benötigt. Und man arbeitet derzeit daran, den Vierstufen-Kompressor
so anzupassen, dass er diesen Wert ebenfalls erreicht. Vor allem das
Design der Kammern spielt eine wichtige Rolle: An ihren Ausgängen
befindet sich ein Diffusor, der die kinetische Energie des ausströmenden Gases in Druck umwandelt. „Würde das Gas direkt von einer
Zentrifuge in die nächste geleitet, würde durch den unerwünschten
Drall wertvolle Energie vernichtet“, sagt Dambach. Dadurch kann ein
mehrstufiger Zentrifugalkompressor die erforderlichen 16 Bar erreichen und auch einen niedrigen Energieverbrauch gewährleisten. Mit
der Entwicklung würde der Traum vieler LNG-Reeder wahr: ein Erdgasfrachter mit Zweitaktmotor, der warmes BOG nutzen kann. Energiesparender ließe sich Erdgas kaum transportieren.
LINK:
www.lngworldnews.com
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // LEBENSMITTEL & GETRÄNKE
38
Gasetechnologie für die gesamte Wertschöpfungskette
U
NVERZICHTBAR
FÜR LEBENSMITTEL
Bevor
Lebensmittel im
Einkaufskorb landen,
haben sie einiges hinter sich:
Bananen reisen über die Meere,
Shrimps werden schockgefrostet,
Salate, Käse oder Fleisch unter
Schutzgasatmosphäre verpackt.
So vielfältig wie die Welt der
Lebensmittel, ist auch das
Linde-Spektrum der Gase‑
anwendungen, die die
gesamte Wertschöpfungskette unter‑
stützen.
LEBENSMITTEL & GETRÄNKE // LINDE TECHNOLOGY #1.14
39
UND GETRÄNKE
Wasser ist
lebenswichtig –
und Basis für alle
Getränke. Vor, während
und nach dem Abfüllen von
Wasser, Softdrinks und Fruchtsäften
spielen Gaseanwendungen von
Linde eine wichtige Rolle. Auch in
der Weinproduktion und beim
Bierausschank helfen
Lösungen von
Linde.
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // LEBENSMITTEL & GETRÄNKE
40
VOM ANBAU ZUM TELLER
BIOGON®-Gase von Linde begleiten unsere Lebensmittel
und Getränke auf Schritt und Tritt – von der Produktion über
die Verarbeitung bis in den Supermarkt.
CO2
N2
Kühlen & Frosten
Extreme Minusgrade machen Lebensmittel länger
haltbar. Entscheidend ist aber auch, wie die tiefen
Temperaturen erreicht werden.
N2
Shrimps lassen sich im
Froster CRYOLINE® CW
CRYOWAVE mit Flüssigstick‑
stoff einzeln schockge‑
frieren. Ein wellenförmiges
Förderband verhindert
ein Verklumpen des Gefrier‑
guts und erleichtert
das spätere Auftauen ein‑
zelner Shrimps.
Anbauen & Reifen
Auf die richtige Atmosphäre kommt es an. Bei der
Produktion von Obst und Gemüse, aber auch bei der
Züchtung von Fisch, helfen unterschiedlichste Gase.
GewächshausTomaten gedeihen
noch besser, wenn
die Luft eine hö‑
here KohlendioxidKonzentration
aufweist. In den
Niederlanden wird
gereinigtes CO₂
aus Raffinerien
per Pipeline in die
Gewächshäuser
geleitet.
Druckempfind‑
liche Produkte wie
marinierte Steaks oder
Fischfilets wandern auf einem
Fördersystem mit Einwegfolie in
den Froster CRYOLINE® SC Super
Contact. So können verschie‑
dene Produkte verarbei‑
tet werden.
N2
Bei der Käse‑
herstellung ist das
Ansäuern und damit das
exakte Einstellen des pH-Wer‑
tes wichtig. Das geschieht mit
Kohlendioxid. Auch die Kulturen
der verschiedenen Mikroorganismen lassen sich
CO2
so kontrollieren.
N2
Portioniertes Einfrieren von
Gemüsestückchen, Saucen
und Pürees für Fertiggerichte
gelingt mit CRYOLINE®: Mit
den maßgeschneiderten kryo‑
genen Frostern lassen sich
auch Pellets herstellen –
beispielsweise beim Schock‑
gefrieren von Spinat.
Kutter
CO2
verarbeiten
Fleischstücke zu Wurst‑
brät. Dabei muss effizient ge‑
kühlt werden. Der LIXSHOOTER®
bringt flüssiges Kältemittel
von unten ein, es verdampft
und das kalte Gas kühlt
die Masse.
CO2
Teigknetmaschinen pro‑
duzieren viel Wärme: Um
diese abzuführen, werden
Trockeneis-Pellets zum Teig
gegeben, die rückstands‑
frei zu CO₂ verdampfen.
Die Teigtemperatur lässt
sich so optimal kontrollieren.
N2
H2
Um hochwertige
Speiseöle vor dem
Ranzigwerden zu schützen,
werden die Lagertanks mit
Stickstoff inertisiert. Wasserstoff
wird bei der Fetthärtung einge‑
setzt. Die Hydrierung dient
dazu, Fette und Öle zu
verfestigen.
Verarbeiten
CO2
O2
NH3....... Ammoniak
Ar.......... Argon
N2O....... Distickstoffmonoxid
(Lachgas)
C 2 H4 ... Ethylen
CO2........ Kohlendioxid
O3.......... Ozon
O2 ......... Sauerstoff
N2.......... Stickstoff
H2 ......... Wasserstoff
O3
Für eine gesunde Fisch‑
zucht ist die Gasezu‑
sammensetzung wichtig.
Das SOLVOX®-System
bringt Sauerstoff gleich‑
mäßig ins Becken.
Ozon reduziert die Keim‑
zahl im Wasser.
Längere Haltbarkeit, Schutz vor Verderb, Erhalt
von Geschmack sowie eine effizientere Produktion –
Gase sind in der Lebensmittelindustrie unersetzlich.
C 2H4
Bana‑
nen werden
meist grün geerntet. Um
die Reifung später in Gang
zu setzen, hilft die Begasung
mit Ethylen (BANARG®). Das Gas
hilft auch bei der Tomaten‑
reife. Bei Kartoffeln dient
es als Austriebs‑
hemmer.
CO2
N2
N 2O
Mit Lachgas lässt
sich Sahne stabil und
gleichzeitig locker
aufschäumen. Der
volumenvergrößernde
Effekt wird auch bei
cremigen Nachspeisen
oder Luftschokolade
ausgenutzt.
Kräuter und Gewürze beinhalten ätherische
Öle. Diese wertvollen Inhaltsstoffe bleiben
im Mahlgut erhalten, wenn in der Mühle
kryogene Gase verwendet werden. Diese
verhindern auch das Verklumpen.
LEBENSMITTEL & GETRÄNKE // LINDE TECHNOLOGY #1.14
Salate und Gemüse
werden dank MAPAX®
mit einer Schutzgasatmosphäre verpackt.
Die Dichtigkeit der
Verpackung lässt sich
mit Wasserstoff prü‑
fen. Ein leichter Druck
auf die Verpackung
reicht, um beschädigte
Ware zu detektieren.
Ar
CO2
O2
N2
H2
FLÜSSIG UND FRISCH
In der Getränkeindustrie müssen in kurzer Zeit möglichst
viele Flaschen abgefüllt werden. Gase spielen an
verschiedensten Schlüsselstellen eine wichtige Rolle.
Qualität sichern
Viele Messmethoden in den Analytiklaboren
der Lebensmittelhersteller und Prüfinstitute sind
auf hochreine Gase angewiesen.
Fett‑
gehalt, Aroma‑
zusätze oder Farbstoffe:
Analytikverfahren – wie die
Gaschromatographie – kommen
den Inhaltstoffen auf die Spur.
Mit den HiQ®-Spezialgasen
lassen sich die Messgeräte
der Chemielabore kali‑
brieren.
