Hausärztliche Leitlinie Diabetes mellitus Typ 2 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Konsentierung Version 3.00 11. April 2007 Revision bis spätestens April 2010 Version 3.09 vom 15.04.2008 F. W. Bergert M. Braun K. Ehrenthal J. Feßler J. Gross K. Gundermann H. Hesse J. Hintze U. Hüttner B. Kluthe W. LangHeinrich A. Liesenfeld E. Luther R. Pchalek J. Seffrin G. Vetter H.-J. Wolfring U. Zimmermann Inhaltsverzeichnis 03 Kontext und Kooperation 04 Verantwortlichkeit 05 Diabetes mellitus Typ 2 Pathophysiologie Definition und Klassifikation 06 Epidemiologie 07 Hausärztliche Schlüsselfragen Therapieziele 08 Risikoabschätzung Metabolisches Syndrom 23 25 28 30 Therapie bei Normalgewicht Diabetiker mit Insulinbehandlung Hinweise zur Insulintherapie Besonderheiten der Behandlung bei alten Diabetikern Besonderheiten bei Patienten in Pflege 33 Nicht medikamentöse Maßnahmen Arzneitherapie zur Blutzuckersenkung 34 Management der Hyperglykämie 35 Allgemeine Therapiehinweise Diabetes und Depression 36 Verlaufskontrollen 09 Case-Finding Früherkennnung (Case-Finding) prädiabetischer Stadien Früherkennung auf manifesten Diabetes mellitus 10 Diagnostik Definition und diagnostische Kriterien 11 Hinweise zum Glukosetoleranztest Fehlerquellen bei der Blutzuckerbestimmung Weitere Diagnostik 12 Unterschiede zwischen Typ-1- und Typ-2Diabetes 13 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Therapiestufen: Voraussetzungen und deren Grenzen 14 Individualisierte Therapieziele 17 Inzidenz der Komplikationen in Abhängigkeit von Blutdruck- und HbA1c-Werten 19 Prävention des metabolischen Syndroms und des Diabetes mellitus Typ 2 20 Diabetiker mit lebensstilmodifizierenden Maßnahmen 22 Diabetiker mit oralen Antidiabetika Therapie bei Übergewicht 37 Schnittstellen Kooperationsebene, Indikationsstellung 38 Folgeerkrankungen 41 Die fünf wichtigsten Folgeerkrankungen 42 Therapie der Folgeerkrankungen Diabetisches Fußsyndrom 44 Zusammenfassung 45 Literatur Zur Erarbeitung herangezogene Leitlinien 47 Zitierte Literatur 57 Anhang: Glykämischer Index 58 Anhang: Diagnostik im Überblick Definition und diagnostische Kriterien 59 Anhang: Nicht-insulinotrope Antidiabetika Metformin (OAD) 60 Glitazone (OAD) 61 Alpha-Glucosidasehemmer (OAD) 01 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Inhaltsverzeichnis 62 Anhang: Insulinotrope Antidiabetika Sulfonylharnstoffe (OAD) 63 Glinide (OAD) 64 Inkretin-Mimetikum (s.c.) 65 Anhang: Diabetische Neuropathie Neuropathie Symptom Score (NSS) 66 Neuropathie Defizit Score (NDS) 67 Anhang: Diabetischer Fuß 68 Dokumentationsbogen Fußsyndrom 70 Anhang: Augenkontrolle Begleitbogen bei Überweisung zum Augenarzt 73 Anhang: Diabetes und Führerschein Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung 74 Begründung der Leitsätze nach verkehrsmedizinischen Aspekten 75 Ratschläge für insulinbehandelte Kraftfahrer 76 Anhang: Studientabellen Behandlung des Typ-2-Diabetikers 80 Sekundärprävention/Risikopatienten 81 Anhang: Statistik Übersicht über Risikomaße und statistische Kenngrößen 83 Evidenzkategorien 71 Anhang: Praxistipps 14 Empfehlungen für Patienten 72 Anhang: Depression Kurztest zur Diagnose einer Depression 84 Informationen zur Leitliniengruppe Hessen 86 Internetadressen und Disclaimer Evidenzbasierte Patienteninformationen Disclaimer 02 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Kontext und Kooperation Bisher veröffentlicht Leitlinien zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 Antikoagulation Arzneimittel im Alter Asthma bronchiale und COPD Chronische Herzinsuffizienz Fettstoffwechselstörung Hausärztliche Gesprächsführung Hypertonie Magen-Darm-Beschwerden Palliaitvversorgung Psychosomatik Schmerzen Stabile Angina pectoris Venöse Thromboembolien Die Leitliniengruppe Hessen ist daran interessiert, Rückmeldungen und Anregungen von Kollegen und Kolleginnen zur Anwendung der Leitlinie in der Praxis zu erhalten. Bitte teilen Sie Ihre Meinung und Vorschläge der PMV forschungsgruppe mit. Vielen Dank. PMV forschungsgruppe Stichwort »Leitlinien« Herderstraße 52-54 50931 Köln Fax: 0221-478-6766 Email: [email protected] http://www.pmvforschungsgruppe.de Die Leitliniengruppe Hessen wurde 1998 mit dem Ziel gegründet, hausärztliche Leitlinien zu ausgewählten Themen der Pharmakotherapie für die Arbeit in Pharmakotherapiezirkeln zu erstellen. Die hausärztlichen Qualitätszirkel »Pharmakotherapie« gehören zu einem Programm der KV Hessen zur Qualitätssicherung. Die Verantwortung für die Inhalte der Leitlinie liegt bei der Leitliniengruppe. Die Pharmakotherapiezirkel und die Leitlinienarbeit werden von der KV Hessen ohne inhaltliche Einflussnahme und ohne Verantwortung für die Inhalte gefördert. Die Moderation der Leitliniensitzungen, die wissenschaftliche Begleitung und Konzeption hausärztlicher Leitlinienerarbeitung sowie die Evaluation erfolgt durch die PMV forschungsgruppe, Universität zu Köln. Ein Training in Methoden der Evidenzbasierung und Unterstützung in der Strukturierung der Leitlinien erfolgte durch das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ, Berlin). Im Rahmen eines BMGS-Projektes wurde (bis 5/2003) das Gesamtprojekt vom ÄZQ begleitet und mitevaluiert. Die erarbeiteten Leitlinien werden über das ÄZQ [www.leitlinien.de] und die PMV forschungsgruppe regelmäßig im Internet veröffentlicht. 03 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Verantwortlichkeit Zusammensetzung der Leitliniengruppe Unabhängigkeit Ziele und Arbeitsweise Zusammensetzung der Leitliniengruppe Die Mitglieder der »Leitliniengruppe Hessen – Hausärztliche Pharmakotherapie« sind praktizierende Hausärzte aus dem Bereich der KV Hessen und seit z. T. mehr als 10 Jahren als Moderatoren hausärztlicher Pharmakotherapiezirkel tätig. Sie entwickeln zu ausgewählten hausärztlich relevanten Indikationsgebieten Leitlinien. Die Leitlinien sind Bestandteil des Projektes »Hausärztliche Qualitätszirkel Pharmakotherapie«. Sie dienen gleichermaßen der Schulung der Moderatoren wie der Teilnehmer der Pharmakotherapiezirkel. Die Leitlinien werden in gedruckter Form (KVH aktuell Pharmakotherapie) und im Internet [www.leitlinien. de, www.pmvforschungsgruppe.de] veröffentlicht. Unabhängigkeit Die inhaltliche Arbeit der Leitliniengruppe geschieht selbstständig und ohne äußere Einflussnahme. Die Mitglieder der Leitliniengruppe Hessen sind ehrenamtlich mit Vergütung ihrer Spesen durch die KV Hessen tätig. Die KV Hessen entsendet weder Mitglieder in die Leitliniengruppe, noch werden ihnen Leitlinien vor der Veröffentlichung vorgelegt. Es bestehen keine finanziellen oder inhaltlichen Abhängigkeiten der »Hausärztlichen Leitliniengruppe Hessen« zu irgendwelchen weiteren Einrichtungen oder anderen Interessenten. Ziele und Arbeitsweise Die Leitliniengruppe Hessen versteht die Leitlinien als Orientierungs- und Entscheidungshilfen für die Versorgungsaufgaben des Hausarztes. Die Leitlinien enthalten therapeutische Handlungsempfehlungen für typische Beschwerdebilder und Behandlungssituationen – für den »Normalfall«. Patienten, die Besonderheiten aufweisen, müssen bedarfsgerecht nach ihren individuellen Gegebenheiten behandelt werden. Die Empfehlungen werden – so weit möglich – durch Studien und mit Evidenzgraden (s. u.) versehen. Besonderen Wert legt die Leitliniengruppe auf nichtmedikamentöse und patientenaktivierende Maßnahmen. Deren niedrigere Evidenzbewertung bedeutet nicht, dass sie weniger relevant sind, sondern zeigt nur, dass sich diese Maßnahmen weniger für die Standarduntersuchungsmethoden der evidenzbasierten Medizin (wie randomisierte klinische Studien, doppelblind) eignen und dass es schwierig ist, für diese Untersuchungen Sponsoren zu gewinnen. Die in den Leitlinien formulierten Grundsätze beruhen auf einer sorgfältig durchgeführten Leitlinienund Literaturrecherche [144]. Bestehen bereits evidenzbasierte Leitlinien zur Thematik, werden die für die hausärztliche Pharmakotherapie wichtigen Empfehlungen übernommen. Soweit entsprechende Untersuchungen fehlen, werden aufgrund von therapeutischen Erfahrungen der praktizierenden Hausärzte im Konsens verabschiedete Empfehlungen gegeben. Zu einzelnen Fragen werden Expertenmeinungen eingeholt. Erst dieses pragmatische Vorgehen ermöglicht eine Leitlinienarbeit durch Hausärzte und schont die knappen Ressourcen. Die Leitliniengruppe beschreibt ihre Arbeitsweise in einem allgemeinen Leitlinienreport und erstellt außerdem zu jeder Leitlinie einen spezifischen Report. 04 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Diabetes mellitus Typ 2 Pathophysiologie Definition und Klassifikation Pathophysiologie [140, 141] Die pathophysiologische Erklärung des Diabetes mellitus Typ 2 hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten sehr gewandelt. Man geht heute davon aus, dass bei den meisten Typ-2-Diabetikern zu Beginn der Erkrankung kein Insulinmangel, sondern eine verminderte Wirksamkeit des Hormons an den Zielorten (Muskulatur, Leber, Fettgewebe) im Vordergrund steht, eine sogenannte Insulinresistenz, die sowohl genetisch bedingt ist, als auch ganz wesentlich durch viszerale Adipositas und Bewegungsmangel beeinflusst wird (s. u.). In dieser frühen Phase kann die Bauchspeicheldrüse die verminderte Ansprechbarkeit der Organe auf Insulin durch Mehrproduktion von Insulin kompensieren, bis diese Mehrproduktion nicht mehr ausreicht, die Insulinresistenz zu überwinden. Es kommt zur Manifestation des Diabetes mellitus. Mit weiterem Fortschreiten der Erkrankung kann es zu einer Erschöpfung der Bauchspeicheldrüse kommen und damit zu einem Insulinmangel. Insulinsekretionsstörung und Insulinresistenz können entsprechend den unterschiedlichen genetischen Faktoren verschieden ausgeprägt sein und damit kann auch das Ansprechen auf Medikamente unterschiedlich sein. Die Insulinresistenz ist ganz wesentlich mit der viszeralen Adipositas (s. o.) vergesellschaftet. Man weiß heute, dass das viszerale Fettgewebe im Gegensatz zum subkutanen Fettgewebe endokrin äußerst aktiv ist und eine Vielzahl von Enzymen und anderen Faktoren produziert, die Einfluss auf den gesamten Stoffwechsel und Kreislauf nehmen. Dadurch steigt der Blutdruck an und die Endothelfunktion kann gestört werden. Durch die Fetteinlagerung in der Leber kommt es zu einer erhöhten Glukoneogenese und Verstärkung der Insulinresistenz (die z. B. durch Metformin gebremst wird). Vom viszeralen Fettgewebe werden auch große Mengen freier Fettsäuren freigesetzt, die die Insulinresistenz verstärken und zu einer Fettstoffwechselstörung führen mit erhöhten Triglyzeriden, erniedrigtem HDL- und erhöhtem LDL-Cholesterin. Diese Erkenntnis lässt auch die Crux mit den meisten aktuellen Therapieverfahren erkennen: Obwohl sie den Blutzucker (BZ) senken, führen viele zur Gewichtszunahme (mit Ausnahme von Metformin) und damit zur Verschärfung des zugrunde liegenden pathophysiologischen Ablaufs. Hierin ist begründet, dass ohne deutliche Gewichtsreduktion und Zunahme der Bewegung die Therapie oft so frustran und der Diabetes progredient ist. Definition und Klassifikation des Diabetes mellitus [92, 154] Bei 80% der Typ-2-Diabetiker liegt eine Adipositas vor, typischerweise mit Insulinresistenz einhergehend [91]. Bei normgewichtigen Typ-2-Diabetikern besteht vorrangig eine Insulinsekretionsstörung. Im Gegensatz hierzu besteht beim Typ-1 ein absoluter Insulinmangel durch eine immunologisch bedingte Zerstörung der Inselzellen [180]. 1. Typ-1-Diabetes (5 bis 10% aller Diabetiker) 2. Typ-2-Diabetes (90 bis 95% aller Diabetiker) 3. Andere Diabetesformen genetische Defekte (Typ MODY) Erkrankungen des exokrinen und endokrinen Pankreas: chron. Pankreatitis, Z.n. Pankreas-Op Medikamenten induziert (z. B. Cortison) 4. Gestationsdiabetes (GDM) 05 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Diabetes mellitus Typ 2 Epidemiologie Epidemiologie Diabetes mellitus Typ 2 zählt zu den Volkskrankheiten. In Deutschland leben schätzungsweise gegenwärtig fünf bis sechs Millionen Typ-2-Diabetiker, wobei von einer weiteren Zunahme der Diabetesprävalenz – auch weltweit – ausgegangen wird [75, 91]. Der Anteil der nicht erkannten Diabetiker in Deutschland wird je nach Verfahren auf ca. 200.000 bis 1,5 Millionen geschätzt [69]. Die Prävalenz steigt mit dem Alter stark an. Zwar sind zur Zeit noch nur rund 10% der Typ-2-Diabetiker unter 50 Jahre alt, doch ist zu befürchten, dass aufgrund der Zunahme des Übergewichts und der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen die Zahl derer, die schon in jungen Jahren ein metabolisches Syndrom und daraus folgend einen Typ-2-Diabetes entwickeln, in Zukunft steigen wird [171]. 06 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Diabetes mellitus Typ 2 Hausärztliche Schlüsselfragen Therapieziele Hausärztliche Schlüsselfragen In der hausärztlichen Behandlung der Diabetiker zeigen sich folgende Herausforderungen: Wie finde ich bislang »unentdeckte Diabetiker« unter meinen Patienten? Wie finde ich Patienten mit metabolischem Syndrom? Welche Therapie sollten sie erhalten? Wie kann ich die Patienten zur Änderung ihrer Lebensweise motivieren? Wie motiviere ich meine Patienten für die Schulung? Wie stelle ich die regelmäßige Kontrolle von Blutzucker, Blutdruck und von Maßnahmen zur Früherkennung von Folgeerkrankungen sicher? Wie vermittle ich Krankheitseinsicht? Wie sensibilisiere und motiviere ich den Patienten für das frühe Erkennen von Folgeerkrankungen wie diabetisches Fußsyndrom, Sensibilitätsstörungen? Welche HbA1c Werte und welche Blutdruckwerte sind bei welchen Patienten anzustreben? Wie gelange ich zu einem individualisierten Therapieziel? Wann und wie stelle ich auf Insulin um? Wie erkenne ich frühzeitig kardiovaskuläre Komplikationen beim Diabetiker? Wie erkenne und behandle ich eine psychische Komorbidität (z. B. Depression)? Wann stelle ich die Indikation für therapeutische Innovationen? Welche medikamentösen Alternativen habe ich bei Vorliegen von Kontraindikationen? Welche Besonderheiten bestehen bei pflegebedürftigen/bei multimorbiden Diabetikern? Wie stelle ich eine rationale und rationelle Arzneitherapie sicher? Ziele der hausärztlichen Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus sind: Symptomfreiheit von Polyurie, Polydipsie, Abgeschlagenheit Vermeidung von hypo- und hyperglykämischen Entgleisungen und ihren Folgen Vermeidung von Folgeerkrankungen und Komplikationen (u. a. KHK/AVK, Erblindung, Nephropathie, Neuropathie, diabetischem Fuß) Kompetenzsteigerung der Betroffenen im Umgang mit der Erkrankung Minimierung der Nebenwirkungen der Therapie und der hierdurch bedingten Einschränkung der Lebensqualität Psychische Komorbidität zu erkennen und zu behandeln Therapieziele sind abhängig von Lebensalter, Komorbidität und Lebenserwartung. Um diese Ziele zu erreichen, müssen Beratung, Therapie und Kontrolle durch den Hausarzt engmaschig und konsequent erfolgen. Die strukturellen Voraussetzungen hierfür bietet das DMP Diabetes mellitus Typ 2. Die vorgezeichneten Strukturen erlauben nicht nur einen sichereren Umgang mit den Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 in der Hausarztpraxis, sondern auch die Möglichkeit ein entsprechendes Management der Diabetiker zu entwickeln. 07 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Diabetes mellitus Typ 2 Risikoabschätzung Metabolisches Syndrom Risikoabschätzung Zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, in den nächsten 10 Jahren an Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken, stehen – auch internetbasiert – verschiedene Scores zur Verfügung, die zur Zeit in der Praxis getestet werden (z. B. Deutscher Diabetes Risiko-Score: www.dife.de, FINDRISK: www.findrisk.de) [41, 42, 43, 142]. Eine Empfehlung für einen bestimmten Score kann aus Sicht der Leitliniengruppe zur Zeit noch nicht gegeben werden. Metabolisches Syndrom Nach der Definition des National Cholesterol Education Program (NCEP) [115] liegt ein metabolisches Syndrom vor, wenn drei oder mehr der folgenden Kriterien erfüllt sind: Zentrale Adipositas (Bauchumfang > 102 cm Männer, > 88 cm Frauen)* Nüchtern-Plasmaglukose > 110 mg/dl Hypertonie > 130/85 mmHg HDL-C < 40 mg/dl Männer / < 50 mg/dl Frauen Triglyzeride > 150 mg/dl * Die abdominelle Fettsucht ist eher mit metabolischen Risikofaktoren verbunden als ein erhöhter BMI. Deshalb wurde der Bauchumfang als Maß aufgenommen (gemessen zwischen unterem Rippenbogen und Beckenkamm). Nicht unerwähnt bleiben sollte die Insulinresistenz als Bindeglied zwischen metabolischem Syndrom und PCOS (polyzystisches Ovarsyndrom). Insbesondere übergewichtige und adipöse Frauen mit einem PCOS weisen häufig die Kriterien eines metabolischen Syndroms auf. Daher sollten Frauen regelmäßig auf das Vorliegen eines metabolischen Syndroms bzw. seiner einzelnen Komponenten untersucht werden. Bei Patienten mit metabolischem Syndrom sollte das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen abgeschätzt werden. Hierzu stehen verschiedene Scores zur Verfügung. arriba ist ein Beratungskonzept zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen mit dessen Hilfe Risikofaktoren gewichtet und Therapieoptionen in ihrem Einfluss auf das kardiovaskuläre Risiko visualisiert werden (s. www.arriba-hausarzt.de) [54] PROCAM-Score: für Patienten mit und ohne Diabetes zur Abschätzung des kardiovaskulären Risikos. Der UKPDS-Score für Diabetiker zur Abschätzung der kardiovaskulären Morbidität unter Berücksichtigung der Blutzuckereinstellung und Erkrankungsdauer. Dieser Test ist für manifeste Diabetes-Patienten. 