Ausgabe #1. 1 4 TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT LINDE TECHNOLOGY O RDNUNG IM NANO-KOSMOS Kohlenstoff-Nanoröhren aufbereiten SONNENKRAFT AUF ABRUF Solarenergie flexibel speichern MOTOR DER MIKROMECHANIK Spezialgase treiben Halbleiterbranche voran ENERGIEDIÄT FÜR HEISSE WINDE Mehr Effizienz im Hochofen SCHATZ IM SCHIEFERGESTEIN Rohstoffe für die Petrochemie V OM ANBAU ZUM TELLER G asetechnologie für die Lebensmittelindustrie NEUE TECHNOLOGIEN FÜR SCHLÜSSELBRANCHEN IMPULSE IMPULSE FÜR D DIE IE ZUKUNFT LINDE TECHNOLOGY #1.14 // IMPRESSUM 02 Impressum Herausgeber: Linde AG Klosterhofstraße 1, 80331 München Telefon +49.89.35757-01 Telefax +49.89.35757-1398 www.linde.com Redaktion: Verantwortlich: Dr. Thomas Hagn, Linde AG; TransQuer GmbH/wissen + konzepte, München #1. 14 Produktion: TransQuer GmbH/wissen + konzepte, München Anfragen und Bestellungen an: Linde AG, Kommunikation Klosterhofstraße 1, 80331 München oder [email protected] Am Anfang stand eine Idee: Unsichtbare Gase sichtbar zu machen. Wir haben einen faszinierenden, einzigartigen Ansatz entwickelt. Numerische Grafiken, errechnet aus den spezifischen Stoffeigenschaften der Gase. Mehr unter www.fascinating-gases.com. Diese Heftreihe sowie weitere Fachberichte stehen unter www.linde.com als Download zur Verfügung. Nachdrucke oder elektronische Verbreitung nur mit Zustimmung des Herausgebers. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle (und bei vollständiger Quellenangabe) ist die Nutzung der Berichte aus „Linde Technology“ ohne Einwilligung des Herausgebers nicht gestattet. ISSN 1612-2224, Printed in Germany – 2014 Bildquellen: Titel: Wie Fang/Getty Images // Seite 04/05: Peter Ginter/Bayer AG, Chris Ryan/Getty Images, Alfred Buellesbach/Visum, Getty Images (3) // Seite 06/07: Linde AG (3) // Seite 08/09: Stocktrek Image/Getty Images, Linde AG (2) // Seite 10: Sam Edwards/Getty Images // Seite 12/13: Sam Edwards/Getty Images, Linde AG (2), Grafik: Almut Jehn // Seite 14/15: Linde AG, Car Culture/ Getty Images, Panos Pictures/Visum, Richard Kail/SPL/Agentur Focus // Seite 17: Laguna Design/ SPL/Agentur Focus // Seite 18: Linde AG, J. Chech, U. Bellhaeuser/beide Getty Images // Seite 21: Pete Saloutos, Don Nichols/beide Getty Images // Seite 22/23: David Nunuk/SPL/Agentur Focus [M] // Seite 24/25: Linde AG, Philippe Psalia/SPL/Agentur Focus, Grafik: Almut Jehn // Seite 26: Colin Cuthbert/SPL/Agentur Focus // Seite 28/29: Hubert Raguet/Eurelios, David Scharf/beide SPL/ Agentur Focus, Y. C./Getty Images, Grafik: Almut Jehn // Seite 31: Sasol // Seite 33: Plainpicture // Seite 34: mauritius Images/Alamy, Plainpicture // Seite 36/37: Dana Smillie/Bloomberg/Getty Images, Linde AG // Seite 38/39: Getty Images (6), mauritius Images/Cultura // Seite 40/41/42/43: Linde AG (9), Getty Images (4), Fotolia.com (2), Foodcentrale, Grafik: Almut Jehn // Seite 45: Henrik Sorensen/Getty Images, All Medical/Phanie // Seite 46: Linde AG // Seite 48/49: Reuters // Seite 50/51: Anno Pietrese/Gallerystock, Murat Celiker/Getty Images, Linde AG // Seite 52/53: Linde AG // Seite 54: Alex Livesey/Getty Images, BOC/Studio UK Am Puls der Zukunft: In Wirtschaftsmetropolen wie hier in Schanghai, China, vernetzen sich verschiedenste Industriezweige – und generieren innovative Technologien für morgen. Sehen Sie Wasserstoff. In einer Weltpremiere von Linde. EDITORIAL // LINDE TECHNOLOGY #1.14 03 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, Innovationen sind die Grundlage für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg. Sie leisten zudem wichtige Beiträge für eine lebenswerte Zukunft. Aber: Innovationen lassen sich nicht einfach verordnen, sondern sind das Ergebnis intensiver, zielgerichteter Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Gerade die großen Herausforderungen unserer Zeit – von der zukünftigen Mobilität bis zu einer effizienten Energieversorgung – lassen sich nur mit dem gebündelten Know-how aus unterschiedlichen Fachrichtungen meistern. Auch deshalb bildet Forschung und Entwicklung das Herzstück von Linde. Ausgehend von einer klaren strategischen und technologischen Ausrichtung arbeiten unsere Experten in einer Vielzahl von Projekten gemeinsam mit renommierten Wissenschaftlern und Institutionen daran, Hightech-Anwendungen zur Marktreife zu bringen. Als Innovationstreiber für die Industrie entwickeln wir bereits heute Lösungen für die Anforderungen von morgen. In der Nanotechnologie beispielsweise haben wir jüngst in enger Kooperation mit externen Wissenschaftlern ein Verfahren entwickelt, um Kohlenstoff-Nanoröhren als Werkstoff für die Elektronik‑ industrie aufzubereiten. Neue Technologien sind auch gefragt, wenn es darum geht, die Kräfte der Natur bestmöglich zu nutzen. So arbeiten unsere Experten mit Hochdruck an effizienten Speichertechnologien auf der Basis von Salzschmelzen, um Sonnenenergie auch nachts verfügbar zu machen. Zudem er‑ forschen wir kontinuierlich neue Anwendungsgebiete für Gase und verbessern bestehende Verfahren: Für die Entwicklung besonders abgasarmer Verbrennungsmotoren bieten wir ebenso innovative Ansätze wie für die Halbleiterbranche. Und auch bei der Erschließung unkonventioneller Rohstoffquellen, wie etwa Erdgas aus Schiefergestein, ermöglichen wir mit unserer langjährigen Anlagenbau-Expertise eine höhere Effizienz. Auch in unserem Alltag führt kein Weg an Linde-Technologie vorbei. Im Themenspezial lesen Sie, wie unsere Innovationen die gesamte Wertschöpfungskette der Lebensmittelindustrie begleiten – vom Gewächshaus über die Verarbeitung und den Transport bis hin zum Endverbraucher. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Professor Dr.-Ing. Aldo Belloni Mitglied des Vorstands der Linde AG LINDE TECHNOLOGY #1.14 // INHALT Bildquelle: P. Ginter / Bayer AG 04 _14 _38 HIGHTECH-FORSCHUNG: Basis für Innovationen von morgen. _10 MEDIZINTECHNIK: Inhalierbare Schmerzmittel am Patientenbett. _32 STAHLINDUSTRIE: Hochöfen effizienter betreiben. BREITES ANWENDUNGSSPEKTRUM: Gase in der Lebensmittelindustrie. INHALT // LINDE TECHNOLOGY #1.14 05 03 EDITORIAL 06 FRISCHLUFT FÜR FISCHZUCHT Aquakultur-Forschungszentrum entwickelt Sauerstoffsysteme 08 NEWS 10 EINE GUTE ATMOSPHÄRE 14 S chmerzmittel lösen sich in Luft auf TITELTHEMA IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT Die Industrie von morgen braucht neue Technologien und leistungsfähige Werkstoffe. Linde-Ingenieure bieten für viele Schlüsselbranchen innovative Lösungen an – und liefern damit die Basis für den Erfolg. 16 ORDNUNG IM NANO-KOSMOS 26 MOTOR DER MIKROMECHANIK SPURENSUCHE IM ABGASSTROM 30 INTERVIEW: „FÜR INNOVATIONEN AN GRENZEN GEHEN“ 20 22 Forschung: Kohlenstoff-Nanoröhren für die Elektronikindustrie aufbereiten Mobilität: Mit Kalibriergasgemischen geringste Schadstoffmengen nachweisen SONNENKRAFT AUF ABRUF ENERGIEDIÄT FÜR HEISSE WINDE 36 LNG MACHT DAMPF 38 40 VOM ANBAU ZUM TELLER 44 KÄLTESCHOCK GEGEN KEIME 46 SCHATZ IM SCHIEFERGESTEIN 50 GASE UNTER KONTROLLE 52 HOCHDRUCK IM TRAILER 54 EISKALT AN DIE WELTSPITZE Elektronik: Spezialgase und Prozesstechnik treiben die Halbleitertechnologie voran Energie: Speichertechnologien auf Salzbasis machen Solarstrom flexibel 32 Hochöfen: mehr Effizienz, weniger Emissionen Flüssigerdgas für den Schiffsmotor aufbereiten UNVERZICHTBAR FÜR LEBENSMITTEL UND GETRÄNKE Gasetechnologie für die gesamte Wertschöpfungskette Die ganze Vielfalt der Lebensmittelgase Kryobehandlung von Geflügel Rohstoffe für die Petrochemie effizient gewinnen Schweißtechnologie: mehr Sicherheit und Komfort Effizientere H₂-Infrastruktur Kältesauna für Leistungssportler Sven Godorr, Executive Manager Research and Technology, Sasol LINDE TECHNOLOGY #1.14 // AQUAKULTUR Bildquelle: Linde AG 06 ↲ Aquakultur-Forschungszentrum entwickelt Sauerstoffsysteme FRISCHLUFT FÜR FISCHZUCHT AQUAKULTUR // LINDE TECHNOLOGY #1.14 07 Lachse ziehen aufs Land – zumindest, wenn sie in Zuchtanlagen leben. Denn der Fischbedarf wächst weltweit und lässt sich allein mit Wildfang schon lange nicht mehr decken. Der Konsum hat sich in den letzten 50 Jahren verdoppelt – und die Nachfrage wird mit dem Anstieg der Weltbevölkerung weiter wachsen. Weil Freiwasseranlagen Nachteile mit sich bringen, beispielsweise größere Witterungsanfälligkeit und erhöhter Futterbedarf, geht der Trend zu Zuchtanlagen an Land. Wichtigste Ressource für die Fischfarmen: Sauerstoff. Mit mindestens 80 Prozent muss das Wasser gesättigt sein. Fällt die Konzentration darunter, können die Fische ihre Nahrung schlechter verwerten, wachsen langsamer und werden anfälliger für Krankheiten. Um auch große Zuchtanlagen wirtschaftlich und energieeffizient mit Sauerstoff zu versorgen, haben Linde-Experten am Innovationszentrum für Aquakultur und Wasserbehandlung im norwegischen Ålesund das SOLVOX® OxyStream-System entwickelt: Es arbeitet mit Mikroblasen, die mit geringem Druck ins Wasser strömen. Damit lässt sich die Sauerstoffzufuhr und die Verteilung im Becken exakt und energieeffizient einstellen. LINK: www.was.org LINDE TECHNOLOGY #1.14 // NEWS 08 N EWS RAUMFAHRT: K ALIBRIERGASE FÜR DIE ISS Experimente unter Weltraumbedingungen – diese einmaligen Forschungsbedingungen bietet die International Space Station, kurz ISS. Neben physikalischen und astronomischen Messungen werden auf dem Außenposten in der Erdumlaufbahn auch medizinische Untersuchungen an Astronauten durchgeführt. Dazu unterstützt Linde die Danish Aerospace Company (DAC), ein führendes Unternehmen in der Entwicklung medizinischer Instru‑ mente für den Weltraum, mit den Spezialgasflaschen ECOCYL®. Diese werden für das tragbare Instrumentensystem zur Messung der Lungenfunktion benötigt. Um physiologische Parameter wie Atemfunktion und Fitness der Astronauten während des Fluges exakt analysieren zu können, müssen die medizinischen Messgeräte der DAC regelmäßig kalibriert werden. „Dass ECOCYL® die Zulassung erhalten und sich gegen starken Wettbewerb behauptet hat, freut uns sehr“, sagt Stephen Harrison, bei Linde global verantwortlich für Spezialgase und dazugehörige Ausstattung. Denn für die Raumfahrtindustrie gelten extrem hohe Qualitätsstandards – nicht nur für Gase, sondern auch für die Behälter. Und die Spezialgasflaschen erfüllen eine weitere Voraus‑ setzung für den Einsatz auf der ISS: Ihre besonders leichte und kompakte Bauweise spart Platz und Gewicht. Diese Vorteile werden sich bald bezahlt machen. Denn im Sommer 2014 soll eine europäische Ariane-5-Rakete vom Weltraumbahnhof in Kourou, FranzösischGuayana, mit ECOCYL® an Bord zur ISS starten. PETROCHEMIE: P ARTNERSCHAFT ZUM BAU VON ETHAN-CRACKERN Die Linde AG hat mit Shell Global Solutions International BV ein Rahmenabkommen abgeschlossen, um weltweit EthanCracker zu bauen. Die Laufzeit beträgt zehn Jahre und kann verlängert werden. Die Vereinbarung umfasst die Lizensierung, Planung, Beschaffung, Errichtung und Lieferung von Kompo- nenten aus eigener Entwicklung für Ethan-Cracker-Anlagen. Das Rahmenabkommen ist bereits mit einem ersten Auftrag ver‑ bunden: Linde wird die Lizensierung sowie die Basisplanung für den möglichen Bau eines Ethan-Crackers im Weltmaßstab übernehmen. NEWS // LINDE TECHNOLOGY #1.14 09 WASSERSTOFF: ANLAGENAUFTRÄGE IN EUROPA GEWONNEN SCHWERE ERDÖLRÜCKSTÄNDE UMWANDELN Für den russischen Raffinerie-Betreiber PSC TAIF-NK wird Linde bis Ende 2015 zwei Wasserstoffanlagen an den Standort Nischnekamsk in der russischen Republik Tatarstan liefern. Die neuen Anlagen werden jeweils über eine Kapazität von rund 110.000 Normkubikmeter pro Stunde verfügen und hochreinen Wasserstoff für die dortigen Einrichtungen zur Umwandlung schwerer Erdölrückstände bereitstellen. Im Rahmen der Vereinbarung ist Linde für das Basis- und DetailEngineering sowie die Beschaffung und Lieferung der Ausrüstung und Anlagenteile verantwortlich. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf rund 120 Millionen Euro. „Wir freuen uns, mit diesem Projekt den Startschuss für die Zusammenarbeit mit PSC TAIF-NK geben zu können”, sagt Professor Dr.-Ing. Aldo Belloni, Mitglied des Vorstands der Linde AG. „Wir schaffen damit eine gute Grundlage, um uns für weitere Aufträge im Bereich Industriegase und Anlagenbau in diesem wichtigen osteuropäischen Wachstumsmarkt zu positionieren.“ NEUER DAMPFREFORMER IN HAMBURG-HARBURG Mit Nynas AB, einem der Weltmarktführer für naphthenische Spezialöle (NSPs) und Bitumen, hat Linde einen langfristigen Vertrag zur On-site-Wasserstoffversorgung geschlossen. Hierzu wird das Unternehmen in Hamburg-Harburg einen neuen Dampfreformer im Wert von rund 30 Millionen Euro errichten. Die neue H₂-Anlage soll im vierten Quartal 2015 in Betrieb gehen und dann 400.000 Kubikmeter Wasserstoff pro Tag erzeugen. Damit steigt die gesamte Produktionskapazität für NSPs bei Nynas um 40 Prozent. MEDIZINFORSCHUNG: ATEMWEGS‑ THERAPIEN UNTERSTÜTZEN Mit dem REALfund fördert Linde Innovationen zur therapeutischen Nutzung von Gasen in der Medizin. Der Fonds richtet sich an alle, die auf dem Gebiet der Atemwegserkrankungen tätig sind, wie Ärzte, Techniker und Pflegepersonal. Mit dem REALfund sollen Forschungs- und Entwicklungsprojekte vorangetrieben werden, die die Therapie von Lungen- und Atemwegserkrankungen und damit die Versorgung und das Leben der Patienten verbessern. Mit dem REALfund unterstützt Linde die gesamte Pflegekette und fördert entsprechende Projekte mit bis zu 75.000 Euro. FLÜSSIGERDGAS: NEUE LNG-TANKSTATION IN GROSSBRITANNIEN Flüssigerdgas macht mobil: Für Asda Logistic Services (ALS) hat Linde eine neue Tankstation für Flüssigerdgas – kurz LNG für Liquefied Natural Gas – in der Nähe von Bristol errichtet. Dank einer neu entwickelten Technologie, die das Gas vor der Betankung herunterkühlt, arbeitet die Tankstelle im Kühlwaren-Distributionszentrum von ALS verlustfrei. Die LNG-Station versorgt 50 bivalente (LNG- und Diesel-betriebene) Volvo-Lkw der britischen Supermarktkette Asda. Typischerweise fahren die Fahrzeuge zu etwa 60 Prozent im LNG-Betrieb. „Wir freuen uns, diese umweltfreundliche Alternative zum Dieseltreibstoff mit Asda gemeinsam zur Anwendung zu bringen“, sagt Mark Lowe, LNG-BusinessManager bei der britischen Linde-Tochtergesellschaft BOC. Mit dieser Partnerschaft trägt Linde dazu bei, den Übergang zu einer emissionsarmen Mobilität mitzugestalten. Der Wechsel zum gemischten Flüssigerdgas- und Dieselbetrieb verlief reibungslos. „Alternative Kraftstoffe sind ein wichtiger Bestandteil unserer Nachhaltigkeitsstrategie“, sagt Corinne Murp hy, n at i o n a l e Flottenmanagerin bei ALS. „Die Zusammenarbeit mit BOC und Volvo wird dazu beitragen, unseren CO₂Ausstoß bis 2015 um zehn Prozent zu verringern.“ LINDE TECHNOLOGY #1.14 // MEDIZINTECHNIK 10 Akute Schmerztherapie: Mediziner raten ihren Patienten zu einem inhalierbaren Lachgas-Sauerstoff-Gemisch, wenn Schmerzen kurzzeitig ge‑ lindert werden sollen. MEDIZINTECHNIK // LINDE TECHNOLOGY #1.14 11 Bildquelle: S. Edwards / Getty Images Autorin: Clara Stark Schmerzmittel lösen sich in Luft auf ↲↳ EINE GUTE ATMOSPHÄRE Ob in der Notaufnahme oder im Kreißsaal: Wenige Atemzüge eines Lachgas-SauerstoffGemischs können Schmerzen lindern und beruhigen. Für den Einsatz von Lachgas im Klinikalltag gelten aber Arbeitsplatzgrenzwerte, die Ärzte, Therapeuten und Pflegepersonal vor zu hohen Konzentrationen in der Umgebungsluft schützen sollen. Ein Team von Linde Healthcare und Lindes Engineering Divison hat ein mobiles Gerät entwickelt, mit dem sich das Lachgas entsorgen lässt. Manchmal schallt der erste Schrei eines Babys schon nach kurzer Zeit durch den Klinikflur. Oft dauert eine Geburt aber viele Stunden. Die wiederkehrenden Wehenschmerzen zehren an den Kräften der werdenden Mütter – und rauben ihnen Energie, die sie im weiteren Verlauf der Geburt gut gebrauchen können. Deshalb raten viele Ärzte im Kreißsaal zu Medikamenten gegen die Schmerzen. Neben Opioiden und einer lokalen Betäubung im Rückenmark gibt es auch noch eine weitere Möglichkeit: inhalierbare Schmerzmittel: „Bei mehr als 70 Prozent der gebärenden Mütter in Großbritannien wird ein LindeMedizingasegemisch, das aus Sauerstoff und Distickstoffmonoxid besteht, eingesetzt“, sagt Sybille Petersohn, Globale Business-Managerin Analgesia bei Linde Healthcare. Auch in anderen europäischen Ländern wird das Gasegemisch in der Geburtshilfe mehr und mehr verwendet. Das Linde-Produkt besteht jeweils zur Hälfte aus Distickstoffmonoxid (N₂O) – auch Lachgas genannt – und Sauerstoff. Bereits 1799 entdeckte der Chemiker Humphry Davy die schmerzstillende Wirkung von Lachgas. Der amerikanische Zahnarzt Horace Wells setzte es 1844 erstmals zur Schmerzbetäubung bei Zahnextrak‑ tionen ein. Auch in der Notfallmedizin und bei der Behandlung von Kindern hat sich das Gasegemisch bewährt: Egal ob eine Darmspiegelung ansteht, eine Wunde genäht oder ein Venenzugang gelegt werden muss: „Eine Inhalation des Lachgas-Sauerstoff-Gemischs kann den akuten Schmerz lindern. Spätestens dreißig Minuten nach Ende der Inhalation ist die Wirkung bereits verflogen“, sagt Petersohn. Während Patienten meist nur über kurze Zeiträume das LachgasSauerstoff-Gemisch einatmen, sind Ärzte und Krankenhauspersonal dem gasförmigen Arzneimittel länger ausgesetzt. Da es bei lang andauernder Verabreichung von N₂O zu Nebenwirkungen wie Veränderungen im Blutbild kommen kann, gibt es – wie für alle anderen Anästhesiegase auch – Richtwerte, die die maximale Gaskonzentration festlegen. Dazu kommt, dass Lachgas ein Treib‑ hausgas ist. „Die bei medizinischen Eingriffen frei werdenden Lachgasmengen sind allerdings so gering, dass sie nicht für die Klimaerwärmung verantwortlich gemacht werden können“, sagt Dr. Wolfgang Schmehl, Manager im Bereich Innovation und Entwicklung bei Linde Healthcare. Große Mengen umweltbelastender Lachgas-Emissionen entstehen vielmehr in der Landwirtschaft, im Straßenverkehr und in Kohle- oder Gaskraftwerken. Um der Diskussion um Gesundheit und Umweltschutz verantwortungsvoll Rechnung zu tragen, haben Schmehl und sein Team von Linde Healthcare gemeinsam mit Kollegen von Lindes Engineering Division nach einer Lösung gesucht, um Lachgas nach dem therapeutischen Einsatz möglichst vollständig zu entsorgen. Das Ergebnis ist seit Anfang 2012 