Industrialisierung der Versicherungen Effizienzsteigerung durch

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Experience Nr. 45 März 2009
© by ERNI Consulting AG
Experience
ERNI Erfahrungsberichte rund um Management-, Prozess- und Technologiethemen
Industrialisierung der Versicherungen
Effizienzsteigerung durch Industrialisierung
der Prozesse.
Migration von Altsystemen
Unbekannte Funktionalitäten mittels
Reverse Engineering entdecken.
Kommunikation
Projektoptimierung mittels
bewusster Kommunikation.
Interface-Entwicklung
Stabile Interfaces als Mittel
zur Kostenreduktion.
ERNI Experience | Editorial
Kostendruck als Chance nutzen
In guten Zeiten werden Massnahmen zur Reduktion von Kosten nur selten eingeleitet. Falls
doch, werden sie meist nicht mit letzter Konsequenz umgesetzt. Doch Konsequenz und
Druck braucht es, damit die Massnahmen wirklich markante und dauerhafte Einsparungen
Titelseite: Dirk Seeburger
Business Area Manager in der Firma ERNI
Consulting AG.
Die Schwerpunkte seiner Beratertätigkeit
liegen in den Bereichen Testmanagement
und Requirements Engineering.
bewirken. Zurzeit dürfte jedem Mitarbeitenden klar sein, dass nur schlanke, den äusseren
Einflüssen angepasste Organisationen eine Zukunft haben. Deswegen ist der Zeitpunkt
günstig, Unternehmen in Sachen Kosten fit zu trimmen und diejenigen Massnahmen zu
realisieren, die einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil sichern.
In diesem ERNI Experience erfahren Sie, wie Versicherungen durch Industrialisierung ihre
Impressum
Herausgeber
ERNI Consulting AG
Zürich · Baar · Bern
ERNI (Deutschland) GmbH, München
ERNI (Slovakia) s.r.o., Bratislava
Redaktion
Maria Holla
ERNI (Slovakia) s.r.o.
Tel. +421 2 3255 37 37
E-Mail [email protected]
Internet www.erni.ch /experience
Editorial
Dirk Seeburger
Kosten reduzieren und gleichzeitig die Qualität steigern oder auch wie Sie in Ihrem Unternehmen zu einer effizienten Kommunikation ohne lästige Mailflut finden. Unsere Autoren
zeigen zudem auf, wie man ältere Applikationen effizient migriert und wie sich in neuen
Anwendungen Interfaces kostenbewusst gestalten lassen.
Allen vier Artikeln ist gemein, dass sie bewährte Erfahrungen aus realisierten Projekten beschreiben und handfeste Tipps zur Umsetzung geben. Diese betreffen sowohl das Vorgehen als auch die notwendigen Kompetenzen des Teams. Kostensparen ist für die meisten
Organisationen zur Selbstverständlichkeit geworden. Einen einheitlichen, optimalen Weg
dorthin gibt es aber nicht. Profitieren Sie von den Erfahrungen anderer und setzen Sie diese
Industrialisierung der Versicherungen
Ruth Happersberger
Erkenntnisse in Ihren Massnahmen um.
Migration von Altsystemen
Christian Kaiser
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und freue mich auf Ihr Feedback.
Kommunikation
Heinrich Rüegg
Interface-Entwicklung
J. Christophe Duméril
Lektorat
Stefan Kyora,
Mediacontact GmbH, Luzern
Ruedi Häuptli, Sprachagentur Bahia,
Salvador BR
Konzept/Layout
Reto Winkelmann
Produktion
von Ah Druck AG, Sarnen
Auflage
10 000 Exemplare
Erscheint quartalsweise
Copyright © 2009 by ERNI Consulting AG
Alle Rechte vorbehalten.
Herzlich
Dirk Seeburger
Inhalt | ERNI Experience
Inhalt
Industrialisierung der Versicherungen
Industrialisierung der Versicherungswirtschaft – eine Massnahme zur Kostensenkung und Gewinnsteigerung
4
Nachhaltige Wettbewerbsvorteile durch massgeschneiderte Verbesserungen.
Der Versicherungsmarkt befindet sich in einem unabdingbaren Wandel. Wer sich zu den zukünftigen Gewinnern dieser Veränderung zählen möchte, muss rechtzeitig reagieren und sich den Anforderungen des Marktes stellen. Es gilt, Kostenreduktion und Gewinnoptimierung zu erreichen.
Ein Mittel dazu heisst Industrialisierung.
Migration von Altsystemen
Mit Reverse Engineering erfolgreich Legacy-Systeme migrieren
8
Sparpotenzial gezielt und reibungslos realisieren.
Alte IT-Systeme verursachen oft hohe Betriebskosten und sind kaum mehr erweiterbar. Die
Migration auf neue Lösungen bietet deswegen ein beachtliches Sparpotenzial. Realisieren lässt es
sich allerdings nur, wenn die Ablösung der aktuellen Best Practice folgt.
Kommunikation
Effizient kommunizieren heisst: mündlich kommunizieren
12
Wie sich die E-Mail-Flut eindämmen lässt.
Dass E-Mails kostbare Arbeitszeit verschwenden, ist zu einer Binsenweisheit geworden. Dennoch
ändert sich am Arbeitsalltag in Projekten wenig. Soll bewusster, effizienter und dementsprechend
nicht per Mail, sondern mündlich kommuniziert werden, ist vor allem der Projektleiter gefragt.
Interface-Entwicklung
Stabile Interfaces als Mittel zur Kostenreduktion
16
Wie Interface-Verantwortliche den Entwicklungsprozess beschleunigen.
Durch die Modularisierung von Systemen haben Interfaces enorm an Bedeutung gewonnen.
Dementsprechend viel Literatur existiert bereits zu diesem Thema. Nur die Praxis zeigt allerdings,
welche Massnahmen bei der Entwicklung der Schnittstellen wirklich zur Kostenreduktion beitragen.
Alle Artikel online:
www.erni.ch/experience
Industrialisierung der Versicherungen | Effizienz durch Industrialisierung der Prozesse
Industrialisierung der Versicherungswirtschaft – eine Massnahme zur Kostensenkung und Gewinnsteigerung
Nachhaltige Wettbewerbsvorteile durch massgeschneiderte Verbesserungen.
