Experience Nr. 45 März 2009 © by ERNI Consulting AG Experience ERNI Erfahrungsberichte rund um Management-, Prozess- und Technologiethemen Industrialisierung der Versicherungen Effizienzsteigerung durch Industrialisierung der Prozesse. Migration von Altsystemen Unbekannte Funktionalitäten mittels Reverse Engineering entdecken. Kommunikation Projektoptimierung mittels bewusster Kommunikation. Interface-Entwicklung Stabile Interfaces als Mittel zur Kostenreduktion. ERNI Experience | Editorial Kostendruck als Chance nutzen In guten Zeiten werden Massnahmen zur Reduktion von Kosten nur selten eingeleitet. Falls doch, werden sie meist nicht mit letzter Konsequenz umgesetzt. Doch Konsequenz und Druck braucht es, damit die Massnahmen wirklich markante und dauerhafte Einsparungen Titelseite: Dirk Seeburger Business Area Manager in der Firma ERNI Consulting AG. Die Schwerpunkte seiner Beratertätigkeit liegen in den Bereichen Testmanagement und Requirements Engineering. bewirken. Zurzeit dürfte jedem Mitarbeitenden klar sein, dass nur schlanke, den äusseren Einflüssen angepasste Organisationen eine Zukunft haben. Deswegen ist der Zeitpunkt günstig, Unternehmen in Sachen Kosten fit zu trimmen und diejenigen Massnahmen zu realisieren, die einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil sichern. In diesem ERNI Experience erfahren Sie, wie Versicherungen durch Industrialisierung ihre Impressum Herausgeber ERNI Consulting AG Zürich · Baar · Bern ERNI (Deutschland) GmbH, München ERNI (Slovakia) s.r.o., Bratislava Redaktion Maria Holla ERNI (Slovakia) s.r.o. Tel. +421 2 3255 37 37 E-Mail [email protected] Internet www.erni.ch /experience Editorial Dirk Seeburger Kosten reduzieren und gleichzeitig die Qualität steigern oder auch wie Sie in Ihrem Unternehmen zu einer effizienten Kommunikation ohne lästige Mailflut finden. Unsere Autoren zeigen zudem auf, wie man ältere Applikationen effizient migriert und wie sich in neuen Anwendungen Interfaces kostenbewusst gestalten lassen. Allen vier Artikeln ist gemein, dass sie bewährte Erfahrungen aus realisierten Projekten beschreiben und handfeste Tipps zur Umsetzung geben. Diese betreffen sowohl das Vorgehen als auch die notwendigen Kompetenzen des Teams. Kostensparen ist für die meisten Organisationen zur Selbstverständlichkeit geworden. Einen einheitlichen, optimalen Weg dorthin gibt es aber nicht. Profitieren Sie von den Erfahrungen anderer und setzen Sie diese Industrialisierung der Versicherungen Ruth Happersberger Erkenntnisse in Ihren Massnahmen um. Migration von Altsystemen Christian Kaiser Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und freue mich auf Ihr Feedback. Kommunikation Heinrich Rüegg Interface-Entwicklung J. Christophe Duméril Lektorat Stefan Kyora, Mediacontact GmbH, Luzern Ruedi Häuptli, Sprachagentur Bahia, Salvador BR Konzept/Layout Reto Winkelmann Produktion von Ah Druck AG, Sarnen Auflage 10 000 Exemplare Erscheint quartalsweise Copyright © 2009 by ERNI Consulting AG Alle Rechte vorbehalten. Herzlich Dirk Seeburger Inhalt | ERNI Experience Inhalt Industrialisierung der Versicherungen Industrialisierung der Versicherungswirtschaft – eine Massnahme zur Kostensenkung und Gewinnsteigerung 4 Nachhaltige Wettbewerbsvorteile durch massgeschneiderte Verbesserungen. Der Versicherungsmarkt befindet sich in einem unabdingbaren Wandel. Wer sich zu den zukünftigen Gewinnern dieser Veränderung zählen möchte, muss rechtzeitig reagieren und sich den Anforderungen des Marktes stellen. Es gilt, Kostenreduktion und Gewinnoptimierung zu erreichen. Ein Mittel dazu heisst Industrialisierung. Migration von Altsystemen Mit Reverse Engineering erfolgreich Legacy-Systeme migrieren 8 Sparpotenzial gezielt und reibungslos realisieren. Alte IT-Systeme verursachen oft hohe Betriebskosten und sind kaum mehr erweiterbar. Die Migration auf neue Lösungen bietet deswegen ein beachtliches Sparpotenzial. Realisieren lässt es sich allerdings nur, wenn die Ablösung der aktuellen Best Practice folgt. Kommunikation Effizient kommunizieren heisst: mündlich kommunizieren 12 Wie sich die E-Mail-Flut eindämmen lässt. Dass E-Mails kostbare Arbeitszeit verschwenden, ist zu einer Binsenweisheit geworden. Dennoch ändert sich am Arbeitsalltag in Projekten wenig. Soll bewusster, effizienter und dementsprechend nicht per Mail, sondern mündlich kommuniziert werden, ist vor allem der Projektleiter gefragt. Interface-Entwicklung Stabile Interfaces als Mittel zur Kostenreduktion 16 Wie Interface-Verantwortliche den Entwicklungsprozess beschleunigen. Durch die Modularisierung von Systemen haben Interfaces enorm an Bedeutung gewonnen. Dementsprechend viel Literatur existiert bereits zu diesem Thema. Nur die Praxis zeigt allerdings, welche Massnahmen bei der Entwicklung der Schnittstellen wirklich zur Kostenreduktion beitragen. Alle Artikel online: www.erni.ch/experience Industrialisierung der Versicherungen | Effizienz durch Industrialisierung der Prozesse Industrialisierung der Versicherungswirtschaft – eine Massnahme zur Kostensenkung und Gewinnsteigerung Nachhaltige Wettbewerbsvorteile durch massgeschneiderte Verbesserungen. Der Versicherungsmarkt befindet sich in einem unabdingbaren Wandel. Wer sich zu den zukünftigen Gewinnern dieser Veränderung zählen möchte, muss rechtzeitig reagieren und sich den Anforderungen des Marktes stellen. Es gilt, Kostenreduktion und Gewinnoptimierung zu erreichen. Ein Mittel dazu heisst Industrialisierung. Ein optimales, für alle Versicherer gültiges Vorgehen gibt es nicht. Bisher hat es sich als praktikabler Ansatz erwiesen, die spezifischen Bedürfnisse und Möglichkeiten der einzelnen Versicherungen zu analysieren und anschliessend Verbesserungs-Benchmarks der Industrie zu Rate zu ziehen. Von Ruth Happersberger Effizienz durch Industrialisierung der Prozesse | Industrialisierung der Versicherungen Die Versicherungswirtschaft befindet sich in einem Veränderungsprozess, dessen