bereits in Kliniken unter anderem in Schweden, den Niederlanden und Deutschland im Einsatz und ermöglicht den sicheren und klimaschonenden Gebrauch von Lachgas: Die SCHMERZSTILLEN‑ DES GASEGEMISCH AUCH IN DER GE‑ BURTSHILFE BELIEBT. LINDE TECHNOLOGY #1.14 // MEDIZINTECHNIK 12 DIGITALES ZEITALTER AUCH FÜR MOBILE DRUCKGASFLASCHEN Ein Notfall erfordert absolute Konzentration bei Ärzten und Rettungsassistenten: Jeder Handgriff muss sitzen. „Um die Bedienung der mobilen Sauerstoff-Druckgasflaschen zu verbessern, haben wir erstmals das mechanische Manometer durch eine digitale Anzeige ersetzt und um hilfreiche Funktionen erweitert“, erklärt Helmut Franz, Globaler BusinessManager Medizingasebehälter bei Linde Healthcare. LIV® IQ gibt jederzeit Auskunft über den aktuellen Füllstand in der Druckgasflasche und zeigt an, wie lange der Vorrat reicht. LIV® IQ vergleicht zudem permanent den tatsächlichen Sauerstofffluss, der den Patienten erreicht, mit dem voreingestellten Wert. Ist der O -Fluss ² blockiert, wird der Mediziner durch einen optischen und akustischen Alarm gewarnt – und kann entgegenwirken. Wenn der Sauerstoffvorrat unter einen Schwellenwert sinkt, erhält man ebenfalls Warnsignale. „Diese Neuerungen verbessern die Versorgung der Patienten und ermöglichen den sicheren Einsatz der mobilen Druckgasflaschen im medizinischen Alltag“, erklärt Franz. medizintechnische Linde-Entwicklung trägt den Namen EXCIDIO®: Vereinfacht ausgedrückt ist das Gerät eine dem Lachgas-Sauerstoff-Gemisch nachgeschaltete Apparatur, die das ausge‑ atmete Distickstoffmonoxid direkt entsorgt. Wie bisher atmen die Patienten das schmerzstillende Gasegemisch über einen Schlauch mit Atemmaske über Mund und Nase ein. „Eine spezielle am Schlauch befestigte Vorrichtung leitet die ausgeatmete Luft jetzt jedoch in einen Sammelbehälter um und verhindert so, dass das Gas in die Umgebungsluft gelangt“, so Schmehl. Vom Sammelbehälter aus wird das Lachgas schließlich in die neu entwickelte Anlage abgesaugt und katalytisch umgewandelt. „Nach dieser so genannten Lachgas-Konvertierung setzt unser EXCIDIO®-Gerät dann nur noch die unbedenklichen Reaktionsprodukte Stickstoff und Sauerstoff frei“, erklärt Schmehl vereinfacht das Funktionsprinzip. Das Lachgas löst sich sozusagen in Luft auf. Die Anforderungen an die neue Entsorgungsanlage waren klar vorgegeben, aber auch ambitioniert: „Wir brauchten ein mobiles Gerät für den Einsatz im Klinikalltag, das Lachgas möglichst voll‑ ständig und ohne unerwünschte Nebenprodukte abbaut und in unmittelbarer Nähe zum Patienten eingesetzt werden kann“, schildert Schmehl. Dass sich Lachgas dank spezieller Katalysatoren in Stickstoff und Sauerstoff umwandeln lässt, war bereits bekannt. „Doch wir wussten zunächst nicht, welche Materialien sich am besten Schmerzen lindern: Während Patienten das LachgasSauerstoff-Gemisch meist nur über kurze Zeit einatmen, sind Ärzte und Krankenhauspersonal dem gasförmigen Arzneimittel über längere Zeit ausgesetzt. eignen und wie wir die notwendigen hohen Temperaturen in den Griff bekommen sollten“, so Schmehl. Denn die katalytische Reaktion läuft erst oberhalb von 350 Grad Celsius optimal ab. Im Inneren von EXCIDIO® herrschen im normalen Betrieb sogar Spitzentemperaturen von mehr als 500 Grad Celsius. „Denn bei der Lachgas-Zersetzung haben wir es mit einer so genannten exothermen Reaktion zu tun. Es wird also viel Energie in Form von Wärme frei“, erklärt Dr. Ulrike Wenning, Chemikerin im Bereich Forschung und Entwicklung bei Linde Engineering. Schritt für Schritt hat sie sich mit ihren Kollegen an geeignete Katalysatoren herangetastet und mit verschiedenen Tests deren Reaktionsverhalten untersucht. Angepasst an die Anforderungen im Klinikalltag „Auch andere Apparateteile wie Wärmetauscher, Gasvorwärmer und Ansauggebläse haben wir geprüft, variiert und verbessert“, ergänzt Dr. Karl-Heinz Hofmann von Linde Engineering. Über Details wie zum Beispiel die Isolationen dürfen die Linde-Experten jedoch nichts verraten, denn die neu entwickelten Materialien wurden bereits zum Patent angemeldet. Chemieingenieur Hofmann war auch für die Prozesssimulation zuständig. Basis für seine unterschiedlichen Berechnungsmodelle war der Bau und Betrieb einer Pilotanlage auf dem Gelände von Linde Engineering in Pullach bei München. „Wir haben uns beim Bau des Prototyps zunächst bewusst für eine Anlage in MEDIZINTECHNIK // LINDE TECHNOLOGY #1.14 13 MEDIZINTECHNIK ERMÖGLICHT THERAPIE AM PATIENTENBETT Die Linde-Experten haben das mobile Gerät EXCIDIO® entwickelt, mit dem sich das inhalierbare Lachgas-Sauerstoff-Gemisch nach dem therapeutischen Einsatz möglichst vollständig in Stickstoff und Sauerstoff umwandeln lässt. EXCIDIO® ist nicht nur auf die Anforderungen im Klinikalltag zugeschnitten, sondern auch in unmittelbarer Nähe zum Patienten einsetzbar. Heiße Leistung: EXCIDIO® konvertiert pro Stunde ein Gasevolumen von sieben Kubik‑ metern. Dabei entstehen im Inneren Temperaturen von mehr als 500 Grad Celsius. Die Therapie: Der Patient atmet das Lachgas-Sauerstoff-Gemisch mit einer MundNase-Atemmaske ein – und dank einer speziel‑ len Vorrichtung in einen Behälter wieder aus. größerer Dimension entschieden – etwa im Ausmaß eines Schranks“, erklärt Hofmann. Denn alle Bauteile sollten ausreichend flexibel und für weitere Anwendungen nutzbar sein. Erst in einem zweiten Schritt wurde die Anlage von erfahrenen Medizintechnik-Ingenieuren von Linde Healthcare spezifisch auf die medizinischen Vorgaben und Anforderungen von Kliniken zugeschnitten. Dabei mussten zahlreiche Fragen geklärt werden: Wie schnell läuft die Reaktion ab? Welche Katalysatormenge ist nötig? Wo liegen die günstigen Gaskonzen‑ trationen und Durchflussgeschwindigkeiten für eine möglichst vollständige Zersetzung? Welche Sicherheitsvorkehrungen sind notwendig? Hofmann, Wenning und ihr internationales Team fanden die Antworten: Über ein Jahr lang entwickelten sie Modelle und überprüften diese mithilfe von analytischen Untersuchungen. Dadurch ist es jetzt möglich, für unterschiedliche Anwendungszwecke den jeweils besten Prozess zu designen – je nach gewünschter Temperatur, Gaskonzentration und Zersetzungsrate. Das EXCIDIO®-Gerät schafft ein Gasevolumen von sieben Kubikmetern pro Stunde. „Dank unserer Berechnungen und Simulationsmodelle können wir aber auch größere Anlagen konstruieren, die Gasvolumina von bis zu 100.000 Kubikmeter pro Stunde konvertieren können“, sagt Hofmann. Anlagen in dieser Dimension sind zum Beispiel in der chemischen Industrie erforderlich. So entsteht Lachgas zum Beispiel bei der Herstellung von Salpetersäure. Auch in Die Zersetzung: Das Lachgas wird abgesaugt und katalytisch in Stickstoff (blau) und Sauerstoff (rot) konvertiert. der Lebensmittelindustrie wird Lachgas freigesetzt: Dort ermöglicht N₂O in kleinen Kartuschen beispielsweise die schnelle Produktion von Schlagsahne. „Und in den Flaschengas-Abfüllanlagen von Linde könnte die Zersetzungsanlage künftig ebenfalls eingesetzt werden – zum Schutz von Personal und Umwelt“, ergänzt Wenning. Besondere Aufmerksamkeit legten die Linde-Experten bei der Entwicklung von EXCIDIO® auf den Wärmehaushalt: „Während wir bei größeren Anlagen meist mehr Zeit für das Anfahren der Anlage haben, muss das im Klinikalltag in weniger als einer Stunde ab‑ laufen“, schildert Hofmann die speziellen Anforderungen für den praktischen Einsatz der Lachgas-Konvertierungsanlage. Wie gut sich medizinisches Know-how und Anlagentechnik im LindeKonzern gegenseitig unterstützen können, hat das EXCIDIO®Projekt bereits bewiesen. Und im Klinikalltag ist die Anwen‑ dung des Lachgas-Sauerstoff-Gemischs noch einfacher und sicherer geworden. LINK: www.linde-healthcare.com LINDE TECHNOLOGY #1.14 // TITELTHEMA 14 NEUE TECHNOLOGIEN FÜR SCHLÜSSELBRANCHEN IMPULSE FÜR D IE ZUKUNFT Energieeffiziente Prozesse, ressourcenschonende Verfahren, digitale Vernetzung und neue Werkstoffe: Die Ansprüche an die Industrie von morgen sind vielfältig. Innovative Lösungen von Linde helfen, diese Herausforderungen zu meistern. FORSCHUNG Kohlenstoff-Nanoröhren erobern die Elektronikwelt. Um das Leistungsprofil der Hightech-Materialien zu verbessern, haben Linde-Experten ein neues Trennverfahren entwickelt. MOBILITÄT Fahrzeugmotoren müssen sauberer werden. Kalibrier‑ gasgemische von Linde helfen, um in Abgastestverfahren geringste Schadstoffmengen nachzuweisen. TITELTHEMA / LINDE TECHNOLOGY #1.14 15 Weltweit stehen die Ingenieure in der Forschung oder in Schlüsselbranchen wie der Energie-, Auto- oder Elektronikindustrie vor großen Herausforderungen. Doch diese bieten auch Chancen – für Unternehmen, die Lösungen anbieten können. Trends frühzeitig erkennen und eine zielgerichtete Strategie sind dafür eine wichtige Basis. Aber die Innovationskraft ist der eigentliche Schlüssel zum Erfolg. Meist sind Innovationen das Ergebnis konzentrierter Teamarbeit in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Konzerne. Auch Kooperationen mit Universitäten und Wissenschaftsinstitutionen tragen dazu bei, Ideen und Impulse für neue Technologien oder Werkstoffe ENERGIE Solarstrom ist auch in der Nacht gefragt. Um die Sonnenenergie effizient zu speichern, hat Linde gemeinsam mit Partnern ein neues System auf Salzbasis entwickelt. zu generieren. Fachleute unterschiedlichster Disziplinen müssen an einem Strang ziehen, um Produkte und Anwendungen von der ersten Idee bis zur Marktreife zu entwickeln. Gemeinsam mit externen Forschern haben Linde-Experten beispielsweise ein Verfahren entwickelt, um Kohlenstoff-Nanoröhren für die Elektronikindustrie fit zu machen. In der Halbleiter-Branche sind hochreine Spezialgase von Linde ein essenzieller Bestandteil in der Fertigung. Und das Gase-Know-how ist auch in der Mobilität gefragt, beispielsweise in der Autoabgasmessung. Die Linde-Ingenieure treiben auch den Energiesektor voran und bieten damit innovative Lösungen für die Industrie von morgen. ELEKTRONIK Intelligente Mikrosysteme bringen reale und virtuelle Welten zusammen. Bei der Herstellung der filigranen Halbleitermaterialien helfen Spezialgase von Linde. TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT LINDE TECHNOLOGY #1.14 // NANOTECHNOLOGIE 16 O RDNUNG IM NANO-KOSMOS Kohlenstoff-Nanoröhren gelten als Wundermaterial – vor allem für elektronische Bauteile. Obwohl man ihnen herausragende Fähigkeiten zuschreibt, werden sie wegen technischer Hürden bislang kaum eingesetzt. Denn selbst die besten kommerziell erhältlichen Carbon Nanotubes (CNT) erreichen nicht ihre volle Leistungsstärke. Jetzt ist Werkstoffexperten von Linde in Kalifornien ein wichtiges technologisches Verfahren gelungen, mit dem sich das Potenzial der Nanoröhren besser ausschöpfen lässt. Hightech schrumpft: Immer enger rücken elektronische Bauteile heran. Nanotubes besitzen das Potenzial, die Elektronikbranche zu und komplexe Schaltkreise im Innern von Mobiltelefonen, Kameras revolutionieren: „Sie könnten die Eigenschaften der transparenten, oder Tablets zusammen. Auch Flachbildschirme werden schlanker – elektrisch leitenden Filme (TCF), die in Displays und in Solarzellen und kostengünstiger. Und das, obwohl sie mit Zusatzfunktionen wie eingebaut werden, erheblich verbessern“, erklärt Kevin McKeigue, berührungsempfindlichen Oberflächen aufwarten. Der Trend hin zu Leiter Nanotechnologie im Bereich Clean Energy und Innovationsmakleineren, schnelleren, intelligenteren und billigeren elektronischen nagement bei Linde. Zusammen mit seinen Kollegen will er die KohBauteilen beruht auf der Entwicklung einer neuen Generation von lenstoff-Winzlinge fit machen für den Einsatz in Elektronik-Bauteilen. Dass die Hightech-Materialien bislang in der Elektronikbranche kostengünstigen Hochleistungsmaterialien. Bislang wurde Indium‑ zinnoxid für die transparenten, elektrisch leitenden Schichten, kurz kaum Verwendung finden, liegt vor allem an technologischen HürTCF (Transparent Conductive Films), in Displays genutzt. Allerdings den. Kommerziell verfügbare CNTs weisen einfach nicht die herausraist das Material nicht nur teuer, sondern auch unvereinbar mit inno- genden Eigenschaften auf, zu denen sie fähig wären. Wissenschaftler und Ingenieure von Linde Nanomaterials vativen Fertigungsprozessen für Displays. im kalifornischen San Marcos haben sich Eine Alternative bieten Kohlenstoffdeshalb darauf konzentriert, die kommerNanoröhren – auch Carbon Nanotubes, ziell erhältlichen CNTs in eine besser nutzkurz CNT genannt – aufgrund ihrer herausbare Form zu bringen. „Zwar ist die Herragenden elektrischen und mechanischen stellung der Carbon Nanotubes durch Eigenschaften. Die Röhrenwand der CNTs Methoden wie das Verdampfen von Kohbesteht aus Kohlenstoffatomen, die ein „Ihre volle Leistung ent‑ lenstoff im Lichtbogen auf den ersten Blick regelmäßiges Sechseck-Gitter bilden – unproblematisch“, erklärt McKeigue. Aber ähnlich den Waben eines Bienenstocks. falten die Nanotubes erst, der nächste Schritt bereitet Schwierigkeiten: Diese Struktur macht die Winzlinge extrem wenn sie sauber voneinan„Die produzierten Nanoröhren müssen an‑ robust: Sie gelten als das stabilste Material schließend geordnet werden. Erst das der Welt. Und auch an die elektrische und der getrennt vorliegen.“ macht sie leistungsfähig für die gewünschthermische Leitfähigkeit der „WunderröhrKevin McKeigue, Linde ten Anwendungen“, so McKeigue. Für chen“ reicht kaum ein anderes Material FORSCHUNG Autor: Sven Titz B ildquelle: Laguna Design / SPL / Agentur Focus Innovatives Verfahren ermöglicht Elektronik mit Kohlenstoff-Nanoröhren ↲↳ Winzige Wunderröhren: Nanotubes bestehen aus Kohlenstoffatomen, die zu Sechsecken verknüpft sind. Ihre Eigenschaften sind für viele HightechBranchen interessant. TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT LINDE TECHNOLOGY #1.14 // NANOTECHNOLOGIE 18 manche Applikationen müssen die CNTs in die verschiedenen Sorten sauber getrennt werden. Beides ist in der Praxis schwer zu bewerkstelligen: Ein Blick ins Rasterelektronenmikroskop zeigt, dass die hauchfeinen, einwandigen Nanoröhren ineinander verschlungen sind. Diese Schnüre verhalten sich wie widerspenstige, klebrige Spaghetti – und erreichen nicht das Leistungsprofil, das für die transparenten, elektrisch leitenden Schichten in Fernsehern, Notebooks oder Smartphones notwendig ist. Dazu müssen die Nanotubes entwirrt und in einem Lösungsmittel gelöst werden, um sie dann als gleichmäßigen Film auf der Display-Oberfläche abzuscheiden. Herkömmliche Prozesse setzen auf Ultraschall, um die CNT-Bündel zu trennen und in Lösung zu bringen. Der Nachteil dieser Methode: Die Ultraschallwellen können die einwandigen Nanoröhren stark beschädigen und so ihre Länge verringern. „Das wirkt sich negativ auf die elektrischen Eigenschaften der späteren TCFs aus“, erklärt Siân Fogden, Managerin für Markt- und Technologieentwicklung bei Linde Nanomaterials: „Je kürzer die Röhrchen, desto schlechter ist die Leitfähigkeit des Films – und das beeinflusst die Qualität des späteren Produkts.“ Aber eine viel größere Herausforderung liegt darin, die CNTs nach ihren unter- schiedlichen Eigenschaften zu trennen: „Die produzierten Nanoröhren beinhalten Exemplare mit metallischen und halbleitenden Eigenschaften“, erklärt McKeigue. Die beiden Sorten eignen sich jedoch für unterschiedliche Anwendungen. Die halbleitenden CNTs werden beispielsweise für die Herstellung von dünnen Photovoltaik-Zellen eingesetzt. Zwar gibt es Methoden, um die Carbon Nanotubes zu separieren, aber es hapert noch an der Tauglichkeit für die industrielle Produktion. Eine Option bieten Anreicherungsprozesse. Dabei werden die Kohlenstoff-Nanoröhren mit energiereichen Ultraschallwellen gelöst, bevor eine Ultrazentrifuge die CNTs anschließend voneinander trennt. Allerdings ist die Ausbeute sehr gering: Weniger als ein Prozent der Nanoröhren landen letztlich im späteren Produkt. Zudem besteht die Gefahr, dass sie durch den Ultraschall-Schritt beschädigt werden. Um ein Verfahren zu etablieren, mit dem sich kommerziell erhältliche CNTs in Hochleistungsmaterialien für die Elektronikindustrie umwandeln lassen, mussten die Linde-Experten einige Herausforderungen überwinden. Denn die Prozesse sollten auch für die industrielle Produktion funktionieren. Gemeinsam mit dem University College London (UCL), dem Imperial College (IC) und METALLISCHE UND HALB‑ LEITENDE NANO‑ TUBES OPTIMAL TRENNEN. Entwirrungstaktik für Nanotubes: Mithilfe der neu entwickelten Methode können die Forscherinnen in den Linde-Labors in San Marcos, Kalifornien, die Kohlenstoffröhrchen nach ihren elektronischen Eigenschaften auftrennen (links). Erst dann entfalten die Nanotubes ihre ganze Leistungsfähigkeit, die in der Hightech-Industrie gefordert wird (rechts, unten). Ein Blick ins Rasterelektronenmikroskop zeigt, dass die hauchfeinen Nanotubes ineinander verschlungen sind – zum Vergleich ein menschliches Haar (rechts, oben). TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT dem Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Bordeaux haben die Nano-Experten jetzt eine neue Methode entwickelt, um die Kohlenstoffröhren zuverlässig zu entwirren, zu trennen und in Lösung zu bringen. McKeigue, der bei Linde als „Talentsucher“ für neue Technologien tätig ist, begann bereits 2009 mit UCL/IC-Forschern daran zu arbeiten. Nun trägt die Kooperation zwischen akademischer Forschung und industriellem Know-how erste Früchte: Die neue Methode nennt sich „Salt-enhanced Electrostatic Repulsion“, kurz SEER. Damit lassen sich Bündel einwandiger Kohlenstoff-Nanoröhren nicht nur entwirren, sondern auch nach ihren elektronischen Eigenschaften separieren. Eine Schlüsselrolle übernimmt dabei flüssiger Ammoniak, eine Chemikalie, bei der die Linde-Ingenieure auf eine langjährige Erfahrung zurückgreifen können. Die Nanoröhren lösen sich in dem ammoniakhaltigen Lösungsmittel, laden sich negativ auf und stoßen sich aufgrund ihrer gleichen Ladung ab. Dadurch entwirren sie sich, und es liegen einzelne Stränge vor. Anschließend wird der Ammoniak entfernt und das CNT-Salz mit einem organischen Lösungsmittel behandelt: Es bildet sich eine Lösung aus einzelnen Kohlenstoff-Nanoröhren – die ideale Druckerfarbe für Hochleistungs-TCFs. Carbon Nanotubes