Verpacken
Spezielle Schutzgasmischungen sorgen dafür,
dass verpackte Lebensmittel länger haltbar sind –
und frisch zum Verbraucher gelangen.
N2
CO2
Eine Stickstoffatmosphäre schützt
Sahne und Joghurt vor raschem
Verderben. Bei Käse ist dagegen ein
Kohlendioxid-Stickstoff-Gemisch ideal,
um Bakterien in Schach zu halten.
Damit rotes Fleisch wie Rindfleisch möglichst lange
seine frische Farbe behält, beinhaltet die Schutzgasatmosphäre eine höhere Sauerstoffkonzentration.
O2
Leicht verderb‑
N2
liche Lebensmittel
wie Fisch und Fleisch
werden vor allem tiefgekühlt
transportiert. Wichtig ist eine
lückenlose Kühlkette. An Bord
der FROSTCRUISE®-Lkw ist
deshalb eiskalte Stick‑
stoff-Technologie.
Für
einen schäd‑
lingsfreien Über‑
seetransport von
Frischwaren hilft das
Gasegemisch
VAPORMATE®.
43
Transportieren & Lagern
Damit im Supermarkt hochwertige Lebensmittel
verkauft werden können, ist unter anderem
eine geschlossene Kühlkette extrem wichtig.
CO2
Mobile Kühlcontainer helfen
Supermärkten und Caterern, ihre
Ware frisch anbieten zu können.
Und das SNOWCOOL®-System liefert
den kühlenden Trockeneisschnee.
KühlNH3
einheiten
lassen sich effizi‑
ent mit bewährten
Kältemitteln wie
Ammoniak betrei‑
ben.
Trinkwasser aufbereiten
Die Meerwasserentsalzung spielt eine
immer größere Rolle. Mit Sauerstoff
(SOLVOX®) werden störende Ionen entfernt.
Kohlendioxid (SOLVOCARB®) hilft beim
Einstellen von pH-Wert und Wasserhärte.
CO2
Karbonisieren
Ob Limonade, Mineralwasser oder Perl‑
weine – erst Kohlensäure verleiht den
Getränken ihren prickelnd-erfrischenden
Geschmack. Dazu wird CO₂ unter hohem
Druck in die Flaschen gepresst. Gleich‑
zeitig verlängert die so genannte Impräg‑
nierung mit Kohlensäure die Haltbarkeit
und wirkt oxidationshemmend.
CO2
Inertisieren
Fruchtsäfte sind reich an Vitaminen und
Aromen. Damit sie möglichst lange erhal‑
ten bleiben, hilft der Einsatz von Stick‑
stoff: Er verdrängt den Sauerstoff, der die
wertvollen Vitamine zerstört. Dank des
Inertisierens bleibt auch die Fruchtsaft‑
farbe lange erhalten.
N2
Durchperlen
Wird Stickstoff in Form winziger
Bläschen in Flüssigkeiten eingeleitet,
lässt sich unerwünschter Sauer‑
stoff effektiv entfernen.
N2
Stabilisieren
PET-Flaschen werden immer dünnwan‑
diger, um Material zu sparen. Das Problem:
Beim Transport und Lagern von schweren
Paletten halten die Flaschen dem Druck
nicht Stand. Wird ein Tropfen flüssiger
Stickstoff vor dem Verschließen hinzuge‑
geben, baut sich durch das Verdampfen
ein stabilisierender Innendruck auf.
N2
O2
N2
Abdecken
Fruchtsäfte oder Weine beinhalten
Inhaltsstoffe, die leicht oxidieren. Um
das zu verhindern, wird die feuchte
Luft im Kopfraum durch Stickstoff ersetzt.
Das System eignet sich dank präziser
Regelventile auch für große Lagertanks.
GASE BEI WEIN UND BIER
WEINPRODUKTION: Neben weiteren Prozessen ist die Kaltmazeration wichtig. Dabei wird flüssiges Kohlendioxid in die
Traubenmaische geleitet. Dort entsteht CO₂-Schnee und der gewünschte Kühleffekt. Gleichzeitig werden dadurch Farb- und Inhaltsstoffe geschützt, weil das Kohlendioxid den Sauerstoff verdrängt.
SCHANKGASE: Wenn Biere oder Softdrinks an der Getränketheke gezapft werden, kommt die beliebte Kohlensäure
mithilfe von separaten BIOGON®-Flaschengasen in die Flüssigkeit.
Je nach Anwendung enthalten die Schankgase Kohlendioxid
oder eine Mischung aus Stickstoff und Kohlendioxid.
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // LEBENSMITTELSICHERHEIT
44
Kryobehandlung von Geflügel
KÄLTESCHOCK
G
EGEN KEIME
Der globale Geflügelmarkt boomt. Doch auf drei Viertel des Hähnchenfleisches lauert
eine unsichtbare Gefahr: Bakterien der Gattung Campylobacter. Die Keime lösen schwere
Lebensmittelinfektionen aus. Jetzt haben Experten der Linde-Tochter BOC UK zusammen
mit dem Geflügelproduzenten Bernard Matthews Ltd. die Rapid Surface Chilling™-Kälte‑
technologie entwickelt, die Bakterien effektiv abtötet.
Fleisch ist heute keine Luxusware mehr. Rund um den Globus
wächst der Hunger nach tierischem Eiweiß – vor allem nach Geflügel: In den letzten zehn Jahren legte die Produktion von Hähnchenkeulen, Broilern und Chicken Wings um rund vier Prozent zu. Zum
Vergleich: Die Herstellung von Schweinefleisch, die weltweit meistproduzierte Fleischsorte, wuchs im gleichen Zeitraum nur um rund
zwei Prozent. 93 Millionen Tonnen Hühnchenfleisch werden heute
jährlich erzeugt. Der Grund für die steigende Nachfrage: Das Fleisch
ist nicht nur magerer und kalorienärmer als das von Schwein und
Rind, sondern es lässt sich vor allem sehr günstig produzieren.
Damit ist es praktisch für fast jeden erschwinglich.
Doch frisches Geflügelfleisch hat auch eine
Kehrseite: Beim Schlachten der Tiere werden die im
Tierdarm lebenden Campylobacter-Bakterien häufig verschleppt und können auf die Hautoberfläche
gelangen. Wenn das Hühnchen dann nicht ausreichend durchgegart wird oder mit Keimen belas‑
teter Fleischsaft in Kontakt mit anderen Nahrungsmitteln oder Küchenoberflächen kommt, droht eine
Lebensmittelinfektion, die so genannte Campylobacteriose.
Salmonellen sind zwar die bekanntesten Lebensmittelkeime.
„Doch viel häufiger geht die Gefahr von einer Bakteriengattung
namens Campylobacter aus“, erklärt Cedric Hanson, Projektleiter Geschäftsentwicklung Anwendungstechnik bei der britischen
Linde-Tochter BOC UK. Die Europäische Behörde für Lebensmittel‑
sicherheit (EFSA) schätzt, dass allein in der Europäischen Union
jedes Jahr neun Millionen Fälle von Campylobacteriose auftreten.
Damit zählt die Lebensmittelinfektion zu den häufigsten in der
EU und kostet die Gesundheitssysteme und die Wirtschaft etwa
2,4 Milliarden Euro.
Die Symptome der Campylobacteriose sind Magenkrämpfe, anhaltende Durchfälle und hohes Fieber. In einigen Fällen führt die Infektion aber auch zu langfristigen Gesundheitsproblemen wie dem Reizdarmsyndrom, Arthritis oder dem Guillain-Barré-Syndrom, das das
Nervensystem angreift. Manchmal verläuft die Erkrankung sogar tödlich. Allein in Großbritannien sterben jedes Jahr rund 100 Menschen
durch Campylobacteriose.
In einer europaweiten Untersuchung von frisch geschlachteten
Hühnern im Jahr 2008 konnten Forscher auf drei von vier Hühnchen
Campylobacter nachweisen. 27 Prozent davon waren sogar mit einer
gefährlich hohen Keimzahl – mit mehr als 1.000
koloniebildenden Einheiten pro Gramm – belastet.