08 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Case-Finding Früherkennnung (Case-Finding) prädiabetischer Stadien Früherkennung auf manifesten Diabetes mellitus Früherkennung diabetischerVorstadien und des manifesten Diabetes mellitus Typ 2 Vorstadien des Diabetes lassen sich verifizieren. Da zum Zeitpunkt der Diagnosestellung des Typ 2 Diabetes bereits fast 50% der Patienten makrovaskuläre Komplikationen haben [161] ist eine Früherkennung (i.S. von Case-Finding) für den hausärztlichen Bereich besonders wichtig. Laut einer kürzlich veröffentlichten Metaanalyse ist für Frauen mit metabolischem Syndrom das kardiovaskuläre Risiko 2,6-fach und für Männer 2-fach erhöht [61]. Dies unterstreicht die Bedeutung der Früherkennung und Frühtherapie. Insbesondere bei den nachfolgenden Patientengruppen ist eine Untersuchung erforderlich: Bei allen Patienten, die erhöhte Scorewerte (> 11 Punkte im Finnischen Diabetes RisikoScore aufweisen [41, 42, 43] Bei kardiovaskulären Erkrankungen Erektile Dysfunktion Bei Frauen nach Geburt eines Kindes mit mehr als 4500 g Geburtsgewicht Nach Gestationsdiabetes Bei Infektneigung, Furunkulosen, rezidivierenden Mykosen polyzystisches Ovarsyndrom besonders gefährdete Ethnien (Schwarze, Asiaten, Lateinamerikaner usw.) Es gibt verschiedene Methoden im hausärztlichen Bereich zur Blutzuckerbestimmung: Glukose im Serum (venös, cave: nur valide, wenn zentrifugiert) Plasmaglukose (venös, NaF-Blut) Glukose in der Kapillare (kapillär = KapillarBlut) Beachte die unterschiedlichen Normbereiche!! 09 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Diagnostik Definition und diagnostische Kriterien Diagnostik von Vorstadien des Diabetes mellitus: Bei zweimaliger Bestimmung des Nüchternblutzuckers zwischen 100 und 110 mg/dl (venöses Vollblut zum Beispiel bei einer Gesundheitsuntersuchung) handelt es sich um einen latenten Diabetes (= »impaired fasting glucose« IFG) oder zweimalige Bestimmung eines postprandialen Blutzucker (venöses Vollblut) zwischen 140 und 180 mg/dl (= gestörte Glucosetoleranz) Die Diagnose eines Diabetes sollte nur mit Glukosewerten gestellt werden, die mit einer qualitätskontrollierten Labormethode gemessen wurden. Geräte zur Blutzuckerselbstmessung eignen sich hierfür nicht! Selbst bei Anwendung exakter Labormethoden ist zu bedenken, mit welcher Genauigkeit ein Glukosewert gemessen werden kann: Sogar mit dem »guten« Variationskoeffizienten einer Methode von zwei Prozent muss man davon ausgehen, dass bei einem »wahren« Wert von 126 mg/dl der 95Prozent-Vertrauensbereich von 121 bis 131 mg/dl reicht. Je nach klinischer Bedeutung der Diagnose sollten im Einzelfall Werte im Grenzbereich mehrmals in größeren zeitlichen Abständen gemessen oder ein oGTT gemacht werden. Vorgehensweise bei der BZ-Bestimmung: Zur BZ-Bestimmung sollte in der Praxis kapilläres Vollblut oder Plasmaglukose venös (NaFBlut) untersucht werden. Der Schwellenwert ist nüchtern ≥ 110 mg/dl (kapillär) (≥ 125 mg/dl venös) und der 2-Stundenwert (oGTT) ≥ 200 mg/dl (kapillär) und ≥ 220 mg/dl (venös). Den Blutproben sollte zur Glukosemessung – sofern sie nicht enteiweißt werden – ein Zusatz zur Hemmung der Glykolyse in den Erythrozyten zugefügt werden [159]. Kapillarblut (d. h. Blut wird mit einer Glaskapillare an der Fingerkuppe – kapillär – abgenommen) zeigt in entsprechenden Hämolysierungsgemischen stabile Werte für 48 h [173]. Entsprechende Röhrchen für die Blutabnahme bzw. Hämolyselösungen sind im Handel erhältlich. Zur Diagnostik und Interpretation von Blutzuckerwerten [151] siehe nachfolgende Tabelle des DMP-Handbuchs [8, 9]. Die Leitliniengruppe empfiehlt, keine Teststreifen zur Diagnosestellung zu verwenden. Unzentrifugiertes Vollblut ist zur Diagnosestellung nicht geeignet. Interpretation von Blutzuckerwerten [151] Plasmaglukose venös kapillär mmol/l mg/dl mmol/l mg/dl Nüchtern ≥ 7,0 ≥ 126 ≥ 7,0 ≥ 126 2 Std. nach oGTT ≥ 11,0 ≥ 200 ≥ 12,2 ≥ 220 Vollblutglukose venös kapillär mmol/l mg/dl mmol/l mg/dl ≥ 6,1 ≥ 110 ≥ 6,1 ≥ 110 ≥ 10,0 ≥ 180 ≥ 11,0 ≥ 200 10 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Diagnostik Hinweise zum Glukosetoleranztest Fehlerquellen bei der Blutzuckerbestimmung Weitere Diagnostik Hinweise zum oralen Glukosetoleranztest Drei Tage zuvor kohlenhydratreiche Ernährung (ohne Beschränkung der körperlichen Aktivität vor dem Test) Keine Testung drei Tage vor und drei Tage nach der Menstruation Keine Testung während einer Erkältung Vor dem Test 12-14-stündige Nüchternperiode und Nikotinverzicht Häufige Fehlerquellen in der hausärztlichen Praxis: BZ-Teststreifen zur Diagnosestellung (hohe Ergebnisvariabilität) Nichtzentrifugiertes Vollblut in Gel-Monovetten (Verminderung der Glukosekonzentration über die Zeit duch Glukoseabbau in den Erythrozyten) Körperliche Aktivitäten des Patienten während des Tests Nicht beachten von Störungen des BZ-Stoffwechsels durch Medikamente wie z. B. Glukokortikoide, Epinephrin, Phenytoin, Diazoxid und Furosemid Messung während interkurrenter Infekte Hinweis: Bei Patienten, die die Grenzwerte auf der Basis des OGT nur geringfügig überschreiten, ist das gesamte Risikoprofil für die Therapieentscheidung individuell heranzuziehen. Weitere Diagnostik Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (KHK, AVK). Bei Diabetikern mit einem kardiovaskulären Risiko von über 20% in 10 Jahren stellt sich die Frage der weiteren diagnostischen Abklärung, zumal damit gerechnet werden muss, dass ein Diabetiker die Angina pectoris nicht spürt. Aus diesem Grund sollte ein Belastungs-EKG durchgeführt werden (siehe DMP [8, 9 ]). Sensitivität und Spezifität des BelastungsEKGs liegen bei 68% bzw. 77% [3]. Diese Untersuchung hilft dem Hausarzt, diejenigen Patienten zu bestimmen, die einer intensiveren Diagnostik und je nach Ergebnis einer zusätzlichen medikamentösen Behandlung zugeführt werden sollten. Allen Diabetikern mit einem Risiko über 20% einen CSE-Hemmer, Acetylsalicylsäure (100 mg) und einen Betablocker ohne vorherige weitere Diagnostik zu geben, halten wir in Anbetracht der möglichen Nebenwirkungen und Kosten für nicht vertretbar. Besteht nach Durchführung eines negativen Belastungs-EKGs weiterhin der Verdacht auf einen KHK, stehen noch zwei weitere nichtinvasive Untersuchungsmethoden zur Verfügung: die Myocardszintigraphie mit einer Sensitivität von 89% und Spezifität von 80% sowie die Stress-Echokardiographie mit einer Sensitivtät von 85% und Spezifität von 79% [3]. 11 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Diagnostik Weitere Diagnostik (Fortsetzung) Unterschiede zwischen Typ-1- und Typ-2Diabetes Als Möglichkeiten zur Diagnose einer pAVK stehen der Knöchel-Arm-Index und für die Carotisstenose die Duplexsonographie der Halsgefäße zur Verfügung. Bei keinem der beiden Verfahren kann bei einem positiven Ergebnis auf das Vorliegen einer KHK geschlossen werden [24], deshalb nicht als Screeningmaßnahme geeignet. (Cave: bei symptomfreien Patienten stellen beide präventive Leistungen dar, also IGeL) Bei Diabetikern ohne tastbare Fußpulse ist die Knöchel-Arm-Index Bestimmung zum Ausschluss bzw. Diagnostik einer pAVK sinnvoll. Auch wenn es keine Studie gibt, die den prädiktorischen Wert für den Knöchel-Arm-Index für eine KHK festlegt (d. h. als Screening-Maßnahme), ist er als Routinemaßnahme bei Diabetikern mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko zu empfehlen, da er mit hoher Sensitivität eine pAVK und zusätzlich eine erhöhte Mortalität für kardiovaskuläre Ereignisse vorhersagt [21, 49, 50, 77]. Die Methode der Wahl zur Diagnostik von Carotisstenosen ist einer Studie zufolge die Carotisduplexsonographie mit einer Sensitivität von 87% und einer Spezifität von 86% [105]. Der Diabetiker soll einmal jährlich beim Augenarzt vorgestellt werden (Augenfachärztlicher Untersuchungsbogen der IFDA/AGDA im Anhang). Charakteristische Unterschiede zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes (nach Versorgungsleitlinie [28]) Befunde/Symptome Typ 1 Typ 2 Ketoseneigung deutlich nein Insulinbedarf immer erst sekundär Altersgipfel bei Manifestation meist Jugend zweite Lebenshälfte Hereditäre Penetranz mäßig deutlich Gewicht bei Manifestation normal/untergewichtig meist adipös Insulinsensitivität hoch mäßig Inselzell-Antikörper (fast immer) vorhanden fehlen Blutzucker-Stoffwechsellage labil stabil Symptome bei Manifestation rasch auftretend milde, teils fehlend Bei klinischem Verdacht auf einen Typ 1 Diabetes im Erwachsenenalter ist die Bestimmung von ICA (Inselzellantikörper) und GAD-Antikörpern (Anti- körper gegen die Glutamatdecarboxylase) angebracht. 12 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Therapiestufen: Voraussetzungen und deren Grenzen Die folgenden Ausführungen zur Behandlung des Diabetes mellitus lehnen sich an die Sächsische Leitlinie zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 an [57, 58]. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Therapie sind: Differenzierung des Diabetes-Typs: Eine effektive Therapie hängt neben der frühzeitigen Erkennung auch von der richtigen Differentialdiagnostik ab. Bei Diabetikern < 40 Jahren ist ein sich spät manifestierender Typ-1-Diabetes möglich (ggf. Überweisung in eine diabetologische Schwerpunktpraxis). Die Therapieziele sollten in Abhängigkeit von der Prognose gemeinsam mit dem Patienten festgelegt werden. Zu besprechen sind u. a Möglichkeiten zur Veränderung der Lebensweise, Gewichtsreduktion und Stoffwechselparameter. Unterstützend für das Gespräch sind die Darstellungen aus der UKPD-Studie (s. u.). Strukturierte Diabetiker-Schulung (ggf. diabetologische Schwerpunktpraxis). Vermittlung von Kenntnissen zur Erkrankung unter Einbeziehung von Familienangehörigen (DMP Diabetes). Motivierung zur Blutdruck- und Blutzuckerselbstmessung, soweit indiziert (s. u.) Führen eines Blutzuckertagebuches und des Gesundheitspasses Diabetes. Dem Alter und den Begleiterkrankungen angepasste körperliche Aktivität. Versorgung des Patienten auf der richtigen Betreuungsebene. Die entscheidenden Kriterien für die Wahl der Therapie bei Diabetes mellitus Typ 2 und der Versorgungsebene sind Nüchternblutzucker HbA1c (individualisiert) Blutdruck (individualisiert) Komorbidität Patientenwunsch Hierzu werden individuelle Therapieziele festgelegt (s. u.). Wenn bei einem neu diagnostizierten Díabetes mellitus Typ 2 noch keine Folgeschäden bestehen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass lebensstilmodifizierende Maßnahmen wie Ernährungsumstellung, Bewegung, Gewichtsreduktion, Schulung ausreichend sind. Bestehen bei neu entdecktem Diabetes mellitus Typ 2 bereits Folgeschäden, ist die Notwendigkeit für eine zusätzliche medikamentöse Therapie sehr wahrscheinlich. Werden die individuellen Therapieziele nicht erreicht, ist die gewählte Therapie zu überdenken und der nächste Therapieschritt einzuleiten. Vorgehen bei akuten Stoffwechselentgleisungen aufgrund anderer Erkrankungen (z. B. Infektionen, endokrine Funktionsstörungen) unverzügliche Therapie-Anpassung oder Umstellung der Therapie (z. B. von oral auf Insulin) Vorstellung in einer Schwerpunktpraxis oder Klinik 13 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Individualisierte Therapieziele Individualisierte Therapieziele Vorbemerkung: Für viele Empfehlungen zum Diabetes mellitus Typ 2 fehlen Studien mit ausreichender oder übertragbarer Evidenz. Die Empfehlungen beruhen auf einem Konsens der Leitliniengruppe unter Einbeziehung der klinischen Erfahrung (best clinical practice) und Praktikabilität. Diese Empfehlungen sind mit {C} gekennzeichnet. Die klinische Heterogenität des Typ-2-Diabetes bedingt, dass nicht bei jedem Diabetiker dieselben therapeutischen Zielsetzungen verfolgt werden können [102]. Im DMP-Handbuch und der Nationalen Versorgungs-Leitlinie werden u. a. folgende Anhaltspunkte gegeben [4, 5, 152]: Steht die Vermeidung der Symptome der Erkrankung (Polyurie, Abgeschlagenheit etc.) sowie die Vermeidung schwerer Stoffwechselentgleisung im Vordergrund (z. B. bei multimorbiden Patienten mit schlechter Prognose), wird ein HbA1c-Wert unter 8,5% angestrebt, um die Symptome zu verhindern und dabei die Gefahr der Hypoglykämie gering zu halten {C}. Besteht ein hohes Risiko für kardiale, zerebrovaskuläre und sonstige makroangiopathische Morbidität und Mortalität, ist abzuwägen, ob ein ein HbA1c-Zielwert zwischen 7,0% und 8% angestrebt werden sollte {C} verbunden mit einer konsequenten Therapie der weiteren Risikofaktoren (Blutdrucksenkung, Thrombozytenaggregationshemmung, Lipidsenkung) und regelmäßiger Schulung des Patienten (DMP-Empfehlung: alle drei Jahre). Der genannte Zielwert läßt sich derzeit nicht evidenzbasiert begründen. Er stellt einen pragmatischen Kompromiss aus der in der nicht aktualisierten NVL Diabetes mellitus geforderten Zielgröße von < 6,5% [4, 5], den Ergebnissen der Steno-Studie [60] und dem abgebrochenen Arm der ACCORD-Studie dar. Die ACCORDStudie zeigte eine Übersterblichkeit in der Gruppe mit dem HbA1c-Zielwert <6,0% (tatsächlich erreicht wurden 6,4%, in der Kontrollgruppe 7,5%; Studie noch nicht veröffentlicht; zit: nach ati 2008, Jg. 39, Nr. 2.) Steht die Vermeidung mikrovaskulärer Folgekomplikationen im Vordergrund (in der Regel bei jüngeren Patienten im Alter von 40 bis 60 Jahren), sollte ein HbA1c-Zielwert um 7,0% angestrebt werden {C}. Diese Empfehlung beruht auf einem Konsens der Leitliniengruppe, da hierzu nur eine Studie vorliegt [119]. In der Altersgruppe der 30- bis 60-jährigen stellt der Diabetes mellitus die häufigste Erblindungsursache in den westlichen Industrieländern dar. Vor allem das diabetische Makulaödem und die proliferative Retinopathie führen zu einer gravierenden Sehverschlechterung bis zur vollständigen Erblindung [57]. Steht die Vermeidung des diabetischen Fußsyndroms mit neuro-, angio- und/oder osteopathischen Läsionen im Vordergrund (i. d. R. bei Patienten mit mehreren Begleiterkrankungen und längerem Diabetesverlauf), ist eine spezielle Schulung zur Vermeidung des Fußsyndroms erforderlich sowie Mitbehandlung in einer Fußambulanz, auch zur Anpassung des Schuhwerks. Die Leitliniengruppe empfiehlt, den Blutdruck streng und HbA1c möglichst im Bereich von 7% bis 8% einzustellen {C}. Die Füße sind regelmäßig zu kontrollieren [16, 17, 40]. 14 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Individualisierte Therapieziele (Fortsetzung) Darüber hinaus sind individualisierte Therapieziele zu BMI (Gewicht), Lipidwerten, Blutdruck etc. mit den Patienten zu vereinbaren [152]: Es gibt Hinweise, dass beim Diabetiker die Blutdrucksenkung auf unter 130/80 mmHg [29] den größten Einfluss auf die Senkung der kardiovaskulären Mortalität hat. Damit kommt der Blutdrucksenkung bei der Behandlung der Diabetiker ganz besondere Bedeutung zu [72] {A}, [89, 156, 163, 165, 167]. Die Leitliniengruppe empfiehlt bei Patienten mit Albuminurie einen Zielblutdruckwert möglichst unter 120/80 mmHg [1, 85] {C}, wobei berücksichtigt werden muss, dass auch eine passagere Erhöhung der Albuminausscheidung aufgrund verschiedener Faktoren wie akut fieberhafte Erkrankung, Harnwegsinfekt u.a. auftreten kann (s. hierzu die allgemeinen Therapiehinweise w. u.) Nach der Festlegung der inviduellen Therapieziele werden die Therapieschritte geplant und die entsprechenden strukturierten Therapieund Schulungsprogramme gezielt eingesetzt. Wenn der Patient die Ziele kennt und die nichtmedikamentösen und medikamentösen Maßnahmen nachvollziehen kann, ist mit einer höheren Motivation und aktiven Kooperation zu rechnen (s. auch Leitlinie Hausärztliche Gesprächführung). An dieser individuellen Therapiezieldefinition, die eine übliche primärärztliche Vorgehensweise darstellt, wird sich die Beurteilung der Qualität der nachfolgenden Betreuung auszurichten haben. Weil sich der Gesundheits-Pass Diabetes als ein hervorragendes und für den Patienten gut verständliches Dokumentationsinstrument bewährt hat, empfiehlt es sich, das Therapieziel sowohl im Gesundheitspass Diabetes als auch obligatorisch auf dem DMP-Bogen des Patienten zu dokumentieren. 15 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Individualisierte Therapieziele (Fortsetzung) Die Tabellen der folgenden Seiten zeigen das Risiko für Diabetes-bedingte Folgeerkrankungen oder Ereignisse in Abhängigkeit vom systolischen Blutdruck und vom HBA1C-Wert. Mit Hilfe dieser Graphiken können die Auswirkungen der erreichten individuellen Zielwerte veranschaulicht und somit Therapieziele dem Patienten leichter vermittelt werden. Die Studie erlaubt auf Grund ihres Designs jedoch keine Schlussfolgerung, dass eine Senkung der jeweiligen Werte auch zu einer entsprechenden Risikominderung führt. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse ist jedoch zu vermuten, dass eine strenge Blutdrucksenkung das Risiko für makrovaskuläre Folgeerkrankungen deutlicher vermindert als eine strenge HbA1c-Senkung! Die HbA1c-Senkung ist vermutlich bedeutender für die Vermeidung mikrovaskulärer Folgeerkrankungen (Nephropathie, Retinopathie). Die Graphiken sind als Umsetzungshilfe in der Praxis gedacht. Die erste Graphik in der linken Spalte oben (s. nachfolgende Seite) zeigt die Abhängigkeit aller Diabetes-verursachten Endpunkte vom Blutdruck [1]: Bei einem systolischen Blutdruck höher als 160 mmHg ist die Inzidenzrate, einen durch Diabetes verursachten Endpunkt zu erleiden, doppelt so hoch wie bei einem systolischen Blutdruck von unter 120 mmHg. Individuell muss nun entschieden werden, welcher Zielblutdruck für den jeweiligen Patienten (in Anbetracht von Alter, Lebensumständen, Einstellung des Patienten etc.) angemessen ist. Die Graphiken in den rechten Tabellenspalten zeigen korrespondierend die Abhängigkeit der Endpunkte vom HBA1C-Wert [149]. Bei einem HBA1C von ≥ 10% wurden 120 Ereignisse je 1000 Personenjahre beobachtet. Bei einem Wert von unter 9 liegt die Erreigniszahl bei knapp 80. Deutlich wird der Zusammenhang zwischen dem BZ-Wert und der Häufigkeit der mikrovaskulären Endpunkte. Dies gibt eine Hilfestellung, den individuellen Zielwert, in Anbetracht der sehr verschiedenen Behandlungssituationen, festzulegen. Das Risiko in der Kohorte steigt erst bei höher werdenden Blutdruck- oder HBA1C-Werten überproportional an. Dies heißt aber auch, dass das Risiko im Bereich normnaher Blutdruck- und HBA1C-Werte nicht so ausgeprägt ansteigt, wie häufig vermutet wird. Dies sollte in die Planung und die Vereinbarung der individuellen Zielwerte mit dem Patienten einfließen. In Anbetracht dieser Kurven lässt sich die Forderung nach normnaher Einstellung des HbA1c-Wertes oft relativieren. Anmerkung zur Tabellenlegende: Die »Adjustierte Inzidenzrate« bezieht sich auf 1.000 Personenjahre, adjustiert nach Alter, Geschlecht, Ethnie, dargestellt für Männer (weiß), zum Zeitpunkt der Diagnosestellung 50-54 Jahre mit einem Followup von 7,5 bis 12, 5 Jahren [1, 149]. Bei den nachfolgenden graphischen Darstellungen handelt es sich um eigene Übersetzungen und modifizierte Darstellungen der UKPDS-Ergebnisse [1, 149]. 16 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Individualisierte Therapieziele Inzidenz der Komplikationen in Abhängigkeit von Blutdruck- und HbA1c-Werten Modifiziert nach [1, 149] Inzidenz der Komplikation in Abhängigkeit der Blutdruckwerte Inzidenz der Komplikation in Abhängigkeit der HbA1c-Werte Alle durch Diabetes verursachten Endpunkte Alle durch Diabetes verursachten Endpunkte 180 100 Adjustierte Inzidenzrate Adjustierte Inzidenzrate 160 80 60 40 20 140 120 100 80 60 40 20 0 0 <120 120-129 130-139 140-149 150-159 <6 >160 6-<7 8-<9 9-<10 >=10 9-<10 >=10 9-<10 >=10 Durch Diabetes verursachte Todesfälle 100 100 80 80 Adjustierte Inzidenzrate Adjustierte Inzidenzrate Durch Diabetes verursachte Todesfälle 60 40 20 60 40 20 0 0 <120 120-129 130-139 140-149 150-159 <6 >160 6-<7 7-<8 8-<9 Jahresm ittelw ert HbA1c Systolischer Blutdruck im Jahresm ittel Mikrovaskuläre Endpunkte Mikrovaskuläre Endpunkte 100 100 80 80 Adjustierte Inzidenzrate Adjustierte Inzidenzrate 7-<8 Jahresm ittelw ert HbA1c Systolischer Blutdruck im Jahresm ittel 60 40 20 60 40 20 0 0 <120 120-129 130-139 140-149 150-159 >160 Systolischer Blutdruck im Jahresm ittel Dargestellt sind die Ereignisraten in Abhängigkeit der Blutdruckwerte. Der Blutdruck scheint insbesondere bei den makrovaskulären Folgeerkrankungen von Bedeutung zu sein. <6 6-<7 7-<8 8-<9 Jahresm ittelw ert HbA1c Der HbA1c-Wert scheint bedeutend für die Vermeidung mikrovaskulärer Folgeerkrankungen (Nephropathie, Retinopathie) zu sein. 17 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Individualisierte Therapieziele Inzidenz der Komplikationen in Abhängigkeit von Blutdruck- und HbA1c-Werten (Fortsetzung) Modifiziert nach [1, 149] Inzidenz der Komplikation in Abhängigkeit der Blutdruckwerte Inzidenz der Komplikation in Abhängigkeit der HbA1c-Werte Myokardinfarkt - tödlich und nichttödlich 100 100 80 80 Adjustierte Inzidenzrate Adjustierte Inzidenzrate Myokardinfarkt - tödlich und nichttödlich 60 40 20 60 40 20 0 0 <120 120-129 130-139 140-149 150-159 <6 >160 6-<7 Systolischer Blutdruck im Jahresm ittel 8-<9 9-<10 >=10 9-<10 >=10 9-<10 >=10 Apoplex - tödlich und nichttödlich 100 100 80 80 Adjustierte Inzidenzrate Adjustierte Inzidenzrate Apoplex - tödlich und nichttödlich 60 40 20 0 60 40 20 0 120-129 130-139 140-149 150-159 >160 <6 6-<7 Systolischer Blutdruck im Jahresm ittel 7-<8 8-<9 Jahresm ittelw ert HbA1c Tod oder Am putation durch pAVK Tod oder Am putation durch pAVK 100 100 80 80 Adjustierte Inzidenzrate Adjustierte Inzidenzrate 7-<8 Jahresm ittelw ert HbA1c 60 40 20 0 60 40 20 0 120-129 130-139 140-149 150-159 >160 Systolischer Blutdruck im Jahresm ittel Dargestellt sind die Ereignisraten in Abhängigkeit der Blutdruckwerte. Der Blutdruck scheint insbesondere bei den makrovaskulären Folgeerkrankungen von Bedeutung zu sein. <6 6-<7 7-<8 8-<9 Jahresm ittelw ert HbA1c Der HbA1c-Wert scheint bedeutend für die Vermeidung mikrovaskulärer Folgeerkrankungen (Nephropathie, Retinopathie) zu sein. 18 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Prävention des metabolischen Syndroms und des Diabetes mellitus Typ 2 Behandlung des metabolischen Syndroms und Prävention des Diabetes mellitus Typ 2 Mehrere große prospektive randomisierte Studien haben übereinstimmend gezeigt, dass das Auftreten eines Diabetes bei Personen mit hohem Diabetesrisiko durch moderate Gewichtsreduktion (4 kg über einen Zeitraum von etwa 3 Jahren) und Veränderungen des Lebensstils weitgehend verhindert werden kann [64, 95, 160]. Die Teilnehmer wurden durch individuelle Beratung angehalten, abzunehmen, sich fettarm (ca. 30% des Gesamtenergiebedarfs) und ballaststoffreich (ca. 15g/ 1000 kcal) zu ernähren und etwa 30 min pro Tag bzw. 150 min pro Woche moderate bis anstrengende körperliche Aktivität zu betreiben. Diese mehrdimensionale Strategie führte zu einer massiven Reduktion der Folgekrankheit Typ-2-Diabetes um 60% bei Prädiabetikern (NNT 6) und reduzierte kardiovaskuläre Risiken beim metabolischen Syndroms. Therapeutische Ziele beim metabolischen Syndrom: Gewicht normalisieren oder reduzieren (BU < 102 cm bei Männern, < 88 cm bei Frauen) Bewegungsmangel beheben Fette normalisieren Blutdruck normalisieren (< 135/85) Nüchtern-BZ < 110 mg% Pharmakologische Therapieansätze mit Metformin und Acarbose reduzierten bei Patienten mit metabolischen Syndrom neue Diabetesfälle um 30%, also weniger effektiv als eine Lebensstilmodifikation, Thiazolidine (Glitazone) um 60%, allerdings mit Gewichtszunahme um 2 bis 7 kg. Pharmakologische Interventionen sind effektiv, aber eindeutig für besondere Risikopopulationen reserviert. 19 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Diabetiker mit lebensstilmodifizierenden Maßnahmen Die nichtmedikamentösen lebensstilverändernden Maßnahmen sind bei der Therapie des metabolischen Syndroms und des manifesten Diabetes identisch. Eine strukturierte Patientenschulung unterstützt die Gewichtsreduktion, den Rauchverzicht und wirkt sich positiv auf Krankheitsbewältigung und kardiovaskuläre Prävention aus [38]. Unter lebensstilmodizifierenden Maßnahmen werden Ernährungstherapie, körperliche Aktivität, Gewichtsreduktion und Schulung verstanden. Wer kommt dafür in Frage: Alle Typ 2 Diabetiker. Bei wem sind medikamentöse Maßnahmen zusätzlich erforderlich Patienten, bei denen nach 12 Wochen das individuell vereinbarte Therapieziel nicht erreichen wurde Diabetiker mit bereits bestehenden Folgeerkrankungen und Komplikationen Diabetiker mit massiv erhöhten BZ-Werten und klinischen Symptomen (Entgleisung) Konzept für die Therapieanpassung Wenn durch eine Gewichtsreduktion die individuellen Therapieziele erreicht werden, können die lebensstilmodifizierenden Maßnahmen alleine in dieser Form fortgeführt werden. Eine Gewichtsabnahme von 5 kg lässt eine Verbesserung des HbA1c-Wertes um 1% erwarten [162]. Bei Nichtumsetzen der lebensstilmodifizierenden Maßnahmen verschlechtert sich die Prognose; deshalb sollte rasch eine medikamentöse Therapie eingeleitet werden. Zusätzlich zu den lebensstilmodifizierenden Maßnahmen werden zunächst orale Antidiabetika eingesetzt, bei Nichterreichen der individuellen Therapieziele eine kombinierte Therapie von OAD und Insulin bishin zur alleinigen Insulintherapie. Körperliche Aktivität Körperliche Aktivität erhöht die Sensitivität für Insulin und führt zu einer Senkung des HbA1c-Wertes [25, 160]. Empfohlen werden Ausdauersportarten (z. B. Schwimmen, schnelles Gehen) für 30 Minuten drei- bis fünfmal wöchentlich [25]. Entgegen früherer Annahmen genügen im höheren Alter regelmäßige Spaziergänge von etwa einer Stunde pro Tag, um Stoffwechsel und Kreislauf signifikant zu verbessern. 20 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Diabetiker mit lebensstilmodifizierenden Maßnahmen (Fortsetzung) Prinzipien der Ernährung bei Diabetes Für die Ernährung des Typ-2-Diabetikers gelten die folgenden Kostempfehlungen: Da die meisten Diabetiker übergewichtig sind, empfiehlt die Leitliniengruppe eine kalorienreduzierte ausgewogene mediterrane Kost. Kohlenhydrate: Hier ist auf den glykämischen Index – d. h. nach der Eigenschaft, eine postprandiale (Hyper-)Glykämie hervorzurufen – zu achten (s. Anhang). Weißmehlerzeugnisse sind durch Produkte zu ersetzen, die einen hohen Anteil ganzer Getreidekörner enthalten (Vollkornbrot, Frischkornmüsli). Frisches Obst ist dem Verzehr von Konserven oder Säften vorzuziehen. Weintrauben, Bananen und Kirschen vermeiden. Fette: 30 bis 35%: Fettarme Ernährung mit Bevorzugung der einfach ungesättigten Fettsäuren. Der Verzehr von Eiweiß und Fett führt im Rahmen einer normalen Ernährung nicht zu einem Anstieg der Blutglukosekonzentration. Gehärtete Fette, insbesondere Transfette, sind zu meiden. In vielen Fertigprodukten sind gehärtete Fette enthalten (Margarine, Kekse, Pommes). Empfehlenswert sind Olivenöl und Rapsöl wegen hohen Gehalts an Omega-3Fettsäuren. Alkoholeinschränkung: Maximal 30 g bei Männern und 15 g bei Frauen Keine Favorisierung sogenannter »Diätnahrungsmittel« mit Austauschzuckern Anstreben des Normgewichtes BMI männlich < 25 kg/m² / weiblich < 24 kg/m² Schlanke Typ-2-Diabetiker sollten die Kohlenhydrataufnahme auf mehrere kleine Mahlzeiten verteilen. Beachte: Patienten, die allein mit lebensstilmodifizierenden Maßnahmen (oder mit oralen Antidiabetika) geführt werden, können auf eine energiedefinierte – auf die Lebenssituation des Patienten abgestimmte – Diabeteskost eingestellt werden. Nur bei mit Kombinationsinsulin behandelten Diabetikern empfiehlt sich eine Verteilung der Kohlenhydrate nach definierten KohlehydratPortionen (BE, KE, KHE). Patienten, die mit Sulfonylharnstoffen oder Gliniden therapiert werden sollen, müssen über die Notwendigkeit der regelmaßigen Aufnahme von Kohlenhydraten informiert werden. 21 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Diabetiker mit oralen Antidiabetika Therapie bei Übergewicht Wer kommt in Frage Mit der nächsten Stufe der Therapie, der Gabe von oralen Antidiabetika (OAD), sollte begonnen werden, wenn nach 12 Wochen trotz Ausschöpfung aller lebensstilmodifizierender Maßnahmen die individuellen Therapieziele nicht erreicht wurden. Zur Gruppe der oralen Antidiabetika zählen: Nicht-Insulinotrope Antidiabetika: Biguanide (Metformin) Glitazone (Pioglitazon, Rosiglitazon) Alpha-Glukosidasehemmer (Acarbose, Miglitol) Insulinotrope Antidiabetika: Sulfonylharnstoff-Derivate (Glibenclamid, Glimepirid) Glinide (Repaglinide, Nateglinide) Inkretine / Dipeptidyl-Peptidasehemmer Therapiemöglichkeiten mit OAD Bei Übergewicht: Primär Einsatz von Metformin bei Fehlen von Kontraindikationen [164] {A}; HbA1c-Absenkung: 0,6-1,5% [164]. Cave: Nebenwirkungen (s. u.). Einnahme zu oder nach der Mahlzeit, bei hohem Nüchtern-BZ. Bed-time-dosis erwägen; bei erhöhten postprandialen Werten zusätzlich (morgendliche) Gabe. Beginn mit 500 mg. Eine Dosierung 2 mal 1 g/d zeigt die stärkste antihyperglykämische Wirkung, eine Metformin-Tagesdosis von > 2 g geht dagegen wieder mit abnehmender antihyperglykämischer Wirkung einher [62]. Bei Nichterreichen des Therapiezieles gibt es folgende Möglichkeiten: Kombination von Metformin mit Insulin [58, 123]. Beibehaltung von Metformin bei insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern kann eine Ersparnis der Insulindosis um 20% zur Folge haben, so dass sich diese Therapieoption bei adipösen, insulinpflichtigen Patienten anbietet [175]. Glitazonen (nur bei Krankheitsdauer unter 5 Jahren sinnvoll; Cave: Entwicklung einer Herzinsuffizienz unter Therapie [11, 55] (s. u.)). Gliniden (keine Endpunktstudien) Sulfonylharnstoffen [84]. Zur Beurteilung der Sicherheit der Kombination liegen keine ausreichenden Studien vor. Alpha-Glukosidasehemmern (wenig effektiv) Inkretin-Mimetika: Exenatide (seit 1.4.2007 zugelassen für Kombination mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoffen, wenn keine gute BZ-Einstellung erreichbar ist); 2x tägl. subkutane Injektion vor den Mahlzeiten. Noch keine Risiko-Nutzen-Abwägung möglich. Cave: Hypoglykämien! Sitagliptin (DPP-4-Inhibitor, seit 21.03.07 durch EMEA zugelassen) zur Anwendung in Kombination mit Metformin oder Glitazonen zugelassen. 100 mg oral täglich. Noch keine RisikoNutzen-Abwägung möglich. Empfehlung der Leitliniengruppe: Bei Nichterreichen des Therapiezieles: Kombination mit Insulin oder Umstellung auf Insulin. 22 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Diabetiker mit oralen Antidiabetika Therapie bei Normalgewicht Bei Normalgewicht: Primär Einsatz von Glibenclamid [166] {A}. HbA1c-Absenkung: 0,7-0,85%. Einnahmezeitpunkt: 30 Min vor dem Frühstück, einschleichend mit möglichst niedriger Dosis beginnen; ggf. schrittweise Steigerung auf morgens 7 mg und abends 3,5 mg; max. Tagesdosis 10,5 mg. Glibenclamideinzeldosen größer als 2 x 3,5 mg sind wenig sinnvoll, da sie nicht unbedingt mit höherer metabolischer Wirksamkeit verbunden sind, sondern die Gefahr der Substanzspeicherung und somit höhere Nebenwirkungs- bzw. Hypoglykämiegefährdung für den Patienten bergen [122]. Bei Nichterreichen des Therapiezieles gibt es folgende Möglichkeiten: Umstellung auf Insulin Kombination von Glibenclamid mit Glitazonen: nur bei Krankheitsdauer unter 5 Jahren sinnvoll; Cave. Entwicklung einer Herzinsuffizienz unter Therapie, [11, 55] s. u Empfehlung der Leitliniengruppe: Bei Nichterreichen der Therapieziele allein mit Glibenclamid: sofortiges Umstellen auf Insulin Fazit: Eine Kombination von zwei oralen Antidiabetika ist möglich, wird aber von der Leitliniengruppe nicht empfohlen. Die Kombination von Metformin und Sulfonylharnstoffen wies in der UKPDS eine erhöhte Mortalität auf [164]. Glibenclamid hat ein ausgeprägtes Hypoglykämie-Risiko. Höheres Alter, Niereninsuffizienz, Alkohol sowie Interaktion mit anderen Arzneimitteln können das Hypoglykämie-Risiko erhöhen [13]. Bei Patienten mit Niereninsuffizienz ist möglichst frühzeitig auf eine Insulintherapie umzustellen. 23 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Diabetiker mit oralen Antidiabetika Andere orale Therapieformen Monotherapie mit Glimepirid: Gleicher Wirkungsmechanismus wie Glibenclamid. Es werden weniger Hypoglykämien und eine geringere Gewichtszunahme postuliert. Durch Studienlage nicht gesichert. Empfehlung der Leitliniengruppe: Glibenclamid ist Mittel der ersten Wahl. Monotherapie mit Glitazonen: Für übergewichtige Patienten mit Kontraindikation oder Unverträglichkeit von Metformin. Häufige NW: Gewichtszunahme! Durch die PROACTIVEStudie konnte der klinische Nutzen von Pioglitazon nicht belegt werden [55]. Aufgrund der höheren Herzinsuffizienzrate ist die Sicherheit des Antidiabetikums zweifelhaft (NNH 30, NNT 50 [11]). Ebenso besteht der Verdacht auf ein erhöhtes Frakturrisiko bei Frauen unter Glitazonen [12]. Empfehlung der Leitliniengruppe: Primär Insulin, falls nicht möglich, Therapieversuch mit Glitazonen unter strengster Überwachung. Monotherapie mit Gliniden: eher seltene hausärztliche Indikation; z. B. bei (geriatrischen) Patienten mit unregelmäßigem Essverhalten. Keine Endpunktstudien. Empfehlung der Leitliniengruppe: zurückhaltende Einzelfallentscheidung. Monotherapie mit Alphaglucosidasehemmern: Bei UKPDS 44 [78] konnte gezeigt werden, dass nach drei Jahren Therapie deutlich mehr Patienten mit Acarbose (39% vs. 58%) die Therapie abgebrochen hatten, überwiegend wegen Blähungen. Die mittlere HbA1c Senkung bei Patienten mit Compliance lag bei 0,5%. Es kam zu keiner Veränderung diabetesbezogener Endpunkte. Eine weitere Studie [32, 34] postuliert für die Acarbose eine Risikoreduktion für die Entwicklung eines Diabetes, eines Bluthochdrucks und einer KHK durch Absenkung der postprandialen Blutzuckerspitzen. Die Studie ist jedoch wegen hoher Studienabbrüche (305) und problematischer Verblindung der Studienteilnehmer sowie Änderung der Endpunkte während der Durchführung in die Diskussion geraten [90]. Es fehlen aussagekräftige Studien zur Wirksamkeit und Nutzen einer Acarbosebehandlung [170]. Empfehlung der Leitliniengruppe: Eine Therapie wird nicht empfohlen. 