mit einheitlicher Länge Ein weiterer Vorteil der Methode: Sie ist skalierbar. „Anders als bisherige Dispersions- und Abtrennungstechniken kann das SEER-Verfahren ohne Nachteile auf beliebig große Mengen angewendet werden“, sagt Graham McFarlane, Leiter Linde Nanomaterials. Im Vergleich zu anderen Verfahren schneidet die neue Methode besser ab. „Die durchschnittliche Länge der Carbon Nanotubes in den Lösungen beträgt bei unserem Verfahren 20 Mikrometer – und diese Länge bleibt auch erhalten“, erklärt Fogden. „Bei anderen Methoden, die auf Ultraschall basieren, verkürzen sich die Röhrchen signifikant – teilweise bis auf ein bis zwei Mikrometer“, so Fogden. Und das wirkt sich negativ auf die Eigenschaften aus. In einem weiteren Schritt wollen die Wissenschaftler jetzt die „Individualisierung“ der Röhrchen verbessern, die in den transparenten, elektrisch leitenden Schichten (TCF) eingesetzt werden. Das heißt: Die produzierten Röhrenbündel sollen noch dünner werden. „Im Idealfall blieben am Ende des Abscheidungsprozesses sogar einzelne CNTs übrig. Wenn wir dieses Ziel erreichen, ließe sich die Transparenz des Films verbessern und auch die benötigte Leitfähigkeit bliebe erhalten“, sagt McFarlane. Aber die Anforderungen der Monitor-Hersteller sind extrem hoch. „Wir brauchen eine Transparenz der leitenden Filme von mindestens 90 Prozent und einen Flächenwiderstand von höchstens 100 Ohm“, sagt McFarlane. Diesen Wert will man weiter verbessern. Der LindeExperte verspricht sich dabei viel von dem neu entwickelten Verfahren. Das wäre eine interessante Perspektive, um das teure Indiumzinnoxid zu ersetzen. Der Nanochemiker Prof. Karl S. Coleman von der Durham University sieht zudem potenzielle Anwendungen bei elektronischen Sensoren und in Batterien. LINK: www.london-nano.com NANOTECHNOLOGIE // LINDE TECHNOLOGY #1.14 19 KURZINTERVIEW „KOHLENSTOFF-NANORÖHREN SIND EXTREM LEITFÄHIG“ Prof. Karl S. Coleman, Nanochemiker an der britischen Durham University, forscht mit seiner Arbeitsgruppe seit 1998 auf dem Gebiet der Carbon Nanotubes. Linde Technology sprach mit ihm über die Besonder‑ heiten der winzigen Röhrchen. ↳ WAS MACHT KOHLENSTOFF-NANORÖHREN SO INTERESSANT? Carbon Nanotubes haben besonders gute mechanische, physikalische und chemische Eigenschaften. Die herausragenden Merkmale gehen vor allem auf die spezielle Elek‑ tronenstruktur zurück. Bei den Carbon Nanotubes sind diese „delokalisiert“, das heißt: Die negativ geladenen Elektronen erstrecken sich über mehrere atomare Bausteine hinweg – ähnlich wie bei einem Benzolring. Das verleiht den Nanoröhren beispielsweise ihre hohe elektrische Leitfähigkeit. ↳ WELCHE VERSCHIEDENEN SORTEN VON CNTS GIBT ES? Kohlenstoff-Nanoröhren können ein- oder mehrwandig sein, also nur aus einer oder mehreren ineinander gesteckten Röhren mit unterschiedlichen Durchmessern bestehen. Außerdem gibt es Exemplare mit metallischen Eigenschaften und solche mit Halbleiter-Eigenschaften. Das hängt von ihrem Durchmesser und ihrer Chiralität, also der räumlichen Anordnung der Atome, ab. ↳ WELCHE HERAUSFORDERUNGEN GIBT ES BEI DER PRODUKTION VON NANOTUBES? Bei der Herstellung von Nanoröhren entsteht immer eine Mischung. Die einwandigen CNTs besitzen einen Durchmesser von einem bis fünf Nanometer, mehrwandige Nano‑ tubes einen Durchmesser von bis zu zehn Nanometern. Unter kontrollierten Fertigungsprozessen erreichen CNTs eine Länge von einigen Mikrometern. Die Länge lässt sich steuern. Der Durchmesser ist schlechter kontrollierbar, weil er von der Partikelgröße des Katalysators abhängt. Um die großartigen Eigenschaften der Kohlenstoff-Nanoröhren nutzen zu können, kommt den Trennungsverfahren nach der Synthese also eine entscheidende Rolle zu. TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT LINDE TECHNOLOGY #1.14 // AUTOINDUSTRIE 20 Saubere Mobilität: Prüfgase für exakte Messungen SPURENSUCHE IM ABGASSTROM Die Automobilindustrie muss immer sauberere Motoren entwickeln, um die Emissionsgrenz‑ werte zu erfüllen. Damit die Messgeräte der Abgastests geringste Schadstoffmengen aufspüren können, müssen sie mit Präzisionsgasemischungen geeicht werden. Diese bietet Linde für eine Vielzahl von Schadstoffen an. Ein Prüfgas-Mix steht bereits im Guinness-Buch der Rekorde. Rund eine Milliarde Autos rollen über die Straßen der Welt. Und ihr werte einhält. Die Teststände der Autofabriken, Prüfinstitute und die Hunger nach Kraftstoffen ist gewaltig: Milliarden Tonnen Benzin und Hersteller von Sensorchips eichen ihre Geräte mit exakt dosierten Diesel verschlingen die Motoren – und pusten eine Fülle an Verbren‑ standardisierten Gasemischungen. Solche Kalibriergasgemische lie‑ nungsrückständen als Abgase in die Luft. Viele dieser Schadstoffe fert Linde unter der Marke SPECTRA® bereits seit vielen Jahren in verursachen Atemprobleme oder sind sogar krebserregend. Zwar Spezialgasebehältern – von der einfachen Gaskartusche bis zum haben die Autobauer dank moderner Katalysatoren und Rußparti‑ mannshohen -zylinder. Die Firma Bosch etwa nutzt die Linde-Gase kelfilter dafür gesorgt, dass die Fahrzeuge sauberer geworden sind. zur Vermessung ihrer Abgassensoren, bevor sie in den Autos verbaut Doch die Schadstoffemissionen sollen weltweit noch weiter sinken. werden. „Für die Sensortests brauchen wir hochpräzise Mischungen, In der Europäischen Union tritt 2014 beispielsweise die neue Euro-6- mit denen wir die Abgase von Benzin- und Dieselfahrzeugen simu‑ Norm in Kraft, die strengere Grenzwerte vorschreibt: Durfte ein Ben‑ lieren“, sagt Vaclav Pixa, Technischer Anlagenleiter bei Bosch in der zinmotor Anfang des Jahres 2000 noch 150 Milligramm Stickoxid pro Tschechischen Republik. „Die kontinuierliche Versorgung mit diesen Kilometer ausstoßen, so liegt das Limit künftig bei 60 Milligramm. Spezialgasen ist für unsere Labors besonders wichtig“, so Pixa. Für die Automobilhersteller und technischen Prüforganisationen Die immer strengeren Emissionsvorschriften stellten auch Linde ist das eine echte Herausforderung: Je weniger Schadstoffteilchen vor neue Herausforderungen: Soll ein Messinstrument bei der Abder Abgasstrom enthält, desto schwie‑ gasuntersuchung nur wenige Teilchen riger lässt sich der Gehalt präzise messen. unter einer Million anderer Teilchen, also „Auf eine Million Teile Luft kommen nur parts per million (ppm), korrekt detek‑ sehr wenige Schadstoffteilchen, die sicher tieren, muss auch das Prüfgas für die detektiert werden müssen“, erklärt Michael Eichung genauso exakt zusammengestellt Hayes, Leiter Umwelt- und Kalibriergase sein. „Unsere Gasemischungen müssen bei Linde in den USA. „Wenige Teilchen ppm-genau sein und gleichzeitig meh‑ „Für die Sensortests brauchen in einer Million oder sogar in einer Milli‑ rere Schadstoffe nachweisen können“, arde anderer Teilchen zu messen, bedeutet so Hayes. Dazu gehören Stickoxide, aber wir hochpräzise Spezialgase‑ die Nadel im Heuhaufen zu suchen“, sagt auch leicht flüchtige Kohlenwasserstoffe – mischungen, um die Fahrzeug‑ der Linde-Experte. Dafür müssen die Mess‑ so genannte Volatile Organic Compounds, geräte nicht nur extrem genau, sondern kurz VOCs. „Es muss eine Fülle von Gasen emissionen zu simulieren.“ auch exakt geeicht sein. Nur dann lässt quasi auf ein ppm genau dosiert werden. Vaclav Pixa, Bosch sich analysieren, ob der Motor die Grenz‑ An der Verfeinerung unserer Abfüllproze‑ MOBILITÄT AUTOINDUSTRIE // LINDE TECHNOLOGY #1.14 21 Rushhour rund um die Uhr: Blechlawinen wälzen sich durch die Megastädte – und pusten Schadstoffe in die Luft. Strengere Grenzwerte sollen die Emis‑ sionen eindämmen. Um die Motoren (unten) einem genauen Abgas-Check zu unterziehen, brauchen die Autohersteller und Prüfinstitute hochreine Kalibrier‑ gasgemische von Linde. Damit eichen sie die sensiblen Messgeräte ihrer Teststände im Labor. ↲ ↳ Autor: Tim Schröder Bildquelle: P. Salutos / D. Nichols / Getty Images dur haben wir mehrere Jahre lang getüftelt“, sagt der Linde-Experte. Ein besonderes Augenmerk mussten Hayes und seine Kollegen dabei auf die Wasser- und Sauerstoffmoleküle richten: Weil diese mit eini‑ gen der Kalibriergase sofort chemisch reagieren, wäre die Mischung schnell unbrauchbar. In dem neu entwickelten Verfahren werden die Wassermoleküle durch mehrstufiges Erhitzen der Gasflasche aus‑ getrieben. Und Vakuumpumpen sorgen dafür, dass auch die letzten Sauerstoffmoleküle verschwinden. Zudem musste die Beschaffen‑ heit der Zylinderwand so gewählt werden, dass keine Gasmoleküle hängen bleiben oder mit dem Material reagieren. „Um sicherzuge‑ hen, dass wir schließlich reproduzierbar exakte Gasmengen abfüllen, mussten wir unsere Anlage immer wieder durchmessen und jeden Schritt mehrfach testen“, sagt Hayes. Mehr als 100 Substanzen ppm-genau abfüllen Benzin und Diesel bestehen fast ausschließlich aus leichtflüchtigen Kohlenwasserstoffen – den VOCs –, die bei der Verbrennung im Motor in andere Verbindungen wie Kohlendioxid umgewandelt werden. Allerdings bläst ein Auto vor allem in den ersten fünf Minu‑ ten Dutzende verschiedene Schadstoffe in die Luft. Denn anfangs ist der Motor noch kalt, der Treibstoff verbrennt unvollständig, und es gelangen viele VOCs ins Abgas. Das ist besonders fatal, weil viele VOCs krebserregend sind. Früher fasste man diese Verbindungen in einem Messwert zusammen: der Gesamtmenge an Kohlenwas‑ serstoffen. „Die strengeren Abgasnormen schreiben jetzt vor, dass bestimmte VOCs einzeln nachgewiesen werden müssen“, sagt Hayes. Die Prüfgasflaschen aus den Linde-Labors enthalten deshalb auch unterschiedlichste VOCs. Der Rekord liegt bei 110 verschiedenen Substanzen in einem Zylinder. Jede einzelne liegt in einer Konzentration von exakt einem ppm vor – abzüglich der üblichen Präparations- und Messungenauigkeiten. Zwei Tage dauert es, um eine Gasflasche derart präzise zu befüllen. Das hat Hayes nicht nur Respekt in der Fachwelt eingebracht, sondern Linde auch einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde. „Solche genauen Messstandards gibt es gewöhnlich nur bei staatlichen Eich- oder Prüfbehörden wie der Bun‑ desanstalt für Materialprüfung“, sagt Stephen Harrison, bei Linde glo‑ bal verantwortlich für Spezialgase und dazugehörige Ausstattung. „Mit unserer SPECTRA® VOC-Kalibriergasmischung, die wir unter der Dach‑ marke HiQ® vertreiben, haben wir jetzt die Nase vorn. Keine andere Institution ist in der Lage, VOCs und andere Schadstoffe in diesem Umfang und dieser Präzision zu einem Eichgas zu mischen“, so Harrison. Der Erfolg gibt den Linde-Experten Recht: Als erstes Labor weltweit hat das Team eine Zertifizierung nach dem internationalen Prüfstan‑ dard ISO 17025 für die VOC-Bestimmung in Messapparaturen erhalten. Und die Linde-Entwicklung hat eine große Zukunft vor sich: Sie eignet sich auch für den Nachweis von Schadstoffen, die bei der Ver‑ brennung von Bioethanol entstehen – wie zum Beispiel Formaldehyd. Gleiches gilt für Ammoniak, das eingesetzt wird, um Stickoxide im Abgas zu neutralisieren. Die präzisen Kalibriergasgemische von Linde leisten damit einen wichtigen Beitrag, um den Herausforderungen immer strengerer Umweltvorschriften gerecht zu werden. LINK: www.dieselnet.com TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ENERGIESPEICHER 22 SONNENKRAFT AUF ABRUF Bei Nacht oder schlechtem Wetter produzieren Solarkraftwerke keinen Strom. Doch regenerative Energie ist rund um die Uhr gefragt. Um Sonnenenergie effizient zu speichern, sind neue Technologien notwendig. Ein Weg sind latente Wärmespeicher auf Salzbasis. Linde arbeitet gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt daran, dieses Konzept zu etablieren – und künftig auch für weitere Prozesse verfügbar zu machen. Diese Sonnenanbeter brauchen keinen UV-Schutz. Gelassen stre- bler zu machen. Ein aktuelles Projekt in Kooperation mit dem Deutcken die Parabolspiegel ihre silbrigen Körper gen Himmel in das glei- schen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) heißt Direct Steam ßende Licht – und fangen gigantische Energiemengen auf. 1,5 Trilliar- Generation Store, kurz DSG-Store. Dabei geht es um die Entwicklung den Kilowattstunden (eine Zahl mit 21 Nullen) schickt die Sonne pro einer neuen Generation von Wärmespeicher-Lösungen für solartherJahr auf die Erde. Mithilfe derzeit verfügbarer Technologien könnte mische Kraftwerke. „Wir erhoffen uns auch wichtige Erkenntnisse, die Solarkraft bereits 380 Prozent des Weltenergiebedarfs decken. um ähnliche Systeme für Industrieprozesse etablieren zu können – Um die Sonnenenergie bestmöglich zu nutzen, folgen die Parabol- beispielsweise zur Nutzung von Abwärme“, sagt der Linde-Experte. spiegel dem Sonnenstand automatisch, damit ihnen keine LichtstrahDie Art des Wärmeträgermediums spielt eine Schlüsselrolle. Bislen entgehen. Die gebogenen Flächen bündeln sie im Brennpunkt auf lang fließt durch die Receiverröhren von Parabolspiegel-Kraftwerken ein langgezogenes Rohr, die so genannte Receiverröhre, die über der ein so genanntes Thermoöl. Es erwärmt sich auf seinem Weg durch Spiegelfläche angebracht ist. „Darin strömt ein Wärmeträgermedium, das Solarfeld auf etwa 390 Grad Celsius. In einem zweiten Schritt das sich aufheizt. Es nimmt die Sonnenenergie auf und überträgt erhitzt es Wasser zu Wasserdampf, der dann eine Turbine zur Strom‑ sie vom Solarfeld ins Kraftwerk“, erklärt Stefan Hübner, Projektlei- erzeugung antreibt. Aber das Thermoöl hat einen Nachteil: Das ter Energieproduktion und Speicherung im Bereich Clean Energy und Medium zersetzt sich oberhalb von 400 Grad Celsius. Um mit höheren Innovationsmanagement bei Linde. „Die Temperaturen arbeiten und mehr Wärme darin gespeicherte Energie lässt sich dann speichern zu können, will man bei dem zur Stromerzeugung nutzen – zumindest so Konzept von Linde und dem DLR stattdeslange die Sonne scheint“, so Hübner. sen Wasser als Wärmeträger nutzen. Das Denn sobald die Dämmerung naht, ist hat Vorteile: „Wenn wir Wasser bereites vorbei mit der Sonnenernte und das stellen, das unter einem Druck von etwa Solarkraftwerk produziert keinen Strom. Es 120 Bar steht, lässt sich der Wasserdampf „Die solare Direktverdampsei denn, man speichert die über den Tag auf eine Temperatur von über 500 Grad gesammelte Wärme. „Dann ließe sich die Celsius erhitzen“, erklärt Projektleiter Marfung von Wasser erfordert regenerativ erzeugte Energie auch nachts kus Eck vom DLR-Institut für Solarforschung. angepasste Speicherkonzepte nutzen“, sagt Hübner. Gemeinsam mit seiDas steigert die Prozesstemperatur und nen Kollegen von der Linde-Tochtergeden Wirkungsgrad des Kraftwerks deut– wie Latentwärmespeicher.“ sellschaft Bertrams Heatec arbeitet er an lich. Aber die Direktverdampfung erfordert Markus Eck, DLR Lösungen, um die Sonnenenergie flexi‑ angepasste Speichertechnologien. ENERGIE Autorin: Caroline Zörlein B ildquelle: D. Nunuk / SPL / Agentur Focus [M] Flexible Wärme: Speichertechnologien mit Salzschmelzen ↲↳ ENERGIESPEICHER // LINDE TECHNOLOGY #1.14 23 Reiche Energieernte: Parabolspiegel fangen die Sonnenstrahlen ein und bündeln sie auf Röhren. Darin zirkuliert ein Wärmeträgermedium, das die Sonnenenergie zur Speicher- bzw. Kraft‑ werkseinheit führt. TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ENERGIESPEICHER 24 SONNENWÄRME EINFANGEN Wasserdampf Salz Die solare Direktverdampfung nutzt Wasser als Wärmeträgermedium. Es strömt durch die Receiverrohre, auf die die Parabolspiegel das Sonnenlicht konzentrieren. Das Was‑ ser erwärmt sich zu heißem Dampf. Die darin gespeicherte Energie lässt sich von Dampfturbinen und Gene‑ ratoren in Strom umwandeln. Um die Sonnenenergie für den Nachtbetrieb zu speichern, wird die Energie des überhitzten Wasserdampfs von meh‑ reren Wärmespeichern aufgenommen: Zuerst wird die fühlbare Wärme über Wärmetauscher in einem Flüssigsalz gespeichert (heißer Speichertank). Anschließend nimmt der Latentwär‑ mespeicher die Verdampfungswärme auf. Danach kann noch vorhandene fühlbare Wärme des nun konden‑ sierten Dampfes im Flüssigsalz (Zwi‑ schenspeicher) eingefangen werden. Der kalte Speichertank dient der Lagerung des Flüssigsalzes im unge‑ ladenen Zustand. Ventile (geschlossen, für Entladevorgang) Ventile (geöffnet, für Beladevorgang) Heißer Speichertank Sonnenkollektoren Salz Zwischenspeicher Salz Wasser Solarfeld Um die Wärme zu speichern, eignen sich beispielsweise Salzschmelzen. „Das so genannte Solar Salt, derzeit die Salzmischung der Wahl, besteht aus Kalium- und Natriumnitrat“, erklärt Markus Weikl, Produktmanager bei Bertrams Heatec in der Schweiz. Für die Solarthermie müssen die beiden Komponenten extrem sauber sein, weil Verunreinigungen wie Chloride zu Korrosion in den Leitungen führen können. Stand der Technik sind: mit Thermoöl betriebene Solarkraftwerke, in denen diese flüssige Salzmischung als sensibler Wärmespeicher eingesetzt wird. „Sensibel deshalb, weil die Wärmeenergie durch die Erhöhung der Temperatur fühlbar ist“, sagt Weikl. In zwei großen Tanks lagern unterschiedlich temperierte Salzschmelzen. Mehr als 30.000 Tonnen passen in ein Tankpaar. Tagsüber wird das flüssige Salz aus dem kalten Tank mit 290 Grad Celsius in einen Wärmetauscher gepumpt. Dort nimmt es die Energie aus dem sonnenerhitzten Thermoöl auf – und erreicht so eine Temperatur von etwa 380 Grad Celsius. Nachts wird die Schmelze in den kälteren Tank zurückgeleitet. Wärmetauscher entziehen die gespeicherte Energie und speisen sie in den Kraftwerksbetrieb zur Stromerzeugung. Die Salzschmelze könnte sogar noch größere Wärmemengen aufnehmen – maximal 565 Grad Celsius. Für den überhitzten Wasserdampf und somit den Wirkungsgrad des Kraftwerks wäre das eine ideale Temperatur. Deshalb testet man auch Anlagen, bei denen statt Thermoöl zum Beispiel die Salzschmelze direkt durch das Solarfeld zirkuliert. Neben der höheren Einsatztemperatur können Direkt- Kalter Speichertank Speichersystem salzanlagen ebenfalls auf einfache Art und Weise mit einem sensiblen Wärmespeicher kombiniert werden. „Aber das System birgt auch Nachteile: Sinkt die Temperatur unter 240 Grad Celsius, erstarrt die Salzschmelze. Da die Receiverrohre einen geringen Durchmesser besitzen, kann das Salz über Nacht schnell gefrieren – und das Kraftwerk wäre am nächsten Tag nicht einsetzbar. „Erstarrtes Salz lässt sich nur mit großem Aufwand wieder aufschmelzen“, so Weikl. „Die Receiverrohre müssen also über Nacht unter hohem Energieaufwand warmgehalten werden. Hierfür werden etwa sechs Prozent der im Jahresmittel eingesammelten Sonnenenergie benötigt“, erklärt der Linde-Experte. Daher suchen Wissenschaftler nach Salzmischungen, die erst bei möglichst niedrigen Temperaturen fest werden. Beim Projekt DSG-Store setzen Linde und das DLR auf die direkte Dampferzeugung im Solarfeld in Verbindung mit latenten Wärmespeichern. Diese Technologie kombiniert den Vorteil der hohen Dampftemperatur und Wirkungsgrade mit dem Einsatz eines sehr gut handhabbaren Wärmeträgermediums ohne aufwendige Gefrierschutzmaßnahmen. „Aber für die solare Direktverdampfung brauchen wir angepasste Speichertechnologien, um den großen Energieanteil im Wasserdampf effizient zu speichern“, weiß DLRExperte Eck. Latente Wärme ist „verborgene“ Energie, die ein Material während eines Phasenwechsels – beispielsweise von fest nach flüssig – aufnimmt, ohne dass sich die Temperatur fühlbar verändert. Spezielle Nitratsalze können das leisten, weshalb sie auch im Herz- TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT ENERGIESPEICHER // LINDE TECHNOLOGY #1.14 25 Dampfturbine und Generator Wärmetauscher Kondensator Latentwärmespeicher Pumpe Wärmetauscher Vorwärmer Kraftwerkseinheit stück der Linde-DLR-Kooperation stecken: dem Latentwärmespeicher – ein Salztank, in dem lange Rohre installiert sind, durch die der Wasserdampf strömen kann. Die Rohre sind außen mit feinen Aluminium-Lamellen versehen. „Diese sorgen dafür, dass der Wasserdampf seine Wärmeenergie besonders gut auf das Speichersalz übertragen kann“, sagt Eck. Das steigert den Wärmetransfer um ein Vielfaches. „Um die Energie aus dem System wieder freizusetzen und nutzen zu können, ist es wichtig, dass die Salzschmelze fest wird“, erklärt der DLR-Experte. Nach einem sehr ähnlichen Prinzip arbeiten auch die Handwärmer für die Jackentasche. Die Energiespeicherung in Solarthermie-Kraftwerken soll genauso funktionieren: Die Sonne lädt über den Wasserdampf das feste Salz mit Wärme auf. Dabei schmilzt es. Entzieht man ihm diese Energie später, kristallisiert das Salz wieder aus und kann erneut Sonne tanken. Der Vorteil der Latentwärmespeicher: Damit lässt sich die verborgene Wärme speichern, die im Wasserdampf selbst steckt – die so genannte Verdampfungsenthalpie. Hübner: „Über 60 Prozent des durch die Sonnenwärme aufgenommenen Energiegehalts ist im Phasenwechsel vom siedenden Wasser zum gesättigten Dampf enthalten. Und diese Energie lässt sich nur mit latenten Salzspeichern effizient sammeln.