Laut der EFSA ist Geflügelfleisch damit die Hauptquelle für eine Campylobacteriose beim Menschen.
Die Zahlen alarmierten nicht nur die EFSA, sondern
auch die nationalen Lebensmittelbehörden. Deshalb brachte etwa die britische Food Standards
Agency (FSA) im Jahr 2009 einen Maßnahmenplan
auf den Weg und gründete eine CampylobacterArbeitsgruppe. Das Ziel: Bis zum Jahr 2015 soll der Anteil der frisch
geschlachteten Geflügel, die am höchsten mit Campylobacter kontaminiert sind, von 27 auf zehn Prozent gesenkt werden. Die scheinbar
einfache Forderung lässt sich aber nur schwer realisieren, weil die
Bakterien komplexe Organismen sind.
Gemeinsam mit Bernard Matthews Ltd., dem größten Produzenten von Truthahnfleisch im Vereinigten Königreich, hat Linde jetzt
ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sich Campylobacter auf
Geflügelfleisch signifikant reduzieren lässt. Die Rapid Surface Chilling™ genannte Kältetechnologie beruht auf der kryogenen Wirkung
von Flüssigstickstoff bei minus 196 Grad Celsius. In einem Kühltunnel
95 PROZENT
DER CAMPYLOBACTER-KEIME
MIT STICKSTOFFKÄLTE ABTÖTEN.
LEBENSMITTELSICHERHEIT // LINDE TECHNOLOGY #1.14
45
FEINDE IM ESSEN
Die Top 3 der Lebensmittelkeime sind Campylo‑
bacter, Salmonellen und Escherichia coli. Campylo‑
bacter lauert vor allem in rohem Geflügelfleisch;
Salmonellen finden sich meist auf Eierschalen
sowie in rohem Schweine- und Geflügelfleisch.
Escherichia coli sind zwar harmlos und siedeln auch
im menschlichen Darm. Gefährlich sind Entero‑
hämorrhagische Escherichia coli, kurz EHEC: Übertragen werden sie meist durch rohes Fleisch oder
Rohmilchprodukte. Die EHEC-Epidemie in Europa
2011 wurde jedoch durch kontaminierte Bockshornkleesamen ausgelöst.
Bildquelle: H. Soerensen / Getty Images, All Medical
Autorin: Corinna Huber
Unsichtbare Gefahr:
Mit bloßem Auge
ist nicht erkennbar,
ob das verpackte
Hühnchen gefähr‑
liche Keime enthält
(rechts). Erst in Labor‑
tests offenbaren
Bakterienkulturen,
ob das Produkt
belastet ist (links).
↲
↲
wird ein eiskalter Dampf erzeugt, um die Oberfläche des Geflügels
extrem schnell abzukühlen und so die Bakterien abzutöten. Und dieser Kälteschock hat es in sich: Im aktuellen Testbetrieb der Pilotanlage wurden bei insgesamt 6.000 geschlachteten Tieren bis zu
95 Prozent der Campylobacter-Keime abgetötet. Die Rapid Surface
Chilling™-Technologie konnte sich bereits in einer Studie bewähren:
Eine von der FSA beauftragte Untersuchung am Campden BRI, dem
größten unabhängigen Forschungsinstitut für die Lebensmittel- und
Getränkeindustrie im Vereinigten Königreich, bestätigte die überzeugenden Ergebnisse. „Diese Technologie ist ein Meilenstein auf dem
Weg, eine der derzeit ernstesten Gesundheitsgefahren in Europa in
den Griff zu bekommen“, ist sich Jeremy Hall, Technischer Direktor
bei Bernard Matthews Ltd, sicher.
Keime reduzieren – Fleischqualität erhalten
Ein weiterer Vorteil der Technologie: Die Kältebehandlung mit flüssigem Stickstoff wirkt sich nicht auf die Fleischqualität aus: „Textur,
Geschmack und Nährstoffgehalt werden nicht beeinträchtigt, weil
nur die Oberfläche des Geflügelfleisches stark abgekühlt wird – und
auch nur für wenige Sekunden“, erklärt Hanson. Diese Ergebnisse
erregten auch die Aufmerksamkeit der Lebensmittelbehörden. Denn
in den letzten Jahren wurden zahlreiche Methoden getestet, um die
Campylobacter-Keime zu reduzieren. „Doch die Verfahren entsprachen entweder nicht den EU-Richtlinien oder waren nicht effektiv
genug“, erklärt der Linde-Experte.
Darüber hinaus ist das Verfahren besonders wirtschaftlich: Etwa
180 bis 250 geschlachtete Vögel pro Minute können mit dem Kryodampf behandelt werden, das sind rund 11.000 bis 15.000 Tiere pro
Stunde. Linde hat die Technologie bereits zum Patent angemeldet,
und die nächsten Schritte zur Weiterentwicklung der kryogenen Ausstattung laufen bereits auf Hochtouren: Anfang 2014 starteten die
Planungen für das Design und den Bau einer kommerziellen Anlage
– und für den Sommer sind bereits die ersten Testläufe avisiert.
„Wenn alles reibungslos klappt, könnte unser Kältesystem schon
in der zweiten Jahreshälfte europaweit auf den Markt kommen“,
sagt Hanson. „Das wäre ein wichtiger Meilenstein, um das Ziel der
FSA, Campylobacter bis 2015 wirksam zu reduzieren, erreichen zu
können“, so Hanson abschließend.
LINK:
www.food.gov.uk
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ERDGASAUFBEREITUNG
46
Nasses Schiefergas verarbeiten: Bei der Förderung von Schieferöl wird ebenfalls nasses
Schiefergas gewonnen. Dieses lässt sich mithilfe
der CRYO-PLUS™-Technologie von Linde – wie
hier in North Dakota, USA – effizient aufbereiten.
ERDGASAUFBEREITUNG // LINDE TECHNOLOGY #1.14
47
Bildquelle: Linde AG
Autor: Sebastian Kirschner
Rohstoffe für die Petrochemie effizient gewinnen
↲↳
SCHATZ IM
SCHIEFERGESTEIN
Die Petrochemie in Amerika ist stark im Aufwind. Der Grund: Das Land erlebt einen ErdgasBoom. Neue Bohr- und Explorationstechniken ermöglichen, den Rohstoff aus Schiefergestein
kosteneffektiver zu fördern. Mit der CRYO-PLUS™-Technologie von Linde lässt sich auch
das so genannte „nasse Schiefergas“ effizient aufbereiten. So können wertvolle Flüssiggas‑
bestandteile für die nachgelagerte Industrie gewonnen werden.
Das Gas liegt tief unter der Erdoberfläche – an vielen Stellen des amerikanischen Kontinents. Aber besonders die Industrie der Vereinigten
Staaten will mit dem unkonventionellen Erdgas – auch Schiefer‑
gas genannt – unabhängig von Energieimporten werden. Dabei
steckt noch viel mehr im Schiefergas als nur Energie. Denn das Gas
dient nicht nur als Brennstoff für Kraftwerke oder Heizungen; die
Bestandteile aus dem Schiefergas wie beispielsweise Ethan eignen
sich auch bestens als Einsatzstoff für die petrochemische Industrie:
„So lassen sich aus Erdgas leicht Grundchemikalien wie zum Beispiel Ethylen herstellen. Viele chemische Folgeprodukte – darunter auch Kunststoffe, die etwa
in Verpackungen, Kabelisolierungen, Autositzen oder Spielzeug Verwendung finden, – basieren auf dieser Kohlenwasserstoff-Verbindung“,
erklärt Thomas Rings, Partner der Beratungsfirma A.T. Kearney und Experte für Energie- und
Versorgungswirtschaft. Nach Analysen des Branchenverbands American Chemistry Council (ACC) wird der Schiefergas-Boom allein in der US-Petrochemie für Investitionen von fast
70 Milliarden Dollar bis 2020 sorgen. Dabei steht die Ausbeutung der
für die Ethylenproduzenten wirklich interessanten Gasfelder gerade
erst am Anfang. Ethylen aus Schiefergas besitzt das Potenzial, eine
neue industrielle Revolution in den USA auszulösen.