Der Versicherungsmarkt befindet sich in einem unabdingbaren Wandel. Wer sich zu den zukünftigen Gewinnern dieser
Veränderung zählen möchte, muss rechtzeitig reagieren und sich den Anforderungen des Marktes stellen. Es gilt, Kostenreduktion und Gewinnoptimierung zu erreichen. Ein Mittel dazu heisst Industrialisierung. Ein optimales, für alle Versicherer
gültiges Vorgehen gibt es nicht. Bisher hat es sich als praktikabler Ansatz erwiesen, die spezifischen Bedürfnisse und Möglichkeiten der einzelnen Versicherungen zu analysieren und anschliessend Verbesserungs-Benchmarks der Industrie zu Rate
zu ziehen. Von Ruth Happersberger
Effizienz durch Industrialisierung der Prozesse | Industrialisierung der Versicherungen
Die Versicherungswirtschaft
befindet sich in einem Veränderungsprozess, dessen Dynamik stetig zunimmt. Da
die Wertschöpfungsmöglichkeiten in dieser Branche begrenzt sind, kann kein spezieller Hebeleffekt erzielt werden. Realistisch gesehen gibt
es nur zwei Möglichkeiten zur
Verbesserung: erstens die Erhöhung der Versicherungsbeiträge, womit man aber schnell
an Grenzen stösst, und zweitens die Industrialisierung der
Prozesse, was einen Quantensprung ermöglicht (Abbildung
günstiger Prozesse mit einer
hohen Wertschöpfung).
Doch zunächst zum Begriff der
Versicherungsindustrie. Hier
spricht man von einer Indus-
trie, die eigentlich keine ist.
Doch sie wird vor sich selbst
und auf Dauer nur dann bestehen können, wenn sie sich
auf den Weg macht, eine zu
werden.
Wenn in der Versicherungsbranche von Industrialisie­
rung gesprochen wird, ist
im Allgemeinen die Rede
von der Übernahme gewisser
­Methoden sowie Standards aus
der produzierenden Indus­trie.
Hochproduktive Methoden
führen dort zu effizienten Kostenstrukturen und optimalen
Preis /Leistungs-Verhältnissen. Einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil sowie Wachstumschancen sichern sich diejenigen Versicherer, welche
sich bei der Effizienzsteigerung
an den Best Practices anderer
Branchen mit einer hohen
Wettbewerbsintensität orientieren.
Meist hat die Versicherungsbranche in der Vergangenheit
sowohl zur Gewinnmaximierung als auch zur Kostenminimierung auf traditionelle Konzepte und Effizienzsteigerungsmassnahmen gesetzt. Vor dem
Hintergrund der Kom­plexi­
tät anstehender Herausforderungen scheint dies allerdings
nicht mehr zu genügen. Vielmehr ist eine konsequente Industrialisierung aller Prozesse
entlang der Wertschöpfungskette erforderlich, um die Leistungserbringung maximal zu
verbessern. Dies ist ein probater Ansatz, um die Effektivität
auch in den Kernprozessen zu
steigern und den Aufwand zu
senken.
Zusammenfassend ist es Ziel
der Industrialisierung, ein
schlankes, aber gleichzeitig
auch wachstumsfähiges Unternehmen zu fördern, welches nicht nur das Thema
Kostensenkung im Fokus hat,
sondern auch eine Erhöhung
sowohl des Qualitätsfaktors als
auch der Kundenzufriedenheit
anstrebt (siehe Abb. 1).
Ausgangspunkt für die Optimierung müssen die Bedürfnisse und Prozesse der eigenen Organisation sein. Die
konsequent an der Unternehmensstrategie und den Anforderungen des Marktes ausgerichteten Strukturen und Pro
Industrialisierung der Versicherungen | Effizienz durch Industrialisierung der Prozesse
Neben der Optimierung der Prozesse kann Industrialisierung auch bedeuten, die Wertschöpfungstiefe zu analysieren und Prozesse gegebenenfalls auszulagern.
Treiber der Industrialisierung
GESETZ
Kosten-, Margen- und Wachstumsdruck
Erhöhung der Preissensitivität der Kunden
Instrumente der Industrialisierung
• Simulation, Process Modelling
• Process Automation
• Process Performance
Management
• Process Maturity
process
Model
• etc.
• Total Quality
Management
• Complaint
Management
• Certification
• etc.
quality
Substitutives Versicherungsangebot
MARKT
Low-Involvement-Produkt
Marktkonzentration durch u.a. Fusionen
Restrukturierungen
KUNDEN
gesetzliche Rahmenbedingungen
Abbildung 1:
Treiber und Instrumente
• In-/Outsourcing
• De-/Centralisation
• Service Level
Management
• Supply Chain
Management
• etc.
added
value
costs
• Process Costing
• Performance
Management
• Benchmarking
• etc.
der Industrialisierung
zesse sind Basis des Erfolges.
Es geht nicht darum, die produzierende Industrie zu imitieren, sondern einen Weg zu finden, um die Lektionen, die sich
in der Auseinandersetzung mit
der Industrie lernen lassen, für
das eigene Unternehmen kreativ zu übernehmen.
Auch wenn die konkreten Verbesserungsmassnahmen
für
jede Organisation einzigartig
sind, gibt es fünf grundlegende
Leitlinien der Industrialisierung. Anhand dieser Leitlinien
kann die Auswahl von spezifischen Ansatzpunkten für
das eigene Unternehmen stattfinden. Die Leitlinien sind:
Prozessoptimierung, Standardisierung, Automatisierung,
Integration/Harmonisierung
und schliesslich Zentralisierung.
Eine Standardisierung und
Zentralisierung bildet eine essenzielle und erforderliche
Grundlage, um dauerhafte Effizienzsteigerungen in den internen Geschäftsabläufen zu
erzielen. Dezentrale Prozesse
sind mit mehr Aufwand zu
harmonisieren als zentral ausgerichtete Prozesse, denn bei
jenen lassen sich Economies of
Scale und Economies of Scope
wesentlich schwieriger realisieren. Industrialisierung bedeutet hier, die Vielzahl von
­Prozessvarianten in beispielsweise verschiedenen Niederlassungen oder Organisationseinheiten zu reduzieren.
Konkret sind von Versicherungen bereits eine Vielzahl
von Projekten im Rahmen ihrer Industrialisierungsstrategie umgesetzt worden. Im Mittelpunkt steht dabei meist die
Standardisierung der Abläufe
in den Kernbereichen Betrieb,
Schaden und Leistung.
Bereits realisiert sind zum Beispiel auch konzern- und unternehmensübergreifende Shared
Service Centers, in denen die
Bündelung von übergreifenden Kompetenzen umgesetzt
wird, spartenübergreifende Versicherungsfactorys etwa für
das Neukundengeschäft oder
auch aktives Schaden-/Leistungsmanagement. Um dem
Fokus der Industrialisierung
gerecht zu werden, setzen Versicherungen u.a. ebenso auf
dynamische Arbeitsmengensteuerung, Medienintegration
von Telefonie und Schriftverkehr, automatisierte Datenver-
arbeitung, workflowgestützte
Schadenbearbeitung oder serviceorientierte Gestal­tung von
Systemarchitektu­ren, um nur
eine Auswahl zu nennen.
Versicherungen, die beispielsweise die Schadenfälle zeitoptimaler als ihre Mitbewerber
abwickeln, bieten einen entsprechend besseren Kundenservice an und kommen nicht
umhin, Prozesse zu standardisieren und zu automatisieren.
Das Ergebnis sind hier ein höheres Serviceniveau und niedrigere Kosten.
Der Weg zur optimalen Kundenbetreuung führt demnach
über die Industrialisierung.