“ Aber die Wärmebunker sind nicht nur für Solarkraftwerke interessant. „Großes Potenzial bieten die Latentwärmespeicher auch für konventionelle Kraftwerke, die ebenfalls mit Dampf und Wärme arbeiten. Zum Beispiel Industriekraftwerke, die ihre Kraft- und Wärmeerzeugung entkoppeln wollen, Effizienter Wärme‑ transfer: Die Rohre, die den Latent‑ wärmespeicher durchziehen, sind außen mit feinen Aluminium-Lamellen versehen (oben). So kann der Wasser‑ dampf seine Wärme besonders gut auf das Speichersalz übertragen. Noch sind Solarkraftwerke (rechts) die Haupt‑ anwendung, doch auch Industrie‑ prozesse könnten von den Speicher‑ lösungen profitieren. könnten von der Technologie profitieren“, so der Linde-Ingenieur. Zudem fallen bei vielen Prozessen große Mengen Abwärme an, die sich in den Salzschmelzen speichern und wiederverwenden lassen. Für die Experten von Linde, Bertrams Heatec und dem DLR steht nach dem DSG-Store-Projektstart die nächste Phase an. „Nachdem das DLR in Labortests und einem Demonstrationsprojekt gezeigt hat, dass das System funktioniert, geht es jetzt darum, die Komponenten und das Gesamtkonzept zu verbessern“, sagt Hübner. Dazu gehören Computersimulationen zur Optimierung des Wärmeübergangs, die Entwicklung von industriellen Fertigungsverfahren für den La‑ tentwärmespeicher und der Bau eines Testmoduls. Koordiniert wird das Projekt vom Linde Innovationsmanagement. Hübner: „Durch das Know-how der Kollegen von Bertrams Heatec und der Linde Engineering Division werden wir bestens unterstützt – beispielsweise bei der Wärmeübertragung und Prozessauslegung, dem Tankdesign sowie der industriellen Fertigung der mit Aluminium-Lamellen bestückten Rohre. Das gebündelte Wissen im Konzern beeindruckt mich immer wieder“, freut sich der Jungingenieur, der auch auf dem Fachgebiet promoviert. Dass dem Team gute Erfolgschancen eingeräumt werden, zeigte sich Ende 2013. „Im Dezember erhielten wir den Förderbescheid des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – und können jetzt richtig loslegen“, freut sich Hübner. Jetzt arbeiten die Experten daran, das System weiterzuentwickeln und verfahrenstechnisch auf die Solarkraftwerke abzustimmen, um den Sonnenstrom tagesunabhängig zu machen. LINK: www.dlr.de LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ELEKTRONIKINDUSTRIE 26 Reinste Räume für elektro‑ mechanische Wunderwerke: Die filigranen Mikrostrukturen müssen mit Spezialgasen exakt herausgeätzt werden. TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT ELEKTRONIKINDUSTRIE // LINDE TECHNOLOGY #1.14 27 Bildquelle: C. Cuthbert / SPL / Agentur Focus Autor: Sebastian Kirschner Spezialgase für die Halbleiterindustrie ↲↳ MOTOR DER MIKROMECHANIK Ob autonomes Fahren oder hochintelligente Logistik: Informationsaustausch zwischen Maschinen untereinander und mit ihrer Umwelt wird immer wichtiger – und Mikrosysteme im Auto oder Smartphone helfen dabei. Die Mikromechanik könnte jetzt den nächsten Schub in der Halbleiterindustrie auslösen – forciert durch das Spezialgas Xenondifluorid sowie Prozesstechnik von Linde und seinem strategischen Partner Pelchem. Nach einem schweren Autounfall zählt oft jede Sekunde – und die eure müssen auch ihre Herstellungsprozesse verbessern. Moderne Bordelektronik kann zum Lebensretter werden: Denn mittels auto- MEMS bestehen heute aus bis zu 20 verschiedenen Elementen und matischem Notrufsystem „eCall“ alarmieren bereits heute Fahrzeuge werden üblicherweise unter Verwendung von Silizium oder Galliden Notarzt oder die Verkehrsleitstelle – sekundenschnell und voll- umarsenid hergestellt. Die Bearbeitung dieser Halbleitermaterialien automatisch. In vielen Oberklassewagen arbeiten die elektroni- erfordert spezielles Know-how, um die filigranen Hightech-Komposchen Wächter schon, und ab Oktober 2015 sollen alle Neuwagen nenten aufzubauen, denn MEMS sind elektromechanische Wunderin der EU verpflichtend damit ausgestattet werden. Die Schlüssel‑ werke: Auf einer Fläche von deutlich unter einem Quadratmikrometechnologie für solche lebensrettenden Sensoren, die Maschinen ter werden winzige Federn gespannt, bewegen sich Balken, arbeiten untereinander und mit ihrer Umwelt intelligent vernetzen, heißt Gewichte und greifen Zahnräder ineinander. Derart klassische Mechanik im Mikroformat lässt sich nur er‑ Mikro-Elektro-Mechanische Systeme, kurz MEMS. „Schon seit vielen Jahren nutzt man solche Kleinstsensoren im Auto. Sie messen zeugen, indem die Strukturen geätzt werden. „Früher nutzte man beispielsweise Beschleunigungen bei einem Aufprall und lösen dafür flüssige Chemikalien, heute setzt man immer häufiger Spezial‑ gase ein“, erklärt Andreas Weisheit, Leidann zuverlässig den Airbag aus“, erklärt ter Marketing und Planung bei Linde ElecGreg Shuttleworth, Globaler Produkttronics. Denn die immer kleineren und manager Spezialgase bei Linde Electrokomplexeren Mikrosysteme erfordern nics. Jetzt rechnen Experten mit einem einen wesentlich exakteren Produktirasanten Wachstum der Technologie, die onsprozess. Weisheit: „Diese filigranen nicht nur unsere Autos revolutionieren Strukturen lassen sich mittlerweile nur kann, sondern in vielen Industrieberei„Spezialgase haben keine noch mit Spezialgasen realisieren“. Beichen völlig neue Möglichkeiten eröffnet: spiel Drehsensor: Um aus einer Fläche vom Gesundheitsdiagnoselabor auf dem Oberflächenspannung oder aus Siliziumoxid einen beweglichen DrehMikrochip über eine hocheffiziente LogisHaftreibung. Das ist ideal sensor zu ätzen, benötigt man wassertik bis zum Internet der Dinge. freies Fluorwasserstoffgas (HF). Doch Für eine breitere Anwendung der für die MEMS-Produktion.“ erst mehrere Ätz- und Abscheideschritte MEMS benötigt die Industrie nicht nur Dr. Petro Terblanche, Pelchem bilden die feinen Mikrostrukturen vollneue Normen und Richtlinien, die Ingeni- ELEKTRONIK TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ELEKTRONIKINDUSTRIE 28 ständig aus. „Das funktioniert ähnlich wie bei der Halbleiter‑ fertigung“, erklärt Shuttleworth. Daher produzieren bereits viele große Halbleiterhersteller derartige MEMS-Komponenten. Xenondifluorid ermöglicht gleichmäßiges Ätzen „Die Qualitätsanforderungen an die Produktionsmittel – und damit auch an die Ätzsubstanzen – sind sehr hoch und wachsen mit der Miniaturisierung der Systeme und der Vielfalt der genutzten Werkstoffe“, erklärt Weisheit. Zusammen mit seinem Team arbeitet er daran, Linde-Spezialgase bestmöglich an die Anforderungen der Elektronikindustrie und die Herstellung der MEMS anzupassen. „Denn anders als flüssige Ätzmittel haben Spezialgase keine Oberflächenspannung oder Haftreibung. Solche Eigenschaften könnten die immer feineren Mikrostrukturen schon zerstören, während sie entstehen“, erläutert Dr. Petro Terblanche, Geschäftsführer von Pelchem SOC Ltd. Bereits seit 2008 verbindet das südafrikanische Spezial‑ unternehmen für fluorierte Gase und Linde eine enge Partnerschaft, unter anderem bei Fluor (F₂) und Stickstofftrifluorid (NF3). Gemein- sam verbessern sie die Produktionsprozesse beim Kunden, denn: „Nicht jedes Ätzgas passt auch zu jedem Material“, erklärt Weisheit. Die Spezialgase müssen nicht nur ultrarein sein. Für die exakte Herstellung der Hightech-Produkte ist es auch wichtig, dass die Gase hochselektiv reagieren, also nur ganz bestimmte Oberflächen von Halbleitermaterialien angreifen. Um die feineren Mechanikstrukturen auf den MEMS zu erzeugen, muss häufig auch Siliziumoxid abgetragen werden. Es ist daher üblich, hochreinen Fluorwasserstoff als Ätzgas einzusetzen. „Immer öfter müssen wir bei den MEMS aber auch reines Silizium bearbeiten, um beispielsweise einen Drucksensor herzustellen“, erklärt Linde-Elektronik‑ experte Shuttleworth. Und dazu setzt die Industrie jetzt verstärkt auf das Spezialgas Xenondifluorid (XeF₂) – eine der wertvollsten Fluorchemikalien. Denn das Gas erlaubt es, die komplexen Strukturen nicht nur schnell zu produzieren; XeF₂ besitzt noch einen weiteren Vorteil: „Es ätzt sehr gleichmäßig in alle Richtungen und sehr selektiv – und das speziell bei Silizium“, sagt Shuttleworth. Die übrigen Strukturen bleiben erhalten und frei von Rückständen. FEINSTE MIKROSTRUKTUREN HOCHSELEKTIV PRODUZIEREN. Mechanik im Kleinstformat: Der elektrostatische Motor (rechts, unten) wandelt elektrische in mechanische Energie um. Hochwertige MEMS-Komponenten (links) sind Teil vieler Technologietrends – wie dem Internet der Dinge, das nur mithilfe riesiger Serverfarmen entstehen kann (oben, rechts). TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT ELEKTRONIKINDUSTRIE// LINDE TECHNOLOGY #1.14 29 MIKROSYSTEME HOCH IM KURS Der globale MEMS-Markt wächst: Analysten von Yole Développement erwarten Wachstumsraten von etwa 13 Prozent. Vor allem in Smartphones und Tablets werden die begehrten Bauteile verstärkt eingesetzt, aber auch in Fahrzeugen bieten sich interessante Anwendungsmöglichkeiten (siehe Grafik unten, rechts). Milliarden US-Dollar Drucksensor für Einspritzventil GPS-Navigation / Trägheitsnavigation Drahtlose Kommunikation 14 12 Beschleuni‑ gungssensor für Fahrwerk Fest installierte Kommunikation 10 Militärische & zivile Luftfahrt 8 Abgassensor Beschleunigungssensor für Airbag Medizinische Elektronik 6 Industrie 4 Daten‑ verarbeitung 2 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 0 Unterhaltungselektronik Automobilbereich Quelle: MEMS Market Tracker, IHS Electronics & Media, Yole Développement Aber nur wenige Unternehmen weltweit können den entscheidenden Rohstoff Xenondifluorid im Industriemaßstab herstellen oder anbieten. Deshalb arbeiten Weisheit und sein Team auch bei diesem Spezialgas eng mit Pelchem zusammen. Das süd‑ afrikanische Unternehmen bietet XeF₂ bereits seit 1998 für die Elektronikindustrie an und ist hier Weltmarktführer. Weisheit: „Durch diese Zusammenarbeit ermöglichen wir der Elektronik‑ industrie, die steigende Nachfrage an MEMS-Geräten zu decken.“ Die Linde-Ingenieure verbinden ihr breites Vertriebs- und ServiceNetzwerk mit Pelchems hohen Produktionskapazitäten: „Denn mit der weltweit größten Xenondifluorid-Produktionsanlage kann Pelchem alle Anwendungen dieses Gases unterstützen – von der universitären Forschung bis hin zur industriellen Serienfertigung“, sagt Terblanche. Das wird auch die Entwicklung der Mikrosysteme beschleunigen. Mehr als 100 Hightech-Sensoren in einem Auto Zahlreiche Einsatzmöglichkeiten der MEMS stecken zwar noch in der Entwicklung, die häufig an verschiedensten Universitäten überall auf der Welt betrieben wird. Doch schon heute stehen immer wieder Projekte an der Schwelle zur Serienreife. „Internetwachstum, Cloud-Computing und verbesserte Halbleitertechnologien werden die MEMS-Entwicklung weiter vorantreiben“, erklärt Shuttleworth. Ob voll vernetzte Mobilität oder Augmented Reality (erweiterte Realität) – die mikromechanischen Sensoren und Umwandler ermöglichen es, aus vielen Geräten gleichzeitig Daten zu analysieren und zu nutzen – ferngesteuert und in Echtzeit. Schon jetzt verbauen Automobilhersteller mehr als 100 Hightech-Sensoren in einem Neuwagen – Tendenz steigend. Und der MEMS Industry Report prognostiziert eine jährliche Wachstumsrate des MEMSMarktes von 13 Prozent bis 2017. MEMS-Komponenten sind ein wesentlicher Bestandteil des neuesten „mehr als Moore“ Technologietrends. Der Chemiker Gordon Moore hatte 1965 angekündigt, dass sich die Anzahl der Transistoren auf einem Mikrochip etwa alle zwei Jahre verdoppeln würde. Das gilt im Wesentlichen immer noch für die traditionelle Halbleitertechnologie. Doch die Hersteller arbeiten derzeit an der Integration zusätzlicher Funktionalitäten (wie den MEMS), die zwar nicht im gleichen Maße Moores Gesetz folgen, aber erweiterte Möglichkeiten bieten. Und seit Gründung der exklusiven Vertriebspartnerschaft mit Pelchem sieht Weisheit Linde erst recht gut aufgestellt, um die künftigen Anforderungen der Elektronikindustrie weltweit zu erfüllen: „Die Zukunft der Mi‑ krosysteme hängt von Spezialgasen ab“, ist Weisheit überzeugt. LINK: www.memsindustrygroup.org TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT LINDE TECHNOLOGY #1.14 // INTERVIEW 30 Interview „FÜR INNOVATIONEN AN GRENZEN GEHEN“ Wie sehen Strategien für die Industrie von morgen aus? Linde Technology sprach hierzu mit Sven Godorr aus dem Bereich Forschung und Entwicklung bei Sasol, einem internationalen integrierten Energie- und Chemieunternehmen aus Südafrika. ↳ WIE STELLT SICH FÜR SIE DER ENERGIEMIX DER ZUKUNFT DAR UND WELCHE HERAUSFORDERUNGEN ENTSTEHEN DADURCH? Langfristig kann die Gesellschaft in ihrer heutigen Form nur überleben, wenn es uns gelingt, den Energiebedarf größtenteils aus erneuerbaren Quellen zu decken. Kurz- und mittelfristig werden wir weiter von fossilen Brennstoffen abhängig sein. Nach meiner Einschätzung befinden wir uns derzeit in der Mitte des „Kohlenwasserstoff-Zeitalters“ und seiner kostengünstigen Rohstoffe. Zuerst lag der Schwerpunkt auf Kohle, dann auf Öl und jetzt auf Gas. Mangelnde Alternativen könnten eine Rückkehr zu Kohle notwendig machen. In den nächsten Jahrzehnten stehen wir vor einer spannenden Aufgabe: Der Umstellung auf einen immer vielfältigeren Energiemix, der Integration ins Energienetz und mehr Effizienz. Dafür sind innovative stationäre und mobile Speicherlösungen gefragt, insbesondere für elektrischen Strom. ↳ WELCHE ROLLE WERDEN KOHLE UND GAS HIERBEI SPIELEN? Kurzfristig bleibt Kohle aufgrund großer Reserven eine kostengünstige Alternative, deren umweltverträgliche Verarbeitung allerdings schwierig ist. Bei der Suche nach konkurrenzfähigen erneuerbaren Energien hat uns unkonventionelles Erdgas eine wichtige Atempause verschafft. Dessen effektive Nutzung in verschiedenen Energieanwendungen spielt eine immer größere Rolle. Ich denke für Unternehmen wie Sasol und Linde ist es entscheidend einzuschätzen, wie viel Erdgas herkömmlich als komprimiertes Erdgas (CNG) oder Flüssigerdgas (LNG) verwendet und wie viel in andere Kraftstoffformen umgewandelt wird. In seiner Funktion als Energieträger dürfte Erdgas auch mit Wasserstoff konkurrieren und konventionelle Kraftstoffe wie Diesel, Schweröl oder Benzin ersetzen. ↳ WIE GEHT SASOL MIT DIESEN AUFGABEN UM? Wir sind in der technologisch günstigen Position, hochwertige Flüssigkraftstoffe aus Rohstoffen wie Kohle, Gas und sogar Biomasse oder Abfall zu erzeugen. Unsere Produkte bedienen die üblichen Verkehrsströme, aber auch spezielle Anwendungen: Sehr sauberer Dieselkraftstoff ist beispielsweise im Bergbau oder bei städtischen Omnibus-Flotten gefragt, wo es auf geringe Partikelemissionen ankommt. Zudem können wir mit unserer Technologie gut auf Veränderungen beim Rohstoffangebot und seiner Wertentwicklung, die durch den Schiefergas-Boom in den USA ausgelöst wurden, reagieren. So bauen wir derzeit in Louisiana eine GTL-Anlage mit einer Kapazität von rund 100.000 Barrel pro Tag: Dort werden wir mit unserer Gas-to-Liquids-Technologie leicht verfügbares Erdgas in Diesel umwandeln. Der Flüssigkraftstoff bietet mit seinen niedrigen Schwefel- und Aromatenanteilen sowie hohen Cetan-Werten große Vorteile. Bei diesem Projekt geht es auch um die Extraktion hochwertiger Chemierohstoffe für Spezialanwendungen. ↳ WIE SIEHT ES MIT STRATEGISCHEN KOOPERATIONEN UND PARTNERSCHAFTEN AUS? Viele Verfahrenstechnologien haben wir selbst entwickelt. Für spezielle Projekte arbeiten wir aber auch mit externen Partnern zusammen. Über unsere Schlüsseltechnologien möchten wir jedoch möglichst immer die volle Kontrolle behalten, um Wettbewerbsvorteile nachhaltig ausbauen zu können. Dennoch haben wir in der