Doch der Weg dahin ist nicht einfach: „Die üblicherweise bislang
genutzten Verfahren, um die flüssigen Bestandteile im Schiefergas aufzubereiten, arbeiten einfach noch nicht effizient genug“, erklärt Ron
Key, Vizepräsident Technologie und Vertrieb bei Linde Process Plants in
den USA. Die Gewinnung dieser wertvollen Rohstoffe erfordert be‑
sonderes Know-how, denn die Beschaffenheit der unkonventionellen
Erdgasvorkommen kann sehr verschieden sein. Experten unterscheiden
hier zwischen trockenem und nassem Schiefergas. Das bisher vorrangig geförderte trockene Schiefergas ist eine sehr gute Energiequelle:
Es enthält fast reines Methan und nur geringe Anteile an längerkettigen Kohlenwasserstoffen. Viel interessanter sind für die Industrie
allerdings die nassen Schiefergasreservoire, denn diese enthalten die
wirklich wertvollen Rohstoffe. Und deren Zusammensetzung variiert
sehr stark: „Das nasse Schiefergas enthält weniger Methan, dafür aber
höhere Konzentrationen an Ethan (C₂) und längerkettigen Kohlenwasserstoffen wie Propan (C₃) und
Butan (C₄) sowie Bestandteile mit höherem Molekulargewicht. Diese Gasbestandteile werden auch
„Natural Gas Liquids“ (NGL) oder „Flüssiggas“
genannt. Sie sind der ideale Einsatzstoff für die GasCracker, in denen dann Olefine wie Ethylen erzeugt
werden“, sagt Key. Und darin liegt großes Potenzial:
Nach Schätzungen des Branchendienstleisters IHS Chemical wird der
weltweite Ethylenbedarf bis 2017 auf rund 160 Millionen Tonnen pro Jahr
anwachsen. Doch die unkonventionellen Gasreserven stellen die Chemie‑
ingenieure vor besondere Herausforderungen, denn: „Das nasse Schiefergas kann mit Spuren von Quecksilber und manchmal Schwefelwasserstoff verunreinigt sein“, erklärt Key. Diese Komponenten müssen zunächst möglichst vollständig entfernt werden, bevor das im
Schiefergas enthaltene Ethan und Propan einer Olefinanlage zugeführt werden kann. Dazu haben die Ingenieure von Linde Process
Plants jetzt ihre bewährte CRYO-PLUS™-Technologie weiterentwickelt, um hochwertige Flüssiggase zu gewinnen. So modifiziert,
DIE FLÜSSIGGASBESTANDTEILE ENTHALTEN BIS ZU
45 PROZENT ETHAN.
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ERDGASAUFBEREITUNG
48
können nun auch Anlagen, die bisher nur herkömmliches Rohgas
durch Verdichtung und kryogene Kühlung in seine Bestandteile aufgetrennt haben, nasses Schiefergas einfach verarbeiten. „Unser Ziel
war es, CRYO-PLUS™ an die neuen Marktanforderungen anzupassen: den Betrieb der Anlagen flexibler zu gestalten und mehr flüssige Kohlenwasserstoffe zu gewinnen“, erklärt Key.
Technisch erforderte das einige Änderungen: Aufgrund der
höheren Konzentration an schwereren Kohlenwasserstoffen im nassen Schiefergas war es nötig, die Gasvorbehandlung zu modifizieren.
„Dadurch konnten wir die Koksbildung während der Regenerierung
der Trockner reduzieren“, erklärt Key. Zudem wurden die hydraulischen Verhältnisse der Anlage überprüft und optimiert, um Teillastbetriebsfälle besser zu unterstützen. Alternative Verfahren, wie zum
Beispiel der „Gas Subcooled Process“ (GSP), der in den USA praktisch als Industriestandard gilt, können zwar sehr gut Ethan und Propan gemeinsam abtrennen. „Der GSP-Prozess ist jedoch nachteilig,
wenn aus dem Schiefergas vor allem Propan, aber nur wenig oder
kein Ethan abgetrennt werden soll“, sagt Key.
Bei der Weiterentwicklung ihres Verfahrens konnten die LindeIngenieure auf umfangreiche Erfahrung zurückgreifen: In über 20
Raffinerien und Petrochemie-Anlagen wird CRYO-PLUS™ bereits
erfolgreich eingesetzt, um Ethan, Propan sowie Kohlenwasserstoffe
mit höherem Molekulargewicht aus Raffinerie- und petrochemischen
Abgasströmen zu extrahieren. Und der Bedarf an dieser Technolo-
US-PRODUKTION DER FLÜSSIGGASBESTANDTEILE
Millionen Barrel pro Tag
3
2
Ethan
Propan/
Propen
n-Butan
Isobutan
In den Vereinigten Staaten
werden aufgrund des Schiefergas-Booms vermehrt Flüssiggasbestandteile produziert – so
genannte Natural Gas Liquids,
kurz NGL: Vor allem die leichten
Kohlenwasserstoffe, Ethan
und Propan bzw. Propen, sind
für das gewachsene NGLAngebot seit 2005 verantwortlich. Flüssiggasbestandteile
umfassen eine breite Palette
von Komponenten, die während der Erdgasverarbeitung
und Erdölraffination gewonnen
werden. Die NGLs fließen in
unterschiedlichste Industrie‑
bereiche – beispielsweise
in die Kunststoff- oder Kraftstoff-Produktion.
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
0
2005
1
gie steigt weltweit, gerade im Hinblick auf den Klimaschutz: Im Irak
werden beispielsweise fast 60 Prozent der Begleitgase aus der Ölförderung heute noch abgefackelt – viele davon sind reich an Ethan.
Allein in der Region um die Stadt Basra wird so viel Ethan verbrannt,
dass man damit bis zu zwei Megatonnen Ethylen pro Jahr produzieren könnte. „Dabei ließe sich das Ethan mithilfe von CRYO-PLUS™
sinnvoll nutzen“, sagt Key. „Unsere Anlagen haben bereits bewiesen, dass sie Schiefergas mit unterschiedlicher Zusammensetzung
verarbeiten können.“
Der Erdgas-Boom in den USA verleiht der petrochemischen Industrie des Landes einen neuen Aufschwung – viele nordamerikanische
Raffinerien gewinnen so viel Rohstoff aus der Schiefergasförderung,
dass erstmals seit der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre US-Mineralölkonzerne sogar wieder Rohöl ausführen möchten. Die besten Erfolgsaussichten haben dabei integrierte Standorte mit Erdölraffinerien
und petrochemischen Anlagen. Sie profitieren am meisten von Produktionssynergien sowie gemeinsamen, besonders wirtschaftlichen
Betriebsmittelsystemen. „Zudem können integrierte Anlagenkomplexe
Nachfragerisiken bei der Produktion von Treibstoffen und petrochemischen Erzeugnissen flexibler begegnen“, erklärt Key. Das zeigt auch
der Naphtha-Cracker von BASF-TOTAL Petrochemicals in Port Arthur,
Texas: Linde-Ingenieure rüsten die Anlage gegenwärtig weiter um,
damit diese künftig noch mehr Ethan als Einsatzstoff verarbeiten kann.
Seit April 2013 produziert der Cracker bereits 40 Prozent seines Ethy-
P
entane/
C5-Plus
Quelle: U.S. Energy Information
Administration
ERDGASAUFBEREITUNG // LINDE TECHNOLOGY #1.14
49
lens aus Ethan und weitere 40 Prozent aus Butan und Propan. BASFTOTAL Petrochemicals installiert derzeit, unterstützt von Linde, einen
zusätzlichen Ethan-Spaltofen. Er wird im Laufe des Jahres 2014 in
Betrieb gehen und die Cracker-Kapazität dann um 15 Prozent steigern.
Nach Aussage von Patrick Pouyanné, Präsident von TOTAL Refining and
Chemicals, prüft man darüber hinaus den Bau eines weiteren neuen
Ethan-Spaltofens für den bestehenden Cracker in Port Arthur. Das
Aufrüsten der Cracker-Anlagen in den USA hat also bereits begonnen.