Dynamik stetig zunimmt. Da die Wertschöpfungsmöglichkeiten in dieser Branche begrenzt sind, kann kein spezieller Hebeleffekt erzielt werden. Realistisch gesehen gibt es nur zwei Möglichkeiten zur Verbesserung: erstens die Erhöhung der Versicherungsbeiträge, womit man aber schnell an Grenzen stösst, und zweitens die Industrialisierung der Prozesse, was einen Quantensprung ermöglicht (Abbildung günstiger Prozesse mit einer hohen Wertschöpfung). Doch zunächst zum Begriff der Versicherungsindustrie. Hier spricht man von einer Indus- trie, die eigentlich keine ist. Doch sie wird vor sich selbst und auf Dauer nur dann bestehen können, wenn sie sich auf den Weg macht, eine zu werden. Wenn in der Versicherungsbranche von Industrialisie­ rung gesprochen wird, ist im Allgemeinen die Rede von der Übernahme gewisser ­Methoden sowie Standards aus der produzierenden Indus­trie. Hochproduktive Methoden führen dort zu effizienten Kostenstrukturen und optimalen Preis /Leistungs-Verhältnissen. Einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil sowie Wachstumschancen sichern sich diejenigen Versicherer, welche sich bei der Effizienzsteigerung an den Best Practices anderer Branchen mit einer hohen Wettbewerbsintensität orientieren. Meist hat die Versicherungsbranche in der Vergangenheit sowohl zur Gewinnmaximierung als auch zur Kostenminimierung auf traditionelle Konzepte und Effizienzsteigerungsmassnahmen gesetzt. Vor dem Hintergrund der Kom­plexi­ tät anstehender Herausforderungen scheint dies allerdings nicht mehr zu genügen. Vielmehr ist eine konsequente Industrialisierung aller Prozesse entlang der Wertschöpfungskette erforderlich, um die Leistungserbringung maximal zu verbessern. Dies ist ein probater Ansatz, um die Effektivität auch in den Kernprozessen zu steigern und den Aufwand zu senken. Zusammenfassend ist es Ziel der Industrialisierung, ein schlankes, aber gleichzeitig auch wachstumsfähiges Unternehmen zu fördern, welches nicht nur das Thema Kostensenkung im Fokus hat, sondern auch eine Erhöhung sowohl des Qualitätsfaktors als auch der Kundenzufriedenheit anstrebt (siehe Abb. 1). Ausgangspunkt für die Optimierung müssen die Bedürfnisse und Prozesse der eigenen Organisation sein. Die konsequent an der Unternehmensstrategie und den Anforderungen des Marktes ausgerichteten Strukturen und Pro Industrialisierung der Versicherungen | Effizienz durch Industrialisierung der Prozesse Neben der Optimierung der Prozesse kann Industrialisierung auch bedeuten, die Wertschöpfungstiefe zu analysieren und Prozesse gegebenenfalls auszulagern. Treiber der Industrialisierung GESETZ Kosten-, Margen- und Wachstumsdruck Erhöhung der Preissensitivität der Kunden Instrumente der Industrialisierung • Simulation, Process Modelling • Process Automation • Process Performance Management • Process Maturity process Model • etc. • Total Quality Management • Complaint Management • Certification • etc. quality Substitutives Versicherungsangebot MARKT Low-Involvement-Produkt Marktkonzentration durch u.a. Fusionen Restrukturierungen KUNDEN gesetzliche Rahmenbedingungen Abbildung 1: Treiber und Instrumente • In-/Outsourcing • De-/Centralisation • Service Level Management • Supply Chain Management • etc. added value costs • Process Costing • Performance Management • Benchmarking • etc. der Industrialisierung zesse sind Basis des Erfolges. Es geht nicht darum, die produzierende Industrie zu imitieren, sondern einen Weg zu finden, um die Lektionen, die sich in der Auseinandersetzung mit der Industrie lernen lassen, für das eigene Unternehmen kreativ zu übernehmen. Auch wenn die konkreten Verbesserungsmassnahmen für jede Organisation einzigartig sind, gibt es fünf grundlegende Leitlinien der Industrialisierung. Anhand dieser Leitlinien kann die Auswahl von spezifischen Ansatzpunkten für das eigene Unternehmen stattfinden. Die Leitlinien sind: Prozessoptimierung, Standardisierung, Automatisierung, Integration/Harmonisierung und schliesslich Zentralisierung. Eine Standardisierung und Zentralisierung bildet eine essenzielle und erforderliche Grundlage, um dauerhafte Effizienzsteigerungen in den internen Geschäftsabläufen zu erzielen. Dezentrale Prozesse sind mit mehr Aufwand zu harmonisieren als zentral ausgerichtete Prozesse, denn bei jenen lassen sich Economies of Scale und Economies of Scope wesentlich schwieriger realisieren. Industrialisierung bedeutet hier, die Vielzahl von ­Prozessvarianten in beispielsweise verschiedenen Niederlassungen oder Organisationseinheiten zu reduzieren. Konkret sind von Versicherungen bereits eine Vielzahl von Projekten im Rahmen ihrer Industrialisierungsstrategie umgesetzt worden. Im Mittelpunkt steht dabei meist die Standardisierung der Abläufe in den Kernbereichen Betrieb, Schaden und Leistung. Bereits realisiert sind zum Beispiel auch konzern- und unternehmensübergreifende Shared Service Centers, in denen die Bündelung von übergreifenden Kompetenzen umgesetzt wird, spartenübergreifende Versicherungsfactorys etwa für das Neukundengeschäft oder auch aktives Schaden-/Leistungsmanagement. Um dem Fokus der Industrialisierung gerecht zu werden, setzen Versicherungen u.a. ebenso auf dynamische Arbeitsmengensteuerung, Medienintegration von Telefonie und Schriftverkehr, automatisierte Datenver- arbeitung, workflowgestützte Schadenbearbeitung oder serviceorientierte Gestal­tung von Systemarchitektu­ren, um nur eine Auswahl zu nennen. Versicherungen, die beispielsweise die Schadenfälle zeitoptimaler als ihre Mitbewerber abwickeln, bieten einen entsprechend besseren Kundenservice an und kommen nicht umhin, Prozesse zu standardisieren und zu automatisieren. Das Ergebnis sind hier ein höheres Serviceniveau und niedrigere Kosten. Der Weg zur optimalen Kundenbetreuung führt demnach über die Industrialisierung. Beispiel 1 Effizienzsteigerung und gleichzeitige Sicherung des Qualitätslevels Eine marktführende Versicherung mit mehreren Standorten und ebenso vielen standort­ abhängigen Prozessvarianten setzte sich zum Ziel, Effizienzund Effektivitätspotenziale zu generieren, die Prozesskosten zu senken und gleichzeitig die Servicequalität zu erhöhen. Dabei sollten zeitnahe Quick Wins realisiert werden. Zunächst definierte die Versicherung – in Anlehnung an die Unternehmensstrategie – die Organisationsbereiche und deren Prozesse, die optimiert und harmonisiert werden sollten. Dies war die grundlegende Voraussetzung, um das Vorgehen und die Arbeitsschritte, sprich Prozesse, zu standardisieren. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Die Wiederholungsraten der jeweiligen Prozesse und ihrer Teilprozesse konnten in um ein Vielfaches kürzerer Zeit gesteigert werden. Die Prozesse wurden hinsichtlich Qualität und Kosten optimiert. Industrialisierung bedeutet in ­diesem Fall konkret, dass eine Prozessstandardisierung zu ­einer Reduktion von Kosten und Fehlern und zu einer Steigerung an Durchlauf und Qualität führen kann. Neben der Optimierung der Prozesse kann Industrialisierung auch bedeuten, die Wertschöpfungstiefe zu analysieren und Prozesse gegebenenfalls auszulagern. Zwangsläufig ist diese Konsequenz allerdings nicht. Gerade die Industrialisierung der Kernbe- Effizienz durch Industrialisierung der Prozesse | Industrialisierung der Versicherungen Das Thema der Industrialisierung wird in Anlehnung an das klassische Prozessmanagement angegangen. Diese traditionelle Vorgehensweise des Prozessmanagements bietet eine optimale und bereits bewährte Vorgehensweise an, welche sich in den folgenden vier Schritten widerspiegelt: 1 Analyse der Unternehmensbereiche und -prozesse: Definition von möglichen Handlungsfeldern, Eruierung von Optimierungspotenzial 2 Prozesskostenrechnung: transparente Aufführung der Vollkosten und Ergebnisbeiträge mittels kostenstellenübergreifendem Einbezug von u.a. Prozessen, Produkten, Personal, Kunden 3 Aufbau eines Process Performance Management: Analyse der Geschäftsprozesse 4 Definition prozessgestützter Optimierungsmassnahmen: nachhaltige Sicherung des Unternehmenserfolges. reiche schafft einen Kostenvorsprung, der es erlaubt, die Vor- und Nachteile der Option Outsourcing zu evaluieren, ohne zu überhasteten Massnahmen gezwungen zu sein. Fällt schliesslich doch die Entscheidung zugunsten des Outsourcings, ist man durch die industrialisierten Prozesse optimal vorbereitet. Beispiel 2 Einführung einer elektronischen Kundenakte Auch in diesem Fall wurden als erster Schritt in Richtung Industrialisierung die Definition der relevanten Prozesse und die anschliessende Standardisierung und Automatisierung angesehen. Konkret wurde eine Struktur der elektronischen Kundenakte definiert, die es erlaubt, möglichst viele Daten und Informationen der Kundenbetreuungsund -abwicklungsprozesse in die Kundenakte einfliessen zu lassen. Dank der Struktur können nun alle vertrags- und abrechnungsrelevanten Daten und Vorgänge elektronisch erfasst werden. Ergebnis der Einführung der elektronischen Kundenakte waren eine Laufzeitverkürzung und ein geringerer operativer Aufwand für z.B. die Neukalkulationen, die Kundenbetreuung etc., was zu stetigen und steigenden Unternehmensergebnissen führte. Die Mitarbeitenden benötig­ ten beispielsweise weniger Zeit für die administrativen, service- und kundenbetreuungsrelevanten Tätigkeiten. Die dadurch entstandenen Zeitressourcen konnten zum Aufbau anderer kundenfokussieter Organisationseinheiten genutzt werden. Zusätzlich liessen sich CrossSelling-Potenziale um einen zweistelligen Prozentsatz erhöhen. Mittlerweile entnehmen die Mitarbeitenden der elektronischen Kundenakte nicht nur Kundendaten, sondern auch persönliche Kundeninformationen. Wenn beispielsweise ein Kunde nur eine Grundversicherung bezieht, aber regelmässig vom Zahnarzt verschriebene Medikamente zur Abrechnung einreicht, also relativ häufig den Zahnarzt konsultiert, können ihm nun die Mitarbeitenden zusätzlich eine Zahnzusatz- versicherung anbieten. Beim persönlichen Kundenkontakt können somit die Mitarbeitenden dem Kunden weitere Versicherungsprodukte anbieten – eventuell sogar schon für den Kunden massgeschneidert und personalisiert. Es kann eine vielversprechende persönliche Ansprache des Kunden mit Hilfe der elektronischen Kundenakte stattfinden. Da alle Mitarbeitenden immer auf dieselben Informationen zugreifen, ist zudem ein einheitliches Bild gegenüber dem Kunden gegeben. Die höhere Transparenz und die Automatisierung ermöglichen zudem regionenübergreifend erfolgreichere Märkte, eine Reduzierung der Fehlerquote, eine Erhöhung der Servicequalität und letztendlich eine gewinnentscheidende Erhöhung der Kundenzufriedenheit. Die Versicherungswirtschaft befindet sich in einem grundlegenden Wandel, der die einzelnen Unternehmen tiefgreifend verändern wird. Dennoch ist es für die Versicherungen nicht notwendig, ganz neue Wege zu gehen, also das Rad neu zu erfinden. Andere wettbewerbsintensive und kunden­ fokussierte Branchen haben bereits gezeigt, wie man durch Industrialisierung nachhaltig Kosten sparen und gleichzeitig die Qualität verbessern kann. Um diese Erfahrungen für die Versicherungsbranche zu adaptieren, benötigt es zur Umsetzung vor allem ein Team, welches die Rezepte aus der Industrie auf die besonderen Bedürfnisse eines Versicherungsunternehmens übertragen kann. Versicherer, die heute bereit sind, einen Blick in die Industrie zu wagen und von den dortigen Erfahrungen zu lernen, werden den Anforderungen der Versicherungsbranche von morgen gewachsen sein. Artikel online: www.erni.ch/experience Ruth Happersberger Kontakt: [email protected] Senior Management Consultant in der Firma ERNI Consulting AG. Die Schwerpunkte ihrer Beratertätigkeit liegen in den Bereichen BusinessProcess-Optimierung und Management Consulting. Migration von Altsystemen | Reverse Engineering Mit Reverse Engineering erfolgreich Legacy-Systeme migrieren Sparpotenzial