24 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Diabetiker mit Insulinbehandlung Indikation für den Beginn einer Insulintherapie Nicht-Erreichen des individuellen Therapieziels, durch Basistherapie und/oder orale Antidiabetika. Zwingende Insulin-Indikation bei Ketonurie (außer Hungerazetonurie), fortschreitenden diabetesspezifischen Komplikationen, perioperativ (in Abhängigkeit von der Art des Eingriffs). bei Diabetikerinnen mit Schwangerschaft (falls Normoglykämie durch Basistherapie nicht erreicht wird). Voraussetzung für die Ersteinstellung auf Insulin Nach Möglichkeit sollte die Einstellung ambulant erfolgen. Die Ersteinstellung sollte von einem Arzt vorgenommen werden, der mit seinem Team die notwendigen Voraussetzungen (obligatorische Schulungend des Patienten bzw. Angehörigen) bietet. Bei Fehlen dieser Voraussetzungen sollte immer in eine diabetologische Schwerpunktpraxis oder ein ambulantes Diabeteszentrum zur Einstellung und Schulung überwiesen werden. Regelmäßige Blutglukose-Selbstkontrollen sind bei Insulintherapie stets erforderlich. Selbstmanagement der Hypoglykämie muss gewährleistet sein, ebenso ausreichend häufige Messungen und ärztliche Konsultationen. Die Vorstellung in einer Schwerpunktpraxis ist indiziert bei: Nichterreichen des individuellen Therapiezieles nach 3 bis 6 Monaten Häufigen Hypoglykämien 25 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Diabetiker mit Insulinbehandlung (Fortsetzung) Die Insulintherapie beim Typ-2-Diabetiker Durch die Gabe von Insulin wird ein relativer Insulinmangel korrigiert und eine Insulinresistenz überwunden. Folgende Insulinregime ergeben sich bei Nichterreichen des definierten Therapiezielbereichs unter OAD [39, 57, 58, 136]: BOT: (= basal unterstützte orale Therapie) Basalinsulin vor dem Schlafengehen unter Beibehaltung der oralen Antidiabetika. Indikation: erhöhte BZ-Nüchternwerte bei normalen postprandialen BZ-Werten Vorgehensweise: Die Dosisanpassung des abendlichen Insulins sollte sich am morgendlichen Nüchternblutzucker orientieren: z. B. Beginn mit 6-8 IE NPH-(Neutrales Protamin Hagedorn) Insulin um 22 Uhr; schrittweise Erhöhung der Insulindosis alle drei Tage um 2 Einheiten, bis der Nüchternblutzucker im Zielbereich (z. B. 100-120 mg%) liegt. Nächtliche Hypoglykämien sollten durch gelegentliche (insbesondere zu Beginn) BZ-Messungen zwischen 2 und 3 Uhr, dem Zeitpunkt der größten Insulinsensitivität, ausgeschlossen werden (evtl. Wecker stellen). Die orale Medikation am Tage sollte zunächst beibehalten werden. Prandiale Insulintherapie mit kurzwirkenden Insulinen vor den Hauptmahlzeiten (ohne Basalinsulin); ggf. mit Metformin kombiniert. Zielgruppe/Indikation: adipöse Typ-2-Diabetiker mit gutem NBZ und postprandial erhöhten BZ-Werten. Vorgehensweise: Prandialen Insulinbedarf errechnen: Körpergewicht x 0,3 - 1 I.E. = Gesamtbedarf; vom Gesamtbedarf entfallen 50% auf die prandial zu injizierende Insulinmenge, üblicherweise aufgeteilt im Verhältnis 3/6 (Frühstück), 1/6 (mittags) und 2/6 (abends). Im weiteren Verlauf erfolgt die Insulinbedarfsberechnung evtl. mit BE-Faktoren. Bei Auftreten von erhöhten Nüchternblutzuckerwerten wird die Einleitung einer intensivierten Insulintherapie empfohlen. Intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT): Trennung von mahlzeitenabhängigem Bolus- und mahlzeitenunabhängigem Basalinsulin. Die ICT orientiert sich an den physiologischen Verhältnissen, indem sie durch Gabe von Basalinsulin die basale Insulinsekretion und durch die Gabe von schnellwirkendem Mahlzeiteninsulin die prandiale Insulinsekretion nachbildet. Die ICT erlaubt eine Anpassung an unregelmäßige Nahrungsaufnahme und Bewegung. Zielgruppe jeder gut schulbare Typ-2-Diabetiker, dessen Therapieziele nicht durch allgemeine Maßnahmen und OAD erreicht werden. Vorgehensweise: wie prandiale Insulintherapie sowie zusätzliche Gabe von Verzögerungsinsulin zur Nacht (ggf. auch morgens). Klinische Studien zeigen, dass mit einer intensivierten Insulinbehandlung das Risiko mikrovaskulärer Komplikationen und der Neuropathie sowie das Hypoglykämie-Risiko im Vergleich zur konventionellen Therapie vermindert werden kann [46, 47]. 26 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Diabetiker mit Insulinbehandlung (Fortsetzung) Sind die bisher dargestellten Theapieregime nicht möglich (z. B. fehlende Adherenz), kann die konventionelle Insulintherapie durchgeführt werden. Konventionelle Insulintherapie (CT): In der Regel Gabe von 2 Insulininjektionen pro Tag (früh und abends), zumeist mit Mischinsulinen. Die CT entspricht nicht einer physiologischen Insulinausschüttung. Sind bei einer CT mehr als 24 IE Insulin pro Injektion erforderlich, ist eine Umstellung auf eine Intensivierte Insulintherapie (ICT, s. o.) zu erwägen. Zielgruppe/Indikation: bei Patienten, bei denen ICT nicht durchführbar ist. Vorgehensweise: In der Regel wird zweimal, gelegentlich dreimal täglich vor den Mahlzeiten ein Mischinsulin gespritzt. Zur Verfügung stehen Mischinsuline mit 25% bzw. 30% Anteil an Kurzzeit- und 70%-75% Langzeitinsulin oder auch 50% Kurzzeit- und 50% Langzeitinsulin. Die Auswahl erfolgt in Abhängigkeit vom Blutzuckertagesprofil und Therapieeffekt. Nachteil – und deshalb von der Leitliniengruppe nicht empfohlen – ist hierbei das starre Insulinregime ohne Anpassungsmöglichkeiten durch den Patienten und die Notwendigkeit der Einhaltung von Zwischenmahlzeiten. Initial kann man z. B. mit 8-12 IE beginnen (entsprechend dem NBZ) und langsam, z. B. alle 3 Tage, um 2 IE steigern, bis die gewünschten BZ-Werte erreicht sind. Das Verhältnis von Morgendosis zur Abenddosis sollte etwa 2 zu 1 sein (2/3 morgens, 1/3 abends) [130]. 27 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Hinweise zur Insulintherapie Zur Einstellung werden Human-Insuline eingesetzt, z. B.: Kurzwirkend (2-8h): Actrapid®. Berlinsulin® H Normal, Huminsulin® Normal, Insulin B. Braun ratiopharm® Rapid, Insuman® Rapid, Insuman® Infusat, Velosulin® Intermediär wirkend (max 24h): Actraphane®, Berlinsulin® H, Huminsulin Basal®, Huminsulin Profil®, Insulin B. Braun ratiopharm® Basal, Insulin B. Braun ratiopharm® Comb, Insuman® Basal, Insuman® Comb, Protaphane® In Ausnahmefällen (Unverträglichkeiten, Allergien) können Insulin-Analoga verordnet werden. Es liegen keine Endpunktstudien vor, die klinisch relevante Vorteile belegen (zit. nach [86], s. auch [10, 81, 130]). In Deutschland sind zur Zeit folgende Analoga im Handel: Kurzwirkende Insulin-Analoga (Wirkdauer 25 h). Insulin glulisin = Apidra®; Insulin lispro = HUMALOG®, Liprolog®, Insulin aspartat = NovoRapid® Intermediär (max. 24h): Insulin lispro (Humalog®; mit NPH-Insulin kombininiert: HumalogMix®, LiprologMix®), Insulin aspart (NovoRapid®; mit NPH-Insulin kombiniert: NovoMix®), Insulin detemir (Levemir®) Langwirkend (24h): Insulin glargin (Lantus®) Inhalierbare Insuline sind nach Produktionseinstellung Ende 2007 und Marktrücknahme von Exubera® im Januar 2008 nicht mehr verfügbar. Die Applikation des Insulins sollte heute mit Insulin-Pens erfolgen. Sie sind in der Dosierung genauer und verursachen gegenüber den Einmal-Insulinspritzen weniger Fehler. Durchführung korrekter Insulininjektion NPH- und Mischinsuline ausreichend schwenken (ca. 20 x hin- und herbewegen) In angehobenen Hautwulst in einem Winkel von 45-90 Grad injizieren; nach langsamer Injektion Nadel noch ca. 10 Sek. stecken lassen, damit sich das Insulin besser verteilt und die Dosis vollständig verabreicht wird. Injektionsstellen innerhalb der Areale wechseln. Schnell wirkende Insuline in die Bauchdecke injizieren (wird schneller resorbiert [48]. Verzögerungsinsuline in Vorder- und Außenseite von Oberschenkel, Mischinsuline morgens in die Bauchdecke, abends in Oberschenkel injizieren. Um bei größeren Injektionsvolumina (größer 40 IE) eine bessere Wirkung zu erreichen, sollten die Patienten die Dosis teilen und 2 x spritzen. Bei adipösen Patienten die längste Nadel verwenden. 28 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Hinweise zur Insulintherapie (Fortsetzung) Beachte Nach einer Gabe von Normalinsulin ist eine Nachinjektion frühestens vier Stunden, bei schnell wirkenden Insulinanaloga frühestens zwei bis drei Stunden nach dem letzten Bolus sinnvoll. Mischinsuline sollten nur noch in Ausnahmefällen eingesetzt werden wegen des höheren Hypoglykämierisikos und der unphysiologischen Wirkungsweise. Nach Verbesserung der Blutzuckereinstellung kann der Insulinbedarf zurückgehen. Bei Fernreisen: Medikamentenbegleitblatt [s. www.akdae.de]. Gewichtszunahme. Mit Ausnahme von Metformin ist bei allen Antidiabetika mit Gewichtszunahme zu rechnen. Patient ist darüber aufzuklären! Einstellungsprobleme und Korrektur morgendlicher Hyperglykämien [130] Reaktive Hyperglykämie am Morgen durch nächtliche Hypoglykämie ausschließen (BZMessung nachts zwischen 2 und 3 Uhr). Bei zu hoher abendlicher Insulindosis diese verringern. Falls nächtliche Hypoglykämie ausgeschlossen ist, kann die nächtliche Glukoneogenese durch eine abendliche Insulingabe (um 22 Uhr) oder durch Metformin reduziert werden. Cave: Hypoglykämie bei Gastroparese mit verzögerter Nahrungsresorption (tritt bei 30% bis 50% der Typ-1- und Typ-2-Diabetiker auf [150]): In diesem Fall ist es erforderlich, den Spritz-Ess-Abstand anzupassen, ggf. Normalinsuline nach der Mahlzeit spritzen. Anpassung der Insulintherapie Patient ist vorübergehend nicht mobil (z. B. Oberschenkelhalsbruch): Häufigere BZ-Kontrollen, Insulinbedarf steigt Bei interkurrenten Erkrankungen häufigere BZKontrollen und ggf. Dosisanpassung Patient steigert – ungewohnterweise – seine körperliche Aktivität (z. B. Wandern, Gartenarbeiten): Bei schlecht eingestellten Patienten kann es durch Gegenregulationen der Insulinantagonisten zu einer Verschlechterung der BZWerte kommen. Bei regelmäßiger körperlicher Tätigkeit fällt die Blutzuckersenkung milder aus, ungewohnte körperliche Aktivität führt zu rascher Blutzuckersenkung mit Gefahr von Hypoglykämien [95]: stündlich kleine Mahlzeiten, evtl. Insulindosis reduzieren {C} Spritz-Ess-Abstand Es muss kein Spritz-Ess-Abstand eingehalten werden. Die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) genehmigten Fachinformationen zu den in Deutschland zugelassenen Humaninsulinen enthalten keine Empfehlung, dass ein bestimmter Spritz-EssAbstand eingehalten werden muss. Es gibt folglich in Bezug auf den Spritz-Ess-Abstand keinen Vorteil für kurzwirksame Insulinanaloga. Bei Patienten in Alten- und Pflegeheimen, die gefüttert werden, sollte aus Sicherheitsgründen das Insulin erst nach dem Essen gespritzt werden, wenn die aufgenommene Kohlenhydratmenge bekannt ist [130]. 29 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Besonderheiten der Behandlung bei alten Diabetikern Besonderheiten bei Patienten in Pflege Mehr als 2/3 aller Diabetiker in Deutschland sind älter als 60 Jahre und nahezu ein Viertel der 75-80 Jährigen leidet an Diabetes. Globales Ziel: Förderung und Erhalt der Lebensqualität. Im Vordergrund steht die Vermeidung diabetesspezifischen Symptome. Unter diesem Gesichtspunkt sind die HbA1C-Zielwerte individuell festzulegen. Eine zentrales Therapieziel ist die Vermeidung von Hypoglykämien Das Therapieziel ist an folgende individuelle Bedingungen anzupassen [68]: Lebensqualität, Lebenserwartung, Bildungsgrad, Lebenssituation, kognitive und körperliche Fähigkeiten sowie vorhandene oder zu erwartende Komplikationen und Begleiterkrankungen. Auch religiöse/ethische Aspekte sind in die Entscheidung einzubeziehen. Möglichkeiten und Bereitschaft des Patienten zur Mitarbeit und Umsetzung der Therapie (kognitive, affektive und feinmotorische Beeinträchtigungen) Berücksichtigung der gesamten Medikation des Patienten (Wechselwirkungen/UAW-Gefahr) Unterstützung des Patienten durch Angehörige und soziales Umfeld Biologisches Alter. Eine Leistungsinsuffizienz (z. B. Störungen des Sehvermögens, Gedächtnisstörungen etc.) sollte durch geeignete Bezugspersonen (Familienangehörige, Bekannte, pflegerisches Personal) kompensiert werden, um das Therapieziel zu erreichen. Hinweis: Im Gegensatz zu landläufiger Auffassung akzeptieren gerade ältere Patienten (z. B. mit einem guten funktionellen Status) in hohem Maße intensive Therapieformen (z. B. ICT), weil durch die Besserung der körperlichen und geistigen Grundfunktionen ihr Zugewinn an Lebensqualität besonders intensiv empfunden wird. 30 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Besonderheiten der Behandlung bei alten Diabetikern (Fortsetzung) Besonderheiten bei Patienten in Pflege (Fortsetzung) Diabetische und geriatrische potenzieren sich häufig. Komplikationen Diabetische Polyneuropathien erschweren die Handhabung von Medikamentenpackungen, Blutzuckermeßgeräten und Insulinapplikatoren. Hier gibt es bereits entsprechende Produkte für den älteren Menschen. Eine evtl. vorhandene Ataxie erhöht das Sturzrisiko (Diabetiker haben ein 1,6 fach erhöhtes Sturzrisiko [177]). Hautveränderungen,schlechte Durchblutung, Fußdeformierungen verstärken eine vorhandene Immobilität. Anhaltende neuropathische Schmerzen beeinflussen ebenfalls erheblich die Lebensqualität. Besonderheiten bei der Therapie: [26, 177] Als Basistherapie wird auch bei älteren Menschen entsprechend den Möglichkeiten ein Bewegungstraining empfohlen. Insbesondere ein Kraft- und Balancetraining ist zur Sturzprophylaxe sinnvoll. Bei der Ernährung ist insbesondere bei geriatrischen Patienten auf Fehlernährung zu achten; praktische einfache Empfehlungen sind erforderlich (z. B. eine Hand voll Obst oder Gemüse pro Mahlzeit). Die Kaufunktion ist zu beachten: Paradontitis tritt bei Diabetikern gehäuft auf und sollte behandelt werden. Patientenschulung Mittlerweile gibt es ein speziell für alte Diabetiker entwickeltes strukturiertes Schulungsprogramm [179], das konkret umsetzbares Basiswissen vermittelt und mit Wiederholungen arbeitet. Harninkontinenz Harnwegsinfektionen, neurogene Blasenfunktionsschwäche und eingeschränkte Mobilität können zur Inkontinenz beitragen. Depression Ältere Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko für Depression, wodurch die Compliance erschwert wird – hier sollte man rasch intervenieren. 31 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Besonderheiten der Behandlung bei alten Diabetikern (Fortsetzung) Besonderheiten bei Patienten in Pflege (Fortsetzung) Medikamentöse Therapie Funktionseinschränkungen verschiedener Organe limitieren den Einsatz vieler oraler Antidiabetika. Kritisch können sein: Insulinotrope Pharmaka mit langer biologischer Halbwertszeit und nichtinsulinotrope Pharmaka mit ausgeprägtem Nebenwirkungsprofil bei vorbestehenden schweren Organinsuffizienzen (Niere, Leber, HerzKreislaufsystem und Darm) z. B. Hypoglykämiegefahr und Niereninsuffizienz bei Sulfonylharnstoffen, Hypoglykämie bei Gliniden, Herzinsuffizienz bei Glitazonen. Empfehlung: Metformin ist ein wirksames Medikament bei älteren Patienten mit Kriterien für das metabolische Syndrom. Es gibt keinen Grund für einen alterslimitierten Einsatz. Zu beachten sind vorhandene Kontraindikationen, die sich auch schleichend (z. B. Herzinsuffizienz) und sporadisch (z. B. kompensierte Niereninsuffizienz bei Exsikkose) einstellen können. Bei längerfristiger Therapie muss die regelmäßige Beobachtung des Patienten hinsicht- lich des Neuauftretens von Kontraindikationen gewährleistet sein. Eine Insulintherapie ist auch bei älteren Patienten indiziert, wenn das individuelle Therapieziel mit OAD nicht erreicht wird. Bei Patienten, die unregelmäßig essen, ist manchmal eine Insulintherapie (mit Spritzen nach dem Essen) besser zu handhaben. Um Hypoglykämien zu vermeiden, sollte für die Altenpflegerin ein Injektionsplan erstellt werden, der sich auf die Nahrungsaufnahme, bzw. auf die Menge an aufgenommenen Kohlenhydraten bezieht. Ständige Blutzuckerkontrollen sind dabei nicht notwendig. Zu beachten ist auch hier, dass bei fortschreitender Niereninsuffizienz der Insulinabbau verzögert wird und entsprechend niedrigere Insulindosen erforderlich werden. Ein Geldzähltest nach Nikolaus (»Zählen eines Betrags z. B. 9,80€ in Scheinen und Münzen in festgelegter Zeit«) [177, 178] kann bei der Entscheidung helfen, ob die Alltagskompetenzen eines alten Menschen ausreichen, selbst spritzen zu können. 32 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Nicht medikamentöse Maßnahmen Arzneitherapie zur Blutzuckersenkung Maßnahmen, die der Arzneitherapie vorangehen oder diese unterstützen Gewichtsreduktion [121] {B}, [162] {A} Bewegung [121] {B}, [25] {A} [160, 162] Ernährungsumstellung [121] {B} Nikotinverzicht Gesundheits-Pass Diabetes [63] Angebot von strukturierten Schulungen, Wiederholungsschulung im Allgemeinen in 3-jährigem Abstand Schulung zur Stoffwechselselbstkontrolle [27] Vereinbarung von Therapiezielen und Kontrollterminen, z. B. jährliche augenärztliche Untersuchung [94], mind. halbjährliche Fußuntersuchung Arzneitherapie Metformin: Nutzen gut belegt bei Übergewichtigen [164] {A} max. 2 x 1000 mg, ⊼U Sulfonylharnstoffe: Nutzen gut belegt bei Normalgewichtigen [166] {A}, Mittel zweiter Wahl bei Übergewichtigen, max. bis 10,5 mg/Tag Glibenclamid ⊼U Insulin: Rechtzeitige Umstellung von OAD nach individuellen Gegebenheiten ⊼U Acarbose (Datenlage umstritten) [90, 170] ⊼V Glinide (bisher keine Endpunktstudie) ⊼A Glitazone (Risiko der Herzinsuffizienz, Erhöhung der Spontanfrakturrate bei Frauen, unbegrenzte Gewichtszunahme) [11, 55] ⊼V nach Meinung der Leitliniengruppe bei Multimorbidität und Multimedikation ..: ⊼U = unverzichtbar ⊼V = verzichtbar ⊼A = abzuwägen 33 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Management der Hyperglykämie nicht medikamentöse Therapie (Gewichtsreduktion, Therapie fortsetzen körperliche Betätigung, Schulung) ja Therapieziel erreicht? nein ja Kontraindikation gegen Metformin? nein body mass index > 25 kg/m²? ja ja nein Therapie fortsetzen ja nein Metformin Therapieziel erreicht? Zeichen einer koronaren Herzkrankheit? Glibenclamid nein Insulin ja nein Therapieziel erreicht? Therapie fortsetzen ja Therapieziel erreicht? nein Weiterleitung an Schwerpunktpraxis/ -einrichtung erwägen Quelle: Krones, John, Sawicki 2003: 60 [97] Anmerkung: Bei Nichterreichen der Therapieziele mit Metformin bzw. Glibenclamid gibt es neben der hier vorgestellten Option, Insulin zu wählen, noch die Möglichkeit, Glinide, Glitazone oder Acarbose einzusetzen. Die Leitliniengruppe empfiehlt diese Therapieoption nur im Ausnahmefall. 34 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Allgemeine Therapiehinweise Diabetes und Depression Jährliche augenärztliche Untersuchung (Befundbericht einfordern) [94]. 