Beispiel 1
Effizienzsteigerung und
gleichzeitige Sicherung des
Qualitätslevels
Eine marktführende Versicherung mit mehreren Standorten und ebenso vielen standort­
abhängigen Prozessvarianten
setzte sich zum Ziel, Effizienzund Effektivitätspotenziale zu
generieren, die Prozesskosten
zu senken und gleichzeitig die
Servicequalität zu erhöhen.
Dabei sollten zeitnahe Quick
Wins realisiert werden.
Zunächst definierte die Versicherung – in Anlehnung
an die Unternehmensstrategie – die Organisationsbereiche und deren Prozesse, die
optimiert und harmonisiert
werden sollten. Dies war die
grundlegende Voraussetzung,
um das Vorgehen und die Arbeitsschritte, sprich Prozesse,
zu standardisieren. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen:
Die Wiederholungsraten der
jeweiligen Prozesse und ihrer
Teilprozesse konnten in um
ein Vielfaches kürzerer Zeit gesteigert werden. Die Prozesse
wurden hinsichtlich Qualität und Kosten optimiert. Industrialisierung bedeutet in
­diesem Fall konkret, dass
eine Prozessstandardisierung
zu ­einer Reduktion von Kosten
und Fehlern und zu einer Steigerung an Durchlauf und Qualität führen kann.
Neben der Optimierung der
Prozesse kann Industrialisierung auch bedeuten, die
Wertschöpfungstiefe zu analysieren und Prozesse gegebenenfalls auszulagern. Zwangsläufig ist diese Konsequenz
allerdings nicht. Gerade die
Industrialisierung der Kernbe-
Effizienz durch Industrialisierung der Prozesse | Industrialisierung der Versicherungen
Das Thema der Industrialisierung wird in Anlehnung an
das klassische Prozessmanagement angegangen. Diese
traditionelle Vorgehensweise des Prozessmanagements
bietet eine optimale und bereits bewährte Vorgehensweise an, welche sich in den folgenden vier Schritten
widerspiegelt:
1 Analyse der Unternehmensbereiche und -prozesse:
Definition von möglichen Handlungsfeldern, Eruierung von Optimierungspotenzial
2 Prozesskostenrechnung: transparente Aufführung
der Vollkosten und Ergebnisbeiträge mittels kostenstellenübergreifendem Einbezug von u.a. Prozessen,
Produkten, Personal, Kunden
3 Aufbau eines Process Performance Management:
Analyse der Geschäftsprozesse
4 Definition prozessgestützter Optimierungsmassnahmen: nachhaltige Sicherung des Unternehmenserfolges.
reiche schafft einen Kostenvorsprung, der es erlaubt, die
Vor- und Nachteile der Option
Outsourcing zu evaluieren,
ohne zu überhasteten Massnahmen gezwungen zu sein.
Fällt schliesslich doch die Entscheidung zugunsten des Outsourcings, ist man durch die
industrialisierten Prozesse optimal vorbereitet.
Beispiel 2
Einführung einer elektronischen Kundenakte
Auch in diesem Fall wurden
als erster Schritt in Richtung
Industrialisierung die Definition der relevanten Prozesse
und die anschliessende Standardisierung und Automatisierung angesehen. Konkret
wurde eine Struktur der elektronischen Kundenakte definiert, die es erlaubt, möglichst
viele Daten und Informationen der Kundenbetreuungsund -abwicklungsprozesse in
die Kundenakte einfliessen zu
lassen. Dank der Struktur können nun alle vertrags- und
abrechnungsrelevanten Daten
und Vorgänge elektronisch erfasst werden. Ergebnis der Einführung der elektronischen
Kundenakte waren eine Laufzeitverkürzung und ein geringerer operativer Aufwand für
z.B. die Neukalkulationen, die
Kundenbetreuung etc., was zu
stetigen und steigenden Unternehmensergebnissen führte.
Die Mitarbeitenden benötig­
ten beispielsweise weniger
Zeit für die administrativen,
service- und kundenbetreuungsrelevanten Tätigkeiten.
Die dadurch entstandenen
Zeitressourcen konnten zum
Aufbau anderer kundenfokussieter Organisationseinheiten genutzt werden.
Zusätzlich liessen sich CrossSelling-Potenziale um einen
zweistelligen Prozentsatz erhöhen. Mittlerweile entnehmen die Mitarbeitenden der
elektronischen
Kundenakte
nicht nur Kundendaten, sondern auch persönliche Kundeninformationen. Wenn beispielsweise ein Kunde nur
eine Grundversicherung bezieht, aber regelmässig vom
Zahnarzt verschriebene Medikamente zur Abrechnung einreicht, also relativ häufig den
Zahnarzt konsultiert, können
ihm nun die Mitarbeitenden
zusätzlich eine Zahnzusatz-
versicherung anbieten. Beim
persönlichen Kundenkontakt
können somit die Mitarbeitenden dem Kunden weitere
Versicherungsprodukte anbieten – eventuell sogar schon für
den Kunden massgeschneidert
und personalisiert. Es kann
eine vielversprechende persönliche Ansprache des Kunden mit Hilfe der elektronischen Kundenakte stattfinden. Da alle Mitarbeitenden
immer auf dieselben Informationen zugreifen, ist zudem
ein einheitliches Bild gegenüber dem Kunden gegeben.
Die höhere Transparenz und
die Automatisierung ermöglichen zudem regionenübergreifend erfolgreichere Märkte,
eine Reduzierung der Fehlerquote, eine Erhöhung der
Servicequalität und letztendlich eine gewinnentscheidende Erhöhung der Kundenzufriedenheit.
Die Versicherungswirtschaft
befindet sich in einem grundlegenden Wandel, der die einzelnen Unternehmen tiefgreifend verändern wird. Dennoch
ist es für die Versicherungen
nicht notwendig, ganz neue
Wege zu gehen, also das Rad
neu zu erfinden. Andere wettbewerbsintensive und kunden­
fokussierte Branchen haben
bereits gezeigt, wie man durch
Industrialisierung nachhaltig
Kosten sparen und gleichzeitig
die Qualität verbessern kann.
Um diese Erfahrungen für
die Versicherungsbranche zu
adaptieren, benötigt es zur
Umsetzung vor allem ein
Team, welches die Rezepte aus
der Industrie auf die besonderen Bedürfnisse eines Versicherungsunternehmens übertragen kann. Versicherer, die
heute bereit sind, einen Blick
in die Industrie zu wagen und
von den dortigen Erfahrungen
zu lernen, werden den Anforderungen der Versicherungsbranche von morgen gewachsen sein.
Artikel online:
www.erni.ch/experience
Ruth Happersberger
Kontakt: [email protected]
Senior Management Consultant in der
Firma ERNI Consulting AG.
Die Schwerpunkte ihrer Beratertätigkeit
liegen in den Bereichen BusinessProcess-Optimierung und Management
Consulting.
Migration von Altsystemen | Reverse Engineering
Mit Reverse Engineering erfolgreich
Legacy-Systeme migrieren
Sparpotenzial gezielt und reibungslos realisieren.