gezielt und reibungslos realisieren. Alte IT-Systeme verursachen oft hohe Betriebskosten und sind kaum mehr erweiterbar. Die Migration auf neue Lösungen bietet deswegen ein beachtliches Sparpotenzial. Realisieren lässt es sich allerdings nur, wenn die Ablösung der aktuellen Best Practice folgt. Von Bedeutung ist insbesondere die vollständige Erfassung der Funktionalitäten und Businessregeln des alten Systems. Von Christian Kaiser Die IT-Landschaften grösserer Unternehmen sind nach wie vor heterogen. Neben neuen Systemen finden sich Lösungen, die zum Teil schon seit Jahrzehnten problemlos laufen. Doch langsam stossen die Eigenentwicklungen aus den achtziger Jahren leistungsmässig, funktional oder bei der Hardware an Grenzen und können kaum noch gewartet oder gar erweitert werden. Ihre Ablösung rückt damit immer näher. Begünstigt wird dieser Schritt, wenn durch den Ersatz einer einzelnen Applikation noch andere Komponenten (z.B. Server oder Datenbanksysteme) abgeschaltet werden können: In diesem Fall ist ein reales Sparpotenzial vorhanden. Damit eine System-Migration effizient und erfolgreich abläuft, ist es vorab wichtig, sich ein Bild über den Umfang zu machen. Erfahrene IT-Mitarbeitende wissen, dass der Aufwand meist deutlich grösser ist als zunächst vermutet. Die folgenden Betrachtungen beleuchten die drei wichtigsten Einflussfaktoren. Reverse Engineering der bestehenden Funktionalität In der Regel soll ein neues System die bestehende Funktionalität und Businesslogik übernehmen. Dafür ist es häufig notwendig, die entsprechenden Business Rules mittels Reverse Engineering wieder explizit zu machen. Denn oft sind Knowhow und Dokumentationen der Legacy-Systeme verloren gegangen und das System selbst (GUIs, Code) noch die einzige Instanz, welche die bestehenden Regeln genau «kennt». Reverse Engineering bei einem System, das seit Jahren problemlos läuft, scheint auf den ersten Blick unverhältnismässig aufwändig. Doch es hat sich als erfolgsentscheidend herausgestellt. Bei Migrationsprojekten, die darauf verzichten, stellt sich häufig bei den letzten Tests heraus, dass im neuen System die bisherige Funktionalität nur ungenügend umgesetzt wurde. Beispiel 1 Reverse Engineering Ein grosses Dienstleistungsun­ ternehmen betreibt in seiner heterogenen IT-Landschaft eine Back-Office-Lösung, welche Reverse Engineering | Migration von Altsystemen Damit eine System-Migration effizient und erfolgreich abläuft, ist es vorab wichtig, sich ein Bild über den Umfang zu machen. Erfahrene IT-Mitarbeitende wissen, dass der Aufwand meist deutlich grösser ist als zunächst vermutet. Migration von Altsystemen | Reverse Engineering Migrationen laufen nur dann effizient ab, wenn sie gut geplant und mit der notwendigen Aufmerksamkeit durchgeführt werden. Eine genaue Kenntnis der abzulösenden Software ist dabei unumgänglich. Code Analyse Tool Cross Reference Neue Anforderungen Technische Findings Code Requirements Engineer Reverse Engineering UMLModell TPL Abbildung 1: Testresultat BRU Tester Planung Reverse und Requirements Engi- Requirements Engineering Analyse Validierte BRU Konsolidierte RequirementsDokumente BPL Test Validierung BRU= Business Rules TPL = Teilprojektleiter BPL = Business-Projektleiter/Auftraggeber neering Prozess bei Migrationen von aussen kommende Daten verarbeitet und die Ergebnisse dann an die internen Kunden im Unternehmen weiterleitet. Das System lief seit Jahren reibungslos. Für die Migration wurde es mittels Reverse Engineering analysiert. Die bestehende Zugriffslogik in Bezug auf die von aussen angelieferten Daten wurde schliesslich mit rund 80 Business Rules beschrieben. Zudem wurden zwei bestehende Schnittstellen zu Um­systemen gefunden, die nicht mehr bekannt waren. Das Reverse Engineering dauerte rund drei Personenmonate. Neue Anforderungen Natürlich erschöpft sich eine neue Applikation nicht darin, die Anforderungen des abzulösenden Systems abzubilden, 10 über eine Transitionsphase mit Parallelbetrieb oder über eine zeitlich gestaffelte Ablösung stattfindet, dieser Vorgang will auf jeden Fall gut geplant sein. Bei stark vernetzten Systemen gilt es verschiedenste Umsysteme (sowie deren Lifecycle-Planung) mit einzubeziehen. Es müssen Interfaces ausgewechselt und Daten migriert werden. Die ganze Migration soll vorgängig testbar sein, und vielleicht wird sogar ein Notfallszenario für ein Rollback benötigt. Alle diese Aufgaben stellen zusätzliche Anforderungen an das Migrationsteam, aber unter Umständen auch ans neue System: In vielen Fällen braucht es speziell entwickelte Die eigentliche Migration Egal ob das Auswechseln der Software, die zwar nur tempoSysteme mittels «Big Bang», rär für die Migration benötigt vielmehr werden kleinere oder grössere Erweiterungen vorgenommen. Während auf dieser neu zu erstellenden Funktionalität naturgemäss der stärkste Fokus liegt, erhöht sie zusätzlich den Migrationsaufwand. Die soeben wiedergewonnenen Anforderungen für die bestehende Funktionalität werden für das neue System verändert, so dass die beiden Systeme sich in einzelnen Punkten (gewollt) anders verhalten. Dies erhöht den Aufwand für vergleichende Systemtests (siehe Abb. 1 und Checkliste für Reverse & Requirements Engineering bei Migrationen). Reverse Engineering | Migration von Altsystemen Ausgaben für Dokumentation und Wartung sind gute Investitionen, um das grosse Sparpotenzial, das im IT-Betrieb steckt, dauerhaft zu erschliessen. wird, aber dennoch gut spezi- digen Aufmerksamkeit durchfiziert, realisiert und getestet geführt werden. Eine genaue Kenntnis der abzulösenden werden muss. Software ist dabei unumgänglich. Die Realisierung lässt sich Beispiel 2 damit wesentlich reibungsloser Transitionsphase Die Migration eines sicher- und effizienter gestalten. Gut heitskritischen Informations- dokumentierte und gewartesystems inklusive der in Echt- te Anwendungen lassen sich zeit anfallenden Daten muss viel einfacher