Vergangenheit sehr von der frühzeitigen Einbindung von Engineering-Kontraktoren profitiert. Mit Linde haben wir beispielsweise vor einigen Jahren hinsichtlich chemischer Extraktionsprozesse eng zusammengearbeitet. TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT DIE ORYX-GTL-ANLAGE VON SASOL IN RAS LAFFAN IN KATAR. ↳ INWIEFERN PROFITIERT SASOL VON DER ZUSAMMENARBEIT MIT EINEM ENGINEERING-DIENSTLEISTER? Ein Partner, der über eine ausgeprägte Technologiekultur verfügt wie Linde, bietet einen großen Mehrwert: Exakte Daten, leistungsfähige Modelle und solides Engineering schaffen eine starke Basis. Gerade in der Pilotphase sind detaillierte Messungen und Prüfungen für eine effektive Anlagenskalierung und effiziente Vermarktung unerlässlich. Während meiner Zeit bei Linde habe ich intensiv erfahren, wie wichtig es ist, Grundlagen in Thermodynamik, Hydraulik und Chemie mit höchster Ingenieurssorgfalt zu vereinen. Wenn wir mit Linde zusammenarbeiten, können wir uns auf exzellentes Engineering, hohe Effizienz sowie eine ausgewogene Sichtweise auf Anlagenplanung und -betrieb verlassen. Das erhöht die Chancen auf eine erfolgreiche Kommerzialisierung enorm. ↳ Bildquelle: Sasol ↳ FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG IST DAS HERZSTÜCK EINES UNTERNEHMENS. WIE MANAGT SASOL SEINE F & EAKTIVITÄTEN? Wir waren schon immer bereit, für Innovationen bis an unsere Grenzen zu gehen und nachhaltig in Forschung, Entwicklung und Personal zu investieren. Dies ist keine schnelllebige Industrie. Bis eine Idee oder Erfindung erfolgreich auf dem Markt ist, vergehen viele Jahre. Für unseren F & E-Erfolg ist entscheidend, dass das Technikteam, die Geschäftsebene und die strategische Zielsetzung bestmöglich aufeinander abgestimmt sind. In unseren Forschungs- und Entwicklungsprojekten wenden wir den anerkannten Stage-Gate-Prozess an. Und wir achten stets darauf, dass der Mix unseres Forschungsportfolios noch zur strategischen Ausrichtung passt. INTERVIEW // LINDE TECHNOLOGY #1.14 31 Sven Godorr, Executive Manager Research and Technology, Sasol ↳ WELCHES SIND IHRE WICHTIGSTEN WACHSTUMSMÄRKTE? Der US-Markt ist zweifelsohne ein Sonderfall und eher kurzfristig zu sehen. Die Entdeckung riesiger Gasvorkommen in Mosambik, also vor unserer Haustür, bietet uns große Chancen. Ich denke, ähnliche Projekte ergeben sich weltweit auch in anderen Regionen, sobald die Technologie zur Förderung konventioneller und unkonventioneller Reserven ausgereift und global verfügbar ist. Die Option, mit unserem GTL-Prozess wertvolle Chemikalien zu erzeugen und mit Produkten, die aus Erdgas gewonnen werden, zu kombinieren, wird unsere Chemiesparte sicher beflügeln. ↳ WIE WIRD SASOL DEM TREND „SAUBER UND GRÜN” GERECHT? Für ein Unternehmen, das Kohlenwasserstoffe verarbeitet und vor allem Brennstoffe produziert, ist das eine große Herausforderung. Das beginnt schon bei der Rohstoffwahl: Wir bevorzugen Gas statt Kohle. Thermodynamisch ist es effizienter, wasserstoffreiche Einsatzstoffe umzuwandeln als wasserstoffarme. Wir investieren viel, um unsere Gaskreisläufe zu optimieren und einen maximalen Wirkungsgrad zu erreichen. Das verbessert den ökologischen Fußabdruck und auch die Wirtschaftlichkeit. Zudem versuchen wir, unsere Produkte zu verbessern: Synthetischer Diesel zum Beispiel ist schwefel- und aromatenfrei, das reduziert die Partikelemissionen von Motoren deutlich. Zudem setzen wir auch Biomasse als Rohstoff ein und haben eine Reihe neuer Wasseraufbereitungsverfahren entwickelt. LINK: www.sasol.com LINDE TECHNOLOGY #1.14 // STAHLINDUSTRIE 32 ENERGIEDIÄT FÜR HEISSE WINDE Linde und Siemens haben ein Abgasrecycling für Stahlwerke entwickelt, das den Energieverbrauch und die Schadstoffemissionen senkt. Das Verfahren zahlt sich nicht nur für die Umwelt aus, sondern schon nach kurzer Zeit auch für die Betreiber. Stahlkocher brauchen Energie: Das Höllenfeuer im Hochofen brennt mit Temperaturen über 1.400 Grad Celsius – dabei schmelzen Eisen‑ erze mit Koks und Zuschlagstoffen zu glühendem, flüssigem Roh‑ eisen. Die hierfür nötige Verbrennungsluft erzeugen zylinderförmige so genannte Winderhitzer, die neben dem Hochofen vorgeheizt wer‑ den. Das Ofenensemble produziert allerdings nicht nur heiße Luft und glühenden Stahl, sondern auch jede Menge CO₂. „Die Hochöfen mit ihren Winderhitzern sind für den weitaus größten Teil der Koh‑ lendioxidemissionen von Stahlwerken verantwortlich“, sagt Andy Cameron, Verfahrensspezialist bei Linde. Und die sind gewaltig: Weltweit emittiert die Stahlindus‑ trie fast zwei Milliarden Tonnen Kohlendioxid jährlich – und damit mehr als jede andere Indus‑ triebranche. Der Anteil an den globalen Emissionen liegt bei über sechseinhalb Prozent. Doch der CO₂-Ausstoß beim Stahlkochen könnte schon bald erheblich sinken: Ingenieure von Linde und Siemens haben jetzt gemeinsam ein neues Abgasrecycling für Winderhitzer entwickelt: das so genannte Flue Gas Recycling (FGR). „Das Verfahren spart Wärmeenergie und kann – gekoppelt mit einer Kohlendioxidabtrennung und -speicherung – den CO₂-Ausstoß eines Stahlwerks um mindestens 30 Prozent senken“, erläutert Cameron. Und ein energieoptimierter Produkti‑ onsprozess würde das Image des silbergrauen und extrem robusten Werkstoffs noch einmal aufpolieren. Denn Stahl ist nicht nur die Materialbasis für ganze Industriebereiche wie den Maschinenbau, sondern kann auch ökologisch punkten. Unter anderem ist er gut recycelbar und unverzichtbar für die Konstruktion von Windkraft- werken. Zudem setzen Auto- und Flugzeug-Ingenieure den Werkstoff in innovativen, hochfesten Leichtbau-Konstruktionen ein. Die Linde-Experten nutzen für ihr neues Verfahren die Wärme, die noch in den etwa 400 Grad Celsius heißen Verbrennungsabga‑ sen der Winderhitzer steckt. Bislang verpufft diese meist ungenutzt durch die Schornsteine. „Die Energieverluste pro Zeiteinheit sind dabei selbst in einem kleinen Hochofen so groß, dass man die elek‑ trische Leistung der größten Windturbine der Welt bräuchte, um sie wieder auszugleichen“, erklärt Cameron. Beim FGR-Verfahren reichern die Linde-Ingenieure rund ein Drittel der Abgase mit reinem Sauerstoff an und führen diese wieder in die Brennkammer der Winderhitzer zurück. Dort verbrennen die heißen sauerstoffreichen Abgase zusammen mit den gereinigten Hochofenabga‑ sen – auch Kuppelgase genannt –, die noch unvoll‑ ständig verbranntes Kohlenmonoxid enthalten. Im konventionellen Betrieb führt man Luft zu den Kuppelgasen. Allerdings enthält sie nur etwa 20 Prozent des flam‑ menfördernden Sauerstoffs. Der Hauptbestandteil Stickstoff muss mit‑ erhitzt werden, obwohl er nicht zur Verbrennung beiträgt. Weil das sauerstoffreiche Abgas diesen Stickstoffballast nicht mit sich führt und zudem noch Wärme mitbringt, erreichen die Winder‑ hitzer die gewünschte Temperatur wesentlich schneller. Das erhöht die Effizienz des Hochofens. Außerdem entstehen deutlich weniger Stickoxide, deren klimaschädliche Wirkung rund 300-mal stärker ist als die von Kohlendioxid. Und weil das Linde-Abgasrecycling mehr Energie in die Brennkammern zurückbringt, können die Stahlkocher außerdem auf Zusätze wie Erd- oder Hüttengas verzichten. MEHR SAUER‑ STOFF IM BRENN‑ GAS VERRINGERT EMISSIONEN. Autorin: Andrea Hoferichter Bildquelle: Plainpicture Hochöfen: mehr Effizienz, weniger Emissionen ↲↳ STAHLINDUSTRIE // LINDE TECHNOLOGY #1.14 33 Flüssiges Eisen unter Kontrolle: Hochöfen sollen künftig weniger Energie verbrauchen und eine bessere CO₂Bilanz aufweisen – dank des Linde-Abgas‑ recyclings. LINDE TECHNOLOGY #1.14 // STAHLINDUSTRIE 34 Aber vor allem spart das Abgasrecycling eine große Menge Wärme‑ energie: „Ein typisches europäisches Stahlwerk produziert pro Jahr zwischen drei und fünf Millionen Tonnen Stahl. Der jährliche ther‑ mische Energieverbrauch hierfür könnte mit dem FGR-Verfahren im Vergleich zur Verbrennung mit Luft um bis zu 60 Terajoule sinken“, sagt Cameron. Das entspricht etwa dem Jahresstromverbrauch von fast 4.000 Drei-Personen-Haushalten in Mitteleuropa. Alternativ könnte die Wärmeenergie des Abgases auch für die Stromerzeugung per Dampfturbine genutzt werden. „Aber die Energieeffizienz wäre erheblich niedriger“, sagt Cameron. Und das neue Linde-Abgasrecycling hat noch eine weitere Beson‑ derheit: die Flammenform. „Gewöhnlich ist eine sauerstoffreiche Flamme sehr heiß und intensiv. Das ist bei manchen Prozessen durch‑ aus gewünscht, zum Beispiel beim Stahlschweißen oder -schneiden, kann aber in einigen Ofentypen wegen lokaler Überhitzungen Schä‑ den verursachen“, erklärt Cameron. Die eigentlich feuerfeste Struktur der Winderhitzer kann einen thermischen Schock erleiden oder sogar schmelzen. Beim FGR-Verfahren wird die Flamme deshalb durch den Abgasstrom regelrecht verdünnt. Das macht sie so voluminös und dif‑ fus, dass sie mit bloßem Auge gar nicht zu erkennen ist. Die Verbren‑ nung wird deshalb auch als „flammenlos“ (engl. flameless) bezeich‑ net. Der Vorteil der transparenten Riesenflamme: Sie sorgt für eine gleichmäßige Temperaturverteilung im Ofen. „Die Betreiber können ihre Öfen dadurch kontrolliert und mit maximaler Betriebstemperatur fahren“, sagt der Hochofen-Experte von Linde. Auch das hilft, Energie und Rohstoffe zu sparen. Cameron: „Je heißer die Winderhitzer sind, desto heißer wird auch die Luft für die Hochöfen und desto weni‑ ger Kohle und Koks werden dort für die Eisenproduktion verbraucht.“ Eine der größten Herausforderungen für die weltweite Stahl‑ industrie ist die Verbesserung der CO₂-Bilanz. Da die bewährten Hoch‑ öfen heute bereits sehr energieeffizient arbeiten, lassen sich weitere Fortschritte nur erzielen, wenn das Kohlendioxid abgetrennt und in nachgeschaltete Prozesse eingespeist oder unterirdisch gespeichert wird. Die FGR-Technologie kann hierzu ebenfalls einen Beitrag lei‑ sten, weil sie die CO₂-Konzentration im Winderhitzer-Abgas auf etwa 50 Prozent erhöhen kann. Zum Vergleich: Bei der Verbrennung mit 13,5 % STAHL IN ZAHLEN Im Jahr 2013 erreichte die Weltstahlproduktion mit 1.607 Millionen Tonnen einen neuen Höchststand. Fast die Hälfte des gefragten Rohstoffs wird in China erzeugt (46,3 Prozent), gefolgt von Europa mit 13,5 Prozent. Im Jahr 2001 lag die globale Stahlproduktion noch bei bei 851 Millionen Tonnen. Die Stahlindustrie ist direkter Arbeitgeber für mehr als zwei Millionen Menschen. Stahl ist nicht nur für die Automobilindustrie und den Maschinenbau ein wichtiger Rohstoff. 50 Prozent der Weltstahlproduktion werden in die Konstruktion von Hochhäusern, Brücken und Gebäuden verbaut. Quelle: World Steel Association 6,1 % 12,2 % 6,9 % 7,2 % 7,8 % • •• •• •• China Japan restliches Asien Andere Europa GUS NAFTA 46,3 % Geburtsstätte der Stähle: Hoch‑ öfen sind das Herzstück der Stahlin‑ dustrie – wie beispielsweise Tata Steel (links). Bei der Weiterverarbei‑ tung wird der flüssige Stahl ver‑ gossen (rechts) und erstarrt dann. STAHLINDUSTRIE // LINDE TECHNOLOGY #1.14 35 Luft sind es nur 25 Prozent. „Das reduziert die Kosten bei der Kohlen‑ dioxidabtrennung signifikant“, sagt Cameron. „Das angereicherte Rauchgas enthält etwa ein Drittel der gesamten CO₂-Emissionen des Stahlwerks. Wird dieser Anteil abgetrennt, lassen sich die Emissionen – bezogen auf eine Tonne Stahl – von zurzeit 1,8 Tonnen auf 1,2 Ton‑ nen CO₂ reduzieren“, erläutert Cameron. Die Prozessmetallurgie des Hochofens bleibt davon unberührt. „Die FGR-Technologie ist einfach und kostengünstiger zu installieren als in der Entwicklung befind‑ liche alternative Verfahrensrouten zur Roheisenerzeugung, die eben‑ falls auf eine günstigere CO₂-Bilanz abzielen“, sagt Cameron. Die Idee für das Abgasrecycling basiert auf einer Linde-Tech‑ nologie, die sich bereits bei anderen Prozessschritten in der Stahl‑ industrie bewährt hat: Flammenlose REBOX® Oxyfuel-Brenner hei‑ zen mit sauerstoffangereicherter Luft und abgasverdünnter Flamme unter anderem die Öfen der Walzwerke, in denen Stahlstränge vor dem Walzen erwärmt werden. Im Werk des schwedischen Stahlpro‑ duzenten Ovako zum Beispiel sind mittlerweile etwa 60 Öfen auf die flammenlose Sauerstofftechnologie umgestellt. Das Unternehmen profitiert dabei vor allem von den kürzeren Heizzeiten. „Wir können damit mindestens 20 Prozent mehr Stahl in der gleichen Zeit erhit‑ zen“, erklärt Anders Lugnet, Technologiemanager bei Ovako. Und auch die Qualität der Stahlprodukte lässt sich mit dem Linde-Verfah‑ ren steigern: Es entstehen keine lokalen Überhitzungen und des‑ halb auch keine strukturschädigenden Spannungen im Stahl. „Wir konnten die Technologie einfach integrieren. Die Investition hat sich schnell gelohnt“, sagt Lugnet. Drei Betriebsvarianten für alle Fälle Und das gilt auch für das Abgasrecycling: Nach Berechnungen der Linde-Experten sollten sich die Kosten für das neue Verfahren schon nach maximal zwei Jahren amortisiert haben. Die Investitionen für eine Anlage an einem Hochofen typischer Größe liegen bei weni‑ ger als zehn Prozent dessen, was Planer einer Konkurrenztechnolo‑ gie veranschlagen. Und obwohl aufwendige Computersimulationen, mit denen das Abgasrecycling-Verfahren entwickelt wurde, die rei‑ bungslose Verbrennung bestätigen, haben die Linde-Ingenieure für alle Fälle vorgesorgt. Das FGR-System ist mit drei Betriebsvarianten ausgestattet: In der Kontrollzentrale des Stahlwerks finden sich drei Knöpfe, einer für das Abgasrecycling, einer für den konventionellen Betrieb mit Luft und einer für einen Mischbetrieb. Je nach Wunsch kann der Hochofen-Betreiber dann per Knopfdruck zwischen den verschiedenen Verfahren wechseln. Wann der erste Winderhitzer mit einer Abgasrecycling-Anlage bestückt wird, ist noch unklar. „Eine neue Technologie in der Stahl‑ branche zu etablieren, ist erfahrungsgemäß ein langwieriger Pro‑ zess“, sagt der Technologieexperte. Doch die Branche zeige großes Interesse, sodass erste Anlagen schon bald zum Einsatz kommen könnten. Cameron: „Die Gespräche mit Stahlwerksbetreibern laufen bereits – und sind vielversprechend.“ LINK: www.worldsteel.org KURZINTERVIEW „SAUERSTOFF STEIGERT DIE EFFIZIENZ“ Linde Technology sprach mit Professor Jan-Olov Wikstrøm vom schwedischen Forschungsinstitut Swerea MEFOS über die Heraus‑ forderungen der Stahlindustrie und die Rolle von Sauerstoff. ↳ WAS SIND DERZEIT DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN BEI DER STAHLPRODUKTION? Das sind einerseits die hohen Kohlendioxidemissionen und andererseits die Kosten. Es wird immer schwieriger, quali‑ tativ hochwertige Rohstoffe zu bezahlbaren Preisen zu bekommen. So haben sich allein in den letzten 15 Jahren die Preise für Hüttenkoks etwa verdoppelt. ↳ WIE KÖNNTEN LÖSUNGEN FÜR DIESE PROBLEME AUSSEHEN? Um Kohlendioxidemissionen zu senken, kann zum Beispiel CO₂ abgetrennt und gespeichert werden. Allerdings müssen die CCS-Technologien dafür noch wirtschaftlicher und die Akzeptanz in der Bevölkerung noch verbessert werden. Was das Rohstoffproblem betrifft, wird es einen Trend weg von fossilen Rohstoffen wie Kohle und Koks hin zu elektrischer Energie geben, die im Idealfall aus regenerativen Quellen stammt. So wird im EU-Projekt ULCOS gerade ein Verfahren entwickelt, bei dem chemisch reduziertes Eisenerz in elek‑ trischen Lichtbogenöfen geschmolzen wird. Bisher wird in diesen Öfen ausschließlich Schrott recycelt. Auch eine elek‑ trochemische Zersetzung des Erzes zu Eisen ist möglich. Diese Technologie steckt aber noch in den Kinderschuhen. ↳ WELCHE ROLLE WIRD SAUERSTOFF SPIELEN? Eine ganz wichtige. Die Verbrennung mit höheren Sauer‑ stoffkonzentrationen ist effizienter, spart Rohstoffe und damit Treibhausgasemissionen. Und sie liefert gleichzeitig höhere CO₂-Konzentrationen im Abgas, das dadurch wie‑ derum attraktiver für eine Kohlendioxidspeicherung wird. Außerdem lässt sich Sauerstoff mit elektrischer Energie und deshalb auch, zumindest theoretisch, klimaneutral herstel‑ len. Ökonomisch wünschenswert wäre, dass das Gas künftig nicht nur mit einer Reinheit von über 99 Prozent, sondern auch in niedrigerer Qualität und dafür preisgünstiger zu haben wäre. Doch das ist noch Gegenstand der Forschung. LINDE TECHNOLOGY #1.14 // LNG-TRANSPORT 36 Flüssigerdgas für den Schiffsmotor aufbereiten LNG MACHT DAMPF Schiffe, die verflüssigtes Erdgas transportieren, sollen statt Schweröl verstärkt Erdgas für den Antrieb nutzen können. Die französische Linde-Tochter Cryostar hat eine Kompressortechnologie entwickelt, die diese Herausforderung meistert – und die Motoren zudem effizienter macht. Träge schieben sich Erdgastanker über den Atlantik. Mit 300 Metern Länge zählen sie zu den größten Schiffen, die die Weltmeere befahren. Auf die Spitze gestellt wären sie fast so hoch wie der Eiffelturm. Bis zu 260.000 Kubikmeter tiefkalt verflüssigtes Erdgas, kurz LNG für Liquefied Natural Gas, passen in den Schiffsbauch. Genug um eine 150.000-Einwohner-Stadt ein Jahr lang mit Erdgas zu versorgen. Der Erdgasbedarf für die Strom- und Wärmegewinnung ist weltweit gestiegen – und auf den Ozeanen sind immer mehr LNG-Frachter unterwegs: Mehr als zehn Prozent des weltweit gehandelten Erdgases, so der BP Energy Outlook, wird bereits als LNG über den Seeweg transportiert. Im Jahr 2030 soll der Anteil bei rund 20 Prozent liegen. Ein Grund: In den Importnationen Japan und Südkorea steigt die Nachfrage rasant. „Hinzu kommt, dass die Vereinigten Staaten durch die Erschließung ihrer Schiefergasvorräte LNG in naher Zukunft nach Asien oder Europa exportieren werden“, sagt Roger Dambach, Bereichsleiter LNG Transport und Terminals bei der französischen Linde-Tochter Cryostar. Heute transportieren etwa 400 große LNG-Carrier das Erd- gas rund um den Globus – doppelt so viele Schiffe wie vor zehn Jahren. Angetrieben werden die Schiffsmotoren vor allem mit Schweröl. LNG-Schiffe sollen künftig auch verstärkt Erdgas nutzen können. Dabei geht es vor allem um das so genannte Boil-off-Gas, kurz BOG. Zwar wird das Flüssigerdgas bei minus 160 Grad Celsius und gut isoliert im Schiffsbauch gelagert. Dennoch erwärmt es sich während des Transports unweigerlich, und ein Teil verdampft als BOG. „Eine Möglichkeit besteht darin, Rückverflüssigungsanlagen an Bord zu installieren; diese benötigen allerdings große Energiemengen“, erklärt Dambach. Auch Faktoren wie der Füllstand in den Tanks zwingen die LNGBranche zu neuen Lösungen: „In der Vergangenheit führten die Erdgastanker auf der Rückreise noch beträchtliche LNG-Mengen mit, die die Tanks kühl hielten“, sagt Dambach. „Durch die veränderten ökonomischen Bedingungen werden die Schiffe im Ankunftshafen jedoch häufig komplett entladen und fahren leer zurück – zumindest nahezu.