Und auch langfristig wird Schiefergas eine amerikanische Trumpfkarte bleiben. Die USA wandelten sich im Zuge der Schiefergasförderung innerhalb weniger Jahre von einem der teuersten Chemiestandorte zu einem der weltweit günstigsten. Die US-Energiebehörde EIA
geht in ihrem Ausblick 2014 davon aus, dass die Schiefergasproduktion bis 2040 weiter steigen wird. „Außerdem ist die vorhandene
Infrastruktur zur Förderung in den USA einzigartig“, ergänzt Rings.
Deshalb werden auch die großen Schiefergasreserven in China oder
Südamerika auf absehbare Zeit nicht die gleiche Entwicklung ermöglichen wie in den USA. Aber der Erdgas-Markt bleibt sicher in Bewegung – und das auch dank innovativer Linde-Technologie.
LINK:
w
ww.eia.gov/naturalgas/
KURZINTERVIEW
„MASSIVE VERSCHIEBUNGEN
IN DER CHEMIEBRANCHE“
Linde Technology sprach mit Thomas
Rings, Partner der Beratungsfirma
A.T. Kearney und Experte für Energie- und Versorgungswirtschaft, über
die Bedeutung des amerikanischen
Schiefergas-Booms für die Industrie.
↳ WARUM IST SCHIEFERGAS NICHT NUR ALS ENERGIE‑
LIEFERANT INTERESSANT?
Als petrochemischer Basisstoff war Schiefergas zunächst
nicht relevant. Erst die zunehmende Förderung von öl‑
haltigen Schiefergasvorkommen („Wet Shales“) hat die
Situation grundlegend verändert. Denn diese enthalten
einen hohen Anteil an Natural Gas Liquids (NGLs). Ein Barrel NGL enthält allein 40 bis 45 Prozent Ethan. Statt dieses
„Nebenprodukt“ – wie früher häufig geschehen – einfach abzufackeln, kann man es zusammen mit anderen
NGL-Komponenten wie etwa Propan als kostengünstigen
chemischen Rohstoff nutzen.
↳ IST MIT ÄHNLICHEN ENTWICKLUNGEN DURCH SCHIEFERGAS AUCH AUSSERHALB DER USA ZU RECHNEN?
Die USA profitieren von einer einmaligen Situation – nur
dort lässt sich derzeit die gesamte Prozesskette abbilden: Mit über 100 Jahren sehr intensiver Exploration weiß
kein Land so gut über seine Erdgas- und Erdölvorkommen Bescheid wie sie. Das Pipelinenetz ist zudem sehr
gut ausgebaut, stillgelegte Cracker konnte man einfach
wieder hochfahren und auch bei den betriebenen Crackern
ließ sich die Rohstoffbasis flexibel umstellen. Anderen
Ländern wie zum Beispiel China fehlt meist nicht nur das
nötige Pipelinenetz. Auch mangelt es oft an Know-how in
den erforderlichen Technologien wie „horizontal drilling“
und „fracking“.
↳ WIE WIRD DAS US-SCHIEFERGAS DIE PETROCHEMIE
IN ZUKUNFT BEEINFLUSSEN?
Das Schiefergas wird massive Verschiebungen in allen Bereichen der Chemiebranche bewirken. Mittel- bis langfristig
werden günstige Rohstoffexporte der USA die Petrochemie‑
anlagen und Cracker in Regionen wie Europa, Japan und
Korea stark unter Druck setzen.
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // METALLVERARBEITUNG
50
Schweißtechnologie: mehr Sicherheit und Komfort
GASE UNTER
KONTROLLE
Stahl ist das Rückgrat des Bausektors. Um die metallenen Konstruktionen für Brücken, Hoch‑
häuser oder Sportstadien zu verbinden, ist moderne Schweißtechnologie gefragt. Dabei
spielt die exakte Dosierung der Schweißgase eine entscheidende Rolle. Linde-Experten haben
jetzt einen neuen Gasdruckregler entwickelt, der die Branche aufhorchen lässt.
Rund um den Globus wachsen die Megastädte – nicht nur in die
Breite, sondern auch in die Höhe: In Tokio, New York und Hong‑
kong dominieren atemberaubende Wolkenkratzer. Hunderte Bau‑
kräne heben Stahlträger in luftige Höhen. Kilometerlange Schweiß‑
nähte halten sie zusammen und sorgen für ein stabiles, dauerhaftes
Stahlskelett. Dabei müssen die Verbindungen hohen Zug-, Druck- und
manchmal auch Fliehkräften standhalten. Das erfordert hohe Qualität
beim Bau – und fehlerfreie Schweißprozesse. Die Stahlbauer müssen
nicht nur schwindelfrei sein. Um eine dauerhafte Schweißverbindung
zu schaffen, gehört neben Erfahrung auch hochwertige Technik dazu.
Schweißnähte für die Skyline: Stahl‑
skelette bilden das tragende Gerüst
vieler Bauwerke (oben). Damit Schweiß‑
experten (rechts) die benötigten Gase
noch präziser und sicherer dosieren
können, haben Linde-Experten einen
neuartigen Gasregulator entwickelt.
Denn Abweichungen zum Beispiel beim Gasgemisch können gravie‑
rende Folgen für die Festigkeit einer Schweißnaht haben. Wichtig ist
es beim Autogenschweißen oder Schneidbrennen mit einem Acety‑
len-Sauerstoff-Gasgemisch: Der Brenner muss besonders zu Beginn
gewährleisten, dass aus der Düse das gewünschte Mischungsverhält‑
nis herausströmt – und der Gasfluss und -druck konstant bleiben. Der
Druck muss immer aufrechterhalten werden, um Sicherheitsrisiken
wie Flammenrückschläge zu vermeiden, die die Ausrüstung beschä‑
digen oder Explosionen verursachen können. Um die Gase möglichst
exakt zu dosieren, nutzt man Gasdruckregler, auch Druckminderer
METALLVERARBEITUNG // LINDE TECHNOLOGY #1.14
51
INTELLIGENTE GASFLASCHE
Kohlefaserverstärkung, elektronisches Display und ergono‑
misches Design – Gasbehälter müssen heute keine unhand‑
lichen, schwer bedienbaren Kolosse sein. Mit GENIE® hat
Linde eine leichte und stabile Verbundmaterialflasche für
Schweißschutzgase entwickelt, die nützliche Zusatzfunktionen
bietet: Das elektronische Display informiert über Gasart,
Durchfluss- und Restfüllmenge sowie die restliche Betriebs‑
dauer. Ein akustisches Signal weist auf einen niedrigen
Füllstand hin. GENIE® eignet sich für alle komprimierten Gase
– von Argon und Stickstoff bis zu Wasserstoff und Sauerstoff.
Autorin: Caroline Zörlein
Bildquellen: A. Pietrese / Gallerystock, M. Celiker / Gettyimages
Sicher, stabil, einfach handbar: Der neu‑
artige Hybrid-Gasregulator SMOOTHFLO™
erfüllt die gestiegenen technischen Anfor‑
derungen der Schweißbranche.
↲↲
genannt. „Sauerstoffflaschen stehen unter einem enormen Druck
von bis zu 300 Bar, während Acetylen üblicherweise bei 25 Bar
gespeichert wird“, erklärt Michael Goss, Globaler Produktmanager
für Schweißtechnik bei der Linde Gases Division. „Für den Schweiß‑
prozess muss der Sauerstoff jedoch auf einen Druck von fünf bis zehn
Bar und Acetylen sogar auf ein Bar oder weniger gedrosselt werden.
Diese Aufgabe übernehmen die Gasdruckregler.“
Solche Druckminderer sind eigentlich nichts Neues – bereits vor
mehr als hundert Jahren haben Ingenieure sie entwickelt. „An ihrer
Funktionsweise hat sich nur wenig verändert. Und das, obwohl die
Standards in der Bauindustrie extrem gestiegen sind“, sagt Goss. Es
wurde also höchste Zeit, einen neuen Gasdruckregler zu entwickeln,
der die gewachsenen Anforderungen der Kunden noch besser erfüllt.