und damit auch bei laufendem Betrieb durch- günstiger migrieren. Ausgageführt werden. Deshalb ist der ben für Dokumentation und vorgängige Testaufwand im- Wartung sind deswegen gute mens. Aus Sicherheitsgründen Investitionen, um das grosse wird zudem vorgesehen, im Sparpotenzial, das im IT-BeNotfall nochmals auf das bis- trieb steckt, dauerhaft zu erherige System zurückschalten schliessen. zu können. Deshalb wird das alte System nach der Umschal- Artikel online: tung noch während mehreren www.erni.ch/experience Wochen weiterbetrieben. Dazu wird es von der Umwelt abgeschottet, indem sämtliche Interfaces durch neu entwickelte Stubs ersetzt werden, die mit Daten aus dem neuen System eine «künstliche Umwelt» für das alte System nachbilden. Christian Kaiser Die Planungs- und Testphase Kontakt: [email protected] der Migration benötigt rund Business Unit Leader in der Firma neun Personenmonate. ERNI Consulting AG. Checkliste für Reverse & Requirements Engineering bei Migrationen 1 Das bestehende System (bzw. der zu übernehmende Teil) wird top-down analysiert. Erkenntnisse werden in Modellen aufgezeichnet, etwa in UML-Aktivitätsdiagrammen. Diese Modelle schaffen für alle involvierten Personen eine gemeinsame Systemsicht und bilden die Ausgangslage für die weiteren Schritte. 2 Mit Hilfe der Modelle lässt sich planen und priorisieren, wo, in welcher Reihenfolge und bis in welche Tiefe Detailanalysen folgen sollen. 3 Aus den Modellen werden die einzelnen Business Rules extrahiert. Diese werden als Requirements formuliert und so explizit gemacht. Idealerweise werden diese Anforderungen nicht in technischer Sprache, sondern in Fachsprache erfasst. Technische Findings aus den Modellen werden an den Architekten weitergeleitet. 4 Um die gefundenen Regeln zu validieren, werden entsprechende Testfälle erstellt und ausgeführt. 5 Die validierten Regeln werden mit zusätzlichen Anforderungen für die neue Lösung zusammengeführt und neu strukturiert. 6 Die konsolidierten Requirements werden dem Auftraggeber zur Prüfung vorgelegt und freigegeben bzw. angepasst. 7 Schliesslich sollen auch Anforderungen für die eigentliche Migrationsphase erarbeitet werden. In diesen kann etwa festgelegt werden, welche Eigenschaften die neue Lösung erfüllen muss, bevor sie live geht, oder wie und mit welchen Hilfsmitteln die alte Applikation noch temporär weiterbetrieben werden soll. Die einzelnen Schritte lassen sich iterativ für jeweils einen Teil der analysierten Software durchführen (siehe Abb. 1). Die Schwerpunkte seiner Berater- Migrationen laufen nur dann tätigkeit liegen in den Bereichen effizient ab, wenn sie gut ge- Requirements Engineering und Testmanagement. plant und mit der notwen- 11 Kommunikation | Projektoptimierung mittels bewusster Kommunikation Effizient kommunizieren heisst: mündlich kommunizieren Wie sich die E-Mail-Flut eindämmen lässt. Dass E-Mails kostbare Arbeitszeit verschwenden, ist zu einer Binsenweisheit geworden. Dennoch ändert sich am Arbeitsalltag in Projekten wenig. Soll bewusster, effizienter und dementsprechend nicht per Mail, sondern mündlich kommuniziert werden, ist vor allem der Projektleiter gefragt. Von Heinrich Rüegg 12 Projektoptimierung mittels bewusster Kommunikation | Kommunikation In regelmässigen Abständen wird das Ende der Geschäftsreise postuliert. An sich ist der Gedanke naheliegend. Kommunikationskanäle gibt es heute schliesslich genug. Trotzdem wird nach wie vor viel gereist. Und vielfach macht dies auch Sinn. Denn keine Kommunikation ist effizienter als das direkte Gespräch. Dabei lassen sich nicht nur Missverständnisse schnell aus dem Weg räumen. Gestik, Mimik und die Modulation der Stimme liefern Informationen über den Gesprächspartner, die es erlauben, das Gespräch zielführend zu gestalten. tauscht werden. Insbesondere lustig oder ironisch gemeinte Nachrichten sorgen häufig für Irritationen, weil der Empfänger nur schwer erkennen kann, wie sie gemeint sind. Nicht selten ergibt sich daraus eine zeitraubende Diskussion, in die über Kopien per «cc» immer mehr Teilnehmende und teilweise auch unbeteiligte Vorgesetzte aus der Linie involviert werden. Auch in Projekten ist deswegen die effizienteste Form der Kommunikation das direkte Gespräch. Ist es nicht möglich, bleibt als Alternative das Telefongespräch. Auch am Telefon Diese Informationen fehlen, können die Gesprächspartwenn lediglich Mails ausge- ner besser aufeinander reagie- ren und so zielführender diskutieren als per Mail. Elektronische Post ist im Prinzip nur geeignet, um Besprochenes zur Bestätigung schriftlich festzuhalten. regeln für das gesamte Team festzulegen. Neben dem Vorrang des Gesprächs gehört dazu die Aufforderung, bewusst zu kommunizieren und Informationen nur an diejenigen zu senden, für die sie auch wirklich relevant sind. Hinzu kommt die Regel, respektvoll zu kommunizieren, das heisst, sich anderen gegenüber nur so zu äussern, wie man es selbst als Empfänger einer Botschaft auch erleben will. Das gilt natürlich nicht nur für Projekte, sondern auch für den normalen Arbeitsalltag. Die Priorität von Gesprächen im Arbeitsalltag durchzusetzen, ist dennoch nicht einfach. Am Anfang, aber auch während der Durchführung von Projekten, sollte der Projektleiter die Mitarbeitenden immer wieder dazu ermuntern, direkt miteinander zu reden, statt Mails auszutauschen. Zu Beginn hat es sich dabei als hilfreich erwiesen, Im Projektverlauf sollte der beim Kick-off-Meeting ent- Projektleiter bei emotionalen sprechende Kommunikations- Mails von Teammitgliedern 13 Kommunikation | Projektoptimierung mittels bewusster Kommunikation Bewusstes Kommunizieren spart Zeit, Geld und Nerven. Daher sollten Führungskräfte ihre Mitarbeitenden dazu anhalten, komplexe Sachverhalte im direkten Gespräch zu klären und nicht durch den Austausch von E-Mails. Abbildung 1: Kommunikationsprozess Kommunikationsprozess 3 A) Verstand Sachebene 4 1 B) Gefühl Beziehungsebene A) A) Verstand Verstand Sachebene Sachebene 2 5 B) B) Gefühl Gefühl Beziehungsebene Beziehungsebene 3 Beschreibung der Komponenten eines Kommunikationsprozesses: 1 Sender Der Sender setzt den Kommunikationsprozess in Gang. Durch den Kommunikationsprozess soll ein Ziel erreicht werden. Der Sender wählt das Medium (Übertragungsmittel) und «verschlüsselt» seine Nachricht. 