“ Ein kleiner Rest kann aus technischen Gründen nicht abgepumpt werden. Das stellt die Ingenieure vor neue Herausfor- LNG-TRANSPORT // LINDE TECHNOLOGY #1.14 37 Erdgas auf Reisen: Membrantanker transportieren verflüssigtes Erdgas um die Welt (links). Während der Fahrt verdampftes LNG kann die Schiffsmotoren antreiben. Das ermöglicht der Vierstufen-Kompressor von Cryostar (rechts). im französischen Hésingue gehörten zu den ersten, die sich diesen Anforderungen gestellt haben. „Wir standen vor der Aufgabe, einen Kompressor zu entwickeln, der bei annähernd gleicher Größe deutlich leistungsfähiger als das bisherige System sein musste“, erklärt Dambach. Die Ingenieure setzten auf ihre bewährte Zentri‑ fugalkompressor-Technologie: Bei diesem vierstufigen Verfahren wird das warme BOG mithilfe von Schaufelrädern, ähnlich einer Flugzeugturbine, komprimiert. Das Gas wandert von einer Kammer in die nächste und wird dabei schrittweise verdichtet. Zentrifugalkompressoren für mehr Effizienz ↲ ↳ Autor: Tim Schröder Bildquelle: D. Smillie/Bloomberg/Getty Images, Linde AG derungen: Der fast leere Tank erwärmt sich schneller, und es bildet sich sehr viel warmes Boil-off-Gas. „Solange genügend LNG im Tank vorhanden ist, steigt die BOG-Temperatur kaum über minus 90 Grad Celsius“, erklärt der Linde-Experte. „Dieses vergleichsweise kalte BOG lässt sich mit einem Zweistufen-Kompressor in zwei Schritten auf 6,5 Bar verdichten, sodass ein Dual-Fuel-Schiffsmotor es verarbeiten kann“, so Dambach. Ein solcher Viertakt-Schiffsmotor kann sowohl mit einem Schweröl-Luft-Gemisch als auch mit BOG angetrieben werden. Seit die Schiffe fast leer nach Hause fahren, steigt die Temperatur des BOG hingegen auf bis zu plus 40 Grad Celsius – zu warm für den Zweistufen-Kompressor; denn gemäß thermodynamischer Gesetzmäßigkeiten muss für die Verdichtung eines warmen Gases mehr Arbeit aufgewendet werden. Die Cryostar-Ingenieure ERDGAS-HANDEL: LNG-ANTEIL STEIGT 2014 40 % Gesamt 30 % Pipeline 20 % LNG 10 % 0% 1990 2005 2020 2035 Quelle: BP World Energy Outlook 2035 Gegenüber herkömmlichen Kolbenkompressoren hat die Zentrifugaltechnik Vorteile. Dambach: „Die Anlage läuft sehr gleichmäßig, muss keine wechselnden Druckverhältnisse verkraften, ist kompakter und leichter.“ Vor allem kann der Vierstufen-Zentrifugalkompressor das bis zu 40 Grad Celsius warme Boil-off-Gas ohne Zwischenkühlung verarbeiten. Ein weiterer Vorteil: Die Zentrifugaltechnik ist wartungs‑ ärmer. Die Entwicklung von Cryostar überzeugte auch die LNG-Transporteure: Seit der Einführung im Dezember 2010 wurde der Vierstufen-Zentrifugalkompressor bereits über hundertmal bestellt. Und die Anforderungen beim LNG-Transport steigen weiter: Der Treibstoffverbrauch soll reduziert werden – nicht zuletzt durch effizientere Motoren. Und das betrifft nicht nur Viertakt-, sondern auch Zweitakt-Motoren, mit denen viele große Handelsschiffe angetrieben werden. Gewöhnlich arbeiten Zweitakter ausschließlich mit Schweröl, dafür verbrauchen sie weniger Kraftstoff als Viertakt-Motoren. Zwar kamen 2011 Dual-Fuel-Zweitakter auf den Markt, die auch Boiloff-Gas verarbeiten können. Allerdings muss dabei das BOG mit einem extrem hohen Druck von 300 Bar in den Motor eingespritzt werden. Dafür bietet Cryostar eine elegante kryogene Pumpenlösung. Es gibt aber derzeit auch einen weiteren Hersteller, der einen neuen Zweitakter entwickelt, der nur einen Eingangsdruck von etwa 16 Bar benötigt. Und man arbeitet derzeit daran, den Vierstufen-Kompressor so anzupassen, dass er diesen Wert ebenfalls erreicht. Vor allem das Design der Kammern spielt eine wichtige Rolle: An ihren Ausgängen befindet sich ein Diffusor, der die kinetische Energie des ausströmenden Gases in Druck umwandelt. „Würde das Gas direkt von einer Zentrifuge in die nächste geleitet, würde durch den unerwünschten Drall wertvolle Energie vernichtet“, sagt Dambach. Dadurch kann ein mehrstufiger Zentrifugalkompressor die erforderlichen 16 Bar erreichen und auch einen niedrigen Energieverbrauch gewährleisten. Mit der Entwicklung würde der Traum vieler LNG-Reeder wahr: ein Erdgasfrachter mit Zweitaktmotor, der warmes BOG nutzen kann. Energiesparender ließe sich Erdgas kaum transportieren. LINK: www.lngworldnews.com LINDE TECHNOLOGY #1.14 // LEBENSMITTEL & GETRÄNKE 38 Gasetechnologie für die gesamte Wertschöpfungskette U NVERZICHTBAR FÜR LEBENSMITTEL Bevor Lebensmittel im Einkaufskorb landen, haben sie einiges hinter sich: Bananen reisen über die Meere, Shrimps werden schockgefrostet, Salate, Käse oder Fleisch unter Schutzgasatmosphäre verpackt. So vielfältig wie die Welt der Lebensmittel, ist auch das Linde-Spektrum der Gase‑ anwendungen, die die gesamte Wertschöpfungskette unter‑ stützen. LEBENSMITTEL & GETRÄNKE // LINDE TECHNOLOGY #1.14 39 UND GETRÄNKE Wasser ist lebenswichtig – und Basis für alle Getränke. Vor, während und nach dem Abfüllen von Wasser, Softdrinks und Fruchtsäften spielen Gaseanwendungen von Linde eine wichtige Rolle. Auch in der Weinproduktion und beim Bierausschank helfen Lösungen von Linde. LINDE TECHNOLOGY #1.14 // LEBENSMITTEL & GETRÄNKE 40 VOM ANBAU ZUM TELLER BIOGON®-Gase von Linde begleiten unsere Lebensmittel und Getränke auf Schritt und Tritt – von der Produktion über die Verarbeitung bis in den Supermarkt. CO2 N2 Kühlen & Frosten Extreme Minusgrade machen Lebensmittel länger haltbar. Entscheidend ist aber auch, wie die tiefen Temperaturen erreicht werden. N2 Shrimps lassen sich im Froster CRYOLINE® CW CRYOWAVE mit Flüssigstick‑ stoff einzeln schockge‑ frieren. Ein wellenförmiges Förderband verhindert ein Verklumpen des Gefrier‑ guts und erleichtert das spätere Auftauen ein‑ zelner Shrimps. Anbauen & Reifen Auf die richtige Atmosphäre kommt es an. Bei der Produktion von Obst und Gemüse, aber auch bei der Züchtung von Fisch, helfen unterschiedlichste Gase. GewächshausTomaten gedeihen noch besser, wenn die Luft eine hö‑ here KohlendioxidKonzentration aufweist. In den Niederlanden wird gereinigtes CO₂ aus Raffinerien per Pipeline in die Gewächshäuser geleitet. Druckempfind‑ liche Produkte wie marinierte Steaks oder Fischfilets wandern auf einem Fördersystem mit Einwegfolie in den Froster CRYOLINE® SC Super Contact. So können verschie‑ dene Produkte verarbei‑ tet werden. N2 Bei der Käse‑ herstellung ist das Ansäuern und damit das exakte Einstellen des pH-Wer‑ tes wichtig. Das geschieht mit Kohlendioxid. Auch die Kulturen der verschiedenen Mikroorganismen lassen sich CO2 so kontrollieren. N2 Portioniertes Einfrieren von Gemüsestückchen, Saucen und Pürees für Fertiggerichte gelingt mit CRYOLINE®: Mit den maßgeschneiderten kryo‑ genen Frostern lassen sich auch Pellets herstellen – beispielsweise beim Schock‑ gefrieren von Spinat. Kutter CO2 verarbeiten Fleischstücke zu Wurst‑ brät. Dabei muss effizient ge‑ kühlt werden. Der LIXSHOOTER® bringt flüssiges Kältemittel von unten ein, es verdampft und das kalte Gas kühlt die Masse. CO2 Teigknetmaschinen pro‑ duzieren viel Wärme: Um diese abzuführen, werden Trockeneis-Pellets zum Teig gegeben, die rückstands‑ frei zu CO₂ verdampfen. Die Teigtemperatur lässt sich so optimal kontrollieren. N2 H2 Um hochwertige Speiseöle vor dem Ranzigwerden zu schützen, werden die Lagertanks mit Stickstoff inertisiert. Wasserstoff wird bei der Fetthärtung einge‑ setzt. Die Hydrierung dient dazu, Fette und Öle zu verfestigen. Verarbeiten CO2 O2 NH3....... Ammoniak Ar.......... Argon N2O....... Distickstoffmonoxid (Lachgas) C 2 H4 ... Ethylen CO2........ Kohlendioxid O3.......... Ozon O2 ......... Sauerstoff N2.......... Stickstoff H2 ......... Wasserstoff O3 Für eine gesunde Fisch‑ zucht ist die Gasezu‑ sammensetzung wichtig. Das SOLVOX®-System bringt Sauerstoff gleich‑ mäßig ins Becken. Ozon reduziert die Keim‑ zahl im Wasser. Längere Haltbarkeit, Schutz vor Verderb, Erhalt von Geschmack sowie eine effizientere Produktion – Gase sind in der Lebensmittelindustrie unersetzlich. C 2H4 Bana‑ nen werden meist grün geerntet. Um die Reifung später in Gang zu setzen, hilft die Begasung mit Ethylen (BANARG®). Das Gas hilft auch bei der Tomaten‑ reife. Bei Kartoffeln dient es als Austriebs‑ hemmer. CO2 N2 N 2O Mit Lachgas lässt sich Sahne stabil und gleichzeitig locker aufschäumen. Der volumenvergrößernde Effekt wird auch bei cremigen Nachspeisen oder Luftschokolade ausgenutzt. Kräuter und Gewürze beinhalten ätherische Öle. Diese wertvollen Inhaltsstoffe bleiben im Mahlgut erhalten, wenn in der Mühle kryogene Gase verwendet werden. Diese verhindern auch das Verklumpen. LEBENSMITTEL & GETRÄNKE // LINDE TECHNOLOGY #1.14 Salate und Gemüse werden dank MAPAX® mit einer Schutzgasatmosphäre verpackt. Die Dichtigkeit der Verpackung lässt sich mit Wasserstoff prü‑ fen. Ein leichter Druck auf die Verpackung reicht, um beschädigte Ware zu detektieren. Ar CO2 O2 N2 H2 FLÜSSIG UND FRISCH In der Getränkeindustrie müssen in kurzer Zeit möglichst viele Flaschen abgefüllt werden. Gase spielen an verschiedensten Schlüsselstellen eine wichtige Rolle. Qualität sichern Viele Messmethoden in den Analytiklaboren der Lebensmittelhersteller und Prüfinstitute sind auf hochreine Gase angewiesen. Fett‑ gehalt, Aroma‑ zusätze oder Farbstoffe: Analytikverfahren – wie die Gaschromatographie – kommen den Inhaltstoffen auf die Spur. Mit den HiQ®-Spezialgasen lassen sich die Messgeräte der Chemielabore kali‑ brieren. Verpacken Spezielle Schutzgasmischungen sorgen dafür, dass verpackte Lebensmittel länger haltbar sind – und frisch zum Verbraucher gelangen. N2 CO2 Eine Stickstoffatmosphäre schützt Sahne und Joghurt vor raschem Verderben. Bei Käse ist dagegen ein Kohlendioxid-Stickstoff-Gemisch ideal, um Bakterien in Schach zu halten. Damit rotes Fleisch wie Rindfleisch möglichst lange seine frische Farbe behält, beinhaltet die Schutzgasatmosphäre eine höhere Sauerstoffkonzentration. O2 Leicht verderb‑ N2 liche Lebensmittel wie Fisch und Fleisch werden vor allem tiefgekühlt transportiert. Wichtig ist eine lückenlose Kühlkette. An Bord der FROSTCRUISE®-Lkw ist deshalb eiskalte Stick‑ stoff-Technologie. Für einen schäd‑ lingsfreien Über‑ seetransport von Frischwaren hilft das Gasegemisch VAPORMATE®. 43 Transportieren & Lagern Damit im Supermarkt hochwertige Lebensmittel verkauft werden können, ist unter anderem eine geschlossene Kühlkette extrem wichtig. CO2 Mobile Kühlcontainer helfen Supermärkten und Caterern, ihre Ware frisch anbieten zu können. Und das SNOWCOOL®-System liefert den kühlenden Trockeneisschnee. KühlNH3 einheiten lassen sich effizi‑ ent mit bewährten Kältemitteln wie Ammoniak betrei‑ ben. Trinkwasser aufbereiten Die Meerwasserentsalzung spielt eine immer größere Rolle. Mit Sauerstoff (SOLVOX®) werden störende Ionen entfernt. Kohlendioxid (SOLVOCARB®) hilft beim Einstellen von pH-Wert und Wasserhärte. CO2 Karbonisieren Ob Limonade, Mineralwasser oder Perl‑ weine – erst Kohlensäure verleiht den Getränken ihren prickelnd-erfrischenden Geschmack. Dazu wird CO₂ unter hohem Druck in die Flaschen gepresst. Gleich‑ zeitig verlängert die so genannte Impräg‑ nierung mit Kohlensäure die Haltbarkeit und wirkt oxidationshemmend. CO2 Inertisieren Fruchtsäfte sind reich an Vitaminen und Aromen. Damit sie möglichst lange erhal‑ ten bleiben, hilft der Einsatz von Stick‑ stoff: Er verdrängt den Sauerstoff, der die wertvollen Vitamine zerstört. Dank des Inertisierens bleibt auch die Fruchtsaft‑ farbe lange erhalten. N2 Durchperlen Wird Stickstoff in Form winziger Bläschen in Flüssigkeiten eingeleitet, lässt sich unerwünschter Sauer‑ stoff effektiv entfernen. N2 Stabilisieren PET-Flaschen werden immer dünnwan‑ diger, um Material zu sparen. Das Problem: Beim Transport und Lagern von schweren Paletten halten die Flaschen dem Druck nicht Stand. Wird ein Tropfen flüssiger Stickstoff vor dem Verschließen hinzuge‑ geben, baut sich durch das Verdampfen ein stabilisierender Innendruck auf. N2 O2 N2 Abdecken Fruchtsäfte oder Weine beinhalten Inhaltsstoffe, die leicht oxidieren. Um das zu verhindern, wird die feuchte Luft im Kopfraum durch Stickstoff ersetzt. Das System eignet sich dank präziser Regelventile auch für große Lagertanks. GASE BEI WEIN UND BIER WEINPRODUKTION: Neben weiteren Prozessen ist die Kaltmazeration wichtig. Dabei wird flüssiges Kohlendioxid in die Traubenmaische geleitet. Dort entsteht CO₂-Schnee und der gewünschte Kühleffekt. Gleichzeitig werden dadurch Farb- und Inhaltsstoffe geschützt, weil das Kohlendioxid den Sauerstoff verdrängt. SCHANKGASE: Wenn Biere oder Softdrinks an der Getränketheke gezapft werden, kommt die beliebte Kohlensäure mithilfe von separaten BIOGON®-Flaschengasen in die Flüssigkeit. Je nach Anwendung enthalten die Schankgase Kohlendioxid oder eine Mischung aus Stickstoff und Kohlendioxid. LINDE TECHNOLOGY #1.14 // LEBENSMITTELSICHERHEIT 44 Kryobehandlung von Geflügel KÄLTESCHOCK G EGEN KEIME Der globale Geflügelmarkt boomt. Doch auf drei Viertel des Hähnchenfleisches lauert eine unsichtbare Gefahr: Bakterien der Gattung Campylobacter. Die Keime lösen schwere Lebensmittelinfektionen aus. Jetzt haben Experten der Linde-Tochter BOC UK zusammen mit dem Geflügelproduzenten Bernard Matthews Ltd. die Rapid Surface Chilling™-Kälte‑ technologie entwickelt, die Bakterien effektiv abtötet. Fleisch ist heute keine Luxusware mehr. Rund um den Globus wächst der Hunger nach tierischem Eiweiß – vor allem nach Geflügel: In den letzten zehn Jahren legte die Produktion von Hähnchenkeulen, Broilern und Chicken Wings um rund vier Prozent zu. Zum Vergleich: Die Herstellung von Schweinefleisch, die weltweit meistproduzierte Fleischsorte, wuchs im gleichen Zeitraum nur um rund zwei Prozent. 93 Millionen Tonnen Hühnchenfleisch werden heute jährlich erzeugt. Der Grund für die steigende Nachfrage: Das Fleisch ist nicht nur magerer und kalorienärmer als das von Schwein und Rind, sondern es lässt sich vor allem sehr günstig produzieren. Damit ist es praktisch für fast jeden erschwinglich. Doch frisches Geflügelfleisch hat auch eine Kehrseite: Beim Schlachten der Tiere werden die im Tierdarm lebenden Campylobacter-Bakterien häufig verschleppt und können auf die Hautoberfläche gelangen. Wenn das Hühnchen dann nicht ausreichend durchgegart wird oder mit Keimen belas‑ teter Fleischsaft in Kontakt mit anderen Nahrungsmitteln oder Küchenoberflächen kommt, droht eine Lebensmittelinfektion, die so genannte Campylobacteriose. Salmonellen sind zwar die bekanntesten Lebensmittelkeime. „Doch viel häufiger geht die Gefahr von einer Bakteriengattung namens Campylobacter aus“, erklärt Cedric Hanson, Projektleiter Geschäftsentwicklung Anwendungstechnik bei der britischen Linde-Tochter BOC UK. Die Europäische Behörde für Lebensmittel‑ sicherheit (EFSA) schätzt, dass allein in der Europäischen Union jedes Jahr neun Millionen Fälle von Campylobacteriose auftreten. Damit zählt die Lebensmittelinfektion zu den häufigsten in der EU und kostet die Gesundheitssysteme und die Wirtschaft etwa 2,4 Milliarden Euro. Die Symptome der Campylobacteriose sind Magenkrämpfe, anhaltende Durchfälle und hohes Fieber. In einigen Fällen führt die Infektion aber auch zu langfristigen Gesundheitsproblemen wie dem Reizdarmsyndrom, Arthritis oder dem Guillain-Barré-Syndrom, das das Nervensystem angreift. Manchmal verläuft die Erkrankung sogar tödlich. Allein in Großbritannien sterben jedes Jahr rund 100 Menschen durch Campylobacteriose. In einer europaweiten Untersuchung von frisch geschlachteten Hühnern im Jahr 2008 konnten Forscher auf drei von vier Hühnchen Campylobacter nachweisen. 