Alte IT-Systeme verursachen oft hohe Betriebskosten und sind kaum mehr erweiterbar. Die Migration auf neue Lösungen
bietet deswegen ein beachtliches Sparpotenzial. Realisieren lässt es sich allerdings nur, wenn die Ablösung der aktuellen
Best Practice folgt. Von Bedeutung ist insbesondere die vollständige Erfassung der Funktionalitäten und Businessregeln des
alten Systems. Von Christian Kaiser
Die IT-Landschaften grösserer
Unternehmen sind nach wie
vor heterogen. Neben neuen
Systemen finden sich Lösungen, die zum Teil schon
seit Jahrzehnten problemlos
laufen. Doch langsam stossen die Eigenentwicklungen
aus den achtziger Jahren leistungsmässig, funktional oder
bei der Hardware an Grenzen
und können kaum noch gewartet oder gar erweitert werden. Ihre Ablösung rückt damit immer näher. Begünstigt wird dieser Schritt, wenn
durch den Ersatz einer einzelnen Applikation noch andere
Komponenten (z.B. Server
oder Datenbanksysteme) abgeschaltet werden können: In
diesem Fall ist ein reales Sparpotenzial vorhanden.
Damit eine System-Migration
effizient und erfolgreich abläuft, ist es vorab wichtig, sich
ein Bild über den Umfang zu
machen. Erfahrene IT-Mitarbeitende wissen, dass der Aufwand meist deutlich grösser
ist als zunächst vermutet. Die
folgenden Betrachtungen beleuchten die drei wichtigsten
Einflussfaktoren.
Reverse Engineering der
bestehenden Funktionalität
In der Regel soll ein neues System die bestehende Funktionalität und Businesslogik übernehmen. Dafür ist es häufig
notwendig, die entsprechenden
Business Rules mittels Reverse
Engineering wieder explizit zu
machen. Denn oft sind Knowhow und Dokumentationen
der Legacy-Systeme verloren
gegangen und das System selbst
(GUIs, Code) noch die einzige
Instanz, welche die bestehenden Regeln genau «kennt». Reverse Engineering bei einem
System, das seit Jahren problemlos läuft, scheint auf den
ersten Blick unverhältnismässig
aufwändig. Doch es hat sich als
erfolgsentscheidend herausgestellt. Bei Migrationsprojekten,
die darauf verzichten, stellt sich
häufig bei den letzten Tests heraus, dass im neuen System die
bisherige Funktionalität nur ungenügend umgesetzt wurde.
Beispiel 1
Reverse Engineering
Ein grosses Dienstleistungsun­
ternehmen betreibt in seiner
heterogenen IT-Landschaft eine
Back-Office-Lösung,
welche
Reverse Engineering | Migration von Altsystemen
Damit eine System-Migration effizient und erfolgreich abläuft, ist es vorab wichtig, sich ein
Bild über den Umfang zu machen. Erfahrene IT-Mitarbeitende wissen, dass der Aufwand
meist deutlich grösser ist als zunächst vermutet.
Migration von Altsystemen | Reverse Engineering
Migrationen laufen nur dann effizient ab, wenn sie gut geplant und mit der notwendigen
Aufmerksamkeit durchgeführt werden. Eine genaue Kenntnis der abzulösenden Software ist
dabei unumgänglich.
Code
Analyse
Tool
Cross
Reference
Neue
Anforderungen
Technische
Findings
Code
Requirements
Engineer
Reverse Engineering
UMLModell
TPL
Abbildung 1:
Testresultat
BRU
Tester
Planung
Reverse und Requirements Engi-
Requirements
Engineering
Analyse
Validierte
BRU
Konsolidierte
RequirementsDokumente
BPL
Test
Validierung
BRU= Business Rules
TPL = Teilprojektleiter
BPL = Business-Projektleiter/Auftraggeber
neering Prozess bei Migrationen
von aussen kommende Daten
verarbeitet und die Ergebnisse
dann an die internen Kunden
im Unternehmen weiterleitet.
Das System lief seit Jahren reibungslos. Für die Migration
wurde es mittels Reverse Engineering analysiert. Die bestehende Zugriffslogik in Bezug
auf die von aussen angelieferten
Daten wurde schliesslich mit
rund 80 Business Rules beschrieben. Zudem wurden zwei bestehende Schnittstellen zu Um­systemen gefunden, die nicht
mehr bekannt waren. Das Reverse Engineering dauerte rund
drei Personenmonate.
Neue Anforderungen
Natürlich erschöpft sich eine
neue Applikation nicht darin,
die Anforderungen des abzulösenden Systems abzubilden,
10
über eine Transitionsphase
mit Parallelbetrieb oder über
eine zeitlich gestaffelte Ablösung stattfindet, dieser Vorgang will auf jeden Fall gut
geplant sein. Bei stark vernetzten Systemen gilt es verschiedenste Umsysteme (sowie deren Lifecycle-Planung)
mit einzubeziehen. Es müssen
Interfaces ausgewechselt und
Daten migriert werden. Die
ganze Migration soll vorgängig testbar sein, und vielleicht
wird sogar ein Notfallszenario für ein Rollback benötigt.
Alle diese Aufgaben stellen
zusätzliche
Anforderungen
an das Migrationsteam, aber
unter Umständen auch ans
neue System: In vielen Fällen
braucht es speziell entwickelte
Die eigentliche Migration
Egal ob das Auswechseln der Software, die zwar nur tempoSysteme mittels «Big Bang», rär für die Migration benötigt
vielmehr werden kleinere oder
grössere Erweiterungen vorgenommen. Während auf dieser neu zu erstellenden Funktionalität naturgemäss der
stärkste Fokus liegt, erhöht sie
zusätzlich den Migrationsaufwand. Die soeben wiedergewonnenen Anforderungen für
die bestehende Funktionalität werden für das neue System verändert, so dass die beiden Systeme sich in einzelnen
Punkten (gewollt) anders verhalten. Dies erhöht den Aufwand für vergleichende Systemtests (siehe Abb. 1 und
Checkliste für Reverse & Requirements Engineering bei Migrationen).
Reverse Engineering | Migration von Altsystemen
Ausgaben für Dokumentation und Wartung sind gute Investitionen, um das grosse Sparpotenzial, das im IT-Betrieb steckt,
dauerhaft zu erschliessen.
wird, aber dennoch gut spezi- digen Aufmerksamkeit durchfiziert, realisiert und getestet geführt werden. Eine genaue
Kenntnis der abzulösenden
werden muss.