2 Empfänger Der Empfänger nimmt die Nachricht entgegen. Die Qualität der ankommenden Information ist, nebst der Genauigkeit der Übertragung (des Senders) und dem Grad der Störungen im Kommunikationskanal, abhängig vom einwandfreien Funktionieren der Wahrnehmungsorgane, von der Aufmerksamkeit des Empfängers und von seiner Entschlüsselungsfähigkeit. 3 Kommunikationskanal Der Kommunikationskanal ist die Verbindung zwischen Sender und Empfänger. Die Übertragungsmittel sind hörbare oder sichtbare Zeichen und Signale, die gesprochene oder geschriebene Sprache, technische Hilfsmittel wie Telefon etc. Im Kanal können Störungen auftreten (physikalische, semantische oder psychologische), welche die Übertragung bzw. den Nachrichtenaustausch behindern. 4 Nachricht Entscheidend ist vor allem die Form der Nachricht, also eine klare Sprache, eine deutliche Schrift, eine eindeutige Formulierung, die Gliederung, die Darstellung und nicht zuletzt der Gehalt. Das Bedeutsame einer Nachricht ist, dass sie stets mehrere Botschaften gleichzeitig enthält. Aus psychologischer Sicht gliedert sich eine Nachricht in zwei Bereiche, die beim Empfänger auf unterschiedlichen Ebenen (Sach- und Gefühlsebene) ankommen (siehe Abb. 2, «Bestandteile einer Nachricht»). 5 Feedback Die Reaktion des Empfängers zeigt dem Sender, ob und wie die Nachricht angekommen ist. Das Feedback spiegelt die Gedanken und Gefühle des Empfängers wider. Wie die Nachricht gliedert sich auch das Feedback in zwei Bereiche, die beim Empfänger (also dem ursprünglichen Sender) auf der Sach- und der Gefühlsebene ankommen. Quellen «Kommunikationsprozess»: 1988, Kummer W., Projektmanagement, Leitfaden zu Methode und Teamführung, Industrielle 14 sofort intervenieren, um die Diskussion auf die Sachebene zurückzuführen. Der zeitliche Aufwand, der sich daraus ergibt, ist deutlich geringer als die Zeit, die sonst mit dem Austausch von weiteren Mails verloren geht. Beispiel 1 Intervention des Projektleiters bei emotionalen Mails In einem grösseren Projekt müssen zwei sehr unterschiedliche Mitarbeitende an zwei Standorten miteinander zusammenarbeiten und sind gemeinsam für ein Zwischenergebnis verantwortlich. Nachdem das erste der beiden Teammitglieder an einem Vorschlag des anderen per Mail grundlegende Kritik geübt hatte, drohte der kritisierte Mitarbeiter ebenfalls in einem Mail, seine Aktivitäten einzustellen. Der Projektleiter intervenierte sofort und brachte die beiden Kontrahenten an einem Standort zusammen, um die Situation zu klären. Es gelang, die Diskussion auf die Sachebene zurückzuführen. Besonders hilfreich war dabei der Appell an die Professionalität der Mitarbeitenden. Nicht in jedem Fall ist es allerdings notwendig, dass der Projektleiter eingreift. Stattdessen kann auch den einzelnen Teammitgliedern beigebracht werden, wie sie auf emotionale Mails reagieren können, ohne dass eine zeitraubende Diskussion entsteht. Die wichtigsten Regeln in diesem Zusammenhang sind: 1. Heikle Mails nie umgehend beantworten. Persönlich oder telefonisch rückfragen, wie diese oder jene Aussage gemeint war, und auf diese Weise versuchen, die Diskussion auf die Sachebene zurückzuführen. 2. Gegebenenfalls um eine (schriftliche) Richtigstellung bitten, wenn noch andere Empfänger auf dem Mail aufgeführt worden sind. Eine solche Richtigstellung sollte allerdings nur bei gravierenden Vorwürfen angestrebt werden. 3. Wenn ein heikles Mail trotz allem schriftlich beantwortet wird, die Antwort nie umgehend versenden – eine Nacht darüber schlafen und erst das Projektoptimierung mittels bewusster Kommunikation | Kommunikation Bestandteile einer Nachricht Nachricht 2 Appell 4 Beziehung 1 Sachinhalt Jede soziale Interaktion oder zwischenmenschliche Kommunikation (Nachricht) kann in verschiedene Bereiche mit verschiedenen Inhalten unterteilt werden. Schulz von Thun hat ein Modell entwickelt, nach dem die Nachricht in vier Teile zerlegt wird (siehe links). 3 Selbstoffenbarung 1 Sachinhalt Als Erstes enthält eine Nachricht eine Sachinformation. Da Sender und Empfänger Menschen sind und nicht Maschinen, ist es relativ schwierig, eine reine Sachinformation zu erzeugen. Der Anteil an Sachlichkeit in der Nachricht stellt den Wert einer solchen Information dar. Sie sollte möglichst frei von Emotionen sein. Der Empfänger des Sachinhalts ist beim «sozialpsychologischen» Kommunikationsprozess der Verstand (Sachebene). 2 Appell Mit einem Appell möchte der Sender den Empfänger zu etwas veranlassen. Deshalb müssen Nachrichten immer eindeutig formuliert werden und sollten ein Ziel beinhalten. Diese Art Nachricht dient dazu, den Empfänger zu veranlassen, etwas zu tun oder zu unterlassen, zu denken oder zu fühlen. 3 Selbstoffenbarung In jeder Nachricht stecken nicht nur Informationen über die mitgeteilten Sachinhalte, sondern auch Informationen über den Sender als Person. Daraus kann z.B. entnommen werden, dass der Sender es eilig hat, dass er sehr engagiert arbeitet etc. Gemäss Schulz von Thun handelt es sich dabei um die sogenannte «Selbstoffenbarung», die gewollte Selbstdarstellung oder auch die unfreiwillige Selbstenthüllung. Gestik, Mimik und die Modulation der Stimme liefern Informationen über den Gesprächspartner, die erlauben, das Gespräch zielführend zu gestalten. 