2-mal jährliche Fußuntersuchung, z. B. bei Blutwertkontrollen, Check-Up und DMP-Untersuchungen. Patienten sind auf die Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen hinzuweisen (s. Anhang). Regelmäßige Mikroalbuminteste ermöglichen die Diagnose der diabetischen Nephropathie in einem frühen, reversiblen Stadium (zur Durchführung s. Abschnitt diabetische Nephropathie). Die Untersuchung ist nicht aussagekräftig bei Patienten mit stark eingeschränkter Lebenserwartung sowie bei Vorliegen von Faktoren, die zu einer passageren Erhöhung der Albuminausscheidung führen können, wie bei körperlicher Anstrengung, akut fieberhafter Erkrankung, Harnwegsinfekten, schlecht eingestelltem Diabetes, Herzinsuffizienz und schlecht eingestelltem Hochdruck. Evidenzbasierte Empfehlungen liegen hierzu nicht vor, trotzdem empfiehlt die Leitlliniengruppe bei gut eingestellten Patienten einmal jährlich die Bestimmung des Mikroalbumins {C}. Diabetes und Depression Diabetiker weisen ein hohes Risiko für die Entwicklung einer Depression auf (drei bis vierfach höhere Prävalenz im Vergleich zu Nichtdiabetikern) [125]. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, steigt mit der Entwicklung und der Anzahl der diabetischen Spätkomplikationen [98, 125]. Umgekehrt haben auch Patienten mit einer Depression ein hohes Risiko an Diabetes zu erkranken. Eine Depression bei Diabetikern erhöht die Gefahr der Spätschäden, da mit einer geringeren Compliance, schlechterer Blutzuckereinstellung und geringerer aktiver Mitwirkung an der Therapie gerechnet werden muss. Die Depression wird oftmals nicht erkannt. Es besteht auch die Gefahr, dass Symptome einer schlechten Blutzuckereinstellung mit Anzeichen einer Depression verwechselt werden. Zentrales diagnostisches Instrument ist das Arzt-Patienten-Gespräch. Um depressive Störungen frühzeitig zu erkennen, sollte der Arzt die depressive Stimmung (Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit), den Verlust von Interesse und Freude sowie die Antriebsminderung erfragen [125]. Für eine Früherkennung auf Depression haben sich in der Praxis besonders der sehr kurze Selbstbeurteilungsfragebögen (WHO 5 oder WHO 10, s auch Anhang) bewährt sowie der Zwei-Fragen-Test der DEGAMLeitlinien Müdigkeit: 1. »Haben Sie sich in den letzten Monaten oft niedergeschlagen, schwermütig oder hoffnungslos gefühlt?« 2. »Haben Sie im letzten Monat oft wenig Interesse oder Freude an Ihren Tätigkeiten gehabt?«. Werden beide Fragen verneint, kann eine ausgeprägte Depression (Major Depression) mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden (Sensitivität von 96%) [53]. Liegen Anzeichen für eine Depression vor, so ist immer die Suizidgefährdung des Patienten aktiv anzusprechen. Konsil und Mitbehandlung durch Spezialisten ist sinnvoll. Arzneimittelauswahl: Wirkstoffe einsetzen, die mit einem geringen Risiko für eine Gewichtszunahme einhergehen (z. B. Nortriptylin, Desipramin, SSRI). Trizyklische Antidepressiva und Antipsychotika (z. B. Olanzapin) sind zu vermeiden [98, 125]. 35 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Verlaufskontrollen Blutzuckermessungen Blutzuckermessungen sollen durchgeführt werden, wenn therapeutische Konsquenzen gezogen werden. Da die Studienlage keine eindeutige Empfehlung erlaubt [37, 67, 71, 107, 113, 138, 172] empfiehlt die Leitliniengruppe folgendes Regime bei Selbstmessung (SMBG): Bei Patienten unter Sulfonylharnstoffen (Hypoglykämiegefahr): Ggf. 1 mal pro Monat ein BZ-Tagesprofil, bei Problempatienten ggf. häufiger. Andere regelmäßige Messungen des Zuckers (BZ oder Harnzucker) bei OAD-Patienten dienen der Befähigung, mit der Erkrankung umzugehen. Evtl. können unter dem Aspekt des Empowerments ereignisorientierte Messungen in der Schulungsphase (z. B vor und nach körperlichen Belastungen, opulente Mahlzeiten) empfohlen werden. Patienten mit Insulintherapie: In Abhängigkeit von der Qualität der BZ-Einstellung, des gewählten Insulinregimes und interkurrenten Erkrankungen, muss für jeden Patienten individuell festgelegt werden, wie oft pro Woche und zu welchem Zeitpunkt (nüchtern, postprandial, nachts um 2 Uhr) der Blutzucker gemessen werden soll. Beispiel: Bei einem Patienten mit einer BZ-Einstellung im Zielbereich und 2 x täglicher Gabe eines Kombinationsinsulins reicht ein Blutzuckertagesprofil einmal im Monat. ICT: BZ-Messung vor jeder Insulininjektion zur Abschätzung der Dosis. Mit dem Patienten werden im Rahmen der Schulung Verfahren zur Berechnung der Insulindosis vereinbart. 36 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Schnittstellen Kooperationsebene, Indikationsstellung Wann sollte der Diabetiker überwiesen werden bzw. wann sollte eine Mitbehandlung erfolgen? [102] Überweisung in eine diabetologische Schwerpunktpraxis oder in ein Krankenhaus bei Stoffwechselentgleisungen, z. B. mehrfach schwere Hypoglykämien, Hyperglykämie mit Vigilanzminderung, bei diabetesbedingten Komplikationen, perioperative Umstellung, Kinderwunsch und Schwangerschaft, Gestationsdiabetes. Weiterleitung in eine diabetologische Schwerpunktpraxis, wenn nach einem halben Jahr eingehender Bemühungen die vereinbarten Therapieziele nicht erreicht wurden. zur Durchführung der strukturierten Schulung in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis, falls nicht beim Hausarzt möglich. Überweisung zum Augenarzt bei Erstdiagnose und danach mindestens einmal pro Jahr. Bei Vorliegen akuter, komplexer Fußläsionen (Wagner-Stadien 2 bis 5 und/oder Armstrong Grade B/C/D) sollte die Vorstellung in einem spezialisierten Zentrum erfolgen. Bei Verdacht auf eine diabetische Neuro-Osteoarthropathie (DNOAP) – Charcot-Fuß – soll umgehend eine Vorstellung in einer spezialisierten Einrichtung erfolgen. 37 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Folgeerkrankungen Makroangiopathie Makroangiopathie [83] Bei der Makroangiopathie handelt es sich um nichtspezifische, vorwiegend arteriosklerotische Gefäßkomplikationen. Neben der Höhe des HbA1cWertes stellt das metabolische Syndrom einen zentralen Riskofaktor dar (Hypertonie, Dyslipoproteinämie) [10]. Bei allen Diabetesformen findet sich eine rasche Progression. Bei Nachweis einer Makroangiopathie (Arteriosklerose) empfiehlt die Leitliniengruppe unter Berücksichtigung der Kontraindikation die ASS-100 Gabe {C}. Achtung: Diabetikerinnen haben auch vor der Menopause ein erhöhtes KHK-Risiko [100, 146]. Bei Nephropathie ist die Blutdrucksenkung entscheidend. Geeignet hierzu sind ACE-Hemmer, Calciumantagonisten, Diuretika und Betablocker [30] {A}. Bei KHK sollten Betablocker als Mittel der ersten Wahl verordnet werden [10, 35, 65, 165]. Makroangiopathie [83, 111] Maßnahmen, die der Arzneitherapie vorangehen oder diese unterstützen Konsequente Blutdrucküberwachung Nikotinkarenz {C} Regelmäßige körperliche Bewegung Gewichtsüberwachung (BMI) {C} Kontrolle der Blutfette einmal im Jahr {C} EKG, ggf. Belastungs- und Langzeit-EKG einmal im Jahr Regelmäßiger Pulsstatus, ggf. Doppler-Gefäßuntersuchung, AB-Index Arzneitherapie normnahe RR-Einstellung: ACE-Hemmer [167], Calciumantagonisten, Diuretika [30, 36] {A} Betablocker (bei KHK [10, 35, 65, 165]) HbA1c-Wert zwischen 7,o% und 8,0%] niedrig dosiertes ASS [6, 7] {A} CSE-Hemmer (Simvastatin als Sekundärprophylaxe) [76, 124] {A} 38 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Folgeerkrankungen Diabetische Nephropathie Diabetische Nephropathie [147] Die diabetische Nephropathie ist eine der Hauptursachen für die Dialysepflichtigkeit. Prädiktoren einer Nephropathie sind eine schlechte Blutdruckund Blutzuckereinstellung, hinzu tritt eine genetische Prädisposition [51]. Bei einer Mikroalbuminurie liegt die Albuminausscheidung im Sammelurin im Bereich von 30 bis 300 mg/24h oder im Spontanurin zwischen 20 und 200 mg/l. Die Diagnose einer Mikroalbuminurie wird durch mindestens zwei Messungen im Morgenurin (Micraltest®) im Abstand von 2 bis 4 Wochen bestätigt. Störfaktoren mit reversibler Erhöhung der Albuminurie sind: BZ-Entgleisung, körperliche Anstrengung, Harnwegsinfekte, unkontrollierte Blutdruckerhöhung, Herzinsuffizienz, akute fieberhafte Erkrankungen, operative Eingriffe [51]. Im Stadium der Mikroalbuminurie steigt der Blutdruck an, die glomeruläre Filtrationsrate ist noch nicht erniedrigt, so dass bei rechtzeitiger Therapie durch verschiedene Maßnahmen – insbesondere Blutdrucksenkung – noch eine Verhinderung des Nierenfunktionsverlustes möglich ist. Die Hyperfiltration der Nieren ist bis zur glomerulären Läsion mit manifester Mikroalbuminurie reversibel. Das KHKRisiko ist bei diabetischer Nephropathie nochmals um mindestens das Zweifache erhöht; der Blutdruck sollte systolisch unter 120 mmHg liegen. Diabetische Nephropathie [52, 129, 156] Maßnahmen, die der Arzneitherapie vorangehen oder diese unterstützen Viel trinken (drei Liter/Tag; Ausnahme: manifestes nephrotisches Syndrom, Herzinsuffizienz [51]) Proteinnormalisierte Ernährung (0,8g Eiweiss/kg KG) {C} Albuminuriekontrolle {C} [51] Salzreduktion: < 6 g/Tag; Bluthochdrucktherapie durch Salzreduktion spricht bei Diabetikern gut an [134]. Gewichtsreduktion [52] {C} Raucherentwöhnung Arzneitherapie Umstellung auf Insulin, ggf. ICT [52, 166] Blutdruckkontrollen und Intensivierung/Optimierung der Blutdrucktherapie mit ACE-Hemmern bei Hypertonie ([155] {A}, [137] {A}) und/ oder Herzinsuffizienz. Bei normotensiven Diabetikern konnte keine Verzögerung in der Entwicklung eines Nierenversagens unter ACEHemmern gezeigt werden [104] {A}. Calciumantagonisten sind als Kombinationspartner geeignet, doch bei Monotherapie nicht Mittel der Wahl [118] {A}. Diuretika (Schleifendiuretika) [52], Thiazide wirken nicht ab Kreatinin > 1,8 mg/dl Cave: renal eliminierte Medikamente → Zusammenarbeit mit Nephrologen Impfungen (Hepatitis B) 39 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Folgeerkrankungen Diabetische Retinopathie Diabetische Retinopathie [59, 127, 116] Häufigste Erblindungsursache bei den 40- bis 80Jährigen. Die Schädigung der Retina/Makula kann für den Patienten zunächst unbemerkt verlaufen, unter Umständen über lange Zeiträume. Bei Diagnosestellung des Diabetes besteht bereits in bis zu einem Drittel der Fälle eine diabetische Retinopathie. Eine diabetische Makulopathie findet sich bei bis zu einem Viertel der Patienten nach mehr als 15-jähriger Diabetesdauer. Die frühe Feststellung von Mikroaneurysmen der Retina markiert einen Risikofaktor im Verlauf des Diabetes, da die frühe Gefäßmanifestation von Maßnahmen, die der Arzneitherapie vorangehen oder diese unterstützen Jährliche augenärztliche Untersuchung mit Befundbericht! [93, 114] Retinopathie: Ja Nein Progredienz: Ja Nein (Augenfachärztlicher Untersuchungsbogen der IFDA/AGDA wird empfohlen [20, 80, 96]) hyperglykämischen Schäden ein generelles vaskuläres Risiko anzeigt. Entscheidend ist die rechtzeitige Durchführung einer Lasertherapie, da das Risiko für die Erblindung oberhalb eines HbA1c von 8% exponentiell steigt [44]. Wichtig: Erst Lasern, dann »schlechten« HbA1c Wert senken. BZ-Senkung langsam durchführen. In der bei [110] zitierten Literatur wird darauf hingewiesen, dass sich die diabetische Retinopathie bei rascher Normalisierung stark erhöhter Blutzuckerwerte verschlechtern kann. Arzneitherapie Laserbehandlung Normnahe BZ-Einstellung [47, 119, 166] {A} . d.h. HbA1c-Wert um 7% 40 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Die fünf wichtigsten Folgeerkrankungen Diabetische Neuropathie Diabetische Neuropathie [128, 150] Man unterscheidet u. a. die periphere Polyneuropathie (symmetrische und asymmetrische Formen, Mononeuropathie) autonome Neuropathie: kardiovaskuläre, gastrointestinale(z. B. Gastroparese), urogenitale Störungen (z. B. erektile Dysfunktion). Es besteht eine Beziehung zu Krankheitsdauer und ungünstiger Stoffwechsellage. Ca. 30 bis 50% der Diabetiker mit mehr als zehnjähriger Diabetesdauer weisen Symptome der diabetischen Polyneuropathie auf. Eine sensomotorische periphere Neuropathie ist in ca. 90% an der Ätiologie des diabetischen Fußsyndroms beteiligt. Bei manifestem Diabetes Typ 1 und Typ 2 ist heute mit einer mittleren Prävalenz der sensomotorischen (und autonomen) Neuropathie um Maßnahmen, die der Arzneitherapie vorangehen oder diese unterstützen a) Sensomotorische Periphere Neuropathie [73] Zu jeder Untersuchung gehören laut DMP: Gezielte Anamnese Beidseitige Fußinspektion und Palpation der Fußpulse Prüfen der Berührungssensibilität b) Autonome Neuropathie [112, 148] Regelmäßige jährliche EKG-Kontrolle mit langem Streifen bei Ein- und Ausatmung Ggf. Langzeit-EKG 30% zu rechnen. Etwa 10-15% der manifesten Diabetiker haben mehr oder weniger ausgeprägte Schmerzen. Die Diagnosekriterien für eine sensomotorische diabetische Neuropathie sind im Anhang tabellarisch als »Neuropathischer Symptom Score« und »Neuropathischer Defizit Score« aufgeführt [73, 74]. Neben der KHK sowie der Herzinsuffizienz ist das Diabetikerherz durch die kardiovaskuläre autonome diabetische Neuropathie besonders gefährdet, die sich nur in speziellen Funktionstests erfassen lässt. Bei Verdacht: Langzeit-EKG durchführen. Zur jährlichen Routinekontrolle sollte ein EKG gehören (s. Diabetiker als Hochrisikopatient). Arzneitherapie Eine evidenzbasierte Therapie gibt es noch nicht! Zur Linderung der Symptomatik wird in Einzelfällen eingesetzt: Carbamazepin [109] {A} trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin [108] {A}) Gabapentin [15] {A} Analgetika (s. auch hausärztliche Leitlinie Schmerz) Symptomorientierte Therapie (Betablocker bei erhöhter Herzfrequenz) und v.a. Durchführung eines Belastungs-EKGs 41 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie der Folgeerkrankungen Diabetisches Fußsyndrom Diabetisches Fußsyndrom [18, 145, 147] Zu unterscheiden sind der neuropathische und der angiopathische Fuß sowie gemischte Formen (zur Differentialdiagnose s. Tabelle im Anhang). 2 von 3 Amputierten sind Diabetiker ca. 240.000 Diabetiker in Deutschland leiden aktuell an einer Fußläsion Ca. 40% der Fußsyndrome entstehen durch eine Neuropathie, ca. 20% durch eine Angiopathie. Kombinationen aus neuropathischen und ischämischen Schädigungen sind häufig. Es besteht eine erhöhte Infektanfälligkeit bei verminderter Granulozyten-Phagozytenaktivität (Interdigitalmykosen). Verlaufskontrollen Risikoklassifizierungssystem der International Working Group on the Diabetic Foot (IWGDF) für das Auftreten von Fußläsionen, zitiert nach [16] Kategorie Befunde Untersuchungen Risikoeinstufung 0 keine sensorische Neuropathie 1 x jährlich Niedriges Risiko 1 sensorische Neuropathie 1 x alle 6 Monate Erhöhtes Risiko 2 sensorische Neuropathie und Zeichen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und/oder Fußdeformitäten 1 x alle 3 Monate 3 früheres Ulkus 1 x alle 1 bis 3 Monate Diabetisches Fußsyndrom Angabe des schwerer betroffenen Fußes bei auffälligem Fußstatus: Grad Armstrong-Gradierung 0 1 Hohes Risiko nach Wagner und Armstrong (DMP-Diabetes Typ 2, Ausfüllanleitung zur Erstdokumentation) Wagner-Gradierung 2 3 4 5 A Prä- oder Oberflächliche Wunde bis zur postulcerative Wunde Ebene von Läsion Sehne oder Kapsel Wunde bis zur Nekrosen von Nekrosen des Ebene von Fußteilen gesamten Knochen oder Fußes Gelenk B Mit Infektion Mit Infektion Mit Infektion Mit Infektion Mit Infektion Mit Infektion C Mit Ischämie Mit Ischämie Mit Ischämie Mit Ischämie Mit Ischämie Mit Ischämie D Mit Infektion und Ischämie Mit Infektion und Ischämie Mit Infektion und Ischämie Mit Infektion und Ischämie Mit Infektion und Ischämie Mit Infektion und Ischämie 42 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Therapie der Folgeerkrankungen Diabetisches Fußsyndrom (Fortsetzung) Maßnahmen, die der Arzneitherapie vorangehen oder diese unterstützen Wer den Fuß des Diabetikers nicht ansieht, kann ihn nicht behandeln! Cave: Kleine Wunden und Bagatelltraumen führen zum Ulcus. Schulung des Patienten: tägliche Inspektion der Füße, geeignete Fuß- und Nagelpflege, geeignetes Schuhwerk [106] {A} sowie regelmäßige Inspektion der Füße einmal pro Jahr in Abhängigkeit vom Risikoprofil [103, 117] {A}, {C} Druckentlastung: Bettruhe, Rollstuhl, Gehstützen (bei neuropathischem Fuß); Vorfußentlastungsschuh Bei Parakeratosen, Clavus und Exostosen → Pedographie → Einlagen → orthop. Schuhe (von der Innung auf »Diabetischen Fuß« zertifiziertem Orthopädieschuhmachermeister) Rechtzeitige Mitbehandlung durch Schwerpunktpraxis/Fußambulanz {C} Der »neuropathische Fuß« braucht Ruhe und Lagerung! Der »angiopathische Fuß« muss laufen (zur DD siehe auch Tabelle im Anhang) Polyneuropathie plus AVK bestimmen das Amputationsrisiko des Diabetikers Arzneitherapie Ziel: Stoffwechselverbesserung Insulingabe ggf. vorübergehend, besonders bei Infektionen mit Allgemeinsymptomen (BSG-, CRPErhöhung, Leukozytose, Fieber) (ggf. stationäre Einweisung) Bei Insulinresistenz durch Infektionen: Optimierung der BZ-Einstellung mit OAD, ggf. vorübergehend auch mit Insulin (ggf. Fußambulanz/stationäre Einweisung) Wenn notwendig frühzeitig Antibiotikatherapie mit schnellem systemischen Therapiebeginn bei infizierten Weichteildefekten, z. B. Clindamycin, Gyrasehemmer. Lokale Wundbehandlung: Abtragung von Nekrosen Abtragung von Hyperkeratosen 43 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Zusammenfassung Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 Diabetes mellitus Typ 2 ist eine chronisch progrediente Stoffwechselstörung. Die Erkrankten sind Hochrisikopatienten für mikro- und makroangiopathische Erkrankungen. Bei Manifestation des Diabetes mellitus Typ 2 haben fast 50% der Patienten makrovaskuläre Erkrankungen. Ziele der hausärztlichen Behandlung sind: Diagnostik von diabetischen Vorstadien frühe Diagnostik des manifestem Diabetes mellitus Typ 2 mit qualitätsgesicherter Methodik Motivation zu Lebensstiländerung durch entsprechende Schulung: Bewegung, Ernährung, (s. lebensstilmodifizierende Maßnahmen) Diagnostische Kriterien Diabetes mellitus Typ 2 Nüchtern-BZ: ≥ 126 mg/dl (Plasma venös) bzw. ≥ 110 mg/dl (Vollblut kapillär) oder Gelegenheitsblutzucker bzw. 2-Stundenwert nach oraler Glukosebelastung: ≥ 200 mg/dl (Plasma venös, Vollblut kapillär). Bei Fehlen von diabetestypischen Symptomen: Zweimaliger Nachweis von erhöhtem NüchternBZ oder postprandialem BZ. Bei diabetestypischen Symptomen genügt einmaliger Nachweis von erhöhtem Nüchternblutzucker oder postprandialem Blutzucker. Bei Unklarheit: 75g oGTT nach WHO-Richtlinien. Zur Diagnose eines Diabetes dürfen nur qualitätsgesicherte Maßnahmen zum Einsatz kommen. Geräte zur Blutzuckerselbstmessung dürfen für diagnostische Zwecke nicht eingesetzt werden. Individualisierte Therapieziele entsprechend Risikokonstellation und Lebenssituation. Therapie: Die Therapie besteht in nichtmedikamentösen Maßnahmen (Ernährungsberatung, Motivation zu Bewegung, Schulung), die gleichberechtigt neben der Therapie mit oralen Antidiabetika (Metformin, Sulfonylharnstoffen) und Insulinen stehen. Beginn der medikamentösen Diabetes-Therapie, wenn mit nichtmedikamentösen Maßnahmen Therapieziel nicht zu erreichen ist oder sofort bei entsprechender Risikokonstellation und wenn Diabetesymptome schnell beeinflußt werden müssen. Orale Medikation: (OAD) Bei übergewichtigen Patienten: primär Metformin Bei normalgewichtigen Patienten: zunächst ein Sulfonylharnstoffpräparat (Glibenclamid) Insulin: Wenn Therapieziel mit OAD nicht zu erreichen ist, Einsatz von Insulin, evtl. in Kombination mit OAD. Information zur Blutzuckerselbstmessung und des Verhaltens bei Hypo- bzw. Hyperglykämien (s. Verlaufskontrollen und Schulung). Konsequente Blutdruckeinstellung: RR < 130/80, bei Nephropathie RR < 120/80) Kontrolle der Werte ist engmaschig anzustreben (im DMP kann ein RR-Messgerät verordnet werden!). Therapie einer Fettstoffwechselstörung mit Statinen. Strukturierte Betreuung entsprechend DMP/ Gesundheitspass Diabetes. Überweisung an diabetische Schwerpunktpraxis, wenn Therapieziel in angemessener Zeit nicht zu erreichen ist (s. Schnittstellen). Überweisung an diabetische Fußambulanz zur Mitbehandlung bei diabetischem Fußsyndrom. 