Software ist dabei unumgänglich. Die Realisierung lässt sich
Beispiel 2
damit wesentlich reibungsloser
Transitionsphase
Die Migration eines sicher- und effizienter gestalten. Gut
heitskritischen Informations- dokumentierte und gewartesystems inklusive der in Echt- te Anwendungen lassen sich
zeit anfallenden Daten muss viel einfacher und damit auch
bei laufendem Betrieb durch- günstiger migrieren. Ausgageführt werden. Deshalb ist der ben für Dokumentation und
vorgängige Testaufwand im- Wartung sind deswegen gute
mens. Aus Sicherheitsgründen Investitionen, um das grosse
wird zudem vorgesehen, im Sparpotenzial, das im IT-BeNotfall nochmals auf das bis- trieb steckt, dauerhaft zu erherige System zurückschalten schliessen.
zu können. Deshalb wird das
alte System nach der Umschal- Artikel online:
tung noch während mehreren www.erni.ch/experience
Wochen weiterbetrieben. Dazu
wird es von der Umwelt abgeschottet, indem sämtliche Interfaces durch neu entwickelte
Stubs ersetzt werden, die mit
Daten aus dem neuen System
eine «künstliche Umwelt» für
das alte System nachbilden.
Christian Kaiser
Die Planungs- und Testphase Kontakt: [email protected]
der Migration benötigt rund
Business Unit Leader in der Firma
neun Personenmonate.
ERNI Consulting AG.
Checkliste für Reverse & Requirements Engineering
bei Migrationen
1 Das bestehende System (bzw. der zu übernehmende Teil) wird top-down analysiert. Erkenntnisse werden in Modellen aufgezeichnet, etwa in
UML-Aktivitätsdiagrammen. Diese Modelle schaffen
für alle involvierten Personen eine gemeinsame
Systemsicht und bilden die Ausgangslage für die
weiteren Schritte.
2 Mit Hilfe der Modelle lässt sich planen und priorisieren, wo, in welcher Reihenfolge und bis in welche
Tiefe Detailanalysen folgen sollen.
3 Aus den Modellen werden die einzelnen Business
Rules extrahiert. Diese werden als Requirements
formuliert und so explizit gemacht. Idealerweise
werden diese Anforderungen nicht in technischer
Sprache, sondern in Fachsprache erfasst. Technische Findings aus den Modellen werden an den
Architekten weitergeleitet.
4 Um die gefundenen Regeln zu validieren, werden
entsprechende Testfälle erstellt und ausgeführt.
5 Die validierten Regeln werden mit zusätzlichen
Anforderungen für die neue Lösung zusammengeführt und neu strukturiert.
6 Die konsolidierten Requirements werden dem Auftraggeber zur Prüfung vorgelegt und freigegeben
bzw. angepasst.
7 Schliesslich sollen auch Anforderungen für die
eigentliche Migrationsphase erarbeitet werden.
In diesen kann etwa festgelegt werden, welche
Eigenschaften die neue Lösung erfüllen muss, bevor
sie live geht, oder wie und mit welchen Hilfsmitteln
die alte Applikation noch temporär weiterbetrieben
werden soll.
Die einzelnen Schritte lassen sich iterativ für jeweils
einen Teil der analysierten Software durchführen
(siehe Abb. 1).
Die Schwerpunkte seiner Berater-
Migrationen laufen nur dann tätigkeit liegen in den Bereichen
effizient ab, wenn sie gut ge- Requirements Engineering und
Testmanagement.
plant und mit der notwen-
11
Kommunikation | Projektoptimierung mittels bewusster Kommunikation
Effizient kommunizieren heisst:
mündlich kommunizieren
Wie sich die E-Mail-Flut eindämmen lässt.
Dass E-Mails kostbare Arbeitszeit verschwenden, ist zu einer Binsenweisheit geworden. Dennoch ändert sich am Arbeitsalltag in Projekten wenig. Soll bewusster, effizienter und dementsprechend nicht per Mail, sondern mündlich kommuniziert
werden, ist vor allem der Projektleiter gefragt. Von Heinrich Rüegg
12
Projektoptimierung mittels bewusster Kommunikation | Kommunikation
In regelmässigen Abständen
wird das Ende der Geschäftsreise postuliert. An sich ist der
Gedanke naheliegend. Kommunikationskanäle gibt es heute
schliesslich genug. Trotzdem
wird nach wie vor viel gereist.
Und vielfach macht dies auch
Sinn. Denn keine Kommunikation ist effizienter als das direkte
Gespräch. Dabei lassen sich
nicht nur Missverständnisse
schnell aus dem Weg räumen.
Gestik, Mimik und die Modulation der Stimme liefern Informationen über den Gesprächspartner, die es erlauben, das Gespräch zielführend zu gestalten.
tauscht werden. Insbesondere
lustig oder ironisch gemeinte
Nachrichten sorgen häufig für
Irritationen, weil der Empfänger nur schwer erkennen kann,
wie sie gemeint sind. Nicht selten
ergibt sich daraus eine zeitraubende Diskussion, in die über
Kopien per «cc» immer mehr
Teilnehmende und teilweise
auch unbeteiligte Vorgesetzte
aus der Linie involviert werden.
Auch in Projekten ist deswegen die effizienteste Form der
Kommunikation das direkte
Gespräch. Ist es nicht möglich,
bleibt als Alternative das Telefongespräch. Auch am Telefon
Diese Informationen fehlen, können die Gesprächspartwenn lediglich Mails ausge- ner besser aufeinander reagie-
ren und so zielführender diskutieren als per Mail. Elektronische Post ist im Prinzip nur
geeignet, um Besprochenes zur
Bestätigung schriftlich festzuhalten.
regeln für das gesamte Team
festzulegen. Neben dem Vorrang des Gesprächs gehört
dazu die Aufforderung, bewusst zu kommunizieren und
Informationen nur an diejenigen zu senden, für die sie auch
wirklich relevant sind. Hinzu
kommt die Regel, respektvoll
zu kommunizieren, das heisst,
sich anderen gegenüber nur so
zu äussern, wie man es selbst
als Empfänger einer Botschaft
auch erleben will. Das gilt natürlich nicht nur für Projekte,
sondern auch für den normalen Arbeitsalltag.
Die Priorität von Gesprächen
im Arbeitsalltag durchzusetzen, ist dennoch nicht einfach. Am Anfang, aber auch
während der Durchführung
von Projekten, sollte der Projektleiter die Mitarbeitenden
immer wieder dazu ermuntern, direkt miteinander zu
reden, statt Mails auszutauschen. Zu Beginn hat es sich
dabei als hilfreich erwiesen, Im Projektverlauf sollte der
beim Kick-off-Meeting ent- Projektleiter bei emotionalen
sprechende Kommunikations- Mails von Teammitgliedern
13
Kommunikation | Projektoptimierung mittels bewusster Kommunikation
Bewusstes Kommunizieren spart Zeit, Geld und Nerven. Daher sollten Führungskräfte ihre
Mitarbeitenden dazu anhalten, komplexe Sachverhalte im direkten Gespräch zu klären und
nicht durch den Austausch von E-Mails.