4 Beziehungsinhalt Aus der gesendeten Nachricht geht auch die Beziehung des Senders zum Empfänger hervor. Dies zeigt sich in der gewählten Formulierung, im Tonfall und anderen nonverbalen Begleitsignalen. Für diese Seite der Nachricht hat der Empfänger ein besonders empfindliches Ohr, denn hier fühlt er sich als Person auf eine bestimmte Weise behandelt. Auf der Beziehungsebene geht es um die Art und Weise, wie miteinander gesprochen wird. Sie ist geprägt von Sympathie, Antipathie, Emotionen, Erwartungen, Hoffnungen und Ängsten. Der Empfangsteil des Beziehungsinhaltes ist beim sozialpsychologischen Kommunikationsprozess das Herz oder die Gefühlsebene des Menschen (Beziehungsebene). Quellen «Bestandteile einer Nachricht»: 1994, Schulz von Thun F., Miteinander reden, Störungen und Klärungen, Rowohlt, Hamburg Abbildung 2: Bestandteile einer Nachricht redigierte Mail abschicken. Voraussetzung dafür, dass die Mitarbeitenden diese Regeln beachten, ist ein vorbildliches Verhalten des Projektleiters. Er sollte selbst vorzugsweise im direkten Gespräch kommunizieren und auch die dafür notwendige Zeit einplanen. Beispiel 2 Effizientes Korrigieren von Fehlinformationen Im Verlauf eines grösseren Projekts kamen zwei Mitarbeitende, die nicht zum Team gehörten, auf den Projektleiter wirkt. Deshalb wird das Thema «Kommunikation» auch in der Literatur zu Projektmanagement immer wieder erwähnt. Bewusstes Kommuniziere spart Zeit, Geld und Nerven. Daher sollten Führungskräfte ihre Mitarbeitenden dazu anhalten, komplexe Sachverhalte im direkten Das Beispiel zeigt nicht nur, Gespräch zu klären und nicht wie effizient direkte Gespräche durch den Austausch von Esind, sondern auch deren po- Mails. sitive Effekte. Die Mitarbeitenden fühlen sich viel besser informiert, was sich letztlich positiv auf die Motivation auszu, weil sie ein Problem auf das Projekt zukommen sahen. Der Projektleiter vereinbarte umgehend ein direktes Gespräch mit ihnen. In diesem konnten in sehr kurzer Zeit gleich mehrere Missverständnisse und Fehlinformationen der Mitarbeitenden korrigiert werden. Artikel online: www.erni.ch/experience Heinrich Rüegg Kontakt: [email protected] Business Unit Leader in der Firma ERNI Consulting AG. Die Schwerpunkte seiner Beratertätigkeit liegen in den Bereichen Projektmanagement und Requirements Engineering. 15 Interface-Entwicklung | Stabile Interfaces Stabile Interfaces als Mittel zur Kostenreduktion Wie Interface-Verantwortliche den Entwicklungsprozess beschleunigen. Durch die Modularisierung von Systemen haben Interfaces enorm an Bedeutung gewonnen. Dementsprechend viel Literatur existiert bereits zu diesem Thema. Nur die Praxis zeigt allerdings, welche Massnahmen bei der Entwicklung der Schnittstellen wirklich zur Kostenreduktion beitragen. Von J. Christophe Duméril Interfaces sind für die Effizienz eines aus verschiedenen Komponenten aufgebauten Systems entscheidend, auch wenn sie selbst im besten Fall nur aus einer überschaubaren Anzahl Codezeilen bestehen. Denn Änderungen am Interface ziehen Änderungen an sämtlichen betroffenen Modulen nach sich, wodurch sich der Aufwand multipliziert. Tipps für die effiziente Entwicklung von Interfaces gibt es viele. Wir wollen hier weniger auf technische, sondern mehr auf Planungs- und projektorganisatorische Aspekte rund um Interfaces eingehen (siehe auch Box mit Tipps). Vor allem ein Rat ist er­folgsentscheidend: die Ernennung eines Interface-Verantwortlichen mit Durchsetzungskompetenz. Beispiel 1 Architekt als InterfaceVerantwortlicher Die Ausgangslage: Ein Unternehmen aus der Medizintechnik entwickelte verschiedene Module für eine Plattform für Geräte mit anspruchsvoller Mechatronik. Am Projekt arbeiteten verschiedene Teams in mehreren Ländern. Zu Beginn der Entwicklung hatte der Architekt des Systems die Interfaces konzipiert und gemeinsame Regeln (z.B. bez. Handshake-Abläufe) definiert. 16 Das Problem: Mit dem Projektfortschritt traten diese Definitionen in den Hintergrund. Mehrere Monate lang war die Architektur «herrenlos». Die verschiedenen Teams fingen an, die Interfaces individuell zu biegen, ohne die anderen Teams rechtzeitig darüber zu informieren. Die Dokumentierung und das Testen der Interfaces wurden vernachlässigt. Der Stand der Interfaces war nicht auf allen Prototypgeräten derselbe. Die Interfaces wurden immer heterogener und standen zunehmend im Widerspruch zum ursprünglich einheitlichen Interface-Konzept, was zu aufwändigen Workarounds führte. Der Aufwand für die Fehlersuche explodierte. Die Teams wiesen sich die Verantwortung gegenseitig zu. Der Versuch, die Teams zu einer gemeinsamen Lösung zu bewegen, scheiterte an der Anzahl Beteiligter, den unterschiedlichen Interessen und der geografischen Distanz. Die Lösung: Erst als ein Architekt die Interface-Verantwortung wahrnahm, kam das Projekt wieder ins Gleichgewicht. Diesmal erhielt er die notwendige Kompetenz, um seine Entscheidungen gegenüber den Entwicklerteams durchzusetzen. Er nahm das ursprüngliche Konzept wieder auf, verstand und verteidigte es. Dadurch wurden die Interfaces Stabile Interfaces | Interface-Entwicklung Tipps für die effiziente Entwicklung von Interfaces gibt es viele. Vor allem einer ist erfolgsentscheidend: die Ernennung eines Interface-Verantwortlichen mit Durchsetzungskompetenz. 17 Interface-Entwicklung | Stabile Interfaces Neben dem richtigen Vorgehen ist die Organisation entscheidend. Ein Interface ist immer nur so gut wie die Kommunikation zwischen den Teams, welche die Komponenten entwickeln. Wichtigste Einflüsse auf Interfaces: System Zukunft Modul A Stakeholder Plattform / Re-Use Physikalische Realität Modul B Interface System-Dekomposition System-Dynamik Aktivitäten Zeit Abbildung 1: Wichtigste Einflüsse auf Interfaces wieder einheitlicher und der Aufwand für Fehlersuche sowie Kommunikation erheblich reduziert. Das ideale Interface im Hinblick auf die Effizienz ist stabil und braucht über längere Zeit nicht verändert zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind beim Verantwortlichen Weitblick und Abstraktionsvermögen erforderlich. Zudem ist eine gründliche, rechtzeitige Planung notwendig, was nur mit Einbezug der Stakeholder möglich ist. Denn nur sie wissen, welche Aufgaben