44 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. 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[From the Cochrane Library patients with type 2 diabetes. Progressive requirement for and Diabetes Care: self-monitoring of blood glucose multiple therapies (UKPDS 49). JAMA 1999; 281: 2005- probably an effective way to improve glycaemic control in 2012 [Ib] patients with type 2 diabetes not taking insulin]. Ned 163 United Kingdom Prospective Diabetes Study Group (UKPDS). Cost effectiveness analysis of improved blood pressure control in hypertensive patients with type 2 Tijdschr Geneeskd 2006; 150: 1826-1829 173 Wiener K. Whole blood glucose: what are we actually measuring? Ann Clin Biochem 1995; 32 (Pt 1): 1-8 diabetes (UKPDS 40). BMJ 1998; 317: 720-726 55 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Literatur Zitierte Literatur 174 Wolfenbüttel BHR, Landgraf R on behalf of the Dutch and German Repaglinide Study Group. A 1-year multicenter randomised controlled double-blind comparison of repaglinide and glyburide for the treatment of type 2diabetes. Diabetes Care 1999; 22: 463-467 175 Yki-Jarvinen H. Combination therapies with insulin in type 2 diabetes. Diabetes Care 2001; 24: 758-767 176 Young M, Boulton A, Macleod A, Williams D, Sonksen P. A multicentre study of the prevalence of diabetic peripheral neuropathy in the United Kingdom hospital clinic population. Diabetologia 1993; 36: 150-154 177 Zeyfang A. Diabetes im Alter. Der Diabetologe 2006; 3: 262-274 178 Zeyfang A. Geldtest klärt Eignung zur Insulintherapie. Geldzähltest nach Nikolaus. Ärzte Zeitung [http://www.aerztezeitung.de/docs/2006/05/29/ 097a0901.asp?cat=/medizin/diabetes]; 29.05.2006 179 Zeyfang A, Feucht I. Fit bleiben und älter werden mit Diabetes. Strukturiertes Schulungsprogramm (SGS) für Typ 2 Diabetiker im höheren Lebensalter. (Hrsg.) Arbeitsgemeninschaft Diabetes und Geriatrie der DDG; Berlin: BERLIN-CHEMIE AG; 2007 180 Ziegler A-G, Hummel M, Scherbaum W. Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese des Typ-1-Diabetes. In: Diabetologie in Klinik und Praxis. Mehnert H. (Hrsg.), 5. Aufl., Thieme-Verlag, Stuttgart, New York: 2003; 53-67 56 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Glykämischer Index Glykämischer Index (GI) Dieser Terminus teilt Lebensmittel aufgrund ihrer Eigenschaften ein, eine postprandiale (Hyper-) Glykämie hervorzurufen. Dieser Glukoseanstieg ist wiederum verantwortlich für die reaktive Insulinausschüttung bzw. Insulinbedarf der zur Wiederherstellung der Normoglycämie benötigt wird. Außer der Kohlenhydratzusammensetzung der Nahrung sind auch Faktoren, wie z. B. die Bearbeitung der Lebensmittel, der enzymatische Aufschluss im Darm und das Vorhandensein von anderen Nahrungsstoffen maßgeblich beteiligt. Diesen trägt der GI Rechnung Bestimmung des GI Der GI ist definiert als Fläche unter der 2h BZAntwortkurve (area under the curve) nach einer Testmahlzeit mit 50g KH im prozentualen Vergleich zu einer Standard-Mahlzeit (= Weißbrot oder Glukose) mit ebenfalls 50g Kohlenhydraten gemessen an der selben Person. Die GI Werte für Glukose sind ca. um das 1,38 Fache höher als für Weißbrot. Der GiI oder die glycämische Belastung von Mahlzeiten wird berechnet, indem die Menge KH im Lebensmittel, der Anteil der glykämischen KH in der Mahlzeit und der GI des Lebensmittels berücksichtigt werden. Unter Bezugnahme von weißem Brot als Referenz variiert der GI von ca. 20 bis 130. 57 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Diagnostik im Überblick Definition und diagnostische Kriterien Definition und diagnostische Kriterien des Typ 2 Diabetes [4, 5], s. a. DMP-Handbuch zum Thema [8, 9] 58 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Nicht-insulinotrope Antidiabetika Metformin (OAD) Metformin Mittel der ersten Wahl bei übergewichtigen Diabetikern. Keine Gewichtszunahme. Keine Hypoglykämien. Bei Beachtung der Kontraindikationen keine Laktatacidosen [135]. Wirkmechanismus Hemmung der hepatischen Glukoneogenese und Steigerung der Glukoseaufnahme im Fettgewebe und der Skelettmuskulatur Indikation Übergewichtige Patienten mit einem nicht entgleisten Diabetes mellitus Typ 2, bei denen ein Therapieversuch mit Gewichtsabnahme, Umstellung auf gesunde Ernährung und Steigerung der körperlichen Aktivität innerhalb von drei Monaten nicht zum Erreichen der HbA1c-Zielwerte geführt hat. Vorteile: Reduktion makrovaskulärer Komplikationen wie Schlaganfall, koronare Ereignisse und diabetesbezogener Tod (UKPD-Studie) [164] Dosierung Start mit 1 x 500 mg oder 1 x 850 mg/d; optimale Tagesdosis 2000 mg/d Nebenwirkungen Bei ~ 20 %: Übelkeit, Magendruck, Blähungen, Durchfälle Bei ~ 5 %: Absetzen bei Beschwerdepersistenz notwendig Sehr selten (v. a. bei Nichtbeachtung der Kontraindikationen): Laktatazidose Kontraindikationen Schwangerschaft, Stillzeit, eingeschränkte Nierenfunktion (Grenzwert des Serumkreatinins 1,2 mg/dl, Kreatinin-Clearance < 40 ml/min), schwere Lebererkrankung, Pankreatitis, Alkoholismus, konsumierende Erkrankungen hypoxische Zustände mit schlechter Sauerstoffversorgung der Gewebe, respiratorische Insuffizienz, schwere Herzinsuffizienz, Kreislaufschock, hohes Lebensalter Metformin ist 2 Tage vor geplanten Operationen mit Allgemeinanästhesie und vor Röntgenuntersuchungen mit intravenöser Kontrastmittelgabe und am Tag einer Operation abzusetzen (s. Fachinformation). Es gibt in der Literatur Belege, dass dies nicht erforderlich ist und eine Unterbrechung der BZBehandlung dem Patienten mehr schade [79]. Hieraus folgt eine der Fachinformation widersprechende Empfehlung, Metformin erst bei einer GFR kleiner 40ml/min abzusetzen. Reduktionkost (< 1000 kcal täglich) Für umfassende Informationen s. Fachliteratur und Fachinformation. 59 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Nicht-insulinotrope Antidiabetika Glitazone (OAD) Glitazone Rosiglitazon, Pioglitazon. Aufgrund fehlender Langzeitstudien nur bei Patienten, bei denen die Zielwerte nicht anders erreichbar sind. Achtung: Unter Therapie von Rosiglitazon sind lebensbedrohliche Herzinsuffizienz und Leberversagen aufgetreten. Kombination mit Insulin meiden, wegen Risiko für Herzinsuffizienz [55, 126]. Wirkmechanismus Verminderung der Insulinresistenz im Fettgewebe, Skelettmuskulatur und Leber Indikation Zulassung in Deutschland bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 nur in Kombination mit Metformin sowie in Kombination mit Sulfonylharnstoffen bei Patienten mit Metformin-Unverträglichkeit bzw. bei Kontraindikationen für Metformin; Pioglitazon auch in Kombination mit Insulin zugelassen (EMEAZulassung) Dosierung Rosiglitazon 4 mg/d morgens; bei Bedarf nach 8 Wochen Steigerung auf 8 mg/d Pioglitazon 15 mg/d; bei Bedarf nach 8 Wochen Steigerung auf 30 mg/d Gewichtszunahme: in Kombination mit Metformin 4-5%, in Kombination mit Sulfonylharnstoffen 5-6%. Ödeme in 3-4% der Fälle. Selten: Cephalgien oder Transaminasen-Erhöhungen Hypercholesterinämie, Abdominalschmerzen, Blähungen Nebenwirkungen Verdacht auf erhöhtes Frakturrisiko bei Frauen unter Pioglitazon, evtl. Klasseneffekt [12] Kontraindikationen Leberfunktionsstörungen Herzinsuffizienz (NYHA I-IV) Schwangerschaft, Stillzeit schwere Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min) Für umfassende Informationen s. Fachliteratur und Fachinformation. 60 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Nicht-insulinotrope Antidiabetika Alpha-Glucosidasehemmer (OAD) Alpha-Glucosidasehemmer Acarbose, Miglitol. Aufgrund der fehlenden Studien nur bei Patienten, bei denen die Zielwerte nicht anders erreichbar sind. Keine Hypoglykämien, aufgrund der Nebenwirkungen eher Gewichtsverlust. Gesundheitsökonomisch ist das Preis/Leistungsverhältnis eher unbefriedigend (Senkung des HbA1c-Wertes um durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte, hohe Patientencompliance erforderlich, Flatulenz häufig) [33, 143]. Zur Studienbewertung s. [90]. Wirkmechanismus Hemmung der Alpha-Glucosidasen im Dünndarm und damit Hemmung der Spaltung von Disacchariden Indikation Diabetes mellitus Typ 2, vor allem bei postprandialer Hyperglykämie Dosierung 1 x 50 mg/d; Steigerung auf 3 x 50 mg/d, maximal 3 x 100 mg Nebenwirkungen Häufig: Blähungen, Durchfall und Bauchschmerzen, Gewichtsabnahme Selten: Anstieg der Transaminasen Kontraindikationen Patienten < 18 Jahre Schwangerschaft, Stillzeit Chronische Darmerkrankungen Schwere Niereninsuffizienz Für umfassende Informationen s. Fachliteratur und Fachinformation. 61 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Insulinotrope Antidiabetika Sulfonylharnstoffe (OAD) Sulfonylharnstoffe Glibenclamid, Glibornurid, Gliclazid, Glimepirid, Gliquidon, Glisoxepid. Geeignet für nicht adipöse Diabetiker. Gewichtszunahme, Gefahr der Hypo- glykämie, teilweise protrahiert (Achtung Hinweise auf Fahrtüchtigkeit für Berufsfahrer, Busfahrer und LKW-Fahrer beachten, s. Anhang). Wirkmechanismus Stimulation der endogenen Insulinsekretion Indikation Patienten mit Typ-2-Diabetes, bei denen das HbA1c-Therapieziel trotz Ernährungs- und Bewegungstherapie nicht erreicht wird Dosierung (HWZ) Anfangsdosis Max. Tagesdosis 1,75 mg-3,5 mg 12,5 mg 40 mg 1 mg 15 mg 0,5 g-1 g 10,5 mg 75 mg 240 mg 6 mg 120 mg 2g Glibenclamid (10h) Glibornurid (8) Gliclazid (10-12h) Glimepirid (5-8h) Gliquidon (1,4/8-17) Tolbutamid (6h) Nebenwirkungen Häufig: Gewichtszunahme Hypoglykämie, besonders bei eingeschränkter Nierenfunktion und bei Verwendung langwirksamer Sulfonylharnstoffpräparate (z. B. Glibenclamid) Selten: gastrointestinale Störungen (z. B. Völlegefühl, Übelkeit) Störungen der Hämatopoese allergische Reaktionen Kontraindikationen Typ-1-Diabetes Sekundärversagen einer Therapie mit Sulfonylharnstoffen, insbesondere bei azidotischer Stoffwechseldekompensation, Präkoma oder Koma Niereninsuffizienz Für umfassende Informationen s. Fachliteratur und Fachinformation. 62 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Insulinotrope Antidiabetika Glinide (OAD) Glinide Repaglinide/Nateglinide. Aufgrund fehlender Langzeitstudien nur bei Patienten, bei denen die Zielwerte nicht anders erreichbar sind. Die Häufigkeit Wirkmechanismus der Hypoglykämien ist bei regelmäßiger Nahrungsaufnahme vergleichbar mit der Hypoglykämierate unter Sulfonylharnstoffen [174]. Kurzzeitige Stimulation der endogenen Insulinsekretion Indikation Repaglinide Patienten mit Typ-2-Diabetes, bei denen das HbA1c-Therapieziel trotz Ernährungs- und Bewegungstherapie nicht erreicht wird. Monotherapie und Kombinationstherapie mit Metformin möglich Nateglinide hat nur eine Zulassung als Kombinationstherapie mit Metformin. Kombination von Gliniden mit Sulfonylharnstoffen nicht indiziert Dosierung Repaglinide 0,5 mg zu den Hauptmahlzeiten Nateglinide 3 x 60 mg bis 3 x 120 mg zu den Hauptmahlzeiten Nebenwirkungen Hypoglykämie, gastrointestinale Störungen (z. B. Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe), allergische Reaktionen, Angina pectoris (häufig bei Repaglinide) Kontraindikationen Typ-1-Diabetes, diabetische Ketoazidose Niereninsuffizienz: Nateglinide (Repaglinide bei Kreatinin-Clearance von > 30 ml/min möglich), Leberinsuffizienz Überempfindlichkeit gegen Repaglinide oder Nateglinide Schwangerschaft, Stillzeit Für umfassende Informationen s. Fachliteratur und Fachinformation. 63 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Insulinotrope Antidiabetika Inkretin-Mimetikum (s.c.) Inkretin-Mimetikum Exenatide: Synthetisches Peptid, das aus dem Speichel der giftigen Echse Heloderma suspectum isoliert wurde. Bislang nur Zulassungsstudien, nur bei Patienten, bei denen die Zielwerte nicht anders erreichbar sind. Cave: Hypoglykämien! Wirkmechanismus Exenatide wirkt wie Glucagon-like Peptide 1 als Agonist am GLP1-Rezeptor und stimuliert glukoseabhängig die Insulinfreisetzung des Pankreas Indikation Diabetes mellitus Typ 2 in Kombination mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoffpräparaten bei Patienten, bei denen mit der maximal verträglichen Dosis dieser oralen Therapien eine angemessene Blutzuckerkontrolle nicht erreicht wurde Dosierung 2 x tägliche subkutane Injektion von 5 bzw 10 μg vor den Mahlzeiten Nebenwirkungen Sehr häufig: Hypoglykämie, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall Warnhinweis Nicht empfohlen bei terminaler Niereninsuffizienz, schwerer Nierenfunktionsstörung, bei gastrointestinalen Erkrankungen Für umfassende Informationen s. Fachliteratur und Fachinformation. Sitagliptin (Dipetidyl-Peptidase-4 Inhibitor). Bislang nur Zulassungsstudien, keine Nutzen-Risiko-Bewertung für die hausärztliche Versorgung möglich. Wirkmechanismus Blockiert den Abbau der Inkretinhormone, die nach den Mahlzeiten ausgeschüttet werden und die Bauchspeicheldrüse zur Insulinproduktion anregen Indikation Diabetes mellitus Typ 2 in Kombination mit Metformin oder ein Thiazolidin wenn Diät und Monotherapie (Metformin bzw. Thiazolidin) den Blutzucker nicht ausreichend senken Dosierung 1 x täglich 100 mg oral Nebenwirkungen Bei Kombination mit Metformin: Schläfrigkeit, Übelkeit, Oberbauchschmerzen, Diarrhö, erniedrigte Blutzuckerwerte, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme Bei Kombination mit einem PPARγAgonisten (Pioglitazon): Hypoglykämie, Flatulenz, periphere Ödeme. Warnhinweis Nicht bei Typ 1 Diabetikern, nicht zur Behandlung der diabetischen Ketoazidose, nicht bei Überempfindlichkeit gegen Sitagliptin anwenden Quelle:www.emea.europa.eu/humandocs./PDFs/EPAR/januvia/H-722-de1.pdf [3.05.07], Fachinfo Januvia März 2007 64 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Diabetische Neuropathie Neuropathie Symptom Score (NSS) Die Diagnosekriterien für eine sensible oder sensomotorische diabetische Polyneuropathie sind in den Tabellen NSS und NDS aufgeführt [176], Neuropathie Symptom Score (NSS) [73] Symptomatik Fuß/Unterschenkel Brennen Taubheitsgefühl zitiert nach DDG-Leitlinie Neuropathie bei Diabetes mellitus [73]. Ja Nein Punkte 2 2 0 0 Parästhesien 2 0 Schwächegefühl (Ermüdung, Erschöpfung) Krämpfe 1 1 0 0 Schmerzen 1 0 Lokalisation Füße Unterschenkel 2 1 woanders 0 Exazerbation Nachts vorhanden Tagsüber und nachts vorhanden Nur tagsüber vorhanden 2 1 0 Patient wird durch Symptome aus dem Schlaf geweckt +1 Besserung der Symptome beim Gehen Stehen 2 1 Sitzen oder Hinlegen 0 Gesamtscore Gesamtscore NSS: 3-4: leichte Symptome 5-6: mäßige Symptome 7-10: schwere neuropathische Defizite 65 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Diabetische Neuropathie Neuropathie Defizit Score (NDS) Neuropathie Defizit Score (NDS) [73] Achillessehnenreflex Normal Vermindert Rechts Links Punkte 0 1 0 1 Fehlend 2 2 Vibrationsempfindung (Messung dorsal am Großzehgelenk) Normal 0 0 Vermindert/fehlend 1 1 Schmerzempfindung (Messung am Fußrücken) Normal 0 0 Vermindert/fehlend 1 1 Temperaturempfindung (Messung am Fußrücken) Normal 0 0 Vermindert/fehlend 1 1 Gesamtscore Gesamtscore NDS: 3-5: leichte neuropathische Defizite 6-8: mäßige neuropathische Defizite 9-10: schwere neuropathische Defizite Als Ergänzung zu den Tabellen führt die PraxisLeitlinie der DDG »Diabetische Neuropathie« [74] aus: Als Minimalkriterien für die Diagnose gelten: mäßig ausgeprägte neuropathische Zeichen (NDS 6-8 Punkte) mit oder ohne Symptome oder leichte neuropathische Zeichen (NDS 3-5 Punkte) mit mäßig ausgeprägten Symptomen (NSS 4-6 Punkte). Leichte Defizite alleine (NDS 3-5 Punkte) oder in Kombination mit leichten Symptomen (NSS 3-4 Punkte) ermöglichen noch keine Neuropathiediagnose und sollten kontrolliert werden; Quellenangabe lt DDG: [176]. 