27 Prozent davon waren sogar mit einer gefährlich hohen Keimzahl – mit mehr als 1.000 koloniebildenden Einheiten pro Gramm – belastet. Laut der EFSA ist Geflügelfleisch damit die Hauptquelle für eine Campylobacteriose beim Menschen. Die Zahlen alarmierten nicht nur die EFSA, sondern auch die nationalen Lebensmittelbehörden. Deshalb brachte etwa die britische Food Standards Agency (FSA) im Jahr 2009 einen Maßnahmenplan auf den Weg und gründete eine CampylobacterArbeitsgruppe. Das Ziel: Bis zum Jahr 2015 soll der Anteil der frisch geschlachteten Geflügel, die am höchsten mit Campylobacter kontaminiert sind, von 27 auf zehn Prozent gesenkt werden. Die scheinbar einfache Forderung lässt sich aber nur schwer realisieren, weil die Bakterien komplexe Organismen sind. Gemeinsam mit Bernard Matthews Ltd., dem größten Produzenten von Truthahnfleisch im Vereinigten Königreich, hat Linde jetzt ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sich Campylobacter auf Geflügelfleisch signifikant reduzieren lässt. Die Rapid Surface Chilling™ genannte Kältetechnologie beruht auf der kryogenen Wirkung von Flüssigstickstoff bei minus 196 Grad Celsius. In einem Kühltunnel 95 PROZENT DER CAMPYLOBACTER-KEIME MIT STICKSTOFFKÄLTE ABTÖTEN. LEBENSMITTELSICHERHEIT // LINDE TECHNOLOGY #1.14 45 FEINDE IM ESSEN Die Top 3 der Lebensmittelkeime sind Campylo‑ bacter, Salmonellen und Escherichia coli. Campylo‑ bacter lauert vor allem in rohem Geflügelfleisch; Salmonellen finden sich meist auf Eierschalen sowie in rohem Schweine- und Geflügelfleisch. Escherichia coli sind zwar harmlos und siedeln auch im menschlichen Darm. Gefährlich sind Entero‑ hämorrhagische Escherichia coli, kurz EHEC: Übertragen werden sie meist durch rohes Fleisch oder Rohmilchprodukte. Die EHEC-Epidemie in Europa 2011 wurde jedoch durch kontaminierte Bockshornkleesamen ausgelöst. Bildquelle: H. Soerensen / Getty Images, All Medical Autorin: Corinna Huber Unsichtbare Gefahr: Mit bloßem Auge ist nicht erkennbar, ob das verpackte Hühnchen gefähr‑ liche Keime enthält (rechts). Erst in Labor‑ tests offenbaren Bakterienkulturen, ob das Produkt belastet ist (links). ↲ ↲ wird ein eiskalter Dampf erzeugt, um die Oberfläche des Geflügels extrem schnell abzukühlen und so die Bakterien abzutöten. Und dieser Kälteschock hat es in sich: Im aktuellen Testbetrieb der Pilotanlage wurden bei insgesamt 6.000 geschlachteten Tieren bis zu 95 Prozent der Campylobacter-Keime abgetötet. Die Rapid Surface Chilling™-Technologie konnte sich bereits in einer Studie bewähren: Eine von der FSA beauftragte Untersuchung am Campden BRI, dem größten unabhängigen Forschungsinstitut für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie im Vereinigten Königreich, bestätigte die überzeugenden Ergebnisse. „Diese Technologie ist ein Meilenstein auf dem Weg, eine der derzeit ernstesten Gesundheitsgefahren in Europa in den Griff zu bekommen“, ist sich Jeremy Hall, Technischer Direktor bei Bernard Matthews Ltd, sicher. Keime reduzieren – Fleischqualität erhalten Ein weiterer Vorteil der Technologie: Die Kältebehandlung mit flüssigem Stickstoff wirkt sich nicht auf die Fleischqualität aus: „Textur, Geschmack und Nährstoffgehalt werden nicht beeinträchtigt, weil nur die Oberfläche des Geflügelfleisches stark abgekühlt wird – und auch nur für wenige Sekunden“, erklärt Hanson. Diese Ergebnisse erregten auch die Aufmerksamkeit der Lebensmittelbehörden. Denn in den letzten Jahren wurden zahlreiche Methoden getestet, um die Campylobacter-Keime zu reduzieren. „Doch die Verfahren entsprachen entweder nicht den EU-Richtlinien oder waren nicht effektiv genug“, erklärt der Linde-Experte. Darüber hinaus ist das Verfahren besonders wirtschaftlich: Etwa 180 bis 250 geschlachtete Vögel pro Minute können mit dem Kryodampf behandelt werden, das sind rund 11.000 bis 15.000 Tiere pro Stunde. Linde hat die Technologie bereits zum Patent angemeldet, und die nächsten Schritte zur Weiterentwicklung der kryogenen Ausstattung laufen bereits auf Hochtouren: Anfang 2014 starteten die Planungen für das Design und den Bau einer kommerziellen Anlage – und für den Sommer sind bereits die ersten Testläufe avisiert. „Wenn alles reibungslos klappt, könnte unser Kältesystem schon in der zweiten Jahreshälfte europaweit auf den Markt kommen“, sagt Hanson. „Das wäre ein wichtiger Meilenstein, um das Ziel der FSA, Campylobacter bis 2015 wirksam zu reduzieren, erreichen zu können“, so Hanson abschließend. LINK: www.food.gov.uk LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ERDGASAUFBEREITUNG 46 Nasses Schiefergas verarbeiten: Bei der Förderung von Schieferöl wird ebenfalls nasses Schiefergas gewonnen. Dieses lässt sich mithilfe der CRYO-PLUS™-Technologie von Linde – wie hier in North Dakota, USA – effizient aufbereiten. ERDGASAUFBEREITUNG // LINDE TECHNOLOGY #1.14 47 Bildquelle: Linde AG Autor: Sebastian Kirschner Rohstoffe für die Petrochemie effizient gewinnen ↲↳ SCHATZ IM SCHIEFERGESTEIN Die Petrochemie in Amerika ist stark im Aufwind. Der Grund: Das Land erlebt einen ErdgasBoom. Neue Bohr- und Explorationstechniken ermöglichen, den Rohstoff aus Schiefergestein kosteneffektiver zu fördern. Mit der CRYO-PLUS™-Technologie von Linde lässt sich auch das so genannte „nasse Schiefergas“ effizient aufbereiten. So können wertvolle Flüssiggas‑ bestandteile für die nachgelagerte Industrie gewonnen werden. Das Gas liegt tief unter der Erdoberfläche – an vielen Stellen des amerikanischen Kontinents. Aber besonders die Industrie der Vereinigten Staaten will mit dem unkonventionellen Erdgas – auch Schiefer‑ gas genannt – unabhängig von Energieimporten werden. Dabei steckt noch viel mehr im Schiefergas als nur Energie. Denn das Gas dient nicht nur als Brennstoff für Kraftwerke oder Heizungen; die Bestandteile aus dem Schiefergas wie beispielsweise Ethan eignen sich auch bestens als Einsatzstoff für die petrochemische Industrie: „So lassen sich aus Erdgas leicht Grundchemikalien wie zum Beispiel Ethylen herstellen. Viele chemische Folgeprodukte – darunter auch Kunststoffe, die etwa in Verpackungen, Kabelisolierungen, Autositzen oder Spielzeug Verwendung finden, – basieren auf dieser Kohlenwasserstoff-Verbindung“, erklärt Thomas Rings, Partner der Beratungsfirma A.T. Kearney und Experte für Energie- und Versorgungswirtschaft. Nach Analysen des Branchenverbands American Chemistry Council (ACC) wird der Schiefergas-Boom allein in der US-Petrochemie für Investitionen von fast 70 Milliarden Dollar bis 2020 sorgen. Dabei steht die Ausbeutung der für die Ethylenproduzenten wirklich interessanten Gasfelder gerade erst am Anfang. Ethylen aus Schiefergas besitzt das Potenzial, eine neue industrielle Revolution in den USA auszulösen. Doch der Weg dahin ist nicht einfach: „Die üblicherweise bislang genutzten Verfahren, um die flüssigen Bestandteile im Schiefergas aufzubereiten, arbeiten einfach noch nicht effizient genug“, erklärt Ron Key, Vizepräsident Technologie und Vertrieb bei Linde Process Plants in den USA. Die Gewinnung dieser wertvollen Rohstoffe erfordert be‑ sonderes Know-how, denn die Beschaffenheit der unkonventionellen Erdgasvorkommen kann sehr verschieden sein. Experten unterscheiden hier zwischen trockenem und nassem Schiefergas. Das bisher vorrangig geförderte trockene Schiefergas ist eine sehr gute Energiequelle: Es enthält fast reines Methan und nur geringe Anteile an längerkettigen Kohlenwasserstoffen. Viel interessanter sind für die Industrie allerdings die nassen Schiefergasreservoire, denn diese enthalten die wirklich wertvollen Rohstoffe. Und deren Zusammensetzung variiert sehr stark: „Das nasse Schiefergas enthält weniger Methan, dafür aber höhere Konzentrationen an Ethan (C₂) und längerkettigen Kohlenwasserstoffen wie Propan (C₃) und Butan (C₄) sowie Bestandteile mit höherem Molekulargewicht. Diese Gasbestandteile werden auch „Natural Gas Liquids“ (NGL) oder „Flüssiggas“ genannt. Sie sind der ideale Einsatzstoff für die GasCracker, in denen dann Olefine wie Ethylen erzeugt werden“, sagt Key. Und darin liegt großes Potenzial: Nach Schätzungen des Branchendienstleisters IHS Chemical wird der weltweite Ethylenbedarf bis 2017 auf rund 160 Millionen Tonnen pro Jahr anwachsen. Doch die unkonventionellen Gasreserven stellen die Chemie‑ ingenieure vor besondere Herausforderungen, denn: „Das nasse Schiefergas kann mit Spuren von Quecksilber und manchmal Schwefelwasserstoff verunreinigt sein“, erklärt Key. Diese Komponenten müssen zunächst möglichst vollständig entfernt werden, bevor das im Schiefergas enthaltene Ethan und Propan einer Olefinanlage zugeführt werden kann. Dazu haben die Ingenieure von Linde Process Plants jetzt ihre bewährte CRYO-PLUS™-Technologie weiterentwickelt, um hochwertige Flüssiggase zu gewinnen. So modifiziert, DIE FLÜSSIGGASBESTANDTEILE ENTHALTEN BIS ZU 45 PROZENT ETHAN. LINDE TECHNOLOGY #1.14 // ERDGASAUFBEREITUNG 48 können nun auch Anlagen, die bisher nur herkömmliches Rohgas durch Verdichtung und kryogene Kühlung in seine Bestandteile aufgetrennt haben, nasses Schiefergas einfach verarbeiten. „Unser Ziel war es, CRYO-PLUS™ an die neuen Marktanforderungen anzupassen: den Betrieb der Anlagen flexibler zu gestalten und mehr flüssige Kohlenwasserstoffe zu gewinnen“, erklärt Key. Technisch erforderte das einige Änderungen: Aufgrund der höheren Konzentration an schwereren Kohlenwasserstoffen im nassen Schiefergas war es nötig, die Gasvorbehandlung zu modifizieren. „Dadurch konnten wir die Koksbildung während der Regenerierung der Trockner reduzieren“, erklärt Key. Zudem wurden die hydraulischen Verhältnisse der Anlage überprüft und optimiert, um Teillastbetriebsfälle besser zu unterstützen. Alternative Verfahren, wie zum Beispiel der „Gas Subcooled Process“ (GSP), der in den USA praktisch als Industriestandard gilt, können zwar sehr gut Ethan und Propan gemeinsam abtrennen. „Der GSP-Prozess ist jedoch nachteilig, wenn aus dem Schiefergas vor allem Propan, aber nur wenig oder kein Ethan abgetrennt werden soll“, sagt Key. Bei der Weiterentwicklung ihres Verfahrens konnten die LindeIngenieure auf umfangreiche Erfahrung zurückgreifen: In über 20 Raffinerien und Petrochemie-Anlagen wird CRYO-PLUS™ bereits erfolgreich eingesetzt, um Ethan, Propan sowie Kohlenwasserstoffe mit höherem Molekulargewicht aus Raffinerie- und petrochemischen Abgasströmen zu extrahieren. Und der Bedarf an dieser Technolo- US-PRODUKTION DER FLÜSSIGGASBESTANDTEILE Millionen Barrel pro Tag 3 2 Ethan Propan/ Propen n-Butan Isobutan In den Vereinigten Staaten werden aufgrund des Schiefergas-Booms vermehrt Flüssiggasbestandteile produziert – so genannte Natural Gas Liquids, kurz NGL: Vor allem die leichten Kohlenwasserstoffe, Ethan und Propan bzw. Propen, sind für das gewachsene NGLAngebot seit 2005 verantwortlich. Flüssiggasbestandteile umfassen eine breite Palette von Komponenten, die während der Erdgasverarbeitung und Erdölraffination gewonnen werden. Die NGLs fließen in unterschiedlichste Industrie‑ bereiche – beispielsweise in die Kunststoff- oder Kraftstoff-Produktion. 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 0 2005 1 gie steigt weltweit, gerade im Hinblick auf den Klimaschutz: Im Irak werden beispielsweise fast 60 Prozent der Begleitgase aus der Ölförderung heute noch abgefackelt – viele davon sind reich an Ethan. Allein in der Region um die Stadt Basra wird so viel Ethan verbrannt, dass man damit bis zu zwei Megatonnen Ethylen pro Jahr produzieren könnte. „Dabei ließe sich das Ethan mithilfe von CRYO-PLUS™ sinnvoll nutzen“, sagt Key. „Unsere Anlagen haben bereits bewiesen, dass sie Schiefergas mit unterschiedlicher Zusammensetzung verarbeiten können.“ Der Erdgas-Boom in den USA verleiht der petrochemischen Industrie des Landes einen neuen Aufschwung – viele nordamerikanische Raffinerien gewinnen so viel Rohstoff aus der Schiefergasförderung, dass erstmals seit der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre US-Mineralölkonzerne sogar wieder Rohöl ausführen möchten. Die besten Erfolgsaussichten haben dabei integrierte Standorte mit Erdölraffinerien und petrochemischen Anlagen. Sie profitieren am meisten von Produktionssynergien sowie gemeinsamen, besonders wirtschaftlichen Betriebsmittelsystemen. „Zudem können integrierte Anlagenkomplexe Nachfragerisiken bei der Produktion von Treibstoffen und petrochemischen Erzeugnissen flexibler begegnen“, erklärt Key. Das zeigt auch der Naphtha-Cracker von BASF-TOTAL Petrochemicals in Port Arthur, Texas: Linde-Ingenieure rüsten die Anlage gegenwärtig weiter um, damit diese künftig noch mehr Ethan als Einsatzstoff verarbeiten kann. Seit April 2013 produziert der Cracker bereits 40 Prozent seines Ethy- P entane/ C5-Plus Quelle: U.S. Energy Information Administration ERDGASAUFBEREITUNG // LINDE TECHNOLOGY #1.14 49 lens aus Ethan und weitere 40 Prozent aus Butan und Propan. BASFTOTAL Petrochemicals installiert derzeit, unterstützt von Linde, einen zusätzlichen Ethan-Spaltofen. Er wird im Laufe des Jahres 2014 in Betrieb gehen und die Cracker-Kapazität dann um 15 Prozent steigern. Nach Aussage von Patrick Pouyanné, Präsident von TOTAL Refining and Chemicals, prüft man darüber hinaus den Bau eines weiteren neuen Ethan-Spaltofens für den bestehenden Cracker in Port Arthur. Das Aufrüsten der Cracker-Anlagen in den USA hat also bereits begonnen. Und auch langfristig wird Schiefergas eine amerikanische Trumpfkarte bleiben. Die USA wandelten sich im Zuge der Schiefergasförderung innerhalb weniger Jahre von einem der teuersten Chemiestandorte zu einem der weltweit günstigsten. Die US-Energiebehörde EIA geht in ihrem Ausblick 2014 davon aus, dass die Schiefergasproduktion bis 2040 weiter steigen wird. „Außerdem ist die vorhandene Infrastruktur zur Förderung in den USA einzigartig“, ergänzt Rings. Deshalb werden auch die großen Schiefergasreserven in China oder Südamerika auf absehbare Zeit nicht die gleiche Entwicklung ermöglichen wie in den USA. Aber der Erdgas-Markt bleibt sicher in Bewegung – und das auch dank innovativer Linde-Technologie. LINK: w ww.eia.gov/naturalgas/ KURZINTERVIEW „MASSIVE VERSCHIEBUNGEN IN DER CHEMIEBRANCHE“ Linde Technology sprach mit Thomas Rings, Partner der Beratungsfirma A.T. Kearney und Experte für Energie- und Versorgungswirtschaft, über die Bedeutung des amerikanischen Schiefergas-Booms für die Industrie. ↳ WARUM IST SCHIEFERGAS NICHT NUR ALS ENERGIE‑ LIEFERANT INTERESSANT? Als petrochemischer Basisstoff war Schiefergas zunächst nicht relevant. Erst die zunehmende Förderung von öl‑ haltigen Schiefergasvorkommen („Wet Shales“) hat die Situation grundlegend verändert. Denn diese enthalten einen hohen Anteil an Natural Gas Liquids (NGLs). Ein Barrel NGL enthält allein 40 bis 45 Prozent Ethan. Statt dieses „Nebenprodukt“ – wie früher häufig geschehen – einfach abzufackeln, kann man es zusammen mit anderen NGL-Komponenten wie etwa Propan als kostengünstigen chemischen Rohstoff nutzen. ↳ IST MIT ÄHNLICHEN ENTWICKLUNGEN DURCH SCHIEFERGAS AUCH AUSSERHALB DER USA ZU RECHNEN? Die USA profitieren von einer einmaligen Situation – nur dort lässt sich derzeit die gesamte Prozesskette abbilden: Mit über 100 Jahren sehr intensiver Exploration weiß kein Land so gut über seine Erdgas- und Erdölvorkommen Bescheid wie sie. Das Pipelinenetz ist zudem sehr gut ausgebaut, stillgelegte Cracker konnte man einfach wieder hochfahren und auch bei den betriebenen Crackern ließ sich die Rohstoffbasis flexibel umstellen. Anderen Ländern wie zum Beispiel China fehlt meist nicht nur das nötige Pipelinenetz. Auch mangelt es oft an Know-how in den erforderlichen Technologien wie „horizontal drilling“ und „fracking“. ↳ WIE WIRD DAS US-SCHIEFERGAS DIE PETROCHEMIE IN ZUKUNFT BEEINFLUSSEN? Das Schiefergas wird massive Verschiebungen in allen Bereichen der Chemiebranche bewirken. Mittel- bis langfristig werden günstige Rohstoffexporte der USA die Petrochemie‑ anlagen und Cracker in Regionen wie Europa, Japan und Korea stark unter Druck setzen. LINDE TECHNOLOGY #1.14 // METALLVERARBEITUNG 50 Schweißtechnologie: mehr Sicherheit und Komfort GASE UNTER KONTROLLE Stahl ist das Rückgrat des Bausektors. Um die metallenen Konstruktionen für Brücken, Hoch‑ häuser oder Sportstadien zu verbinden, ist moderne Schweißtechnologie gefragt. Dabei spielt die exakte Dosierung der Schweißgase eine entscheidende Rolle. Linde-Experten haben jetzt einen neuen Gasdruckregler entwickelt, der die Branche aufhorchen lässt. Rund um den Globus wachsen die Megastädte – nicht nur in die Breite, sondern auch in die Höhe: In Tokio, New York und Hong‑ kong dominieren atemberaubende Wolkenkratzer. Hunderte Bau‑ kräne heben Stahlträger in luftige Höhen. Kilometerlange Schweiß‑ nähte halten sie zusammen und sorgen für ein stabiles, dauerhaftes Stahlskelett. Dabei müssen die Verbindungen hohen Zug-, Druck- und manchmal auch Fliehkräften standhalten. Das erfordert hohe Qualität beim Bau – und fehlerfreie Schweißprozesse. Die Stahlbauer müssen nicht nur schwindelfrei sein. Um eine dauerhafte Schweißverbindung zu schaffen, gehört neben Erfahrung auch hochwertige Technik dazu. Schweißnähte für die Skyline: Stahl‑ skelette bilden das tragende Gerüst vieler Bauwerke (oben). Damit Schweiß‑ experten (rechts) die benötigten Gase noch präziser und sicherer dosieren können, haben Linde-Experten einen neuartigen Gasregulator entwickelt. Denn Abweichungen zum Beispiel beim Gasgemisch können gravie‑ rende Folgen für die Festigkeit einer Schweißnaht haben. Wichtig ist es beim Autogenschweißen oder Schneidbrennen mit einem Acety‑ len-Sauerstoff-Gasgemisch: Der Brenner muss besonders zu Beginn gewährleisten, dass aus der Düse das gewünschte Mischungsverhält‑ nis herausströmt – und der Gasfluss und -druck konstant bleiben. Der Druck muss immer aufrechterhalten werden, um Sicherheitsrisiken wie Flammenrückschläge zu vermeiden, die die Ausrüstung beschä‑ digen oder Explosionen verursachen können. Um die Gase möglichst exakt zu dosieren, nutzt man Gasdruckregler, auch Druckminderer METALLVERARBEITUNG // LINDE TECHNOLOGY #1.14 51 INTELLIGENTE GASFLASCHE Kohlefaserverstärkung, elektronisches Display und ergono‑ misches Design – Gasbehälter müssen heute keine unhand‑ lichen, schwer bedienbaren Kolosse sein. Mit GENIE® hat Linde eine leichte und stabile Verbundmaterialflasche für Schweißschutzgase entwickelt, die nützliche Zusatzfunktionen bietet: Das elektronische Display informiert über Gasart, Durchfluss- und Restfüllmenge sowie die restliche Betriebs‑ dauer. Ein akustisches Signal weist auf einen niedrigen Füllstand hin. GENIE® eignet sich für alle komprimierten Gase – von Argon und Stickstoff bis zu Wasserstoff und Sauerstoff. Autorin: Caroline Zörlein Bildquellen: A. Pietrese / Gallerystock, M. Celiker / Gettyimages Sicher, stabil, einfach handbar: Der neu‑ artige Hybrid-Gasregulator SMOOTHFLO™ erfüllt die gestiegenen technischen Anfor‑ derungen der Schweißbranche. ↲↲ genannt. „Sauerstoffflaschen stehen unter einem enormen Druck von bis zu 300 Bar, während Acetylen üblicherweise bei 25 Bar gespeichert wird“, erklärt Michael Goss, Globaler Produktmanager für Schweißtechnik bei der Linde Gases Division. „Für den Schweiß‑ prozess muss der Sauerstoff jedoch auf einen Druck von fünf bis zehn Bar und Acetylen sogar auf ein Bar oder weniger gedrosselt werden. Diese Aufgabe übernehmen die Gasdruckregler.