die weiterentwickelten Versionen der Lösung in Zukunft erfüllen werden müssen. Aus den Aussagen der Stakeholder leitet der Interface-Verantwortliche ab, was dies für den Austausch von Daten und Kommandos zwischen den Modulen bedeutet. Dazu gehören auch die Bestimmungen, welche Datentypen es gibt (oder 18 später geben wird), wie gross das Datenvolumen ist und ob die Daten nur lokal in einem Gerät oder über ein Netzwerk übertragen werden sollen. Sind die Interfaces sorgfältig geplant, können Werkzeuge die Entwicklung wirkungsvoll unterstützen. Gute Werkzeuge alleine ersetzen die Planung jedoch nicht. Neben dem richtigen Vorgehen ist die Organisation entscheidend. Ein Interface ist immer nur so gut wie die Kommunikation zwischen den Teams, welche die Komponenten entwickeln. Dabei übernimmt der Interface-Verantwortliche die Rolle des «KommunikationsKatalysators», des Supervisors und des Schiedsrichters. Darüber hinaus lässt sich die Kooperation durch Anreize für die Entwicklerteams fördern. So können etwa neue Versionen des Interfaces zusätzliche Features für die Entwickler ent- halten und sie so zum Umsteigen auf die neue Version animieren. Beispiel 2 Medizintechnisches Messsystem mit austauschbaren Modulen Die Ausgangslage: Eine Firma entwickelte verschiedene Messsysteme für medizinische Diagnostik. Das Problem: Diese Geräte wendeten teilweise dieselben Datenverarbeitungs-Algorithmen an, doch jedes Mal wurden die Datenverarbeitungsmodule aufgrund der Inkompatibilität zwischen den Geräten neu entwickelt, was zu hohen Entwicklungs- und Wartungskosten führte. Die Lösung: Es wurde ein Konzept entwickelt, das es den Anwendern ermöglicht, die gemessenen Daten durch verschiedene beliebig kombinierbare Softwaremodule auswerten zu lassen. Dafür war es Stabile Interfaces | Interface-Entwicklung Abbildung 2: Aufwand für Interface-Konzept Aufwand für Interface-Konzept und -Realisierung t Die bewährtesten Tipps für die Interface-Entwicklung Aufwand für Interface-Realisierung 1 Entscheidend ist die Ernennung eines Interface-Verantwortlichen mit Durchsetzungskompetenz. 2 Die Planung muss frühzeitig starten. t Inkrement 1 Soll Häufig gelebt … Inkrement n 3 Stakeholder intensiv einzubeziehen, ist unumgänglich, da übergeordnete Aspekte geklärt werden müssen, wie etwa die zukünftige Entwicklung der Aufgaben des Systems. 4 Sämtliche Spezifikationen müssen schriftlich festgehalten werden. 5 Für den Erfolg entscheidend ist die Entwicklung in kleinen Inkrementen mit häufigen Tests. «Rechteck», genügen annotwendig, alle Module mit Grund: Kein Interface ist das statt die Koordinaten jedes dem gleichen Interface auszubeste Interface. Jedes (unnöBildpunktes zu übertragen. statten. In einem ersten Schritt tige) Interface erhöht den Um jedoch eine künstliche wurde die (zukünftige) AufKommunikations- und EntAbhängigkeit von der Farbgabe des Geräts vertieft anawicklungsaufwand. information zu verhindern, lysiert. Man betrachtete dabei • Wieso wurden verschiedene können anstatt «roter Kreis» auch die Physik der Messung Interface-Typen für verschiedie Farbe «Rot» und die Form und den Messprozess. Für die dene Module eingesetzt? «Kreis» getrennt übertragen Analyse wurden Gespräche Kann man jene nicht vereinwerden. mit verschiedenen Stakeholheitlichen? dern geführt, unter anderem Grund: Interfaces vereinheitli- • Wieso ist der Datentransfer bei einem Interface so hoch? Wieauch mit Physikern. Daran chen. Sind mehrere Module so müssen diese Daten kopiert anschliessend legte man den und damit mehrere Schnittbzw. übertragen werden? kleinsten gemeinsamen Nenstellen unumgänglich, ist es ner für den Datenaustausch besser, gleichartige zu entwi- Grund: Datenvolumen klein halten. Hohe Datenvolumen fest. Auf dieser Basis konnte ein ckeln als unterschiedliche: sind nicht immer eine Notschlankes Interface entwickelt Das reduziert den Aufwand wendigkeit, sondern resulwerden, das die Austauschfürs Testen und Warten. Getieren nicht selten aus einer barkeit der Module sicherwisse Entwickler scheuen falschen Wahl der Modulstellt. jedoch den damit verbundegrenzen, oder der Datennen höheren Initialaufwand. Owner, oder sie sind eine Fragen an Interface• Wieso gibt es so viele DatenFolge redundanter Daten. Verantwortliche typen? Wieso ist das DispatDie obigen Beispiele zeigen zuchen der Daten so aufwändig? dem, dass es für Projekt-Aussen- Grund: Keine künstlichen Daten- Wie die Beispiele zeigen, lohstehende (z.B. Reviewer) nicht abhängigkeiten. Beim Daten- nen sich Investitionen in Ineinfach ist zu beurteilen, ob ein austausch ist es eine Kunst, terfaces nicht nur, weil sie Projekt bezüglich Interfaces effiden kleinsten gemeinsamen ein wichtiger Ansatzpunkt für zient und kostengünstig aufgeNenner zu finden und gleich- mehr Effizienz in der Entwicksetzt ist. Folgende einfache Frazeitig keine künstlichen Ab- lung sind. Durchdachte, zugen helfen dabei: hängigkeiten zwischen den kunftssichere Schnittstellen • Was sind die Gründe, wieso Daten zu schaffen. Beispiel- ermöglichen auch die Entzwei Module getrennt sind? weise kann zur Übertragung wicklung wiederverwendbarer Könnte man sie nicht zu einem einer geometrischen Form Komponenten, was die EffiziModul zusammenfügen? die Information «Kreis» oder enz noch einmal steigert. Artikel online: www.erni.ch/experience J. Christophe Duméril Kontakt: [email protected] Business Unit Leader in der Firma ERNI Consulting AG. Die Schwerpunkte seiner Beratertätigkeit liegen in den Bereichen Requirements Engineering und Process Improvement. 19 ERNI Consulting AG Casinoplatz 2 · CH-3011 Bern · Tel. +41 31 381 76 11 Talstrasse 82 · CH-8001 Zürich · Tel. +41 44 215 42 00 Bahnhofstrasse 4 · CH-6340 Baar · Tel. +41 41 227 35 00 ERNI (Deutschland) GmbH Ganghoferstrasse 31 · D-80339 München · Tel. +49 89 90 40 5907 ERNI (Slovakia) s.r.o. Sturova 4 · SK-811 02 Bratislava · Tel. +421 2 3255 37 37 www.erni.ch · [email protected] www.erni.ch/experience