66 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Diabetischer Fuß Differentialdiagnose »Diabetisches Fußsyndrom« Diabetisches Fußsyndrom (DFS) bei Neuropathie vs. DFS bei pAVK (nach [145], modifiziert durch Leitliniengruppe Hessen). Klinische Zeichen DFS bei Neuropathie DFS bei pAVK Farbe der Haut rosig blass-livide Temperatur der Haut warme, trockene Haut kühle Haut, normale Schweißsekretion Schmerzsensation »painfull-painless leg« Unter Belastung Claudicatio, ggf. Ruheschmerz Fußpulse tastbar nicht tastbar Vibrationsempfinden vermindert/aufgehoben normal Achilles-/Patellarsehnenreflex vermindert/aufgehoben normal Lokalisation der Läsion druckbelastete Stellen Akren Ätiologie schlecht eingestellter Diabetes Alkohol Nikotin Arterielle Hypertonie Hyperlipidämie Diabetes 67 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Diabetischer Fuß Dokumentationsbogen Fußsyndrom Praxishilfe Fußdokumentations-Bogen der DDG, Seite 1/2 [40] 68 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Diabetischer Fuß Dokumentationsbogen Fußsyndrom (Fortsetzung) Praxishilfe Fußdokumentations-Bogen der DDG, Seite 2/2 [40] 69 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Augenkontrolle Begleitbogen bei Überweisung zum Augenarzt Augenfachärztlicher Untersuchungsbogen der IFDA/AGDA [20, 80, 96] Augenuntersuchungsbogen Den Augenuntersuchungsbogen erhalten Sie durch folgende Organisationen: Initiativkreis zur Früherkennung diabetischer Augenerkrankungen e.V. (IFDA) und Arbeitsgemeinschaft "Diabetes & Auge" der Deutschen Diabetes Gesellschaft e.V. (AGDA) http://www.diabetes-auge.de/ http://www.retinopathie.net/downloads/Augenbogen.doc Praxishilfen Typ-2-Diabetes Netzhautkomplikationen, Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien http://www.versorgungsleitlinien.de/praxishilfen/dm2auge_praxis/index_html Zur verbesserten Dokumentation und zur Erleichterung des Informationsaustausches zwischen Hausarzt/Diabetologen und Augenarzt haben IFDA und AGDA diesen Augenfachärztlichen Untersuchungsbogen entwickelt. Bestellung des Augenfachärztlichen Untersuchungsbogen als dreiteiliges Durchschlagsformular unter Lilly Deutschland GmbH Service - Fax: 06172-273-2183 70 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Praxistipps 14 Empfehlungen für Patienten Patienten-Empfehlungen zur Fuß-Pflege und -Kontrolle, zitiert nach [106] 71 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Depression Kurztest zur Diagnose einer Depression Kurztest zur Diagnose einer Depression [98] Die fogendenden Aussagen betreffen Ihr Wohlbefinden in den letzten zwei Wochen. Bitte markieren Sie bei jeder Aussage die Rubrik, die Ihrer Meinung nach am besten beschreibt, wie Sie sich in den letzten zwei Wochen gefühlt haben. In den letzten 2 Wochen … … war ich froh und guter Laune … habe ich mich ruhig und entspannt gefühlt … habe ich mich energisch und aktiv gefühlt … habe ich mich beim Aufwachen frisch und ausgeruht gefühlt … war mein Alltag voller Dinge, die mich interessieren Die ganze Meistens Etwas mehr Zeit als die Hälfte der Zeit 5 4 3 Etwas weniger Ab und zu als die Hälfte der Zeit Zu keinem Zeitpunkt 2 1 0 5 4 3 2 1 0 5 4 3 2 1 0 5 4 3 2 1 0 5 4 3 2 1 0 Auswertung Der Rohwert kommt durch einfaches Addieren der Antworten zustande. Der Rohwert erstreckt sich von 0 bis 25, wobei 0 das geringste Wohlbefinden/ niedrigste Lebensqualität und 25 größtes Wohlbefinden, höchste Lebensqualität bezeichnen. Den Prozentwert von 0 bis 100 erhält man durch Multiplikation mit 4. Der Prozentwert 0 bezeichnet das schlechteste Befinden, 100 das beste. Bei einem Punktwert < 13 liegt ein Verdacht auf eine Depression vor. Eine weitgehend diagnostische Abklärung wird empfohlen. Für internetgestützte Tests s. auch www.kompetenznetz-depression.de 72 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Diabetes und Führerschein Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung Leitsätze Herausgeber: Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Februar 2000 Wer als Diabetiker zu schweren Stoffwechselentgleisungen mit Hypoglykämien1 mit Kontrollverlust, Verhaltensstörungen oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen oder Hyperglykämien2 mit ausgeprägten Symptomen wie z. B. Schwäche, Übelkeit, Erbrechen oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen neigt, ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden. Wer nach einer Stoffwechseldekompensation erstmals oder wer überhaupt neu eingestellt wird, ist so lange nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden, bis die Einstellphase durch Erreichen einer ausgeglichenen Stoffwechsellage (inkl. der Normalisierung des Sehvermögens) abgeschlossen ist. Bei ausgeglichener Stoffwechsellage sind im Umgang mit der Erkrankung informierte Diabetiker, die mit Diät, oralen Antidiabetika oder mit Insulin behandelt werden, in der Lage, Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 sicher zu führen. Wer als Diabetiker mit Insulin behandelt wird, ist in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden. Ausnahmen setzen außergewöhnliche Umstände voraus, die in einem ausführlichen Gutachten im Einzelnen zu beschreiben sind. Neben regelmäßigen ärztlichen Kontrollen sind Nachbegutachtungen im Abstand von höchstens 2 Jahren erforderlich. Diabetiker, die mit oralen Antidiabetika vom Sulfonylharnstofftyp behandelt werden, sind in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden, wenn vor der Genehmigung eine gute Stoffwechselführung ohne Hypoglykämien über etwa 3 Monate vorlag. Nachbegutachtungen sind im Abstand von höchstens 3 Jahren erforderlich. 1 2 Blutzuckererniedrigung unter den Normalbereich Blutzuckererhöhung über den Normalbereich Gruppe 1 = Kraftfahrzeuge der Klassen A, A1 B, BE, M, L und T Gruppe 2 = Kraftfahrzeuge der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung 73 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Diabetes und Führerschein Begründung der Leitsätze nach verkehrsmedizinischen Aspekten Begründung der Leitsätze nach verkehrsmedizinischen Aspekten Drei Gruppen von Diabetikern entsprechend ihrer Behandlungsart und Kontrollbedürftigkeit: 1. Nur mit Diät sowie mit Diät und Medikamenten zur Besserung der Insulinresistenz (Biguanide, Insulinsensitizer) und/oder Pharmaka zur Resorptionsverzögerung von Nährstoffen behandelte Diabetiker: Diabetiker dieser Gruppe können uneingeschränkt am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen. 2. Mit Diät und oralen Antidiabetika vom Sulfonylharnstofftyp behandelte Diabetiker: Diabetiker dieser Gruppe sind eher selten durch Hypoglykämien gefährdet. Sie können in der Regel uneingeschränkt den gestellten Anforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs gerecht werden. 3. Mit Diät und Insulin, auch mit Insulin und oralen Antidiabetika behandelte Diabetiker: Diabetiker dieser Gruppe sind vom Grundsatz her hypoglykämiegefährdet. Sie sind deshalb in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden. Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 (Klassen A, A1, B, BE, M, L, T) und auch der Unterklassen C1, C1E können sie jedoch führen, wenn davon auszugehen ist, dass sie auftretende Hypoglykämien und Hyperglykämien bemerken und erfolgreich behandeln können. In der Regel setzt dieses Stoffwechselkontrollen voraus. 74 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Diabetes und Führerschein Ratschläge für insulinbehandelte Kraftfahrer Ratschläge für insulinbehandelte Kraftfahrer (nach den Empfehlungen der Deutschen DiabetesGesellschaft) Insulinbehandelte Diabetiker, die als Kraftfahrer am Straßenverkehr teilnehmen, sollen zur eigenen Sicherheit und zur Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer die folgenden Ratschläge kennen und auch beachten: 1. Im Fahrzeug immer ausreichende Mengen von schnell wirksamen Kohlenhydraten (z. B. Traubenzucker, Würfelzucker) griffbereit halten (auch der Beifahrer sollte den Aufbewahrungsort kennen). 2. Blutzuckerteststreifen im Fahrzeug mitführen. 3. Bei Unterzuckerung oder Verdacht auf Unterzuckerung Fahrt nicht antreten. 4. Bei Unterzuckerungszeichen und beim geringsten Verdacht auf eine Unterzuckerung Fahrt sofort unterbrechen, schnell wirksame Kohlenhydrate nehmen und abwarten, bis die Unterzuckerung sicher überwunden ist. 5. Gewohnte Tagesverteilung der Mahlzeiten und der Insulininjektionen einhalten. 6. Vor Antritt einer Fahrt nie mehr Insulin spritzen und nie weniger essen als sonst. Nie losfahren, ohne etwas gegessen zu haben (z. B. kleine Kohlenhydratmenge). 7. Vor Antritt einer längeren Fahrt aus Sicherheitsgründen und auch aus juristischen Gründen eine Blutzuckerselbstkontrolle durchführen und Ergebnis protokollieren. 8. Bei längeren Fahrten jeweils nach etwa zwei Stunden Pausen einlegen und eine bestimmte Menge Kohlenhydrate essen. 9. Lange Nachtfahrten möglichst vermeiden. 10. Die Fahrtgeschwindigkeit aus eigenem Entschluß begrenzen. Mehr Abstand halten. 11. Vor und während einer Fahrt keinen Alkohol trinken (auch kein Diätbier). 12. Diabetikerausweis, Insulin und Insulinspritzen und gegebenenfalls Glukagon mitführen. 13. Regelmäßig ärztliche Kontrollen und eine halbjährliche Untersuchung der Sehleistung durchführen lassen. 14. Bedenken Sie, dass sich in den ersten Wochen nach Umstellung auf Insulin die Brechkraft der Augenlinsen vorübergehend verändern kann und Sie dann vielleicht für kurze Zeit nicht mehr gewohnt scharf sehen. Gute Fahrt. 75 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Studientabellen Behandlung des Typ-2-Diabetikers Studie/ Jahr Methode Inzidenz (Endpunkt) p-Wert NNT= 1/ARR GM = Gesamtmortalität KS = Kardiovaskuläre Sterblichkeit Kontrolle NNH Verum Behandlung mit Metformin UKPDS 13 1995 [168] UKPDS 34 1998 [164] 2520 neu diagnostizierte, nicht insulinabhängige Diabetiker, nur Diät gegen Metformin plus Diät (Verum), wobei die Metformin Gruppe mehr als 120% des Idealgewichts hat, 25-62 Jahre alt,42% Frauen, 3 Jahre Beobachtung Endpunkte HbA1c, Gewicht Diät Metformin plus Diät HbA1c: 7,8% HbA1c: 7,1 % Gewicht: 87,4 kg Gewicht: 86,2 kg <0,001 753 übergewichtige (> 120% vom Idealgewicht) neu entdeckte Diabetiker Typ 2, Diät versus Diät mit Metformin, im Durchschnitt 53 Jahre alt, 54% Frauen, 10,7 Jahre Beobachtung. Diät Metformin Gruppe HbA1c: im Durchschnitt 7,4%, 0,002 GM: 20,6% GM Metformin: 13,5% 0,011 Diabetessterblichkeit: 12,7% Diabetessterblichkeit: 7,5% 0,017 HbA1c: 8,0% 14 19 Behandlung mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin UKPDS 13 1995 [168] 2520 neu diagnostizierte, nicht insulinabhängige Diabetiker, nur Diät gegen Sulfonylharnstoffe plus Diät (Verum) 25-62 Jahre alt, 42% Frauen, 3 Jahre Beobachtung Endpunkte HbA1c, Gewicht Diät Sulfonylharnstoffe plus Diät HbA1c: 7,6% HbA1c: 6,9% Gewicht: 77,1 kg Gewicht: 81,1 kg nur Diät gegen Insulin plus Diät (Verum) Diät Insulin plus Diät HbA1c: 7,6% HbA1c 7,0% Gewicht: 77,1 kg Gewicht 80,2 kg <0,001 Mittlerer HBA1c in der Kontrollgruppe 7,9%, Mittlerer HBA1c in den Verumgruppen 7,0%. <0,001 UKPDS 33 3867 neu entdeckte Typ II Diabetiker, 1998 [166] 1138 mit Diät 1573 mit Diät plus Sulfonylharnstoffe 1156 mit Diät plus Insulin im Mittel 54 Jahre alt, 36% Frauen, 10 Jahre Beobachtung. Gewichtszunahme in den Verumgruppen im Schnitt 2,9 kg (Glibenclamid 1,7 kg p < 0,001, Insulin 4 kg p < 0,0001) Gesamtmortalität 19,9% Diabetessterblichkeit (DS): 11,8% Major Hypoglykämie (pro Jahr) <0,001 0,7% GM Sulfonylharnstoffe 18,9% 0,87 GM Insulin 18,6% 0,48 DS Sulfonylharnstoffe 11,0% 0,56 DS Insulin 10,7% 0,44 Sulfonylharnstoffe 1,4% <0,0001 (1 Jahr): 142 Insulin 1,8% < 0,0001 (1 Jahr): 91 intention to treat analyse bei Analyse nach Protokoll: Major hypoglycämie (pro Jahre) 0,1% Glibenclamid 0,6% 200 Gruppe mit niedrigem Blutdruck (<150/85 mmHg) Insulin 2,3% NNH: 44 Gruppe mit hohem Blutdruck (<180/105mmHG) 76 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Studientabellen Behandlung des Typ-2-Diabetikers Studie/ Jahr Methode Inzidenz (Endpunkt) p-Wert NNT= 1/ARR GM = Gesamtmortalität KS = Kardiovaskuläre Sterblichkeit Kontrolle NNH Verum Behandlung mit Glitazonen PR0-ACTIVE 2005 [55] ADOPT Studie 2006 [87] DREAM 2006 Rosigltazone Arm [153] Pioglitazon verus Placebo, 5238 Pat., 33% Fauen, durchschnittl. 62 Jahre alt mit Diabetes Typ 2 und HbA1c >6,5, hohes kardiovaskuläres Risiko, 34,5 Monate Beobachtungsdauer (im urspünglichen Studiendesign waren sekundäre Endpunkte nicht erwähnt [31]) Rosiglitazon versus Metformin und Glibenclamid als Monotherapie, 4351 Patienten mit kurz zuvor diagnostiziertem Typ 2 Diabetes, im Mittel 57 Jahre, 45% Frauen, 4 Jahre Beobachtungszeit Rosiglitazon versus Placebo, 5269 2 x 2 faktorielles Design ohne kardiovaskuläre Erkrankungen mit NBZErhöhung oder gestörter Glukosetoleranz, älter als 30 Jahre, im Mittel 55 Jahre alt, 60% Frauen, 3 Jahre Beobachtung Primärer Endpunkt; Tod, MI, Apoplex, Revaskularisation Placebo: 21,7% Rosiglitazon: 19,7% Ramipril versus Placebo, 5269 Patienten ohne kardiovaskuläre Erkrankungen mit NBZ-Erhöhung oder gestörter Glukosetoleranz, im Mittel 55 Jahre alt, 60% Frauen Entfällt 50 Sekundärer Endpunkt: Tod, HI und Apoplex: Placebo 13,6% Rosiglitazon: 11,6% 0,027 Herzinsuffizienz: Placebo 7,5% Herzinsufiizienz: Rosiglitazone:10,8% <0,001 30 Primärer Endpkt.: Versagen der Monotherapie: NBZ >180 mg% über 6 Wochen: Metformin: 21% Glibenclamid 34% Rosigltazone 15% Rosigltazone 15% <0,001 <0,001 8 5 Schwere kardiovaskuläre Erkrankungen (HI, MI etc.) Metformin: 3,2% Rosigltazone 3,4% n.s. Glibenclamid 1,8% Rosigltazone 3,4% <0,01 63 1. Endpunkt: Neu diagnostizierter Diabetes und Tod Placebo 26% Rosiglitazon: 11,6% <0,001 7 <0,001 7 Endpunkt Diabetes-Diagnose Placebo 25% Rosiglitazon: 10,6% Endpunkt Herzinsuffizienz Placebo 0,1% Rosiglitazon 0,6% DREAM 2006 Ramipril-Arm [23] n.s. 95% CI 1,6-30,9 250 Endpunkt: neu diagnostizierter Diabetes oder Tod Ramipril 19,5% Rosiglitazone: 18,1 % n.s Behandlung mit Acarbose UKPDS 44 1946 Patienten (57% Frauen) aus der UKPDS. Acarbose versus Placebo, Durchschnittlich 60 Jahre alt, 3 Jahre Beobachtung Endpunkt: Studienabbruch 39% Acarbose 58% <0,0001 Compliantgruppe: 0,5% Reduktion <0,0001 Endpunkt HBA1c Endpunkt HBA1C in der intention to treat Auswertung 0,2% <0,0001 Endpunkt Diabetes ausgelöster Schaden 95 % CI 0,81-1,23 n.s. 77 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Studientabellen Behandlung des Typ-2-Diabetikers Studie/ Jahr Methode Inzidenz (Endpunkt) p-Wert NNT= 1/ARR GM = Gesamtmortalität KS = Kardiovaskuläre Sterblichkeit Kontrolle NNH Verum Prävention von makro- und mikrovaskulären Folgeerkrankungen UKPDS 38 1998 [167] 1148 Hochdruckpatienten mit Typ 2 Diabetes, davon 390 Patienten mit RR unter 180/105 und 758 Patienten mit RR unter 150/85, davon 358 mit Atenolol und 400 mit Captopril (s. UKPDS 39) es waren weitere Blutdrucksenkende Medikamente erlaubt ohne eines der Vergleichsgruppe zu nehmen. Strenge Blutdrucksenkung Weniger strenge RRSenkung GM Gruppe 22,4 pro 1000 Patientenjahre GM Gruppe: 27,2 pro 1000 Patientenjahre 0,17 NNT 21 Diabetessterblichkeit 13,7 pro 1000 Pat.jahre 20,3 pro 1000 Pat.jahre 0,019, NNT 15 Apoplex 6,5 pro 1000 Pat.jahre 11,6 pro 1000 Pat.jahre 0,013, NNT 20 Mikrovaskuläre Erkrankungen <12,0 pro 1000 Pat.jahre 19,2 pro 1000 Pat.jahre 0,0092 NNT 14 s. UKPDS 38 Atenolol je 1000 Patientenjahre Captopril je 1000 Patientenjahre Gesamtmortalität 20,8 23,8 0,44 (kein Unterschied zwischen Atenolol und Captopril) Diabetessterblichkeit 12,0 15,2 0,28 (kein Unterschied zwischen Atenolol und Captopril) Apoplex 6,1 6,8 0,74 (kein Unterschied zwischen Atenolol und Captopril) 4810 Patienten mit neu entdecktem Typ 2-Diabetes; Blutdruckmessungen 2 und 9 Monate nach Diabetesdiagnose, im Mittel 58 Jahre, 40% Frauen, Beobachtungszeit 10,5 Jahre Gesamtmortalität in Abhängigkeit von den Blutdruckwerten Nicht adj. je 1000 Patientenjahre Alter im Mittel 56 Jahre, 46% Frauen, 8,4 Jahre Beobachtung UKPDS 39 1998 [165] Adler, UKPDS 36 2000 [1] <120 mm Hg: 6,9 120 -129 mm Hg: 12,8 130-139 mm Hg: 15,9 140-149 mm Hg: 19,2 150- 159 mmHg 24,5 > 160 mm Hg 29,4 78 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Studientabellen Behandlung des Typ-2-Diabetikers Diät und Bewegung, Lebensstiländerung Studie/ Jahr Methode Inzidenz (Endpunkt) Kontrolle The Da Quing IGT and Diabetes Study 1997 [121] p-Wert NNT= 1/ARR GM = Gesamtmortalität KS = Kardiovaskuläre Sterblichkeit Verum Manifester Diabetes Diät 47,1% <0,05 NNT 5 1 Gruppe mit nur Bewegung Bewegung: 30 min/Tag langsames Spazierengehen oder 20 min schnelles Gehen oder 10 min Jogging oder 5 min Rennen 44,2% 0,05 NNT 5 1 Gruppe Diät plus Bewegung Endpunkt: Entwicklung eines manifesten Diabetes 44,6% 0,05 NNT 5 77 Patienten mit gestörter Glukosetoleranz, Alter im Mittel 45 Jahre, 47% Frauen, 6 Jahre Beobachtung, 1 Gruppe ohne Intervention gegen 1 Gruppe mit nur Diät Diät: 25-30 kcal/kg Kg, 20-30% Fett , 55-65% Kohlenhydrate, 10-15% Eiweiß Entw. manifester Diabetes; 65,9% NNH Hazard ratio (95% CI) Gilles et al. 2007 [64] Metaanalyse 21 Studien, davon 17 Studien mit 8084 Patienten mit gestörter Glukosetoleranz. Untersuchung des Effekts von LifestyleInterventionen auf die Entwicklung eines Diabetes mellitus Number need to treat for benefit (95% CI) Lifestyle Intervention vs. Standardberatung 0,51 (0,44-0,75) 6,4 (5,0-8,4) OAD vs. Kontrolle (Placebo) 0,70 (0,62-0,72) 10,8 (8,1-15) Orlistat vs. Kontrolle (Placebo); alle: Diät, Bewegung 0,44 (0,28-0,69) 5,4 (4,1-7,6) Pflanzl. Produkt (Jiangtang bushen) vs. Standard Diabetesberatung 0,32 (0,03-3,07) 4,9 (16,9-24,8) 79 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Studientabellen Sekundärprävention/Risikopatienten ur Sekundärprävention – nach neuer Terminologie: Patienten mit hohem Risiko für kardiovaskulärer Ereignisse - bei Diabetikern liegen nur wenige Studien – meist Subgruppenanalysen – vor. Letztere haben meist eine zu geringe Fallzahl, um statistisch signifikante Ergebnisse auszuweisen (s. 4S, Care, Lipid-Studie). Sie zeigen jedoch einen Trend hinsichtlich der Reduktion kardiovaskulärer Sterblichkeit und Ereignisse, der 2003 Studie/ Jahr Methode durch die Heart Protection Study, die mit fast 6.000 Diabetikern durchgeführt wurde, bestätigt wird. Einen Nutzen der Statinbehandlung scheint auch die aktuelle Collaborative Atorvastatin Diabetes Study (CARDS) zu zeigen, die deshalb vorzeitig abgebrochen wurde. Die Studie ist noch nicht veröffentlicht und kann deshalb hier nicht beurteilt werden. Gesamtmortalität Kontrolle Verum pWert NNT=1/ ARR NNH Sekundärprävention mit Fibraten VA-HIT (1999) [22] Gemfibrozil 2531 KHK-Männer unter 74 J. Dauer 5,1 Jahre HDL-C von 32 auf 34 mg/dl, Cholesterin von 177 auf 170 mg/dl VA-HITSubgruppenanalyse 1999 [131] Männer: 309 Diabetiker Gemfibrozil, 318 Placebo k.A. zum Diabetestyp Beobachtungsdauer Median: 5,1 Jahre Primäre Endpunkte (CHD Tod, nonfatal MI, stroke): 36,5% Primäre Endpunkte (CHD Tod, nonfatal MI, stroke) 28,4% 0,05 13 Koronarereignis: 12,6% 9,4% 0,0003 32 Apoplex: 6,5% 5,0% 66 Revaskul. 