“ Solche Druckminderer sind eigentlich nichts Neues – bereits vor mehr als hundert Jahren haben Ingenieure sie entwickelt. „An ihrer Funktionsweise hat sich nur wenig verändert. Und das, obwohl die Standards in der Bauindustrie extrem gestiegen sind“, sagt Goss. Es wurde also höchste Zeit, einen neuen Gasdruckregler zu entwickeln, der die gewachsenen Anforderungen der Kunden noch besser erfüllt. „Wir hatten also den Anspruch, technisch innovativ zu sein und etwas wirklich Neues zu entwickeln“, erklärt der Linde-Experte. Das ist dem interdisziplinären Team um Goss, in Zusammenarbeit mit Lindes süd‑ afrikanischer Konzerntochter Afrox, gelungen. Das Ergebnis der zwei‑ jährigen Entwicklungszeit: Der Hybrid-Gasregulator SMOOTHFLO™. Im Juli 2013 wurde der Druckminderer in den Markt eingeführt – und zählt mittlerweile zu den sichersten und stabilsten, aber auch kom‑ paktesten seiner Art. „Hinsichtlich der Schutzfunktionen ist dieser Gasregler einzigartig“, sagt Ruben Naidoo aus Südafrika, Gruppenlei‑ ter beim US-amerikanischen Bergbau-Unternehmen Joy Global. Grund dafür ist der spezielle Ventilschaft von SMOOTHFLO™: Dort haben die Linde-Entwickler eine Sollbruchstelle integriert. Diese unterbricht im Falle eines Sturzes den Gasaustritt und verhindert, dass sich die unter Druck stehende Gasflasche in ein Geschoss ver‑ wandelt und zum Risiko für Menschen und Maschinen wird. Der Gas‑ regler hat noch eine zweite wichtige Feuerprobe bestanden: den so genannten Promoted Ignition Test (AS4267). Dabei wird die Flam‑ men- und Hitzebeständigkeit untersucht, indem man eine Explosion im Innern mithilfe von Stahlwolle, Flintstein und hohem Sauerstoff‑ druck erzeugt. Der Test gilt als bestanden, wenn der Gasregler unver‑ sehrt bleibt und keine Teile herauskatapultiert werden. „Gerade für Anwendungen im Bergbau oder im Bausektor ist dieses Sicherheits‑ merkmal von großer Bedeutung“, erklärt Goss. Zudem umschließt ein robuster Polymer-Mantel den neuen Gasregler und verhindert, dass die sensiblen Ventile und der Druckmesser Schaden nehmen. Um das Bauteil für den täglichen Gebrauch widerstandsfähiger zu machen, hat das Afrox-Team weitere Verbesserungen vorgenommen: „Bei‑ spielsweise kann SMOOTHFLO™ besser mit Überdruck umgehen“, sagt Roberto Dionisio, Leiter Forschung und Entwicklung bei Afrox in Süd‑ afrika. Für herkömmliche Gasregler, die meist mit Membranen arbei‑ ten, ist zu hoher Druck ein großes Problem und der häufigste Grund, dass die Bauteile kaputtgehen und ausgetauscht werden müssen. Gerade die Manometer reagieren sehr empfindlich auf Überdruck in der Gasflasche. Deshalb haben die Ingenieure auf Membranen ver‑ zichtet und setzen stattdessen auf eine spezielle Kolbentechnologie, die diesen Anforderungen gewachsen ist. Der neuartige Linde-Druckminderer bringt auch mehr Effizienz in die tägliche Arbeit der Stahlschweißer. Bei herkömmlichen Geräten sind bis zu elf Handgriffe nötig, um von null Bar bis zum Arbeitsdruck zu gelangen. SMOOTHFLO™ kommt mit nur drei Handgriffen aus. „Für mich ist es ein großer Vorteil, dass sich der Gasdruck sehr rasch neu einstellen lässt. Das spart viel Zeit für nachfolgende Arbeitsschritte“, sagt Jonas Ralenono von Genrec Engineering in Südafrika. Gleichmäßiger Gasdruck und präziser Gasstrom Ein weiterer Wunsch, den die Schweißbranche an Linde herangetragen hat: Der Gasdruck sollte ohne ständiges Nachregeln möglichst über den ganzen Tag konstant bleiben – auch wenn der Zylinder leerer wird und der Druck sinkt. Bei SMOOTHFLO™ dagegen erhöht sich der Ausgangsdruck, sobald dies geschieht: Um diese Herausforderung zu meistern, hat Afrox SMOOTHFLO™ als Einstufenregler (mit einer Druckkammer) entworfen – kombiniert mit den Vorteilen eines Mehr‑ stufenreglers, der typischerweise mit zwei Druckkammern arbeitet. Ein weiterer Pluspunkt: der gleichmäßige Gasdruck und die Präzision des Gasstroms. Naidoo: „Das Schneidbrennen funktioniert schnel‑ ler, sodass wir unsere Produktionszeiten einhalten können. Und die Schnitte sind auch viel sauberer.“ Das Linde-Team hat aber nicht nur die technischen Herausforderungen bei der Entwicklung von SMOOTHFLO™ gemeistert. „Unterschiedliche Zeitzonen und abweichen‑ de Kundenanforderungen erschweren die Entwicklung von Geräten für den Weltmarkt. Ohne ein großes, gut eingespieltes globales Team wäre das nicht machbar gewesen“, sagt Dionisio. Bislang lässt sich SMOOTHFLO™ für Sauerstoff und Acetylen anwenden und für 230-BarGasflaschen. Aber es gibt Entwicklungspläne für eine neue Version, die sich für weitere Gase wie Argon, Stickstoff oder Flüssiggas (LPG) eignet. Damit vervielfältigt sich auch das Einsatzgebiet der Gasregler. LINK: www.linde-gas.com LINDE TECHNOLOGY #1.14 // WASSERSTOFFTRANSPORT 52 Effizientere H₂-Infrastruktur HOCHDRUCK IM TRAILER Ein leistungsstarkes Tankstellennetz ist ein wichtiges Kriterium für die flächendeckende Wasserstoffmobilität – genauso wie eine energieoptimierte Lieferkette. Linde-Ingenieure haben eine neue Speichertechnologie entwickelt, die den sauberen Treibstoff noch effizienter zur Tankstelle bringt. Die Wasserstoffmobilität nimmt weiter Fahrt auf: Die Grundlagen und Strategien für die H₂-Zukunft sind weitgehend geschaffen. Jetzt arbeiten Ingenieure weltweit daran, den Infrastrukturaufbau voranzubringen. Dabei betrachten sie auch den Weg vom Erzeuger zum Verbraucher: „Es geht darum, den Wasserstoff möglichst energie‑ effizient an die Tankstelle zu liefern“, erklärt Dr. Andreas Opfermann, Leiter Clean Energy und Innovationsmanagement bei Linde. Die Linde-Experten transportieren den umweltfreundlichen Energieträger entweder tiefkalt verflüssigt (LH₂) oder als komprimiertes Wasserstoffgas (CGH₂) per Lkw an die Zapfsäulen. „Bislang mussten wir uns entscheiden, ob wir nur vergleichsweise wenig Gas transportieren, oder ob wir den Wasserstoff vorher verflüssigen, wofür zusätzliche Energie aufgewendet werden muss“, erklärt Dr. Helmut Hönnicke, Projektleiter beim Linde Innovationsmanagement. Genau diesen Zwiespalt hat Hönnicke zusammen mit seinen Kollegen jetzt beseitigt. Drei Jahre arbeiteten die Linde-Ingenieure an einer neuartigen Speichertechnologie, um durch höhere Verdichtung eine größere H₂-Menge transportieren zu können. Üblicherweise speichern die Trailer das Druckgas in zahlreichen aufrecht stehenden Flaschen, die untereinander zu einem zusammenhängenden Speichersystem verbunden sind. „Bisher wurde der Wasserstoff bei 200 Bar in die Trailer gefüllt“, erklärt Hönnicke. Damit schafften die Lkw 6.000 Normkubikmeter Wasserstoffgas pro Fahrt. Doch das war dem Projektteam zu wenig: „Wir wollten die mögliche Nutzlast verdoppeln“, sagt Wasserstoff-Spezialist Hönnicke. Um dieses Ziel zu erreichen, mussten er und seine Kollegen einige Herausforderungen meistern: „Einerseits schränken Gesetze die Maße und das Gewicht eines Trailers ein. Andererseits gibt es auch materialbedingte Grenzen für den Druck von Wasserstoff-Speicherelementen“, sagt Hönnicke. Die Linde-Ingenieure standen vor der Aufgabe, einen Wasserstoff-Speicher mit einem günstigeren Nutzlast-EigenmasseVerhältnis zu entwickeln. Dafür arbeiteten sie mit dem Spezialisten für Speicherelemente, xperion Energy & Environment, und den Gastransport-Experten von Wystrach zusammen. „Der Schlüssel zur WASSERSTOFFTRANSPORT // LINDE TECHNOLOGY #1.14 53 WASSERSTOFF AUF DIE STRASSE BRINGEN Die Partner der „H₂ Mobility“-Initiative – Air Liquide, Daimler, Linde, OMV, Shell und Total – haben sich auf einen konkreten Handlungsplan zum Aufbau eines landesweiten Wasserstoff-Tankstellennetzes für Brennstoffzellenfahrzeuge verständigt. Derzeit umfasst die öffentliche H₂-Infrastruktur in Deutschland 15 Tankstellen. Bis zum Jahr 2023 sollen Autofahrer an rund 400 Tankstellen Wasserstoff zapfen können. Der stufenweise Ausbau des nationalen Tankstellennetzes soll – nach Gründung eines entsprechenden Joint Ventures – dieses Jahr beginnen. Neben den Ballungsräumen und Hauptverkehrsrouten soll auch der ländliche Raum einbezogen werden. Das Ziel ist, mindestens alle neunzig Autobahnkilometer eine H₂-Tankstelle anzubieten. Von der H2-Produktion bis zur Tankstelle: Mithilfe der neuen 500Bar-Speichertechnologie können die Trailer (oben) doppelt so viel Wasserstoff transportieren – und Lieferfahrten reduzieren. Davon pro‑ fitieren die H₂-Tankstellen – wie hier in Berlin, Sachsendamm (links). Lösung lag darin, den Arbeitsdruck von 200 auf 500 Bar zu erhöhen“, erklärt Hönnicke. Denn der höhere Druck gewährleistet ein erheblich besseres Verhältnis von Gasmenge zu Gasvolumen. Und auch ökonomisch sind 500 Bar Arbeitsdruck ideal: „So konnten wir die Materialund Entwicklungskosten für die Speicherelemente im vertretbaren Rahmen halten und die Speicherkapazität dennoch beträchtlich vergrößern“, sagt Hönnicke. Mit ihrer Technologie gelang es den Linde-Ingenieuren, die Gesamtkosten für den CGH₂-Transport signifikant zu senken: „Ein Trailer mit der neuen 500-Bar-Speichertechnologie kostet heute zwar so viel wie drei konventionelle Trailer“, sagt Herbert Schenke, Leiter Flüssiggase- und Lieferketten-Management in der Region Kontinental- und Nordeuropa bei Linde, „aber die Betriebskosten verringern sich überproportional.“ ↲ ↳ Autor: Sebastian Kirschner Bildquelle: Linde AG Robuste Speicherelemente dank Kohlefasermantel Die Speicherelemente sind das Herzstück des neuen 500-Bar-Wasserstoff-Trailers. Dazu entwickelten die Ingenieure von xperion und Linde leichtere Flaschen, bei denen ein Kohlefasermantel die tragende Funktion übernimmt und dem hohen Druck standhält. „Der so genannte Inliner, eine spezielle, aus Hochdruckpolyethylen gefertigte Flasche im Inneren, hat bei den neuen Speichern nur noch die Aufgabe, den Behälter gasdicht zu machen“, erklärt Hönnicke. Die bisherigen Trailer verwendeten Speicher, die aus Stahlflaschen bestanden und nur zur Verstärkung mit Kohlefaser umwickelt waren. Auch für die Konstruktion und Befestigung des Speichers auf dem Lkw war besonderes technisches Know-how gefordert: „Wir müssen garantieren, dass die Flaschen während des Transports keinen Schaden nehmen“, sagt der Linde-Ingenieur. Deshalb holte man sich die Experten von Wystrach mit in das Projekt: Die Gastransport-Spezialisten konstruierten einen Stahlaufbau für den Sattelzugaufleger, um die Speicher auf dem Chassis einzuhängen, und rüsteten deren Aufhängepunkte mit Gelenken aus. „So sind die Ele- mente sicher mit dem Chassis verbunden und gleichzeitig so beweglich gelagert, dass sie Schwankungen ausgleichen können“, erklärt Walther Ambros, Zentrale Fahrzeugtechnik, Linde Gas Deutschland. Um die Sicherheit des Trailers weiter zu erhöhen, wurde der gesamte Aufbau in acht Speichersegmente, die sich einzeln voneinander abschotten lassen, unterteilt. Beim Abtanken an der Tankstelle offenbart die 500-Bar-Speichertechnik einen weiteren Vorteil: Mittels neu konstruierter Spezialarmaturen und einem Hochdruckschlauch lässt sich der gesamte Wasserstoffspeicher jetzt in einer Stunde komplett entleeren. In der gleichen Zeit schafften die alten Trailer nur ein Viertel der Menge. Zudem sieht Lindes H₂-Tankstellenkonzept vor, auch die stationären Wasserstoff-Tanks für einen höheren Druck fit zu machen. Denn zurzeit beliefern die 200-Bar-Trailer noch Gasspeicher, die nur mit 45 Bar Druck arbeiten. Hönnicke: „Eine höhere Speicherdichte würde auch an der H₂-Tankstelle selbst Platz sparen.“ Zudem können die bisher meterhohen, oberirdischen Lagertanks unter der Erde verschwinden, wie bei Benzin und Diesel. Das kommt den Anforderungen der Tankstellen-Betreiber entgegen: „Die Technik ist damit nicht nur sicher integriert, sondern auch kaum zu sehen“, erklärt Opfermann – und ist überzeugt: „Auch solche Details ebnen den Weg zur effizienten Wasserstoff-Infrastruktur.“ Einige Autobauer haben für 2015 bereits eine Serienmarkteinführung von Brennstoffzellenfahrzeugen auf dem deutschen Markt angekündigt. Und eine bedarfsgerechte Anzahl von H₂-Tankstellen und deren effiziente Belieferung ist, neben attraktiven Anschaffungs- und Betriebskosten der Fahrzeuge, eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Markterfolg. LINK: w ww.cleanenergypartnership.de LINDE TECHNOLOGY #1.14 // KRYOTHERAPIE 54 Kältesauna für Leistungssportler Nur wer hart trainiert, erzielt Höchstleistungen. Umso wichtiger ist es, Regenerations- und Verletzungsphasen möglichst kurz zu halten. Mit‑ hilfe der Kryotherapie sind Sportler schneller wieder fit. Die Linde-Tochter BOC UK hat jetzt die weltweit erste mobile Kältekammer entwickelt. Rugby – ein Spiel für Rowdys, betrieben von Gentlemen. So wird die Sportart gern umschrieben. Fair Play steht zwar im Mittelpunkt, doch im Kampf um Siege sind Verletzungen vorprogrammiert. Lange Erholungspausen können sich Profisportler aber nicht leisten. Trainer und Sporttherapeuten sind immer auf der Suche nach Möglichkeiten, um diese Phasen zu verkürzen. Dass rasches Kühlen bei Verletzungen hilft, ist bekannt. Doch extreme Minusgrade sollen die Sportler noch schneller fit machen. Die Kältespezialisten der britischen Linde-Tochter BOC UK haben dafür die weltweit erste mobile Kryotherapiekammer entwickelt. „Mit flüssigem Stickstoff bringen wir den Raum auf eisige Temperaturen – genauer gesagt auf minus 135 Grad Celsius“, erklärt Michael Toole, Kryotherapie-Manager bei BOC. „Ich fühle mich nach der Kältesauna viel frischer und bin schneller wieder fit“, sagt Kevin Sinfield, Kapitän der englischen RugbyNationalmannschaft. Das Team um Trainer Steve McNamara hat die Ganzkörper-Kältetherapie Ende 2012 in ihren Trainingsplan integriert. Seitdem fährt ein BOC-Experte regelmäßig zum Rugby-Trainingsgelände – mit einer mobilen Kühlkammer, die dem neusten Stand der Technik entspricht. „Während der Weltcups nutzen wir die Kältesauna bis zu dreimal pro Woche und jeweils dreimal am Tag – immer nach den Trainingseinheiten“, erklärt Rugby-Coach McNamara. Wenn zwei seiner Sportler ausgestattet mit persönlicher Schutzkleidung die Kältekammer betreten, ist immer ein BOC-Experte zur Aufsicht vor Ort. „Zuerst müssen die Rugby-Spieler für 30 Sekunden in eine minus 60 Grad Celsius kalte Vorkammer, um sich an die Kälte zu gewöhnen. Anschließend gehen sie in die Minus-135-Grad-Sauna“, erklärt Toole. Während die Sportler für zwei Minuten umherwandern, überwacht ein BOC-Experte, dass Temperatur, Druck und Luftfeuchtigkeit stimmen. Der Vorteil der Kryotherapie: Sie ersetzt das ungeliebte Eisbad – eine etablierte Methode, um Regenerationszeiten zu verkürzen. „Eisbäder gehören der Vergangenheit an. Die Sportler sind eher bereit die Kryotherapie zu nutzen, als sich in nasses, eiskaltes Wasser zu begeben“, erklärt Toole. Während die Haut in der Kältesauna in Autorin: Corinna Huber Bildquelle: A. Livesey / Getty Images, BOC / Studio UK EISKALT AN DIE W ELTSPITZE ↲↳ kurzer Zeit auf etwa 15 Grad Celsius abkühlt, bleibt die Temperatur im Körperkern unverändert. Das hat einen großen Effekt auf den Organismus: Die äußeren Blutgefäße verengen sich, das Blut zieht sich ins Körperinnere zurück und die Muskeln werden besser durchblutet. Auch der Hormonhaushalt reagiert: Endorphine schießen in den Körper und lindern das Schmerzempfinden. Adrenalin wird ausge‑ schüttet und sorgt für mehr Entzündungshemmer im Blut. Das Ergebnis der Kältesauna: Die Sportler fühlen sich gekräftigt und gelockert. Dass die Kryotherapie effizienter ist als andere Regenerationsmethoden, zeigte eine Studie des französischen National Institute of Sport, Expertise and Performance (INSEP): Bereits eine Stunde nach der Kälteanwendung hatte sich die maximale Muskelkraft vollständig regeneriert. Eine Studie der University of Central Lancashire ergab, dass ein zweiminütiger Aufenthalt bei minus 135 Grad Celsius optimal ist, um physiologische Veränderungen zu bewirken. Die verkürzten Erholungsphasen verhelfen den Sportlern zu einer langfris‑ tigen Leistungssteigerung. Die englische Rugby-Nationalmannschaft sieht sich bestens gerüstet für die nächsten Wettkämpfe. LINK: www.uclan.ac.uk LINDE TECHNOLOGY #1.14 // IMPRESSUM 02 Impressum Herausgeber: Linde AG Klosterhofstraße 1, 80331 München Telefon +49.89.35757-01 Telefax +49.89.35757-1398 www.linde.com Redaktion: Verantwortlich: Dr. Thomas Hagn, Linde AG; TransQuer GmbH/wissen + konzepte, München #1. 14 Produktion: TransQuer GmbH/wissen + konzepte, München Anfragen und Bestellungen an: Linde AG, Kommunikation Klosterhofstraße 1, 80331 München oder [email protected] Am Anfang stand eine Idee: Unsichtbare Gase sichtbar zu machen. Wir haben einen faszinierenden, einzigartigen Ansatz entwickelt. Numerische Grafiken, errechnet aus den spezifischen Stoffeigenschaften der Gase. Mehr unter www.fascinating-gases.com. Diese Heftreihe sowie weitere Fachberichte stehen unter www.linde.com als Download zur Verfügung. Nachdrucke oder elektronische Verbreitung nur mit Zustimmung des Herausgebers. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle (und bei vollständiger Quellenangabe) ist die Nutzung der Berichte aus „Linde Technology“ ohne Einwilligung des Herausgebers nicht gestattet. ISSN 1612-2224, Printed in Germany – 2014 Bildquellen: Titel: Wie Fang/Getty Images // Seite 04/05: Peter Ginter/Bayer, Chris Ryan/Getty Images, Alfred Buellesbach/Visum, Getty Images (3) // Seite 06/07: Linde AG (3) // Seite 08/09: Stocktrek Image/ Getty Images, Linde AG (2) // Seite 10: Sam Edwards/Getty Images // Seite 12/13: Ben Edwards/ Getty Images, Linde AG (2), Grafik: Almut Jehn // Seite 14/15: Linde AG, Car Culture/Getty Images, Panos Pictures/Visum, Richard Kail/SPL/Agentur Focus // Seite 17: Laguna Design/SPL/Agentur Focus // Seite 18: Linde AG, J. Chech, U. Bellhaeuser/beide Getty Images // Seite 21: Pete Saloutos, Don Nichols/beide Getty Image // Seite 22/23: David Nunuk/SPL/Agentur Focus [M] // Seite 24/ 25: Linde AG, Philippe Psalia/SPL/Agentur Focus, Grafik: Almut Jehn // Seite 26: Colin Cuthbert/SPL/ Agentur Focus // Seite 28/29: Hubert Raguet/Eurelios, David Scharf/beide SPL/Agentur Focus, Y. C./Getty Images, Grafik: Almut Jehn // Seite 31: Sasol // Seite 33: Plainpicture // Seite 34: mauritius Images/Alamy, Plainpicture // Seite 36/37: Dana Smillie/Bloomberg/Getty Images, Linde AG // Seite 38/39: Getty Images (6), mauritius Images/Cultura // Seite 40/41/42/43: Linde AG (9), Getty Images (4), Fotolia.com (2), Foodcentrale, Grafik: Almut Jehn // Seite 45: Henrik Sorensen/Getty Images, All Medical/Phanie // Seite 46: Linde AG // Seite 48/49: Reuters // Seite 50/51: Anno Pietrese/Gallerystock, Murat Celiker/Getty Images, Linde AG // Seite 52/53: Linde AG // Seite 54: Alex Livesey/Getty Images, BOC/Studio UK Am Puls der Zukunft: In Wirtschaftsmetropolen wie hier in Schanghai, China, vernetzen sich verschiedenste Industriezweige – und generieren innovative Technologien für morgen. Sehen Sie Wasserstoff. In einer Weltpremiere von Linde. LINDE TECHNOLOGY #1.14 Ausgabe #1. 1 4 TITELTHEMA: IMPULSE FÜR DIE ZUKUNFT LINDE TECHNOLOGY O RDNUNG IM NANO-KOSMOS Kohlenstoff-Nanoröhren aufbereiten SONNENKRAFT AUF ABRUF Solarenergie flexibel speichern MOTOR DER MIKROMECHANIK Spezialgase treiben Halbleiterbranche voran ENERGIEDIÄT FÜR HEISSE WINDE Mehr Effizienz im Hochofen SCHATZ IM SCHIEFERGESTEIN Rohstoffe für die Petrochemie V OM ANBAU ZUM TELLER G asetechnologie für die Lebensmittelindustrie NEUE TECHNOLOGIEN FÜR SCHLÜSSELBRANCHEN IMPULSE IMPULSE FÜR D DIE IE ZUKUNFT Herausgeber Linde AG Klosterhofstraße 1 80331 München Telefon +49.89.35757-01 Telefax +49.89.35757-1398 www.linde.com