Abbildung 1:
Kommunikationsprozess
Kommunikationsprozess
3
A) Verstand
Sachebene
4
1
B) Gefühl
Beziehungsebene
A)
A) Verstand
Verstand
Sachebene
Sachebene
2
5
B)
B) Gefühl
Gefühl
Beziehungsebene
Beziehungsebene
3
Beschreibung der Komponenten eines Kommunikationsprozesses:
1 Sender
Der Sender setzt den Kommunikationsprozess in Gang. Durch den
Kommunikationsprozess soll ein Ziel erreicht werden. Der Sender
wählt das Medium (Übertragungsmittel) und «verschlüsselt» seine
Nachricht.
2 Empfänger
Der Empfänger nimmt die Nachricht entgegen. Die Qualität der
ankommenden Information ist, nebst der Genauigkeit der Übertragung (des Senders) und dem Grad der Störungen im Kommunikationskanal, abhängig vom einwandfreien Funktionieren der Wahrnehmungsorgane, von der Aufmerksamkeit des Empfängers und von
seiner Entschlüsselungsfähigkeit.
3 Kommunikationskanal
Der Kommunikationskanal ist die Verbindung zwischen Sender und
Empfänger. Die Übertragungsmittel sind hörbare oder sichtbare
Zeichen und Signale, die gesprochene oder geschriebene Sprache,
technische Hilfsmittel wie Telefon etc. Im Kanal können Störungen
auftreten (physikalische, semantische oder psychologische), welche
die Übertragung bzw. den Nachrichtenaustausch behindern.
4 Nachricht
Entscheidend ist vor allem die Form der Nachricht, also eine klare
Sprache, eine deutliche Schrift, eine eindeutige Formulierung,
die Gliederung, die Darstellung und nicht zuletzt der Gehalt. Das
Bedeutsame einer Nachricht ist, dass sie stets mehrere Botschaften
gleichzeitig enthält. Aus psychologischer Sicht gliedert sich eine
Nachricht in zwei Bereiche, die beim Empfänger auf unterschiedlichen
Ebenen (Sach- und Gefühlsebene) ankommen (siehe Abb. 2,
«Bestandteile einer Nachricht»).
5 Feedback
Die Reaktion des Empfängers zeigt dem Sender, ob und wie die
Nachricht angekommen ist. Das Feedback spiegelt die Gedanken
und Gefühle des Empfängers wider. Wie die Nachricht gliedert sich
auch das Feedback in zwei Bereiche, die beim Empfänger (also
dem ursprünglichen Sender) auf der Sach- und der Gefühlsebene
ankommen.
Quellen «Kommunikationsprozess»:
1988, Kummer W., Projektmanagement, Leitfaden zu Methode und
Teamführung, Industrielle
14
sofort intervenieren, um die
Diskussion auf die Sachebene
zurückzuführen. Der zeitliche
Aufwand, der sich daraus ergibt, ist deutlich geringer als
die Zeit, die sonst mit dem
Austausch von weiteren Mails
verloren geht.
Beispiel 1
Intervention des Projektleiters bei emotionalen Mails
In einem grösseren Projekt müssen zwei sehr unterschiedliche
Mitarbeitende an zwei Standorten miteinander zusammenarbeiten und sind gemeinsam für
ein Zwischenergebnis verantwortlich. Nachdem das erste
der beiden Teammitglieder an
einem Vorschlag des anderen
per Mail grundlegende Kritik geübt hatte, drohte der kritisierte
Mitarbeiter ebenfalls in einem
Mail, seine Aktivitäten einzustellen. Der Projektleiter intervenierte sofort und brachte die
beiden Kontrahenten an einem
Standort zusammen, um die Situation zu klären. Es gelang,
die Diskussion auf die Sachebene zurückzuführen. Besonders hilfreich war dabei der Appell an die Professionalität der
Mitarbeitenden.
Nicht in jedem Fall ist es allerdings notwendig, dass der Projektleiter eingreift. Stattdessen kann auch den einzelnen
Teammitgliedern beigebracht
werden, wie sie auf emotionale
Mails reagieren können, ohne
dass eine zeitraubende Diskussion entsteht. Die wichtigsten
Regeln in diesem Zusammenhang sind:
1. Heikle Mails nie umgehend
beantworten. Persönlich oder
telefonisch rückfragen, wie
diese oder jene Aussage gemeint war, und auf diese Weise
versuchen, die Diskussion auf
die Sachebene zurückzuführen.
2. Gegebenenfalls um eine
(schriftliche) Richtigstellung
bitten, wenn noch andere
Empfänger auf dem Mail aufgeführt worden sind. Eine solche Richtigstellung sollte allerdings nur bei gravierenden
Vorwürfen angestrebt werden.
3. Wenn ein heikles Mail trotz
allem schriftlich beantwortet
wird, die Antwort nie umgehend versenden – eine Nacht
darüber schlafen und erst das
Projektoptimierung mittels bewusster Kommunikation | Kommunikation
Bestandteile einer Nachricht
Nachricht
2 Appell
4 Beziehung
1 Sachinhalt
Jede soziale Interaktion oder zwischenmenschliche Kommunikation (Nachricht)
kann in verschiedene Bereiche mit verschiedenen Inhalten unterteilt werden.
Schulz von Thun hat ein Modell entwickelt, nach dem die Nachricht in vier
Teile zerlegt wird (siehe links).
3 Selbstoffenbarung
1 Sachinhalt
Als Erstes enthält eine Nachricht eine Sachinformation. Da Sender und Empfänger
Menschen sind und nicht Maschinen, ist es relativ schwierig, eine reine Sachinformation
zu erzeugen. Der Anteil an Sachlichkeit in der Nachricht stellt den Wert einer solchen
Information dar. Sie sollte möglichst frei von Emotionen sein. Der Empfänger des
Sachinhalts ist beim «sozialpsychologischen» Kommunikationsprozess der Verstand
(Sachebene).
2 Appell
Mit einem Appell möchte der Sender den Empfänger zu etwas veranlassen. Deshalb
müssen Nachrichten immer eindeutig formuliert werden und sollten ein Ziel
beinhalten. Diese Art Nachricht dient dazu, den Empfänger zu veranlassen, etwas zu
tun oder zu unterlassen, zu denken oder zu fühlen.
3 Selbstoffenbarung
In jeder Nachricht stecken nicht nur Informationen über die mitgeteilten Sachinhalte,
sondern auch Informationen über den Sender als Person. Daraus kann z.B. entnommen
werden, dass der Sender es eilig hat, dass er sehr engagiert arbeitet etc. Gemäss
Schulz von Thun handelt es sich dabei um die sogenannte «Selbstoffenbarung», die
gewollte Selbstdarstellung oder auch die unfreiwillige Selbstenthüllung.
Gestik, Mimik und die Modulation der Stimme liefern Informationen über den Gesprächspartner, die
erlauben, das Gespräch zielführend zu gestalten.