10,4% 8,7% 59 Vask. Ereign. 25,1 20,2% 21 Sekundärprävention mit Statinen Heart Protection Study 2003 [76] Simvastatin 5963 Typ 1 und Typ 2 Diabetiker, 40-80 J alt, 70% Männer, 40 mg Simvastatin tägl. vs. Placebo, Dauer 5 Jahre CARE 1996 [133] Pravastatin 4159 KHK-Patienten, 21-75 J. Dauer 5 Jahre LDL-C 139 auf 98 mg/dl Care Subgruppenanalyse [66] 282 Diabetiker mit Pravastatin (40 mg/d) / kombinierter Endpunkt KS + MI + PTCA + CABG: Diabetiker (Pravastatin vs. Placebo): ARR 8,1% 304 Diab. mit Placebo 21-75 Jahre, Männer/Frauen: 4:1 Nichtdiabetiker (Pravastatin/Placebo): ARR. 5,1% Beobachtungsdauer Median 5 Jahre LIPID (1998) [157] Pravastatin 9014 KHK-Patienten Placebo vs. Pravastatin 31-75 J., 83 % Männer Beobachtungsdauer: Mittel 6,1 Jahre Diabetiker 782 Diabetiker (Placebo vs. Pravastatin 31-75 Jahre, Beobachtungsdauer: Mittel: 6,1 Jahre <0,001 <0,05 CHD Tod: 23% CHD-Tod:19% n.s. CHD-Tod: 17,5% CHD-Tod: 11,4% 0,242 12 19 4-S (1994) [139] 4444 KHK-Patienten, 35-70 Jahre, Simvastatin Dauer: 5,4 Jahre LDL-C 188 auf 122 mg/dl 4 S-Subruppenanalyse [124] 104 Diabetiker mit Simvastatin( 20-40 mg tägl.) / 97 Placebo; 35-70 Jahre Männer/Frauen: 3,6:1 Beobachtungszeit: Median: 5,3 Jahre 17 80 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Statistik Übersicht über Risikomaße und statistische Kenngrößen Beispiel aus der HOPEStudie (modifiziert nach Lehmacher [101]) Inzidenz Patienten mit ACE-Hemmer Placebo kombinierter Endpunkt Herzinfarkt, Insult, kardiovaskulärer Tod ja nein a = 651 b = 3994 c = 826 d = 3826 Summe a + b = 4645 c + d = 4652 Inzidenz (= Risiko = Neuerkrankungsrate) der Exponierten: IE = a/a+b = 651/4645 = 0,14 (14,0 %) Inzidenz (Neuerkrankungsrate) der Nichtexponierten: INE = c/c+d = 826/4652 = 0,178 (17,8 %) Absolute Risikoreduktion (ARR) Die Absolute Risikoreduktion errechnet sich aus der Differenz zwischen den Inzidenzen in der Placebo-und Verumgruppe (bzw. der beiden Studienarme) und zeigt, welcher Anteil der Behandelten von der Intervention profitiert. ARR = INE-IE = c/(c+d)-a/(a+b) = 17,8 %-14 % = 3,8 % Punkte Relatives Risiko (RR) Das Relative Risiko setzt die Inzidenzen der Verum- und Placebogruppe in Beziehung und zeigt, zu welchem Prozentsatz das in der Placebogruppe aufgetretene Ereignis in der Verumgruppe auftritt. Ein RR < 1 bedeutet, dass die Patienten von der Intervention profitieren, in der Verumgruppe sind in diesem Fall nur 78% der Ereignisse der Placebogruppe aufgetreten. RR = IE /INE = 14 %/17,8 % = 0,78 Relative Risikoreduktion (RRR) Die Relative Risikoreduktion drückt die Verbesserung in Prozent aus. Sie wird berechnet als Anteil der absoluten Risikoreduktion am Risiko der Kontrollen, das als 100% gesetzt wird. RRR = INE-IE /INE = ARR/INE = 17,8 %-14 %/17,8 % = 0,22 Number needed to treat (NNT) Die Number needed to treat errechnet sich aus dem Kehrwert der absoluten Risikoreduktion und zeigt die Anzahl der Patienten, die behandelt werden müssen, um ein Ereignis zu verhindern. NNTBeobachtungsdauer in Jahren = 1/ARR = 1/0,038 = 26 Number needed to harm (NNH) Die Number needed to harm kann aus den Risikoraten für unerwünschte Ereignisse berechnet werden. Hieraus lässt sich, vergleichbar der NNT, darstellen, bei wie vielen behandelten Personen mit einem unerwünschten Ereignis zu rechnen ist. Die ARR ist die Differenz der UAW-Risikoraten der beiden Behandlungsarme. NNHBeobachtungsdauer in Jahren = 1/ARR 95 %Konfidenzintervall Das 95%-Konfidenzintervall überdeckt mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% den wahren Wert und lässt Rückschlüsse auf die Signifikanz zu. Im Beispiel würden 22% der erkrankten Kontrollen von der Behandlung profitieren, 78% nicht = therapieresistent. 81 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Anhang: Statistik Übersicht über Risikomaße und statistische Kenngrößen (Fortsetzung) Das relative Risiko und die relative Risikoreduktion sagen nichts über das Ausgangsrisiko und geben keinen Anhaltspunkt, ob eine Maßnahme klinisch relevant ist. Um die Bedeutung einer Intervention richtig einschätzen zu können, muss man das Ausgangsrisiko bzw. die absolute Risikoreduktion kennen. Wie das folgenden Beispiel zeigt, kann eine relative Risikoreduktion von 25 % bedeuten, dass zur Verhinderung eines Ereignisses je nach der Risikorate der Kontrollgruppe einmal 20 und einmal 2000 Personen behandelt werden müssen. Veränderung wichtiger Messgrößen in Abhängigkeit vom Ausgangsrisiko Risikorate der Risikorate der Relatives Relative Risiko- Absolute Kontrollgruppe InterventionsRisiko reduktion Risikogruppe reduktion INE IE RR RRR ARR = IE / INE = (INE - IE) / INE = INE - IE 0,2 oder 20% 0,15 oder 15% 0,75 0,25 0,05 oder 5%-Punkte 0,02 oder 2% 0,015 oder 1,5% 0,75 0,25 0,005 oder 0,5%-Punkte 0,002 oder 0,2% 0,0015 oder 0,75 0,25 0,0005 oder 0,15% 0,05%-Punkte Quelle: modifiziert nach Kunz [99] Number needed to treat NNT = 1/ARR 20 200 2000 82 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Evidenzkategorien Evidenzstärke der Studien Stufen der Empfehlung Die Entscheidungen über die Inhalte und Empfehlungen der hier vorliegenden Leitlinien basieren auf den Konsensentscheidungen der »Leitliniengruppe Hessen – Hausärztliche Pharmakotherapie«. Jede Leitlinie enthält für ihre Aussagen und Empfehlungen Evidenzkategorien nach den Stufen A, B und C, die auf folgende Weise ermittelt wurden: In einem ersten Schritt erfolgte ein Vergleich mit Aussagen evidenzbasierter Leitlinien. Deren Evidenzkategorien wurden für gleichlautende Empfehlungen in der vorliegenden hausärztlichen Leitlinie übernommen. In einem zweiten Schritt wurden für Aussagen, die nicht auf diese Weise mit Evidenzkategorien zu versehen waren, durch die Leitlinienautoren eigene Literaturbewertungen vor- genommen und die Studien sowie die darauf basierenden Empfehlungen entsprechenden Evidenzkategorien (s. u.) zugeordnet. Empfehlungen mit der Kategorie C beruhen auf Expertenerfahrung; zu diesen Aussagen liegen gegenwärtig keine gut belegten Studien vor. In den vorliegenden Leitlinien werden die verwendeten Stufen in geschweiften Klammern – z. B. {A} – zitiert. Das nachstehende Stufenschema (Evidenztypen und die Nachdrücklichkeit der Empfehlungen) basiert auf dem Schema der US Agency for Health Care Policy and Research (AHCPR, US Department of Health and Human Service, 1993 [169]) und wurde der Leitlinie des Scottish Intercollegiate Guideline Network entnommen. Einteilung der Evidenzstärke (level of evidence, Übersetzung in Anlehnung an ÄZQ [120]) Grad und Evidenztyp Ia Evidenz aufgrund von Metaanalysen randomisierter kontrollierter Studien Ib Evidenz aufgrund von mindestens einer randomisierten kontrollierten Studie IIa Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten, kontrollierten Studie ohne Randomisierung IIb Evidenz aufgrund einer gut angelegten, quasi experimentellen Studie III Evidenz aufgrund einer gut angelegten nicht-experimentellen deskriptiven Studie (z. B. Vergleichsstudien, Korrelationsstudien und Fall-Kontroll-Studien) IV Evidenz aufgrund von Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen, Konsensuskonferenzen und / oder klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten Stufen der Empfehlung A Beruhend auf den Graden Ia und Ib des Evidenztyps, d. h. die Empfehlung stützt sich auf Veröffentlichungen guter Qualität, die mindestens eine randomisierte kontrollierte Studie enthalten. B Beruhend auf den Graden IIa, IIb und III des Evidenztyps; d. h. die Empfehlung stützt sich auf gut angelegte, nicht randomisierte, klinische Studien. C Beruhend auf Evidenzgrad IV, d. h. die Empfehlung leitet sich ab aus Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen, Konsensuskonferenzen und / oder klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten. Die Stufe C weist auf das Fehlen direkt anwendbarer klinischer Studien guter Qualität hin. 83 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Informationen zur Leitliniengruppe Hessen Warum hausärztliche Leitlinien? Arzneimittelauswahl in den hausärztlichen Leitlinien Warum hausärztliche Leitlinien? Es gibt zwar gegenwärtig bereits eine Vielzahl an Leitlinien, dennoch fehlt es an Handlungsempfehlungen, die sich auf häufige und typische Behandlungsanlässe beim Hausarzt beziehen. Aus diesem Grund wurde 1998 aus dem Kreis der Moderatoren der seit 1993 regelmäßig durchgeführten Pharmakotherapiezirkel in der KV Hessen die »Leitliniengruppe Hessen – Hausärztliche Pharmakotherapie« in Zusammenarbeit mit PD Dr. Liselotte von Ferber (ehemalige Leiterin der Forschungsgruppe Primärmedizinische Versorgung, Köln) gegründet. Die Leitliniengruppe setzte sich zum Ziel, praxisgerechte, auf die Belange der hausärztlichen Versorgung zugeschnittene therapeutische Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Der Hausarzt versorgt insbesondere chronisch kranke, ältere und multimorbide Patienten. Hierauf müssen die Leitlinien Bezug nehmen. Sucht man Studien, die die Therapieempfehlungen begründen, fällt auf, dass diese Patienten im Allgemeinen in klinischen Studien nicht eingeschlossen sind (häufig maximal 1 Begleitkrankheit). Das bedeutet, dass die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf den typischen, multimorbiden Hausarztpatienten stets besonders zu prüfen ist [82]. Dabei ist außerdem zu berücksichtigen, dass die üblicherweise bestehende Multimedikation zu schwer abschätzbaren Interaktionen und Complianceproblemen führen kann. Der Hausarzt ist deshalb gefordert, eine Auswahl von Medikamenten zu treffen. Arzneimittelauswahl in den hausärztlichen Leitlinien Die Leitliniengruppe Hessen will den Hausarzt bei der Medikamentenauswahl unterstützen und hat sich deshalb bei der Aufzählung von Wirkstoffen in der Regel auf diejenigen beschränkt, die ihres Erachtens Wirkstoffe der ersten Wahl darstellen: Für das Arzneimittel liegt eine positive NutzenRisiko-Bewertung vor, das Arzneimittel ist gut dokumentiert oder es besteht in der Leitliniengruppe ein Konsens über langjährige gute Erfahrungen in der hausärztlichen Praxis. Selbstverständlich ist bei Vorliegen von Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten auf andere nicht explizit in den Leitlinien genannte Wirkstoffe im Indikationsgebiet zurückzugreifen. Diese Abwägungen schließen auch die Empfehlung ein, dass bei Einleiten einer Therapie ein gesicherter therapeutischer Nutzen mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer verhältnismäßig großen Anzahl der zu behandelnden Patienten erreicht werden sollte. Die Anzahl der Patienten, die in Behandlung genommen werden muss, um bei einem Patienten einen Behandlungserfolg zu erzielen, sollte stets mitbedacht werden (NNT: number needed to treat). Weiter muss der Hausarzt den möglichen Schaden des Arzneimittels abwägen, d. h. er muss die Relation zur NNH (number needed to harm) prüfen. In einigen Leitlinien sind die Endpunkte der wichtigsten Studien mit Angaben der Risiken und der NNT im Anhang dargestellt. 84 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Informationen zur Leitliniengruppe Hessen Anforderungen an hausärztliche Betreuung Implementation und Evaluation Besondere Anforderungen an die hausärztliche Betreuung Der Hausarzt ist der Ansprechpartner für den chronisch Kranken. Er hat im Unterschied zum Klinikarzt zusätzlich noch andere Aspekte in der Therapie zu berücksichtigen, wie z. B. die Überwachung des Therapieerfolges anhand von klinischen Messgrößen, altersbedingte Besonderheiten in der Therapie, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen, die Compliance und die Lebensqualität des Patienten sowie dessen Einbindung in die Therapieentscheidungen (shared decision making). Nicht zuletzt muss er auf die Wirtschaftlichkeit der Therapie achten. Zu den hausärztlichen Besonderheiten zählen auch die nichtmedikamentösen Verfahren, die in den hausärztlichen Leitlinien einen hohen Stellenwert haben und für die ebenfalls, soweit verfügbar, Studien und Evidenzstärken angegeben werden. Die Beschränkung auf ausgewählte Wirkstoffe steht im Einklang mit Strategien zur Qualitätssicherung ärztlicher Verordnungsweise wie sie beispielsweise auch durch die WHO [45] oder auch im Rahmen von qualitätsgestützten Fortbildungsmaßnahmen und Qualitätssicherungsprogrammen in anderen Ländern gefordert und umgesetzt werden. Implementation und Evaluation der Leitlinie Die von der Leitliniengruppe erarbeiteten Leitlinien werden zunächst mit den Moderatoren der Pharmakotherapiezirkel diskutiert und ggf. überarbeitet. Die Implementation der Leitlinien erfolgt über die Zirkelarbeit. Jeder Teilnehmer erhält nicht nur eine Fassung der Leitlinie, sondern auch Materialien (sog. Manuale) zum Thema der Zirkelsitzung mit einer Einführung in das zu besprechende Krankheitsbild und seine Therapie. Die Unterlagen enthalten außerdem, beruhend auf den Verordnungen und Diagnosen aus den Praxen der Teilnehmer, eine Verordnungsanalyse, aus der mit Hilfe zentraler Indikatoren der Stand der Umsetzung der Leitlinienempfehlungen, die sich auf die Pharmakotherapie beziehen, deutlich wird. Nach Abschluss der Zirkelarbeit erfolgt die Evaluation, d. h. die Verordnungsdaten vor und nach der Zirkelarbeit werden in Bezug auf die Indikatoren zur Qualität und Wirtschaftlichkeit der Therapie vergleichend dargestellt und in einer eigenen Sitzung in den Pharmakotherapiezirkeln diskutiert. Um Hinweise zur Beurteilung der Relevanz und zur Akzeptanz der Leitlinienempfehlungen zu erhalten, erfolgt durch die PMV forschungsgruppe in jeder Zirkelsitzung eine kurze Befragung zu den Leitlinien. Die Ergebnisse werden sowohl den Zirkelteilnehmern als auch der Leitliniengruppe vorgestellt. 85 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008 Internetadressen und Disclaimer Evidenzbasierte Patienteninformationen Disclaimer Evidenzbasierte Patienteninformationen http://www.gesundheitsinformation.de http://www.patienten-information.de http://www.akdae.de/45/index.html http://www.patientenleitlinien.de/ http://www.paritaet.org/hochdruckliga http://www.herzstiftung.de Rechtliche Hinweise zur Nutzung der Leitlinien – Haftungsausschluss Adressat der hausärztlichen Leitlinien sind Ärzte. Anfragen von Patienten können nicht beantwortet werden. Die Therapiehinweise stellen keine Empfehlung zur Selbstbehandlung für Patienten dar. Die Leitlinien wurden von Ärzten, den Mitgliedern der »Leitliniengruppe Hessen – Hausärztliche Pharmakotherapie« mit großer Sorgfalt und unter Heranziehung aktueller Literatur erarbeitet. Dennoch kann für die Richtigkeit und Vollständigkeit keine Haftung übernommen werden. Dosierungsangaben wurden auf der Grundlage aktueller pharmakologischer Literatur und nach Herstellerangaben erstellt. Dennoch gilt auch hier die Eigenverantwortlichkeit; maßgeblich sind die Hinweise in den Packungsbeilagen und Fachinformationen. Die Hinweise auf Interaktionen und Nebenwirkungen stellen immer eine Auswahl dar. Die Leitlinie, den zugehörigen Leitlinienreport und den allgemeinen Leitlinienreport finden Sie im Internet unter www.pmvforschungsgruppe.de > publikationen > leitlinien oder auf den Seiten des ÄZQ: Leitlinie: www.leitlinien.de/leitlinienanbieter/ deutsch/pdf/hessendiabetes Leitlinienreport: www.leitlinien.de/leitlinienanbieter/ deutsch/pdf/hessendiabetesreport Allgemeiner Leitlinienreport: www.leitlinien.de/leitlinienanbieter/ deutsch/pdf/hessenleitlinienreport 86 Hausärztliche Leitlinie »Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« Version 3.09 I 15. April 2008