„Wir hatten also den Anspruch, technisch innovativ zu sein und etwas
wirklich Neues zu entwickeln“, erklärt der Linde-Experte. Das ist dem
interdisziplinären Team um Goss, in Zusammenarbeit mit Lindes süd‑
afrikanischer Konzerntochter Afrox, gelungen. Das Ergebnis der zwei‑
jährigen Entwicklungszeit: Der Hybrid-Gasregulator SMOOTHFLO™. Im
Juli 2013 wurde der Druckminderer in den Markt eingeführt – und
zählt mittlerweile zu den sichersten und stabilsten, aber auch kom‑
paktesten seiner Art. „Hinsichtlich der Schutzfunktionen ist dieser
Gasregler einzigartig“, sagt Ruben Naidoo aus Südafrika, Gruppenlei‑
ter beim US-amerikanischen Bergbau-Unternehmen Joy Global.
Grund dafür ist der spezielle Ventilschaft von SMOOTHFLO™: Dort
haben die Linde-Entwickler eine Sollbruchstelle integriert. Diese
unterbricht im Falle eines Sturzes den Gasaustritt und verhindert,
dass sich die unter Druck stehende Gasflasche in ein Geschoss ver‑
wandelt und zum Risiko für Menschen und Maschinen wird. Der Gas‑
regler hat noch eine zweite wichtige Feuerprobe bestanden: den so
genannten Promoted Ignition Test (AS4267). Dabei wird die Flam‑
men- und Hitzebeständigkeit untersucht, indem man eine Explosion
im Innern mithilfe von Stahlwolle, Flintstein und hohem Sauerstoff‑
druck erzeugt. Der Test gilt als bestanden, wenn der Gasregler unver‑
sehrt bleibt und keine Teile herauskatapultiert werden. „Gerade für
Anwendungen im Bergbau oder im Bausektor ist dieses Sicherheits‑
merkmal von großer Bedeutung“, erklärt Goss. Zudem umschließt ein
robuster Polymer-Mantel den neuen Gasregler und verhindert, dass
die sensiblen Ventile und der Druckmesser Schaden nehmen. Um das
Bauteil für den täglichen Gebrauch widerstandsfähiger zu machen,
hat das Afrox-Team weitere Verbesserungen vorgenommen: „Bei‑
spielsweise kann SMOOTHFLO™ besser mit Überdruck umgehen“, sagt
Roberto Dionisio, Leiter Forschung und Entwicklung bei Afrox in Süd‑
afrika. Für herkömmliche Gasregler, die meist mit Membranen arbei‑
ten, ist zu hoher Druck ein großes Problem und der häufigste Grund,
dass die Bauteile kaputtgehen und ausgetauscht werden müssen.
Gerade die Manometer reagieren sehr empfindlich auf Überdruck in
der Gasflasche. Deshalb haben die Ingenieure auf Membranen ver‑
zichtet und setzen stattdessen auf eine spezielle Kolbentechnologie,
die diesen Anforderungen gewachsen ist.
Der neuartige Linde-Druckminderer bringt auch mehr Effizienz in
die tägliche Arbeit der Stahlschweißer. Bei herkömmlichen Geräten
sind bis zu elf Handgriffe nötig, um von null Bar bis zum Arbeitsdruck
zu gelangen. SMOOTHFLO™ kommt mit nur drei Handgriffen aus. „Für
mich ist es ein großer Vorteil, dass sich der Gasdruck sehr rasch neu
einstellen lässt. Das spart viel Zeit für nachfolgende Arbeitsschritte“,
sagt Jonas Ralenono von Genrec Engineering in Südafrika.
Gleichmäßiger Gasdruck und präziser Gasstrom
Ein weiterer Wunsch, den die Schweißbranche an Linde herangetragen
hat: Der Gasdruck sollte ohne ständiges Nachregeln möglichst über
den ganzen Tag konstant bleiben – auch wenn der Zylinder leerer
wird und der Druck sinkt. Bei SMOOTHFLO™ dagegen erhöht sich der
Ausgangsdruck, sobald dies geschieht: Um diese Herausforderung
zu meistern, hat Afrox SMOOTHFLO™ als Einstufenregler (mit einer
Druckkammer) entworfen – kombiniert mit den Vorteilen eines Mehr‑
stufenreglers, der typischerweise mit zwei Druckkammern arbeitet.
Ein weiterer Pluspunkt: der gleichmäßige Gasdruck und die Präzision
des Gasstroms. Naidoo: „Das Schneidbrennen funktioniert schnel‑
ler, sodass wir unsere Produktionszeiten einhalten können. Und die
Schnitte sind auch viel sauberer.“ Das Linde-Team hat aber nicht
nur die technischen Herausforderungen bei der Entwicklung von
SMOOTHFLO™ gemeistert. „Unterschiedliche Zeitzonen und abweichen‑
de Kundenanforderungen erschweren die Entwicklung von Geräten
für den Weltmarkt. Ohne ein großes, gut eingespieltes globales Team
wäre das nicht machbar gewesen“, sagt Dionisio. Bislang lässt sich
SMOOTHFLO™ für Sauerstoff und Acetylen anwenden und für 230-BarGasflaschen. Aber es gibt Entwicklungspläne für eine neue Version,
die sich für weitere Gase wie Argon, Stickstoff oder Flüssiggas (LPG)
eignet. Damit vervielfältigt sich auch das Einsatzgebiet der Gasregler.
LINK:
www.linde-gas.com
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // WASSERSTOFFTRANSPORT
52
Effizientere H₂-Infrastruktur
HOCHDRUCK IM TRAILER
Ein leistungsstarkes Tankstellennetz ist ein wichtiges Kriterium für die flächendeckende Wasserstoffmobilität – genauso wie eine energieoptimierte Lieferkette. Linde-Ingenieure haben eine neue
Speichertechnologie entwickelt, die den sauberen Treibstoff noch effizienter zur Tankstelle bringt.
Die Wasserstoffmobilität nimmt weiter Fahrt auf: Die Grundlagen
und Strategien für die H₂-Zukunft sind weitgehend geschaffen. Jetzt
arbeiten Ingenieure weltweit daran, den Infrastrukturaufbau voranzubringen. Dabei betrachten sie auch den Weg vom Erzeuger zum
Verbraucher: „Es geht darum, den Wasserstoff möglichst energie‑
effizient an die Tankstelle zu liefern“, erklärt Dr. Andreas Opfermann,
Leiter Clean Energy und Innovationsmanagement bei Linde. Die
Linde-Experten transportieren den umweltfreundlichen Energieträger entweder tiefkalt verflüssigt (LH₂) oder als komprimiertes Wasserstoffgas (CGH₂) per Lkw an die Zapfsäulen.
„Bislang mussten wir uns entscheiden, ob wir nur vergleichsweise wenig Gas transportieren, oder ob wir den Wasserstoff vorher
verflüssigen, wofür zusätzliche Energie aufgewendet werden muss“,
erklärt Dr. Helmut Hönnicke, Projektleiter beim Linde Innovationsmanagement. Genau diesen Zwiespalt hat Hönnicke zusammen mit seinen Kollegen jetzt beseitigt. Drei Jahre arbeiteten die Linde-Ingenieure an einer neuartigen Speichertechnologie, um durch höhere
Verdichtung eine größere H₂-Menge transportieren zu können. Üblicherweise speichern die Trailer das Druckgas in zahlreichen aufrecht
stehenden Flaschen, die untereinander zu einem zusammenhängenden Speichersystem verbunden sind. „Bisher wurde der Wasserstoff bei 200 Bar in die Trailer gefüllt“, erklärt Hönnicke. Damit
schafften die Lkw 6.000 Normkubikmeter Wasserstoffgas pro Fahrt.