4 Beziehungsinhalt
Aus der gesendeten Nachricht geht auch die Beziehung des Senders zum Empfänger
hervor. Dies zeigt sich in der gewählten Formulierung, im Tonfall und anderen
nonverbalen Begleitsignalen. Für diese Seite der Nachricht hat der Empfänger ein
besonders empfindliches Ohr, denn hier fühlt er sich als Person auf eine bestimmte
Weise behandelt. Auf der Beziehungsebene geht es um die Art und Weise, wie
miteinander gesprochen wird. Sie ist geprägt von Sympathie, Antipathie, Emotionen,
Erwartungen, Hoffnungen und Ängsten. Der Empfangsteil des Beziehungsinhaltes ist
beim sozialpsychologischen Kommunikationsprozess das Herz oder die Gefühlsebene
des Menschen (Beziehungsebene).
Quellen «Bestandteile einer Nachricht»:
1994, Schulz von Thun F., Miteinander reden, Störungen und Klärungen, Rowohlt,
Hamburg
Abbildung 2:
Bestandteile einer Nachricht
redigierte Mail abschicken.
Voraussetzung dafür, dass die
Mitarbeitenden diese Regeln
beachten, ist ein vorbildliches
Verhalten des Projektleiters. Er
sollte selbst vorzugsweise im
direkten Gespräch kommunizieren und auch die dafür notwendige Zeit einplanen.
Beispiel 2
Effizientes Korrigieren von
Fehlinformationen
Im Verlauf eines grösseren
Projekts kamen zwei Mitarbeitende, die nicht zum Team gehörten, auf den Projektleiter
wirkt. Deshalb wird das Thema
«Kommunikation» auch in
der Literatur zu Projektmanagement immer wieder erwähnt. Bewusstes Kommuniziere spart Zeit, Geld und
Nerven. Daher sollten Führungskräfte ihre Mitarbeitenden dazu anhalten, komplexe Sachverhalte im direkten
Das Beispiel zeigt nicht nur, Gespräch zu klären und nicht
wie effizient direkte Gespräche durch den Austausch von Esind, sondern auch deren po- Mails.
sitive Effekte. Die Mitarbeitenden fühlen sich viel besser
informiert, was sich letztlich
positiv auf die Motivation auszu, weil sie ein Problem auf das
Projekt zukommen sahen. Der
Projektleiter vereinbarte umgehend ein direktes Gespräch
mit ihnen. In diesem konnten
in sehr kurzer Zeit gleich mehrere Missverständnisse und
Fehlinformationen der Mitarbeitenden korrigiert werden.
Artikel online:
www.erni.ch/experience
Heinrich Rüegg
Kontakt: [email protected]
Business Unit Leader in der Firma
ERNI Consulting AG.
Die Schwerpunkte seiner Beratertätigkeit liegen in den Bereichen
Projektmanagement und Requirements Engineering.
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Interface-Entwicklung | Stabile Interfaces
Stabile Interfaces als Mittel zur
Kostenreduktion
Wie Interface-Verantwortliche den Entwicklungsprozess beschleunigen.
Durch die Modularisierung von Systemen haben Interfaces enorm an Bedeutung gewonnen. Dementsprechend viel
Literatur existiert bereits zu diesem Thema. Nur die Praxis zeigt allerdings, welche Massnahmen bei der Entwicklung der
Schnittstellen wirklich zur Kostenreduktion beitragen. Von J. Christophe Duméril
Interfaces sind für die Effizienz eines aus verschiedenen
Komponenten aufgebauten
Systems entscheidend, auch
wenn sie selbst im besten Fall
nur aus einer überschaubaren
Anzahl Codezeilen bestehen.
Denn Änderungen am Interface ziehen Änderungen an
sämtlichen betroffenen Modulen nach sich, wodurch sich
der Aufwand multipliziert.
Tipps für die effiziente Entwicklung von Interfaces gibt
es viele. Wir wollen hier weniger auf technische, sondern mehr auf Planungs- und
projektorganisatorische
Aspekte rund um Interfaces eingehen (siehe auch Box mit
Tipps). Vor allem ein Rat ist
er­folgsentscheidend: die Ernennung eines Interface-Verantwortlichen mit Durchsetzungskompetenz.
Beispiel 1
Architekt als InterfaceVerantwortlicher
Die Ausgangslage: Ein Unternehmen aus der Medizintechnik entwickelte verschiedene
Module für eine Plattform für
Geräte mit anspruchsvoller
Mechatronik. Am Projekt arbeiteten verschiedene Teams
in mehreren Ländern. Zu Beginn der Entwicklung hatte
der Architekt des Systems die
Interfaces konzipiert und gemeinsame Regeln (z.B. bez.
Handshake-Abläufe) definiert.
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Das Problem: Mit dem Projektfortschritt traten diese Definitionen in den Hintergrund.
Mehrere Monate lang war die
Architektur «herrenlos». Die
verschiedenen Teams fingen
an, die Interfaces individuell
zu biegen, ohne die anderen
Teams rechtzeitig darüber zu
informieren. Die Dokumentierung und das Testen der Interfaces wurden vernachlässigt.
Der Stand der Interfaces war
nicht auf allen Prototypgeräten
derselbe. Die Interfaces wurden
immer heterogener und standen zunehmend im Widerspruch zum ursprünglich einheitlichen Interface-Konzept,
was zu aufwändigen Workarounds führte. Der Aufwand
für die Fehlersuche explodierte. Die Teams wiesen sich
die Verantwortung gegenseitig zu. Der Versuch, die Teams
zu einer gemeinsamen Lösung
zu bewegen, scheiterte an der
Anzahl Beteiligter, den unterschiedlichen Interessen und
der geografischen Distanz.
Die Lösung: Erst als ein Architekt die Interface-Verantwortung wahrnahm, kam das Projekt wieder ins Gleichgewicht.
Diesmal erhielt er die notwendige Kompetenz, um seine
Entscheidungen gegenüber
den Entwicklerteams durchzusetzen. Er nahm das ursprüngliche Konzept wieder auf, verstand und verteidigte es. Dadurch wurden die Interfaces
Stabile Interfaces | Interface-Entwicklung
Tipps für die effiziente Entwicklung von Interfaces gibt es viele. Vor allem einer ist erfolgsentscheidend: die Ernennung eines Interface-Verantwortlichen mit Durchsetzungskompetenz.
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Interface-Entwicklung | Stabile Interfaces
Neben dem richtigen Vorgehen ist die Organisation entscheidend. Ein Interface ist immer nur
so gut wie die Kommunikation zwischen den Teams, welche die Komponenten entwickeln.
Wichtigste Einflüsse auf Interfaces:
System Zukunft
Modul A
Stakeholder
Plattform / Re-Use
Physikalische
Realität
Modul B
Interface
System-Dekomposition
System-Dynamik
Aktivitäten
Zeit
Abbildung 1:
Wichtigste Einflüsse auf Interfaces
wieder einheitlicher und der
Aufwand für Fehlersuche sowie Kommunikation erheblich reduziert.
Das ideale Interface im Hinblick auf die Effizienz ist stabil und braucht über längere
Zeit nicht verändert zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind beim Verantwortlichen Weitblick und Abstraktionsvermögen
erforderlich.
Zudem ist eine gründliche,
rechtzeitige Planung notwendig, was nur mit Einbezug der
Stakeholder möglich ist. Denn
nur sie wissen, welche Aufgaben die weiterentwickelten
Versionen der Lösung in Zukunft erfüllen werden müssen.
Aus den Aussagen der Stakeholder leitet der Interface-Verantwortliche ab, was dies für
den Austausch von Daten und
Kommandos zwischen den Modulen bedeutet. Dazu gehören
auch die Bestimmungen, welche Datentypen es gibt (oder
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später geben wird), wie gross
das Datenvolumen ist und ob
die Daten nur lokal in einem
Gerät oder über ein Netzwerk
übertragen werden sollen. Sind
die Interfaces sorgfältig geplant, können Werkzeuge die
Entwicklung wirkungsvoll unterstützen. Gute Werkzeuge
alleine ersetzen die Planung jedoch nicht.
Neben dem richtigen Vorgehen ist die Organisation entscheidend. Ein Interface ist immer nur so gut wie die Kommunikation zwischen den Teams,
welche die Komponenten entwickeln. Dabei übernimmt der
Interface-Verantwortliche die
Rolle des «KommunikationsKatalysators», des Supervisors
und des Schiedsrichters. Darüber hinaus lässt sich die
Kooperation durch Anreize für
die Entwicklerteams fördern. So
können etwa neue Versionen
des Interfaces zusätzliche Features für die Entwickler ent-
halten und sie so zum Umsteigen auf die neue Version animieren.
Beispiel 2
Medizintechnisches Messsystem mit austauschbaren
Modulen
Die Ausgangslage: Eine Firma
entwickelte verschiedene Messsysteme für medizinische Diagnostik.
Das Problem: Diese Geräte wendeten teilweise dieselben Datenverarbeitungs-Algorithmen
an, doch jedes Mal wurden die
Datenverarbeitungsmodule
aufgrund der Inkompatibilität zwischen den Geräten neu
entwickelt, was zu hohen Entwicklungs- und Wartungskosten führte.
Die Lösung: Es wurde ein Konzept entwickelt, das es den
Anwendern ermöglicht, die
gemessenen Daten durch verschiedene beliebig kombinierbare Softwaremodule auswerten zu lassen. Dafür war es
Stabile Interfaces | Interface-Entwicklung
Abbildung 2:
Aufwand für Interface-Konzept
Aufwand für Interface-Konzept
und -Realisierung
t
Die bewährtesten Tipps für die Interface-Entwicklung
Aufwand für Interface-Realisierung
1 Entscheidend ist die Ernennung eines Interface-Verantwortlichen mit Durchsetzungskompetenz.
2 Die Planung muss frühzeitig starten.
t
Inkrement 1
Soll
Häufig gelebt
…
Inkrement n
3 Stakeholder intensiv einzubeziehen, ist unumgänglich, da
übergeordnete Aspekte geklärt werden müssen, wie etwa
die zukünftige Entwicklung der Aufgaben des Systems.
4 Sämtliche Spezifikationen müssen schriftlich festgehalten
werden.
5 Für den Erfolg entscheidend ist die Entwicklung in kleinen
Inkrementen mit häufigen Tests.
«Rechteck», genügen annotwendig, alle Module mit Grund: Kein Interface ist das
statt die Koordinaten jedes
dem gleichen Interface auszubeste Interface. Jedes (unnöBildpunktes zu übertragen.
statten. In einem ersten Schritt
tige) Interface erhöht den
Um jedoch eine künstliche
wurde die (zukünftige) AufKommunikations- und EntAbhängigkeit von der Farbgabe des Geräts vertieft anawicklungsaufwand.
information zu verhindern,
lysiert. Man betrachtete dabei • Wieso wurden verschiedene
können anstatt «roter Kreis»
auch die Physik der Messung
Interface-Typen für verschiedie Farbe «Rot» und die Form
und den Messprozess. Für die
dene Module eingesetzt?
«Kreis» getrennt übertragen
Analyse wurden Gespräche
Kann man jene nicht vereinwerden.
mit verschiedenen Stakeholheitlichen?
dern geführt, unter anderem Grund: Interfaces vereinheitli- • Wieso ist der Datentransfer bei
einem Interface so hoch? Wieauch mit Physikern. Daran
chen. Sind mehrere Module
so müssen diese Daten kopiert
anschliessend legte man den
und damit mehrere Schnittbzw. übertragen werden?
kleinsten gemeinsamen Nenstellen unumgänglich, ist es
ner für den Datenaustausch
besser, gleichartige zu entwi- Grund: Datenvolumen klein
halten. Hohe Datenvolumen
fest. Auf dieser Basis konnte ein
ckeln als unterschiedliche:
sind nicht immer eine Notschlankes Interface entwickelt
Das reduziert den Aufwand
wendigkeit, sondern resulwerden, das die Austauschfürs Testen und Warten. Getieren nicht selten aus einer
barkeit der Module sicherwisse Entwickler scheuen
falschen Wahl der Modulstellt.
jedoch den damit verbundegrenzen, oder der Datennen höheren Initialaufwand.
Owner, oder sie sind eine
Fragen an Interface• Wieso gibt es so viele DatenFolge redundanter Daten.
Verantwortliche
typen? Wieso ist das DispatDie obigen Beispiele zeigen zuchen der Daten so aufwändig?
dem, dass es für Projekt-Aussen- Grund: Keine künstlichen Daten- Wie die Beispiele zeigen, lohstehende (z.B. Reviewer) nicht
abhängigkeiten. Beim Daten- nen sich Investitionen in Ineinfach ist zu beurteilen, ob ein
austausch ist es eine Kunst, terfaces nicht nur, weil sie
Projekt bezüglich Interfaces effiden kleinsten gemeinsamen ein wichtiger Ansatzpunkt für
zient und kostengünstig aufgeNenner zu finden und gleich- mehr Effizienz in der Entwicksetzt ist. Folgende einfache Frazeitig keine künstlichen Ab- lung sind. Durchdachte, zugen helfen dabei:
hängigkeiten zwischen den kunftssichere Schnittstellen
• Was sind die Gründe, wieso
Daten zu schaffen. Beispiel- ermöglichen auch die Entzwei Module getrennt sind?
weise kann zur Übertragung wicklung wiederverwendbarer
Könnte man sie nicht zu einem
einer geometrischen Form Komponenten, was die EffiziModul zusammenfügen?
die Information «Kreis» oder enz noch einmal steigert.
Artikel online:
www.erni.ch/experience
J. Christophe Duméril
Kontakt: [email protected]
Business Unit Leader in der Firma
ERNI Consulting AG.
Die Schwerpunkte seiner Beratertätigkeit liegen in den Bereichen Requirements Engineering und Process
Improvement.
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ERNI Consulting AG
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Talstrasse 82 · CH-8001 Zürich · Tel. +41 44 215 42 00
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ERNI (Slovakia) s.r.o.
Sturova 4 · SK-811 02 Bratislava · Tel. +421 2 3255 37 37
www.erni.ch · [email protected]
www.erni.ch/experience
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