Doch das war dem Projektteam zu wenig: „Wir wollten die mögliche
Nutzlast verdoppeln“, sagt Wasserstoff-Spezialist Hönnicke. Um dieses Ziel zu erreichen, mussten er und seine Kollegen einige Herausforderungen meistern: „Einerseits schränken Gesetze die Maße und
das Gewicht eines Trailers ein. Andererseits gibt es auch materialbedingte Grenzen für den Druck von Wasserstoff-Speicherelementen“,
sagt Hönnicke. Die Linde-Ingenieure standen vor der Aufgabe, einen
Wasserstoff-Speicher mit einem günstigeren Nutzlast-EigenmasseVerhältnis zu entwickeln. Dafür arbeiteten sie mit dem Spezialisten
für Speicherelemente, xperion Energy & Environment, und den Gastransport-Experten von Wystrach zusammen. „Der Schlüssel zur
WASSERSTOFFTRANSPORT // LINDE TECHNOLOGY #1.14
53
WASSERSTOFF AUF DIE STRASSE BRINGEN
Die Partner der „H₂ Mobility“-Initiative – Air Liquide,
Daimler, Linde, OMV, Shell und Total – haben sich
auf einen konkreten Handlungsplan zum Aufbau
eines landesweiten Wasserstoff-Tankstellennetzes
für Brennstoffzellenfahrzeuge verständigt. Derzeit
umfasst die öffentliche H₂-Infrastruktur in Deutschland 15 Tankstellen. Bis zum Jahr 2023 sollen Autofahrer an rund 400 Tankstellen Wasserstoff zapfen
können. Der stufenweise Ausbau des nationalen
Tankstellennetzes soll – nach Gründung eines entsprechenden Joint Ventures – dieses Jahr beginnen.
Neben den Ballungsräumen und Hauptverkehrsrouten soll auch der ländliche Raum einbezogen
werden. Das Ziel ist, mindestens alle neunzig Autobahnkilometer eine H₂-Tankstelle anzubieten.
Von der H2-Produktion bis zur Tankstelle: Mithilfe der neuen 500Bar-Speichertechnologie können die Trailer (oben) doppelt so viel
Wasserstoff transportieren – und Lieferfahrten reduzieren. Davon pro‑
fitieren die H₂-Tankstellen – wie hier in Berlin, Sachsendamm (links).
Lösung lag darin, den Arbeitsdruck von 200 auf 500 Bar zu erhöhen“,
erklärt Hönnicke. Denn der höhere Druck gewährleistet ein erheblich
besseres Verhältnis von Gasmenge zu Gasvolumen. Und auch ökonomisch sind 500 Bar Arbeitsdruck ideal: „So konnten wir die Materialund Entwicklungskosten für die Speicherelemente im vertretbaren
Rahmen halten und die Speicherkapazität dennoch beträchtlich
vergrößern“, sagt Hönnicke. Mit ihrer Technologie gelang es den
Linde-Ingenieuren, die Gesamtkosten für den CGH₂-Transport signifikant zu senken: „Ein Trailer mit der neuen 500-Bar-Speichertechnologie kostet heute zwar so viel wie drei konventionelle Trailer“,
sagt Herbert Schenke, Leiter Flüssiggase- und Lieferketten-Management in der Region Kontinental- und Nordeuropa bei Linde, „aber die
Betriebskosten verringern sich überproportional.“
↲
↳
Autor: Sebastian Kirschner
Bildquelle: Linde AG
Robuste Speicherelemente dank Kohlefasermantel
Die Speicherelemente sind das Herzstück des neuen 500-Bar-Wasserstoff-Trailers. Dazu entwickelten die Ingenieure von xperion und
Linde leichtere Flaschen, bei denen ein Kohlefasermantel die tragende Funktion übernimmt und dem hohen Druck standhält. „Der
so genannte Inliner, eine spezielle, aus Hochdruckpolyethylen gefertigte Flasche im Inneren, hat bei den neuen Speichern nur noch
die Aufgabe, den Behälter gasdicht zu machen“, erklärt Hönnicke.
Die bisherigen Trailer verwendeten Speicher, die aus Stahlflaschen
bestanden und nur zur Verstärkung mit Kohlefaser umwickelt waren.
Auch für die Konstruktion und Befestigung des Speichers auf
dem Lkw war besonderes technisches Know-how gefordert: „Wir
müssen garantieren, dass die Flaschen während des Transports keinen Schaden nehmen“, sagt der Linde-Ingenieur. Deshalb holte
man sich die Experten von Wystrach mit in das Projekt: Die Gastransport-Spezialisten konstruierten einen Stahlaufbau für den Sattelzugaufleger, um die Speicher auf dem Chassis einzuhängen, und
rüsteten deren Aufhängepunkte mit Gelenken aus. „So sind die Ele-
mente sicher mit dem Chassis verbunden und gleichzeitig so beweglich gelagert, dass sie Schwankungen ausgleichen können“, erklärt
Walther Ambros, Zentrale Fahrzeugtechnik, Linde Gas Deutschland. Um die Sicherheit des Trailers weiter zu erhöhen, wurde der
gesamte Aufbau in acht Speichersegmente, die sich einzeln voneinander abschotten lassen, unterteilt. Beim Abtanken an der Tankstelle offenbart die 500-Bar-Speichertechnik einen weiteren Vorteil:
Mittels neu konstruierter Spezialarmaturen und einem Hochdruckschlauch lässt sich der gesamte Wasserstoffspeicher jetzt in einer
Stunde komplett entleeren. In der gleichen Zeit schafften die alten
Trailer nur ein Viertel der Menge.
Zudem sieht Lindes H₂-Tankstellenkonzept vor, auch die stationären Wasserstoff-Tanks für einen höheren Druck fit zu machen.
Denn zurzeit beliefern die 200-Bar-Trailer noch Gasspeicher, die nur
mit 45 Bar Druck arbeiten. Hönnicke: „Eine höhere Speicherdichte
würde auch an der H₂-Tankstelle selbst Platz sparen.“ Zudem können
die bisher meterhohen, oberirdischen Lagertanks unter der Erde verschwinden, wie bei Benzin und Diesel. Das kommt den Anforderungen der Tankstellen-Betreiber entgegen: „Die Technik ist damit nicht
nur sicher integriert, sondern auch kaum zu sehen“, erklärt Opfermann – und ist überzeugt: „Auch solche Details ebnen den Weg zur
effizienten Wasserstoff-Infrastruktur.“ Einige Autobauer haben für
2015 bereits eine Serienmarkteinführung von Brennstoffzellenfahrzeugen auf dem deutschen Markt angekündigt. Und eine bedarfsgerechte Anzahl von H₂-Tankstellen und deren effiziente Belieferung
ist, neben attraktiven Anschaffungs- und Betriebskosten der Fahrzeuge, eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Markterfolg.
LINK:
w
ww.cleanenergypartnership.de
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // KRYOTHERAPIE
54
Kältesauna für Leistungssportler
Nur wer hart trainiert, erzielt Höchstleistungen.
Umso wichtiger ist es, Regenerations- und
Verletzungsphasen möglichst kurz zu halten. Mit‑
hilfe der Kryotherapie sind Sportler schneller
wieder fit. Die Linde-Tochter BOC UK hat jetzt die
weltweit erste mobile Kältekammer entwickelt.
Rugby – ein Spiel für Rowdys, betrieben von Gentlemen. So wird die
Sportart gern umschrieben. Fair Play steht zwar im Mittelpunkt, doch
im Kampf um Siege sind Verletzungen vorprogrammiert. Lange Erholungspausen können sich Profisportler aber nicht leisten. Trainer und
Sporttherapeuten sind immer auf der Suche nach Möglichkeiten, um
diese Phasen zu verkürzen. Dass rasches Kühlen bei Verletzungen
hilft, ist bekannt. Doch extreme Minusgrade sollen die Sportler noch
schneller fit machen. Die Kältespezialisten der britischen Linde-Tochter BOC UK haben dafür die weltweit erste mobile Kryotherapiekammer entwickelt. „Mit flüssigem Stickstoff bringen wir den Raum auf
eisige Temperaturen – genauer gesagt auf minus 135 Grad Celsius“,
erklärt Michael Toole, Kryotherapie-Manager bei BOC.
„Ich fühle mich nach der Kältesauna viel frischer und bin schneller wieder fit“, sagt Kevin Sinfield, Kapitän der englischen RugbyNationalmannschaft. Das Team um Trainer Steve McNamara hat die
Ganzkörper-Kältetherapie Ende 2012 in ihren Trainingsplan integriert.
Seitdem fährt ein BOC-Experte regelmäßig zum Rugby-Trainingsgelände – mit einer mobilen Kühlkammer, die dem neusten Stand der
Technik entspricht. „Während der Weltcups nutzen wir die Kältesauna bis zu dreimal pro Woche und jeweils dreimal am Tag – immer
nach den Trainingseinheiten“, erklärt Rugby-Coach McNamara. Wenn
zwei seiner Sportler ausgestattet mit persönlicher Schutzkleidung
die Kältekammer betreten, ist immer ein BOC-Experte zur Aufsicht vor
Ort. „Zuerst müssen die Rugby-Spieler für 30 Sekunden in eine minus
60 Grad Celsius kalte Vorkammer, um sich an die Kälte zu gewöhnen. Anschließend gehen sie in die Minus-135-Grad-Sauna“, erklärt
Toole. Während die Sportler für zwei Minuten umherwandern, überwacht ein BOC-Experte, dass Temperatur, Druck und Luftfeuchtigkeit
stimmen. Der Vorteil der Kryotherapie: Sie ersetzt das ungeliebte Eisbad – eine etablierte Methode, um Regenerationszeiten zu verkürzen. „Eisbäder gehören der Vergangenheit an. Die Sportler sind eher
bereit die Kryotherapie zu nutzen, als sich in nasses, eiskaltes Wasser
zu begeben“, erklärt Toole. Während die Haut in der Kältesauna in
Autorin: Corinna Huber
Bildquelle: A. Livesey / Getty Images, BOC / Studio UK
EISKALT AN DIE
W
ELTSPITZE
↲↳
kurzer Zeit auf etwa 15 Grad Celsius abkühlt, bleibt die Temperatur im
Körperkern unverändert. Das hat einen großen Effekt auf den Organismus: Die äußeren Blutgefäße verengen sich, das Blut zieht sich
ins Körperinnere zurück und die Muskeln werden besser durchblutet. Auch der Hormonhaushalt reagiert: Endorphine schießen in den
Körper und lindern das Schmerzempfinden. Adrenalin wird ausge‑
schüttet und sorgt für mehr Entzündungshemmer im Blut. Das Ergebnis der Kältesauna: Die Sportler fühlen sich gekräftigt und gelockert.
Dass die Kryotherapie effizienter ist als andere Regenerationsmethoden, zeigte eine Studie des französischen National Institute
of Sport, Expertise and Performance (INSEP): Bereits eine Stunde
nach der Kälteanwendung hatte sich die maximale Muskelkraft vollständig regeneriert. Eine Studie der University of Central Lancashire
ergab, dass ein zweiminütiger Aufenthalt bei minus 135 Grad Celsius
optimal ist, um physiologische Veränderungen zu bewirken. Die verkürzten Erholungsphasen verhelfen den Sportlern zu einer langfris‑
tigen Leistungssteigerung. Die englische Rugby-Nationalmannschaft
sieht sich bestens gerüstet für die nächsten Wettkämpfe.
LINK:
www.uclan.ac.uk
LINDE TECHNOLOGY #1.14 // IMPRESSUM
02
Impressum
Herausgeber:
Linde AG
Klosterhofstraße 1, 80331 München
Telefon +49.89.35757-01
Telefax +49.89.35757-1398
www.linde.com
Redaktion:
Verantwortlich: Dr. Thomas Hagn, Linde AG;
TransQuer GmbH/wissen + konzepte, München
#1.
14
Produktion:
TransQuer GmbH/wissen + konzepte, München
Anfragen und Bestellungen an:
Linde AG, Kommunikation
Klosterhofstraße 1, 80331 München
oder [email protected]
Am Anfang stand eine Idee: Unsichtbare Gase sichtbar
zu machen. Wir haben einen faszinierenden, einzigartigen
Ansatz entwickelt. Numerische Grafiken, errechnet
aus den spezifischen Stoffeigenschaften der Gase.
Mehr unter www.fascinating-gases.com.
Diese Heftreihe sowie weitere Fachberichte
stehen unter www.linde.com als Download
zur Verfügung.
Nachdrucke oder elektronische Verbreitung
nur mit Zustimmung des Herausgebers.
Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen
Fälle (und bei vollständiger Quellenangabe) ist die Nutzung der Berichte aus
„Linde Technology“ ohne Einwilligung des
Herausgebers nicht gestattet.
ISSN 1612-2224, Printed in Germany – 2014
Bildquellen:
Titel: Wie Fang/Getty Images // Seite 04/05: Peter Ginter/Bayer, Chris Ryan/Getty Images, Alfred
Buellesbach/Visum, Getty Images (3) // Seite 06/07: Linde AG (3) // Seite 08/09: Stocktrek Image/
Getty Images, Linde AG (2) // Seite 10: Sam Edwards/Getty Images // Seite 12/13: Ben Edwards/
Getty Images, Linde AG (2), Grafik: Almut Jehn // Seite 14/15: Linde AG, Car Culture/Getty Images,
Panos Pictures/Visum, Richard Kail/SPL/Agentur Focus // Seite 17: Laguna Design/SPL/Agentur
Focus // Seite 18: Linde AG, J. Chech, U. Bellhaeuser/beide Getty Images // Seite 21: Pete Saloutos,
Don Nichols/beide Getty Image // Seite 22/23: David Nunuk/SPL/Agentur Focus [M] // Seite 24/
25: Linde AG, Philippe Psalia/SPL/Agentur Focus, Grafik: Almut Jehn // Seite 26: Colin Cuthbert/SPL/
Agentur Focus // Seite 28/29: Hubert Raguet/Eurelios, David Scharf/beide SPL/Agentur Focus,
Y. C./Getty Images, Grafik: Almut Jehn // Seite 31: Sasol // Seite 33: Plainpicture // Seite 34: mauritius
Images/Alamy, Plainpicture // Seite 36/37: Dana Smillie/Bloomberg/Getty Images, Linde AG // Seite 38/39: Getty Images (6), mauritius Images/Cultura // Seite 40/41/42/43: Linde AG (9), Getty
Images (4), Fotolia.com (2), Foodcentrale, Grafik: Almut Jehn // Seite 45: Henrik Sorensen/Getty
Images, All Medical/Phanie // Seite 46: Linde AG // Seite 48/49: Reuters // Seite 50/51: Anno
Pietrese/Gallerystock, Murat Celiker/Getty Images, Linde AG // Seite 52/53: Linde AG // Seite 54:
Alex Livesey/Getty Images, BOC/Studio UK
Am Puls der Zukunft: In Wirtschaftsmetropolen
wie hier in Schanghai, China, vernetzen sich
verschiedenste Industriezweige – und generieren
innovative Technologien für morgen.
Sehen Sie Wasserstoff.
In einer Weltpremiere
von Linde.
LINDE TECHNOLOGY #1.14
Ausgabe
#1.
1 4
TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT
LINDE
TECHNOLOGY
O
RDNUNG IM NANO-KOSMOS
Kohlenstoff-Nanoröhren aufbereiten
SONNENKRAFT AUF ABRUF
Solarenergie flexibel speichern
MOTOR DER MIKROMECHANIK
Spezialgase treiben Halbleiterbranche voran
ENERGIEDIÄT FÜR HEISSE WINDE
Mehr Effizienz im Hochofen
SCHATZ IM SCHIEFERGESTEIN
Rohstoffe für die Petrochemie
V OM ANBAU ZUM TELLER
G
asetechnologie für die Lebensmittelindustrie
NEUE TECHNOLOGIEN FÜR SCHLÜSSELBRANCHEN
IMPULSE
IMPULSE FÜR
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DIE
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